Öl in die Abwärtsspirale

Die meisten Kantone budgetieren für 2013 ein Defizit. Deshalb wollen sie sparen, vor allem auf dem Buckel des öffentlichen Personals. Dieses aber beginnt sich zu wehren. In bisher vier Kantonen entwickeln die Beschäftigten und ihre Verbände harten Widerstand.

Eine satte Mehrheit der Kantone sieht für das nächste Jahr ein Defizit vor. Um dieses möglichst rasch zu beseitigen, planen diese Kantone einschneidende Sparprogramme. Visiert ist ein Dienstleistungsabbau. Gemeinsam ist dem Potpourri an Vorschlägen zweierlei: Die Menschen werden weniger Dienstleistungen (weniger Züge, Busse, Schulstunden, Beratung, schneegeräumte Strassen etc.) in Anspruch nehmen können, und die Kantonsangestellten müssen büssen: mit Mehrarbeit, weniger Lohn, Stellenabbau oder einem Mix aus allem.

Kantone mit dem Rotstift beim Personal

Die folgenden Beispiele zeigen, wohin die Reise geht:

Das Tessin erwartet ein Defizit von 198,5 Mio Franken. Um dieses zu korrigieren, will der Kanton die Löhne des öffentlichen Personals um 2 % (1,8 bei den vom Staat unterstützten Unternehmen) kürzen.

In Genf budgetiert die Regierung im zweiten Anlauf ein Defizit von 191 Mio. Franken. Angesagt sind ein Personalabbau im Bereich Bildung/Erziehung, Einschränkungen bei der vorzeitigen Pensionierung sowie Lohnabbau.

St. Gallen budgetierte in einem ersten Anlauf ein Defizit von 230 Mio. Franken. Ende November hat der Kantonsrat eine Steuerfusserhöhung um 10 % und eine Entnahme aus dem Eigenkapital von 110 Mio Franken gutgeheissen. Das Defizit reduzierte sich so auf 27 Mio. Dennoch beauftragte die Legislative die Regierung, den Personalaufwand 2013 nach eigenem Gutdünken um 1 % zu kürzen. Gegenüber ursprünglichen Plänen (siehe unten) buchstabierte die Legislative jedoch zurück.

In Luzern will die Regierung nächstes Jahr 57,7 Mio. Franken sparen, 2014 soll der Sparbetrag auf 111,8 Mio. steigen. Zahlen soll auch hier das Personal: Der Aufwand dafür soll nur um 0,5 % wachsen statt wie ursprünglich geplant um 1,5 %, beabsichtige Bestandeserhöhungen bei der Polizei werden über mehrere Jahre gestaffelt statt unverzüglich vollzogen. In der Verwaltung werden 26 Stellen gestrichen, bei Bildung und Gesundheit wird der Sachaufwand gekürzt.

Zürich budgetierte ein Defizit von 157 Mio. Franken. Daraufhin zwang der Kantonsrat der Regierung ein Sparprogramm von 200 Mio. Franken auf. Die Regierung soll frei bestimmen, wo sie wieviel einspart.

Im Kanton Bern sollen geplante Lohnverbesserungen von 44 Mio. Franken abgesagt werden, dazu gesellt sich ein 53 Mio. schweres über alle Bereiche verteiltes Leistungsabbau-Paket.

In weiteren 11 Kantonen sind Sparmassnahmen angesagt. Nur gerade AG, VS, FR, BS, VD und UR kündigen für nächstes Jahr schwarze Zahlen an.

 „Gegen jede Fairness“

„Diese Abbaumassnahmen gehen gegen jede Fairness in den Arbeitsbeziehungen – und sie werden die Leute demotivieren. Zudem hat man im öffentlichen Dienst die Schraube der Arbeitsrhythmen so stark angezogen, dass jeder solche Abbau für die Service Public-Kund/innen unmittelbaren und sofortigen Leistungsabbau bedeutet,“ erklärt Dore Heim, die beim SGB u.a. für den Service Public zuständig ist. Heim sieht mit den Massnahmen auch die Attraktivität des Staates auf dem Arbeitsmarkt gefährdet: „Solcher Abbau ist ein negatives Signal an alle, die sich vorstellen können, im Service Public zu arbeiten.“ Der SGB warnt zudem vor kontraproduktiven Auswirkungen von Sparprogrammen. Sie sind konjunkturelles Gift – oder Öl in die Abwärtsspirale. Der SGB will denn auch die Finanzlage der Kantone genauer untersuchen. Erste Resultate sind auf Frühlingsbeginn 2013 zu erwarten.

Ob nun die Kantone zu pessimistisch budgetieren oder nicht: eines steht heute bereits fest. Die Einkommensverluste und damit die Defizite haben sie selbst verschuldet. Sie wollten Reiche und Unternehmen anlocken und senkten diesen die Steuern. Um nicht hintenanzustehen, zogen bald alle Kantone mit, was zu einem exorbitanten Steuersenkungswettbewerb führte. Folge: mangelnde Einnahmen überall. Das Beispiel St. Gallen zeigt die Dimension: Die aktuelle (2012 beschlossene) Steuerfusserhöhung macht bloss einen Viertel der in den Jahren und Jahrzehnten zuvor gewährten Steuersenkungen wieder rückgängig.

Widerstand formiert sich

In mehreren Kantonen regt sich nun aber Widerstand gegen den Abbau. Gewerkschaften und Personalverbände gehen gemeinsam dagegen vor.

In St. Gallen demonstrierten am 15. November an die 5000 Kantonsangestellte, „darunter das halbe Polizeikorps“ (NZZ) gegen die Sparmassnahmen. Sie erreichten zumindest, dass der Vorschlag eines 1,5 %igen Lohnabbaus fallen gelassen wurde. In Luzern gingen am 24. November gut 1500 Beschäftigte auf die Strasse, eine Petition wurde über 6000 mal unterzeichnet, und für den 10. Dezember, den Tag des Entscheides, ist ein Schülerstreik geplant. Im Tessin streikten unter VPOD-Führung die Staatsangestellten am 5. Dezember. Die meisten Schulen blieben geschlossen. An einer Protestdemo – um 15.00 in Bellinzona, also während der Arbeitszeit – fanden sich 2000 Menschen ein. Die Linke zeigt sich zuversichtlich, das Abbaubudget kippen oder zumindest die schlimmsten Giftzähne ziehen zu können. In Genf streiken die Service-Public-Beschäftigten heute (6. 12.). Vor allem an den Schulen und den Spitälern gärt es.

Die Gegenwehr formiert sich je nach Kanton unterschiedlich. Eine Bilanz ist aktuell noch nicht möglich. Für Dore Heim aber ist klar: „Wenn alle Personalverbände diesen Abbau zusammen entschlossen bekämpfen, dann werden sie ihn verhindern. Wir stellen hoffnungsvolle Zeichen der Abwehr fest.“

Autor: Ewald Ackermann / Quelle: www.sgb.ch

Behördliche Willkür

AusländerInnen, die wegen Krankheit oder einem Arbeitsunfall, Sozialhilfe beziehen müssen, werden von den Behörden zusätzlich bestraft, indem sie ihnen mit einem Bewilligungsentzug drohen. Dass die betroffenen Personen  unverschuldet in diese prekäre Situation geraten sind, wird von den Behörden oft nicht berücksichtigt. Die Verlängerung einer Bewilligung wird am Integrationsgrad, am Wohlverhalten und an der finanziellen Selbständigkeit der AntragsstellerInnen gemessen. Unfälle und Krankheiten sind nicht vorgesehen.  

In ihrem neuesten Fachbericht vom 10. Dezember 2012 beschäftigt sich die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht SBAA mit dem Thema Bewilligungsentzug bei Sozialhilfeabhängigkeit. Gestützt auf sieben dokumentierte Fälle wird deutlich, dass die Migrationsämter Bewilligungen aufgrund von unverschuldeten Notlagen und Arbeitslosigkeit entziehen. „Nach Lehre und Rechtsprechung darf das Gesetz jedoch nicht so ausgelegt werden. Die derzeitige Praxis des Bewilligungsentzugs aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit muss daher dringend revidiert werden“, fordert Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin der SBAA.

Fakten und Beispiele

Die Unterhaltsregelung oder die Schwierigkeit eine Teilzeitstelle zu finden, ermöglicht es alleinerziehenden Müttern oft nicht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diesem Umstand ist im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen. Aber auch hier entscheiden die Behörden oft gegen die betroffene Person. Die Bemühungen von AusländerInnen, sich beruflich zu integrieren, werden von den Behörden nur ungenügend berücksichtigt.

Stossend ist auch, dass AusländerInnen, die bereits sehr lange in der Schweiz wohnen und arbeiten, die Bewilligung allein aufgrund von Sozialhilfebezug entzogen wird. Oft haben nämlich die betroffenen Personen keine Bindung mehr zum Herkunftsstaat, der Entzug der Bewilligung ist somit unverhältnismässig.

Stärkung des Kindeswohls

Die SBAA macht erneut darauf aufmerksam, dass das in der Kinderrechtskonvention garantierte Kindeswohl  von den Behörden zu wenig gewichtet wird. So umfasst die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum „umgekehrten Familiennachzug“ derzeit nur Kinder mit Schweizer Staatsangehörigkeit. Der „umgekehrte Familiennachzug“ ermöglicht es dem sorgeberechtigten Elternteil aufgrund der Schweizer Staatsangehörigkeit des Kindes in der Schweiz zu verbleiben. Dennoch ist der SBAA ein Fall bekannt, wo der Mutter eines Schweizer Kindes der Entzug der Bewilligung angedroht wurde. Die Gewalttätigkeiten des Ehemannes führten dazu, dass die Vormundschaftsbehörde das Kind fremdplatzierte. Die entstandenen Kosten für die Fremdplatzierung des Kindes wurden ausschliesslich der Ehefrau angelastet, was zur Androhung des Bewilligungsentzugs der Frau führte.

Diese Rechtssprechung gilt übrigens nicht für Kinder mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Das ist störend, die Situation dieser Kinder muss mit Blick auf das Kindeswohl dringend verbessert werden.

Störend ist aber auch, dass die Behörden ihren Ermessensspielraum zum Teil sehr eng definieren und die Interessen der Schweizer Wirtschaft dabei sichtlich im Vordergrund stehen. Die prekäre Situation der betroffenen AusländerInnen bei plötzlicher Krankheit, bei Unfällen während der Berufsausübung, von Opfern von häuslicher Gewalt, und die dadurch bedingte Abhängigkeit von der Sozialhilfe, wird bei der Verlängerung von Bewilligungen oft negativ bewertet. Neben einschneidenden Ereignissen müssen die Betroffenen dann auch noch die behördliche Ablehnung verkraften. Die verlangten  Integrationsbemühungen werden dadurch dann oft zunichte gemacht. „Es ist behördliche Willkür, wenn bei der Verlängerung der Bewilligung allein das Kriterium der finanziellen Selbstständigkeit gilt“, sagt Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin der SBAA. Erika Schilling von der Fachstelle für Migration- und Integrationsrecht fragt den auch im Vorwort des Fachberichts: „Wie ist das gemeint mit der Verfassungspräambel, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen?“

Der Fachbericht ist auf der Website www.beobachtungsstelle.ch abrufbar.

