Der Protest der jenischen Fahrenden

Protestaktion Fahrende Kleine AllmendDass der Hass auf jene, die scheinbar nicht Schweiss für UnternehmerInnen vergiessen, um ihre Leben zu bestreiten, schlug in Bern einmal mehr in offene Repression um. Über 500 jenische Fahrende besetzten vom 22. bis 24. April in Bern die Kleine Allmend. Ihr Ziel: Die schweizweite Schaffung von neuen Durchgangs- und Standplätzen. Die Stadt setzte den Besetzenden nach zwei Tagen ein Ultimatum und liess die Besetzung tags drauf durch Polizeigewalt räumen.

Gegen das repressive Grossaufgebot der Polizei, einen Hebekran und zig Abschleppwagen halfen weder die gewaltlosen Blockadeaktionen der Jenischen noch die mediale Empörung von Amnesty International oder linksparlamentarischen Parteien. Die Räumung der Kleinen Allmend, die der anstehenden Gewerbemesse BEA als Parkplatz dient, war wichtiger als die Interessen einer seit Jahrhunderten unterdrückten Minderheit. Noch am selben Abend konnten sich die Behörden und die Lokalprominenz über die Tänze der «leichtfüssigen Latinos» (Berner Zeitung) freuen, die die BEA gemäss dem Messemotto «wild» im geordneten Rahmen eröffneten.

Eine Geschichte der Unterdrückung

Die Besetzung ist Ausdruck einer seit langem angestauten Wut. Bis in die 1970er Jahre war es ein erklärtes Ziel der Politik, durch Wegnahme der Kinder aus jenischen Familien «die fahrende Lebensweise zu beseitigen». Die bekannteste Aktion war jene des Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» der Pro Juventute. Zwischen 1926 und 1973 wurden über 600 Kinder von ihren Eltern getrennt und in Pflegefamilien, Heimen oder Institutionen platziert, um sie zu zwingen, sich den gesellschaftlichen Normen zu unterordnen.

Als die offizielle Schweiz in den 1990er Jahren begann, sich für die Unterdrückung zu entschuldigen und die Jenischen als Minderheit anerkannte, setzte eine neue Ära der Unterdrückung ein. Den Jenischen wurde der Lebensraum strittig gemacht. Während für die rund 5000 in der Schweiz lebenden jenischen Fahrenden vor zehn Jahren noch mehr Plätze bestanden, gibt es heute noch 15 Standp- und 45 Durchgangsplätze. Nötig wären laut der Gruppe mindestens 40 Stand- und 80 Durchgangsplätze. Die ihnen vor Jahren versprochenen 30 neuen Plätze sind bisher Versprechen geblieben. «Irgendeinmal muss man sich wehren und aufstehen. Wir haben genug, wir wollen Plätze, jetzt!» sagt Kurt Gerzner vom Verein «Bewegung Schweizer Reisenden» gegenüber Radio Bern.

Antiziganismus im Kapitalismus

Wie den Romas und Sintis wird auch den jenischen Fahrenden seit jeher nachgesagt, ihren Lebensunterhalt statt mit «ehrlicher Arbeit» hauptsächlich durch Betteln, Stehlen und Wahrsagen zu bestreiten und durch ihr «hausieren» und unbändiges Spielen, Tanzen und Musizieren, die Ruhe und Ordnung zu stören. Solche antiziganistische Vorstellungen erhielten ab dem 16. Jahrhundert eine besondere Bedeutung.

Mit der aufkommenden kapitalistischen Produktionsweise musste sich eine neue Haltung gegenüber dem Arbeiten durchsetzen. Die Arbeit wurde zum absoluten Selbstzweck stilisiert, Fleiss und Disziplin galten zunehmend als zentrale gesellschaftliche Tugenden. Hierzu stellten die vermeintlich parasitären ZigeunerInnen einen Widerspruch dar. Sie verkörperten die Möglichkeit eines Lebens ohne Arbeit. Als der Staat und das Unternehmertum begannen, die «Sünde des arbeitsscheuen Leben» zu bekämpfen, wurden auch die Fahrenden kriminalisiert.

Der Antiziganismus richtete sich aber nicht nur direkt gegen Fahrende, sondern stellt eine klare Botschaft an all jene dar, die mit dem kapitalistischen Arbeitsethos ihre Mühe haben. Die Diskriminierung der Jenischen in der Schweiz, sowie die zunehmende Hetze gegen Fahrende überall in Europa zeigen, dass der Antiziganismus nicht an Aktualität eingebüsst hat.

Aus der Geschichte lernen, um sie zu wiederholen?

«Eine Gesellschaft, die sich den unangenehmen Kapiteln ihrer Vergangenheit nicht stellt, läuft Gefahr, dieselben Fehler wieder zu machen», sagte Bundesrätin Sommaruga, als sie sich am 11. April 2013 bei ehemaligen Verdingkindern und Opfern von «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen», darunter auch vielen Jenischen, entschuldigte. Wenn sie ihren eigenen Worten glauben würde, wäre ihr aufgefallen, dass sie nur einige Tage zuvor dafür plädierte, diese historische Tragödie zu wiederholen. Noch am 25. März 2013 warb Sommaruga mit folgenden Worten für die Verschärfung des Asylgesetzes: «In Zukunft sollen Asylsuchende in besonderen Zentren für Renitente untergebracht werden, wenn sie Konflikte auslösen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder den Betrieb der Bundeszentren erheblich stören.»

Die staatlichen Gewaltmassnahmen, die bis in die 1980er Jahren die obgenannten Gruppen trafen, weil diese als «schwierig», «unbequem» oder «aufmüpfig» galten, richten sich heute gegen Asylsuchende. Aktuell reicht ein administrativer Entscheid aus, um diese als sogenannt «renitent» einzustufen und in spezielle Lager zu verbannen. Die Geschichte wiederholt sich…wenn wir sie nicht verändern.

Widersprüche des Widerstands

Die Jenischen kämpfen gegen ihre rechtliche Diskriminierung, Stigmatisierung und sozialen Ausschluss. Ihre Forderung nach mehr Standplätzen ist daher mehr als legitim. Aus emanzipatorischer Perspektive verdient auch die gewählte Widerstandsform der Besetzung die volle Unterstützung. Als Opfer einer spezifischen Unterdrückung erleben sie täglich Ohnmacht und Herabsetzung. Bei vielen leidet darunter der Selbstwert. Direkte Aktionen wie diese Besetzung stellen eine Möglichkeit dar, sich (wieder) als selbstbestimmt und politisch handlungsfähig wahrzunehmen. Zudem setzte der Widerstand kaum auf Machtdelegation und Scheindialoge, sondern machte Interessenskonflikte unmittelbar sichtbar und somit bearbeitbar.

 

Krankenkassen-Lobby macht mobil

öffentliche_kkAufgeschreckt von den guten Umfragewerten für eine öffentliche Krankenkasse, über die abgestimmt werden wird, hat sich auf Initiative der Krankenkassen unter dem Namen «alliance santé» eine Lobby-Gruppe organisiert. Wird es auch diesmal gelingen, mit dem massiven Einsatz von gesponserter Propaganda die öffentliche Meinung zu beeinflussen?

Der «alliance santé» gehören economiesuisse, der Gewerbeverband, der Verband der Privaten Krankenversicherung und der Pharmaverband Interpharma an. Von den fünf Millionen Franken, die dieser Lobby-Gruppe nach eigenen Angaben zu Verfügung stehen, stammen drei Millionen von den Krankenkassen. Dass diese drei Millionen nicht aus der obligatorischen Grundversicherung kommen, wird zwar beteuert, ist aber, da nicht kontrollierbar, vor dem Hintergrund vergangener Abstimmungskampagnen der Krankenkassen unglaubwürdig. Gerade der unkontrollierten Verwischung von obligatorischer Grundversicherung und Zusatzversicherungen (via Datenaustausch und Querfinanzierungen) würde durch eine öffentliche Krankenkasse ein wirksamer Riegel geschoben.

Dürftige Argumentation

Die Krankenkassen-Lobby macht zurzeit grossen Druck, die Abstimmung über die öffentliche Krankenkasse bereits im September 2014 anzusetzen. Denn im Oktober werden die Prämienerhöhungen für das nächste Jahr veröffentlicht, und das ist natürlich schlechte Eigenwerbung. Die ersten Hochglanzprospekte von «alliance santé» zirkulieren seit einiger Zeit und eine Inseratenkampagne hat soeben begonnen. Die Argumentation ist dürftig und konzentriert sich gebetsmühlenartig auf das Lob des Wettbewerbs zwischen den Kassen, welcher zum Vorteil der PatientInnen sei und innovative Versorgungsmodelle befördere. Das Gegenteil ist der Fall. Miteinander konkurrenzierende Krankenkassen haben kein Interesse an wirklich integrierten, qualitativ hoch stehenden Behandlungsnetzen, welche geeignet sind, auch kostenintensive, sprich chronisch Kranke zu versorgen. Je besser solche Behandlungsnetze wären, umso grösser wäre das Risiko, kostenintensive PatientInnen anderer Krankenkassen und Ärztenetzwerke anzulocken. In Deutschland hat aus genau diesem Grund der so genannte Sachverständigenrat des Gesundheitswesens wiederholt festgestellt, dass die Krankenkassen gewonnene Erkenntnisse über mögliche Verbesserungen der Versorgung oft zurückhalten, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Aus demselben Grund haben Krankenkassen auch kein genuines Interesse an echter Prävention – abgesehen von publikumswirksamen Marketingstrategien (Stichworte dazu sind Fitness, Wellness), welche sich an die «guten Risiken» wenden. Bei einem Kassenwechsel wäre es nämlich möglich, dass der gesundheitliche Benefiz der Konkurrenz zugute kommt.

Riskante Kostenfaktoren

Diesen offensichtlich verkehrten Anreizsystemen des Kassenwettbewerbs wird – dies die zweite Gebetsmühle von «alliance santé» – der «Risikoausgleich» entgegengehalten, der die Nachteile des Wettbewerbs ausgleiche. Doch kein noch so ausgefeilter Risikoausgleich wird eine Tatsache aus der Welt schaffen: Um alte, chronisch kranke Menschen wird nie ein Wettbewerb stattfinden, denn sie werden von gegeneinander konkurrenzierenden Kassen in erster Linie als «riskante Kostenfaktoren» wahrgenommen. Es sei denn, und dies ist ein abstraktes Gedankenspiel und in Wirklichkeit unmöglich: der Risikoausgleich könnte perfekt gestaltet werden – womit virtuell eine Einheitskasse entstünde und der Wettbewerb überflüssig würde. Die dritte Gebetsmühle von «alliance santé» ist die Warnung vor einem anonymen staatlichen Moloch. Gerne wird dabei unterschlagen, dass auch eine öffentliche Krankenkasse durch dezentrale kantonale und regionale Agenturen bevölkerungsnah verankert sein wird – genauso wie die staatliche Versicherung SUVA. Der grosse Vorteil der öffentlichen Krankenkasse aber ist, dass ein Aufsichtsgremium vorgesehen ist, in welchem Versicherte und Leistungserbringer (PatientInnen, Selbsthilfeorganisationen, Rentnervereinigungen, ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, PhysiotherapeutInnen unter anderem) paritätisch Einsitz nehmen. Diese Mitbestimmung aller Betroffenen ist ein neues demokratisches Element – im Gegensatz zur anonymen Marktmacht einer weniger Grosskassen, die als Oligopole dominieren und der viel bemühten Kassenvielfalt schon längst den Todesstoss versetzt haben.

