Kommentar: Vom Verständnis

Der Nazi-Aufmarsch in Dresden konnte aufgehalten werden, doch kann man sich kaum darüber freuen. Die Polizei zog am Samstag alle Register ihrer Machtmittel: Schlagstock und Pfefferspray nehmen sich noch harmlos aus neben verschossenen „Pepperballs“ und Wasserwerfern. Das Traurige daran ist, dass diese Waffen nicht gegen Nazis, wohl aber gegen Antifaschisten gerichtet wurden. Da zeigt sich, dass man nichts begriffen hat. Man schiesst, man schlägt auf die, die die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen. Geschützt werden die wahren Verbrecher dieser Tage und man macht sich willentlich zum Helfer einer unmenschlichen Ideologie. Dabei ist es egal, ob es kruder Befehlsgehorsam ist, oder doch nur ein persönlicher Wunsch nach Gewalt, der die Polizisten am Samstag antrieb. Gezeigt hat sich, dass es heute nicht nur den Faschismus der extrem Rechten gibt, sondern auch den Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft – jenen Faschismus, der sich darin ausdrückt, dass man auf friedliche Demonstranten schlägt. Und auch der Presse darf gesagt werden, dass sie es nicht Verstand, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Weshalb finden wir kein Wort über die ungerechtfertigte Gewaltanwendung der Polizei? Weshalb kein Wort von den verletzten Demonstranten der Blockaden? Dafür lange Berichte über eine Minderheit aus Autonomen. Dafür ein verzerrtes Bild des Geschehens, dafür eine weitere Hetze gegen Linke.

Wir aber – wir haben verstanden. Wir konnten den Zweck der Polizei sehen und spüren. Es gab keine strategische Notwendigkeit, auf Gewalt zurückzugreifen; vermutlich gab es nicht einmal eine rechtliche Grundlage. Und doch erfüllt die Brutalität ihren Zweck – wir sehen es jetzt deutlich. Fernab vom konkreten Geschehen dient sie der Abschreckung. Es soll keine Solidarität mit der Linken geben, keinen Zulauf denen, die sich noch für Menschlichkeit einsetzen. Wieso waren kaum ältere Personen auf den Blockaden? Weil absehbar war, dass man in Gewalt verwickelt werden würde. Wieso denkt die Mehrheit schlecht über die Linken? Weil „Chaoten und Gewaltbereite“ alles ist, was man in den Medien über sie hört. So ergibt sich ein erstaunliches Zusammenspiel von Polizeieinsatz und Zeitungsbericht. Ob das nun geplant ist oder sich zufällig ergibt, ist egal – es erfüllt seinen Zweck. Wir aber dürfen sagen: Wir haben es verstanden. Wir werden darauf eine Antwort finden.

Dresden gerettet!

„Europas grösster Nazi-Aufmarsch“ verwandelte sich am Samstag in „des Nazis grösste Schlappe“. Die rund 2.000 Rechtsextremen wurden von 20.000 Gegendemonstranten erwartet und am Bahnhof festgehalten. Schliesslich mussten die Nazis unverrichteter Dinge abziehen. Dabei schwankte Dresden zwischen friedlichen Protesten, Barrikadenbau und Polizeigewalt.

Vom effektiven Widerstand

Schon im letzten Jahr war es gelungen, den Nazi-Aufmarsch durch Dresden zu verhindern. Mit diesem Erfolg im Rücken rief das Aktionsbündnis „Dresden Nazifrei“ wiederum zu friedlichen Massenprotesten und Blockaden auf. Zwischen 12.000 und 20.000 Demonstranten kamen daraufhin nach Dresden und vereitelten – ein weiteres Mal! – den Aufmarsch der Neo-Faschisten. Schon relativ früh konnte ein erster Erfolg gefeiert werden: Während im letzten Jahr noch ca. 8.000 Nazis anreisten, kamen dieses Jahr nurmehr 2.000. Offenbar hatte die Blockade des letzten Jahres den Nazis die Lust geraubt, sich bei Kälte die Füsse plattzustehen.

Allerdings hatten sich die Bedingungen auch für die Antifaschisten im Vergleich zum letzten Jahr verschlechtert: Die Polizei hatte den Auftrag, eine strikte Trennung von Faschisten und Antifaschisten durchzusetzen. Geplant war es, die beiden Gruppen auf je einer Seite der Elbe zu halten. Es war allerdings schnell klar, dass der Plan zum Scheitern verurteilt war: Bereits am Vormittag gelang es den Antifaschisten auf die Südseite der Elbe zu kommen und dort die Marschroute der Nazis zu besetzen. Durch mehrere Blockadepunkte konnte so die Demonstration der Nazis verhindert werden. Wohlgemerkt: Es ist dieser Widerstand allein, der es vermochte, die Nazis aufzuhalten. Von bürgerlicher Seite war eine „Lichterkette“ veranstaltet worden; eine Form des Protests, die durch ihre Nutzlosigkeit besticht, da sie die Nazis an ihrem Vorhaben nicht hat hindern können.

Ein Wort über die Demonstranten: Es lässt sich eine relative Homogenität der Demonstrierenden feststellen. Die überwältigende Mehrheit der Demonstranten war unter 30 und ist im linken Spektrum einzuordnen. Antifa-Anhänger, einige Gewerkschaftler, Mitglieder der DKP und MLPD, Linksautonome und Jung-Grüne sowie Jusos bestimmten das Bild der Blockaden. Es waren auch Vertreter etablierter Parteien anwesend : am zahlreichsten wohl die der deutschen „Linken“, daneben einige wenige Grüne und SPD-Mitglieder. Bemerkenswert ist, dass nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Chile (!), der Türkei und anderen, europäischen Ländern Antifaschisten angereist sind. Aus der Schweiz kam eine Delegation des „revolutionären Aufbaus“ und der PdA, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.

Polizeigewalt

In der bürgerlichen Presse wird das Bild von den „randalierenden Autonomen“ suggeriert. Doch dieses Bild ist unvollständig und irreführend. Es muss ergänzt werden um die Gewalt, die von Seiten der Polizei gegenüber den friedlichen Demonstranten verübt wurde. Schon vor Beginn der Blockaden wurde Repression angewandt: Hunderte von Demonstranten wurden auf der Autobahnzufahr nach Dresden gezwungen, ihre Busse zu verlassen und bei Schnee und Minustemperaturen zu Fuss zu gehen. Allein diese Wanderung dauerte bereits zwei Stunden und witterungsbedingt kam es auch zu einem Unfall, der von Sanitätern behandelt werden musste. Geradezu zynisch ist allerdings die Reaktion der Polizei auf den aufgezwungenen Marsch: Er wurde als unbewilligte Demonstration gewertet und dementsprechend wurden die Marschierenden von der Polizei in Dresden eingekesselt. Ein Wasserwerfer fuhr auf und man machte grosszügigen Gebrauch von Pfefferspray und Schlagstock. Es sei hier angemerkt, dass sich kein Demonstrant wehrte, dass keine Provokation von den Demonstranten ausging, dass es aber dennoch zu Verhaftungen und Verletzten kam!

Diese ungerechtfertigte Gewalt der Polizei gegenüber den Demonstrierenden setzte sich auch an den Blockadepunkten fort. Einerseits wurde der Zugang zu den Punkten von der Polizei abgeriegelt – wer hindurch wollte wurde (der Autor dieser Zeilen durfte es selbst erfahren) wüst beschimpft, geschubst oder geschlagen. Andererseits tat die Polizei ihr Menschenmögliches, um die Blockierenden zu drangsalieren. Wer nicht sass, durfte damit rechnen, herausgezerrt zu werden. Menschen, die einfach nur herumstanden, wurden mit Pfefferspray und dem Schlagstock bearbeitet. Dergestalt sind die, die sich als „Freund und Helfer“ des Volkes ausgeben!

