Happy Birthday, Ulrike Meinhof

09_MeinhofAm 7. Oktober 2014 wäre die Journalistin und Aktivistin Ulrike Marie Meinhof 80 Jahre alt geworden. Ein kurzer Blick auf eine etwas vergessen gegangene Seite ihres Engagements.

Wochen nach Ulrike Meinhofs Tod bringt «Emanzipation», die Zeitung der Progressiven Frauen Schweiz (PFS) den kurzen Text «Ulrike Meinhof zur Frauenfrage» und zitiert eine ihrer konkret-Kolumnen aus dem Herbst 1968: «Ersticken doch täglich Millionen von Frauen an dem, was sie alles herunterschlucken, schlagen ihre Kinder, werfen mit Kochlöffeln nach ihren Ehemännern, motzen und machen vorher die Fenster zu, damit keiner hört, was alle wissen: dass es so, wie es geht, nicht geht.» Ulrike Meinhof fordert, dass «mehr Frauen über ihre Probleme nachdenken, sich organisieren und ihre Sache aufarbeiten und formulieren lernen.» Sie ist eine der ersten Frauen in der BRD, die sich als Journalistin und erwerbstätige Mutter öffentlich Gedanken macht zu feministischen Anliegen und wie Geschlechterrollen durch das kapitalistische System bedingt sind. Sie wünscht sich nicht privaten «permanenten Ehekrach», sondern eine «Öffentlichkeit des Krachs», da, wo Kommunikation und Verständigung herstellbar sind (…), damit Argumente zum Zuge kommen und nicht nur die Überlegenheit des Mannes aufgrund seiner gesellschaftlich überlegenen Stellung.»

Bewegte Geschichte

Ulrike Meinhof wächst im Nachkriegsdeutschland in bürgerlichem Milieu auf, beide Eltern sind Intellektuelle. Obwohl die einzige Protestantin in einer katholischen Schule, ist sie beliebt und wird zur Klassensprecherin gewählt. Meinhof spielt Geige, liest viel, hört Jazz und wird als verträumt beschrieben. Sie beginnt ein Studium, möchte eine Abschlussarbeit über Pestalozzi schreiben. Als 24-Jährige ist sie Mitbegründerin des Arbeitskreises für ein kernwaffenfreies Deutschland und hält eine Rede vor 10 000 DemonstrantInnen. Wie viele andere setzt sie sich gegen eine Wiederaufrüstung Deutschlands im Bündnis mit der Imperialmacht USA ein. Ihr politisches Engagement führt sie zu journalistischer Tätigkeit bei konkret. Ab 1962 ist Meinhof dort mehrere Jahre Chefredaktorin, später freischaffende Kolumnistin. 1966 veröffentlicht sie in den linkskatholischen Frankfurter Heften den Reportageessay «Heimkinder in der Bundesrepublik». Sie verfasst ein Drehbuch: Bambule. Auch im Rundfunk der ARD werden Reportagen von ihr ausgestrahlt. Sie lässt so Stimmen zu Wort kommen, die sonst niemand hören kann. Meinhof spricht auch hier an, wie Gewalt gesellschaftlich entsteht und wo sich kapitalistisch verursachte Armut und Gewalt aus Ohnmacht wie an wem austobt. Eine sich diesen Kindern gegenüber kriminell verhaltende Umwelt mache diese zu Kriminellen. Berühmt ist sie heute vorwiegend als Gründungsmitglied der RAF und mutmassliche (Mit-)Verfasserin deren ideologischen Konzeptes. Nach ihrer Festnahme ist sie Mitangeklagte im Stammheimprozess und stirbt 1976 im Gefängnis Stuttgart-Stammheim.

Fussball und Solidarität – ein Widerspruch?

12_bukanerosPraktisch immer bleibt der Fussballclub Rayo Vallecano im Schatten von Real und Atlético, den beiden grossen Clubs der spanischen Hauptstadt. Doch nun steht der fest im ArbeiterInnenstadtteil Vallecas verankerte Club weltweit im Rampenlicht, denn er schaut den Zwangsräumungen von Wohnungen in seinem Quartier nicht mehr tatenlos zu. Solidarität und -sozialen Verantwortung gehören zum Erbgut des Clubs.

 

Es war kein speziell schönes oder komisches Tor, es war auch kein Sieg im Derby gegen Real oder Atlético, das den spanischen Erstliga-Club Rayo Vallecano aus dem Arbeiterviertel Madrids weltweit aus dem Schatten der beiden grossen und reichen Clubs der Hauptstadt führte. Viel mehr war es etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann: Die Solidarität! «Es war die grösste Pressekonferenz in der neueren Geschichte des Clubs», sagte der Trainer Paco Jémez. Am Anlass nahmen 15 TV-Sender teil, darunter auch solche aus Deutschland, Italien und Mexiko. Ein Sender übertrug sogar live. Hinzu kamen viele Radiostationen, Zeitungen und Fotografen. Eigentlich wollte der Club keinen Medienrummel auslösen, doch musste er zwei Tage nach der Pressekonferenz zugeben, dass er von den Reaktionen fast überfordert wurde. Der Grund dafür ist beeindruckend und zwar nicht nur für die Fussballwelt: Trainer, Spieler und Verein wollen nicht länger tatenlos zuschauen, wenn Menschen aus ihrer Wohnung geschmissen werden. Vor allem dann nicht mehr, wenn eine 85jährige Anhängerin im Stadtteil Vallecas auf die Strasse gesetzt wird. Stadtteil, dem der Club seinen Namen verdankt und zutiefst mit ihm verbunden ist. Carmen Martínez Ayuso wurde trotz massiven Protesten der Bevölkerung Ende November von der Polizei auf die Strasse gesetzt. Eine Ersatzwohnung wurde der alten Frau nicht angeboten. 50 Jahre lang hatte sie in ihrer Wohnung gelebt. Diese wurde geräumt, da sie für einen Kredit ihres Sohns über 40’000 Euro gebürgt hatte. Das hatte sie nicht verstanden. «Ich kann weder lesen noch schreiben und habe die Unterlagen einfach unterzeichnet, um meinem Sohn zu helfen», erklärte die verzweifelte Frau. Mit überhöhten Zinsen eines «Kredithais» und den Verfahrungskosten stiegen die Schulden des Sohns auf über 77 000 Euro an.

Klassenstolz und die Stimme des Bewusstseins

Die unmenschliche Behandlung konnte den Club nicht kalt lassen. Der Rayo sprang sofort dafür ein, wozu eigentlich der Staat verantwortlich sein sollte. «Wir werden nicht zuschauen und der Frau helfen», sagte der Trainer an der Pressekonferenz. Und er versprach: «Nicht ich alleine, sondern der gesamte Trainerstab, die Spieler, der Verein werden dafür sorgen, dass Carmen bis zu ihr Lebensende eine Miete zahlen, ein würdiges Leben führen kann und sich nicht einsam fühlen wird.» Zwangsräumungen gehören in Spanien mittlerweile zur täglichen «Normalität». Dies obwohl die Verfassung im Artikel 47 «das Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung» garantiert. Manuel San Pastor, der Anwalt der «Plattform der Hypothekengeschädigten» (PAH), spricht von einer «Politik des Sozialterrorismus», denn die Stadt versilbere ihre Sozialwohnungen an «Geierfonds». Ein Drittel stünde leer, «während tausende geräumte Familien kein Angebot erhalten», erklärt San Pastor. Nach dem Eingreifen des Clubs hat die Stadt der alten Rayo-Anhängerin eine Sozialwohnung angeboten. Angebot, das laut Verfassung vor der Zwangsräumung hätte kommen müssen und wohl nie gekommen wäre, hätte der Verein durch seine Aktion nicht für weltweiten Wirbel gesorgt. Der Club hat nun ein Spendenkonto eingerichtet, das von Trainern, Spielern und privaten Spenden aus der Bevölkerung gefüllt wird. Hinzu kamen fünf Euro pro Eintrittskarte, die für das Heimspiel gegen Sevilla vom 7. Dezember verkauft wurden. Jémez erklärte an der Pressekonferenz: «Als bescheidener Verein sind wir einen Schritt vorwärts gegangen, weil Solidarität und soziale Verantwortung zu unserem Erbgut gehören. Wenn die Institutionen nun Carmen eine würdige Wohnung geben, werden wir mit dem gespendeten Geld anderen bedürftigen Menschen im Stadtteil helfen.»

Der Verein, seine Fans und das im Süden Madrids gelegene ArbeiterInnenviertel mit gut 300 000 EinwohnerInnen bilden eine Symbiose. «Rayo ist nicht einfach ein Fussballclub, sondern der Klassenstolz und die Stimme des Bewusstseins», meint Pedro Roiz. Sein Vater war von 1965 bis 1972 Präsident des Clubs. Roiz erklärt den Stadtteil so: «Vallecas ist die Erde der einfachen und engagierten Leute». Es sind ZuzüglerInnen aus allen Teilen Spaniens und EinwanderInnen, die sich mit «grosser Mühe ihr Brot verdienen und KämpferInnen sind. » Der Verein wurde 1924 gegründet. Er steht in der antifaschistischen und klassenkämpferischen Tradition, genauso wie seine Fans, allen voran die Ultras-Gruppe «Bukaneros». Als im November 2012 in ganz Spanien gemeinsam mit Griechenland und Portugal gegen die Kürzungspolitik und die tiefen Einschnitte in die Sozialsysteme gestreikt wurde, schlossen sich der Club und seine AnhängerInnen ganz selbstverständlich dem Kampf an. Ganz im Gegensatz dazu der Manager der königlichen von Real Madrid, Pedro Duarte. Er verbreitete per Twitter die Meinung, dass «Gewerkschaftler einer nach dem anderen an die Wand gestellt werden sollten».

Solidarität mit verhaftetem Fan

Während dem Streiktag im November 2012 wurde in ganz Spanien nur eine einzige Person verhaftet. Und es ist wohl kaum ein Zufall, dass diese Person ein Mitglied der «Bukaneros» ist. Der 21jährige Alfonso Fernández Ortega (Alfon) verhaftet, bevor er am Streikposten eintraf. Mit schwammigen Anschuldigungen wurde er fast zwei Monate in Untersuchungshaft gesteckt. «Es ist eine Inszenierung der Polizei, um ein Exempel zu statuieren», erklärte seine Mutter Elena Ortega kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin. Alfon wird der Besitz eines Rücksackes vorgeworfen, der mit Utensilien zum Bau von Molotow-Cocktails im Stadtteil gefunden wurde. Ihm drohen nun wegen «Besitz von Explosivstoffen» fünfeinhalb Jahre Knast. Beweise dafür gibt es wohl nicht. Weder wurden seine Fingerabdrücke, noch wurde bei Hausdurchsuchungen belastendes Material gefunden. Im Prozess vom 18. November erklärte Alfon, von der Polizei erpresst zu werden. Sie habe ihm mit dieser Anklage gedroht, wenn er nicht andere «Bukaneros» und Mitglieder der «Antifaschistischen Brigaden» identifiziere. Der Club, seine AnhängerInnen und das ganze Quartier haben Alfon ihre Unterstützung und Solidarität zugesichert.

Den Protest auf die (Berg-) Strassen tragen

sciopero-generaleAm 7. und 8. Juni 2015 treffen sich auf Schloss Elmau in den bayerischen Alpen die -Staats- und RegierungschefInnen Deutschlands, der USA, Japans, Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens und Kanadas. Sie werden über Aussen- und Sicherheitspolitik, Weltwirtschaft, Klima und «Entwicklung» beratschlagen. Die G7 stehen für neoliberale Wirtschaftspolitik, für Militarisierung und Kriege, Ausbeutung, Hunger und für Abschottung gegenüber Flüchtenden. Wir betrachten die Mobilisierung gegen den G7-Gipfel als Teil vielfältiger Protestbewegungen für soziale Gerechtigkeit, für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, für Frieden und für ungeteilte Menschenrechte.

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Neonazi-Konzert im Kanton Bern

rechtsextreme-jpgAm kommenden Samstag, dem 11. Oktober 2014, soll in der Bar-Racuda in Radelfingen ein Konzert mit der rechtsextremen Band «Von Glas zu Glaz» stattfinden. Dutzende einschlägig bekannte Neonazis haben bereits ihre Teilnahme angekündigt.

«Von Glas zu Glaz» ist das neue Bandprojekt der Gebrüder Cedric und Alexander Rohrbach, welche zuvor bereits in der Rechtsrockband «Indiziert» gespielt haben und beide Mitglieder der Rechtsextremen Partei Nationalorientierter Schweizer (PNOS) sind. Die Band wurde 2013 gegründet und besteht nebst dem Brüderpaar aus Sascha Berger und Roger Wagner. Mit Roger Wagner findet sich der dritte PNOS-Exponent in der Onkelz-Coverband.
Auch wenn sich „Von Glas zu Glaz“ nach aussen hin unpolitisch gibt, handelt es sich bei den Bandmitgliedern keineswegs um unbeschriebene Blätter. Immer wieder tauchten sie an Aufmärschen und Demonstrationen von Neonazis auf und zumindest drei Personen sind gut integriert in die neonazistische Rechte des Kantons Bern.
So verwundert es nicht, dass bereits diverse Exponent_innen der rechtsextremen Szene ihre Teilnahme an diesem Event angekündigt haben.

Der Betreiber der Lokalität wurde bereits auf diese Problematik hingewiesen, reagierte bis zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht.

Es kann nicht angehen, dass eine Bar, die sich als «familienfreundlich» ausgibt, eine Plattform für solche Veranstaltungen bietet.