Ukraine und der 8.Mai

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Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus! Stellungnahme der Partei der Arbeit der Schweiz.

In der Ukraine machen die faschistischen Banden des «Rechten Sektors» vor nichts halt: Am Freitag, 3. Mai, brannten die Neonazis  in Odessa zuerst ein Camp von RegierungsgegnerInnen nieder und dann wurde ein Gewerkschaftshaus abgefackelt. Mehr als 40 Menschen kamen in den Flammen ums Leben.Die meisten Toten sind Mitglieder von Organisationen der Linken, der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) und «Borotba». «Borotba» ist im Mai 2011 von verschiedenen politischen Gruppen unter anderem der Organisation der MarxistInnen der Ukraine, einem Teil der Kommunistischen Jugend der Ukraine, der Bewegung der Jugend gegen den Kapitalismus, der Jugendvereinigung Che Guevara gegründet worden. Die Partei der Arbeit der Schweiz spricht den Familien und Organisationen der Opfer ihr Beileid und ihre Solidarität aus.

Die ukrainische Polizei machte nicht einmal den Versuch, die Rechtsradikalen aufzuhalten und den Massenmord zu verhindern. Der von der Kiewer Junta eingesetzte Gouverneur lobt die Brandstifter: «Sie haben Terroristen neutralisiert.» Die Zunahme faschistischer Gewalt in der Ukraine droht das Land direkt in den Bürgerkrieg zu führen. Faschistische Gewalt, die von der Regierung in Kiew offensichtlich unterstützt wird. Regierung, welche die volle Unterstützung der EU und der USA geniesst.

Am 8. Mai 1945 endete in Europa der Horror des Zweiten Weltkriegs. Dieser Tag wird daher in vielen Ländern  traditionell als Tag der Befreiung vom Faschismus begangen. Der 8.Mai ermahnt auch uns in der Schweiz, nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus zuzulassen. In dieser felsenfesten Überzeugung und in diesem Sinne fordern wir den Bundesrat und alle demokratischen Parteien in der Schweiz auf, den faschistischen Terroranschlag in Odessa zu verurteilen – so wie es die Partei der Arbeit hiermit tut.

Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!

Partei der Arbeit der Schweiz

 

Wer regiert die Welt?

Freihandelsabkommen_webSeit Mitte 2013 laufen hinter verschlossenen Türen Verhandlungen, die ein konkretes Ziel haben?: Die Wirtschafts-NATO soll entstehen. Ein Monster, das die ganze Welt regieren und beeinflussen soll. Kräftig vorangetrieben wird das Vorhaben von Banken und Grosskonzernen, um sämtliche Bereiche der ­Wirtschaft rund um den Globus zu liberalisieren und privatisieren. Doch ­Widerstand formiert sich – auch in der Schweiz?!

Wer regiert die Welt? Die Antwort ist einfacher, als sie auf den ersten Augenblick erscheinen mag. Karl Marx schrieb vor über hundert Jahren: «Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet.» Ein Ausdruck dieser kosmopolitischen Gestaltung, heute Globalisierung genannt, ist das «Transatlantic Trade and Investment Partnership» (TTIP). Dieses transatlantische Handels- und Investitionsabkommen soll die Privilegien von Konzernen und Investoren absichern und sogar noch ausweiten. Die Verhandlungen begannen im Juli 2013 in Washington mit der erklärten Absicht, in zwei Jahren ein Abkommen zu unterzeichnen, das eine transatlantische Freihandelszone «Transatlantic Free Trade Area» (Tafta) besiegelt, eine Art Wirtschafts-NATO. Eine neue Weltmacht, die von Lori Wallach, der Chefin der grössten Verbraucher-Schutzorganisation der Welt «Public Citizen», als «die grosse Unterwerfung unter die Interessen von Grosskonzernen» und als «Staatsstreich in Zeitlupe» bezeichnet wurde.

Geheime Verhandlungen

Es sind die Grosskonzerne und Banken, welche, selbstverständlich in ihren Interessen, die TTIP-Verhandlungen kräftig vorantreiben. Konkret sieht dies so aus: Die «Bank of America» und die «CitiGroup» zahlten Millionen-Boni an die von Mr. Yes-we-can Obama eingesetzten Unterhändler zum TTIP, Stefan M. Selig und Michael Froman. Eine zentrale Rolle spielt zudem das Büro des «Handelsvertreters der Vereinigten Staaten» (USTR). Daniel Mullaney, ein Diplomat des USTR, leitet die TTIP-Gespräche. Islam Siddiqui, der «Chefunterhändler für Landwirtschaft», war einst Lobbyist für «Croplife», den Verband der Saatgut-Konzerne. Melissa Agustin, ehemalige Direktorin für Landwirtschaft des USTR, ist heute registrierte Lobbyistin für «Monsanto», den weltgrössten Genmanipulierer. Sean Darragh arbeitet für den Verband der Lebensmittelproduzenten «GMA», in der die Agrarkonzerne «Monsanto» oder «Bayer CropScience» Mitglieder sind. Braucht es weitere Beispiele um zu verstehen, welche Interessen da im Vordergrund stehen? Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Kein einziges Parlament dieser Welt hat je etwas Offizielles über den Inhalt gesehen. Zugang zu den Dokumenten und ganz direkt zu den EntscheidungsträgerInnen haben nur 600 offizielle BeraterInnen der Grosskonzerne, in dessen Auftrag die Verträge ausgehandelt werden. Warum die Öffentlichkeit wie das Weihwasser vom Teufel gemieden wird, erklärte in einem Anfall von Ehrlichkeit der im Juni 2013 zurückgetretene US-Handelsminister Ron Kirk: «In einem früheren Fall ist der Entwurf für ein umfassendes Handelsabkommen publiziert worden, und deshalb sei es am Ende gescheitert.» Kirk bezog sich auf den ersten Anlauf zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta, dessen Text 2001 auf die Website der Regierung gestellt worden war und so eine Welle an Proteste und Widerstand auslöste.

Bei jeder Schweinerei ist die Schweiz mit dabei

Und die Schweiz? Sie ist an vorderste Front mit dabei – wie könnte es anders sein! Bestes Beispiel dafür sind die Verhandlungen – selbstverständlich auch diese unter dem Sigel «Top Secret» – für das TiSA. Diese Abkürzung steht für «Trade in Services Agreement» und ist nichts anderes als «Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen», an dem neben der EU, die ihrerseits 28 Länder umfasst, 20 Länder unter der Führung der USA und der EU beteiligt sind. Ziel ist die völlige Liberalisierung in möglichst vielen Sektoren wie Bildung, Wasser, Energiebereitstellung, Finanzdienstleistungen, Bau und Einzelhandel. Wie von «Public Services International» (PSI), einem Gewerkschaftsdachverband in mehr als 140 Ländern, zu erfahren ist, könnten «90 Prozent aller existierenden Dienstleistungen in das Abkommen aufgenommen werden». Das würde bedeuten, dass sämtliche Wirtschaftsaspekte einer Gesellschaft dereguliert und für den internationalen Wettbewerb geöffnet würden. Besonders im Fokus stehen jedoch die Bereiche Bildung und Gesundheit. In der Schweiz sind in den beiden Sektoren um die 500?000 Arbeitsplätze betroffen.

Wir haben die Wahl

Doch – und das ist die gute Nachricht – formiert sich weltweit Widerstand gegen die neue Weltmacht. In Vertretung von Hunderten Millionen von Mitgliedern haben rund 350 internationale zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief die Länder, die über das TiSA verhandeln, zur Aufgabe ihres Vorhabens aufgefordert. Im Schreiben wird festgehalten, dass die Verhandlungen einer weitgehend kommerziellen Agenda folgen, um «Konzernen grössere Profite zu Lasten von Arbeitnehmern, Bauern, Verbrauchern, Umwelt und vielen anderen zu beschaffen». Europaweit wurde eine Kampagne lanciert, die bis zu den europäischen Parlamentswahlen vom 25. Mai dauern wird. Und in der Schweiz hat sich Mitte März das Komitee «Stopp TiSA» gegründet. Als erste Aktion wurde eine Petition lanciert (Siehe dazu Seite 10). Ziel ist ein möglichst breiter Widerstand gegen das TiSA und somit auch das Aufzeigen der Gefahren, die sich hinter TiSA und all den anderen geplanten Abkommen verbergen. Wir haben die Wahl: Gemeinsamer Widerstand zu leisten oder beherrscht zu werden von einem Wirtschafts-Monster.

Länger arbeiten und weniger Rente

renteEs ist so klar, dass es selbst der SVP-Nationalrat, Unternehmer und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), Jean-François Rime zugeben muss: «Die Reform ‹Altersvorsorge 2020› ist ein Raubzug auf die Erwerbstätigen.» Doch was steckt hinter dem Reformvorschlag? Welche gesellschaftspolitischen Absichten sind zu erkennen? Die Antwort lautet: Die AHV soll von einer Sozialversicherung mehr und mehr zu einer Sozialhilfeleistung werden. Der kollektive soziale Grundgedanke der AHV soll immer mehr der individuellen Führsorgeleistung weichen. Gut erkennbar ist diese Stossrichtung bei den AHV-Ergänzungsleistungen. Diese wurden als «vorübergehende Massnahme» eingeführt. Sie sollen laut Merkblatt der AHV-Infostelle dort helfen, wo «die Renten nicht die minimalen Lebenskosten decken». Mit der Reform «Altersvorsorge 2020» sollen die Ergänzungsleistungen faktisch ein Bestandteil der AHV-Rente werden, so quasi die 4. Säule, die permanent bestehen bleiben soll. Aber die Rente hat laut Art. 12 Abs. b der Schweizer Bundesverfassung «den Existenzbedarf angemessen zu decken». Somit wurden die Ergänzungsleistungen «vorübergehend» eingeführt, weil die AHV-Rente dem Verfassungsauftrag nicht bei allen RentnerInnen gerecht wird. Warum werden mit der vom Bundesrat vorgeschlagene Reform nicht die Renten erhöht, sprich der Verfassungsauftrag erfüllt, anstatt die Ergänzungsleistungen zu einem fixen Bestandteil zu machen? Sozialversicherung und Sozialhilfe sind schlicht zwei verschiedene paar Schuhe: Die AHV-Rente ist ein generelles, für alle geltendes Recht. Alle haben darauf Anspruch. Sie muss daher nicht erbettelt werden und sie basiert auf einem Prinzip der Umverteilung. Bei den Zusatzleistungen sind der Anspruch sowie die Bemessung der Höhe von individuellen und komplexen Bedingungen abhängig. Sie müssen erbettelt werden, was für viele sehr beschämend ist. Es ist nicht zuletzt eine Frage der Würde, ob man von einer Rente lebt oder von der Sozialhilfe abhängig ist. Und die Würde des Menschen ist doch unantastbar, oder etwa nicht, Herr Bundesrat Alain Berset?