Berichte von anderen Blockadepunkten sprechen eine ähnliche Sprache: Gewaltsame Auflösung, Einsatz von Gummiknüppel und Tränengas. Möglich wurde diese Gewalt durch ein riesiges Polizeiaufkommen. Gezählt wurden sieben Polizeihubschrauber, mehrere Dutzend Wagen und Transporter – es sollen bis zu 4.500 Polizisten im Einsatz gewesen sein. (Man beachte: 4.500 Polizisten auf 2.000 Nazis!) Halten wir an dieser Stelle also fest, dass die absolute Mehrheit der Demonstranten friedlich war, dass es aber auch für sie keine friedliche Demonstration geben konnte: Die Polizei machte dies schier unmöglich. Ihre Gewalt provozierte, ohne provoziert worden zu sein. Umso erstaunlicher also die Friedfertigkeit der meisten Demonstranten; umso erstaunlicher ihr Beharren auf den Blockaden.

Selbstkritik

Hier soll nicht ein weiteres verzerrtes Bild entstehen, denn gesagt werden muss auch, dass es am Samstag auch Gewalt gab, die nicht von der Polizei ausging. Aus zwei Quellen kam sie: Teile der Nazis randalierten in einem Vorort von Dresden, schlugen dabei Fenster ein, warfen Flaschen und skandierten Slogans wie „Wir töten euch alle!“. Erstaunlich aber ist, dass dies von der Polizei beobachtet wurde und dennoch ungestraft blieb.

Auf der anderen Seite gab es Aktionen von linken Autonomen. Barrikaden wurden errichtet und angezündet, Steine wurden geworfen und ein Brand in einer alten Fabrikanlage gelegt. Diese Aktionen müssen thematisiert werden. Sie erscheinen deplatziert: Am Samstag waren sie sowohl taktisch wie auch politisch falsch. Taktisch, weil Barrikaden an Stellen errichtet wurden, die nicht von den Nazis durchquert werden sollten und auch der Fabrikbrand nützte wirklich niemandem. Politisch waren die Aktionen falsch, weil sie den brüchigen Frieden zwischen parlamentarischen Parteien (Linke, Grüne) und den Demonstranten gefährden, der nötig war und ist, um die Aktionen gegen Nazis zu koordinieren. Ausserdem lieferten diese Gewaltakte der bürgerlichen Presse die Chance, nicht nur den Nazi-Aufmarsch zu kritisieren, sondern auch Stimmung gegen Linke zu betreiben. Gewalt in dieser Form muss, wenn sie angewandt wird, gut überlegt sein – am Samstag war sie es nicht.

Ein Fazit

Was vom Samstag bleibt, ist ein zwiespältiges Bild von Polizei und Berichterstattung. Darüber darf aber eines nicht vergessen werden: Die Nazis konnten nicht aufmarschieren, sie durften in Schnee und Kälte stundenlang stehen und es bleibt zu hoffen, dass dies ihr letzter Aufmarschversuch in Dresden war. Man muss es so sagen: Dresden wurde gerettet! Gerettet von linken Antifaschisten mit Gewissen, nicht von Bürgerlichen mit Lichterketten.

Bahrains Märtyrer

Nachdem vier Menschen bei einem Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Bahrain umgekommen sind, versammelten sich gestern 15.000 Demonstranten, um dem Begräbnis der Toten beizuwohnen. Dabei hatte das Begräbnis einen politischen Charakter: Gefordert wurde der Sturz des Regimes. Aber auch die herrschende Klasse konnte 15.000 Gegendemonstranten mobilisieren.

Ein wütendes Begräbnis

In der Nacht auf den Donnerstag richtete die Polizei Bahrains ein Blutbad unter den Demonstranten der Hauptstadt Manama an. Vier Menschen starben und mehr als 40 weitere wurden verletzt. Dabei erschreckt besonders die Planmässigkeit des Polizeieinsatzes. Es verwundert also nicht, dass das Begräbnis, an dem 15.000 Menschen teilnahmen, von einer Atmosphäre zwischen Wut und Trauer geprägt war. Immer häufiger ertönen nun die Stimmen, die den Sturz des herrschenden Regimes fordern.

Interessant ist auch, dass andernorts die zynische Präzision der Polizei kritisiert wurde. In seinem Freitagsgebet sprach der einflussreiche schiitische Geistliche Scheich Issa Kassim den Polizeieinsatz an und nannte ihn ein „grosses Massaker“. Auch ihm erschien das Schiessen auf Demonstranten als geplanter Akt der Regierung.

Reaktionen des Regimes

Das Begräbnis selbst verlief friedlich. Dennoch waren überall Polizisten anwesend und auch der Lulu-Platz, auf dem die meisten Demonstrationen stattfinden, wurde wieder von Soldaten besetzt und abgeriegelt. Weiterhin hat man eine grosse Gegendemonstration organisiert und ca. 15.000 Königsanhänger auf die Strasse bringen können. Das lässt wenig Zweifel daran, dass die herrschende Riege in Bahrain nicht bereit ist, sich von den entschiedenen Protesten einschüchtern zu lassen.

Gleichzeitig dürfen sich König und Regierungschef in Bahrain mächtiger Unterstützung gewiss sein: Kuwait, Saudi-Arabien, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar versicherten auf einem Aussenministertreffen in Manama, dass man hinter Bahrain stehe, wenn dessen „Stabilität und Sicherheit“ gefährdet sei. In der Übersetzung heisst das: Bei der Niederschlagung der Proteste darf sich Bahrain auf die Solidarität der genannten Staaten verlassen, wohl auch deshalb, weil sie Aufstände im eigenen Land fürchten.

Unruhen bei Präsidenten-Besuchen in Oaxaca und Chiapas

Die Bilder von Polizeireihen und dagegen anstürmenden Demonstranten in Oaxaca-Stadt erinnern an 2006: Oaxaca befindet sich erneut im Aufruhr. Mehrere Personen erlitten Schussverletzungen, zehn wurden schwer verletzt.

Mexikos Präsident Felipe Calderón kam am Dienstag, 15. Februar zu Besuch und weihte im Beisein des neuen Gouverneurs Gabino Cué einen neuen Sitz der Privatuniversität La Salle ein. Erst am Vortag hatte der Präsident bekannt gegeben, dass die Unterrichtsgebühren der privaten Bildungseinrichtungen von den Steuern abgezogen werden können. Ein Steuergeschenk an die Reichen in der Höhe von schätzungsweise 800 Millionen EuroGegen diese neoliberale Politik gingen die Gewerkschaftsmitglieder der Sektion 22 der LehrerInnengewerkschaft auf die Strasse: „Wir protestieren gegen den Besuch von Felipe Calderón Hinojosa, welcher die Unternehmer unterstützt und weiter das Land zerstört, zum Vorteil seiner Machtclique“. Bei den Auseinandersetzungen im historischen Zentrum wurden mehrere Personen verletzt, darunter auch drei Journalisten Der letzte Besuch des Präsidenten im Süden des Landes galt vor vierzehn Tagen den Tourismusprojekten in Chiapas. Auch da wurden Proteste gewaltsam unterdrückt. Nur Stunden nach dem Besuch von Calderón forderte eine Auseinandersetzung zwischen PRI-Aktivisten und der zapatistischen „anderen Kampagne“ im Touristenort Agua Azul ein Menschenleben.

Update Oaxaca

Die Auseinandersetzungen begannen um elf Uhr Ortszeit und dauerten bis in den Abend. Es wurden mindestens 15 Personen verletzt, darunter ein Journalist mit einem Beinschuss sowie der ehemalige APPO-Sprecher und Gewerkschafter Marcelino Coache. Dieser wurde von der Polizei mit einem aus nächster Nähe abgefeuerten Tränengaspetarde am Kopf schwer verletzt.