Protestaktion gegen Blick am Abend

Rund 60 Personen, haben heute Nachmittag vor der Blick am Abend-Redaktion demonstriert, um gegen den falschen und rassistischen Blick-Titel «60 Prozent der Asylbewerber sind HIV-positiv» zu protestieren. Wir haben als MigrantInnen unsere  Würde verteidigt. Es ging dabei auch um einen Protest gegen die rassistische Berichterstattung der Blick-Medien allgemein.
Wir haben am Bellevue Flugblätter verteilt und sind Parolen skandierend zur Blick am Abend-Redaktion gelaufen. Nach einer kurzen Besetzung der Ringier-Büros an der Dufourstrasse 49 haben wir vor der Redaktion mit dem Chefredaktor Peter Rothenbühler diskutiert. Wir haben ihm gesagt, dass die Zeitung nur schlechte Bilder von Asylsuchenden und MigrantInnen allgemein zeigt. Wir haben gefordert, dass sie eine Entschuldigung gleich gross wie der falsche Titel druckt und dass sie allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen zeichnet. Aber er hat unsere Forderungen nicht akzeptiert und leugnet, dass es eine rassistische Berichterstattung beim Blick am Abend gibt.
Wir sind zufrieden mit unserer Aktion, weil wir die Öffentlichkeit über Rassismus in den Zeitungen informieren konnten und weil die Blick am Abend-Redaktion uns zuhören musste. Eigentlich sind wir aber erst zufrieden, wenn allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen in den Medien gezeichnet wird. Für die Zeitungen sind wir ein Thema, um Geld zu verdienen. Das ist eine Schande.

Weitere Infos und Kurzvideo auf  www.bildung-fuer-alle.ch.

Die Schweiz in den Top 10

Die Grösse der Schweizer Rüstungsgüter-Exporte trügt: In Tat und Wahrheit ist sie wesentlich höher, als dies die jährlichen Zahlen des Seco glauben machen wollen. Die Schweiz ist mittlerweile weltweit der zehntgrösste Exporteur von Kriegsgütern.

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Seit Jahren veröffentlicht die zuständige Behörde Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) die Zahlen des Exportes von Kriegsmaterial aus der Schweiz, welche letztes Jahr ein Allzeithoch von 872,7 Millionen Franken erreichten. Dabei redet das Seco vorhandene Schlupflöcher in den Exportgesetzgebungen der Schweiz schön, insbesondere was die geltenden Ausschlusskriterien für Kriegsmaterial-Lieferungen an Länder betrifft, welche schwere Menschenrechtsverletzungen begehen oder sich an internen oder internationalen bewaffneten Konflikten beteiligen (wie im Falle der am Krieg in Afghanistan beteiligten Staaten). Diese veröffentlichten Zahlen umfassen einzig die Exporte unter dem Kriegsmaterialgesetz (KMG), obwohl diese nicht alle exportierten Rüstungsgüter umfassen. Nicht aufgeführt wird die Kategorie der «besonderen militärischen Güter», welche einzig in der Schweiz existiert. Diese Güter gelten nach der Wassenaar-Vereinbarung und der darin enthaltenen Definition der «Munitions-List» als Rüstungsgüter. Die Schweiz unterstellt deren Kategorien 14, 15, 18 und 22, dem viel lockereren Güterkontroll-Gesetz (GKG). Diese Kategorien betreffen unter anderem Militäroptik, militärische Simulatoren sowie militärische Trainingsflugzeuge von Pilatus mit Aufhängepunkten. Dass die gesamten Exporte von Rüstungsgütern aus der Schweiz höher sind, als nur die reinen Kriegsmaterial-Lieferungen, war schon lange klar, verlässliche Zahlen wurden bisher jedoch nicht publiziert.

Exporte für beinahe zwei Milliarden Franken

Erstmals veröffentlichte nun das Seco am 21. November 2012 im Rahmen eines Berichtes zur Beantwortung des Postulates Frick die wahren Ausmasse der Schweizerischen Rüstungsgüter-Exporte. Die  lapidare Feststellung auf Seite 22 dieses Berichtes lautet: «Im Jahr 2011 hat die Schweiz Rüstungsgüter im Wert von CHF 1977,4 Millionen exportiert, wovon 872,7 Millionen (44 %) auf Kriegsmaterial und 1 104,7 (56 %) auf besondere militärische Güter entfielen.» Mit diesem Ausmass an exportierten Rüstungsgütern klettert die Schweiz gemäss der Liste des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI bis auf Rang 10 der weltweit grössten Rüstungsexporteure. Es ist bezeichnend, dass das Seco solche Daten erst jetzt publiziert und diese nicht schon während des Abstimmungskampfes für die Initiative zum Verbot von Kriegsmaterialexporten im Jahre 2009 bekanntgab. Die erstmalige Publikation dieser Daten ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch ohne genügend politischen Druck werden diese Zahlen voraussichtlich weiterhin nicht regelmässig veröffentlicht werden. Die getätigte Unterteilung in Kriegsmaterial und «besondere militärische Güter» ist eine rein deklaratorische Massnahme, um den Anteil der Schweiz an den weltweit exportierten Rüstungsgütern zu verschleiern. Die GSoA wird sich dafür einsetzen, dass das Seco endlich die Zahlen über das wahre Ausmass der Rüstungsexporte aus der Schweiz regelmässig veröffentlichen muss.

Mythos entzaubert!

In der Schweiz ist der Arbeitnehmerschutz nur schwach ausgeprägt. Das sei gut, behaupten viele ArbeitgeberInnen, denn so begründe sich die tiefe Arbeitslosigkeit. Diese bei Patrons so beliebte These hat aber einen kleinen Haken: Sie ist falsch. Das belegt das soeben erschienene Dossier Nr. 92 des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).

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Zwar ist es keine neue Erkenntnis, aber dennoch von höchster Aktualität: Der Arbeitnehmerschutz in der Schweiz ist mies! Im neuen SGB-Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» verweisen die Autoren Daniel Lampart und Daniel Kopp auf OECD-Studien, die belegen, dass die Schweiz hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes in vielen Bereichen auf den hinteren Rängen liegt. «Beim Kündigungsschutz etwa hat die Schweiz Rang 31 unter 34 erfassten Ländern inne. Nur unwesentlich besser schneidet die Schweiz bei Mindestlöhnen, befristeten Arbeitsverhältnissen und bei der Temporärarbeit ab», informieren die Autoren.

Schenkt man vielen ArbeitgeberInnen und WirtschaftsexpertInnen Glauben, dann ist der schwache Arbeitsschutz in der Schweiz ein Segen für alle in diesem Land. Sie verweisen dabei gerne aufs Ausland, wo Reformen im Arbeitnehmerschutz «à la Suisse» durchgeführt werden sollen, wie zum Beispiel in Italien. Die Schweizer Patrons geben offen zu, dass es hierzulande viel einfacher ist, den Beschäftigen zu kündigen. Dies sei aber ein wichtiger Grund dafür, dass mehr neue Betriebe in die Schweiz kämen und neue Stellen schaffen würden. Ihre Schlussfolgerung ist daher simpel: Schlechter Arbeitsschutz gleich tiefe Arbeitslosigkeit und daher soll am Arbeitsschutz nichts geändert werden. Doch so simpel diese Gleichung ist, so falsch ist sie. Sie vermittelt und propagiert schlichtweg pure neoliberale Ideologie.

Umdenken angesagt

«Wieso unterscheidet sich dann die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden kaum von derjenigen in der Schweiz?», fragen die Autoren des SGB-Dossiers. Diese beiden Staaten kennen nämlich einen ausgeprägten Arbeitnehmendenschutz. Die Studie von Lampart und Kopp verweist auf die richtige Kausalität zwischen Arbeitnehmendenschutz und Arbeitslosigkeit: «Der Zusammenhang dürfte gerade umgekehrt sein. Weil die Gefahr der Arbeitslosigkeit vor allem früher relativ gering war, haben die Schweizer Arbeitnehmenden einen schlechteren Schutz akzeptiert.»

Doch wirkt sich mittlerweile der schwache Arbeitnehmendenschutz markant negativ aus. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz stark gestiegen. Atypische Arbeitsverhältnisse wie die Temporärarbeit nehmen zu. Temporärjobs bieten den Arbeitnehmenden im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen ein geringeres Schutzniveau. Betroffen sind vor allem die ArbeiterInnen «in stark gewachsenen Dienstleistungsbranchen wie zum Beispiel Call Center, Kuriere, Kosmetikinstitute etc.», hält die Studie fest. Und die Autoren des SGB kommen zum Schluss: «Das Fazit ist klar: In der Schweizer Arbeitsmarktpolitik ist Umdenken angesagt.»

Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» zu finden unter www.sgb.ch

 

Neuer Angriff auf die Renten

Am 20. November kündete SP-Bundesrat Alain Berset an, mit einem «grossen Wurf» die Sozialwerke «sanieren» zu wollen. Konkret geht es ihm darum, das Rentenalter zu vereinheitlichen, den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen zu senken und Zusatzeinnahmen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren – oder anders formuliert: Das Kapital zu stärken und die Arbeiter-Innen zu schwächen.

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Dass mit der Wahl eines sozialdemokratischen Bundesrates und seiner Übernahme des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) kein krasser Kurswechsel in Sachen Sozialpolitik zu erwarten war, konnte schon früh geahnt werden (vgl. vorwärts Nr. 27/28). Doch die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset, AHV und Pensionskassen zu «sanieren», kommen einem massiven Angriff auf die Lohnabhängigen gleich. In seinem 25-seitigen Papier schlägt der SP-Bundesrat vor, das Rentenalter für Frauen von 64 auf 65 Jahren zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzugleichen; Mehreinnahmen für die AHV über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren; den Umwandlungssatz der zweiten Säule – also den Prozentsatz des angesparten Kapitals, der den Pensionierten als Rente jährlich ausbezahlt wird – von aktuell 6,9 beziehungsweise 6,8 auf zwischen 6,4 und 5,8 Prozent zu senken. Dabei wird erneut klar, dass sich PolitikerInnen um «demokratische» Regeln foutieren, wenn es darum geht, die Kapitalbedürfnisse zu stillen. Denn die stimmberechtigte Bevölkerung hatte 2010 mit über 70 Prozent Nein zur Senkung des Umwandlungssatzes gestimmt.