Der Raubzug

Eine gute Übersicht der Abbaupläne des Bundesrat mit politischen Kommentaren und Einschätzungen der Reform «Altersvorsorge 2020» liefert die ausführliche Vernehmlassungsantwort der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS):

Erhöhung des Frauenrentenalters:

Das AHV-Rentenalter soll bei Frauen auf 65 Jahre steigen. Einmal mehr soll der Sozialabbau auf dem Rücken der Frauen stattfinden, so wie es bei der Kürzung der Witwenrente der Fall war. Die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen mit dem Argument der «Gleichberechtigung» zu fordern, ist eine Provokation, da die Löhne der Frauen bei gleicher Arbeit nach wie vor viel tiefer liegen als jene der Männer. Wenn der Eidgenossenschaft die Gleichberechtigung so am Herzen liegt, warum wird nicht die Rente mit 64 Jahren für alle gefordert?

Senkung des Umwandlungssatzes:

Der Rentenumwandlungssatz bei den Pensionskassen wird von heute 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt. Die jährlichen Renten sinken damit um mehr als 10 Prozent! Der Umwandlungssatz ist ein zentrales Element des BVG. Daher muss die Festlegung des Umwandlungssatzes zwingend unter Kontrolle der Gesetzgeber bleiben und darf nicht von den Pensionskassen nach der Logik des freien Marktes bestimmt werden. Im 2010 hat das Volk die geplante Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,4 Prozent mit 73 Prozent Nein-Stimmen wuchtig abgelehnt. Man kann nun nicht so tun, als hätte diese Abstimmung nie stattgefunden. Daher ist die erneut vorgeschlagene Senkung durch einen mysteriösen Mechanismus unakzeptabel.

Flexibilisierung:

Pensionieren lassen soll man sich künftig zwischen 62 und 70 Jahren. Die Aufforderung an die Senioren, bis zum Alter von 70 Jahren zu arbeiten, ignoriert unter anderem eine Tatsache: ArbeiterInnen, die mit über 55 Jahren entlassen werden, finden oft keine Arbeit mehr. Jede Flexibilisierung der Rente, die sich nach dem schwankenden Parameter der «gesellschaftliche Entwicklung», sprich der wirtschaftlichen Konjunktur richten, ist abzulehnen. Eine Flexibilisierung widerspricht dem generellen Anspruch auf die Rente, der ein wesentlicher Grundpfeiler der AHV ist. Auch für die Bestimmung der Rentenhöhe spricht sich die PdAS entschieden gegen jegliche «automatische Mechanismen» aus, die sich den demokratischen Entscheidungen entziehen.

Erhöhung der Mehrwertsteuer:

Diese besonders unsoziale Steuer soll ab 2019 um einen Prozentpunkt, 2027 nochmals um ein weiteres Prozent erhöht werden. Die PdAS widersetzt sich dieser Erhöhung. Dies umso mehr, als dass die Mehreinnahmen der geplanten Erhöhung nicht voll und ganz der AHV zufliessen sollen. So sollen lediglich zweimal 10 Prozent des Ertrags aus der Anhebung der Mehrwertsteuersätze in die Bundeskasse fliessen sollen.

Kürzung der Bundesbeiträge:

Der Bundesrat schlägt wie gesehen vor, den Beitrag des Bundes von 19,5 auf 10 Prozent zu senken. Damit geraten der gesellschaftliche Ausgleich und das Engagement gegenüber der AHV und dessen Finanzierung in ein schlechtes Gleichgewicht. Die Einnahmen eines Jahres zahlen die Renten des nächsten Jahrs und der Bund leistet dazu einen Beitrag von 19,5 Prozent der Kosten. Dieses System funktioniert so gut, dass der Bund nicht zögerte, 15 Milliarden Franken aus dem AHV-Fonds zugunsten der IV herauszunehmen. Eine Summe, die nun gemächlich vom Bund zurückbezahlt wird.

Was tun? AHV stärken!

Für die PdAS ist die AHV eine exemplarische Sozialversicherung, die nicht destabilisiert werden muss. Im Gegensatz zu den privaten Versicherungen, bei denen die Versicherten das Risiko selber tragen müssen, basiert die AHV auf einer kollektiven Übernahme der Risiken. Ein Prinzip, das auf Biegen und Brechen verteidigt werden muss! Es ist daher unnötig, Veränderungen zu akzeptieren, die sich gar nicht aufzwingen. Jedoch wäre es absurd zu übersehen, dass es in den nächsten Jahren zu gesellschaftlichen Veränderungen kommen wird. Daher gilt es, die AHV zu stärk, da dass komplexe System der Kapitalisierung bei der 2. Säule stark von der Entwicklung der internationalen Finanzmärkte abhängt. Bestes Beispiel dafür ist das Jahr 2008, als mehrere Milliarden des angehäuften Kapitals der Pensionskasse durch die Finanzkrise vernichtet wurden. Für die PdAS ist eine progressive Überführung der 2. Säule in die AHV die beste Lösung für die Zukunft der Renten. Die Partei hat angekündigt, dass sie bald entsprechende Vorschläge vorstellen wird. Man darf

Antifaschismus neu denken

antifaAm 29. März 2014 hätten in Bern auf der einen Seite Rechtskonservative, FaschistInnen und Neonazis, auf der anderen Seite AntirassistInnen und die Antifa demonstrieren sollen. Die Stadt wurde von circa 1000 PolizistInnen ­belagert und am Schluss fand keine Demo statt. Angesichts der Entwicklungen in der Schweiz und in Europa sollten wir uns wieder genauer mit Fragen des Faschismus und des Antifaschismus auseinanderzusetzen.

Ende 2012 versuchte die Gruppe «Stopp Kuscheljustiz» in Bern eine Kundgebung «gegen Ausländerkriminalität und gegen die Ausbeutung der Schweiz [sic!]» durchzuführen. Eine starke antifaschistische Gegenmobilisierung und die Erinnerungen an die Ereignisse rund um das SVP-Familienfest 2007 führten dazu, dass die VeranstalterInnen einen Rückzieher machten und die Kundgebung abgesagt wurde. Am 29. März 2014 versuchten sie erneut eine Kundgebung unter dem Namen «Volksversammlung» zu organisieren. Bewusst distanzierten sie sich diesmal von rechtsextremen Ideologien. Doch ihr Facebook-Auftritt zeigt, dass die Gruppe ein Sammelbecken für rechtskonservative und rechtsextreme Ideologien darstellt. Die «Helvetia» wird zur Heimat der «Eidgenossen» hochstilisiert und populistische Hetzberichte gegen AusländerInnen, Asylsuchende und Kriminelle von Seiten rechtsextremer Parteien wie der PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) folgen regelmässig. Und auch Auf­forderungen wie «Schweiz erwache» in Anlehnung an das SA-Kampflied «Deutschland erwache», Aufrufe zu ethnischen Säuberungen oder die Forderung der Todesstrafe gegenüber Andersdenkenden oder MigrantInnen sind die Regel. Häufig findet sich zudem Werbung für die rechtspopulistische SVP. Obwohl sich die SVP von jeglichen rechtsextremen Positionen und Gruppen distanziert, wird damit ersichtlich, dass die SVP auch in diesen Kreisen gewählt wird. Auch die «Volksversammlung» vom 29. März wurde schlussendlich abgesagt. Angekündigte antifaschistische Gegenmobilisierungen im Rahmen von «Bern bleibt Nazifrei» hatten erneut so grossen Druck aufgesetzt, dass die VeranstalterInnen das Demogesuch zurückzogen. Das Polizeiaufgebot blieb jedoch bestehen und so war an jenem Samstag die gesamte Innenstadt von circa 1000 PolizistInnen besetzt. Einzelne rechtsextreme Personen und Gruppen begaben sich trotzdem in die Stadt, ­konnten sich aber nie zu einer Demo formieren. Und die Aktivitäten von «Bern bleibt Nazifrei» konzentrierten sich auf die Reitschule und auf das «FEST gegen Rassismus».

Überall Faschismus??

Es ist mit Sicherheit schwierig, einen Überblick über dieses Amalgam an rechtskonservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen und Organisationen zu behalten. Umso schwieriger gestaltet sich die Formulierung eines ideologischen und praxisorientierten Antifaschismus, der sich einerseits über die Historie des Faschismus, des Nationalsozialismus und der antifaschistischen Widerstandsbewegung bewusst ist, andererseits aber nicht alles als Faschismus bezeichnet, was sich im rechten politischen Spektrum positioniert. Gerade in der Schweiz, wo wir weder einen Faschismus kennen, der in Zeiten akzentuierter Klassenkämpfe von der Bourgeoisie als staatstragende Macht eingesetzt wurde, noch eine antifaschistische Bewegung, die sich in einer mehr oder weniger gemeinsamen Tradition sieht, ist das Risiko gross, voreilig für alles die Bezeichnung «Faschismus» zu gebrauchen. Diese Einsicht ändert aber nichts an der Tatsache, dass faschistoide Tendenzen tatsächlich auch in Gruppen und Organisationen zu erkennen sind, die sich von rechtsextremen Positionen distanzieren. Historisch sind solche Züge in den national-konservativen und populistischen Positionen von James Schwarzenbach wiederzufinden, vorwiegend in der Konstruktion einer «generalisierten Masse» (damals die ItalienerInnen), die als Bedrohung für das angeblich Schweizerische definiert wird, von der direkten Demokratie bis hin zu den kulinarischen Gewohnheiten. Genauso verhält es sich bei der Gruppe «Stopp Kuscheljustiz»: Obwohl sich die VeranstalterInnen von rechtsextremen Positionen distanzieren und sich nicht als FaschistInnen oder Neonazis wissen wollen, zieht eine solche «Volksversammlung» sehr wohl offen deklarierte RassistInnen, FaschistInnen und RechtspopulistInnen an. Die faschistoiden Züge der Rechten in der Schweiz haben sich also durch rassistische Komponenten («zu viele AusländerInnen») und den Schutz der eigenen «Identität» und «Tradition» charakterisiert. Und sie sind vor allem auch immer bis in die «Mitte der Gesellschaft» vorzufinden.

Woran anknüpfen??

Die Verhinderung der «Volksversammlung» durch den Aufruf zu einer linken und antifaschistischen Gegendemo hat gezeigt, dass die Antifa «auf der Strasse» eine wichtige Arbeit leistet. Doch die faschistoiden Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» manifestieren sich heute in der Annahme der Ausschaffungsinitiative von kriminellen AusländerInnen und der Masseneinwanderungsinitiative. Der Umgang mit Faschismus und Antifaschismus in der Antifa und vor allem die Aktualitätsbezogenheit einer antifaschistischen Intervention muss heute darum vermehrt auch die Frage stellen, warum diese faschistoiden Tendenzen bei unseren Nachbarn und ArbeitskollegInnen auf fruchtbaren Boden stossen. Eine Analyse zur Abstimmung am 9. Februar hat gezeigt, dass sich in erster Linie 50- bis 59-Jährige mit obligatorischem Schulabschluss und weniger als 3000 Franken Monatseinkommen aus den städtischen Agglomerationen für die Masseneinwanderungsinitiative ausgesprochen haben. Auch wenn solche Analysen mit Vorsicht zu geniessen sind, zeigen sie auf, dass vor allem ArbeiterInnen, die vom aktuellen Restrukturierungsprozess des schweizerischen Kapitalismus getroffen sind, auf rechtskonservative, rechtspopulistische und zum Teil auch rechtsextreme Positionen aufspringen. Das ist der Ausdruck davon, dass faschistische Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» existieren. Eine Antifa sollte also dieses Spezifische aufnehmen und im Zusammenhang mit den heutigen Schwierigkeiten der Klassenkämpfe reflektieren. Dies bedeutet aber auch, dass sich die antifaschistische Intervention nicht auf die Strasse beschränken lässt, sondern vermehrt auch in den Quartieren, in den Schulen und an den Arbeitsplätzen anknüpfen muss.