Die Mahnungen zur Besonnenheit von Seiten der Gewerkschaftsleitung fruchteten in dieser Situation wenig. Drei Polizistinnen wurden von den Lehrern mehrere Stunden festgehalten. Am Nachmittag gingen ein Polizeilastwagen und ein Hotel in Flammen auf. Zudem wird vermutet, dass mehrere Flugzeuge mit Bundespolizei aus Mexiko-Stadt in Richtung Oaxaca unterwegs sind. Die Ereignisse sind mindestens so gravierend wie die Unruhen am 14. Juni 2006, nur dass inzwischen von Seiten der „Sicherheitskräfte“ scharf geschossen wird und auch eine Karawane von Mannschaftswagen der Armee im Zentrum gesichtet wurde.

Die soziale Explosion kam überraschend. Ein Beobachter meinte, die Leute seien vom Konflikt 2006 immer noch verletzt und erwarteten alles andere als einen bewaffneten Angriff der neuen Regionalregierung (PRD-PT-PAN). Politisch ist der heutige Tag die Bankrotterklärung der Links-Rechts-Koalition Oaxacas, welche von den Parteien als Erfolgsrezept gegen den erstarkenden PRI verkauft wird, insbesondere im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen von 2012,

Quelle: www.amerika21.de

Der Kampf geht weiter!

In Bahrain, in Libyen, im Jemen – der Kampf um Demokratie und gegen Diktatur im arabischen Raum ist noch nicht vorbei. Besonders im Königreich Bahrain spitzt sich die Lage zu: In der Nacht auf den Donnerstag wurden drei Demonstranten von Spezialkräften der Regierung getötet. Ermutigt von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten fordert man auch in Bahrain den Rücktritt des herrschenden Regimes.

Bahrain: 20.000 von einer Million

Bis zu 20.000 Menschen sollen in Bahrain bereits am Mittwoch auf die Strasse gegangen sein, um der Beerdigung eines getöteten Demonstranten beizuwohnen. Das auch dies bereits eine starke Mobilisierung darstellt, zeigt ein Blick auf die Bevölkerungszahl Bahrains: Bahrain ist eines der kleinsten arabischen Länder und besitzt nur eine Population von einer Million Menschen. Die Forderungen der Demonstranten schwanken zwischen dem Wunsch nach Reformen und der Forderung nach dem sofortigen Rücktritt des Regimes. Dieses besteht insbesondere aus dem Regierungschef Scheich Chalifa ibn Salman Al Chalifa.

Ein organisiertes Blutbad

In der Nacht zum Donnerstag kam es dann zur Katastrophe: Drei Menschen wurden von Polizeikräften getötet. Dabei fällt insbesondere die Brutalität und Planmässigkeit des Polizeieinsatzes auf. Tausende Demonstranten hatten in der Hauptstadt Manama ausgeharrt. Dann aber wurden die Demonstranten von Polizeitruppen umstellt. Ohne Vorwarnung eröffneten diese das Feuer auf die Menschen. Danach verfolgte die Polizei die in Panik fliehenden Menschen und streckte sie mit Gummiknüppeln nieder. So richtete die staatliche Repression in jener Nacht ein Blutbad an, dem drei Menschen zum Opfer fielen und in dem mehrere Dutzend verletzt wurden.

Man kann nur vermuten, wie der weitere Verlauf der Proteste aussehen wird. Allerdings wird eine Radikalisierung der Proteste umso wahrscheinlicher, wie auch das Regime zu immer radikaleren Mitteln greift, um sie aufzulösen. Eines ist klar: Was sich in jener Nacht zeigte, war die blanke, berechnende Gewalt der Herrschenden gegen „ihre“ Völker, die nur dem einen Zweck dient, die eigene Herrschaft zu sichern. Grossartige Proteste aus dem Westen sind nicht zu erwarten, denn Bahrain zählt zu den öl-exportierenden Staaten – und wer wüsste nicht, wie das Verhalten des Westens gegenüber solchen Ländern aussieht?

Demonstrationen auch im Jemen und in Libyen

Auch im Jemen und in Libyen sind Demonstrationen an der Tagesordnung. Im Jemen demonstrieren noch immer Tausende gegen das Regime um Ali Abdullah Saleh. Auch dort kam es zu „Zusammenstössen“ mit der Polizei, die zu einem Toten führten. In Libyen wurden Proteste ebenfalls mit Wasserwerfer und Gummiknüppel beendet. Das Resultat: 4 Tote.

All das lässt nur den Schluss zu, dass man mit Diktatoren eben nicht reden kann. All das das zeigt auf, wie berechtigt die Demonstrationen der Völker gegen ihre Unterdrücker sind. Bewundernswert ist der Kampfeswille der Menschen im arabischen Raum ohnehin; jetzt jedoch stellt sich die Frage, wie internationale Solidarität praktisch geäussert werden kann. Eine Frage, die jeder Linke für sich klären sollte.

Wo ist Berlusconi?

Nach der Affäre mit der minderjährigen Ruby wird es nun eng für den Cavaliere. Und seit feststeht, dass ihm der Prozess gemacht wird, ist von ihm nichts mehr zu hören oder sehen. Politisch ist er aber nicht besiegt – noch nicht?

6. April, 9.30 Uhr. Auf diesen Zeitpunkt hat die Mailänder Ermittlungsrichterin Cristina Di Censo den Prozessauftakt im «Rubygate» festgelegt. Sie hat am 15. Februar entschieden, dass die Hauptverhandlung gegen Regierungschef Silvio Berlusconi im Schnellverfahren durchzuführen ist. Berlusconi wird des Amtsmissbrauchs und der Prostitution mit Minderjährigen anklagt. Er soll eine sexuelle Beziehung mit der damals 17-jährigen Ruby unterhalten haben, und er soll diese unter Missbrauch seines Amts aus Polizeigewahrsam befreit haben. Pikant: Drei Richterinnen werden sich mit dem Fall befassen.

Berlusca wankt, nicht zum ersten Mal, doch Ruby Rubacuori (die Herzensbrecherin), wie die junge Frau sich gerne nennen lässt, könnte für den Medienfürsten zum Stolperstein werden. Seit klar ist, dass Berlusconi vor Gericht muss, ist er spurlos untergetaucht. Italien rätselt und die Opposition hofft, dass Berlusconi endlich seinen Rücktritt bekannt gibt. An der Zeit wäre es. Doch eine Tatsache bleibt: Falls Berlusconi geht, wurde er auf juristischem Weg gestürzt. Politisch wurde er nicht besiegt. Ein Fakt, der bei den nächsten Wahlen – wann immer sie stattfinden werden – ins Gewicht fallen wird.

Dresden

Der folgende Artikel wurde von Ulrike Meinhof geschrieben und 1965 in der „konkret“ veröffentlicht.

Vor zwanzig Jahren, am 13. und 14. Februar 1945, in der Nacht von Fastnachtsdienstag auf Aschermittwoch, ist der größte Luftangriff der alliierten Bomberkommandos im Zweiten Weltkrieg auf eine deutsche Stadt geflogen worden: Der Angriff auf Dresden. Dreimal innerhalb von 14 Stunden wurde die Stadt bombardiert. Von 22 Uhr 13 bis 22 Uhr 21 dauerte der erste Schlag. Als die englischen Bomber abflogen, hinterließen sie ein Flammenmeer, das über 80 Kilometer weit den Himmel glühend machte. Der zweite Schlag erfolgte von 1 Uhr 30 bis 1 Uhr 50 . Die abfliegenden Bomber haben das Feuer von Dresden über 300 Kilometer weit beobachten können. Den dritten Angriff flog ein amerikanisches Bombergeschwader am nächsten Vormittag zwischen 12 Uhr 12 und 12 Uhr 23.