Quelle: Antifa Bern

Die Mauer als Wandzeitung der Revolution

Ramy SchweizIm Rahmen eines ethnologischen Seminars der Universität Luzern zu Politik und sozialen Bewegungen in Nordafrika wurde der Dokfilm «?Art War?» von Marco Wilms gezeigt. Zuvor berichtete der ägyptische Musiker Ramy Essam von seiner Geschichte, der aktuellen Situation und wie er zum Sänger der Revolution wurde.

Neben renommierten Forschenden haben auch zwei spezielle Gäste aus dem Bereich der Kunst am 20. September am Seminar teilgenommen. Zum einen der ägyptische Musiker Ramy Essam, der durch seine Auftritte auf dem Tahrir-Platz in Kairo während der Revolution 2011 berühmt wurde. Essam Ramy sprach in seinem Vortrag über «Musik und politischer Aktivismus in Ägypten». Zum anderen war der deutsche Regisseur Marco Wilms zugegen, dessen preisgekrönte Dokumentation «Art War» gezeigt wurde. Der Film beleuchtet das Aufkommen von Graffitis, Streetart und Musik als Ausdrucksmittel des Protests während und nach der Revolution in Ägypten.

Der Sänger der Revolution

Zu Beginn erzählt Ramy Essam über sich und wie er zum Revolutionär wurde. Während sein grösserer Bruder schon zuvor aktiv war, spielte er mit der Band «Mashakel» Lieder über den Alltag und die Liebe. «Ich hängte rum, ging in Clubs und interessierte mich für nichts», erzählt Ramy. Als es am 25. Januar 2011 in Folge der tunesischen Revolution auch in Ägypten zu ersten Demonstrationen kam und für den 28. Januar der «Tag der Wut» – der Tag der Revolution – ausgerufen wurde, entschloss sich Ramy, wie viele andere auch, nach Kairo zu reisen. Nach zwei Tagen Revolte und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit hunderten Toten lag das Regime von Hosni Mubarak am Boden, die Sicherheitskräfte verschwanden aus dem Alltag, das Militär schlug sich auf die Seite der rebellierenden Strasse und überall auf den Plätzen wurde gefeiert. Ramy blieb, mit seiner Gitarre bewaffnet, auf dem Tahrir und wartete wie ganz Ägypten, dass Hosni Mubarak nach dreissig Jahren Unterdrückung und Diktatur die Macht abgibt. Er spielte in den Zelten mitten auf dem Platz und unterhielt die Anderen mit seiner Musik, nahm die wütenden Parolen der Strasse auf und baute sie in seine Lieder ein.

Doch Hosni wollte nicht gehen. In einer surrealen TV-Ansprache machte Mubarak klar, dass er keineswegs daran denke, zurückzutreten. Entsprechend niedergeschlagen war die Stimmung auf dem Tahrir, denn nun fürchteten alle noch grösseres Blutvergiessen. Ramy Essam begann zu spielen. Es war der 31. Januar, für Ramy ein Wendepunkt in seinem Leben. Sein Lied «erhal» (hau ab) wollten nun alle hören. Er wurde zuerst aufgefordert, im Stehen zu singen, dann, dass er doch auf die Bühne soll. Doch Nagib, heute ein enger Freund von Ramy, liess ihn nicht auf die Bühne. Mit den Worten: «Ja, ja, aber nicht jetzt, nicht jetzt!», wimmelte er ihn immer wieder ab. Spät in der Nacht durfte Ramy dann doch noch auf die Bühne, «aber bloss ein Song» wurde ihm zugeraunt. Als er die Bühne wieder verliess, war der Sänger der Revolution geboren und Ramy musste plötzlich überall spielen. Heute kennt in Ägypten jedes Kind seinen Namen und seine Musik.

Kunst als politische Waffe

Auch der Dokumentarfilm «Art War», widmet sich ganz der revolutionären Strasse. Der Regisseur Marco Wilms, der zwei Jahre für die Arbeit an seiner Doku die meiste Zeit in Kairo lebte, begleitete AktivistInnen der ägyptischen Kunstszene, MusikerInnen und GraffitikünstlerInnen, die mit Spraydosen, Mut und anarchistischen Agitationsformen die Revolution auf den Wänden und im öffentlichen Raum weiterführen. Marco Wilms, der sich immer wieder selbst Mitten in den Sturm begibt, begleitet Ramy Essam, die Electropop-Sängerin Bosaina und die jungen Künstler Ganzeer, Ammar Abo Bakr, Mohamed Khaled, Alaa Awad und Hamed Abdel-Samad.

«Es gibt im Grunde keine erfolgreiche und auch keine gescheiterte Revolutionen. Revolutionen sind Motoren der Geschichte. Und egal ob sie scheitern oder nicht, sie bewegen was, sie verändern was, aber langfristig», meint der ägyptisch-deutsche Schriftsteller und Politologe Hamed Abdel-Samad zu Beginn des Films, der im November 2011 einsteigt. Damals starben hunderte junge RevolutionärInnen beim Aufstand gegen den damals regierenden Militärrat (SCAF). Der Film zeigt eindrücklich auf, wie die jungen AktivistInnen ihre Kunst als politische Waffe und als Ausdruck ihres Protestes einsetzen. Wilms gelang mit seinem Film, die neu entstehenden Subkulturen mit lebendigen Bildern einzufangen und aufzuzeigen, wie Kunst als Mittel der Unterdrückten und als treibende Kraft, die noch lange nicht vollendete Revolution vorantreibt. «Die Mauer ist die Wandzeitung der Revolution, wann immer etwas passiert, übertragen wir es auf die Wand, damit es das Volk sieht» erklärt Ammar. Oder in Ganzeers Worten: «Alternative Propaganda gegen die Propaganda der Regierung». Der Film berichtet über die Geburt des ägyptischen Graffitis, darüber, wie der öffentliche Raum und die Wände zum emanzipatorischen Schauplatz werden, wo mit Spraydosen und Pinseln versucht wird, die Gesellschaft aufzubrechen und wachzurütteln. Mit seinem Film hat Marco Wilms ein beeindruckendes Zeitdokument geschaffen.

Eine neue Generation

Ramy Essam berichtete in Luzern aber auch von drei Jahren Kampf und von schweren Zeiten mit vielen Verlusten. «Es war ein Fehler, dass wir so früh den Tahrir verlassen haben. Das Regime gelang es, sich neu zu sammeln und die fragmentierte und unorganisierte Opposition zu spalten», erklärt Ramy. Er erzählt von der zweiten Besetzung des Tahrirs und wie diese am 9. März 2011 brutal geräumt und er mit zweihundert anderen verhaftet und während sechs Stunden im Keller des ägyptischen Museums brutal gefoltert wurde. Nur knapp überlebte er damals die Folter, brechen konnten sie ihn nicht. Und Ramy schilderte die aktuelle Situation, wie das Militär und die Mainstreammedien derzeit versuchen, die Revolution in einen islamistischen Putsch umzudeuten und wie er mit seiner Musik dagegen ansingt. Und auch über die kommende zweite Welle und dass viele in Ägypten fürchten, dass die Hungernden und Ärmsten der Armen diese Welle sein könnten. Dass dies ohne Zweifel sehr hässlich werden und es nicht um Freiheit gehen wird, die Bewegung aber trotzdem versuchen würde, diesen Aufstand mit allen Mitteln zu unterstützen. Ramy Essam hegt gleichzeitig grosse Hoffnung in die neue Generation, die anders ist. Auf die, die noch zu jung waren für die Revolution und die nun eifersüchtig, neidisch und wütend sind, dass sie kein Teil des Aufstands waren und dass sie sich in keine der Strassenschlachten werfen konnten, «um im Kampf sich selbst zu finden», wie es Hamed Abdel-Samad in «Art War» so treffend formulierte.

 

Mehr Infos zu «Art War» und Ramy Essam:  www.facebook.com/ARTWARmovie
www.ramyessam.net

 

Chance verpasst!

öffentliche_kkDie Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) ist äusserst enttäuscht über das Nein zur öffentlichen Krankenkasse. Das Schweizer Stimmvolk hat  eine sinnvolle und solidarische Lösung abgelehnt. Eine öffentliche Krankenkasse hätte zum Beispiel längerfristig Einsparungen von rund zwei Milliarden Franken ermöglicht.  Doch das Abstimmungsresultat überrascht nicht: Dem Nein-Komitee der «alliance santé» gehören economiesuisse, der Gewerbeverband, der Verband der privaten Krankenversicherungen und der Pharmaverband Interpharma an. Von den fünf Millionen Franken, die diese Lobby-Gruppe nach eigenen Angaben für den Abstimmungskampf zur Verfügung gestellt hat, stammen drei Millionen von den Krankenkassen. Einmal mehr wurde mit Millionen  unserer Beitragsgelder die öffentliche Meinung beeinflusst und manipuliert – und dies im Namen der Demokratie! Trotz dem heutigen ernüchternden Resultat wird die PdAS weiterhin für eine öffentliche Krankenkasse kämpfen. Denn sie ist einfacher, gerechter und günstiger. Die PdAS verteidigt die Solidarität zwischen Jungen und Alten, Frauen und Männern, Gesunden und Kranken. Das war einst der Grundgedanke der Krankenkassen.

Die PdAS hat die Initiative «Schluss mit der MwSt-Diskriminierung des Gastgewerbes!» unterstützt, welche ebenfalls abgelehnt wurde. Die Mehrwertsteuer (MwSt) passt zum Zeitgeist, da sie vor allem die breite Bevölkerung zur Kasse bittet, während die Besserverdienenden weniger belastet werden. Die PdAS hat sich darum in der Vergangenheit immer wieder gegen die MwSt gewehrt und wird es auch in Zukunft tun.

Partei der Arbeit der Schweiz

Alle auf die Strasse gegen Nationalismus!

Demo gegen Rassismus und reaktionäre Hetze 4.10.14 // 14:00 // Steinberggasse Winterthur

Am 4. Oktober werden die Nationalist_innen der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (AUNS) eine ausserordentliche Mitgliederversammlung in Winterthur abhalten. In der Parkarena in Hegi, einem Kongresszentrum der evangelikalen Freikirche «Gemeinde von Christen» (Prominentestes Mitglied: Polizeivorsteherin Barbara Günthard-Maier), werden die strammen Patriot_innen nicht allein ihrem hässlichen Wohlstandschauvinismus huldigen: Als Gastredner tritt Nigel Farage auf. Dieser ist Chef der britischen rechts-nationalistischen UKIP (United Kingdom Independence Party), welche in den Europawahlen vergangenen Mai 28% der Stimnmen holte und damit alle anderen Parteien überflügelte.

Dass sich AUNS und UKIP gefunden haben erstaunt uns nicht, vertreten doch beide sehr ähnliche reaktionäre Positionen: Aggressiven Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit bis hin zu offenem Rassismus, Rückbesinnung auf Volk und Nation, Sexismus und Homophobie.

Selbst die EU, bekannt für brutale Repression gegen Flüchtende, ist den Rechten noch zu wenig konsequent.
Im Falle der UKIP wird das nationalistische Geschwafel zudem mit radikalem Neoliberalismus angereichert. Desweiteren bedient sie sich populärer Verschwörungstheorien über «geheime Eliten» und die «Klimalüge».
Die UKIP, die AUNS und viele weitere Organisationen in ganz Europa sind Teil des zur Zeit erstarkenden Rechtsnationalismus, welcher sich gleichermassen gegen Migrant_innen und Asylsuchende als auch gegen die «Eliten» (zu welchen die Führer dieser Bewegungen meist selber gehören) richtet.

Wenn die herrschende Klasse Volk und Nation zu beschwören beginnt, sollten die Alarmglocken läuten! Denn ihre Politik zielt nicht nur gegen Fremde, sondern in ihrer Konsequenz auch auf die Gesamtheit von uns Lohnabhängigen und allen weiteren Marginalisierten der Gesellschaft.

Wir lassen uns das nicht gefallen! Wehren wir uns gemeinsam gegen die menschenverachtenden Ideologien der rechten Hetzer_innen. Zeigen wir den Nationalist_innen dass sie in Winterthur nicht willkommen sind. Gerade in diesen Zeiten von neoliberalen Sparpaketen, allgegenwärtiger rassistischer Hetze und nationalistischen Kriegen ist es wichtig, dass wir geschlossen für Solidarität und eine ganz andere Gesellschaft eintreten.

Kommt deshalb alle am 4. Oktober auf die Strasse! Ob Arbeiter_in oder Student_in, ob jung oder alt, ob mit oder ohne Schweizer Pass: Dieser Kampf geht uns alle an!

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800 Tote in fünf Tagen

immigrati-tragediaMit Trauer und grosser Wut nimmt die Partei der Arbeit leider zur Kenntnis, dass das Mittelmeer in den letzten fünf Tagen 800 Tote ans Land gespült hat. Unschuldige Kinder, Frauen und Männer, die an der Festung Europa ihr Leben verloren haben. Somit steigt die Zahl der Toten im Mittelmeer seit Beginn des Jahrs auf über 2500 Menschen an. Die PdAS spricht den betroffenen Familien ihr tief empfundenes Beileid aus.