Ungenügend!

40b1798b4dWenn der Bundesrat sich mit Lohnschutzmassnahmen befasst, können in der Regel keine grossen Fortschritte erwartet werden. So war es auch am 26. März, als die Landesregierung ihre Beschlüsse über die so genannten «flankierenden Massnahmen» bekannt gab. Es sind dies jene Bestimmungen, die vor Lohndumping schützen sollten und der SVP sauer aufstossen.

«Der Bundesrat hat die Chance verpasst, den Lohn- und Arbeitsschutz in der Schweiz entscheidend zu verstärken und somit auch die Lehren aus der Abstimmungsniederlage zu ziehen», schreibt die Gewerkschaft Unia in ihrer Stellungnahme. Was die Unia andeutet, ist in der Medienmitteilung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) ausführlicher zu lesen: «Das Abstimmungsresultat vom 9. Februar zur SVP-Zuwanderungsinitiative ist Ausdruck einer weit verbreiteten ­Sorge um Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze. Deshalb muss der Lohnschutz ausgebaut werden.» Und der SGB tut gut daran, eine zwar weit verbreitete aber ebenso falsche Vorstellung aus der Welt zu schaffen: «Kontingente bringen nicht mehr Lohnschutz. Die Erfahrungen mit dem früheren Kontingentssystem zeigen, dass damals der Lohnschutz völlig ungenügend war und deshalb in zahlreichen Sektoren eine Tieflohnpolitik betrieben werden konnte.» Die Tausenden von Saisoniers, die über Jahrzehnte wie Zitronen ausgepresst wurden, lassen grüssen.

Grosse Lücken sind noch offen

Zurück in die Gegenwart: Der Bundesrat schlägt vor, in Branchen mit Lohndumping einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf Antrag der Vertragsparteien erleichtert allgemeinverbindlich zu erklären. Zudem ist der Bundesrat bereit, die Sanktionen zu verschärfen (Erhöhung der Busse von heute maximal 5000 auf 30?000 Franken) und die Kontrolltätigkeit in den Grenzregionen zu erhöhen. «Dies sind Schritte in die richtige Richtung, genügen aber nicht», schreibt die Unia, denn der Bundesrat lässt grosse Lücken offen. Erstens dürfen Firmen oder Scheinselbstständige weiterhin auch bei offensichtlichen Verletzungen der Mindestarbeitsbedingungen ungehindert weiterarbeiten. «Nach Abschluss der Arbeiten können sich aber viele Firmen – insbesondere Subunternehmer – den Sanktionen entziehen und kommen so ungeschoren davon», hält die Unia diesbezüglich fest. Zweitens gibt es im Gesetz nach wie vor kaum eine Möglichkeit, die in vielen GAV geforderten Kautionen durchzusetzen. Ohne Kaution fehlt oft die Möglichkeit, allfällige Bussen einzukassieren. Natürlich wird so die Durchsetzung der Mindestarbeitsbedingungen erschwert. Drittens ist eine wirksame Kontrolle der Mindestarbeitsbedingungen nur möglich, wenn die Vertragsparteien vor Ort präsent sein können. «Dies müsste im Gesetz ausdrücklich festgehalten sein», fordert daher die Unia. Und viertens bleiben die Arbeitnehmenden, die sich gegen Lohndumping zur Wehr setzten, weiterhin völlig ungenügend gegen Entlassung geschützt. Diese Tatsache sagt vieles – wenn nicht alles – über die Beschlüsse der Regierung. Unsinnig und unverständlich?? Zum Schluss ein Wort zur SVP, die einmal mehr ihr wahres Gesicht zeigt. Die zaghaften und ungenügenden Massnahmen des Bundesrats in Sachen flankierenden Massnahmen definiert die Partei als «unsinnig und unverständlich». Der angebliche Schutz der Schweizer Heimat und der hiesigen Werten hört immer dort auf, wo es um die Rechte der ArbeitnehmerInnen im ach so geliebten Heimatland geht. Ehrlicher und korrekter wäre es, wenn die SVP das V für Volk mit einem W für Wirtschaft ersetzen würde. Aber eben, mit Ehrlichkeit und Korrektheit lässt sich das Volk nicht blenden und es können keine Wahlen und Abstimmungen gewonnen werden. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

Die Lektion der kubanischen ÄrztInnen

arzte_kuba«Die kubanischen Ärztinnen sehen wie Hausmädchen aus.» Mit dieser Aussage gab eine rechte brasilianische Journalistin der gegenwärtigen Welle von Intoleranz und rassistischer Diskriminierung Ausdruck und sprach, unbemerkt, Kuba damit ein bedeutungsvolles Lob aus.

Angesichts der prekären medizinischen Versorgung schloss die brasilianische Regierung, nachdem sie vergeblich die brasilianischen ÄrztInnen zu motivieren versucht hatte, Stellen in unterversorgten Regionen anzunehmen, mit Kuba ein Abkommen. Damit will sie Ärztinnen und Ärzte dieses Landes, welches unbestrittenermassen eines der besten, wenn nicht das beste sozialmedizinische System hat, nach Brasilien holen. Diese Einschätzung stützt sich auf die guten Gesundheitsindikatoren, von der Säuglingssterblichkeit bis zur Lebenserwartung, welche im Verhältnis zur wirtschaftlichen Entwicklung einzigartig sind. Dieses Abkommen, welches einfach als eines mehr in der Reihe der zahlreichen anderen zwischen Brasilien und Kuba unterzeichneten hätte betrachtet werden können, rief eine Welle von Reaktionen hervor, welche auf unerwartete und erhellende Weise eine soziale Diagnostik dieser beiden Gesellschaften ermöglicht. Fangen wir bei den brasilianischen ÄrztInnen an, welche zwar in ihrer Mehrheit an den öffentlichen Universitäten – die als die besten gelten – ausgebildet werden, aber praktisch nichts der Gesellschaft zurückgeben, welche sie gratis ausgebildet hat. In der Regel eröffnen sie nach dem Abschluss ihrer Ausbildung in den bestsituierten Grossstädten ihre Praxen, um eine Kundschaft mit grosser Kaufkraft zu versorgen. Aus diesem Grund kommt die Verteilung der Krankheiten und der ÄrztInnen auf unserer Landkarte nicht zur Deckung, ja ist geradezu verkehrt: wo die Krankheiten sind, fehlen die ÄrztInnen, wo die ÄrztInnen sind, hat es nicht viele Krankheiten.

Lob für Kuba, Kritik für Brasilien

Trotz der Weigerung, die bedürftigsten Regionen des Landes zu versorgen, versuchte die Rechte zu verhindern, dass die Regierung ÄrztInnen aus anderen Ländern – nicht nur Kuba – ruft. Die Ärzteschaft kündigte an, eine Kampagne gegen die Wiederwahl der Präsidentin Dilma Roussef zu starten, im Glauben, über politische Autorität gegenüber den PatientInnen zu verfügen. Die eingangs erwähnte Aussage über die kubanischen ÄrztInnen reiht sich in dieses Szenarium ein und zeugt vom Elitarismus und der mangelnden sozialen Sensibilität vieler brasilianischer ÄrztIn­nen. Der Versuch, die kubanischen ÄrztInnen zu disqualifizieren, weil sie nicht dem Bild des männlichen und weissen Arztes aus den Hollywood-­Filmen entsprechen, sondern ganz gewöhnliche Frauen aus dem Volk sind, entpuppt sich als enormes Lob der kubanischen Gesellschaft und als Kritik der bra­si­lianischen. In Kuba ist es für Frauen einfacher Herkunft, die in Brasilien Hausmädchen wären, normal, dass sie sich zu Ärztinnen ausbilden können und ihre Solidarität mit anderen Ländern bekunden.

Eine Lektion von grosser Tragweite

Den umgedrehten Sinn der zitierten Aussage begriffen offenbar auch breite Bevölkerungskreise, welche, zu Beginn noch verunsichert, bald sehr positiv reagierten und zu 80 Prozent die Arbeit der kubanischen ÄrztInnen in Brasilien unterstützten. Denn erstmals erreichte die medizinische Versorgung breite Sektoren der Bevölkerung, vor allem aber auch Gebiete, wo sie bisher fehlte oder äusserst prekär war. Städte, wo es nie ÄrztInnen gab, wo die Menschen grosse Distanzen zurücklegen mussten, um sporadisch medizinisch versorgt zu werden, erfuhren, was das grundlegende Recht auf direkte und permanente medizinische Versorgung bedeutet. Es handelt sich hier um ein Programm des Gesundheitswesens, beinhaltet aber gleichzeitig eine politische Lektion von grosser Tragweite – was die brasilianische Rechte am meisten stört. Fachkräfte, die an öffentlichen Universitäten ausgebildet sind – in Kuba sind dies alle – müssten prioritär die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung befriedigen, welche ja schliesslich die Steuern für die Finanzierung der öffentlichen Universitäten bezahlt und welche im allgemeinen ihre Kinder nicht an die Fakultät schicken kann, an die medizinische am seltensten.

An den realen Bedürfnissen orientieren

Brasilien macht grosse Fortschritte wie nie in seiner Geschichte im Kampf gegen Ungleichheit, Armut und Elend, ohne dass sich dies bisher in den medizinischen Ausbildungsstrukturen nieder­geschla­gen hätte. Von daher die Bedeutung der kubanischen Unterstützung, für die sich Dilma Roussef anlässlich dem Treffen der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) in Havanna bedankte. Bei dieser Gelegenheit weihte sie den ersten Teil des Tiefseehafens Mariel ein, welcher Brasilien baut und so die US-Blockade durchbricht. Die kubanischen ÄrztInnen sind besser als ein grosser Teil der brasilianischen heutzutage, dies – abgesehen von ihrer vorzüglichen Ausbildung – als Bürger (cidadãos), welche in einer Gesellschaft ausgebildet wurden, die sich nicht an einer merkantilistischen Medizin, sondern an den realen Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren. Die Anwesenheit der kubanischen ÄrztInnen erlaubt, wie kaum ein Manual politischer Erziehung, die Prinzipien kapitalistischer Gesellschaften – die Orientierung am Tauschwert und an der Nachfrage des Marktes – und diejenigen sozialistischer – die Orientierung am Gebrauchswert und an den Bedürfnissen der Menschen – zu erhellen.

Freiheit und Papiere für O.!

01_liberty for O_webDer Fall von O., einem schwulen Flüchtling aus Nigeria, macht zur Zeit das wahre Gesicht der schweizerischen Asylpolitik? sichtbar: Homosexualität wird faktisch nicht als Asylgrund anerkannt. Dadurch wird die Unterscheidung von echten und unechten Flüchtlingen zementiert.

