Es lebe der 8. März!

zetkinBei dem Streik der Textilarbeiterinnen am 8. März 1857 in New York, den sie für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen organisierten, wurden 129 Frauen ermordet. Auf der zweiten Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen im Jahre 1910 schlug Clara Zetkin vor, dass ein Tag im Jahr als internationaler Einheits-, Kampf- und Solidaritätstag der Frauen eingeführt werden solle. Festgelegt wurde der 8. März dann zu Ehren des Kampfes der New Yorker Textil-arbeiterinnen.

Am 8. März 1917 hoben die Arbeiterinnen von St. Petersburg die Fahne des Kampfes in die Höhe. Dieser Streik war der Beginn der Oktoberrevolution und richtete sich gegen den Zarismus und die Armut. Der 8. März ist auch zu ihren Ehren der internationale Kampf- und Solidaritätstag der Frauen. Somit entwickelte sich der 8. März zu einem Tag, den internationale Arbeiterinnen mit ihrem Leben bezahlten, an dem der Gleichheits- und Befreiungskampf gemeinsam gefeiert wird und an dem die aktuellen Forderungen der Frauen formuliert werden.

Seit dem ersten organisierten Streik der Frauen am 8. März 1857 sind 159 Jahre vergangenen. In diesen 155 Jahren haben Frauen einige Rechte gewonnen und einen langen Weg zurückgelegt. Doch die Profitgier der Kapitalherrscher, die eine tödliche Kriegspolitik betreiben, die zu Krisen führt, die Arbeitslosigkeit produziert und die Armut wie eine Lawine wachsen lässt, führt auch Stück für Stück zu der Rücknahme der ArbeiterInnenrechte, die jahrelang erkämpft wurden.

Die Frauen, die die Sklaven der Sklaven sind, werden nur aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, dies wissend geprägt und so gebildet. Ebenso wird zu Gewalt gegriffen, um ihnen gewisse Verhaltensweisen zu lehren. Sie werden zweifach unterdrückt und im Namen der Ehre ermordet. Ihre Sexualität wird vermarktet, wird gekauft und verkauft. Sie werden vergewaltigt und sexuell belästigt. In Kriegen sind sie die zu erobernden Schätze. Obwohl die Frau jeden Tag aufs Neue diejenige ist, die das Leben reproduziert, hat sie in keinem Bereich des Lebens ein Mitspracherecht, nicht einmal über ihren eigenen Körper und ihr Leben. Frauen sind diejenigen, die als billige Ersatzarbeitskraft eingestellt werden, und in Krisenzeiten als erste entlassen werden. Wenn innerhalb der Familie die Arbeitslosigkeit steigt, wird die gesellschaftliche Rolle der Frau immer wichtiger. Denn trotz der Armut ist es weiterhin die Aufgabe der Frau, die Familienmitglieder satt zu machen und glücklich zu stimmen. Sobald Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit keine Rechte mehr sind, sondern privatisiert und als Ware verkauft werden, sind auch hier die Frauen die ersten, die diese Rechte verlieren. Doch damit nicht genug! Auch übernehmen Frauen – als sei es ein ungeschriebenes Gesetz – die Pflege von Hilfsbedürftigen. Arbeitslosigkeit und Armut führen dazu, dass Frauen weltweit zur Zielgruppe des Sexsektors werden; dass die psychischen Probleme innerhalb der Gesellschaft und die häusliche Gewalt zunehmen; und dass Frauenmorde und Gewalt an Frauen in grausamer Art und Weise steigen.

Ruhm denjenigen, die den 8. März erschaffen haben und heute am Leben halten!

Die Zahlen der Streikenden auf Strassen, in Fabriken und Schulen weltweit gegen diese Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung und Grausamkeit nehmen zu und Frauen scheuen sich nicht, ihren Platz an den Fronten einzunehmen. Die Fackel, die 1857 durch die streikenden Frauen entflammte, lodert heute in den Händen der Arbeiterinnen.

Arbeiterinnen, liebe Frauen, liebe Freunde, lasst uns gemeinsam gegen dieses Leben als Sklaven, das uns aufgezwungen wird, auf die Strassen gehen! Lasst uns gemeinsam gegen den Sozialabbau, die Arbeitslosigkeit, Armut und sexistische Gesetze kämpfen! Lasst uns am 8. März solidarisch unsere gemeinsamen Parolen rufen!

Es lebe der internationale Kampftag der Frauen!

Auf der sozialistischen Frauenkonferenz im August 1910 wurde beschlossen, «als einheitliche internationale Aktion einen alljährlichen Frauentag», einen gemeinsamen Kampftag der Arbeiterinnenbewegung zu begehen. Unter dem Kampfruf «Heraus mit dem Frauenwahlrecht» gingen am ersten internationalen Frauentag, am 19. März 1911, alleine in Deutschland mehr als eine Million Frauen auf die Strasse und forderten für alle Frauen soziale und politische Gleichberechtigung. Auch heute sind diese Forderungen aktuell: Weltweit leben Frauen in patriarchalen Herrschaftsverhältnissen und sind mit Unterdrückung und Ausbeutung konfrontiert. Mehrheitlich Frauen und Mädchen werden Opfer von Armut und Gewalt, wobei laut WHO-Statistik 2001 global Gewalt die Haupttodesursache für Frauen ist, noch vor Krebs, HIV und Herzinfarkt. In Deutschland verdienen sie im Falle von geregelten Arbeitsverhältnissen durchschnittlich 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und sind überproportional häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist eine gesellschaftlich akzeptierte Tatsache, die in patriarchalen und heteronormativen Systemen zu dessen Aufrechterhaltung immer weiter reproduziert wird. Deshalb ist die Frage der Geschlechterverhältnisse nicht losgelöst von der grundsätzlichen hierarchischen Beschaffenheit der Gesellschaft zu denken, die nach ausgrenzenden Kategorien wie Geschlecht, sexueller Orientierung, Ethnie, Nationalität, Behinderung, Klasse und anderen funktioniert.