800 Tote in fünf Tagen, 2500 in knapp neun Monaten und die offizielle Schweiz schweigt dazu! Was ist mit ihrer so hoch gelobten «humanitäre Tradition»? Und natürlich schweigt auch die Bürgerliche Presse. Das Schweigen hat Gründe: Menschen fliehen nicht aus Spass sondern vor Armut und Not, die oft von Bürgerkriegen und Kriegen ausgelöst werden. Kriege, welche für die imperialistischen Interessen von wenigen Ländern und der EU geführt werden. Auch die Schweiz verdient an diesen Kriege weltweit kräftig mit. Die PdAS erinnert auch daran, dass Schweizer Rohstofffirmen seit Jahrzehnten u.a. riesige Gebiete in Afrika ausplündern. Sie erzielen durch die schamlose Ausbeutung von Mensch und Natur enorme Gewinne, während in den betroffenen Gebieten die Menschen vor Hunger sterben. So sind die Fluchtgründe sehr oft bedingt und verursacht durch die kapitalistischen Profitinteressen der Rohstofffirmen und andere Grosskonzerne, die ihren Hauptsitz nicht selten hier in der Schweiz haben.

Die PdAS fordert eine Migrationspolitik, die auf Menschlichkeit und Solidarität basiert. Notwendig ist aber vor allem, dass die Hauptursachen der Fluchtgründe bekämpft werden. Krieg und Hungersnöte sind das Produkt des kapitalistischen Herrschaftssystems. So sagte schon Rosa Luxemburg: «Sozialismus oder Barbarei». Wie treffend, angesichts den Tausenden von Todesopfern im Mittelmeer!

Wir werden nicht ruhen, bis mit der sozialistischen Gesellschaft Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und das Sterben von Flüchtlingen ein Relikt düsterer, kapitalistischer Vergangenheit sind.

Partei der Arbeit der Schweiz

16. September 2014

 

Ein tolles Fest zum 70. Geburtstag!

07_FestivalAm 30. und 31. August feierte die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) ihren 70. Jahrestag mit dem POP-Festival mitten in Le Locle. Viel gute Musik, internationale Gäste und Stände, angeregte politische Diskussionen, geselliges Beisammensein und vieles mehr in einem tollen, friedlichen Ambiente. Es war alles vorhanden, was das linke Herz sich wünscht.

«Ein internationales Volksfest der Brüderlichkeit, der Solidarität und der politischen Reflexion. Ein Fest, wie es eben die KommunistInnen überall dort machen können, wo sie sich organisieren.» Mit diesen Worten fasste Alain Bringolf, ehemaliger Präsident der PdAS und langjähriger Vertreter der Partei im Neuenburger Parlament, das Volksfest zusammen. Doch der Reihe nach…

Nicht vergssen!

Natürlich fiel die Wahl, das Fest zum 70. Geburtstag in Le Locle durchzuführen, nicht zufällig: Das schmucke Städtchen im Neuenburger Jura mit rund 10000 EinwohnerInnen und bekannt durch die Uhrenindustrie ist die politische Hochburg der PdA: An den letzten Kommunalwahlen erhielt die Partei 52 Prozent (!) der Stimmen und ist mit 17 Abgeordneten die klar stärkste Fraktion im Stadtparlament. Sie stellt mit Denis de la Reussille den Bürgermeister und hat mit Cédric Dupraz einen weiteren Vertreter in der Stadtregierung.

Trotzdem war der Entscheid, ein grosses Volksfest unter freiem Himmel zu organisieren, keine Selbstverständlichkeit. Aber die rege Beteiligung der lokalen Bevölkerung, die zahlreichen SympathisantInnen und Mitglieder der Partei, die aus allen Ecken der Schweiz anreisten und die internationalen Gäste aus Kuba, Frankreich, Belgien und Deutschland zeugen für den Erfolg des Festes. Ein Erfolg, der nur dank dem grossen Einsatz und der hervorragenden Arbeit von Amanda Ioset, nationale Co-Sekretärin der PdAS, Germán Osorio, Sekretär der Neuenburger Kantonalsektion und den GenossInnen des Festkomitees zustande kam. Bei ihnen allen bedankte sich der PdAS-Präsident Gavriel Pinson zuerst, als er am Freitagabend offiziell das Geburtstagsfest der PdAS eröffnete. Ihm folgte auf der grossen Bühne, die auf dem zentralen «Place du Marché» stand, Genosse Denis de la Reussille. «Es freut mich ganz besonders, euch als Mitglied der PdA und Bürgermeister von Le Locle hier bei uns begrüssen zu können», begann er seine kurze Ansprache. Er fügte unter anderem hinzu: «Es ist ein Moment der Freude und wir alle wollen dieses Fest geniessen. Trotzdem sollten wir jene Menschen nicht vergessen, die wegen Krieg und Hunger grosse Not leiden und auf der Flucht sind. Wir sind und waren schon immer eine internationalistische Partei und ich begrüsse daher ganz besonders unsere FreundInnen und GenossInnen ohne Schweizer Pass.» Neben den internationalen Gästen waren auch der «Front Polisario», die «Vereinigung Schweiz-Palästina», die «Vereinigung Schweiz-Kuba», die «Vereinigung Schweiz-Vietnam» sowie die «Centrale Sanitaire Suisse» mit ihren Ständen während dem ganzen Fest vor Ort. Die kolumbianischen, portugiesischen und kurdischen GenossInnen sorgten zudem mit ihren köstlichen Spezialitäten für das leibliche Wohl. Nach den Ansprachen folgten drei Konzerte, die das Festival optimal und stimmungsvoll lancierten.

Wer ohne Vergangenheit ist…

Am Samstag war bereits ab 11.00 Uhr reger Betrieb auf der «Place du Marché» und das Wetter hatte sich entschieden, dem Fest keinen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit gut 30 Minuten Verspätung begann um 14.30 Uhr die erste Politveranstaltung zum Thema «Das helvetische Wohlstandsmodell», die bald zu einer angeregten Diskussion unter den rund 100 Anwesenden führte. Viele GenossInnen unterstrichen in ihren Beiträgen, dass das helvetische «Wohlstandsmodell» nur für gewisse soziale Klassen seine Früchte trägt. Wohlstand, der durch Steuergeschenke an Unternehmen und MillionärInnen und dem Zusammenstreichen der Sozialleistungen sowie dem Abbau im Bildungs- und Gesundheitswesen finanziert wird. Leidtragende sind immer mehr die Lohnabhängigen im mittleren und unteren Bereich der Lohnskala.

Nach der Politdiskussion folgte die Ehrung der Mitglieder der Gründergeneration der Partei, was mit Sicherheit ein emotionaler Höhepunkt der Geburtstagsfeier war. Eine Ehrung, die durch junge GenossInnen durchgeführt wurde. So trafen sich Vergangenheit und Zukunft der PdAS, ganz im Sinne der Worte von Pietro Ingrao, der lebenden Legende des Kommunismus in Italien. Er sagte schon vor Jahren: «Wer ohne Vergangenheit ist, hat keine Zukunft und ist zu einem ewigen Präsens verdammt». Oder wie es Alain Bringolf, auch er unter den geehrten GenossInnen, so wunderschön auf den Punkt brachte: «Dieses Zusammentreffen der Generationen beweist, dass unsere Forderungen kein Alter kennen!» Abgeschlossen wurde der Politnachmittag mit der zweiten «Table ronde» zum Thema: «Europa in der Krise! Welche Zukunft für den Kontinent?» Eingeleitet wurde die Debatte durch Referate von GenossInnen aus Deutschland, Frankreich und Belgien. Während der anschliessenden Diskussion wurden die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeiten der internationalen Zusammenarbeit thematisiert. Unterstrichen wurde gleichzeitig die Wichtigkeit des Erfahrungsaustauschs, der an Anlässen wie diesem ermöglicht wird.

Es macht Sinn

Der Samstagabend stand dann wieder ganz im Zeichen der Musik. Getanzt wurde zu brasilianischer Volksmusik, argentinischem Tango sowie zu Party- und Skasound. Wie verbindend ein solches Volksfest sein kann, beweist folgende Anekdote: Zum Schluss des dritten Konzerts – es spielte die Band «I SKARBONARI» – gesellten sich die Mitglieder einer Hard-Rock Band auf die Bühne. Die Rocker gaben zuvor ihr eigenes Konzert in einem nahegelegen Restaurant. Ein seltenes Bild mit grossem symbolischem Gehalt. Zum Abschluss des Konzerts und des Festivals wurde – wie könnte es anders sein – die Internationale gesungen.

Neben den vielen schönen Erinnerungen bleibt auch eine Gewissheit: «Als ich am Freitagabend in Le Locle eintraf, war ich sehr ergriffen von der Tatsache, dass wir doch fähig sind, viele Leute zu mobilisieren und alles einen Sinn hatte», hielt Valentino Vanoli, Präsident der Neuenburger Stadtsektion, in einem Mail an die GenossInnen fest. Und Nago Humbert, ehemaliger PdA-Kandidat für die Exekutive der Stadt Neuenburg, antwortete ihm: «Ja, das macht alles Sinn und zwar mehr denn je in einer Welt, die sich im Namen des Profits und des Individualismus selbst zerstört, die Nationalismus produziert und koloniale Kriege führt.» Es lebe der Kommunismus!

 

Eine neue Armee für den kommenden Aufstand

armeeDie vom Bundesrat angestrebte Weiterentwicklung der Armee entspricht den internationalen militärstrategischen Trends. Mit kleineren aber modernisierten Beständen sollen neuartige Bedrohungen bewältigt werden. Das scheinbar Neue ist aber bloss der wiederbelebte Krieg gegen die Armen.

Vor sechs Jahren begann die Arbeit an der «Weiterentwicklung der Armee» (WEA). Anfang September präsentierte Ueli Maurer, Chef des «Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport» (VBS), die tiefgreifenden Neuerungspläne, über die das Parlament noch zu bestimmen hat. Bis 2017 soll der Truppenbestand auf 100 000 halbiert werden. Auch bei Teilen der Infrastruktur würde der Abbau walten. Das bedeutet das Ende für etliche Tigerjets, Leopard-Panzer, Haubitzen, Festungsminenwerfer, Piranhas und Bisongeschütz. Alles Material also, das für herkömmliche, zwischenstaatliche Schlachten im offenen Felde taugt. Der ideologische Boden dieser Ausrüstung ist in den gehegten Bedrohungsfantasien des Kalten Krieges zu suchen. Die Angst vor der übermächtigen, von Osten einmarschierenden Sowjetmacht ist jedoch passé. Heute bedrücken andere Sorgen die herrschende Klasse. Und so muss auch anderes Kriegsgerät her. Etwa mehr Drohnen und neue Aufklärungstechniken, die – so die Begründung – gegen TerroristInnen und im Cyber War eingesetzt werden können.

Kritik gegen die WEA hagelte es von Links und Rechts. Die Stahlhelmfraktion schaudert‘s, weil ihre geliebte Massenarmee endgültig das Zeitige segnet und die Wehrpflicht dadurch noch weniger Bedeutung erhält. Die «Gruppe Schweiz ohne Armee» (GSoA) wiederum sieht die Gefahr von häufigeren Einsätzen der Armee im Innern. Schliesslich würden die Militärpolizeibataillone verdoppelt und erweiterte Kompetenzen erhalten sowie stärker mit den Polizeicorps zusammenarbeiten. In finanzieller Hinsicht ändert sich mit dem WEA kaum etwas. Bereits 2011 beschloss das Parlament die Erhöhung des Militärbudgets von 4.7 auf 5 Milliarden Franken.

Im globalen Trend

Grossheere haben nach wie vor ihre Bedeutung für Territorialkonflikte und die Sicherung globaler Machtansprüche. Allerdings zeichnet sich international eine Tendenz ab, die neben oder anstatt dem herkömmlichen Heer flexible und schnelle Armeen für asymmetrische Kriege hervorbringt. Der 2003 publizierte NATO-Bericht mit dem Namen «Urban Operations in the year 2020» weist ganz in diese Richtung. Dort sind «asymmetrische Bedrohungen, Technologieentwicklung und Einsätze in Städten grundsätzliche Charakteristika und mögliche Herausforderungen künftiger Einsätze der Allianz.» Ebenso beklagt die amerikanische RAND-Corporation, ein militärwissenschaftlicher Think Tank, dass die USA trotz einer «Verstädterung der Revolte» nicht hinreichend für die Aufstandsbekämpfung gerüstet seien. Diese Überlegungen finden sich auch in der WEA. Maurer will innerhalb von zehn Tagen 35 000 Mann aufbieten können, was heute unmöglich sei. Angesichts der jüngsten unerwarteten Aufstände erscheint diese Fähigkeit für den Staat jedoch elementar.

Die grosse Reserve an Proletarisierten ist zwar überlebenswichtig für das an tiefen Lohnkosten interessierte Kapital, doch in der Krise nimmt diese Masse, ob sie es will oder nicht, wieder die totgesagte Rolle der «gefährlichen Klasse» ein. Was folgt, ist der Krieg gegen die Armen. Exemplarisch hierfür sind die Angriffe der so genannten Befriedungspolizei UPP (Unidade de Polícia Pacificadora) in den brasilianischen Armensiedlungen. Vordergründig geht es dort stets um die Jagd auf Drogengangs. Die Präsenz krimineller Banden ist hingegen von staatlichem Interesse, denn sie legitimiert die gewalttätige Intervention in potentiell aufständische Territorien. Übrigens waren es auch in Baselland «kriminelle Einbrecherbanden», mit welchen der zivile Einsatz der Militärpolizei gerechtfertigt wurde. Solche Interventionen lassen sich bei entsprechendem Bedürfnis problemlos auf andere Bereiche ausweiten. In Brasilien etwa gegen Protestierende, die aus ihren Quartieren vertrieben wurden.

Ein Problem der Peripherie?