Das Asylwesen in der Schweiz hat sich längst selbst pervertiert und kommt einer bitterbösen Satire gleich. Eisern ist die Botschaft, die täglich neue Verbreitung findet: Es gibt echte und unechte Flüchtlinge. Es gibt Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt in der Schweiz Asyl beantragen und echte Flüchtlinge sind. Sie haben ein wirkliches Anrecht auf Schutz, aber wenn es zu viele von den wirklich Verfolgten gibt, kontigentiert die Schweiz, wie im Fall des Syrienkrieges, auch die echten Flüchtlinge. Dieses Lotterieverfahren ist schon sehr wichtig, denn würden wir die Grenzen öffnen, kämen alle Menschen aus Afrika oder dem Osten in die Schweiz. Es wäre diesen Menschen dann auch ganz egal, ob sie in der Schweiz eine Arbeit finden würden und sich ein Leben aufbauen könnten – sie kämen einfach mal alle und blieben dann für immer. Diese Menschen übrigens nennen wir unechte Flüchtlinge oder Wirtschaftsflüchtlinge, am besten versteht man aber die Bezeichnung «ScheinasylantIn». Das Selektionieren von Menschen an der Grenze auf hegemoniale Machtansprüche oder gar auf die Einteilung in Rassen zurückzuführen, wäre absurd. Polizei- und Justizministerin Simonetta Sommaruga besitzt als linke Politikerin ein historisches Bewusstsein und weiss, was es bedeutet, Grenzen nur für Auserwählte zu öffnen. Deshalb hilft sie dem BFM, wo sie nur kann, damit die Auswahl der Menschen nach ihrer Herkunft gelingt. 2011 zum Beispiel hat Sommaruga mit Nigerias Aussenminister, Odein Ajumogobia, ein Abkommen unterzeichnet, das die Rückführung von nigerianischen Flüchtlingen in ihr Heimatland regelt. Seit 2013 gilt für die Prüfung von Asylgesuchen nigerianischer Staatsangehöriger ein beschleunigtes Asylverfahren (fast track). Erst kürzlich traf sich eine Delegation der Migrationspartnerschaft Schweiz Nigeria, um «Lösungen der irregulären Migration in die Schweiz zu finden», wie es im online Newsletter der Schweizer Bundesverwaltung heisst.

Der Fall O.

Für die sogenannte Reintegration der Flüchtlinge sichert die Schweiz Nigeria weitgehende Unterstützung bei der Rückführung zu. Gerade solche Entscheide geben dem BFM freilich Zuversicht, hatte sie doch bereits Ende 2010 das Asylgesuch von O. und seinem Freund nach nur einem Monat abgelehnt. Die beiden Männer mussten aus ihrem Dorf im südlichen Teil Nigerias fliehen, nachdem sie sich in der Öffentlichkeit als Paar gezeigt hatten. O.’s Freund ist bereits ausgeschafft worden, die Reintegration mit Hilfe der Schweiz hat perfekt geklappt – O.’s Freund wurde nackt auf einem Anhänger durchs Dorf gezogen, musste exorzistische Rituale über sich ergehen lassen und der gleichgeschlechtlichen Liebe abschwören. O. wird nicht müde zu erzählen, wie alles war, bevor sein Leben 2005 eine krasse Wende nimmt. Als Naturheilpraktiker entwickelt O. eine entzündungshemmende Arznei aus Pflanzen, mit der er sich auch ausserhalb seines Dorfes einen Namen machen kann. Sowohl schwangere Frauen als auch Kranke vertrauen sich ihm an. Nachdem sich aber O. öffentlich zu seinem Partner bekennt, beginnt eine Hetze, deren Anführer O.’s Vater wird, der Pastor des Dorfes. Er prangert seinen Sohn als Sündenbock an und macht ihn für jedes Unglück im Dorf verantwortlich. Eines nachts dringen schliesslich Bekannte in O.’s Haus ein. Sie fesseln das Paar – in letzter Minute gelingt ihnen die Flucht. Die Narben am Rücken O.’s erinnern noch heute an die Messerschnitte. O. und sein Freund fliehen zunächst in die Grossstadt Lagos, wo sie in der Anonymität ein neues Leben aufbauen, ohne sich als Paar zu erkennen zu geben. Nach vier Jahren finden Bekannte ihren Aufenthaltsort heraus, sodass sie erneut fliehen müssen. Sie bezahlen Schlepper und werden auf einem Transporter durch die Wüste nach Marokko gefahren. Von dort aus geht die Flucht in einem Schlauchboot weiter nach Spanien. O. berichet, wie er glaubte, dass er auf offenem Meer sterben werde, da zeitweise der Motor ausfiel.

Illegalisierung und Solidarität

Ende 2010 gelangt das Paar dann in die Schweiz, wo es einen Erstasylantrag stellt. Bereits nach einem Monat schmettert das BFM ihr Gesuch ab, mit der Begründung, ihr Fluchtgrund sei nicht glaubwürdig. Seitdem lebt O. illegalisiert und ohne Papiere in der Schweiz. Das Wiedererwägungsgesuch, welches Dank dem CCSI (Centre de Contact Suisses-Immigrés) Fribourg 2013 eingereicht werden kann, wird erneut abgelehnt. Das BFM zweifle die sexuelle Orientierung O.’s nicht an, heisst es im zweiten Negativentscheid, sie sei aber im Rahmen des Gesuchs unwichtig, da es für O. möglich sei, in Nigeria zu leben, wenn er seine Homosexualität diskret lebe. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt jedoch gerade fest, dass von Asylsuchenden nicht verlangt werden dürfe, ihre sexuelle Orientierung im Herkunftsland verdeckt zu halten. Inzwischen steht diese Regelung auch auf dem Handout für die GutachterInnen des BFM. Grundsätzlich ist die Schweiz aber nicht an den EuGH gebunden, was ein krasser Missstand darstellt, dem O. zum Opfer fällt. Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht im Fall O. keinen Handlungsbedarf. Mittlerweile hat sich die homophobe Gesetzeslage (14 Jahre Gefängnis) in Nigeria weiter verschärft. Wer sich weigert, eine LGBT–Person zu denunzieren, läuft selbst Gefahr, sich strafbar zu machen. Lynchjustiz und Gewaltübergriffe haben keine rechtlichen Konsequenzen, so werden zum Beispiel lesbische Frauen vergewaltigt, um sie zu «heilen». Im Süden Nigerias wird die Hatz von evangelikalen Christen geschürt, was die katholische Bischofskonferenz Nigerias unlängst zur Gratulation veranlasste. Ende März 2014 wird O. wegen illegalem Aufenthalt in Bern in Haft genommen. Ihm droht die Ausschaffung. Innert kürzester Zeit haben sich Menschen in Bern mit O. solidarisiert und fordern nun die sofortige Freilassung und die Annahme seines Asylgesuches.

Wegdada

Abgesagte Kuscheljustiz-Demo Bern 2014Am 1. Mai 2011 führte die Zürcher Polizei über 500 «?Personenkontrollen?» durch und sprach etliche Wegweisungen aus. Gemäss Polizei hätten nur ­dadurch Ausschreitungen und Sachschäden verhindert werden können. Doch einige der weggewiesenen Personen wehren sich seitdem auf dem Rechtsweg gegen die sogenannte Personenkontrolle und sie haben nun vor Bundesgericht teilweise Recht bekommen.

Gegen 550 Frauen und Männer wurden am 1. Mai 2011 auf dem Helvetiaplatz und auf dem Gelände der Kanzlei von der Stadt- und der Kantonspolizei Zürich eingekesselt und etwa zweieinhalb Stunden dort festgehalten. Bis zu dreieinhalb Stunden verbrachten sie darauf in den Zellen der Kaserne – dieses Vorgehen wurde von der Polizei als Personenkontrolle bezeichnet. Zuletzt erhielten die «kontrollierten» Personen eine Wegweisungsverfügung mit Rayonverbot, weil sie, so der Text der Verfügung, «die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet» hätten. Sie mussten sich für 24 Stunden von den Stadtkreisen 1, 4 und 5 und damit auch vom 1. Mai-Fest fernhalten. Die Stadtpolizei mit Vorsteher Daniel Leupi freute sich: Endlich sei ein Rezept gegen die Ausschreitungen am 1. Mai gefunden.

Bundesgericht sagt?: Es war ein Freiheitsentzug

Eine Gruppe von elf Betroffenen hat sich bereits kurz nach dem 1. Mai 2011 zu einem Kollektiv formiert und sich mit Unterstützung des Zürcher Anwalts Viktor Györffy auf dem Rechtsweg gegen das Vorgehen der Polizei gewehrt. Das Kollektiv betrachtet die ganze Aktion als widerrechtlichen Freiheitsentzug, die zudem die Aushebelung der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum bedeutet. Damit ein derartiges Vorgehen seitens der Polizei nicht zur allgemeingültigen Strategie im Umgang mit öffentlichen Veranstaltungen wird – auch nicht an einem 1. Mai – hat das Kollektiv zunächst Beschwerden bei der Stadt- und der Kantonspolizei erhoben. Diese wurden abgewiesen und das Kollektiv rekurrierte. Der Rekurs durchlief mehrere Verwaltungsinstanzen, bis er schliesslich beim Bundesgericht landete. Seit dem 29. Januar steht dessen Antwort fest: Das Bundesgericht wertet zwar die Einkesselung auf dem Helvetiaplatz und dem Kanzleiareal für sich allein nicht als Freiheitsentzug, wohl aber das mehrstündige Festhalten in den Zellen der Kaserne und damit die ganze Ak­tion. Es gibt die Beschwerde zurück an das Zwangsmassnahmengericht Zürich, das es davor abgelehnt hatte, sich überhaupt damit zu befassen. Nun muss es den Fall doch auf Rechtswidrigkeit prüfen, und es dürfte schwierig werden, die sogenannte Personenkontrolle in der Kaserne anders zu bewerten als das Bundesgericht.

Kleiner Triumph der Weggewiesenen

Weil der Rechtsweg nicht billig ist – die Kosten für den Instanzenzug und den Anwalt betragen bis jetzt bereits über 10?000 Franken, – hat das Rekurs-Kollektiv nur drei Fälle exemplarisch weitergezogen. Während der vergangenen drei Jahre hat das Kollektiv Geld gesammelt, zum Beispiel mit Soli-Partys und Soli-Tombolas. Zudem erhielten zwei Rekurrierende unentgeltliche Rechtspflege, die sie im Falle einer Niederlage aber zurückzahlen müssten. Mit vereinten Kräften war die Finanzierung bisher also knapp möglich. Die Sache ist noch nicht ganz ausgestanden, aber ein Teilerfolg ist erzielt. Es kann nicht sein, dass gegen 550 Menschen, bloss weil sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einem bestimmten Platz aufhalten, stundenlang festgehalten werden. Es ist rechtsstaatlich äusserst bedenklich, wenn die Polizei ein ganzes Quartier zum Sperr­gebiet erklären kann. Fast drei Jahre nach den präventiven Massenverhaftungen haben die Rekurrierenden einen kleinen Triumph errungen. Es ist zu hoffen, dass es so weitergeht.

Arbeitsmarktreform gegen die ArbeiterInnen

07_jobact2Der neue, junge Ministerpräsident Italiens Matteo Renzi von der Demokratischen Partei (PD) hat nach dem «Mini-Putsch» gegen seinen Vorgänger Enrico Letta keinen Moment gezögert und die ersten Reformen eingeleitet. Schon nach wenigen Wochen zeigt sich, wen die Regierung Renzi tatsächlich vertritt.