Für eine Welt ohne Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung

Und trotz allem bleibt es noch ein weiter Weg, bis die Gleichheit in allen Bereichen und Augenblicken des Alltags Realität wird. Es gibt noch zahlreiche Situationen, in denen sich die Diskriminierung der Frau fortsetzt, in der sie ungleich behandelt wird, Respekt und Gerechtigkeit fehlen. Es reicht ein Blick hin zu unseren Nachbarinnen, zu den Familien in unserem Wohnviertel, zu unseren Arbeitskolleginnen, zu den arbeitenden Frauen auf anderen Kontinenten um festzustellen, dass noch immer Unterschiede, Diskriminierung und Gewalt auf Grund des Geschlechtes existieren. Wir beobachten, dass sich diese Situation heute, wegen der aktuellen globalen Krise verschärft hat. Ohne Erbarmen trifft sie die Arbeiterklasse, aber auf eine viel brutalere Weise und sehr viel härter die am leichtesten zu verletzenden und benachteiligten Gruppen, wie , neben anderen, die Frauen , insbesondere die armen und jungen Frauen, so wie die Migrantinnen.

Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der die kapitalistische Ordnung überwunden ist und nicht der Profit im Mittelpunkt steht. Für eine Welt, in der Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung keinen Platz haben.

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Frauen als Retterinnen der AHV?

Bundesrat Alain Berset. © Andreas Blatter

Bundesrat Alain Berset. © Andreas Blatter

Das Parlament berät derzeit die vom EDI unter der Leitung von Bundesrat Berset vorgeschlagene Rentenreform «Altersvorsorge 2020». Ein klarer Angriff ist die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre – aber genau darüber herrscht in den beratenden Gremien mehrheitlich Konsens.

Bereits mehrfach sind AHV-Reformen an der Urne gescheitert. Da die gesamte Schweizer Stimmbevölkerung davon betroffen ist, regt sich bei Kürzungen in diesem Bereich wesentlich mehr Widerstand als beispielsweise beim Sozialabbau bei der Invalidenversicherung, von dem «nur» 260000 Personen betroffen sind. Bei der anstehenden Reform «Altersvorsorge 2020» ist das nicht anders. Das Stimmvolk wird nicht differenziert über einzelne Punkte der Reform entscheiden können, sondern nur «Ja» oder «Nein» stimmen. Bei einem «Nein» müsste die Arbeit ganz von vorne beginnen und das wollen sämtliche Parteien verhindern – die Frage ist nur wie.

Zuckerbrot und Peitsche à la SP

Wie viele Konzessionen für dieses «Ja» gemacht werden müssen, darum geht es in der aktuellen Debatte. Bei dieser Ausgangslage haben reformistische Kräfte in den Parlamenten durchaus eine Chance, sich Gehör zu verschaffen, wie sich im Ständerat gezeigt hat. So hat die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit, welche das Dossier als erste beriet, den Vorschlag aus dem Departement des SP-Bundesrates Berset nicht verschärft, sondern sozialer gemacht. Das ist mutmasslich dem Einsatz des aufrechten Reformisten Paul Rechsteiner zu verdanken, aber zu einem grösseren Teil der Angst, dass das ganze Paket scheitern könnte, wenn es neben der Peitsche nicht auch Zuckerbrot gibt. So schlägt der Ständerat neben der Erhöhung des Frauenrentenalters Kürzungen bei der Pensionskasse vor. Die für tiefe Löhne wichtigere AHV wird jedoch nicht angetastet, sondern verbessert. Auch bei der Finanzierung ist der Ständerat sozialer als Berset, so soll die Mehrwertsteuer um 1 Prozent statt 1,5 Prozent erhöht werden und der Bund soll finanziell nicht weniger in der Pflicht stehen als bisher.

Blutige Peitsche à la FDP

Der Nationalrat, der nun über die Vorlage beraten soll, wird wohl eine andere Taktik anwenden. FDP und SVP werden dafür sorgen, dass die Vorlage wieder verschärft wird und setzen darauf, dass die Stimmbevölkerung es nicht wagen wird, «Nein» zu stimmen. Das ist konfrontativer: «Ihr müsst «Ja» sagen, oder ihr verliert alles!». Es zeigt, dass die seit Jahren andauernde Propaganda über den drohenden Zusammenbruch der AHV gewirkt habe. Demnach setzen FDP und SVP darauf, dass die Abstimmenden nach dem Motto «Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach» einem radikalen Sozialabbau bei der Rente zustimmen werden.