Es ist offensichtlich, worauf die neue Armee zu zielen hat. Gerne verweist Ueli Maurer auf die arabischen Aufstände oder auf den Konflikt in der Ukraine. Bei Ersterem sind abrupte und unkontrollierte Migrationsbewegungen das Problem, bei der Ukraine ist es der unerwartete Kriegsausbruch durch eine spontane Revolte. In Brasilien wiederum ist es das verarmte und rebellierende Proletariat, das sich darüber hinaus noch mit informeller Wirtschaft über Wasser hält. Sind solche Szenarien also nur im Elend ferner Länder denkbar? Jeder Schweizer Rekrut lernt, dass bei bedrohter innerer Sicherheit die Armee aufgeboten werden kann. Dieser Möglichkeit bedienten sich die Generäle bis in die 30er Jahre regelmässig – nicht ohne tödliche Folgen für die protestierenden ArbeiterInnen. Und auch heute bestätigen dienstleistende Soldaten das Üben von Einsätzen gegen DemonstrantInnen. Erinnert sei zudem an das Militärbataillon 1, das im Januar letzten Jahres mit einem originalen Anti-WEF-Transparent den Einsatz im Innern probte.

Weil es sich aber so schön bewährt hat, dient primär «Terrorismus» als Legitimation für neue Militärtechniken. Doch auch solche finden in Wirklichkeit längst Verwendung im Bereich der Crowd Control. Militärdrohnen und Superpumas der Armee unterstützten in den letzten Jahren die Zürcher Polizei bei der Unterbindung der autonomen 1. Mai-Proteste. Bezahlen musste die Stadt keinen Rappen; dankend übt das Militär am realen Objekt. Es lässt sich also kaum bestreiten, dass die neuen Armeen nicht nur für den Einsatz an der Peripherie und an den Grenzen der Wohlstands-Festungen konzipiert sind, sondern besonders auch im Zentrum, in den widerspruchsvollen und umkämpften Metropolen der Industrienationen zum Einsatz kommen werden.

 

UKIP-Chef in Winterthur

nigel-farage-smokingDie UKIP hetzt mit klassischen Themen der Neuen Rechten und etablierte sich so bei den Europawahlen als stärkste britische Partei. In Winterthur geht die AUNS nun mit Parteichef Nigel Farage auf Tuchfühlung.

Noch im letzten Jahr sagte er dem «Blick», er habe mit den Leuten der SVP nichts zu tun. Nun aber scheint sich Nigel Farage, Oberhaupt der «United Kingdom Independence Party» (UKIP) und EU-Parlamentarier, bestens mit dem Präsidenten der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (AUNS) und SVP-Nationalrat Lukas Reimann angefreundet zu haben. Am 4. Oktober wird der Brite an der ausserordentlichen Mitgliederversammlung der AUNS eine Rede gegen Euro und EU halten. Die evangelikale «Gemeinde von Christen» bietet für den Anlass ihre «Parkarena» mit 1250 Plätzen an. «Ich freue mich sehr darauf!», lässt uns Reimann wissen. Erstaunlich ist das nicht. AUNS, SVP und UKIP sind ideologisch mehr als nur verwandt. Wie die SVP politisiert auch die UKIP gekonnt am rechten Rand, sodass extremere Parteien vorerst perspektivlos bleiben. Mit populistischen Tricks und grossmauliger Establishment-Kritik mobilisiert Farage die WutbürgerInnen. Grossbritannien leide unter den Zahlungen an schwächere Mitgliedsstaaten und müsse deshalb aus der Union austreten. Ohnehin gehöre die EU gebodigt und der Nationalstaat wieder gestärkt. Musik in den Ohren der AUNS-Leute! Auch auf der Insel spricht dieses wohlstandschauvinistische Begehren den weissen Mittelstand und prekarisierte NationalistInnen an: Bei den Europawahlen überflügelte die UKIP alle etablierten Parteien und holte 28 Prozent der Stimmen.

Rechtspopulist und Marktradikaler

Was Farage, dem schwerreichen Rohstoffhändler und selbst ernannten «Libertären» vorschwebt, ist ein Europa der starken Nationalstaaten und marktradikalen Ökonomien. Hierfür will er Zölle und Subventionen innerhalb des Commonwealth aufheben und den Zugang zu Sozialleistungen erschweren. Der «political correctness» und dem «Multikulturalismus» sagt er den Kampf an. Weniger Zuwanderung und eine britische Einheitskultur sollen’s richten. Mehr Militär, Polizei und Knäste täten das Ihrige dazu. Auch in ökologischen Fragen ist Farage ein Elend. Nachdem er Al Gores Film «Eine unbequeme Wahrheit» an Schulen verbieten wollte, eine Kommission gegen die «Klimalüge» forderte und konsequent gegen Wind- aber für Atomkraft lobbyierte, war er sich nicht zu schade, auch gegen härtere Kontrollen des Elfenbeinhandels zu stimmen. Mit den Kassenschlagern der Neuen Rechten, darunter Islamophobie, Antiziganismus und Homophobie, spricht Farage die niederen Instinkte seiner WählerInnen an. Für die besitzende Klasse macht er sich zudem mit neoliberalen Vorstösse attraktiv. Eine explosive Mischung, die viele britische Linke an die Jahre des Thatcherismus erinnern lässt.

Distanz zur extremen Rechten?

In der geheuchelten Verurteilung von Rassismus und Antisemitismus liegt ein Erfolgsrezept rechtspopulistischer Parteien. Skinheads und Judenhass in der Partei haben sich schlicht nicht ausbezahlt. So ist der Erfolg der «Alternative für Deutschland» (AfD) und die Krise der NPD zu erklären, ebenfalls der Aufschwung des Front National in Frankreich, der sich nun moderater gibt. Und auch Farage versicherte der jüdischen Gemeinde anlässlich einer Podiumsdiskussion von «Jewish Chronicles», dass die UKIP als einzige Partei AntisemitInnen direkt ausschliesse, worauf er Applaus erntete. Rhetorisch versiert, gelingt es Farage verschiedentlich darüber hinwegzutäuschen, dass die UKIP mal formell, mal informell mit AntisemitInnen des Front National, der griechischen ultrarechten LAOS oder der rechtspopulistischen FPÖ aus Österreich verbandelt ist. In Winterthur wird jedenfalls bereits zur Demo aufgerufen.

 

«An die Linken Europas und der Welt»

linerarecibehonoriscausaencuyu_infodiezMuy buenas tardes a todos ustedes. Lasst mich bei dieser besonderen Begegnung der Europäischen Linken zunächst im Namen unseres Präsidenten Evo Morales, im Namen meines Landes und meines Volkes für die Einladung danken, um auf diesem so bedeutenden Kongress der Europäischen Linken eine Reihe von Gedanken und Überlegungen vorzubringen. Lasst mich offen und ehrlich sein .?.?. aber auch konstruktiv.

Was sehen wir Aussenstehenden von Europa? Wir sehen ein Europa, das dahinsiecht, ein niedergeschlagenes Europa, ein selbstversunkenes und selbstzufriedenes Europa, das bis zu einem gewissen Grad apathisch und müde ist. Ich weiss, es sind sehr hässliche und sehr harte Worte, aber so sehen wir es. Das Europa der Aufklärung, der Revolten, der Revolutionen ist Vergangenheit. Weit, sehr weit zurück liegt das Europa der grossen Universalismen, die die Welt bewegten, die die Welt bereicherten und welche die Völker in vielen Teilen der Welt anspornten, Zuversicht zu schöpfen und sich von dieser Zuversicht tragen zu lassen.

Vorbei sind die grossen intellektuellen Herausforderungen. Hinter dem, was von den Postmodernisten als das Ende der grossen Erzählungen gedeutet wurde und gedeutet wird, scheint sich angesichts der jüngsten Ereignisse nichts weiter als der gross angelegte Klüngel der Konzerne und des Finanzsystems zu verbergen.

Es ist nicht das europäische Volk, das seine Tugend, das seine Hoffnung aufgegeben hat, denn das Europa, das ich meine, das müde, das erschöpfte Europa, das selbstversunkene Europa, ist nicht das Europa der Völker – dieses wurde lediglich zum Schweigen gebracht, eingesperrt, erstickt. Das einzige Europa, das wir in der Welt sehen, ist das Europa der grossen Wirtschaftskonzerne, das neoliberale Europa, das Europa der Märkte – und nicht das Europa der Arbeit.

In Ermangelung grosser Dilemmas, grosser Perspektiven und grosser Erwartungen hört man lediglich – um es frei nach Montesquieu zu sagen – den bedauerlichen Lärm der kleinen Ambitionen und des grossen Appetits.

 

Das Wesensmerkmal

des modernen Kapitalismus

Demokratien ohne Hoffnung und ohne Glauben sind gescheiterte Demokratien. Demokratien ohne Hoffnung und ohne Glauben sind verknöcherte Demokratien. Genau genommen sind es keine Demokratien. Es gibt keine echte Demokratie, die nichts weiter als langweiliges Beiwerk verknöcherter Institutionen ist, mit denen alle drei, alle vier oder alle fünf Jahre Rituale wiederholt werden, um diejenigen zu wählen, die künftig mehr schlecht als recht über unser Schicksal entscheiden werden. Wir alle wissen, und in der Linken sind wir uns einigermassen einig darüber, wie es zu einer solchen Situation gekommen ist. Die Fachleute, Gelehrten und die politischen Debatten liefern uns eine ganze Reihe von Deutungsansätzen, warum es uns schlecht geht und wie es soweit kommen konnte. Ein erstes gemeinsames Urteil zu der Frage, wie es zu dieser Situation kommen konnte, lautet, dass nach unserem Verständnis der Kapitalismus zweifelsohne eine weltumspannende, geopolitische Dimension erreicht hat, die absolut ist. Die Welt ist nun im wahrsten Sinne eine runde Sache. Und die ganze Welt wird zu einer grossen globalen Werkstatt. Ein Radio, ein Fernseher, ein Telefon hat keinen Entstehungsort mehr, vielmehr ist die Welt als Ganzes zu seinem Entstehungsort geworden. Ein Chip wird in Mexiko hergestellt, das Design in Deutschland entworfen, der Rohstoff stammt aus Lateinamerika, die Arbeitskräfte sind Asiaten, die Verpackung kommt aus Nordamerika und der Verkauf findet global statt. Dies ist ein Wesensmerkmal des modernen Kapitalismus – daran besteht kein Zweifel – und genau hier muss man mit entsprechenden Massnahmen ansetzen.

Ein zweites Charakteristikum der letzten zwanzig Jahre ist eine Art Rückkehr zur fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation. Die Texte von Karl Marx, der den Ursprung des Kapitalismus im 16. und 17. Jahrhundert beschrieb, sind heute wieder aktuell, ja gehören ins 21. Jahrhundert. Wir erleben eine permanente ursprüngliche Akkumulation, bei der sich die Mechanismen der Sklaverei, die Mechanismen der Unterordnung, der Verunsicherung, der Fragmentierung, die auf so aussergewöhnliche Weise von Karl Marx dargestellt wurden, wiederholen. Nur dass der moderne Kapitalismus die ursprüngliche Akkumulation aktualisiert. Er aktualisiert sie, erweitert sie und dehnt sie auf neue Bereiche aus, um mehr Ressourcen und mehr Geld herauszuholen. Doch neben dieser fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation – die für die gegenwärtigen sozialen Klassen sowohl in unseren Ländern als auch weltweit kennzeichnend sein wird, weil durch sie die örtliche, das heisst die territoriale Arbeitsteilung und die globale Arbeitsteilung neu organisiert werden – erleben wir eine Art Neoakkumulation durch Enteignung. Wir erleben einen Raubtierkapitalismus, der akkumuliert, indem er oftmals auf strategischen Gebieten produziert: Wissen, Telekommunikation, Biotechnologie, Automobilindustrie. Doch in vielen unserer Länder akkumuliert er durch Enteignung, indem er nämlich die gemeinschaftlichen Sphären in Beschlag nimmt, wie etwa Artenvielfalt, Wasser, überliefertes Wissen, Wälder, natürliche Ressourcen… Hierbei handelt es sich um eine Akkumulation durch Enteignung, und zwar nicht durch Schaffung von Reichtum, sondern durch Enteignung des gemeinsamen Reichtums, der in privaten Reichtum überführt wird. Das ist die neoliberale Logik. Wenn wir den Neoliberalismus so sehr kritisieren, dann wegen seiner Verdrängungslogik und seines parasitären Charakters. Anstatt Reichtum zu schaffen, anstatt die Produktivkräfte zu entwickeln, enteignet der Neoliberalismus die kapitalistischen und nicht-kapitalistischen, kollektiven, örtlichen, ja gesellschaftlichen Produktivkräfte.

Doch auch das dritte Merkmal der modernen Wirtschaft ist nicht nur eine fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation, eine Akkumulation durch Enteignung, sondern auch durch Unterordnung: Marx würde es die reelle Unterordnung des Wissens und der Wissenschaft unter die kapitalistische Akkumulation nennen. Einige Soziologen nennen dies Wissensgesellschaft. Es besteht kein Zweifel, dass es sich hierbei um die Bereiche handelt, die für die Produktionskapazitäten der modernen Gesellschaft am mächtigsten sind und die grösste Tragweite -besitzen.

Das vierte Merkmal wiederum, das immer mehr Konflikt-? und Risikopotenzial birgt, ist der Prozess der reellen Unterordnung des Lebenssystems Erde als Ganzes, das heisst der Wechselwirkungsprozesse zwischen Mensch und Natur.