Das Kapital stärken

Die Argumentation von Bundesrat Berset gleicht derjenigen von klassischen ÖkonomInnen. Die Reformschritte seien notwendig, um das Rentensystem finanziell zu stabilisieren und in Zukunft die Rentenauszahlung zu garantieren. Eine regelrechte «Win-Win-Situation» also. Doch Reformen sind nie «neutral», das wissen die RentnerInnen sehr gut, die täglich am Existenzminimum zu überleben haben. Bersets Pläne haben zum Ziel, den von den ArbeiterInnen produzierten Mehrwert den arbeitenden Klassen im Alter zu entziehen und ihn in Form von Profit den KapitalbesitzerInnen zu übertragen. Denn die Erhöhung des Rentenalters bedeutet zugleich die Erhöhung der Lebensarbeitszeit, während der Frauen weiter ausgebeutet werden; die Senkung des Umwandlungssatzes zielt ausschliesslich darauf, RentnerInnen tiefere Renten und somit den AktionärInnen der Pensionskassen die versprochenen Dividenden auszuzahlen; und die Erhöhung der Mehrwertsteuer wälzt die Last der Kosten vermehrt auf die arbeitenden und armen Klassen ab. Gerade dieser letzte Punkt muss im Kontext der Einführung von sogenannten «Schuldenbremsen» für Sozialversicherungen (vgl. vorwärts Nr. 43/44) verstanden werden.

Weitere Prekarisierung der Frauen

Besondere Auswirkungen werden diese Reformen auf Frauen haben. Aufgrund ihrer zementierten prekären Lage (vgl. vorwärts Nr. 35/36) sind Frauen oft aus der zweiten Säule ausgeschlossen und müssen im Alter mit einer äusserst bescheidenen AHV leben. Zudem bedeutet die Erhöhung ihres Rentenalters, dass sie einerseits die Doppelbelastung Arbeit-Familie länger ertragen müssen, andererseits länger in prekären Arbeitsverhältnissen verharren müssen. Auch aus geschlechtsspezifischer Perspektive haben die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset also zur Folge, dass die weibliche Arbeitskraft länger ausgebeutet wird und somit dem Kapital dienen. Bundesrat Berset will auch den durchschnittlichen effektiven Altersrücktritt so nah wie möglich an 65 Jahren heranführen (heute bei Männern bei 64,1, bei Frauen bei 62,6 Jahren). Dieses Ziel blendet das Problem der Erwerbslosigkeit im Alter vollständig aus. Denn für Frauen – aber auch für Männer – ist es ab 55 Jahren kaum noch möglich, eine Stelle zu finden. Besonders betroffen von der Erwerbslosigkeit im Alter sind geringqualifizierte und im Niedriglohnsektor arbeitende Personen. Mit der Reduzierung der Möglichkeit der Frühpensionierung wird sich die Prekarisierung und die Armut im Alter somit noch einmal akzentuieren.

Gegenvorschläge?

Am 16. November 2012 hat die Delegiertenversammlung des schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) entschieden, im Frühjahr 2013 die Initiative «AHVplus» zu lancieren. Dadurch sollten RentnerInnen in Zukunft monatlich 10 Prozent höhere Renten bekommen. Der Vorschlag der Delegierten des VPOD (Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes), die Renten monatlich um 20 Prozent zu erhöhen, wurde mit dem Argument verworfen, die Initiative dürfe nicht «überladen» werden, wolle sie mehrheitsfähig bleiben.

Das Problem beim SGB liegt nicht nur bei seinem Bestreben, mehrheitsfähige Initiativen auszuformulieren, sondern vor allem bei seiner Argumentation. Erstens passt sich der SGB mit den Minimalforderungen an die «parlamentarische Logik» sozialpolitischer Debatten an. Schon heute ist klar, dass Bundesrat Berset seine Vorschläge nicht tel quel, sondern erst in einem längeren Prozess des «schweizerischen Konsens» umsetzen wird. Zweitens lautet die Losung des SGB «Rentenklau verhindern». Diese verweist auf «amoralisch» handelnde FinanzspekulantInnen und PolitikerInnen, die den ArbeiterInnen und RentnerInnen ein Stück des Kuchens rauben. Innerhalb der gegebenen «Sozialpartnerschaft» soll laut SGB darüber «abgestimmt» werden, wer wie viel des Kuchens erhalten soll. Damit bleibt unberücksichtigt, dass der Verwertungsprozess des Kapitals gerade im «Krisen-Kapitalismus» kaum mehr Spielraum hat, auch nicht für minimale Verbesserungen der Lage der arbeitenden Klassen. Somit beweist die sozialpolitische Debatte um das Renten- und Altersproblem einmal mehr, dass wir «aufs Ganze» gehen müssen, um überhaupt etwas erreichen zu können.

Die SP und ihre Taktik zum Erfolg

Die SP-Führung will das laufende Referendum gegen die Verschärfung im Asylwesen nicht unterstützen. Es geht ihr um den Erfolg und nicht um die Moral. Sie argumentiert mit taktischen Überlegungen und scheint dabei aus der Geschichte nichts gelernt zu haben.

Geht es nach dem Willen der SP-Spitze, wird die Sozialdemokratische Partei das Referendum gegen die Verschärfungen im Asylwesen nicht unterstützen. In verschiedenen Zeitungsinterviews betont SP-Parteipräsident Christan Levrat, dass man «der SVP in einem allfälligen Abstimmungskampf keine Plattform für ausländerfeindliche Parolen» bieten wolle. Beim Referendum gehe es nicht um «moralische Überlegungen», sondern einzig um die Frage, ob eine Perspektive «auf Erfolg» bestehe. Levrat verweist gerne auf die Tatsache, dass in den letzten Jahren die Stimmberechtigten «jede Verschärfung des Asylgesetzes angenommen haben.» So geht die SP-Spitze davon aus, dass das Nein-Lager bei einer allfälligen Volksabstimmung kaum über 30 Prozent der Stimmen erreichen kann und schliesst daraus: «Ein schlechtes Abschneiden bei einem Referendum würde die Position der Asylsuchenden massiv schwächen».

Man könnte jetzt lange über die Moral streiten. Man könnte der SP in Erinnerung rufen, dass der wahre Zivilisationsgrad einer Gesellschaft sich am Umgang mit den Schwächsten misst. Oder ganz einfach: Wo Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht.

Am Anfang standen die Zwangsmassnahmen

Aber lassen wir die Moral sein, fragen wir nach der Taktik, mit der sich die SP den Erfolg verspricht. Ein Blick in die Geschichte ist hier aufschlussreich. Wir schreiben das Jahr 1993. Im November wird ein Gesetzesentwurf für «Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» vorgelegt. Angeblicher Grund: Bei den wenigen tatsächlich kriminellen AsylbewerberInnen gebe es «einen Vollzugsnotstand», der nur mittels einer Gesetzesänderung behoben werden könne. Das neue Gesetz sieht vor, Asylsuchende «ohne geregelten Aufenthalt» zunächst für drei Monate in Vorbereitungshaft und anschliessend für sechs Monate (mit einer Verlängerungsoption um weitere drei Monate) in Ausschaffungshaft setzen zu können. Eingeführt wird auch das «Rayonverbot», das zeitlich unbefristete Verbot für Asylsuchende, einen bestimmten Ort (Kanton, Region, Ortschaft) zu betreten. Als Haftgrund genügte neu der blosse Verdacht(!), dass eine Person ohne geregelten Aufenthalt sich der Ausschaffung entziehen wolle. Die Unschuldsvermutung, ein fundamentales Recht, wird so für diese illegalisierten Menschen aufgehoben. Damit werden Tür und Tor für künftige Verschärfungen aufgerissen.

Heute so wie damals

Das «Referendum gegen die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» wurde von einer Vielzahl Organisationen ergriffen, unter denen «lokale asylpolitische Bewegungen dominieren und von den Parteien nur die PdA vertreten ist», wie unter www.anneepolitique.ch nachzulesen ist. Vertreter der SP, der Grünen und des Gewerkschaftsbundes wollen auf das Referendum verzichten. Sie befürchten, dass in einer Abstimmungskampagne das Thema «kriminelle Ausländer» dominieren würde, und sich diese Diskussion «für die Anliegen der Ausländer in der Schweiz negativ auswirken» könnte. Erst auf Druck der Basis änderte die SP-Führung spät ihre Haltung.

Wir sehen: Die SP verspricht sich heute den Erfolg mit denselben Argumenten und der gleichen Taktik wie vor 20 Jahren. Die Moral der Geschichte ist aber leider, dass in den letzten zwei Jahrzehnten der Erfolg im Asylwesen Mangelware war. Wäre es nicht an der Zeit, liebe SP, die Taktik zu ändern?

Armee rüstet gegen den inneren Feind

Die Ausgaben für die Schweizer Armee sollen zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges erhöht werden. Dies fordern Armeechef André Blattmann und Verteidigungsminister Ueli Maurer. Die im September durchgeführte Übung «Stabilo Due» hat gezeigt, womit die Armee rechnet: politische Unruhen aufgrund der Wirtschaftskrise.