Über 200 000 Menschen sind in den Flammen von Dresden umgekommen. Der Engländer David Irving schreibt in seinem Buch „Der Untergang Dresdens“: „Zum ersten Male in der Geschichte des Krieges hatte ein Luftangriff ein Ziel so verheerend zerstört, daß es nicht genügend unverletzte Überlebende gab, um die Toten zu begraben.“

Dresden hatte 630 000 ständige Einwohner. Als es zerstört wurde, hielten sich über eine Million Menschen in dieser Stadt auf. Man schätzt 1,2 bis 1,4 Millionen. Flüchtlinge aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen, Evakuierte aus Berlin und aus dem Rheinland, Kindertransporte, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Dresden war eine Sammelstelle für genesende und verwundete Soldaten. Dresden hatte keine Rüstungsindustrie. Dresden war eine unverteidigte Stadt ohne Flak und ohne Luftabwehr. (sic!) Dresden galt in ganz Deutschland als eine Stadt, die nicht bombardiert werden würde. Es gab Gerüchte, wie: Die Engländer würden Dresden schonen, wenn Oxford nicht angegriffen würde – oder: Die Alliierten würden Dresden nach dem Krieg zur deutschen Hauptstadt machen und deshalb nicht zerstören. Es gab noch mehr Gerüchte, aber vor allem konnte sich kein Mensch vorstellen, daß eine Stadt, die täglich neue Krankenhäuser und Lazarette einrichtete, in die täglich Hunderttausende von Flüchtlingen, hauptsächlich Frauen und Kinder, einströmten, bombardiert werden würde.

Militärisch interessant an Dresden war höchstens ein größerer Güter- und Truppenumschlagbahnhof. Aber in den drei Angriffen, als man zuerst Sprengbomben abwarf, um Fenster zum Platzen zu bringen und Dächer zum Einsturz, um Dachstühle und Wohnungen den folgenden Brandbomben um so schutzloser auszuliefern, als das alles planmäßig mit höchster Präzision ablief, da wurde dieser Bahnhof kaum getroffen. Als Tage darauf Berge von Toten in den Bahnhofshallen aufgeschichtet wurden, waren die Gleise schon wieder repariert. – Dresden hat sieben Tage und acht Nächte lang gebrannt.

Man hatte den englischen Soldaten, die die Angriffe geflogen haben, nicht die Wahrheit gesagt. Man hat gesagt: Ihre Flotte greift das Oberkommando des Heeres in Dresden an. Man hat gesagt, Dresden sei ein wichtiges Nachschubzentrum für die Ostfront. Man hat gesagt, das Angriffsziel sei ein Gestapo-Hauptquartier im Stadtzentrum, ein wichtiges Munitionswerk, ein großes Giftgaswerk. – Schon 1943 hatte es in der britischen Öffentlichkeit Proteste gegen die Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung gegeben. Der Bischof von Chichester, der Erzbischof von Canterbury, der Kirchenpräsident der Church of Scotland erhoben ihre Stimme. Ihnen aber ebennso wie einem Labourabgeordneten im englischen Unterhaus wurde gesagt, das sei nicht wahr, daß ein Befehl ergangen wäre, Wohngebiete statt Rüstungszentren zu zerstören. Es ist der englischen Regierung unter ihrem Premierminister Sir Winston Churchill bis zum Ende des Krieges, bis März 45, gelungen, den tatsächlichen, absichtlichen, planmäßigen Charakter der britischen Bomberangriffe auf deutsche Städte geheimzuhalten. Dresden war der Höhepunkt dieser Politik. Dresden ging in Schutt und Asche, zwei Jahre nachdem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad entschieden worden war. Als Dresden bombardiert wurde, standen die sowjetischen Truppen schon an der Oder und Neiße, lag die Westfront am Rhein. Der Oberbefehlshaber der Royal Air Force, Sir Arthur Harris, der den Einsatz gegen Dresden geleitet hatte, ging ein Jahr danach, am 13. Februar 1946, in Southhampton an Bord, um das Land zu verlassen, das nicht mehr bereit war, seine Verdienste zu würdigen. Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Öffentlichkeit die Wahrheit über Dresden. Den Tätern wurde der Ruhm versagt, der ihnen von den Regierenden versprochen worden war. Hier und dort.

In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekämpfen vorgab und wohl auch bekämpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, für die es keine Rechtfertigung gibt.

Wenn es eines Beweises bedürfte, daß es den gerechten Krieg nicht gibt – Dresden wäre der Beweis. Wenn es eines Beweises bedürfte, daß der Verteidigungsfall zwangsläufig zu Aggression entartet – Dresden wäre der Beweis. Wenn es eines Beweises bedürfte, daß die Völker von den kriegführenden Regierungen selbst mißbraucht werden, selbst degradiert werden zu Vorwand und Opfer der angewandten Barbarei – Dresden wäre der Beweis. Daß an der Bahre Sir Winston Churchills das Stichwort Dresden nicht gefallen ist, legt den Verdacht nahe, Dresden sollte immer noch dem Volk angelastet werden, das doch selbst betrogen worden ist. Es ist der gleiche Takt, den die Bundesregierung praktiziert, wenn sie die Verjährungsfrist für in der NS-Zeit begangenen Mord nicht aufhebt. Wer die Täter nicht denunziert, denunziert aber die Völker.

Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!

Gemeinsame Erklärung Deutscher und Tschechischer Widerstandskämpfer gegen den Hitlerfaschismus zum geplanten Neonaziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden.

Mit grosser Sorge verfolgen wir das Wiedererstarken des Rechtsradikalismus und insbesondere des Neofaschismus in Deutschland. Es ist besorgniserregend, dass Neonazis offen und vielfältig ihre menschenverachtenden Ideen und Auffassungen unter dem Mantel der Demokratie zur Schau stellen können, während Antifaschisten, die sich diesem braunen Spuk in den Weg stellen, kriminalisiert werden. Dass dabei das Gedenken an die barbarischen Bombenangriffe vom 13. Februar 1945 auf Dresden missbraucht wird, macht uns besonders nachdenklich.
Dafür sind Millionen Kameraden nicht in den faschistischen Konzentrationslagern in den Tod gegangen, haben unzählige Widerstandskämpfer während der braunen Barbarei nicht Folter und Tortouren überstanden, ohne ihren Glauben an Demokratie und Menschlichkeit, an eine bessere Zukunft, ein friedliches Miteinander, zu verlieren!

Getreu dem Schwur unserer Kameraden von Buchenwald werden wir nicht eher ruhen, bis der Faschismus mit seinen Wurzeln ausgerottet und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit errichtet ist.

Wir rufen deshalb alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich den Neonazis in Dresden entschlossen entgegen zu stellen. Verhindert mit allen demokratisch legitimierten Mitteln den Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 durch Dresden! Dresden soll nazifrei werden! Protest ist das Gebot der Stunde.

Prof. Hans Lauter, Ehrenvorsitzender der VVN-BdA, Zuchthaus, Moorsoldat
And?la Dvo?áková, Präsidentin ?SBS
Frido Seydewitz, Ehrenvorsitzender des VVN-BdA Sachsen, Emigration, GULAG
Libuše Nachtmannová, Überlebende KZ Ravensbrück
Ruth Burse, Überlebende KZ Theresienstadt
Vojmir Srde?ny, Überlebender KZ Sachsenhausen
Justin Sonder, Überlebender KZ Auschwitz
Antonín Hnili?ka, Überlebender KZ Mauthausen

Der humanitäre Notstand der EU

Seit dem Sturz des tunesischen Regimes fliehen Tausende von Menschen auf die italienische Insel Lampedusa. Um dem Flüchtlingsstrom zu begegnen, forderte Italien die Hilfe der EU. Heute findet ein „Europäischer Polizeikongress“ statt, auf dem auch der Direktor der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Ilkka Laitinen, erwartet wird. Dabei sind die Fronten schon klar gezogen.