 

Was tun?? – die alte Frage Lenins

Diese vier Merkmale des modernen Kapitalismus sorgen für eine Neubestimmung der Geopolitik des Kapitals auf globaler Ebene, eine Neubestimmung der Klassenstruktur der Gesellschaften; eine Neubestimmung der Klassenstruktur und der sozialen Klassen weltweit. Da ist sicher die Verlagerung der traditionellen Arbeiterklasse, die wir im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entstehen sahen, in periphere Gebiete wie Brasilien, Mexiko, China, Indien oder die Philippinen zu nennen. Aber nicht nur! Es entsteht auch in den am weitesten entwickelten Gesellschaften eine neue Art des Proletariats. Eine neue Art der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse der Höherqualifizierten: Lehrer, Forscher, Wissenschaftler, Analysten, die sich selbst nicht als Arbeiterklasse sehen, sondern sich wahrscheinlich als Kleinunternehmer begreifen, die aber im Grunde die neue soziale Struktur der Arbeiterklasse des beginnenden 21. Jahrhunderts ausmachen. Doch zugleich entsteht auf der Welt etwas, was wir als «diffuses Proletariat» bezeichnen könnten: nicht?kapitalistische Gesellschaften und Nationen, die der kapitalistischen Akkumulation förmlich untergeordnet werden. Lateinamerika, Afrika, Asien: Wir reden hier von Gesellschaften und Nationen, die im engeren Sinne nicht kapitalistisch sind, insgesamt aber in Erscheinung treten, als seien sie untergeordnet und als Formen der diffusen Proletarisierung ausgestaltet. Dies nicht allein wegen ihrer wirtschaftlichen Eigenschaften, sondern auch wegen ihres fragmentierten Charakters selbst beziehungsweise wegen der oftmals schwierigen Fragmentierung und aufgrund ihrer geographischen Streuung.

Wir haben es also nicht nur mit einer neuen Art und Weise zu tun, wie sich die kapitalistische Akkumulation ausbreitet, sondern auch mit einer Neuordnung der Klassen und des Proletariats und der nichtproletarischen Klassen auf der Welt. Die Welt von heute ist konfliktgeladener. Die Welt von heute ist stärker proletarisiert, nur dass sich die Formen der Proletarisierung von denen, die wir im 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts kennenlernten, unterscheiden. Und die Proletarisierung dieses diffusen Proletariats, dieses Proletariats der Höherqualifizierten, nimmt nicht unbedingt die Gestalt von Gewerkschaften an. Das Modell Gewerkschaft hat in einigen Ländern seine zentrale Stellung verloren. Es entstehen andere Formen von Zusammenschlüssen für die Belange der Bevölkerung, der Beschäftigten und der Arbeiter. Was tun? – die alte Frage Lenins – Was sollen wir tun? Wir sind uns einig bei der Erklärung, was nicht stimmt, wir sind uns einig bei der Erklärung, was sich in der Welt verändert, doch können wir auf diese Veränderungen nicht reagieren, oder besser: Die Antworten, die wir früher hatten, sind unzureichend, denn sonst würde hier in Europa nicht die Rechte regieren. Irgendetwas fehlte in unseren Antworten und tut es auch heute noch. Irgendetwas fehlt in unseren Vorschlägen. Erlaubt mir, fünf bescheidene Anregungen vorzubringen, wie sich die Aufgaben, vor der die europäische Linke steht, gemeinsam gestalten liessen.

 

Ein neuer, gesunder

Menschenverstand

Die europäische Linke kann sich nicht damit begnügen, einen Befund zu erstellen und sich zu beklagen. Befund und Klage dienen zwar dazu, moralische Empörung zu erzeugen, und die Verbreitung der moralischen Empörung ist wichtig, aber sie erzeugen keinen Willen zur Macht. Die Klage ist kein Wille zur Macht. Sie kann die Vorstufe zum Willen zur Macht sein, aber sie ist kein Wille zur Macht. Die europäische Linke, die Linke weltweit muss angesichts dieses zerstörerischen, räuberischen, Natur und Mensch mitreissenden Strudels, der vom zeitgenössischen Kapitalismus angetriebenen wird, mit Vorschlägen oder Initiativen aufwarten. Die europäische Linke, ja die Linke in allen Teilen der Welt, muss einen neuen gesunden Menschenverstand entwickeln. Im Grunde genommen ist der politische Kampf ein Kampf um den gesunden Menschenverstand. Um die Gesamtheit von Urteilen und von Vorurteilen. Um die Frage, wie die Leute – der junge Student, die Fachkraft, die Verkäuferin, der Angestellte, der Arbeiter – auf einfache Weise die Welt ordnen. Genau das ist gesunder Menschenverstand. Die grundlegende Weltauffassung, mit der wir unser tägliches Leben ordnen. Die Art und Weise, wie wir das Gerechte und das Ungerechte, das Wünschenswerte und das Mögliche, das Unmögliche und das Wahrscheinliche bewerten. Die Linke weltweit und die europäische Linke müssen deshalb für einen neuen gesunden Menschenverstand kämpfen, der progressiv, revolutionär, universalistisch ist, der in jedem Fall aber einen neuen gesunden Menschenverstand darstellt.

 

Demokratie ist Handeln,

gemeinsames Handeln

Zweitens müssen wir uns den Begriff der Demokratie wieder ins Gedächtnis rufen. Die Linke hat immer die Fahne der Demokratie hochgehalten. Es ist unsere Fahne. Es ist die Fahne der Gerechtigkeit, der Gleichberechtigung, der Partizipation. Doch dafür müssen wir uns von der Vorstellung lösen, Demokratie sei eine rein institutionelle Tatsache. Demokratie – sind das Institutionen? Ja, das sind Institutionen, aber sie ist viel mehr als nur Institutionen. Bedeutet Demokratie, alle vier oder fünf Jahre zu wählen? Ja, aber es bedeutet viel mehr als das. Bedeutet es, ein Parlament zu wählen? Ja, aber es bedeutet viel mehr als das. Bedeutet es, das Prinzip des Machtwechsels einzuhalten? Ja, aber es bedeutet viel mehr als das. Das ist das liberale, verknöcherte Verständnis von Demokratie, in dem wir manchmal stecken bleiben. Demokratie – sind das Werte? Es sind Werte, Organisationsprinzipien für die Verständigung der Welt: Toleranz, Vielfältigkeit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit. Es sind also Prinzipien, es sind Werte, aber es sind nicht nur Prinzipien und Werte. Es sind Institutionen, aber es sind nicht nur Institutionen. Die Demokratie ist praktisch. Demokratie ist Handeln, gemeinsames Handeln. Demokratie ist im Grunde genommen wachsende Teilhabe an der Bewirtschaftung der gemeinschaftlichen Güter, die eine Gesellschaft besitzt. Demokratie herrscht dann, wenn wir an dem, was wir Bürgerinnen gemeinsam besitzen, teilhaben. Wenn wir als Gemeingut Wasser besitzen, dann bedeutet Demokratie, an der Bewirtschaftung des Wassers teilzuhaben. Wenn wir als Gemeingut die Sprache haben, dann bedeutet Demokratie die gemeinsame Pflege der Sprache. Wenn wir als Gemeingut die Wälder, den Boden, das Wissen haben, dann bedeutet Demokratie, dass die Bewirtschaftung, die Pflege gemeinsam stattfindet. Eine wachsende gemeinsame Teilhabe an der Bewirtschaftung des Waldes, des Wassers, der Luft, der natürlichen Ressourcen. Es bedarf einer Demokratie – und es gibt sie – im lebendigen und nicht im verknöcherten Sinn des Begriffs, und dies gelingt, wenn die Bevölkerung und die Linke die gemeinsame Bewirtschaftung der gemeinsamen Ressourcen, Institutionen, Rechte und Güter unterstützen und sich an ihr beteiligen.

Die alten Sozialisten der 70er Jahre sprachen davon, dass die Demokratie an die Tore der Fabriken klopfen müsse. Das ist eine gute Idee, aber es reicht nicht aus. Sie muss an die Tore der Fabriken, die Tore der Banken, die Tore der Unternehmen, die Tore der Institutionen, die Tore zu den Ressourcen, die Tore zu all dem klopfen, was den Menschen gemeinsam gehört. Unser Delegierter aus Griechenland fragte mich zum Thema Wasser, wie wir es in Bolivien angegangen seien, diese Grundfrage, diese Überlebensfrage, Wasser! Nun, was das Wasser betrifft, ein Gemeingut, das enteignet worden war, begab sich das Volk in einen «Krieg», um so das Wasser für die Bevölkerung zurückzugewinnen, und danach gewannen wir nicht nur das Wasser zurück, sondern führten einen weiteren sozialen «Krieg» und gewannen das Gas und das Öl und die Minen und den Telekommunikationssektor zurück, wobei noch viel mehr zurückzugewinnen ist. Doch in jedem Fall war dies der Ausgangspunkt, die wachsende Beteiligung der BürgerInnen an den gemeinschaftlichen Gütern, dem Allgemeingut, das eine Gesellschaft, eine Region besitzt.

 

Das ist doch verkehrte Welt?!

An dritter Stelle muss die Linke auch wieder ihre Forderungen nach dem Universellen, den universellen Leitbildern, den gemeinschaftlichen Gütern in den Vordergrund stellen. Die Politik als Gemeingut, die Partizipation als eine Beteiligung an der Bewirtschaftung der gemeinsamen Güter. Die Wiedererlangung des Gemeinschaftlichen als Recht: das Recht auf Arbeit, das Recht auf Ruhestand, das Recht auf kostenlose Bildung, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf saubere Luft, das Recht auf den Schutz von Mutter Erde, das Recht auf den Schutz der Natur. Es sind Rechte. Aber es sind universelle Gemeingüter, angesichts derer sich die Linke, die revolutionäre Linke, überlegen muss, welche konkreten objektiven Massnahmen sie ergreift und wie sie die Menschen mobilisiert. Ich las in der Zeitung, wie in Europa öffentliche Mittel eingesetzt wurden, um private Güter zu retten. Das ist absurd. Da wurde das Geld europäischer Sparer verwendet, um den Konkurs der Banken abzuwenden. Da wurde das Gemeinschaftliche verwendet, um das Private zu retten. Das ist doch verkehrte Welt! Es muss umgekehrt sein: die privaten Güter verwenden, um das Allgemeingut zu retten und zu fördern, und nicht das Allgemeingut, um die privaten Güter zu retten. Bei den Banken muss ein Prozess der Demokratisierung und der Vergesellschaftung ihrer Verwaltung stattfinden. Denn sonst werden die Banken Euch am Schluss nicht nur die Arbeit nehmen, sondern auch Eure Wohnung, Euer Leben, Eure Hoffnung, alles .?.?., und das darf nicht zugelassen werden.

 

Wieder Hoffnung aufbauen

Dabei müssen wir aber auch – in unserem Konzept als Linke – eine neue Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und der Natur einfordern. In Bolivien nennen wir dies aufgrund unseres indigenen Erbes «neue Beziehung zwischen Mensch und Natur». Präsident Morales sagt, die Natur kann ohne den Menschen existieren, der Mensch jedoch nicht ohne die Natur. Dabei darf man jedoch nicht der Logik der «Green Economy» verfallen, die eine scheinheilige Form des Umweltschutzes darstellt. Es gibt Unternehmen, die bei Euch EuropäerInnen als Naturschützer auftreten und für saubere Luft sorgen, doch dieselben Unternehmen liefern uns, dem Amazonasgebiet, Lateinamerika oder Afrika, die ganzen Abfälle, die hier erzeugt werden. Hier sind sie UmweltschützerInnen, dort werden sie zu UmwelträuberInnenn. Die Natur haben sie in einen weiteren Geschäftszweig verwandelt. Dabei ist ein kompromissloser Schutz der Umwelt weder ein neuer Geschäftszweig noch ein neues Unternehmenskonzept. Es muss wieder ein neues Verhältnis aufgebaut werden, das zwangläufig gespannt ist. Denn für einen Reichtum, der Bedürfnisse befriedigen soll, muss die Natur verändert werden, und bei der Veränderung der Natur verändern wir ihre Existenz, verändern wir ihr BIOS. Doch mit der Veränderung des BIOS zerstören wir oftmals im Gegenzug den Menschen und auch die Natur. Den Kapitalismus stört das nicht, denn für ihn ist es ein Geschäft. Uns aber, die Linke, die Menschheit, ja die Menschheitsgeschichte stört es sehr wohl. Wir müssen uns für eine neue Art der Beziehung stark machen, die vielleicht nicht unbedingt harmonisch, aber die doch wechselseitig ist und von der beide Seiten profitieren, der natürliche Lebensraum und der Mensch, seine Arbeit, seine Bedürfnisse.

Und schliesslich müssen wir ohne Frage die heroische Dimension der Politik einfordern. Hegel sah die Politik in ihrer heroischen Dimension. Und wohl in Anlehnung an Hegel sagte Gramsci, dass in den modernen Gesellschaften die Philosophie und ein neuer Lebenshorizont sich in einen Glauben in die Gesellschaft verwandeln müssten, beziehungsweise nur als Glaube im Innern der Gesellschaft existieren könnten. Dies bedeutet, dass wir wieder Hoffnung aufbauen müssen. Dass die Linke eine flexible, immer stärker geeintere Organisationsstruktur bildet, die in der Lage ist, bei den Menschen die Hoffnung neu zu beleben. Ein neuer gesunder Menschenverstand, ein neuer Glaube – nicht im religiösen Sinne des Wortes, sondern eine neue allgemeine Zuversicht, aus der heraus die Menschen heroisch ihre Zeit, ihre Energie, ihr eigenes Reich aufs Spiel setzen und sich engagieren.