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Die Vertreter der Armee rücken vor: Verteidigungsminister Ueli Maurer wirbt schon länger um Gunst und Geld für eine Garnitur neuer Kampfjets aus Schweden. Armeechef André Blattmann sowie die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) fordern mehr Geld für die Armee. Die Politik ist mit diesen Plänen bisher weitgehend zufrieden. Bereits im Herbst 2011 hat das Parlament den Ausgabenplafond für die Armee auf 5 Milliarden Franken angehoben. Anfangs November hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats unter Leitung von Chantal Galladé (SP) den Bundesrat ausserdem gemahnt, er verstosse gegen die Verfassung, wenn er den Beschluss nicht  umsetze. Immerhin haben SP, Grüne und die «Gruppe Schweiz ohne Armeee» (GSoA) angekündigt, den Kauf neuer Kampfflugzeuge mit einem Referendum zu bekämpfen. Ueli Mauerer sieht im Volk auch die letzte und höchste Hürde auf dem Weg zum 3,126 Milliarden-Deal. Wird dieser dennoch genehmigt, fliessen vom derzeitigen Armeebudget von 4,4 Mil-liar-den jährlich 300 Millionen in einen Fonds, aus dem die Kampfjets bezahlt werden sollen. Die GSoA rechnet jedoch vor, dass zu dem genannten Betrag von gut drei Milliarden Franken weitere 300 Millionen  Franken Unterhalt pro Jahr und zusätzliche Fixkosten von einer halben Milliarde Franken hinzukommen würden. Schweden verabschiedet sich von der Neutralität Von den finanziellen Gründen einmal abgesehen, ist der Kauf auch politisch problematisch: Der Deal würde zu einer verstärkten militärischen Zusammenarbeit mit Schweden führen. Die einst als neutral deklarierte Politik des Landes hat sich in der jüngsten Vergangenheit gewandelt: Das Land nähert sich der NATO an, hat Truppen in Afghanistan eingesetzt und Einsätze über Libyen geflogen. Der «GSoA» zufolge spricht der schwedische Armeechef, General Sverker Göranson, statt von Neutralität jetzt von der «Wahrung schwedischer Interessen im In- und Ausland». Und die Rüstungsexporte aus dem Land haben in den letzten Jahren drastisch zugenommen, Schweden ist der neuntgrösste Waffenexporteur der Welt. Pro Einwohner gerechnet lag es 2011 gar auf Platz eins. Doch neue Kampfjets allein sind der Armee nicht mehr genug. Bereits Anfang dieses Jahres kündigte die SOG an, eine Volksinitiative mit dem Titel «Für eine glaubwürdige Armee» auszuarbeiten. Auch wenn der genaue Inhalt damals noch nicht kommuniziert wurde, kann man sich die Stossrichtung in etwa vorstellen. Gedroht wurde von der SOG damit, die Armee werde nach weiteren Einsparungen Standorte schliessen und die Truppenzahl reduzieren müssen. Damit könne sie ihren Verfassungsauftrag nicht mehr wahrnehmen. Gegen Terroristen und politische Unruhen  Um welchen Auftrag es aus Sicht der Armee geht, machte die jüngste Medienoffensive von Armeechef Blattmann deutlich: er sorge sich um «die Zukunft der Sicherheit innerhalb der Schweiz», wie er der Zeitung «Sonntag» sagt. Es geht ihm aber nicht etwa darum, dass bei Überschwemmungen zu wenige Hilfskräfte zur Verfügung stehen. In diesem Bereich nützt die Armee ja sogar etwas. Blattmann verweist auf zwei andere Gefahren: Terroristen und politische Unruhen aufgrund der Wirtschaftskrise in Europa. Zur terroristischen Gefahr hat der Armeechef folgende bedrohliche Theorie: «Es gibt beängstigende Signale, was die Sahel-Zone betrifft. Offenbar ziehen Terrororganisationen aus Pakistan und Afghanistan Richtung Nordafrika. Damit sind sie plötzlich deutlich näher bei uns.» Man müsse befürchten, dass sich in den Migrationsströmen nach Europa auch «Personen aus dem Terrorbereich» befänden. Wie er bereits in einem Vortrag vor der Handelskammer Belgien-Schweiz in Brüssel verkündete, sieht er die Schweiz durch die Schuldenkrise gefährdet. Die Schweizer Armee sei notfalls bereit, die Grenzen zu schliessen und kritische Infrastrukturen zu schützen. Europa destabilisiert – Armee probt den Ernstfall Diese Aussagen, die in Brüssel bis zu Kommissionspräsident Barroso hinauf für Empörung gesorgt haben sollen, unterlegt Blattmann im besagten Interview mit deutlichen Forderungen: Die Militärpolizei soll zum Schutz der kritischen Infrastrukturen deutlich aufgestockt und verstärkt werden. Dazu bräuchte es unter anderem die geforderten 5 Milliarden Budget. Was der Armeechef nun wieder anspricht, war bereits Inhalt der Armee-Übung «Stabilo Due», die im September durchgeführt wurde und in ausländischen Medien von den USA über Spanien bis nach Vietnam für Aufregung gesorgt hat. Das Szenario der Übung sah eine Krise in Europa und grosse Flüchtlingsströme in die Schweiz vor. Die Armee hatte die Aufgabe, die Ordnung im Land zu verteidigen. Die Anleitung zur Übung soll mit einem Bild von jugendlichen DemonstrantInnen mit roten Fahnen garniert gewesen sein. Ueli Maurer verkündete damals, dass er nicht ausschliessen wolle, dass die Schweizer Armee in den nächsten zwei Jahren zum Einsatz komme. Blutige Vergangenheit Das Datum der Übung ist pikant gewählt: Sie findet exakt zum achtzigsten Gedenktag der Blutnacht von Genf statt. Damals schossen Rekruten in eine Demonstration gegen die faschistische «Union nationale». 13 Menschen wurden getötet, 65 verletzt. Ähnliche Vorfälle traten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vermehrt ein: 1875 wurden bei einem Mineurstreik vier Arbeiter erschossen. Bei einem Streik von Tunnelarbeitern im Jahr 1901 werden vier Arbeiter verletzt. Beim Landesstreik von 1918, bei dem insgesamt 95000 Mann der Armee zum Einsatz kamen, wurden drei Menschen erschossen und weitere verletzt und die Streiks der Basler Färberarbeiter 1919 wurden gewaltsam unterdrückt, wobei vier Menschen starben und viele verletzt wurden. Heute wird die Armee vor allem noch zum Schutz des WEFs in Davos eingesetzt. Um bei all diesen Plänen auch das Volk bei Laune zu halten, plant die Armee eine breit angelegte Imagekampagne. Sie will die Präsenz in der Bevölkerung trotz reduziertem Truppenbestand nicht aufgeben. Jede Woche findet in einem anderen Kanton eine Aktion statt. Für Bern hat Blattmann schon einmal gute Ideen gesammelt: «Wir bauen eine Brücke über die Aare, lassen Panzer über sie fahren, ziehen ein Infanterie-Sicherungsdispositiv auf und die Bevölkerung kann zuschauen.» Was heute spektakulär erscheine, sei vor zwanzig Jahren üblich gewesen, betont Blattmann. Tatsächlich lag der Anteil der Ausgaben für die Armee Anfang der Neunzigerjahre noch bei über 20 Prozent der Gesamtausgaben. Anfang der Sechzigerjahre lag der Anteil gar bei über 40 Prozent. Doch konnte man damals wenigstens noch auf einen möglichen äusseren Feind verweisen.

Klassenkampf von oben

Im internationalen Vergleich besitzt die Schweiz eine der tiefsten Schuldenquote. Im Jahr 2003 wurde der Mechanismus der «Schuldenbremse» eingeführt. Nun soll dieser Mechanismus auf alle staatlichen Sozialversicherungen ausgedehnt werden. Was schlicht wie ein Instrument zu einem «gesunden Staatshaushalt» erscheint, ist vor allem ein Hebel zum Sozialabbau und -umbau und somit ein Angriff auf alle Lohnabhängigen.

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Der grösste Dachverband der schweizerischen Wirtschaft «Economiesuisse» widmete seine letzten zwei Dossiers einem breit diskutierten Thema, nämlich der Staatsverschuldung und der Einführung von Schuldenbremsen. In Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal oder Italien hat die übermässige Staatsverschuldung zu radikalen Sparprogrammen geführt. Unter dem Druck internationaler Organisationen wie der Europäischen Kommission, dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die verschiedenen Regierungen Renten gekürzt, Gelder für Gesundheit und Forschung gestrichen und damit einen Verarmungsprozess akzentuiert, der auch die so oft gepriesene, aber in der Realität kaum beobachtbare «Mittelschicht» getroffen hat. Diese Austeritätsprogramme wurden von den antagonistischen sozialen Bewegungen oft als Waffe des «Klassenkampfs von oben» bezeichnet.

Schulden und Steuerpolitik

Nachdem nun vor zehn Jahren die allgemeine «Schuldenbremse» eingeführt wurde, wird die Diskussion von «Economiesuisse» neu aufgerollt: Die Erfahrungen sollten evaluiert und auf weitere Bereiche ausgeweitet werden. Dabei werden jedoch von «Economiesuisse» zwei wesentliche Punkte verschwiegen. Erstens die Frage nach der Natur von Schulden: Schulden entstehen dann, wenn die Ausgaben und Einnahmen von Gemeinde, Kantone und Staat in ein Ungleichgewicht geraten. In diesem Sinne spielt die Steuerpolitik für direkte und indirekte Abgaben eine wesentliche Rolle. Und gerade hierin zeigen sich die Schweizer Kantone in einer unvorstellbaren Weise unternehmensfreundlich, denn sie offerieren den Firmen wichtige Steuerbefreiungen für Kapital und Gewinne. Weltweit finden wir laut NZZ innerhalb der zehn steuertechnisch attraktivsten Orte der Welt hinter Hongkong neun Schweizer Kantone. Hier liegt auch ein grundsätzlicher staatlicher Widerspruch zwischen «gesunden Staatsfinanzen» und der Garantierung von Profiten der national angesiedelten Unternehmen. Das führt uns zur zweiten Frage: Wer zahlt überhaupt die Schulden?

«Economiesuisse» stellt öffentliche Investitionen und Ausgaben für Sozialversicherungen in ein Verhältnis: Nur Restriktionen in den Ausgaben für Soziales würden neue Investitionen erlauben. Und tatsächlich ist der Anteil öffentlicher Investitionen am BIP seit 1995 rückläufig. Die Sozialversicherungsausgaben wurden hingegen durch eine Überwälzung der Kosten auf die Lohnabhängigen gedeckt. Darunter fallen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Krankenkassenprämien und der Lohnprozente.

«Schuldenbremse» der Sozialausgaben

Hier knüpft die Forderung nach der Ausweitung des Anwendungsbereiches der «Schuldenbremse» auf alle Sozialversicherungen an. «Umfassend und verbindlich, wie die Schuldenbremse heute ist, bleibt doch eine «offene Flanke»: die staatlichen Sozialversicherungen IV und AHV», lautet die Feststellung von «Economiesuisse». Und der Bundesrat hat keinen Moment gezögert, um diesen Anweisungen zu folgen. Im zweiten Teil der 6. Revision der Invalidenversicherung (siehe hierzu vorwärts Nr. 39/40) ist ein Mechanismus zur «Schuldenbremse» gleich vorgesehen. Dieser beinhaltet zwei Elemente: Erstens sollen die Renten in Zukunft weder der durchschnittlichen Konsumentenpreiserhöhung noch den durchschnittlichen Lohn-erhöhungen angepasst werden. Allerdings dürfen die maximalen und minimalen IV-Renten 95 Prozent der AHV-Renten nicht unterschreiten – eine zynisch anmutende Regelung bei einem AHV-Minimum von 1160 Franken.

Zweitens werden die Lohnbeiträge um 0,1 Prozent erhöht (jeweils 0,5 Promille für ArbeiterInnen und Unternehmen), falls der Kompensationsfonds der IV 40 Prozent der jährlichen IV Ausgaben unterschreitet. Die Umsetzung dieser «Schuldenbremse» für die IV weist uns einmal mehr darauf hin, dass der Staat in «Zeiten der Krise» keine Hemmungen hat, seine eigenen «demokratischen» Regeln zu brechen, denn einerseits sollen Rentenkürzungen und Beitragserhöhungen automatisch erfolgen, falls das Parlament diese nicht in einer gegebenen Frist umsetzt; andererseits wird die Bundesverfassung (Art. 112, Abs. 2d) umgangen, die vorsieht, dass IV-Renten mindestens der jährlichen Preisentwicklung angepasst werden sollen.

«Schuldenbremse» als Austeritäts-politik

In den medialen Schlagzeilen ist stets zu lesen, die Schweiz bleibe aufgrund der «regelgebundenen Finanzpolitik» von der Krise der Staatsverschuldung verschont. Diese Sicht verschleiert einmal mehr, dass der Prozess des Sozialabbaus «schweizerischer Art» in kleinen Schritten und in einem breiten politischen Konsens abgewickelt wird. Die Einführung von «Schuldenbremsen» für Sozialversicherungen muss als Pendant zu den europaweiten Austeritätsprogrammen betrachtet werden. Denn auch hierzulande geht es darum, die Normen der allgemeinen Reproduktion der Arbeitskraft herabzusetzen und somit das Verhältnis zwischen ArbeiterInnen und Kapital neu festzulegen. Die allgemeine politische Akzeptanz der Einführung einer «Schuldenbremse» für Sozialversicherungen beweist uns einmal mehr, dass eine institutionelle Antwort auf diesen «Klassenkampf von oben» nicht ausreicht. Oder wie am 14. November einhellig auf den Strassen Europas skandiert wurde: «Der soziale Frieden ist vorbei, die Austerität hat versagt!»