Äusserst problematisch ist, dass der Arbeitgeberverband im Nationalrat eine Schuldenbremse vorschlagen wird. Diese sieht vor, dass, wenn das Vermögen der AHV unter einen bestimmten Stand sinkt, die Regierung sanieren müsse, ansonsten würde das Rentenalter automatisch auf 67 Jahre erhöht. Damit stünde die Erhöhung des Rentenalters im Gesetz und würde durch die Hintertür Realität. Wenn die FDP ihre alte Forderung tatsächlich so nebenbei in die Vorlage reinschreiben will, riskiert sie tatsächlich den Widerstand der Gewerkschaften und der SP. Das scheint ein Wagnis. Historisch betrachtet ist es der Sozialdemokratie oft besser gelungen, Sparprogramme durchzusetzen. Entsprechend äussert sich der andere Interessensverband des Kapitals, Economiesuisse, beispielsweise besorgt über die Tatsache, dass ein ganzes Paket zur Abstimmung kommt und nicht einzelne Teile davon. Natürlich steht die Economiesuisse auch für einen konzessionslosen Sozialabbau. Dieser würde dem Kapital bei der Ablehnung eines Gesamtpakets aber viel härter auf die Füsse fallen als im Falle der Ablehnung von Teilbereichen. So sieht Economiesuisse die Erhöhung des Frauenrentenalters als vordringliches Problem, welches nun ohne Konzessionen durchzubringen sei, um dann weitere «Reformen» anzugehen.

Konsens beim Frauenrentenalter Tatsächlich herrscht nur in der Frage der Erhöhung des Rentenalters der Frau Harmonie in den beratenden Gremien. Die Meinung scheint dermassen einhellig zu sein, dass gar nicht viele Worte darüber verloren werden. In den Vernehmlassungstexten taucht gelegentlich auf, dass Frauen bei gleicher Arbeit tiefere Löhne haben und es deshalb ein bisschen «ausgleichende Gerechtigkeit» wäre, ein Jahr früher in Rente zu gehen. Aber die Umfrageresultate zeigen eine grosse Akzeptanz der Erhöhung, weshalb ReformistInnen diesen Kampf nicht ernsthaft in Angriff nehmen.

Gebären gegen die Krise?

Der konfrontative Kurs ist nicht ohne Chance und wird seit Jahren propagandistisch vorbereitet, indem Angst geschürt wird: Es wird uns eingebleut, dass die AHV kaputt gehe, wenn nicht sofort gespart werde. Die demografische Zeitbombe, wonach demnächst ganz wenige Arbeitende ganz viele RenterInnen zu finanzieren haben, wird in den Medien breitgetreten. Schuld an der heraufbeschworenen Bedrohung der AHV wären demnach nicht die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt, sondern die Frauen, die notorisch zu wenige Babys gebären. Am Stadtrundgang zur AHV von 2007 haben wir deshalb gesagt: «Die kapitalistische Krise lassen wir uns nicht in die Gebärmutter schieben». Demographie mag zwar eine Wissenschaft sein, aber sie ist politisch motiviert. Während den Frauen des Trikonts vorgeworfen wird, sie hätten zu viele Kinder, geschieht in Europa das Umgekehrte. Beides mit Absicht. Denn für die Geburtenrate ist ja praktischerweise nicht der Kapitalismus verantwortlich, sondern die Frau. Ein Ablenkungsmanöver. Die Politik könnte die AHV sehr einfach retten, wenn sie progressiv wäre. Aber dafür müsste das Finanzierungsmodell verändert werden. Es ginge darum zu entscheiden, dass die Alten grundsätzlich ein Recht auf Rente haben und dieses staatlich garantiert wird. Denn die AHV und ihr Umlageverfahren sind bei der heutigen Finanzierung wohl tatsächlich bedroht, auch wenn es sehr viel stärker an der Arbeitslosigkeit als am Geburtenrückgang liegt.

«Altersvorsorge 2020»

Der Ständerat hat die Rentenreform «Altersvorsorge 2020» beraten und in einigen Punkten die Vorlage aus dem Bundesrat etwas entschärft. Nun geht das Dossier an den Nationalrat zur Beratung – dieser wird es mutmasslich wieder verschärfen. Der aktuelle Stand ist:

• Das Frauenrentenalter wird auf 65 Jahr erhöht, das Eintrittsalter flexibilisiert. Alle sollen im Alter zwischen 62 und 70 in Rente gehen können.

• Der Ständerrat fordert eine Erhöhung der AHV-Renten zum Ausgleich für die Kürzungen bei der Pensionskasse. Die Eintrittsrenten generell um CHF 70.- und der Plafond von Ehepaarrenten von 150  auf 155 Prozent.

• Witwen- und Waisenrenten werden nicht wie vom Bundesrat vorgeschlagen abgebaut.

• Bei der Pensionskasse wird wie vorgeschlagen der Umwandlungssatz von 6,8  auf 6 Prozent gesenkt. Der Koordinationsabzug (das Jahresgehalt, ab welchem Pensionskasse bezahlt werden muss) wird aber nicht wie vorgeschlagen ganz gestrichen, sondern gesenkt. Und es wäre neu ab dem 21. Altersjahr BVG einzubezahlen.

• Die Finanzierung soll über zusätzliche 0,3 Lohnprozente, die wie üblich zwischen Arbeitenden und Betrieb geteilt werden sowie über ein zusätzliches Prozent Mehrwertsteuer erfolgen. Der Bundesrat hatte 1.5 Prozent höhere MwSt vorgeschlagen. Auch das bereits existierende «Demografieprozent» der Mehrwertsteuer soll vollumfänglich der AHV zukommen. Die Vorlage von Berset sah vor, die Beteiligung des Bundes an der AHV von 19,5  auf 18 Prozent zu kürzen, was der SR abgelehnt hat.

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Gemeinschaft und Widerstand

sciopero_generale_04Das gegenwärtige Migrationsregime bedingt das Leben von vielen Frauen* auf gewaltvolle Weise. Gemeinschaft und Solidarität bauen, jenseits von kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Teilungspraktiken ist eine Strategie des Widerstands dagegen.