 

Vereinigen, ausgestalten, fördern

Ich begrüsse, was meine Genossin vorhin ansprach, als sie sagte, dass wir hier 30 politische Organisationen zusammengebracht haben. Das ist toll! Es ist also möglich, zusammenzufinden. Es ist also möglich, den Stillstand zu überwinden. So geschwächt wie die Linke heute in Europa ist, kann sie sich den Luxus nicht leisten, zu ihren Gefährten auf Distanz zu gehen. Vielleicht gibt es Differenzen in 10 oder 20 Punkten, dafür aber Einigkeit in 100. An diesen 100 Punkten, in denen Übereinstimmung oder eine Berührung herrscht, sollte gearbeitet werden. Heben wir uns die restlichen 20 Punkte für später auf. Wir sind zu sehr geschwächt und können uns nicht den Luxus leisten, uns weiter Scharmützel zu liefern, zu streiten und uns dabei voneinander zu distanzieren. Wir sollten auch hier wieder einer Logik Gramscis folgen: vereinigen, ausgestalten, fördern.

Man muss die Macht im Staat übernehmen, man muss für den Staat kämpfen, doch vergessen wir niemals, dass der Staat weniger eine Maschine, sondern eher eine Beziehung ist. Weniger Materie, sondern eher Idee. Der Staat ist in erster Linie Idee. Ein Teil von ihm ist Materie. Materie ist er, wenn es um soziale Beziehungen, um Stärke, um Druck, um den Haushalt, um Abkommen, um Vorschriften, um Gesetze geht. Doch in erster Linie ist er Idee im Sinne des Glaubens an eine gemeinsame Ordnung, an einen Gemeinschaftssinn. Im Grunde ist der Kampf um den Staat ein Kampf um eine neue Art und Weise, uns zu vereinen, um eine neue Universalität. Um eine Art Universalismus, der die Menschen freiwillig vereint.

Doch hierfür müssen wir zuvor Überzeugungen gewinnen. Hierfür müssen wir zuvor die GegnerInnen mit Worten, mit gesundem Menschenverstand bezwungen haben. Hierfür müssen wir zuvor die herrschenden Auffassungen der Rechten mit unseren Argumenten, unserer Weltsicht, unseren moralischen Einstellungen zu den Dingen bezwingen. Und hierfür wiederum ist sehr harte Arbeit nötig. Politik ist nicht allein eine Frage des Kräftemessens oder der Mobilisierungsfähigkeit – der Zeitpunkt dafür kommt später. Politik ist zuerst Überzeugung, Gestaltung, gesunder Menschenverstand, Glauben, eine gemeinsame Idee und gemeinsame Urteile und Vorurteile hinsichtlich der Weltordnung. Und hier kann sich die Linke nicht allein mit der Einheit der linksgerichteten Organisationen begnügen. Sie muss sich in den Bereich der Gewerkschaften ausdehnen, welche die Stütze der Arbeiterklasse und die organische Form ihres Zusammenschlusses bilden. Wir sollten jedoch auch, liebe Genossinnen und Genossen, die völlig neuen Formen der gesellschaftlichen Organisation genau im Auge behalten. Die Neuordnung der sozialen Klassen in Europa und weltweit wird zu anderen Formen von Zusammenschlüssen führen, flexibleren und weniger organischen Formen, die sich vielleicht stärker auf das Gebiet und weniger auf die Arbeitsstätte beziehen. Notwendig ist dabei alles: Zusammenschlüsse an den Arbeitsstätten, gebietsbezogene Zusammenschlüsse, Zusammenschlüsse je nach Thematik, je nach Ideologie und so weiter. Es ist eine Reihe flexibler Strukturen, denen gegenüber die Linke in der Lage sein muss, sich gestalterisch einzubringen, Vorschläge zu unterbreiten, einend zu wirken und schliesslich voranzukommen.

Lasst mich im Namen des Präsidenten und in meinem eigenen Namen Euch zu dieser besonderen Begegnung gratulieren und mit allem Respekt und in aller Freundschaft den Aufruf an Euch richten: kämpft, kämpft, kämpft! Lasst uns, die anderen Völker, die an manchen Orten wie in Syrien, teils in Spanien, in Venezuela, in Ecuador, in Bolivien, auf sich gestellt kämpfen, nicht allein. Lasst uns nicht allein, wir brauchen Euch, und erst recht ein Europa, das nicht nur aus der Ferne sieht, was in anderen Teilen der Welt vor sich geht, sondern ein Europa, das wieder von Neuem beginnt, die Geschicke des Kontinents und die Geschicke der Welt mitzubestimmen.

Meine Glückwünsche und herzlichen Dank!

 

Roche hat’s wohl gewusst

roche logoBereits Anfang Juli gab Roche als Reaktion auf den Druck der Gewerkschaft Unia zu, dass es auf der Baustelle des Roche-Towers am Baseler Rheinufer zu Lohndumping im grossen Stil durch das polnische Subunternehmen Poko-AL gekommen ist. Natürlich gab sich Roche unglaublich bestürzt über den Vorfall. Weiter gestand der Pharmamulti ein, dass Poko-AL den Vorfall mit systematisch gefälschten Dokumenten zu vertuschen versucht habe. Die Unia drängte auf eine verbindliche Auflösung des Missstands und erreichte eine Lohnnachzahlung von insgesamt über 500?000 Franken für die Betroffenen sowie neue, korrekte Arbeitsverträge. Weiter setzt sich die Unia zum Ziel, dass die verbleibenden Lohnausstände schnellstmöglich beglichen werden.

Den Lohndumpingfall beim Roche-Tower schätzt die Unia als «typisch im Konstrukt, aber bemerkenswert in der Höhe der offenen Lohnforderungen» ein. Am Ende einer Subunternehmer-Kette stehe eine Gruppe Fassadenbauer, die statt den im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen Löhnen nur noch etwas mehr als netto 12 Franken pro Stunde inklusive Ferien, dem Anteil des 13. Monatslohns, Spesen etc. erhielten. Dieser Betrag ist knapp drei Mal weniger als den Arbeitern vom Gesetz her zusteht. Für die Zeit seit Arbeitsbeginn im August 2013 berechnet die Unia einen Betrag von 1 Million Franken, der den Arbeitern insgesamt zu wenig ausbezahlt wurde. Die Unia geht von 27 betroffenen Arbeitern aus.

Zwei Arbeiter in einem Bett

In einem «10vor10»-Beitrag wurde ein polnischer Fassadenarbeiter porträtiert, der bald zum vierten Mal Vater wird und darum diesen Job auf der Roche-Baustelle angenommen hat. Er wohnt in einer Wohnung mit fünf anderen Arbeitern, schläft im Bett mit einem weiteren Arbeiter, arbeitet jeden Tag zwölf Stunden – bis zu 70 in der Woche – und erhält dafür 12 Franken pro Stunde, ohne Zuschläge für Feiertage oder Wochenendarbeit. Laut Gesamtarbeitsvertrag wären 26 Franken plus Zuschläge vorgeschrieben. Als auf der Baustelle eine Kontrolle durch die Behörden stattfand, hatte der Kontrolleur keinen Dolmetscher dabei und konnte nur mit dem Vorarbeiter sprechen. Dieser gab natürlich an, dass die Arbeiter den gesetzmässigen Lohn von 26 Franken bezahlt bekommen. Darum sieht es den Daten des Arbeitsamts zufolge danach aus, als wäre auf der Baustelle alles mit rechten Dingen zu und her gegangen.

Als die Unia den Fall publik machte, sah es zuerst nicht danach aus, als wäre von seiten der beteiligten Firmen ein Entgegenkommen zu erwarten. Es wurde weitergearbeitet, als wäre nichts geschehen. Die unzufriedenen Arbeiter der Firma Poko-AL wurden unter Druck gesetzt. Als einige von ihnen die Schnauze voll hatten, reichten sie Anzeige wegen Nötigung und Betrug ein und gingen in den Streik – erst danach kam die Reaktion von Roche. Allerdings schob Roche implizit den Subunternehmen die Schuld in die Schuhe.

Dass Roche von den unzumutbaren Arbeitsbedingungen nichts gewusst hat, ist jedoch unwahrscheinlich. Das Pharma-unter-nehmen übernahm selbst die Bauherrschaft, statt ein Bauunternehmen damit zu beauftragen. Zudem wurde die polnische Firma Poko-AL, die die polnischen Arbeiter anstellte, von einer deutschen Fassadenbaufirma beauftragt, die wiederum direkt Roche unterstellt ist. Die Anstellungsverhältnisse auf der Baustelle sind also keineswegs unübersichtlich.

Zwar hat sich die Unia für die Arbeiter gewehrt, die Art und Weise, wie von seiten der Gewerkschaft über den Vorfall gesprochen wird, zeugt jedoch nicht von einer konfrontativen Haltung derselben. Ein Gewerkschaftsfunktionär zeigte sich etwa erstaunt, dass ein Unternehmen wie Roche auf dieser «Vorzeigebaustelle» einem solchen Fall von Lohndumping nicht früher nachgegangen sei – als würde es sich hier nur um ein Versehen eines im Grunde vorbildlichen Unternehmens handeln.

Aus dem vorwärts vom 18. Juli 2014 – unterstütze uns mit einem Abo

 

 

 

 

Sócrates: Kämpfer, nicht Fussballer

PIXA-04012008-1163Das ganze Spektakel um die Fussball-WM in Brasilien hat gezeigt, dass der moderne Fussball zu einer Ware mutiert ist, bei der es in erster Linie um Geld und Profit geht. Ein Blick in die Geschichte des brasilianischen Fussballs zeigt aber, dass gerade in diesem populären Sport ein revolutionäres Potential liegt. Das Beispiel von Sócrates und der «corinthianischen Demokratie».

Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira (1954 – 2011) – kurz Sócrates – sah sich nicht als Fussballer. Zu seiner Karriere sagte er einmal: «Ich wurde Profi, um mir das Benzin, das Bier, die Uni zu bezahlen. Ich wollte nicht Fussballer, sondern Arzt werden.» Als er seinen ersten Profivertrag für Botafogo aus Rio de Janeiro unterzeichnete, schloss er eine Abmachungen mit den Managern: Keine Trainings, nur Spiele. Denn die Zeit benötigte er, um Medizin zu studieren. Tatsächlich schloss er sein Studium ab und wurde nach Karriereende in São Paulo Kinderarzt. «O Doutor» (der Arzt), wie er genannt wurde, hatte Prinzipien. Er verstand sich nur insofern als Fussballer, als dass er in dieser Position den einfachen Leuten eine Stimme geben konnte. Und so kämpfe er – als Fussballer – gegen das 1964 durch einen Staatsstreich eingeführte Militärregime.

Widerstand im Militärstaat

Die blutigsten Jahre des Militärstaates waren von 1968 bis 1970, denjenigen Jahre, während denen der Staat die repressivsten Instrumente anwandte (Folter, Entführungen, Infiltrationen). All dies wurde aber demagogisch vom Erfolg des brasilianischen Teams an der WM in Mexiko 1970 verschleiert. Das Fussball-Team bildete eine soziale Institution mit grossem Einfluss bei der Bevölkerung. Sócrates sagte Jahre später: «Wenn das Nationalteam von Pelé damals etwas gesagt hätte, sich positioniert hätte, wäre die Geschichte wohl anders ausgegangen.»

Während den 70er Jahren erlebte die brasilianische Wirtschaft einen massiven Rückgang. Der gesellschaftliche Druck stieg, das Militärregime war gezwungen, mit der Repression und der Zensur zurückzufahren. Und so verwandelten sich die Fussballplätze und die Stadien zu einem politischen Laboratorium. Der Fussball wurde einer der wenigen Bereiche des Landes, in dem gewählt wurde, in dem Opposition entstand, in dem ganze Tage damit verbracht wurden, demokratisch über das Schicksal einer beschränkten Anzahl von brasilianischen Menschen zu entscheiden: Die Spieler und die ArbeiterInnen des Sport Club Corinthians Paulista bauten die «corinthianische Demokratie» auf – eine Entwicklung, die aus der heutigen Sicht des modernen Fussballs kaum denkbar ist.

Selbstverwaltung als Kampfinstrument

«Alles, was das Team angeht, wird von heute an gemeinsam und demokratisch entschieden» schlug die Nummer 8 von Corinthians vor: «Ein Mitglied, eine Stimme». Alle entschieden mit, von den wichtigsten Spielern bis zum Lagerist oder dem Masseur des Clubs, und alle hatten die Möglichkeit, sich auszusprechen. Auch der Clubleiter hatte nur eine Stimme. Ihm kam sogar die Aufgabe zu, die getroffenen Entscheidungen dem Präsidenten und dem Verwaltungsrat mitzuteilen. Dieser Mechanismus begann langsam aber sicher alle Bereiche des Clublebens zu bestimmen: Die Spielertransfers, die Clubinvestitionen, die Verteilung der Clubeinnahmen, das Sponsoring, die Löhne, die Siegprämien bis hin zur Abschaffung der Team-Besammlungen am Vortag des Spieles. Dadurch wurde die Verantwortung für das Funktionieren des Clubs und des Fussballteams gleichwertig verteilt. Der von Corinthians eingeschlagene Weg der Selbstverwaltung wurde ein Laboratorium der wiederzuerlangenden Demokratie, ein kollektives Partizipationsmodell und ein politischer Prozess, der zum Vorbild für alle Unterdrückten des brasilianischen Militärregimes wurde – also ein Kampfinstrument, das weit über den Fussballclub hinaus reichte.

Durch den gesellschaftlichen und medialen Impact gelang es der «corinthianischen Demokratie», die Leidenschaft für einen populären Sport und die Notwendigkeit des Kampfes für ein anderes Brasilien zusammenzubringen. Sie wurde gleichzeitig Orientierungspunkt der Protestbewegungen, der gewerkschaftlichen Kämpfe und der Streiks auf den öffentlichen Plätzen sowie der progressiven Kultur des Landes.