Zwei Begriffe haben die letzten Monate die politische Diskussion in Italien geprägt: «spending review» und «jobs act». Diese Begriffe sind Anglizismen, die bewusst eingesetzt werden, um die Arbeitsmarkt- und Institutionenreformen den Proletarisierten unverständlich zu machen. Gleichzeitig stellen sie auch massive Ab- und Umbaupläne dar, welche direkte Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der ArbeiterInnen zeigen werden. In dieser Hinsicht spricht Renzi eine klare Sprache, dies muss man ihm lassen. Die Regierung Renzi schreibt sich in eine politische Kontinuität ein, die mit der ersten Wahl Berlusconis in den 1990er Jahren begonnen hat und über die TechnokratInnen-Regierung von Mario Monti (November 2011 bis April 2013) bis zur «Regierung ohne Wahlen» von Enrico Letta (April 2013 bis Februar 2014) geht. Diese vermochten es nicht, diejenigen «Reformen» einzuleiten, welche für den italienischen Kapitalismus notwendig sind, um wieder Profite zu generieren und aus der Krise zu kommen. Zu gross waren die internen Widersprüche innerhalb der Bourgeoisie und innerhalb der politischen Parteien, die sie vertreten. So konnte sich Renzi – der sich selber «il rottamatore» (der Verschrotter) nennt – als etwas «Neues» präsentieren, das die alte politische Garde ersetzt und endlich mal «handelt» und seine Ideen «durchzieht». Mit 39 Jahren ist er der jüngste Premierminister in der Geschichte Italiens, der erneut ohne Wahlen und somit im bürgerlichen Verständnis «undemokratisch» eingesetzt wurde.

«Jobs act»: Der neue Arbeitsplan

Die herrschenden Klassen Italiens haben sich auf diese «neue» Figur gestützt, um aus der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Sackgasse zu kommen und einen qualitativen Sprung zu machen. Das erste Ziel besteht darin, den Arbeitsmarkt zu restrukturieren. Die «renzianische» Arbeitsmarktreform bestehen darin, durch neue Formen von Verträgen den Zugang und den Abgang bei einer Stelle zu flexibilisieren. So werden befristete Verträge komplett liberalisiert. Diese können den ArbeiterInnen ohne Erklärung auferlegt und während drei Jahren verlängert werden. Somit haben die UnternehmerInnen die nötigen gesetzlichen Instrumente, um die Proletarisierten nach ihren kurzfristig ausgerichteten Profitbedürfnissen einzustellen oder zu entlassen. Dieser neue Status kann bis auf 20 Prozent der Belegschaft eines Unternehmens angewendet werden. Eine weitere Vertragsform, die komplett liberalisiert und der Willkür der Unternehmen überlassen wird, sind die Lehrlingsverträge. Im Prinzip ist die Idee hinter den Lehrlingsverträgen, Jugendlichen eine Berufsausbildung und anschliessend eine feste Anstellung zu garantieren. Mit der Arbeitsmarktreform von Renzi besteht nun keine Pflicht mehr für die UnternehmerInnen, zu einem bestimmten Zeitpunkt den Lehrlingsvertrag in eine unbefristete Anstellung umzuwandeln. Im Gegenteil, mit dem Argument des «lebenslangen Lernens» können die Löhne gar nach unten angepasst und die Lehrlingsverträge immer wieder erneuert werden. Vor zwanzig Jahren wurden die ersten «prekären Verträge» eingeführt und die haben – entgegen allen Versprechen der Politik – weder als Sprungbrett in besser bezahlte Jobs, noch als Einstieg in einen stabilen Arbeitsmarkt gedient. Vielmehr ist in Italien feststellbar, dass Löhne und Arbeitsbedingungen stark unter Druck stehen – und neue Stellen wurden auch kaum geschaffen. Der renzianische «jobs act» garantiert nun der italienischen Bourgeoisie eine noch prekärere und flexiblere Arbeitskraft mit immer weniger sozialen Rechten.

«Spending review»: Die öffentlichen Ausgaben reduzieren

Renzi hat zeitgleich eine Steuererleichterung von zehn Milliarden Euro angekündigt. Dies mit dem Ziel, die jährlichen Einkommen unter 15?000 Euro zu entlasten. Sein Propagandaspruch: «10 Milliarden Euro für 10 Millionen Italiener». Auch hat der französische Präsident François Holland nach dem Besuch von Matteo Renzi am 15. März 2014 erklärt: «In den Ankündigungen von Präsident Renzi und in den Entscheidungen, die ich für Frankreich getroffen habe – vor allem mit dem Pakt der Verantwortung – hat es viele Übereinstimmungen. Wir haben beide erkannt, dass wir den Arbeitsmarkt modernisieren müssen, aber auch, dass unsere Beschäftigungspolitik von allen wirtschaftlichen Akteuren getragen werden muss.» Und tatsächlich hat Renzi eine allgemeine monatliche Lohnerhöhung von 80 Euro versprochen, die über die angekündigten Steuererleichterungen generiert werden sollen. Steuererleichterungen bedeuten aber auch eine Reduktion der öffentlichen Ausgaben. Und hier setzt das «spending review» an. Das eigentliche Ziel ist die Einführung einer Schuldenbremse für die öffentlichen Ausgaben, in erster Linie für die Sozial­ausgaben. Vor allem im Gesundheitsbereich, im öffentlichen Transport, in der Bildung und in der Sozialhilfe werden Schritt für Schritt solche Mechanismen eingeführt – alles Sektoren, in denen private Unternehmen eine immer wichtigere Rolle spielen, was zu einer Preiserhöhung der Basisleistungen führt. Parallel dazu ist die Regierung Renzi daran, eine grosse Zahl (85?000) an öffentlichen Stellen zu streichen. Was Renzi also mit einer Hand den ArbeiterInnen zu geben scheint, nimmt er ihnen mit der anderen Hand wieder weg.

Am 12. April gegen den «jobs act»

Matteo Renzi lässt so die Wünsche der italienischen Bourgeoisie in Erfüllung gehen, nämlich ein von jeglicher Autonomie und Interessenvertretung beraubtes Proletariat, das noch weiter ausgebeutet werden kann. Ob in Italien oder in anderen krisengeprägten Ländern der EU, die herrschenden Klassen wollen möglichst schnell den Arbeitsmarkt herstellen, der ihren Profiten zu Gute kommt. Diese Politik löst Kämpfe aus, die oft isoliert und auf sich bezogen bleiben. Doch gerade in Italien werden vermehrt Momente geschaffen, an denen die kämpfenden Proletarisierten zusammenkommen. Am 19. Oktober 2013 gingen in Rom fast 100’000 Menschen auf die Strasse, um für Einkommen, Wohnraum und Würde zu protestieren. Am 12. April findet erneut eine landesweiter Mobilisierungstag unter dem Motto «Geschlossen und unflexibel gegen den jobs act» statt. Bleibt zu hoffen, dass diese Mobilisierung einen ersten Schritt raus aus der Defensive und eine Vorbereitung der Offensive darstellt.

Stopp TiSA!

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Online-Petition unterzeichnen: www.stop-tisa.ch

TiSA steht für  «Trade in Services Agreement». Es handelt sich um die Verhandlungen über ein  «Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen», die im Frühjahr 2012 begonnen haben.  Daran sind neben der EU, die ihrerseits 28 Länder umfasst, 20 Länder unter der Führung der USA und der EU beteiligt. Die Schweiz spielt eine sehr aktive Rolle in diesen Verhandlungen. Gemäss diesem Vertrag müssten alle Dienstleistungsbereiche, in denen neben den öffentlichen auch private Anbieter vorhanden sind, den Regeln des «freien und unverfälschten Wettbewerbs» unterstellt werden. Die Regierungen müssten die öffentlichen und privaten Anbieter im selben Ausmass subventionieren. Die Steuerpflichtigen wären so beispielsweise gezwungen, die Profite von privaten Kliniken und Schulen mitzufinanzieren. In der Schweiz sind allein in den hochexponierten Sektoren Bildung und Gesundheit um die 500‘000 Arbeitsplätze betroffen.

Nochmals der Link: www.stop-tisa.ch

Masslos?

2425604958_5fe2efd1f1Eigentlich hätte man am 9. Februar 2014 darüber abstimmen müssen, ob es mit einem immer absurdere Dimensionen annehmenden Kapitalismus so weitergehen kann wie bisher. -Stattdessen ist es ausgerechnet der SVP, welche zu den glühendsten Verfechtern eines möglichst ungehinderten kapitalistischen Profit- und Wirtschaftswachstums gehört, einmal mehr gelungen, sich zur Heldin im Kampf gegen jene Probleme aufzuspielen, die sie selber verursacht hat. 

Aus der Printausgabe vom 14.März. Unterstütze uns mit einem Abo.

Wenn die SVP – wie sie das in ihrem Abstimmungskampf für die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» getan hat – behauptet, «Masslosigkeit schade», hat sie ja eigentlich recht. Nur müsste es ehrlicherweise heissen: «Kapitalismus schadet». Denn diese Masslosigkeit, dieses unbeirrte Festhalten an der Ideologie eines endlosen Wirtschaftswachstums; das Hin- und Herschieben von Gütern quer über alle Grenzen hinweg zu reinen Profitzwecken, die explodierenden Bodenpreise, Wohnungsmieten und Krankenkassenprämien; die wachsende Zahl von Menschen, die dem steigenden Leistungsdruck nicht gewachsen sind und zu «Sozialfällen» werden; die Abwanderung einer immer grösseren Zahl von Menschen aus Ländern, in denen es überhaupt keine Erwerbsmöglichkeiten gibt, in andere Länder, wo es im Vergleich zur vorhandenen Bevölkerung viel zu viele Erwerbsmöglichkeiten gibt; das damit verbundene, immer drastischere Auseinanderklaffen zwischen Zentren des Reichtums und Zonen der Armut; das rücksichtslose Verprassen natürlicher Ressourcen auf Kosten zukünftiger Generationen; die unaufhaltsame Verbetonierung wertvollsten Kulturlandes; die überfüllten Züge, die verstopften Strassen.

Dies alles ist ja nicht über Nacht zufällig vom Himmel gefallen, sondern ist nichts anderes als die ganz natürliche und logische Folge jenes Wirtschaftssystems, das man Kapitalismus nennt, und das nicht auf soziale Gerechtigkeit und schon gar nicht auf den Respekt gegenüber Mensch und Natur ausgerichtet ist, sondern einzig und allein darauf, mithilfe der Herstellung, des Handels und des Verkaufs einer unablässig wachsenden Menge an Gütern einen möglichst grossen und unablässig wachsenden materiellen Profit zu erzeugen.

Falsche und gefährliche Schuldzuweisung

Das Fatale daran ist, dass ausgerechnet die SVP, die bei jeder Gelegenheit für die grösstmögliche «Freiheit» und Selbstentfaltung einer durch und durch wachstumsorientierten kapitalistischen Wirtschaftslogik eintritt und sich gegen jegliche staatliche Kontrolle oder Einmischung zur Wehr setzt, gleichzeitig aus den zerstörerischen und lebensfeindlichen Auswirkungen dieses Systems am allermeisten politisches Kapital zu schlagen vermag, indem es ihr nämlich immer und immer wieder gelingt, die in der Bevölkerung vorhandenen Sorgen, Ängste und Frustrationen auf eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen, die so genannten «Ausländerinnen» und «Ausländer», umzulenken.