Referendum unterschreiben!

Der Bericht in der Sonntagszeitung vom 18. November zur «Arbeitsgruppe Beschleunigungsmassnahmen» bestätigt die Prognosen des Referendumskomitees gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes. Die Grundlage für die geplante Entmachtung der Kantone und Gemeinden wird in eben dieser dringlichen Vorlage gelegt. Ein Grund mehr um das laufende Referendum zu unterstützen.

Kantone und Gemeinden sollen bei der Realisierung von Asylzentren künftig entmachtet werden, wie die «Sonntagszeitung» gestern berichtete. Tatsächlich ist diese Absicht keine Neue. Das erklärte Herzstück des Projektes 2 der laufenden Asylgesetzrevisionen (Beschleunigungsmassnahmen) ist die zentralisierte Abwicklung möglichst aller Asylverfahren in grossen Bundeszentren. Um mögliche Szenarien wie «Bettwil» in Zukunft zu verhindern, wird im Rahmen der verabschiedeten dringlichen Massnahmen über Art. 26a genau dafür der Grundstein gelegt. Der Zuspruch für die Errichtung besonderer Zentren für «Renitente» füttert diese Stossrichtung. Und die eingeführte Bestimmung zu den Testphasen gibt dem Bundesrat schliesslich den Spielraum, die wesentlichen Merkmale des Projektes 2 in Pilotprojekten bereits heute auszutesten.

Dieses Vorgehen ist nun angekommen und dabei mehr als problematisch. Es ist rechtsstaatlich bedenklich – und wie sogar die VertreterInnen rechtskonservativer Parteien richtig bemerkten, werden dabei demokratische Grundsätze ausgehebelt. Die VertreterInnen des linken politischen Lagers sollten indes feststellen, dass der Weg zur zentralisierten Unterbringung der Asylsuchenden durch die dringlichen Massnahmen zunächst geebnet und nun konkret beschritten wurde. Angesichts der angedrohten Volksinitiative zu «Internierungslagern» durch die SVP stehen wir nun vor der absehbaren, explosiven Situation, die das Referendumskomitee prognostiziert hat: unterstützt man die dringlichen Massnahmen, so ebnet man längerfristig den Weg für «Internierungslager». Genau solche möchten die Rechtskonservativen aber nicht vor ihrer Haustür. Weshalb sich zunächst einmal die Inbetriebnahme abgelegener Anlagen des VBS wiederholen wird, wie dies Regierungsrat Käser im Artikel bereits antönt.

Das Referendumskomitee stellt stellt sich gegen eine solche zentralisierte Unterbringung von Aslysuchenden und insbesondere gegen jegliche Art von Lagerpolitik. Dieselbe Art von Unterbringungspolitik scheiterte bereits Ende der 80er Jahre grandios. Insbesondere für die Asylsuchenden selbst ist die absehbare Unterbringung in Zentren, die in Gemeinden gegen deren Willen installiert wurden, unzumutbar. Es birgt ein enormes Eskalationspotential und kann deshalb nicht im Interesse aller Beteiligter sein – ausser vielleicht der SVP.

Das Komitee wendet sich deshalb an die progressiven Kräfte im Land, das laufende Referendum zu unterstützen um dem langfristigen Szenario zentralisierter Lagerpolitik heute schon eine Abfuhr zu erteilen.

Sämtliche Infos und Unterschriftenbogen unter www.asyl.ch

Eine Stimme aus Israel für den Frieden

Tamar Gozansky, kommunistische Knesseth-Abgeordnete von 1990 bis 2003, von Beruf Wirtschaftswissenschaftlerin, heute 72 Jahre alt, veröffentlichte im Internet folgenden persönlich gehalten Artikel (leicht gekürzt):

«Ihre Brüste schwollen vor Bedeutung: Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak kündigten den Medien und der Öffentlichkeit den Start eines neuen Krieges an, diesmal in Gaza. Wie zu erwarten war, wedelten beide mit der abgenutzten Ausrede eines „Krieges ohne Wahl. Und wie zu erwarten war, schwatzten die Politiker von Kadima (Liberale) und Arbeiterpartei (sozialdemokratisch) auch von dieser Ausrede; aus ihrer Sicht ist die Bombardierung des Gaza-Streifens ein Grund, um der Regierung Grüsse zu schicken.

Die Erfahrung hat uns immer wieder gelehrt, dass die Regierung beim Beginn eines jeden Krieges feierlich versicherte, dass es diesmal mit dem Abfeuern von Raketen auf israelisch Städte und Dörfer ein Ende haben werde. Aber dann kam danach jedes Mal ein neuer Krieg, mit dem das Problem «ein für allemal» gelöst werden sollte. Auf Lügen folgte Enttäuschung, die auf die vergiftete Illusion der Macht folgte.

Krieg als Wahlpropaganda

Im vergangenen Jahr bereiteten uns Netanjahu und seine Partner auf einen grossen Militärfeldzug gegen den Iran vor, indem sie uns immer wieder erklärten, dass Iran eine «existenzielle Bedrohung» sei. Aber für einen Krieg gegen den Iran ist es immer noch nötig, einen amerikanischen Partner zu haben, und dieser Partner hat bisher Netanjahu kein grünes Licht gegeben, sodass der Krieg gegen den Iran, wie er ankündigte, auf das Frühjahr verschoben wurde.

Doch inzwischen gibt es Wahlen. Da sagten sich Netanjahu und Barak wohl: Wenn es keinen Krieg gegen den Iran gibt, wie können wir dann die Dinge in einer Weise arrangieren, dass es in den Wahlkampf der rechten Koalitionspartner passt, der auf der einen Seite die Siedler und auf der anderen Seite die Familien der reichen Tycoons (Grossindustriellen) an sich drückt. So kam es, mit perfektem Timing gerade jetzt organisiert, zwei Monate vor den Wahlen, zu einer Eskalation im Süden…

Selbst die Netanjahu-Liebermann-Barak-Regierung weiss, dass die Bombardierung Gazas und auch eine Invasion durch die Streitkräfte kein einziges Problem lösen wird. Es lohnt sich daran zu erinneren, dass Barak am 27. November 2008 – damals ebenfalls Verteidigungsminister in Ehud Olmerts Regierung – den Beginn der Operation «Gegossenes Blei» verkündete, jenes Krieges, der angeblich Hamas eine entscheidende Niederlage beibringen sollte. Und jetzt, vier Jahre später, wagt der gleiche Barak wieder einen Krieg, und wieder gegen Gaza. Und wieder stopfen sie uns voll mit den Wundertaten von Mord und Zerstörungen, solange sie die israelische Öffentlichkeit damit täuschen können, dass das Problem dieses Mal gelöst werden wird.

Aber die Ähnlichkeit zwischen dem Krieg, der gerade begonnen hat, und der Operation «Gegossenes Blei» ist nicht nur ein Bluff, dass es eine Sache von „Knall und Fall“ sein werde. Beide Male, jetzt und 2008, hatte der Krieg ein durchsichtiges politisches Ziel: die öffentliche Atmosphäre anzuheizen und auf diesem Weg mehr Stimmen bei der Knesseth-Wahl zu bekommen.

Krieg war und ist immer noch ein sehr machtvolles Werkzeug, um soziale Probleme vom Tisch zu wischen, die sich verschlimmernde Wohnungskrise und die täglichen Preiserhöhungen für Grundbedürfnisse zu verdrängen, ebenso für die Rechtfertigung von drastischen Einschnitten in den Haushalt 2013. In Kürze werden sie uns erzählen Seid ruhig und lasst uns weitere 15 Milliarden Schekel für einen weiteren Krieg verschleudern, und dann lasst uns die noch kommenden Einschnitte in den Haushalt bei Arbeitslosenhilfe, Kinderunterstützung, Krankenhausversorgung, Bildung und Infrastruktur damit rechtfertigen.

Manchmal wundere ich mich: Wie lange werden zwei Völker, Israelis und Palästinener, noch zu leiden haben, bis der Groschen fällt und wir endlich begreifen, dass militärische Gewalt das Problem von Raketen auf israelische Gemeinden nicht lösen wird und den Kindern von Siderot und Ashkelon keine ruhige Kindheit sichern kann?…»

Israels Kommunisten bei Friedensdemonstrationen

Noch in der Nacht nach dem ersten israelischen Militärschlag am vorletzten Mittwoch versammelten sich hunderte Menschen auf Initiative der Kommunistischen Partei Israels zusammen mit anderen Friedensaktivisten vor dem Haus von Verteidigungsminister Barak in Tel Aviv und dem Wohnsitz des Premierminsters Netanjahu in Jerusalem, um gegen die erneute Kriegsbrandstiftung der Regierung zu protestieren. Am darauf folgenden Donnerstag gab es weitere Demonstrationen in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem, in Tel Aviv mit 5‘000 Teilnehmern. Auf ihren Schildern hiess es u.a.: «Israel – Palästina – zwei Staaten für zwei Völker» und «Geld für Wohlfahrt, nicht für Krieg». Auf einigen wurde Verteidigungsminister Barak als «Terrorist Nummer 1»  bezeichnet. Gefordert wurde die sofortige Einstellung der Luftangriffe auf den Gaza-Streifen und der Beginn ernsthafter Verhandlungen über eine dauerhafte Zwei-Staaten-Friedenslösung zwischen Israel und Palästina. Der kommunistisch Knesseth-Abgeordnete Dov Khenin (Hadash) erklärte: «Die Netanjahu-Administration beharrt darauf, nichts aus den Erfahrungen zu lernen». «Anführer zu ermorden, ist nie eine Lösung. Anführer sind in der Vergangenheit ermordet worden und andere kamen.»

Amerikanische Schande

Jährliches Ritual bei den Vereinten Nationen: Die UN-Vollversammlung hat von den USA die Aufhebung ihrer Handelsbeschränkungen gegen Kuba gefordert – zum 21. Mal. Für eine entsprechende Resolution stimmten am Dienstag, 13. November 188 der 193 Mitgliedsländer. Zwei enthielten sich, nur drei Staaten stimmten dagegen: Israel, die kleine Inselrepublik Palau und die USA selbst.

Das mehr als 50 Jahre alte Embargo habe einen wirtschaftlichen Schaden von mehr als einer Billion Dollar verursacht, beteuerten Vertreter Kubas. „Humanitäre und wirtschaftliche Schäden“ seien die Folge. Ein US-Diplomat sagte hingegen, die USA stünden an der Seite des kubanischen Volkes. Das Embargo treffe aber die Führung, die ihrem Volk grundlegende Menschenrechte verweigere.