Die Vergangenheit: Ein Pakt zwischen Teufeln

In Zeiten, da die tunesische Diktatur unter Ben Ali noch bestand, schien für die EU alles gut. Italien hatte mit dem Regime ein Abkommen über die „Flüchtlingsabwehr“ geschlossen. Der Flüchtlingsstrom versiegte, denn die tunesische Regierung liess die Seewege mit Patrouilleschiffen bewachen und sagte zu, Flüchtlinge wieder ins eigene Land aufzunehmen. Da man mit Staaten wie Lybien und Ägypten ähnliche Verträge geschlossen hatte, war der Erfolg einschneidend: Innerhalb eines Jahres sank die Zahl der Flüchtlinge, die auf der italienischen Insel Lampedusa landeten, von 20.000 auf gut 400. Auch in dieser Hinsicht dienten die Diktaturen im arabischen Raum also zur Erhaltung von EU-Interessen.

Die Gegenwart: Vom „humanitären Notstand“

Nach dem Sturz der tunesischen Diktatur – nun wohl bitter bedauert vom EU-Personal – wurden die Verträge nicht weiter eingehalten. Man weigerte sich, Flüchtlinge ins eigene Land zurückzuführen und auch die Kontrolle der Fluchtwege wurde kaum mehr betrieben. So kamen, vom Mittwoch bis zum Sonntag letzter Woche, etwa 5.000 Flüchtlinge aus Tunesien in Italien an. Daraufhin erklärte Italien den „humanitären Notstand“. Dieser besteht in der Tat: Da man sich weigert, die Flüchtlinge ins Landesinnere zu lassen, sind die Notunterkünfte Lampedusas hoffnungslos überfüllt. So hat der Präfekt von Palermo, unter dessen Zuständigkeitsbereich Lampedusa gehört, „Sondervollmachten“ bekommen und der Zivilschutz wurde eingeschaltet. Damit nicht genug: Italien wollte sogar eigene Soldaten in Tunesien stationieren, um der Flüchtlinge Herr zu werden. Dieses Vorgehen wurde aber von Tunesien scharf zurückgewiesen.

Die Zukunft: Die Schotten dicht machen?

Inzwischen scheint die neue tunesische Regierung dem Druck nachgegeben zu haben. Gestern berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tunesiens, dass bereits möglichst viele Fluchtwege blockiert worden seien. Darüber hinaus trifft sich heute in Berlin der EU-Polizeikongress. Auf diesem wird auch der Direktor von Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, erwartet. Vor dem Treffen zeichnen sich die Fronten bereits klar ab: Die bürgerlich-rechten Parteien, insbesondere die deutsche CDU/CSU pocht auf eine Ausweitung der Befugnisse von Frontex, damit Flüchtlingswellen schon auf dem Seeweg abgefangen werden können. Auch im Gespräch: Besonders „fahrlässige“ Staaten (will heissen: Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen) sollen aus dem Schengen-Verbund ausgeschlossen werden. Dies fordert etwa der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU). Die Argumentation spricht eine deutliche Sprache: Es sei „nicht Aufgabe des Asylrechts, Wirtschaftsmigranten in die EU zu lassen“. Schon erstaunlich, wie man in der Rechten in jedem Menschen einen potentiellen Attentäter auf den eigenen Wohlstand sehen kann…

Mubaraks Ende

Nach einem chaotischen Tag trat der ägyptische Präsident Mubarak gestern von allen Ämtern zurück. Damit wurde die drängenste Forderung der Millionen Demonstranten erfüllt. An die Stelle Mubaraks tritt ein Militärrat, der die Regierungsgeschäfte übernehmen und den Übergang zu Neuwahlen regeln soll.

Der Tag, an dem Mubarak ging

Noch am Donnerstagabend  verkündete Mubarak, er selbst werde den Übergang zu einer neuen Regierung leiten. Daraufhin folgte ein Tag, an dem sich die Ereignisse überschlugen. Das Militär, das verkündet hatte, alle Forderungen des Volkes würden erfüllt, gab am Freitagmorgen bekannt, es würde Mubarak unterstützen. Während die Proteste weiter anhielten und sich Demonstranten auch vor Regierungsgebäuden und Medienanstalten sammelten, riegelte das Militär ganze Bezirke ab, teilweise sogar mit Stacheldraht. Dann kam die nächste grosse Nachricht des Tages: Mubarak verliess Kairo und wurde per Helikopter zum Badeort Sharm el Sheik ausgeflogen. Am Abend verkündete Vizepräsident Suleiman dann, dass Mubarak zurückgetreten sei und dass ein Militärrat die anstehende Übergangsphase zu freien Wahlen regeln werde.

Jubel im ganzen Land

Die Nachricht von Mubaraks Rücktritt löste flächendeckenden Jubel aus. Die 30 Sekunden, die Suleiman sprach um den Regierungswechsel zu verkünden, genügten, um ein ganzes Land in Euphorie zu versetzen. Nach 18 Tagen, die die Demonstrationen anhielten, wurde nun also die Hauptforderung der Menschen in Ägypten erfüllt. Der Rücktritt Mubaraks wurde als Zeichen gewertet, dem Willen des Volkes endlich zu entsprechen. Heute normalisierten sich die Zustände in Ägypten langsam: Zivilisten und Militär arbeiteten gemeinsam daran, die errichteten Barrikaden zu demontieren.

Hussein Tantawi neben Robert GatesDemokratie durch das Militär?

Nun liegt die weitere Gestaltung der Ereignisse in Ägypten beim Militär. Die Spitze des Militärrates, der jetzt Ägypten regiert, bildet Hussein Tantawi. Er ist Feldmarschall, Oberkommandierender der Streitkräfte und war Verteidigungsminister unter Mubarak. Angekündigt wurde die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Abhaltung freier Wahlen. Dabei erklärte ein Militärsprecher, dass „die Armee eine legitime zivile Regierung nicht auf Dauer ersetzen werde“.

Diese Entwicklung der Ereignisse ist schwer zu beurteilen. Einerseits kann der Rücktritt Mubaraks nur als Erfolg der Volksbewegung gewertet werden. Andererseits macht die Übergabe der Regierungsgewalt an einen Militärrat misstrauisch. Das Militär trat in der gesamten Zeit der Proteste als dritte Macht in Ägypten, neben Mubaraks Administration und den Demonstranten, auf. Es ist unklar, wessen Interessen nun vertreten werden. Die ägyptische Armee ist eine Wehrpflichtarmee; die meisten ihrer Angehörigen und niederen Offiziere haben durchaus Sympathie mit den Demonstranten bekundet. Die Generalität und oberste Leitung der Armee stellt jedoch eine eigene Klasse dar: Sie ist es, die durch das Regime Mubaraks profitierte und sowohl Macht wie auch Villen zu verteidigen hat. Dass sich derlei Privilegien am besten in der Diktatur sichern lassen, ist eine alte Binsenweisheit und es verwundert deshalb auch nicht, dass Hussein Tantawi zu den engen Vertrauten Mubaraks gerechnet wird. Ob das Militär seinen Ankündigungen nach freien Wahlen und Abgabe der eigenen Macht also Taten folgen lassen wird, ist mehr als unklar. Immerhin: Das ägyptische Volk hat seine Entschlossenheit im Kampf gegen Despoten glorreich bewiesen.

Ägypten: Revolution oder Militärputsch?

In seiner mit Spannung erwarteten Rede enttäuschte Präsident Mubarak gestern seine Bevölkerung: Er erklärte, dass er selbst den Übergang zu einer neuen Regierung leiten werde, dass er weiterhin im Amt bleibe. Damit schürt Mubarak den Zorn seines Volkes, welches seinen sofortigen Rücktritt erwartet hatte. Für den heutigen Tag sind sowohl Demonstrationen im ganzen Land wie auch eine Ansprache der Militärführung angekündigt.