Das Migrationsregime ist Gewalt an Frauen*, weil es jeden legalen Fluchtweg in die Schweiz verunmöglicht. Der letzte legale Weg in die Schweiz zu flüchten, war bis 2013 über das sogenannte Botschaftsasyl. Über 40 Prozent der Gesuche wurden von Frauen* in CH-Botschaften ihrer Herkunftsländern gestellt. Durch die Abschaffung dieser Einreisemöglichkeit ist die Schweiz mitverantwortlich an den Gräueltaten, die Frauen* auf der Flucht widerfahren. Es drängt sie auf gefährliche Fluchtrouten, auf denen sie von ökonomischer und sexueller Ausbeutung bedroht sind.

Das Migrationsregime ist auch Gewalt an Frauen*, weil es ausser «hochqualifizierten». spezialisierten Arbeitskräften“ keine Möglichkeit der Niederlassung für Frauen* aus Drittstaaten bietet, ausser der Ehe. Dem Grossteil bleibt einzig zu heiraten, um eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten. Aufenthaltsrechtlich wird Frau* somit auf eine Ehefrau reduziert. Seit diesem Jahr ist der Cabaret-Status – die letzte Möglichkeit ausserhalb der EU- und EFTA-Staaten eine Arbeitsbewilligung zu erwerben – abgeschafft. Dies drängt Frauen* in die Illegalität und somit in die Rechtlosigkeit. Die Arbeitsbedingungen illegalisierter Frauen* sind prekär: Illegalisierten Hausarbeiter*innen beispielsweise fehlt sozialer und rechtlicher Schutz und die Angst vor einer plötzlichen Ausschaffung ist allgegenwärtig. Dabei erfüllen sie eine Nachfrage, die mit der globalen, kapitalistischen Arbeitsteilung und den hiesigen Geschlechterverhältnissen verbunden ist: Während immer mehr Schweizer Frauen* erwerbstätig sind, hat eine Anerkennung sowie eine Umverteilung der Haus- und Care-Arbeit zu den Männern nicht stattgefunden.

Das Migrationsregime ist Gewalt an Frauen*, weil es Ausbildung, Fähigkeiten und Wissen von Frauen*, die migriert oder geflüchtet sind, aberkennt und somit ungleiche Zugänge zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen legitimiert. Die Aberkennung von Fähigkeiten aus rassistischen Motiven ist verbunden mit einer kapitalistischen Logik, die Migrant*innen und Geflüchtete einzig als wirtschaftliche Ressourcen wahrnimmt und somit ihren Einsatz nur in den untersten Lohnsegmenten vorsieht.Trotz all dieser widrigen Umstände schaffen es viele Frauen*, sich selbständig durch zu schlagen und finden Wege, sich selbstbestimmt zur Wehr zu setzen. Im Frauen*?!…Kafi versuchen wir an einer Gemeinschaft und an Solidarität jenseits von rassistischen, sexistischen und klassistischen Teilungspraktiken mitzubauen. Dabei geht es darum, widerständige Stimmen gegen die bestehenden Herrschaftslogiken zu stärken, zu verbreiten und Formen des Widerstands zu kreieren. Dazu ist es notwendig, von unterschiedlichen Wissenstraditionen zu lernen, um sich politisch zu bilden. Das Frauen*?!…Kafi ist Teil eines Raumes für Antirassismus und Feminismus. Im Sinne des Raums verpflichten wir uns einer antikapitalistischen, emanzipatorischen Praxis mit radikalem Anspruch. Wir sind Frauen* mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen, aus verschiedenen Gründen in Zürich: geflohen, gereist oder hier aufgewachsen. Politik verstehen wir als Teil unseres Alltags. Ob wir wollen oder nicht, bedingt Politik unser Leben, deswegen wollen und müssen wir uns organisieren, zusammenschliessen, Gemeinschaft bauen und die Stimme erheben gegen patriarchale, rassistische und kapitalistische Strukturen.

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Schluss mit den Massakern in Kurdistan!

cizreIn Cizîr (Cizre) verloren während der Ausgangssperre und der Militäroperation mehr als 200 Menschen ihr Leben. Das Militär hat zwar die Operation beendet, doch dauern die Ausgangssperre und die Übergriffe durch türkische Sicherheitskräfte an. Die Identifizierungen der Leichname der Opfer des Massakers aus den drei Kellern von Cizîr sind noch nicht abgeschlossen – und jetzt zittern die Menschen um das Leben ihrer Angehörigen im belagerten Sûr. Mit jedem verstreichenden Tag, an dem der Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung nicht gestoppt wird, gibt es weitere tote ZivilistInnen!

Cizîr (Nordkurdistan/Türkei) wurde während 64 Tagen den Angriffen der türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt, wobei laut örtlichen Angaben auch bio-chemische Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Mindestens 165 ZivilistInnen, die inmitten von Militäroperationen Zuflucht in den Kellern von Wohnhäusern gesucht hatten, wurden von türkischen Sicherheitskräften zu Tode gebombt. Die Leichname, die in die Spitäler von Cizîr geliefert wurden, sind unkenntlich. Deshalb können die Familien sie nicht identifizieren. Mehr als 100 Leichname warten nach wie vor auf Identifizierung durch einen DNA-Test.