Keine vernünftige Sachpolitik 

Erst eine umfassende und tiefgreifende Analyse der Prinzipien und daraus resultierenden Auswirkungen des kapitalistischen Denk-, Geld- und Wirtschaftssystems kann diesen Schwindel ans Licht bringen. So lange dies nicht erfolgt, kann keine echte Alternative zu jener «Masslosigkeit» in Form der kapitalistischen Wachstumsideologie entwickelt werden, der wir alle zusammen – ob «Linke» oder «Rechte», ob SP oder SVP – gleichermassen unterworfen sind. Einfach gesagt: Wir brauchen eine von Grund auf neue, nicht auf die Bedürfnisse des nach seiner Selbstvermehrung schreienden Kapitals, sondern auf die Bedürfnisse von Mensch und Natur ausgerichtete Wirtschaftsordnung. Alles andere ist reine Symptombekämpfung, Augenwischerei und Selbsttäuschung.

 

Peter Sutter ist Autor des Buches «Zeit für eine andere Welt – Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat»

Im Staate der Eidgenossen

schweizer fahnWir sind beliebt! In Europa. Und dies nach all dem Mist, der im Ausland über uns geschrieben wurde. Dorthin (gemeint ist das Ausland) beträgt die grösste Entfernung 270 Kilo-meter gemessen ab dem geographischen Herzen der Schweiz und das ist bekanntlich die Ällgialp im Kanton Obwalden. Aber von der idyllischen Alp zurück ins Europa des Freien Personenverkehrs. Richtiggehend euphorisch und enthusiastisch wurden wir gefeiert. Sogar im Europaparlament, dem wir gar nicht angehören. Krass, nicht wahr? Eine ganz spezielle Ehrung hat die Eidgenossenschaft vom Abgeordneten Mario Borghezio erhalten: Er stürmte während der Ratsdebatte mit einer Schweizer Fahne in die Mitte des Plenarsaals. Dort schwenkte er voller Begeisterung das rote Stofftuch mit dem weissen Kreuz drauf. Er unterbrach lautstark den Kommissar mit Zwischenrufen wie «Freie Schweiz» oder «Stopp der europäischen Diktatur über seine Völker». Mario Borghezio, aus der ehemaligen ArbeiterInnenstadt Turin stammend, gehört der separatistischen Lega Nord an. Im Jahre 1993 musste er wegen Nötigung eines marokkanischen Kindes 750 000 Lire (etwa 380 Euro) Busse bezahlen. Am 19. Oktober 2005 wurde Mario Borghezio zu einer Geldstrafe von 3040 Euro verurteilt, weil er im Jahr 2000 in Turin Zelte von Einwanderern angezündet hatte, die unter einer Brücke schliefen. Und da ist noch ein Radiointerview nach dem Massaker in Norwegen von 2011. Der Freund der Eidgenossen meinte, dass viele Ideen des Attentäters der Anschläge «gut und manche ausgezeichnet» seien. Die Freude und Begeisterung dieses Mannes über das Ja zur SVP-Initiative war so gross, dass er fast in Trance verfiel und aus dem Parlamentssaal verwiesen wurde. Aber kein Problem, -andere gute Freunde traten an seine Stelle. Als so ein Grüner aus Deutschland (immer wieder die) forderte, die Schweiz müsse «in Knien angekrochen kommen», löste er eine massive und emotionale Protestwelle der Kameraden des französischen «Front National» von Le Pen aus. Schön, so charmante, neue Freunde gewonnen zu haben. Danke SVP. Freude herrscht im Lande, juhui. 

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert den Vorfall im EU-Parlament mit den Worten: «Die falschen Freunde der SVP». Falsch? Was ist daran so falsch? Richtig ist, dass die politischen Vorstösse und Ansichten von Borghezio und seiner Partei oft deckungsgleich mit jenen der SVP sind. Etwas Kenntnis der italienischen Fremdsprache (ausser im Tessin) und ein Blick auf die Homepage der Lega Nord genügen, um es selber nachlesen zu können. Gleiches gilt für die vielen nationalistischen und rassistischen Rechtsaussenparteien aus ganz Europa, die am 9. Februar der SVP gleich zum Sieg gratuliert haben. Es ist nun mal so, dass die politischen FreundInnen gratulieren und nicht die GegnerInnen. Der «Tagi» bezeichnet Borghezio als «Spinner». Wohl kaum aber wegen seinen politischen Überzeugungen, denn sonst müsste der liebe «Tagi» – wenn er kohärent und konsequent bleiben wollte – auch Blocher und die ganze SVP als «Spinner» bezeichnen. 

Tja, aber mit solchen Feststellungen, so richtig und nett sie auch sein mögen, kommen wir keinen Schritt weiter. Und was ist mit der Forderung der Juso, die SP solle wegen der Abstimmung vom 9. Februar vom Bundesrat zurücktreten? Stellen wir uns das Unvorstellbare mal vor und nehmen wir an, die SP würde den Bundesrat verlassen, was wäre dann so viel anders und /oder besser? Was würde sich ändern?

Aber eben, was tun? Eine Patentlösung hat niemand; wie auch? Vielleicht lohnt es sich mal, nach den Ursachen des Rassismus zu fragen. Sich ernsthaft zu fragen. Hilfreich dazu ist möglicherweise, sich wieder mal in Erinnerung zu rufen, dass die Grenzen nicht zwischen In- und AusländerInnen, sprich unter uns sondern zwischen oben und unten verlaufen. Vielleicht, wer weiss, sollten wir mal wegen den Ursachen des Rassismus nach Bern an eine Demo. So als Aktion und nicht als Reaktion auf einen Sieg der RechtspopulistInnen. Aber eben… wir laufen die Gefahr, dass wir selbst im Nachhinein nicht viel schlauer werden. Wir, die 49,7 Prozent, die in Bern demonstriert haben, weil wir verloren haben.

Aus der Printausgabe vom 14.März. Unterstütze uns mit einem Abo! 

Wohnraum für alle?!

wohnungsnotIn den grösseren Städten der Schweiz ist es für proletarische Haushalte vermehrt schwierig, eine preislich ange-messene Wohnung zu finden. In den Grossstädten wie Zürich, Genf und Lausanne besteht eine regelrechte Wohnungskrise. Doch auch in diesem Bereich formiert sich vermehrt Widerstand. Ein Buch präsentiert Kämpfe im Raum Lausanne und legt die Grundlagen für eine breite Bewegung für ein Recht auf Wohnen.

 

Die Aufkündigung von 50 Mietverträgen aufgrund einer Totalsanierung, die Durchsetzung einer Wohnraumverdichtung im Rahmen des neuen Raumplanungsgesetzes und die wohnräumliche Neugestaltung eines ganzen Quartiers – das waren die Gründe für drei unterschiedliche MieterInnenmobilisierungen in der Stadt Lausanne in den letzten Jahren. Tatsächlich stehen diese Beispiele sinnbildlich für die äusserst prekäre Wohnsituation in der waadtländischen Stadt: Die Preise für Mietwohnungen haben sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt und zum Teil gar verdreifacht. Ein Grossteil der Mieten für drei bis vier Zimmer Stadtwohnungen liegt zwischen 1500 und 4000 Franken. Leerstehende Wohnungen in der Stadt existieren kaum. Tiefere Mieten sind nur ausserhalb der städtischen Regionen, also auf dem Land, zu finden. MieterInnen, die in diesen Regionen leben, müssen mit hohen Transportkosten rechnen, da ihre Arbeitsplätze oft in der Stadt liegen.

MiterInnenproteste

Die Wohnsituation in den urbanen Zentren der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar akzentuiert, doch die Anfänge der Neugestaltung von Wohnzonen liegen schon weiter zurück. Die Mobilisierungen der BewohnerInnen des Quartiers Motelly in Lausanne haben diese Prozesse exemplarisch aufgedeckt (S. 37–57). Schon Mitte der 1990er Jahre bildete sich das Kollektiv Droit de Cité, welches – die Probleme der Gentrifizierung antizipierend – sich für eine partizipative Raumplanung einsetzte, bei der die Stadt die MieterInneninteressen in den Planungsprozess integriert. Das Kollektiv hat sich damals für den Bau eines Quartierzentrums eingesetzt, welches dann tatsächlich 1998 realisiert wurde. Zwischen 2001 und 2004 intervenierte das Kollektiv erfolgreich, um die Schliessung der Poststelle von Sévelin zu verhindern. Auch konnte im Rahmen des Lausanner Metrobaus, in dem die Reorganisierung und Streichung von Buslinien vorgesehen war, eine erfolgreiche Mobilisierung für den Erhalt der Busse 18 und 19 angestossen werden. Und zurzeit wehrt sich das Kollektiv gegen die massive Sanierung, die Stockwerkerhöhung und gegen eine Mietzinserhöhung für gewisse Wohnblöcke und -häuser im Quartier.

Die im Buch vorgestellten MieterInnenproteste fassen die AutorInnen wie folgt zusammen (S. 59–70): Die MieterInnenkonflikte in Lausanne beziehen sich sowohl auf die Wohnfrage im engeren Sinne wie auch auf die Lebensqualität in den Quartieren. Die AkteurInnen der Proteste und Kämpfe sind vielfältig, teilweise handelt es sich um MieterInnen, teilweise um kleine WohneigentumsbesitzerInnen, teilweise auch um StadtbewohnerInnen, die nicht direkt von den Umbrüchen betroffen sind. Und auch die Gründe für die Mobilisierungen sind unterschiedlich: Mieterhöhungen, Aufkündigung von Mietverträgen, die Veränderung der städtischen Infrastruktur, die Qualität des öffentlichen Raumes, Bauprojekte oder neue Raumplanungen. «Aus dieser Komplexität rauszukommen wird in Zukunft nicht die kleinste Herausforderung sein.» (S. 62)

Wohnpolitik für die Reichen

Die Lausanner Situation spiegelt grundsätzlich die Problematik aller städtischen Gebiete der Schweiz wider. Eine grosse Mehrheit der Bewoh-nerIn-nen der schweizerischen Agglomerationen sieht sich mit einer Wohnungskrise konfrontiert, die zumindest zurzeit nicht auf ein zu geringes Angebot an Wohnungen zurückzuführen ist. Vielmehr werden heute neue Wohnungen gebaut, die zum Privatverkauf bestimmt sind, und mehr noch: zum Privatverkauf an GutverdienerInnen und Vermögende. Die Wohnungssituation der proletarischen Haushalte hat sich zudem in den letzten Jahrzehnten dadurch verkompliziert, dass in den meisten Fällen ihr Real-ein-kom-men stagniert ist. Proletarische Haushalte ziehen konsequenterweise in die Peripherie um oder häufen Schulden an, um sich eine Stadt-wohnung zu leisten. Die AutorInnen des Buches schätzen, dass zirka zwei Drittel der Bevölkerung in der Schweiz aufgrund dieser Entwicklungen faktisch aus dem Wohnungsmarkt ausgeschlossen bleiben. Dadurch entsteht eine räumliche Segregation zwischen «verbürgerlichten» Wohnzonen im Zentrum, die gut gelegen und gut ausgestatten sind, und «proletarisierten» Wohnzonen in der Peripherie mit schlechterer Infrastruktur.