Die Enttäuschung der Massen

Mit seiner Weigerung zurückzutreten, könnte Mubarak ungeahnte Entwicklungen in Gang gesetzt haben. Weitere Demonstrationen sind angekündigt und es werden bis zu 2 Millionen (!) Demonstranten im ganzen Land erwartet. Dabei wurde gestern eine Enttäuschung spürbar, die durchaus in Wut umschlagen könnte. Es mag Mubaraks letzte Chance gewesen sein, friedlich und sebstbestimmt sein Amt zu verlassen. Allein die Masse der Demonstranten gibt ihnen die Machtmittel in die Hand, die Herrschaft Mubaraks und seiner Schergen endgültig zu beenden. Ihre Forderungen nach einer neuen Verfassung, nach Mubaraks sofortigem Abtritt und Neuwahlen innerhalb von 60Tagen wurden bislang nicht erfüllt, wurden allenfalls verlacht. Vielleicht ist dies also der Tag, da die Massenproteste in eine wirkliche Revolution umschlagen.

Die unbestimmte Grösse: Das Militär

Neben Mubarak mit seiner Regierung und den Demonstranten gibt es noch eine dritte Macht in Ägypten: das Militär. Im Verlauf der letzten Tage wurde immer deutlicher, dass das ägyptische Militär einen Staat im Staat darstellt. Bislang war dies den Demonstranten von grossem Nutzen, denn stünde das Militär auf Mubaraks Seite, wären blutige Gefechte wahrscheinlich gewesen. Nun aber wird das Militär zu einer unbestimmten Grösse in Ägypten. Auch das Militär verfügt über Machtmittel in Form von Truppenstärke und Waffen und niemand weiss, wie es sich nun positionieren wird. Gestern verkündete ein Militärsprecher, dass „alle Forderungen des Volkes erfüllt werden“. Daraufhin hoffte man, dass Mubarak in seiner Ansprache seinen Rücktritt erklären werde. Nachdem dies nicht geschehen ist, hat das Militär ebenfalls eine Ansprache für diesen Morgen angesetzt.

Denkbar ist, dass das Militär Mubarak seines Amts enthebt. Also ein Militärputsch. In diesem Fall wäre eine Militärherrschaft zu befürchten. Denn eines ist auch klar: Das Militär hat ganz eigene Interessen, die sich kaum mit denen des Volkes decken dürften. Bei freien Wahlen, die unter Umständen die Muslimbrüder begünstigen würden, hätte das Militär einiges zu verlieren. Es ist also unwahrscheinlich, dass das Militär den demokratischen Prozess befördern wird. Damit befindet sich Ägypten in einer kritischen Lage: Revolution und Militärputsch erscheinen gleichsam wahrscheinlich, schliessen sich aber gegenseitig aus.

Und jetzt Algerien

Bei den Protesten gegen die hohen Lebensmittelpreise in Algerien wurden drei Menschen getötet und 826 weitere verletzt, 763 davon Polizisten. In Ägypten scheinen die letzten Stunden von Mubarak angebrochen zu sein.

„Im Schatten der Ereignisse in Ägypten spitzen sich in Algerien die Proteste gegen die Regierung weiter zu“, ist auf der Homepage der NZZ zu lesen. Zwei Tage vor einer von Regimegegnern geplanten Massendemonstration in der Hauptstadt Algier gab es erneut Berichte von Streiks, Selbstverbrennungen und Plünderungen in öffentlichen Einrichtungen. Mit Spannung wird in Algerien der für Samstag geplante Protestmarsch erwartet. Die Organisatoren wollen ihn trotz eines Demonstrationsverbotes starten lassen. Sie fordern einen demokratischen Wandel und ein sofortiges Ende der autoritären Herrschaft von Präsident Abdelaziz Bouteflika. Der 73-Jährige ist seit 1999 im Amt. Aus Angst um seine Macht hatte Bouteflika zuletzt bereits weitreichende Versprechungen gemacht und ein Ende des seit 19 Jahren geltenden Ausnahmezustands in Aussicht gestellt. Am Donnerstag machten Gerüchte die Runde, dass noch vor dem Protestmarsch am Samstag vier bislang verbotene Parteien zugelassen werden könnten.

Game over

Die Gerüchte über den Rücktritt Mubaraks zogen am Abend Zehntausende jubelnde Menschen auf den Tahrir-Platz in Kairo. Der für den Grossraum Kairo zuständige General Hassan al-Rueini hatte am Nachmittag vor den Demonstranten erklärt: «Alle eure Forderungen werden heute erfüllt.»

Kommentar: Zweierlei Freunde

Das ägyptische Volk demonstriert. Millionen sind auf der Strasse und fordern die Absetzung des Regimes und die Schaffung einer neuen, demokratischen Verfassung. Die einen Sprechen von Protest, die anderen von Revolution. Dabei geniesst das Volk derzeit zweierlei Freundschaften.

Die erste Freundschaft kommt von denen, die Macht haben. Es ist die Freundschaft der USA und Europas, die nun die Umsetzung des Volkswillens fordern und ihre Sympathie mit den Demonstranten kundgetan haben. Diese Freundschaft scheint dem ägyptischen Volk nützlich, denn sie kommt von einem starken Freund mit grossen Mitteln. Was aber ist der tiefe Kern dieser plötzlichen Solidarität? Es ist das Eigeninteresse der Herrschenden. Gezwungen von der öffentlichen Meinung und getrieben von den moralischen Standards, die man aufbaute um sie anderen vorzugaukeln, hat man sich mit dem ägyptischen Volk gemein gemacht. Man unterstützt es. Wir haben aber gesehen, dass dies nicht von Anfang an galt. Solange es noch wahrscheinlich schien, dass Mubarak und seine Schergen sich halten können, solange hielt man sich mit Kritik zurück. Unvergessen ist, dass es gerade die westlichen Staaten, gerade ihre Regierenden, gerade die sind, die sich jetzt Freunde des Volkes nennen, die über Jahrzehnte gute Geschäfte mit der Diktatur in Kairo gemacht haben. Wenn sie sich nun mit dem Volk verbrüdern, dann, weil sie hoffen, auch mit dem zukünftigen Ägypten weiter paktieren zu können. Es ist nicht das Mitfühlen mit der Sache der Massen, sondern der drohende Verlust von Profiten, der die Regierungen des Westens umtreibt. Es ist keine Frage: Wenn Ägypten ein stabiles Land wäre, dann gäbe es diese Freundschaft nicht.

Die zweite Freundschaft ist kleiner in Masse und Wirkung. Ihr Nutzen offenbart sich erst auf den zweiten Blick und sie verbringt kaum grosse Taten. Es ist die Freundschaft der Linken, der Sozialisten und Kommunisten mit dem ägyptischen Volk. Dies sind die echten Freunde des Volkes; sie teilen die Bedürfnisse der Ägypter nach einem Ende der Despotie und sind bereit, in jeder Minute ihre Solidarität offen kundzugeben. Sie sind die Ehrlichen, Unbeirrbaren, Rationalen. Ihre Freundschaft mit dem Volk bestand vor den Demonstrationen, sie besteht nun und wird auch danach bestehen. Dabei ist es ganz gleich, welchen Ausgang die Proteste nehmen. Es sind die Linken, die das Zögern der Regierenden am schärfsten kritisieren, die sie zur Aktion mahnen, die ihnen ihre Doppelmoral vorwerfen. Darin liegt ihr Nutzen. Er ist begrenzt, aber er ist da. Auch dies ist keine Frage: Bestünde der Westen aus sozialistischen Ländern, man hätte – kein Zweifel! – die Demonstranten nach Kräften unterstützt.

Ägypten: USA fordern sofortige Reformen

Während die Massenproteste in Ägypten anhalten, fordern die USA die sofortige Umsetzung von Reformen. Man setzt hierbei auf den Dialog mit Omar Suleiman, der von Mubarak als Vizepräsident eingesetzt wurde. Dem steht die Drohung des ägyptischen Aussenministers gegenüber, der verlauten liess, dass die Streitkräfte intervenieren würden, sollte „Chaos“ ausbrechen.