Die unbegrenzten Ausgangssperren rund um die Uhr, welche die AKP-Regierung in kurdischen Provinzen erklärt hat, verschärfen weiterhin die Notsituation, welche grundlegende Menschenrechte und Freiheiten in der Region, einschliesslich dem Recht auf Leben und persönliche Sicherheit, untergräbt. Insgesamt wurden seit dem 16. August 2015 in sieben Provinzen und 20 Landkreise fast 400 Tage Ausgangssperre verhängt. Verwundete Menschen werden in ihren Häusern mit Mörsergranaten beschossen und daran gehindert, ins Spital zu gehen. Im Oktober 2015 konnte eine Mutter in Cizîr aufgrund der Ausgangssperre ihre von den türkischen Sicherheitskräften getötete 12-jährige Tochter nicht beerdigen und musste sie daher im Gefrierfach aufbewahren.

Schluss mit der faschistischen Praxis der AKP-Regierung!

Während sich die AKP-Regierung weiterhin von der Verantwortung für die Massaker an ZivilistInnen in Cizîr mit der abgedroschenen Phrase vom «Kampf gegen den Terror» freispricht, sind wir erneut schockiert von den Nachrichten aus dem Bezirk Sûr der Stadt Amed (Diyarbak?r). Der historische Stadtteil, dessen Stadtmauer unlängst von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wurde, steht seit dem 11. Dezember 2015 unter Ausgangssperre – das sind bei Redaktionsschluss 88 Tage!

In einem dringenden Aufruf erklärte die Demokratische Partei der Völker HDP: « Während der militärischen Angriffe gegen die eingeschlossenen ZivilistInnen in Cizîr hatten wir der internationalen Öffentlichkeit mitgeteilt, dass ihr Schweigen und ihre Gleichgültigkeit die AKP-Regierung und deren Sicherheitskräfte bei ihren ungesetzlichen und unmenschlichen Handlungen in kurdischen Städten stärken. Wenn die Weltöffentlichkeit ihre mächtige Stimme für den Schutz von Leben und Sicherheit der eingeschlossenen ZivilistInnen in Cizîr erhoben hätte, dann hätten wir heute vielleicht nicht hunderte von toten Körpern aus den Ruinen von Cizîr bergen müssen. Nun, am Beginn einer möglicherweise ähnlichen Tragödie, die im Bezirk Sûr droht, appellieren wir erneut an die internationale Gemeinschaft.»

Die AKP-Regierung mit ihrer Politik unter Einsetzung von Militär, Polizei und bewaffneten Spezialeinheiten und ihren Massakern an der mehrheitlich kurdische Zivilbevölkerung stellt seit dem Juli 2015 eine Bedrohung des Friedens dar. Es werden schlimmste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Bilder erinnern an die überwunden geglaubten Szenen aus den Neunzigerjahren, wo im Zuge der Vernichtungspolitik der türkischen Regierung gegen die KurdInnen über 4000 Dörfer zerstört, Frauen und Kinder verbrannt, massenhaft exekutiert und teilweise in Massengräbern geworfen wurden.

Das Schweigen Deutschlands

Obwohl die AKP-Regierung unter Führung Erdogans vor Augen der Weltöffentlichkeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, unterstützt die Bundesregierung Deutschlands das Vorgehen Erdogans mit neuen Geldern, die zur Kriegsführung eingesetzt werden. Dazu der Minister des Inneren Herr de Meziere (Monitor-Beitrag vom 04.02.2016): «Alle, die uns jetzt sagen, man muss die Türkei von morgens bis abends kritisieren, denen rate ich, das nicht fortzusetzen. Wir haben Interessen. Die Türkei hat Interessen. Das ist ein wichtiger Punkt. (…) Natürlich gibt es in der Türkei Dinge, die wir zu kritisieren haben. Aber die Türkei, wenn wir von ihr etwas wollen, wie, dass sie die illegale Migration unterbindet, dann muss man auch Verständnis dafür haben, dass es im Zuge des Interessenausgleichs auch Gegenleistungen gibt.»

Hoch die internationale Solidarität!

Wir Frauen können und wollen dazu nicht schweigen. Wir werden es nicht zulassen, dass die Menschlichkeit ermordet wird. Die Zeit ist gekommen, ein System, das uns alle gefangen hält, zu überwinden und mit ihm abzurechnen. Hinter den faschistischen, frauenfeindlichen Angriffen auf die kurdische Bevölkerung steht die Absicht des türkischen Staates und seiner Verbündeten wie der Terrororganisation IS, die kurdische Freiheitsbewegung und die dahinter stehende Vision auf ein freies Leben jenseits von staatlicher und patriarchaler Herrschaft zu zerschlagen. Wir stehen in der Verantwortung, unsere Organisierung, unseren Kampf und die internationale Frauensolidarität stärker zu entwickeln. Nur unter dieser Voraussetzung wird es gelingen, die Gewaltkultur im Allgemeinen und speziell jene gegen Frauen zu überwinden.

Wir begrüssen den historischen Widerstand der Frauen in Kurdistan, der im Gedenken an Sakine Cansiz, Ekin Wan, Seve, Pakize und Fatma und alle getöteten Frauen und Kinder geführt wird und rufen die Weltöffentlichkeit, und insbesondere die Frauen, dazu auf, ihre Solidarität mit dem demokratischen Widerstand des kurdischen Volkes, der im Namen der gesamten Menschheit geführt wird, sichtbarer zu machen.