Kaum jemand erwartet, dass die USA der Aufforderung folgen. Die Vollversammlung hat, stets initiiert von lateinamerikanischen Staaten, zuvor schon 20 Mal Washington zur Aufhebung des Embargos aufgefordert – 20 Mal ohne Erfolg. Die Unterstützung für die Resolution hat sich allerdings innerhalb von 20 Jahren von anfangs etwa 50 Staaten inzwischen mehr als verdreifacht.

Das Embargo, in Kuba «el bloqueo» genannt, geht bis auf das Jahr 1960 zurück, wurde aber mehrfach verschärft. Bevor Präsident John F. Kennedy 1962 das eigentliche Handelsembargo verhängte, bestellte er nach Angaben eines Mitarbeiters noch eine Kiste kubanischer Zigarren.

Unerwünscht!

Am 22.11 soll der amtierende NATO-Generalsekretär und Kriegstreiber Anders Fogh Rasmussen auf Einladung des Europainstituts an der Universität Zürich ein Referat zur Sicherheitspartnerschaft der Schweiz und der NATO halten. Solange Sicherheit Krieg bedeutet, haben Menschen wie Anders Fogh Rasmussen hier nichts zu suchen – weder an der Uni, noch sonst wo. Nein zum Krieg! Nato auflösen! Kundgebung gegen die NATO und Rasmussen: Donnerstag 21.11.: 18:00 Haupteingang Universität Zürich.

NATO: Der Bund der weltweiten Kriegstreiber.

Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) ist ein 1949 gegründetes militärisches Bündnis von europäischen und nordamerikanischen Staaten. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Mitgliedstaaten der NATO für eine Reihe von Militäreinsätzen verantwortlich, beispielsweise in Jugoslawien, in Afghanistan oder aktuell in Libyen. Legitimiert werden diese zahlreicher werdenden militärischen Interventionen mit angeblich humanitären Gründen, dem Kampf für die Demokratie und dem Kampf gegen den Terrorismus. Doch schnell wird klar, dass es der NATO nicht um das Wohl der Menschen geht, sondern um politische und ökonomische Interessen der westlichen Staaten. Nicht die humanitäre Lage ist ausschlaggebend für einen Militäreinsatz, sondern die Absicherung des eigenen Wohlstandes. Wirtschaftliche Ressourcen und die Ausdehnung des kapitalistischen Marktes stehen im Zentrum und nicht etwa der Mensch. Krieg wird dort geführt, wo die westlichen Staaten ihre Interessen in Gefahr sehen und nicht dort, wo die Menschen im Elend leben.

Nichts Neues im Westen: Anders Fogh Rasmussen an der Universität Zürich

Für einmal ist es nicht das SIAF, welches mit seinen eingeladenen Gästen unsere Wut auf sich zieht, sondern das Europainstitut. Dieser 1992 gegründete private Verein ist ebenfalls ein der Universität Zürich assoziiertes Institut und veranstaltet jährlich die Special Churchill Lectures, an welchen nun also NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag dem 22.11. zum Thema „Switzerland and NATO: Partners in Security»“ sprechen soll. Damit reiht sich Rasmussen nahtlos in die schaurige Gästeliste der vergangenen Jahre ein: Neben unzähligen kapitalistischen Krisenverwalter, wie beispielsweise Josef Ackermann oder Jean-Claude Juncker, wurden  Sozialabbauer, wie Tony Blair oder Kriegstreiber, wie Henry Kissinger eingeladen.

NATO und die Schweiz: In den Kompetenzen getrennt, in der Aufstandsbekämpfung vereint.

Im Zuge des von der NATO ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ fanden nicht nur etliche militärische Einsätze auf der ganzen Welt statt, sondern es folgte auch eine zunehmende Militarisierung nach Innen. Verstärkte Überwachung, präventive Repression und der Ausbau der repressiven Gesetzgebung waren nur ein Teil der im Zuge der neueren „Sicherheitspolitik“ der NATO Mitgliedstaaten eingeführten Massnahmen. Und vor dieser Entwicklung macht auch die Schweiz nicht halt. Zudem ist die Schweiz Teil der „Partnerschaft für den Frieden“, in welcher Staaten, die keine NATO Mitglieder sind, ebenfalls an der neuen Entwicklung teilhaben dürfen. Doch die NATO nimmt nicht nur, sie gibt auch und ist gerne bereit bei der Neuausrichtung der Armee zu helfen. So rühmt sich das EDI für Partnerschaft zwischen der NATO und der Schweiz mit den folgenden Worten: „Die NATO ist ein zentrales Instrument für die Transformation und Anpassung der Streitkräfte an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Fragt sich, ob die NATO schon wertvolle Tipps für die neusten Militärübungen der Schweizer Armee vom Oktober gegen die angebliche Gefahr neuer Migrationsströme und soziale Aufstände liefern konnte.[1] Doch die gemeinsame Sicherheitspolitik funktioniert auch auf der Ebene des gemeinsamen Informationsaustausches. Und wenn der kurdische Aktivist wie Metin Aydin trotz Hungerstreik auf Drängen des NATO Mitgliedstaates Türkei wiederrechtlich an Deutschland ausgeliefert wird, dann ist das eben auch Teil der gemeinsamen „Sicherheitspolitik“.

Krieg dem Kriege.

Kriege sind weder das Ergebnis einzelner wahnsinniger Diktatoren, noch sind sie Ausdruck einer vergangenen Zeit. Krieg und Elend sind genauso immanenter Bestandteil des Kapitalismus, wie der Reichtum für wenige. In einem System, welches durch die Konkurrenz einzelner Unternehmen und Nationen definiert ist, geraten einzelne Akteure zwangsläufig immer wieder in einen Konfliktzustand. Gerade in der Krise, in welcher die Absatzmärkte schwinden und die Widersprüche grösser werden, zeigt sich vermehrt, dass gesellschaftliche Konflikte mit militärischer Gewalt gelöst werden. Wenn in Spanien streikenden Fluglotsen mit der Armee gedroht wird, ist das ebenso Teil dieser Entwicklung, wie wenn die NATO Mitgliedstaaten ganz offen darüber diskutieren können, wo sie als nächstes militärisch intervenieren möchten. Und gegen eine solche Entwicklung wehren wir uns nicht nur, sondern wir wollen die Probleme an den Wurzeln packen, den Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte werfen und ein für alle Mal eine Gesellschaft aufbauen, in welcher Krieg und Finanzkrisen tatsächlich Ausdruck einer längst vergangenen Zeit sind.

Nein zum Krieg! NATO Auflösen! Kundgebung gegen die NATO und den Auftritt von Anders Fogh Rasmussen an der Universität Zürich: Donnerstag, 21.11 18:00 Haupteingang Uni Zürich.

Marx ohne Zähne

Michael Heinrichs Bücher über die Kritik der politischen Ökonomie geniessen einen guten Ruf – nicht ganz zu unrecht. Und doch muss man sie mit einigem Vorbehalt lesen: Zu schnell begräbt der Autor darin wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Krise und die Klassenfrage.

Aus der Printaugabe vom 9. November. Unterstütze uns mit einem Abo.

Wo ein neuer Kapital-Lesekreis gegründet wird, hat man heute meist schnell Michael Heinrichs bereits in 10. Auflage erschienene «Kritik der politischen Ökonomie» zur Hand. Tatsächlich ist dem Autoren mit seinem Einführungsbüchlein eine plastische und gut verständliche Einführung in das Werk von Karl Marx gelungen. Mit «Wie das Marxsche Kapital lesen?» legte er eine Leseanleitung für die ersten Kapitel des ersten Bandes des «Kapitals» nach, die die Befassung mit der schwierigen Wertformanalyse und dem viel diskutierten Fetischkapitel erleichtert. Auch in der marxistischen Diskussion hat es der Autor zu hoher Reputation gebracht. Seine Dissertation «Die Wissenschaft vom Wert» gilt längst als Standardwerk. Der Mathematiker und Politologe beherrscht es, die komplexe und vielschichtige Materie der marxschen Kritik einfach und doch fundiert darzustellen. Und doch muss man Heinrich mit gewissen Vorbehalten lesen. Was Heinrich in seiner ausführlichen Beschäftigung mit Marx entwickelt, ist eine bestimmte Interpretation, die auch in seinen Einführungsbüchern durchscheint.

Die «Neue Marx Lektüre»

Die «Schule», der Heinrich angehört, wird heute «Neue Marx Lektüre» genannt und hat neben einigen Vorläufern ihren Ursprung etwa in den 1970er Jahren. Sie ist als direkte Reaktion auf die Krise des Marxismus zu verstehen und war von Beginn an geprägt von einer scharfen Abgrenzung gegenüber der marxistisch-leninistischen Leseweise von Marx, die zu grossen Teilen zur Legitimationswissenschaft des realsozialistischen Regimes geworden war. Die AutorInnen dieser neuen Leseweise kritisieren die historisierende Interpretation der Marxschen Formanalyse, die sie meist auf Engels zurückführen. Sie problematisieren die staats- und revolutionstheoretischen Implikationen dieser Interpretation und fokussieren selber sehr viel stärker auf die Formbestimmungen bei Marx. Man muss es ihnen hoch anrechnen, dass sie mit vielerlei politisch verheerenden Verirrungen in der traditionellen Auslegung der marxschen Theorie aufgeräumt haben. Gleichzeitig haben viele AutorInnen aber in bestimmten Fragen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Zudem bleibt die «Neue Marx Lektüre» meist im akademischen Diskurs befangen, der zwar ungeheur penibel ist, sich aber gerade deswegen scheut, klare politische Folgerungen aus der neuen Lektüre zu ziehen.

Differenzen und Kritik

Die «Neue Marx Lektüre» ist in sich nicht homogen, sondern weist Widersprüche und Brüche auf, und es wäre verkehrt, sie als geschlossenes Ganzes behandeln zu wollen. Hier soll es um die bestimmte Leseweise von Michael Heinrich gehen, der sich seit einigen Jahren zum prominenten Aushängeschild dieser Lektüre-Bewegung gemausert hat. Es gab auch innerhalb dieser Neulektüre berechtigte Kritik an Heinrichs Auslegung: Etwa an der «Zweiweltenlehre» von Heinrich, in der Produktionssphäre und Zirkulation nur noch formell verbunden sind oder an der Behauptung Heinrichs, dass das Geld keine Geldware sein müsse, sondern blosses Symbol sein könne. Es soll in diesem kurzen Artikel aber nicht um diese marxologischen Dispute gehen, obwohl diese oftmals schwerwiegende politische Konsequenzen haben. Stattdessen soll an zwei Beispielen veranschaulicht werden, wo Heinrich mit einer politisch-revolutionären Leseweise von Marx in Widerspruch gerät: An der Krisentheorie und an der Klassenfrage.