Forderungen der USA…

US-Regierungssprecher Robert Gibbs gab am Mittwoch bekannt, dass die amerikanische Regierung mit den „Fortschritten“ in Ägypten unzufrieden ist. Er sprach darüber, dass die „Minimalforderungen des ägyptischen Volkes“ noch nicht erfüllt seien. Nun erhöht Amerika den Druck auf ägyptens Herrschaftsriege und fordert, dass „ein ordentlicher Übergang jetzt zu beginnen hat und ohne Verzögerungen unmittelbare und unumkehrbare Fortschritte hervorbringen muss“. Dabei setzt man offenbar auf Omar Suleiman, den Vizepräsidenten Ägyptens. Joe Biden (US-Vizepräsident) sprach am Mittwoch persönlich mit Suleiman, um ihm die Wünsche der USA mitzuteilen. Offenbar will man auf diese Weise die Zusammenarbeit mit Mubarak umgehen und seine Regierung spalten.

Dabei befinden sich die USA in einem Dilemma: Einerseits will man nicht die Sympathien Suleimans verlieren, andererseits ist man getrieben von den eigenen moralischen Ansprüchen und der öffentlichen Meinung. So kommt es auch, dass die USA einmal fordern, den „Dialog“ der Regierung mit der Opposition auf Zivilgruppen auszudehnen, die bislang nicht an den Gesprächen beteiligt waren, und dann sagen, man könne Ägypten keine Reformen diktieren. Entschieden hingegen ist man in der Frage des Militärs: Von diesem erbittet sich die US-Regierung weitere Zurückhaltung bezüglich der Demonstranten.

…und Reaktionen aus Kairo

Die Regierung um Mubarak und Suleiman weist die Forderungen der USA zurück. „Wenn man einem großen Land wie Ägypten Forderungen nach sofortigen Reformen stellt, dann drückt man ihm seinen Willen auf“, sagt der ägyptische Aussenminister Gheit. Dieser zeigte sich empört, denn die ägyptische Regierung sei immer ein „guter Freund“ der USA gewesen und habe die „beste aller Beziehungen“ aufrechterhalten. Auch drohte Gheit damit, dass die Armee intervenieren würde, wenn Chaos ausbräche.

Allerdings musste sich das Regime in Ägypten dem öffentlichen Druck ein Stück weit beugen. Man will sechs Artikel der Verfassung ändern lassen, die u.a. die eine unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen und die Kandidatur von Oppositionskandidaten erschweren. Die Wünsche des Volkes gehen jedoch viel weiter: Man will eine gänzlich neue Verfassung. So sind die „Reformen“ des Regimes blosse Spiegelfechtereien.

Ökologischer und ökonomischer Unfug

Neben aktuellen Themen, wie der Lage in Ägypten und der Euro-Krise, steht auf dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel die Energieversorgung Europas im Mittelpunkt. Ein Gipfel mit wenig Energie.

Die Umweltschutzorganisation WWF mahnt an, dass die Staats- und Regierungschefs der Union die bereits beschlossenen Ziele endlich mit verbindlichen Massnahmen untermauern müssen. «Wir verbrennen Jahr für Jahr Milliarden Euro auf dem Scheiterhaufen eines veralteten, unsicheren und ineffizienten Energiesektors», sagt Regine Günther, Leiterin Klimapolitik beim WWF Deutschland. «Das ist ökologischer und ökonomischer Unfug.»

Angesichts des schnell fortschreitenden Klimawandels hatte man sich bereits im Oktober 2009 darauf verständigt, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent reduzieren zu wollen. Wichtige, ehrgeizige Zwischenziele fehlen aber noch. Auch die Vorgabe, die Energieeffizienz in Europa bis 2020 um zwanzig Prozent (im Vergleich zu 1990) zu steigern, werde nach derzeitigem Stand nicht erreicht. Es müsse dringend mit konkreten Massnahmen nachgesteuert werden, so der WWF. Die derzeitige Beschlussvorlage des EU-Gipfels, die dem WWF vorliegt, sei in dieser Hinsicht ungenügend. «Anstatt jetzt schon der drohenden Zielverfehlung entgegenzusteuern, ist von einer Wiedervorlage im Jahr 2013 die Rede. Diese Verzögerungstaktik wird den drängenden Problemen auf dem Energiesektor nicht gerecht. Europa hat sich den Herausforderungen einer sicheren, sauberen und effizienten Energieversorgung bisher ungenügend gestellt», kritisiert Günther.

Gegen Krieg & Krise: Demonstration in München

Am vergangenen Samstag fand in München eine Demonstration gegen die NATO und ihre Kriege statt. Hintergrund der Demonstration war die sogenannte Sicherheitskonferenz (SiKo), bei der sich die Spitzen von Militär und Rüstungsindustrie mit den Aussen- und Verteidigungsministern der NATO-Staaten sowie Regierungschefs weiterer Staaten trafen. Die Protestaktion verlief friedlich und konnte um die fünftausend Menschen mobilisieren.

Eine Unsicherheitskonferenz

Die erklärten Ziele der Sicherheitskonferenz sind die Schaffung von Frieden und Sicherheit. Sie will zum Dialog einladen und tatsächlich bietet sie Jahr für Jahr ein grosses Spektakel für willige Journalisten. Allerdings ist die Münchner Sicherheitskonferenz kein offizieller Akt, keine Regierungsveranstaltung . Sie ist „privat“ organisiert und privat sind auch große Teile der Gespräche, die in Hinterzimmern und von der Presse unbeobachtet stattfinden. Dazu passt, dass die Teilnehmerlisten noch unter Verschluss gehalten werden und sich auf der offiziellen Website interessanterweise kaum eine Information zu den anwesenden Teilnehmern aus Hochindustrie und Rüstungsbetrieben finden lässt. Präsentiert werden schöne Fotos von Aussenministern und Politikern; kein Wort wird aber über Profite und Wirtschaftsinteressen verloren. In den letzten Jahren waren allerdings Vertreter von Unternehmen wie der „Russian Gas Society“ oder den „Roland Berger Strategy Consultants“ anwesend, die multinational agieren und jährlich Millionen- oder Milliardengewinne machen.

Die Skepsis derer, die bezweifeln, dass eine solche Runde aus Wirtschaftsmagnaten und Rüstungsprofiteuren tatsächlich den Frieden im Sinn hat, scheint da nicht unberechtigt zu sein.

Die Friedensdemonstration

Am Samstag versammelte sich der Widerstand gegen diese „Sicherheitskonferenz“. Die offiziellen Angaben sprechen von 3.400 Demonstranten, allerdings fiel während der Demonstration mehrmals die Zahl 5.000. Der Demonstrationszug begann und endete am Münchner Marienplatz. Einmal ging es rund durch München, drei Stunden lang und begleitet von den neugierigen Blicken der Bevölkerung sowie strahlendem Sonnenschein. Die Demonstration richtete sich gegen die SiKo, gegen Krieg, Nato und die imperialistische Politik des Grosskapitals. Da Deutschland ein NATO-Mitgliedsstaat ist, befindet es sich seit 2001 im Afghanisten-Krieg und entsprechend forderten die Demonstranten den sofortigen Abzug aller Streitkräfte aus dem Land. Beachtlich ist auch, wie deutlich die Verknüpfung zwischen Kapitalinteressen und Kriegstendenzen aufgezeigt wurde.

Ins Leben gerufen wurde die Demonstration von einem Aktionsbündnis aus gut 90 Organisationen. Hier muss festgehalten werden: Diejenigen, die da auf die Strasse gingen, waren keine Fanatiker. Es haben sich friedliche, freundliche, teilweise fröhliche Menschen versammelt. Rentner gingen neben Studenten; Schüler haben ihren Unmut ebenso artikuliert wie Sozialisten. Es waren Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes da und auch die kommunistischen Parteien DKP und MLPD haben bei der Demonstration mitgewirkt. Neben ihnen: Vertreter der Partei „Die Linke“ und einige von den „Jungen Grünen“. Aber auch die PdA hat ein Zeichen für den Frieden gesetzt: Mit 32 Personen aus Zürich, Bern und Luzern reiste sie an, um an den Protesten teilzunehmen. Diese Demonstration kann also keineswegs auf einige „Spinner“ oder „Extremisten“ reduziert werden; vielmehr zeigt sich in ihr, dass die Sache des Friedens breiten und bunt gemischten Bevölkerungsteilen ein Anliegen ist.