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Stellungnahme der PdAS zu den Abstimmungen

sciopero_generale_04Sieg gegen die SVP

Mit grosser Freude und Erleichterung nimmt die Partei der Arbeit der Schweiz (PdA) die Ablehnung der fremdenfeindlichen Durchsetzungsinitiative der SVP zur Kenntnis. Die Annahme hätte den Rechtsstaat für Alle begraben und Regelungen eingeführt, die beängstigende Parallelen zum ehemaligen Apartheidregime in Südafrika gehabt hätten. Besonders erfreulich und ermutigend ist, dass sich breite Teile der Zivilgesellschaft erfolgreich dem Vorhaben der rechtspopulistischen SVP widersetzt haben.Jedoch ist der hohe Anteil an Ja-Stimmen äusserst beunruhigend. Auch ist klar, dass die SVP noch lange nicht am Ziel ihrer Abschottungspolitik ist. Der nächste Angriff auf die Rechte und die Menschenwürde der «AusländerInnen» ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die PdAS ruft daher alle fortschrittlichen Kräfte auf, sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Schweiz, in Europa und weltweit mit allen demokratischen Mitteln zur Wehr zu setzen!

Weiter hält die PdAS erneut fest, dass die Ursache der Kriminalität keine angeborene Eigenschaft ist, welche einige Menschen oder einige Nationalitäten von Natur aus besitzen. Die steigende Anzahl der fremdenfeindlichen Initiativen der SVP haben zum Ziel, die politischen Diskussionen auf ein Nebengeleis zu lenken und die Öffentlichkeit entsprechend zu prägen; anstatt über den Kahlschlag im Sozial- oder Bildungsbereich oder die Unternehmenssteuerreform III öffentlich zu diskutieren, soll über die «bösen AusländerInnen» gewettert werden. Wo die SVP enthusiastisch die Statistiken des Ausländeranteils an Straftaten präsentiert, heben wir die sozio-ökonomischen Hintergründe der StraftäterInnen in den Vordergrund: Armut und Ungleichheit sind die Folgen der kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben – seien dies Menschen mit oder ohne Schweizer Pass, die in der Schweiz geboren sind oder nicht. Der Zusammenhang zwischen der Form von Kriminalität und den sozialen Schichten ist unverkennbar!

 

Heiratsrecht für alle Paare

Die PdAS ist über das Nein zur Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» sehr erfreut. Die Annahme hätte eine rückständige, konservative Definition der Ehe in die Verfassung verankert. In ihrem Wahlprogramm 2015 fordert die PdAS das Heiratsrecht für alle Paare. Weiter hätte die Annahme der Initiative zu Steuerausfälle von jährlich 1.9 Milliarden Franken beim Bund und 390 Millionen Franken bei den Kantonen und Gemeinden verursacht.

 

Volkswille aus dem Jahr 1994 missachtet

Mit dem Ja zur zweiten Gotthardröhre wird ein Bauvorhaben umgesetzt, das ein klarer Verstoss gegen die Schweizer Verfassung darstellt. So hält Art. 83. Abs. 3 fest: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden. Von dieser Beschränkung ausgenommen sind Umfahrungsstrassen, die Ortschaften vom Durchgangsverkehr entlasten». Dieser Artikel wurde nach der Annahme der Alpen-Initiative im Jahr 1994 eingeführt. Nun wird dieser Volkswille missachtet und die Verfassung verkommt in diesem Punkt zu einem sinn- und nutzlosen Fetzen Papier.  Die Menschen und die Natur im Alpengebiet sind die Verlierer dieser Abstimmung. Gewonnen haben die Profitinteressen der Zement- sowie der Autoindustrie. Der Bau des zweiten Tunnels durch den Gotthard kostet die SteuerzahlerInnen rund zwei Milliarden Franken. Dazu kommt die Sanierung des heutigen Tunnels von etwa 800 Millionen Franken. Nicht eingerechnet hat der Bundesrat aber die Folgekosten: Betrieb und Unterhalt der zweiten Röhre werden jährlich 25 bis 40 Millionen Franken verschlingen. Geld, das andernorts fehlen wird.

 

Chance verpasst

Die Ablehnung der Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» ist für die PdAS enttäuschend. Die Stimmberechtigten haben eine wichtige Chance verpasst, die Nahrungsmittespekulation am richtigen Ort zu bekämpfen. Der Finanzplatz Schweiz und die Schweizer Banken spielen eine wichtige Rolle in der Spekulation mit Nahrungsmitteln und die grössten Rohstoffunternehmen der Welt haben  ihren Firmensitz in der Schweiz. Ihre habgierigen Profitinteressen, die unter anderem auch für den Hunger vieler Menschen auf der Welt verantwortlich sind, haben leider einmal mehr gesiegt. Doch der Kampf gegen Hunger und Armut geht weiter!

Partei der Arbeit der Schweiz

Februar 2016

Die Mitte, die Linke und der Antisemitismus

kippaDie jüdische Gemeinde der Schweiz gibt zunehmend grössere Beträge für Sicherheitsvorkehrungen aus. Die Angst ist nicht unbegründet. Die Linke täte gut daran, sie ernst zu nehmen und sich problematischen Momenten im eigenen Lager zu stellen.