Entschärfung der Krisentheorie

Heinrich unterzieht die verschiedenen krisentheoretischen Stränge des traditionellen Marxismus einer Kritik. Insbesondere mit dem berühmten «tendenziellen Fall der Profitrate» verfährt er dabei hoch formalisierend. Er weist nach, dass dieses marxsche Gesetz sich mathematisch nicht beweisen lässt. Unter der Prämisse, dass variables Kapital nur durch konstantes ersetzt wird, wenn es weniger kostet als das zu ersetzende, kommt Heinrich rechnerisch sogar auf das Gegenteil: Eine sinkende organische Zusammensetzung des Kapitals und damit ein Ansteigen der Profitrate. Einerseits überzeugt er zwar argumentativ, dass sich dieses marxsche Gesetz nicht mathematisch beweisen lässt. Andererseits sind die Prämissen von Heinrich nicht plausibel: Das Kapital ersetzt variables Kapital auch, um seine Produktivität zu steigern und die erhoffte Profitmasse auszudehnen. Zudem weist Marx schon darauf hin, dass die Maschinerie «ein Kriegsmittel wider Arbeitermeuten» ist und entsprechend eingesetzt wird. Man muss nur etwas die Augen offen halten, um zu sehen, wie sehr sich die organische Zusammensetzung des Kapitals zumindest in den Metropolen erhöht hat. Was Heinrich mit der Tendenz der fallenden Profitrate macht, ist bezeichnend für seine Auslegung der Marxschen Theorie: Er abstrahiert von den konflikthaften Prozessen und vom permanenten Klassenkampf und fasst das Kapital weitgehend als «automatisches Subjekt».

Krise und die Klassenfrage

Was Heinrich zur Krise abschliessend zu sagen hat, zieht der marxschen Theorie als Theorie der Revolution die Zähne: Das Kapital ist nicht mehr prozessierender Widerspruch, sondern wird einerseits von zyklischen Krisen heimgesucht und andererseits von Krisen geschüttelt, in deren Folge das Akkumulationsmodell geändert werden muss. Hier verkürzt Heinrich die marxsche revolutionäre Kritik zu einem Entwicklungsmodell. Stattdessen müsste man das Kapital als konflikthaften Prozess auffassen, der immanente Schranken hat, die zwar gewaltsam überwunden werden können, die aber immer wieder potentiell revolutionäre Situtationen erzeugen, in deren Folge sich ein Subjekt konstituieren kann, das das Ganze über den Haufen zu werfen fähig ist.

Dieses Problem ist eng mit der Klassenfrage verknüpft: Bei Heinrich existiert eine Kapitallogik, die dem Handeln der Menschen vorausgesetzt ist. Auch wenn Heinrich eingesteht, dass die Menschen diese Strukturen tagtäglich reproduzieren, liegt das Hauptaugenmerk doch auf den ihnen vorausgesetzten Strukturen, auf dem Kapital als «automatischem Subjekt». Statt in eine solche Schlagseite zu verfallen, müsste man herausarbeiten, warum die kapitalistische Gesellschaft notwendig auf dem Klassenkampf beruht und sich durch diesen entfaltet. Marx macht das etwa im Kapitel über den Arbeitstag. Man muss dabei nicht jeden illegalen Download als Klassenkampf auffassen, aber man sollte die realen Prozesse des Klassenkampfes und ihre Bedeutung für die Konstitution des Kapitals nicht aus den Augen verlieren. Genau diese Gefahr besteht aber, wenn man statt des Originals nur Michael Heinrichs Bücher über das «Kapital» liest, auch wenn sie den Einstieg in die schwierige Materie erleichtern können.

vorwärts an die Uni!

Die «Linken Hochschultage» wollen mehr sein als einfach nur «kritisch», denn kritisch nennt sich heute vieles. Genau genommen wird kritisches Denken zu den Grundtugenden gezählt, die jeder Bürgerin und jedem Bürger zugemutet werden. Wer will denn schon unkritisch sein: etwa gegenüber der Wahl der fairsten Kaffeebohnen im Supermarkt oder der Energiebilanz der neuen Waschmaschine? Auch an der Uni nennt sich vieles kritisch, manchmal steht sogar «Marx» drauf – was auch immer drinsteckt. So wie man aus Nietzsche einen Advokaten des Nationalsozialismus gemacht hat, lässt sich auch mit Marx manches anstellen. Es bleibt von ihm dann nicht mehr als ein harmloser Moralist oder ein zahnloses Schmusekätzchen zurück. Auf die kritischen Schriften und die aktuelle Wissenschaft allein können wir uns also nicht verlassen, wenn es darum geht, dem Begriff der Kritik wieder Substanz zu verleihen. Deshalb ist dieser ganze kritiklose Zustand zu kritisieren und mit ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn ermöglichen. Die Kritik muss über das hinausgehen, was sie innerhalb der Unimauern bedeuten kann. Mit der Übernahme eines frei stehenden Gebäudes durch das «Komitee für Linke Hochschultage» wird diese Grenze überschritten. Dieser Grenzüberschreitung und der Plattform für soziale Kämpfe und die Arbeit an der Kritik, die sich dahinter eröffnet, sind die folgenden vorwärts-Seiten gewidmet.

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Eine ganze Gesellschaft erwacht!

Im 2010 kündigte die liberale Regierung Québecs eine Studiengebührenerhöhung an. Die Studierendenorganisation «CLASSE» (Coalition large de l’Association pour une solidarité syndicale étudiante) mobilisierte als Antwort darauf zu einem Studierendenstreik. Dieser weitete sich schliesslich zu einer in der Geschichte Kanadas einmaligen sozialen Bewegung aus, die Studierende, SchülerInnen und Lohnabhängige zusammenbrachte. Ein Gespräch mit Katherine Ruault, Studentin und Mitglied von «CLASSE».

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Was waren die Gründe für die Mobilisierung der SchülerInnen und Studierenden in Québec?

Im Jahr 2010 präsentierte die liberale Regierung von Québec das neue Staatsbudget. Darin waren massive Austeritätsprogramme vorgesehen. Es ging in erster Linie um zwei wichtige Elemente: Einerseits wollte die Regierung die Gesundheitskosten mit einer zusätzlichen Steuer vermehrt auf die Lohnabhängigen überwälzen, andererseits sollten die Studiengebühren um 127 Prozent erhöht werden. Das dominante Argument: In Zeiten der Krise müsse der Staat sparen. Für die «CLASSE» war von Anbeginn klar: Die Erhöhungen können nur durch einen unbefristeten Streik blockiert werden.

Kannst du kurz erklären, was  die «CLASSE» ist?

«CLASSE» ist eine Vereinigung von 67 SchülerInnen- und Studierendenorganisationen, die zusammen über 100 000 GymnasiastInnen und Studierende in ganz Québec vereinigt. Diese Vereinigung ist zeitlich befristet und hat alle Organisationen versammelt, die unseren Grundsätzen zustimmten, sprich die Verteidigung der materiellen Interessen der Studierenden mit kämpferischen, demokratischen, feministischen und unabhängigen Mitteln. Wir haben zwei Ziele: eine öffentliche, kostenlose und nicht-diskriminierende Bildung für alle und den Aufbau einer gewerkschaftlichen, demokratischen, feministischen und kämpferischen Studierendenbewegung. Wir funktionieren nach den Prinzipien der Basisdemokratie. Das heisst, dass die dezentralen Studierendenversammlungen über die politische Stossrichtung der Organisation entscheiden.

Wann hat dann der tatsächliche Studierendenstreik begonnen?

Wir haben zwei Jahre lang auf einen Studierendenstreik hin mobilisiert. Dazu gehörten Petitionen, kleine Aktionen, kleine Demos und die Verbreitung von Informationsmaterial. Diese Vorarbeit war unabdingbar für das Gelingen unserer Mobilisierung und hat am 10. November 2011 zur ersten Grossdemo mit 30 000 Beteiligten geführt Im Januar 2012 hatten sich bereits 10?000 Studierende bereit erklärt, einen unbefristeten Streik zu führen. Die Mobilisierungsarbeit wurde natürlich weitergeführt, mit Aktionen und weiterer Informationsarbeit. Am 1. März fand dann eine Grossdemo statt und 100?000 Studierende traten in den unbefristeten Streik. Am 22. März fand eine landesweite Demo statt, an der sich 200?000 Personen beteiligten. Die massive Mobilisierung hat uns dazu veranlasst, jeden 22. des Monats auf die Strasse zu gehen.

Die Bewegung benutzte viele unterschiedliche Aktionsformen. Welche Vorteile konntet ihr daraus ziehen?

Wir haben stets zum zivilen Ungehorsam aufgerufen, das war die Hauptform unseres Kampfes. Darüber hinaus suchten wir die Unterstützung der ganzen arbeitenden Bevölkerung. Wir haben in den Quartieren und Nachbarschaften Versammlungen organisiert, die es erlaubten, die Beteiligung zu erweitern. Auch fanden spontane Nachtdemos statt, meist dezentral organisiert. Die «cazerolazos», also Demos durch die Nachbarschaften mit Pfannen, gehörten zu den Momenten, während denen sich Kinder, Frauen und ganze Familien an der Bewegung beteiligten. Doch wir haben schnell gemerkt, dass wir auch dort ansetzen mussten, wo der Staat und die Wirtschaft ökonomisch verletzlich sind. Wir begannen also Staatsunternehmen, Häfen und Brücken zu blockieren und somit die Wirtschaft lahmzulegen. Dadurch wurde unsere Mobilisierung zu einem Kampf «ums Ganze» ausgeweitet.

Auf einem Transparent war zu lesen: «Dies ist kein Studierendenstreik. Es ist eine ganze Gesellschaft, die erwacht». Wie erklärst du dir, dass diese Studierendenbewegung ein solches Ausmass annehmen konnte?

1970 erlebte Québec mit einer «stillen Revolution» die Unabhängigkeit von Kanada. Eine «stille Revolution» bedeutet aber nicht, dass keine Kämpfe stattgefunden haben. Tatsächlich kennt Québec eine lange Tradition von Arbeitskämpfen, Streiks und grossen Mobilisierungen. So war der diesjährige Streik bereits der siebte grosse Streik der SchülerInnen und Studierenden, wobei ein solches Ausmass nie erreicht wurde. Parallel zu unserer Bewegung befanden sich auch andere Lohnabhängige im Kampf. Das Reinigungspersonal von «Air Canada» streikte gegen die Ankündigung von Entlassungen, im Aluminiumunternehmen «Rio Tinto» wurden die ArbeiterInnen aufgrund ihres Kampfes gegen anti-gewerkschaftliche Entlassungen ausgesperrt und hatten somit keinen Lohn. Wir haben uns gleich solidarisiert, gingen die kämpfenden ArbeiterInnen besuchen und boten materielle Hilfe an. Die Verbindung von Kämpfen gehört zu einem Hauptanliegen von «CLASSE».

Wie reagierte der Staat, beziehungsweise die Regierung nach diesen massiven Mobilisierungen?