Raus aus der Krise

Die AutorInnen des Buches beschränken sich nicht darauf, die Mobilisierungen solidarisch vorzustellen. Es geht ihnen auch darum, in der ganzen Komplexität der Diskussion politische Anknüpfungspunkte zu bieten. Im abschliessenden Kapitel formulieren sie drei konkrete Forderungen. Erstens fordern sie die Blockierung der Mieten und die Limitierung des Verkaufs von Neuwohnungen (S. 88–96): 1992 lag der hypothekarische Referenzzins bei Mietwohnungen bei 7, inzwischen liegt er bei 2,25 Prozent. Umgerechnet hätte in dieser Zeit also eine durchschnittliche Mietzinsreduktion von 39 Prozent (!) erfolgen müssen, was nicht geschehen ist. Zweitens soll neue Raumplanung nur mit tatsächlicher Mitbestimmung geschehen (S. 97-103): Das am 3. März 2013 angenommene Raumplanungsgesetz sieht vor, die Bauzonen zu verkleinern aber zu verdichten. Damit dieser Prozess nicht zu einer Wohnpolitik für Reiche mutiert, braucht es eine wirkliche Mitbestimmung der MieterInnen in der öffentlichen Raumplanung. Drittens sprechen sie sich gegen die Diktatur der GrundeigentümerInnen aus: Die GrundeigentümerInnen haben heute ein grosses Interesse daran, den Boden für den Bau neuer Wohnungen dann zur Verfügung zu stellen, wenn eine hohe Rente in Aussicht steht. Die Jagd nach hohen Bodenrenten soll durch ein öffentliches Enteignungsrecht gestoppt werden, mit dem Ziel, den Bau von öffentlichen und preiswerten Sozialwohnungen zu fördern.

Diese Forderungen unterbreiten die AutorInnen einer öffentlichen Diskussion, denn: «Die kollektive Bewegung der MieterInnen ist noch zu wenig entwickelt, um mit Sicherheit auf alle Fragen zu antworten. Zurzeit ist das wichtigste, zum Aufschwung der Bewegung beizutragen, indem ein Austausch und Koordinationsversuche zwischen den verschiedenen kämpfenden Gruppen entwickelt wird. Fortschritte können nur erzielt werden, wenn die unterschiedlichen Erfahrungen analysiert werden, mit all ihren Schwierigkeiten, Fehlern und Erfolgen.» (S. 70)

Jean-Michel Dolivo, Andrea Eggli, ­Anne-Gabrielle Frund, Catherine Mathez, Urs Zuppinger (2013): Crise du logement. Locataires et habitants prenez votre sort en main!  Lausanne: Éditions d’en bas. 128 Seite

Aus dem vowärts vom 14.März 2014. Unterstütze uns mit einem Abo.

«Für eine offene und solidarische Schweiz!»

demo_headerNach dem knappen Ja zur «Masseneinwanderungs-Initiative» droht den über 1,8 Millionen Menschen ohne Schweizer Pass eine massive Verschlechterung ihrer Rechte in der Schweiz. Dabei haben sie bisher wesentlich zu unserem gemeinsamen Wohlstand, unserer Lebensqualität und kulturellen Vielfalt beigetragen. Aufenthaltssicherheit und das Recht, mit der eigenen Familie zusammenleben zu können, sind wichtig für eine gute Integration. Dieses Menschenrecht gilt es mit grossem Engagement zu verteidigen. Wir wollen gute und geregelte Beziehungen zu unseren Nachbarn in Europa. Und wir wollen nicht auf einer nur für Reiche attraktiven Insel leben, die sich rundum abschottet und die Ärmeren diskriminiert.

Am 1. März rufen wir deshalb alle auf, diese Rechte auf dem Berner Bundesplatz einzufordern. Wir wollen:

  • solidarisch sein  mit allen Menschen unabhängig von ihrem Pass
  • uns wehren gegen jeden weiteren Abbau der Rechte von Migrantinnen und Migranten
  • die Wiedereinführung des unwürdigen Saisonniersstatuts mit allen Mitteln verhindern
  • gute und geregelte Beziehungen mit der Europäischen Union, damit auch die ausgewanderten SchweizerInnen in den EU-Staaten nicht diskriminiert werden
  • eine massvolle wirtschaftliche Entwicklung, die Bewahrung einer lebenswerten Umwelt und den Schutz von Löhnen und Arbeitsbedingungen mit innenpolitischen Massnahmen erreichen.
  • die demnächst zur Abstimmung gelangende und noch radikalere Ecopop-Initiative bekämpfen

Bündnis für eine offene und solidarische Schweiz —

Schwarzer Tag für die Schweiz

svpSchwarzer Tag für die Schweiz

Die PdAS ist zutiefst besorgt und enttäuscht über die Annahme der fremdenfeindlichen SVP-Initiative «Gegen Masseneinwanderung».  Völlig überrascht ist sie jedoch nicht. Der PdAS ist seit langem bewusst, dass die massive, millionenschwere und langjährige, penetrante Propaganda ihre Spuren hinterlässt.  Heute hat sie ihre faulen Früchte geerntet.

Es ist jetzt an der Zeit, einen konsequenten und kompromisslosen Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu führen. Ein Kampf der täglich geführt werden muss uns sich nicht auf Abstimmungen beschränken kann. Die PdAS fordert die im Parlament vertretenen Mittelinks-Parteien auf, eine konsequente Haltung  gegen Fremdenfeindlichkeit einzunehmen: Es ist unglaubwürdig, zuerst die Verschärfungen im Asylbereich zu akzeptieren und  dann die SVP-Initiative zu bekämpfen. Es ist eine Unglaubwürdigkeit, die das heutige Resultat mit Sicherheit beeinflusst hat.

Die PdAS steht seit ihrer Gründung für eine solidarische Schweiz ein. Wir werden nicht ruhen, bis mit der sozialistischen Gesellschaft  Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein Relikt düsterer, kapitalistischer  Vergangenheit sind.  Wir rufen alle fortschrittlichen Organisationen und Einzelpersonen auf, sich diesem Kampf anzuschliessen.

 

Rechtskonservativer Angriff abgelehnt

Erfreut  hingegen ist die PdAS über die Ablehnung der Initiative «Abtreibung ist Privatsache», die von äusserst rechtskonservativen Kreisen lanciert wurde. Bei einer Annahme der Initiative wären die Frauen mit einem geringen oder gar keinem Einkommen die grössten Verliererinnen gewesen.  Die soziale Diskriminierung, die sich mit dem neoliberalen Deckmäntelchen «Eigenverantwortung» tarnt, trifft gerade im Gesundheitswesen vorwiegend Frauen. Die InitiantInnen versuchten mit dem Credo der «Eigenverantwortung» die angestrebte Zweiklassenmedizin zu legitimieren. Dass es ihnen aber um soziale Ausgrenzung ging, ist offensichtlich. Die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper ist ein Grundrecht jeder Frau, unabhängig des sozialen Status und ist für die PdAS unantastbar!

Öffentlicher Verkehr

Positiv ist auch das Ja zum Bundesbeschluss über die «Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur» (FAES).  Es ist ein wichtiger Entscheid, der die  ökologische und sinnvolle Mobilität fördert. Wichtig ist nun, dass von den Investitionen möglichst viele Menschen profitieren können. Daher fordert die PdAS kurzfristig einen möglichst niederschwelligen Zugang und längerfristig einen kostenlosen öffentlichen Verkehr für alle – und gute Arbeitsbedingungen für jene, die den Ausbau des Schienennetzes ausführen.

Partei der Arbeit der Schweiz

 

Protestwelle in Bosnien-Herzegowina

Bosnien

Protestwelle in Bosnien-Herzegowina: Die Regierung erhält die Quittung für ihre neoliberale, korrupte Politik.

Monatelang ohne Lohn und dann die Schliessung des Betriebs, nachdem dieser vor wenigen Jahren privatisiert wurde! So geschehen in der Industriestadt Tuzla. Die mit rund 120 000 EinwohnerInnen drittgrösste Stadt in Bosnien und Herzegowina war in den vergangenen Jahren nach der Privatisierung von Unternehmen besonders stark von Fabrikschliessungen und Arbeitslosigkeit betroffen. Ein Beispiel: Die ArbeiterInnen des Chemiebetriebs «DITA» haben seit 14 Monaten keinen Lohn mehr bekommen! Zudem droht jetzt der Betrieb mit der Insolvenz. Bereits Ende 2012 kam es zu ersten Protesten und Streiks. Es folgten Versprechungen seitens der Regierung, der Parteien und der Gewerkschaften. Auf die schönen Worte folgten jedoch keine Taten.

Genug ist genug, sagten sich Tausende von ArbeiterInnen am Dienstag, 4. Februar, und demonstrierten in Tuzla für ihre Rechte. Sie lösten mit ihrem berechtigten Kampf eine landesweite Protestwelle gegen die korrupte Regierung aus. Die verständliche Wut in der Bevölkerung richtet sich gegen die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe, Arbeitslosigkeit, Armut und die mangelnden Zukunftsperspektiven in dem früheren Bürgerkriegsland. Offiziellen Statistiken zufolge sind in Bosnien-Herzegowina 45 Prozent ohne Job. Das sind über 550 000 Menschen. Ein Fünftel der rund 3,7 Millionen EinwohnerInnen lebt unter der Armutsgrenze.

Die Partei der Arbeit Jugoslawiens ist im Moment die einzige Gruppierung, die sich über alle ehemaligen Teilrepubliken erstreckt. Sie schreibt in ihrer Stellungnahme: «Die Ereignisse in Tuzla und in den anderen Teilen von Bosnien und Herzegowina zeigen uns, dass die Zeit vorbei ist, in der die Mächtigen in der Lage waren, das Volk zu manipulieren. Dies mit Hilfe der nationalistischen Rhetorik, um die eigenen Interessen zu erfüllen.»

Der Aufstand ist nun die logische Konsequenz aus der neoliberalen und nationalistischen Politik der zwei Teilrepubliken des Landes, die sich stets im Interesse des Kapitals gehandelt haben. Ganz dem Credo des Neoliberalismus folgend und gehorchend, wurden auftragsstarke Fabriken zu minimalen Preisen veräussert und Privatschulden verstaatlicht. Ganz nach dem Motto: Die Gewinne privatisieren, die Verluste verstaatlichen. Dafür erhält die Regierung nun die Quittung.

Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) solidarisiert sich mit den kämpfenden ArbeiterInnen und mit allen Menschen in Bosnien und Herzegowina, die gegen die neoliberale, korrupte Politik protestieren und für ihre Rechte auf die Strasse gehen. Die PdAS wünscht dem Volk in Bosnien und Herzegowina eine rasche und vor allem friedliche Lösung des Konflikts, der einzig und alleine von der aktuellen Regierung zu verantworten ist. Der einzige Weg dazu ist, dass die Regierung endlich die Interessen der breiten Bevölkerung ins Zentrum setzt und nicht mehr jene des Kapitals mit seinen neoliberalen Raubzügen.

Es lebe die internationale Solidarität!

Partei der Arbeit der Schweiz

 

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