Kugelsichere Scheiben, Überwachungskameras und Securitas: jüdische Einrichtungen werden auch in der Schweiz zunehmend stärker gesichert. Diese Sicherheitsmassnahmen kosten Geld. Geld, das die jüdische Gemeinde selber aufbringen muss. Im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern erhalten – ausserhalb ausserordentlicher Bedrohungsszenarien – «religiöse Minderheiten» in der Schweiz keine finanzielle Unterstützung für Sicherheitsvorkehrungen. Aufgrund der steigenden Kosten hat die jüdische Gemeinde Zürich kürzlich staatliche Unterstützung gefordert. Dass das steigende Sicherheitsbedürfnis nicht nur durch die teilweise antisemitisch motivierten Anschläge islamistischer Mörderbanden im Ausland begründet ist, zeigt ein Blick in den Antisemitismusbericht des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Dieser hatte für das Jahr 2014 mit 60 Ereignissen in der Deutschschweiz «so viele antisemitische Vorfälle wie noch nie» aufgelistet. Eine Studie der gfs Bern aus dem selben Jahr geht davon aus, dass in der Schweiz rund 10 bis 11 Prozent der Bevölkerung eine «systematisch antisemitische Einstellung» hat; das sind immerhin um die 800000 Personen. Es steht zu befürchten, dass die etwas subtileren Formen des Antisemitismus in der Studie nicht berücksichtigt wurden und die Zahl noch weitaus höher veranschlagt werden muss.

Die Linke und der Antisemitismus

Der Antisemitismus ist ein virulentes Problem, das viele politische Spektren betrifft. Die Rechte hat ihn fast immer mit viel Stolz vor sich hergetragen. Die Mitte zeigte trotz eigener Verstrickungen mit dem Finger auf die Radikalen, ohne verstehen zu können und zu wollen, dass sich der Antisemitismus aus den Strukturen ihrer so innig geliebten Gesellschaft speist. Die Linke wiederum bekundete je nach historischem Kurs Mühe, die Spurenelemente des Antisemitismus in ihren eigenen Reihen klar zu benennen und zu bekämpfen. Das hat verschiedene Gründe: Der antiimperialistische Kanon hat sich je nach Galionsfigur immer mal wieder mit einem brachialen Antizionismus verschmolzen, der die Grenze des Antisemitismus eins ums andere Mal überschritt. Natürlich ist nicht jede Kritik am Zionismus antisemitisch, aber in Zeiten in denen sich der Antisemitismus gerne mit der Ablehnung Israels und seiner Staatsideologie tarnt, muss man schon sehr genau hinhören, wer da was, warum und mit welchen Bildern kritisiert.

Ein weiteres Problem der Linken ist, dass sich der Antisemitismus als gegen oben gerichtete Ideologie darstellt. Darum nannte ihn August Bebel, die ungeheure Vielschichtigkeit des Phänomens verkennend, den «Sozialismus des dummen Kerls». Gegen das Finanzkapital oder die Weltverschwörung, der rebellische Antisemit weiss sich immer mit den Unterdrückten der Welt einig. Auch hier gilt es genau hinzusehen: Bloss weil jemand das Finanzkapital schlimm findet oder hinter dem Anschlag auf das World Trade Center eine Verschwörung vermutet, muss er natürlich kein Antisemit sein. Man muss sich aber die Argumentationsmuster genau anschauen und spätestens wenn Verschwörungstheorie und Zinskritik oder Bankenschelte zusammenfinden, landet man mit grosser Sicherheit beim Antisemitismus.

Der Zeigefinger der Mitte

Es sind diese problematischen Momente der Linken, die es mit sich brachten, dass sich die politische Mitte in die Pose des Mahners werfen konnte. Die deutlich antisemitische Karikatur der JUSO zur Spekulationsinitiative war ein Versehen, das kann man der raschen Reaktion der Jungpartei wohl entnehmen. Aber der Vorfall zeigt, dass mangelnde Sensibilität und Geschichtsvergessenheit kombiniert mit einer zu bestimmten Themen eingeschliffenen Bildsprache, gefährlichen Unsinn produzieren kann. Die hämischen Kommentare von Rechts, die den Antisemitismus in der Feindschaft der Linken zum Kapitalismus verorteten, sind aber vor allem eines: Die Legitimation ihrer eigenen Politik in der Diffamierung einer Alternative. Sie können und wollen nicht sehen, wie sich der Antisemitismus in den Strukturen des von ihnen geliebten Kapitalismus reproduziert: Versachlichung und Verschleierung gesellschaftlicher Beziehungen, eine bestimmte Ausgestaltung der Zirkulationssphäre, Prekarisierung der Lebenssituation, Leistungsdruck und Konkurrenz, nationale Separation und Identifikation… Die Liste kapitalismusspezifischer Ursachen von Ideologie im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen ist lang. Es wäre gerade die marxsche Kritik, die ein Antidot dazu sein könnte, weil sie Zusammenhänge aufzeigt und Strukturen offenlegt und weil sie die Totalität kritisiert, die der Antisemit nicht abschaffen, sondern bloss von besonderen «Auswüchsen» befreien will. Das aber will der gute Bürger der Mitte nicht hören. Er zeigt in seiner Linkenschelte auch auf jene, die mit dem ganzen Verhängnis und damit auch mit dem Antisemitismus aufräumen möchten.

Mehr Sensibilität

Wenn aber die Linke mit islamistischen Kräften Demonstrationen für Palästina organisiert, an denen auch Fahnen von antisemitischen Organisationen wehen (man muss sich bloss mal die Charta der Hamas durchlesen), dann geht das über ein Versehen hinaus. Dann gewinnt die Warnung der Mitte an Plausibilität. Man muss sich klar gegen die betreffenden Gruppen stellen und ihre Ideologie kritisieren. Das bedeutet keineswegs in einen moralischen Alarmismus zu verfallen, der die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs durch die politische Mitte reproduziert. Aber die Linke muss dringend ihren Blick schärfen und sich von jeglichen antisemitischen Spurenelementen distanzieren. Und wenn die jüdische Gemeinde Zürich sich genötigt sieht vom Staat Unterstützung für die steigenden Sicherheitsvorkehrungen zu verlangen, dann sollte die Linke das ernst nehmen.