Die Regierung reagiert sehr repressiv gegen die Bewegung. Im Mai trat die «Loi 78» in Kraft, welche alle Versammlungen im Umkreis der Unis verbot, MitarbeiterInnen von Hochschulen das Streikrecht entzog und alle Personen, die unbewilligt demonstrieren, mit horrenden Bussen bestrafte. Unsere Mobilisierung musste sich also radikalisieren, um dagegen zu halten. Wir riefen zu einem sozialen Generalstreik auf. Am 22. Mai fand dann tatsächlich ein zweitägiger Streik statt, der nicht nur die Schulen und Unis erfasste, sondern die ganze Wirtschaft Québecs. Unterschiedliche Gruppen von Lohnabhängigen stellten sich aktiv auf unsere Seite. Es wurden unabhängige Kollektive gegründet wie «PflegerInnen gegen die Erhöhung», «RentnerInnen gegen die Erhöhung» und «Richter gegen die ‹Loi 78›». Aus dem Studierendenstreik wurde ein sozialer Kampf.

Hat diese Radikalisierung und Erweiterung der Bewegung auch Früchte gebracht?

Am 4. September fanden Wahlen statt, welche die «Parti Québecois» gewann. Sie kündete an, die Gebührenerhöhung und die repressiven Gesetze zurückzuziehen. Wir beendeten somit am 8. September den Streik, da unsere unmittelbaren Forderungen durchgesetzt wurden. Nun organisiert die neue Regierung ein Gipfeltreffen zum Thema Bildung, an dem auch die Studierendenorganisationen eingeladen sind.

Kann daher die «Parti Québecois» als politische Stimme der sozialen Bewegung bezeichnet werden?

Auf keinen Fall. Sie ist in der Geschichte sozialen Bewegungen repressiv begegnet. Zudem war sie die erste Partei, die in Québec neoliberale Programme umgesetzt hat. Trotz des Regierungswechsel haben wir weiterhin gute Gründe, wachsam zu bleiben.

Wie sieht die Zukunft der Bewegung aus?

«CLASSE» hat entschieden, nicht an das Gipfeltreffen zu gehen, um nicht vereinnahmt zu werden. Unser Ziel bleibt ein kostenloses Schul- und Universitätssystem. Wir haben im Sommer ein Manifest geschrieben, welches weiterhin an öffentlichen Versammlungen debattiert wird. Wir bleiben bei der Überzeugung: Wir sind die Zukunft und zusammen können wir unsere Ziele erreichen.

Gegen die Gewalt des Kapitals

Der Aufruft der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zum europäischen Protesttag vom  14. November.

25 Mio. offizielle Arbeitslose in der EU, über 50 Prozent arbeitslose Jugendliche in Griechenland und Spanien, «Sparprogramme», nach denen in Deutschland kommunale Bäder, Büchereien usw. schliessen, in Griechenland aber ein Grossteil der Bevölkerung ausgehungert wird, das ist die Zwischenbilanz der sogenannten Eurorettung. In Wahrheit wird hier allenfalls den reichen Griechen geholfen, werden die Profite der Deutschen Bank, der Spekulanten und Zocker gesichert. Allein die Übernahme der faulen Papiere der Hypo Real Estate liess sich die Bundesregierung 173 Milliarden Euro kosten, eineinhalb mal soviel wie alle Schulden der Kommunen im Land. Gegen diese Politik im Interesse deutscher und internationaler Konzerne und «Finanzdienstleister» richtet sich am 14. November internationaler Protest des Europäischen Gewerkschaftsbunds.

Die Kapitalisten nützen die Krise

In Portugal, Spanien, Malta, Griechenland und Zypern wird zum Generalstreik aufgerufen, wahrscheinlich auch in Italien. Erhöhte Arbeitsmarktflexibilität, u. a. durch weniger Kündigungsschutz, Privatisierung öffentlicher Dienste und der Sozialversicherungen, Lohndumping, Rentenkürzungen, soziale Ausgrenzung und wachsende Ungleichheiten sind keine südeuropäischen Phänomene. Alltag hierzulande sind real sechs Millionen Erwerbslose, über 20 Prozent Niedriglöhner, Zeit- und Leiharbeit mit Aussicht auf Altersarmut. Die Kapitalisten nutzen die Krise, um ihre Umverteilungspläne und die zur Errichtung eines neoliberalen kapitalistischen europäischen Staats zu forcieren.

Mindestlöhne jetzt

In den DGB-Gewerkschaften laufen jetzt Vorbereitungen, auch hier den 14. November zum Aktionstag werden zu lassen, zur Verteidigung gewerkschaftlicher Rechte, die nicht nur in Griechenland von der Troika aus EU, EZB und IWF in den Dreck getreten werden. Es geht darum, die Krisengewinner für ihre Krise zur Kasse zu bitten. Die Forderung nach einer Millionärssteuer wird lauter. Her mit dem gesetzlichen Mindestlohn, weg mit der Rente erst mit 67. Vielerorts bilden sich Bündnisse wie in Frankfurt, wo vor dem griechischen Konsulat und der FDP-Zentrale demonstriert werden soll.

Sozialismus als Alternative

Der Schokoladenüberzug ist ab, der Kapitalismus zeigt sein über Jahrzehnte schamhaft verborgenes Gesicht als eine Ausbeuterordnung, in welcher der Profit das Mass aller Dinge ist. «Der Mensch muss vor dem Profit stehen», das fordern hingegen immer mehr Betroffene und stellen die Frage nach Alternativen. Das kann für uns letztlich nur eine sozialistische sein. Unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie diese einmal aussehen wird, werden uns Kommunisten nicht daran hindern, mit allen fortschrittlichen Menschen gegen die, wie Marx sie nannte, alltäglichen Gewalttaten des Kapitals zu kämpfen, am 14. November und danach.

Quelle und weitere Infos: www.kommunisten.de

 

Grund der Verhaftung: Die Wahrheit!

Man kann es durchaus als symptomatisch ansehen und es hätte genau so gut in jedem anderen EU-Staat geschehen können: ein griechischer Journalist wurde kürzlich festgenommen und angeklagt, nicht weil er die Unwahrheit verbreitet hatte, sondern weil er ein Stück von der Wahrheit ans Licht brachte. Er veröffentlichte eine Liste von über 2000 reichen Griechen, die ihr Geld auf einer Schweizer Bank vor dem Zugriff der Finanzämter in Sicherheit gebracht hatten. Der Journalist heisst Kostas Vaxevanis und ist Herausgeber und Chefredakteur des Magazins «Hot Doc». Am 28. Oktober hatte ihn ein stattliches Aufgebot von rund einem Dutzend Polizisten aufgrund eines Haftbefehls der Athener Staatsanwaltschaft festgenommen, am 1. November fand auf deren Betreiben ein Prozess gegen ihn statt. Die Anklageschrift beschuldigte ihn der Verletzung des Datenschutzes, weil er vertrauliche private Daten bekannt gemacht hat, sowie der Verleumdung der genannten Personen.

Daten von Geschäftsleute und Familienclans verschwunden

Nachdem in der griechischen Öffentlichkeit bereits seit einiger Zeit von der Existenz einer sogenannten «Lagarde-Liste» von griechischen Kontoinhabern bei der schweizer HSBC-Bank gemunkelt worden war, hatte das Magazin sie sich beschafft und Ende Oktober veröffentlicht. Allerdings wurden nur die Namen veröffentlicht, ohne Angabe von Konto-Nummern und Höhe der jeweiligen Einlagen. Das Magazin schrieb sogar dazu, dass nicht jeder Grieche, der ein Konto in der Schweiz hat, automatisch als Steuerbetrüger anzusehen sei. Auf der Liste standen zahlreiche Geschäftsleute und reiche Familienclans wie der des Textilmagnaten Lamaras sowie Ärzte, Zahnärzte, Journalisten, auch einige Politiker, darunter ein ehemaliger Minister der konservativen Karamanlis-Regierung.

Die Schweizer HSBC ist die fünftgrösste Bank in der Schweiz und eine Filiale des in London ansässigen internationalen Finanzkonzerns gleichen Namens mit 7’200 Filialen in 80 Ländern der Welt, darunter Hongkong, New York, Brasilien, Mexiko, Panama, Paris, Monaco, Luxemburg, Bahrain, Qatar, Singapur, Bahamas usw., Jahresgewinn 2011 vor Steuern 16,797 Milliarden Dollar.

In den Besitz griechischer Staatsstellen war die Liste bereits im Oktober 2010 gekommen. Christine Lagarde, heute Chefin des IWF, damals noch französische Wirtschafts- und Finanzministerin, hatte sie in Form einer CD an den damaligen griechischen Finanzminister Papakonstantinou von der PASOK weitergereicht. Daher «Lagarde-Liste». Ex-Finanzminister Papakonstantiou meint heute, die CD an die Steuerfahndung weitergegeben zu haben, behauptet aber, keine Ahnung zu haben, was danach damit geschehen ist und wo sie seither blieb. Angeblich hat die Steuerfahndung die Ermittlungen eingestellt, weil die Erkenntnisse «nicht gerichtsverwertbar» gewesen sein sollen, weil sie aus einer «illegalen Quelle» stammten,. Das französische Finanzministerium hatte die CD nämlich seinerzeit von einem ehemaligen Angestellten der HSBC erhalten, den die Bank des Datendiebstahls beschuldigt. Papakonstantinous Nachfolger als Finanzminister, der heutige PASOK-Vorsitzende Venizelos behauptete, in seiner Amtszeit einen USB-Stick mit der Liste an die griechische Justiz weitergegeben zu haben, über dessen Verbleib aber ebenfalls nichts weiter zu wissen. Er habe sich die Daten niemals selbst angesehen.

Also, oh Wunder, weder die CD noch der USB-Stick waren bisher noch irgendwo auffindbar. Auch der heutige wieder konservative Finanzminister Stournaras weiss von nichts. Bis «Hot Doc» offenbar findig genug war, das zu schaffen, was die früheren und heutigen Regierungsspitzen nicht schafften, nämlich die Liste wieder auftauchen zu lassen.

Nicht schuldig!

Ehre dem Athener Richter, der den angeklagten Journalisten am 1. November trotz der heftigen Ausfälle des Staatsanwalts dann doch für «nicht schuldig» erklärte! Das im Gerichtssaal anwesende Publikum erhob sich von den Plätzen, um dem Freispruch Beifall zu zollen. Vielleicht hatte den Richter ja das Argument des Angeklagten überzeugt, dass der griechische Staat besser gegen die Steuerbetrüger vorgehen und diese verhaften würde, statt die Gehälter von Richtern und anderen Staatsbediensteten zu kürzen und zu versuchen, die Wahrheit zu unterdrücken.

Allerdings war bisher nichts in der Richtung zu erfahren, dass die Namensliste nun tatsächlich einer gründlichen Untersuchung unterzogen wird und die Steuerflüchtlinge zur Verantwortung gezogen werden. Auch von der EU-Troika, deren Diktat die griechische Bevölkerung in immer größere Armut und die griechische Wirtschaft in immer tiefere Rezession stürzt, war nichts in dieser Richtung zu hören. Im griechischen Parlament soll jetzt zwar ein Untersuchungsausschuss gebildet werden, der nachforschen soll, warum zwei Finanzminister trotz der vorliegenden Fakten jahrelang nichts unternommen haben. Und das kann natürlich wieder dauern…

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