Die Polizei: Weder Freund noch Feind

Natürlich glich München einer Festung: Mehr als 3.400 Polizisten (zusammengezogen aus der ganzen BRD) und weitere 300 Soldaten waren im Einsatz. Letztere sind sogar für deutsche Verhältnisse erstaunlich, denn eigentlich verbietet das deutsche Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr im eigenen Land. Da zeigt sich, welchen Rang die Verfassung hat, wenn es um die Interessen des Kapitals geht. Jedoch muss der Polizei an dieser Stelle zugestanden werden, sich weit besser und humaner als in den letzten Jahren verhalten zu haben. Es kam zu keinerlei grösseren Konflikten und die Demonstration konnte ungehindert passieren. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt etwa das Jahr 2002, in dem mehrere Hundert Demonstranten festgenommen und die Gewerkschaftshäuser von der Polizei umstellt wurden.

Insgesamt darf eine sehr positive Bilanz gezogen werden. Die Demonstration war ein Erfolg, auch wenn sie die SiKo natürlich nicht stoppen konnte. Worauf es ankommt und was auch geleistet wurde, das ist: ein Zeichen zu setzen. Es wurde gezeigt, dass es noch eine Öffentlichkeit gibt, die nicht bereit ist, sich mit Krieg und Kriegstreiberei abzufinden.

„Europäische Wirtschaftsregierung“

Eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ soll aufgebaut werden. So die Forderung der deutschen und französischen Regierung, vertreten von Merkel und Sarkozy. Gestern wurde der Plan in seinen Grundzügen von den Regierungschefs Europas abgesegnet.

Eine Wirtschaftsregierung?

Der Plan macht skeptisch: Regieren in Europa nicht ohnehin Wirtschaft und Kapital? Ja, aber das ist offenbar nicht genug. In dem Plan der Wirtschaftsregierung steckt vor allem die Hoffnung, das Vorgehen der europäischen Staaten zu harmonisieren. Und was das heissen soll, wird schnell klar: Ein einheitliches Rentenalter (nämlich das deutsche, das bei 67 liegt), eine einheitliche Lohnpolitik (gelenkt von den Regierungen) und auch eine einheitliche Steuerpolitik soll es geben. Kommentiert wird all das mit der „Abschaffung von Wettbewerbsnachteilen“.

Widerstand innerhalb der EU

Immerhin wurde dieser Plan nicht einfach abgenickt: Widerstand meldete sich, unter anderem, aus Österreich und Belgien. Jedoch scheint es, als ob man weniger die geplante Vernichtung der Sozialstaaten fürchtet, als viel mehr den Kontrollverlust über den eigenen Sozialabbau. So wurde der Plan zwar angenommen, aber seine Details wurden noch ausgeklammert und man ist nicht bereit, sich Zeitplan und Inhalt der „Wirtschaftsregierung“ von Deutschland oder Frankreich diktieren zu lassen. Was folgt, sind weitere Spitzengipfel und Treffen, auf denen das Projekt weiter besprochen werden soll.

Interessante Implikationen

Zweierlei ist interessant an den Plänen. Zuerst offenbart sich die EU ein weiteres Mal als Institution zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen. Der hier geplante Sozialabbau dürfte tatsächlich von gewaltigem Ausmass sein; die Folgen einer derartigen Wirtschaftsregierung für die Arbeiterklasse wären wohl verheerend. Andererseits ist interessant, dass die Gespräche um die Wirtschaftsregierung nicht im Europaparlament stattfanden, sondern im kleinen Kreis der Regierenden. Hier zeigt sich, dass das eigentliche Zentrum europäischer Macht nicht in den Dutzenden von Institutionen liegt, die Europa angehäuft hat, sondern noch immer bei den Regierungschefs. Deutlich gemacht wird dies auch von Jerzy Buzek, dem Präsidenten des Europaparlaments, der davor warnt, genau dieses zu umgehen.

Angela Merkel bringt es auf den Punkt: „Wir verteidigen den Euro nicht nur als Währung, sondern auch als politisches Projekt“. Genau das ist es, was zu befürchten steht…

„Der letzte Schub“

„Der Tag der Abreise“ wurde in Ägypten ausgerufen. Es soll der „Letzte Schub“ sein, der Präsident Mubarak endlich dazu veranlasst, sein Amt niederzulegen und den Willen des ägyptischen Volkes zu respektieren. Mehr als eine Million Menschen in Kairo und Hunderttausend in Alexandria haben sich zu einer letzten, friedlichen Demonstration versammelt. Ihre Kampfansage: „Wir gehen nicht, ehe Mubarak verschwunden ist!“

Der unwillige Präsident

Das aber will Mubarak nicht hinnehmen. Es grenzt an eine Komödie: Mubarak äußerte sich, dass er „genug hat“ und „nach 62 Jahren des Staatsdienstes“ das Amt verlassen will. Dies jedoch ist kein Grund zur Freude, denn im selben Atemzug erklärt Mubarak auch, dass er „nicht jetzt“ gehen werde. Seiner Meinung nach würde seine Abdankung nur Chaos schaffen. Auch ansonsten gibt Mubarak sich tief besorgt, er bedaure zu sehen, dass „Ägypter gegen Ägypter“ gekämpft haben.

Dabei übersieht der ungeliebte Präsident allerdings, einerseits, dass er selbst es war, der mit Bestechungen und Polizeieinsätzen für Blutvergiessen gesorgt hatte und dass, andererseits, allein sein Bleiben das Land ins Chaos stürzt.

Die Fortsetzung der Demonstrationen?

Dieser Unwille, dem massiv geäusserten allgemeinem Willen zu folgen, bringt die Frage hervor, wie  und ob die Demonstrationen weitergehen. Mubarak hat kaum mehr Unterstützer: Wenige Hundert Pro-Mubarak-Demonstranten stehen Millionen gegenüber und auch die Unterstützung durch andere Staaten schwindet zusehends. Jedoch sollte auch bedacht werden, dass die letzte Woche einen Ausnahmezustand für Ägypten darstellte, in dem normale Tagesabläufe kaum mehr möglich waren. Diese Tatsache könnte sich in die Achillesferse der Revolution verwandeln: Wenn in den nächsten Tagen kein Ergebnis bezüglich Mubarak erzielt wird, ist es denkbar, dass Frustration und Lethargie sich ausbreiten und die Demonstrationen zum Erliegen kommen.

Auch ist unklar, was geschieht, wenn Mubarak tatsächlich geht. Da die Proteste Ausdruck einer Massenbewegung sind, die sich aus allen Teilen der ägyptischen Bevölkerung zusammensetzt, ist ihr einziges konkretes Ziel die Absetzung Mubaraks. Proletarier und Arbeitslose demonstrieren neben Intellektuellen und Bürgerlichen. Wer sich im Falle der Abdankung Mubaraks durchsetzt, ist noch nicht absehbar. Zu befürchten stünde aber, dass radikale Muslime die Oberhand in Ägypten gewinnen. Gerade hier also ist die aktive und zielgerichtete Arbeit der Kommunistischen Partei Ägyptens gefordert.

Trotz aller Bedenken und der unsicheren Zukunft, der Ägypten entgegensteuert, sollte jeder Linke und jeder Sozialist der ägyptischen Bewegung den Sieg gegen das bestehende Regime wünschen. Die Fesseln der Diktatur müssen gesprengt werden, wenn der Sozialismus eine Chance haben soll!


1 55 56 57 58 59 72