Die Flucht

Das Datum des 31. März 1983 steht für die Tatsache, wie sich der Fussball und das Politische bei Sócrates durchkreuzten. Nach dem Staatsstreich von 1964 wurde die direkte Wahl des Präsidenten abgeschafft. Nun sollte ein landesweites Referendum die Wahl des Präsidenten durch die Bevölkerung wieder einführen – also faktisch ein Referendum gegen die Diktatur. Die «corinthianische Demokratie» und Sócrates stellen sich auf den öffentlichen Plätzen auf die Seite der Protestierenden und prägten die Bewegung «Diretas Jà» (direkte Wahlen – sofort). Die politische Unterstützung symbolisierte Sócrates auf dem Feld mit kurzen, gelben Socken – der Farbe der Protestbewegung – über den weissen, langen Stulpen, die vom Reglement vorgesehen sind. Als ihn die Journalisten fragten «organisiert ihr gerade die Revolution?» antwortet er: «Nein, wir stellen nur die Dinge wieder richtig.»

Am 25. April 1984 lehnte es das Parlament ab, die direkte Präsidentenwahl wiederherzustellen. Sócrates hatte angekündigt, das Land zu verlassen, falls die Motion für das Referendum im Parlament nicht durchkomme. Die Worte des Teamführers der brasilianischen Nationalmannschaft reichten aber nicht, um die ParlamentarierInnen zu überzeugen. Und so verliess Sócrates Brasilien in Richtung Italien.

Eine WM für wen?

Sócrates bezeichnete sich weder als Krieger noch als Botschafter des Kampfes, sondern als Brasilianer, der an der Seite anderer Leute kämpfte. Er sprach kaum über Fussball, liebte es aber, sich kollektiv über Politik auseinanderzusetzen. Wenn er dann mal über Fussball redete, implizierten seine Worte auch immer politische Werte: «Der Fussball ist ein kollektiver Sport. Je grösser die kollektive Kraft, die Freundschaft, die gegenseitige Hilfe und die kollektive Verbundenheit, desto grösser sind die Chancen zu gewinnen.»

2007, als Brasilien die Fussball WM 2014 zugewiesen wurde, schrieb «O Doutor» in der brasilianischen Tageszeitung «Folha de S. Paulo»: «Was sie absichtlich ignorieren – und sie wollen, dass wir es auch ignorieren – ist das Potential dieses mit den Füssen gespielten Phänomens: Ein Potential der gesellschaftlichen Transformation. Wenn dieser Aspekt des Fussballs in seiner Deutlichkeit aufblühen würde, würde er problemlos die aktuelle Realität verändern können: Kulturen und Menschen zusammenbringen, ein Bewusstsein bilden, und sogar als Mittel für die Entwicklung und die Gleichheit aller dienen. Die WM für wen? Für diejenigen, die ihre Stimmen erheben werden, für diejenigen, die die Strassen besetzen werden und anstelle des Opiums eines Balles Gesundheit, Bildung und Transport für alle fordern werden. Das, was ich hier schreibe, habe ich schon immer gesagt, mit der geballten Faust, mit dem Lächeln, ohne je einen Schritt rückwärts getan zu haben.»

 

Rechtsextreme auf dem Vormarsch

RASSEMBLEMENT DU FRONT NATIONAL AU PALAIS ROYALMit dem Doppelgesicht Marine, die Tochter, und Jean-Marie, der Vater, präsentiert sich der rechtsextreme französische Front National (FN) seinen WählerInnen seit der Inthronisierung von Marine Le Pen als neue Hoffnungsträgerin der Unterschichten, «qui en ont assez» («welche die Schauze voll haben»). Mit ihrer parteiinternen Strömung «Bleu Marine» und die Anlehnungen an Jeanne d’Arc, die von Gott höchstpersönlich dazu auserwählt sei, la douce France vor den «miesen, fiesen dunkelhäutigen Ausländern» zu retten, hat sie nicht nur eine ganze Männerriga von Le-Pen-Epigonen in der eigenen Partei «links» überholt, sondern den FN zur «stärksten der Partei’n» gemacht. Den Namen der Formation hatte der Parteigründer Jean-Marie Le Pen, in den Sechzigerjahren Führer der Winzigpartei «Parti des Forces nouvelles» und des bedeutungslosen neonazistischen «Ordre nouvau», den vereinigten Kräften der Résistance gestohlen, die schlicht und einfach vergessen hatten, die Bezeichnung unter Rechtsschutz zu stellen!

Und nun scheint der Tochter die Häutung gelungen zu sein. Wenn da nur nicht immer Papa Le Pen dreinfunken würde, der einfach den Latz nicht halten kann! Aber eben, die ollen Gamellen Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Rassismus bilden halt im proletarischen Prekariat und in ländlichen Gegenden immer noch den «fond de commerce». So sagte er zum Beispiel, er sei gar nicht rassistisch, denn es sei doch logisch, dass Schwarze beim Schnelllauf und Basketball immer gewinnen, mit so langen Beinen! Für die wiederholte Aussage, die Gaskammern, falls sie überhaupt existiert hätten, «seien ein Detail der Geschichte», wurde er mehrmals rechtskräftig verurteilt. Und nun hat er sich mit einem seiner schärfsten Kritiker, mit dem bekannten jüdischen Sänger Patrick Bruel angelegt, aus dem er eine «fournée» machen werde, eine «Ofenladung», womit er an das schreckliche Wortspiel über den früheren sozialistischen Minister Durafour angeknüpft hat, mit dessen Namen er sich das Wortspiel «Durafour crématoire» («le four crématoire», der Verbrennungsofen) angeeignet hat. Papa Le Pen hat auch selbst zugegeben und sich sogar damit gebrüstet, im Algerienkrieg bis 1961 eigenhändige «la manivelle» bedient zu haben. «La manivelle» ist der sarkastische Übername des damals am meisten verbreiteten Folterinstruments gegen den FLN, die algerische Befreiungsbewegung. Ein Apparat mit einer Kurbel, mit dem den Opfern in Verhören Stromstösse, die im schlimmsten Fall tödlich waren, versetzt werden konnten.

 

Der Hitlergurss und andere politischen Frivolitäten…

Aber man soll nicht etwa glauben, es gebe nur im Ausland Sympathisanten von solchen Dreckskerlen. Nein, auch in der schönen Schweiz, von Blochers Sünneli Tag und Nacht beschienen, wimmelt es davon. Im August 2010 zeigte ein Mann auf dem Rütli den Hitlergruss und wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun hebt das Bundesgericht die Entscheidung wieder auf: «Der Rechtsextreme habe nur seine Ideologie gezeigt, aber nicht dafür geworben.» Damit ist klar: Die Geste ist in der Schweiz nicht grundsätzlich verboten. In Tschechien, Österreich und in Deutschland gilt der Hitlergruss dagegen als Straftat. Wenn der Neonazi «seine Ideologie nur gezeigt», aber «nicht dafür geworben hat», was wollte er denn zeigen? Für den 1. August dieses Jahres hier ein paar Vorschläge für PNOS-Mitglieder, falls diese in Beweisnotstand kommen, was sie denn da «zeigen« wollten: erstens, wie hoch ihre Sonnenblumen diesen Sommer geworden sind; zweitens, wie hoch der Schnee im Winter im Oberengadin war; drittens, wie hoch ihre bevorzugte Mannschaft bei der Fussball-WM gewonnen hat; viertens, wie gross ihr ältester Sohn jetzt schon ist; fünftens, wie gross das Bier war, das sie vor der Abreise an die 1.-August-Feier getrunken haben.

 

Nazi-Embleme

Desgleichen ist das Tragen von Nazi-Emblemen oder das Schwingen von Hakenkreuz-Fahnen nicht mehr verboten, «wenn nicht damit geworben wird». Strafrechtsprofessor Niggli von der Uni Freiburg dazu: «Ein Skandal!» Denn von nun an steht es im Ermessen jedes Polizisten, ob der Demonstrant auf dem Rütli «das Kreuz mit dem grossen Haken für den kleinen Mann» (Bert Brecht) mitträgt, weil er dafür für die Nazi-Ideologie werben will, oder ob er das doofe Ding einfach so mehr oder weniger zufällig mitschleppt, weil es in der Hohlen Gasse am Strassenrand herumlag. Man kann sich bereits folgenden Dialog vorstellen. Polizist: «Sie tragen das Hakenkreuz durch die Gegend! Tragen Sie die Fahne einfach nur so mit sich herum, oder wollen Sie damit etwas ausdrücken?» Nazi: «Waas? Ich? eine Hakenkreuzfahne?» Er schaut der Stange nach hinauf, erschrocken: «Hol’s der Deibel! Tatsächlich! Welcher Dreckskerl hat mir das miese Teil angehängt?! Warten Sie nur, Herr Oberwachtmeister, dem werd ich’s zeigen, wenn ich ihn erwische!»

 

Nazi als Offiziere in der Swiss Army

Und da aller guten, das heisst schlechten Dinge drei sind, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Rechtsextremer, der teilweise auch Nazi-Ideen gutheisst, unter der Schweizer Fahne die RS machen darf! Vor einigen Jahren ist eine Bombe geplatzt: Zahlreiche Schweizer Rekruten, die «weitermachen» wollen, sind Neonazis! Ein Kommandant äusserte dazu: «Wenn Sie uns die auch noch wegnehmen wollen, haben wir bald gar keine mehr, die Offiziere werden wollen…» Da könnte man ja gleich das Schweizer Kreuz auf unseren Militärfahnen durch Hakenkreuze ersetzen und unsere Offiziere mit SS-Dolchen mit dem eingeäzten Wahlspruch «Meine Ehre heisst Treue» herumstolzieren lassen. Und das alles, wie zufällig natürlich, pünktlich nach dem Wahlsieg der rechtsextremen Parteien in drei europäischen Ländern. Das erinnert an eine dunkle Epoche unserer Geschichte: Die Schweiz anerkannte schon 1939 voreilig die Franco-Diktatur in Spanien.

 

 

Kein Kurswechsel nach der EU-Wahl

meine_wahl2014Das Gesamtergebnis der EU-Wahl 2014 lässt sich nach den Anfang dieser Woche vom EU?Parlament bekanntgegebenen Zahlen in drei Haupttrends zusammenfassen:

  1. Die etablierten Parteien, die bisher den EU-Kurs des neoliberalen Sparzwangs und des Sozialabbaus durchgesetzt haben, verlieren zwar an Stimmen, aber die Absage der WählerInnen an diese Parteien reicht nicht aus, um eine spürbare Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu erreichen. Sowohl die Rechtskonservativen wie die Sozialdemokraten, aber auch Liberale und Grüne haben weniger Stimmen und Mandate als 2009. Die «Europäische Volkspartei» (EVP) und die sozialdemokratische Fraktion S&D («Sozialisten und Demokraten») stellen aber dennoch weiterhin die stärksten Fraktionen im EU?Parlament.
  2. Der vorhergesagte und in den vorherrschenden Medien oft geradezu herbeigeredete «Durchbruch» rechtsextremistischer, ausländerfeindlicher und rassistischer Parteien ist in der Tat besorgniserregend. Nicht nur in Frankreich und Grossbritannien, sondern auch in mindestens neun weiteren EU?Staaten.
  3. Die Wahlergebnisse der linken Parteien und Bündnisse, linkssozialistischer wie kommunistischer Prägung, weisen in mehreren Ländern erfreuliche Verbesserungen auf, was sich auch in einer vergrösserten Linksfraktion im EU?Parlament niederschlägt. Aber die Tendenz ist uneinheitlich. In einigen Ländern sind auch Stimmenrückgänge zu verzeichnen. Insgesamt bleibt das Ergebnis der Linken hinter den Erwartungen und Vorhersagen, vor allem aber hinter dem für die Durchsetzung eines anderen politischen Kurses notwendigen Gewicht zurück.

Linksparteien mit verbesserten, aber insgesamt unbefriedigenden Ergebnissen

Die Fraktion der «Vereinigen Linken» im künftigen EU-Parlament wuchs von 35 (2009) auf 42 Abgeordnete. So erfreulich dies ist, verbergen sich dahinter doch ganz unterschiedliche Ergebnisse in den einzelnen Ländern.

Der grösste Zuwachs ergab sich in Griechenland, wo das Linksbündnis «Syriza» von 4,7 auf 26,6 Prozent anwuchs und damit stärkste Partei im Land wurde. Sie erreichte 6 Mandate im EU?Parlament (statt bisher 1). Die in scharfer Konkurrenz zu Syriza kandidierende KKE errang mit knapp 6,1 Prozent zwei weitere EU-Mandate (wie bisher, bei der EU-Wahl 2009 hatte die KKE allerdings 8,35 Prozent erreicht).

Stimmen- und Mandatszuwächse für Linke ergaben sich auch in Irland (Sinn Fein 17 Prozent, 3 Mandate, 2 mehr als bisher), Portugal (12,7 Prozent, 3 Mandate für das von der PCE initiierte Bündnis CDU, und gleichzeitig bei deutlichem Stimmenverlust 4,6 Prozent für den konkurrierenden «Linksblock» (BE) – 1 Mandat statt bisher 3) und Spanien (Vereinigte Linke 9,99 Prozent, 5 Mandate, 4 mehr als bisher).

In Frankreich erreichte die «Linksfront» nur einen Stimmenzuwachs von 0,34 Prozent (von 6,0 auf 6,34 Prozent, was einen Rückgang der Mandatszahl von 5 auf 4 zur Folge hatte.) In den Niederlanden konnte die linkssozialistische «Sozialistische Partei» (SP) von 7,1 auf 9,6 Prozent zulegen und erreichte damit 2 Mandate. Stimmenzuwächse für linke Parteien gab es auch in Finnland (von 5,9 auf 9,3 Prozent, 1 Mandat), Dänemark (von 7 auf 8 Prozent, 1 Mandat), und Italien (von 3,4 auf 4 Prozent, 3 Mandat). In Belgien steigerte die «Partei der Arbeit» (PTB) bei der EU-Wahl ihr Ergebnis von 1 auf 3,6 Prozent, was aber für einen Mandatsgewinn nicht ausreichte. Immerhin konnte die PTB aber bei den gleichzeitig stattfindenden nationalen Parlamentswahlen und Regionalwahlen erstmals zwei Mandate im gesamtbelgischen föderativen Parlament und 2 oder 3 Sitze im Regionalparlament von Brüssel erreichen.

Den Zugewinnen stehen jedoch auch Stimmenverluste gegenüber. So ging die Stimmenzahl für AKEL auf Zypern von 34,9 auf 26,9 Prozent zurück, was sich allerdings in der Zahl der EU?Abgeordneten (2 wie bisher) nicht auswirkte. In Tschechien ging die Stimmenzahl der KS?M von 14,2 auf knapp 11 Prozent zurück (nur 3 statt bisher 4 Mandate im EU-Parlament).

Insgesamt ist es den linken Parteien offenbar nicht in dem wünschenswerten und vor allem für die Durchsetzung einer anderen Politik notwendigen Ausmass gelungen, sich den von der bisherigen EU?Politik enttäuschten und von den etablierten Parteien abwendenden WählerInnen als sinnvolle und glaubwürdige Alternative darzustellen. Es wird sicher noch gründlich untersucht und diskutiert werden müssen, wo dafür die objektiven und subjektiven Ursachen liegen und was dafür verantwortlich ist, dass sich die unzufriedenen Menschen nicht in weit stärkerem Mass den Linken zuwenden.

Absage an den bisherigen EU?Kurs

Die rechtskonservative EVP kam zwar auf 213 Mandate (bei insgesamt 751 Abgeordneten), verlor aber 61 Sitze. Die Sozialdemokraten erreichten 190 Mandate, verloren 6 Sitze. Die Liberalen (ALDE) erhielten 64 Sitze, 19 weniger als 2009. Das Wahlergebnis der Grünen ist wechselhaft; beachtlichen Gewinnen in einigen Ländern (Österreich) stehen grosse Verluste in anderen (Frankreich) gegenüber. Insgesamt kommen die Grünen auf 53 Sitze, 4 weniger als 2009.

Auch die in manchen EU-Staaten leicht gestiegene Wahlbeteiligung kann nicht als Zustimmung zum bisherigen EU?Kurs gewertet werden. Auf EU-Gesamtebene stagnierte die Beteiligung bei 43 Prozent. Das heisst, mehr als jeder zweite Wahlberechtige brachte seinen Missmut über die etablierte Politik dadurch zum Ausdruck, dass er nicht hinging. In der Slowakei fiel die Wahlbeteiligung auf das Rekordtief von 13 Prozent, in Tschechien, Slowenien, Polen, Kroatien und Ungarn lag sie gleichfalls noch unter 30 Prozent.

Das Hauptergebnis dieser Wahlen ist also unbestreitbar eine drastisch schwindende Zustimmung zu den bisher in der EU-Politik tonangebenden Parteien.

Dessen ungeachtet hat hinter den Kulissen nun bereits ein heftiger Posten- und Koalitionsschacher begonnen, da weder Juncker noch Schulz mit ihren Parteiformationen allein im EU-Parlament über die erforderliche Mehrheit verfügen, um zum künftigen EU?Kommissionschef gewählt zu werden. Kanzlerin Merkel hat sich für eine Vereinbarung mit den Sozialdemokraten über ein «Personalpaket» ausgesprochen, das mehrere EU?Spitzenposten einbezieht. Es dürfte also mit grösster Wahrscheinlichkeit zur Fortsetzung der «grossen Koalition» in der EU kommen, die auch bisher schon in der EU?Kommission bestanden hat.

Eigentlich ist es ziemlich unwichtig, wie dieser «Kompromiss» am Ende aussehen. Denn sowohl die EVP wie die Sozialdemokraten stehen für die im Wesentlichen unveränderte Fortsetzung des bisherigen neoliberalen Zwangsparkurses, die Deregulierung der Arbeitsmärkte und des Tarifvertragssystems und die Ausweitung des Niedriglohnsektors, für den Ausbau der Macht der EU-Zentralen über die Mitgliedsstaaten und für den Ausbau der EU zu einer global agierenden und in Kriege verwickelten EU?Militärmacht.

Es wird somit weiterhin entscheidend auf die Entwicklung des ausserparlamentarischen Widerstands gegen diese Politik ankommen.

 

Der gefährliche Vormarsch der Rechtsextremisten

Die alarmierenden Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien können dazu führen, dass sie im künftigen EU?Parlament mit mehr als hundert Abgeordneten den drittstärksten Block darstellen, auch wenn sich bezeichnet, dass sie sich infolge verschiedenartiger Differenzen wahrscheinlich nicht zu einer einzigen Fraktion zusammenschliessen, sondern möglicherweise mit zwei Fraktionen auftreten werden, zusätzlich zu einer ganzen Reihe von «fraktionslosen» Abgeordneten, die sich keiner der bestehenden Fraktionen anschliessen.

Die grössten Erfolge verzeichneten die Rechtsextremisten in Grossbritannien mit der «Unabhängigkeitspartei» (UKIP 26,8 Prozent), in Dänemark mit der «Dänischen Volkspartei» (DF 26,6 Prozent), in Frankreich mit dem «Front National» (FN) unter Marine Le Pen (24,95 Prozent) und in Belgien mit der «Neuen Flämischen Allianz» (N-VA 16,35 Prozent), die alle vier bei dieser Wahl in ihrem Land jeweils stärkste Partei wurden. Die antisemitische «Jobbik» in Ungarn erreichte 14,7 Prozent, und dies neben der gleichfalls rechtsextremen FISESZ-Partei von Regierungschef Orban, die 51,5 Prozent für sich gewinnen konnte. Die österreichische FPÖ kam auf 19,7  Prozent, ebenso wie die «wahren Finnen» (19,7 Prozent). Die «Freiheitspartei» (PVV) des niederländischen Rechtsextremist Bill Wilders kam auf 13,2 Prozent, trotz eines gewaltigen Stimmenverlusts gegenüber vorhergehenden Wahlen. Die «Schwedendemokraten» (SD) erreichten 9,7 Prozent und die griechische «Goldene Morgenröte» als drittstärkste Partei des Landes 9,4 Prozent.

Zweifellos sind diese Ergebnisse auf dem Boden des Unmuts und der Unzufriedenheit mit der bisherigen EU?Politik gewachsen. Es gelang den Rechtsextremisten offensichtlich, sich in erheblichen Teilen der Wählerschaft mit ihrer sozialen und nationalistischen Demagogie als die wahren Volks- und Arbeitervertreter gegen «die da oben» darzustellen und Enttäuschte und Empörte mit falschen Feindbildern, ausländer- und immigrationsfeindlichen Parolen von den wahren Verursachern ihrer Nöte abzulenken. In einer Stellungnahme der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) wurde sicher nicht zu Unrecht erklärt: «Wenn die Rechte und die Rechtsextremen vorn liegen, ist damit vor allem die Regierungsmehrheit (unter dem sozialdemokratischen Staatschef Hollande wegen ihrer nicht eingehaltenen linken Wahlversprechen, GP) sanktioniert worden».

Sieg der Vernunft aber auch Chance verpasst

gripen-neinMedienmitteilung der Partei der Arbeit der Schweiz zu den Abstimmungen vom Sonntag, 18.Mai 2014

 

Gripen abgestürzt

Ein Sieg der Vernunft! Die PdAS ist über den Absturz der «Gripen» höchst erfreut. Von Beginn weg hat die PdAS sich klar und entschieden gegen den Kauf der sinnlosen Kampfjets ausgesprochen. Selbst mit der millionenschweren Kampagne der Bürgerlichen Parteien konnte die Mehrheit der Abstimmenden nicht getäuscht und geblendet werden. Mit dem Nein zu den sinnlosen Kampfflugzeugen hat die Schweiz heute ein starkes Zeichen gegen den Krieg und für den Frieden gesetzt. Auch ist das Abstimmungsresultat eine klare Botschaft an die Regierung, die Milliarden dort einzusetzen, wo sie auch Sinn machen: In der Bildung, für die soziale Sicherheit der Bevölkerung (an dieser Stelle sei vor allem die AHV erwähnt) und in den öffentlichen Verkehr, um nur drei Beispiele zu nennen. Die PdAS wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen.

 

Mindestlohn – eine grosse Chance verpasst

Die Schweiz hat heute eine grosse Chance verpasst, den Menschen mit einem tiefen Lohn ein besseres und würdigeres Leben zu ermöglichen. Die PdAS bedauert dies sehr und ist daher über das deutliche Nein bei der Mindestlohn-Initiative äusserst enttäuscht. Wir erinnern daran, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben!

Gleichzeitig wurde die Chance verpasst, die Schweizer Verfassung ernst zu nehmen. Diese hält gleich zu Beginn fest, dass die «Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen».  Mit ihrer millionenschweren Abstimmungskampagne haben die Bürgerlichen Parteien einmal mehr bewiesen, dass sie sich weder für die Stärke des Volkes und noch viel weniger das Wohl der Schwachen interessieren sondern allein ihre Profitinteressen vertreten und absichern wollen. Dies zeigt nicht nur das Abstimmungsresultat von heute, sondern auch die Lohnstrukturerhebung 2012: Die Reallöhne der untersten 10 Prozent (Löhne unter 3886 Franken) sind um 286 Franken pro Jahr gesunken, während jene der obersten 10 Prozent erneut um 7.1 Prozent, sprich im Durchschnitt um 9900 Franken pro Jahr gestiegen sind.

Die PdAS wird trotz dieser Abstimmungsniederlage weiterhin gegen die eklatanten Ungerechtigkeiten kämpfen, dessen Wurzeln im kapitalistischen Ausbeutungssystem liegen!

 

Medizinische Grundversicherung

Die PdAS begrüsst die Annahme des Bundesbeschluss über die medizinische Grundversorgung. Dadurch wird die Sie Hausmedizin sowie eine ausgewogene regionale Verteilung gefördert  und die günstige Voraussetzungen für die Ausübung der Hausarztmedizin geschaffen.

 

Pädophile – Initiative

Wie zu erwarten war, wurde die Initiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» deutlich angenommen. Die PdAS hatte die Nein-Parole beschlossen. Dies unter anderem weil es sich beim Vorschlag um gesetzliche Massnahmen handelt, die daher nicht in die Verfassung festgehalten werden müssen.

 

Partei der Arbeit der Schweiz

Bern, 18. Mai 2014

NZZ angezeigt!

Am 13. Mai 2014 haben impressum und syndicom die NZZ-Mediengruppe beim Arbeitsinspektorat angezeigt. Sie werfen ihr vor, das Arbeitsgesetz zu verletzen und den  Gesundheitsschutz gegenüber ihren Journalistinnen und Journalisten zu vernachlässigen. Insbesondere wird bei den Medienschaffenden der NZZ die Arbeitszeit nicht korrekt erfasst. Eine vereinfachte Zeiterfassung wäre – soweit gesetzeskonform – zwar branchengerechter, könnte aber nur zusammen mit einem Gesamtarbeitsvertrag ihren Zweck erfüllen.

Wie bereits am 13. Januar und am 13. Februar wurde ein Medienunternehmen wegen mutmasslicher Verletzung des Arbeitsgesetzes angezeigt. Dieses Mal richtet sich die Anzeige von impressum und syndicom gegen die AG für die Neue Zürcher Zeitung. Auch hier wird gemäss den Informationen, die den Organisationen vorliegen, der gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsschutz vernachlässigt. Regelmässig werden Redaktionsmitarbeitenden Aufgaben übertragen, die innerhalb der regulären Arbeitszeit nicht erledigt werden können. Mangels gesetzeskonformer Arbeitszeiterfassung wird eine geregelte Kompensation oft verunmöglicht. Die Überarbeitung gefährdet die Gesundheit der Mitarbeitenden.

impressum und syndicom unterstreichen, dass sie die Probleme lieber auf  sozialpartnerschaftlichem Weg lösen würden, als über eine Anzeige. In den bald 10 Jahren des vertragslosen Zustands zeigten sich aber weder die einzelnen Deutschschweizer Medienunternehmen noch der Verband Schweizer Medien bereit, wieder einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen.

Die Organisationen der Journalistinnen und Journalisten betonen, dass eine vereinfachte Zeiterfassung der Arbeitsweise der meisten Kolleginnen und Kollegen entsprechen würde. Sie fordern keine Rückkehr zu den industriellen Stempeluhren. Eine vereinfachte Zeiterfassung kann in der Medienbranche das Ziel des Gesundheitsschutzes aber nur erfüllen, wenn Probleme mit der Arbeitszeit über eine verbindliche Sozialpartnerschaft erkannt und geregelt werden können. Das ist momentan nicht der Fall.

Die Journalistenorganisationen sind bereit, mit dem Verlegerverband oder mit einzelnen Medienunternehmen in Verhandlungen über neue Gesamtarbeitsverträge zu treten.

syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation

impressum – die Schweizer JournalistInnen

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