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«Bildung soll kostenlos sein»

Am 28. Februar bildungsdemooo im Kanton Zürich die Bildungsinitiative zur Abstimmung kommen. Im Gespräch mit dem vorwärts erklärt Harald Lukes, Mitglied des Initiativkomitees sowie der Kommunistischen Jugend Zürich, worum es geht und weshalb ein Ja in die Urne gelegt werden muss.

Was will die Bildungsinitiative und wer steckt dahinter?

Harald Lukes: Unsere Initiative, die von verschiedenen linken Organisationen, Studierendenverbänden und Gewerkschaftsgruppen gestützt wird, will die Bildung an den öffentlichen Schulen kostenlos machen. Das bedeutet, die Bildungseinrichtungen von der Primarschule über die Berufsschulen bis zur Universität sollen nichts mehr kosten. Sie will die Kosten für das Schulmaterial an den Berufsschulen und die Studiengebühren an den Universitäten abschaffen. Auch Ausflüge mit der Schulklasse und der Instrumentalunterricht sollen gratis werden. Die Bildung sollte kostenlos sein, damit auch für wirklich alle Lernenden, SchülerInnen und Studenten der Zugang dazu gewährleistet ist. Die Kosten machen es den schlecht Verdienenden schwerer, sich für eine höhere Bildung zu entscheiden, und halten sie deshalb eher davon ab, an die Universität zu gehen. Nur schon für eine Lehre stellen die Bildungskosten eine schmerzhafte Hürde dar: Die Lernenden haben sowieso schon tiefe Löhne und müssen dazu noch das Schulmaterial bezahlen.

Kostenlose Bildung, tönt gut. Aber wie wollt ihr das finanzieren? Hat das Initiativkomitee einen konkreten Vorschlag zur Finanzierung gemacht?

Es muss gesagt werden: Die Kosten, die die Initiative verursachen würde, wären nicht einmal 1 Prozent des kantonalen Budgets. Zur Finanzierung hat das Initiativkomitee keinen konkreten Vorschlag gemacht, es wird dem Kanton überlassen, wie er das machen möchte. Wir von der Kommunistischen Jugend würden gerne die Unternehmen dafür bezahlen lassen.

Die Unternehmen?

Ja. Diese machen doch mit der Arbeit der Lernenden riesige Millionengewinne. Auswendig weiss ich zum Beispiel für 2009, dass die Arbeitsleistung der Lernenden den Betrieben Einnahmen in der Höhe von 5,8 Milliarden Franken eingebracht hat, während die Ausgaben für die Lernenden nur 5,3 Milliarden betrugen. Den Unterschied von 500 Millionen konnten die Unternehmen als Gewinne für sich behalten.

In der Bildung wird gegenwärtig stark gespart. Macht es da Sinn, für noch mehr Kosten zu
sorgen?

Die Bildungsinitiative setzt sich dem Trend entgegen, immer mehr einzusparen und zusammen zu kürzen. Dieses Jahr will die Regierung im Kanton Zürich bei der Bildung wieder 50 Millionen einsparen und der Bundesrat möchte bei der Bildung und der Forschung ab 2017 jedes Jahr 250 Millionen kürzen. Es stellt sich die Frage: Wieso muss denn überhaupt gespart werden? Weil die Bürgerlichen den Unternehmen in der Vergangenheit ein Steuergeschenk nach dem anderen gemacht haben. Etwa die Unternehmenssteuerreform II; damit wurde ein Steuerloch von 7 Milliarden Franken für den Bund erzeugt. Und statt das notwendige Geld für die Bildung bei den Unternehmen zu holen, werden uns diese Sparprogramme aufgezwungen. Gleichzeitig werden weiter Steuergeschenke gemacht, bald steht die Unternehmenssteuerreform III an, die wieder Milliarden an Steuerausfällen verursachen wird. Die Folgen dieser Sparprogramme haben wir, die Arbeitenden, zu tragen. Wir müssen uns mit einer schlechteren Bildung begnügen und uns mit grösseren Klassen und höheren Kosten für die Lernenden und Studierenden abfinden.

Wem nützt die Initiative am meisten?

Es sind vor allem ärmere, schlecht verdienende Personen, der sie am meisten Nutzen bringt. Solange es Ausbildungsgebühren gibt, werden gerade Leute aus ärmeren Schichten von der Bildung ferngehalten. Wer in einer armen Familie zur Welt kommt, der hat eine grosse Chance, auch arm zu sterben. Reichere hingegen vererben ihren Reichtum und ihre Bildungsprivilegien. So kommt etwa die Hälfte der Studierenden schon aus Familien, die selbst studiert haben. Es ist also eine Elite, die grösstenteils unter sich bleibt.

 

Die Bildungsinitiative ging ursprünglich von Studierenden der Uni Zürich aus, der Verband der Studierenden unterstützt sie.Tatsächlich wurde sie ursprünglich von Studierenden lanciert. Sie entstand als Reaktion auf die Erhöhung der Studiengebühren. Aber es geht bei der Bildungsinitiative um viel mehr. Der Umgang mit Bildung hat sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt, dagegen muss endlich Widerstand geleistet werden. Die Bildungsinitiative unterstützt gerade auch SchülerInnen, Berufslernende und deren Eltern. Wie schon erwähnt würden durch die Bildungsinitiative alle Weiterbildungen kostenlos. Auch die Bücherkosten an den Berufsschulen würden wegfallen, genauso wie die für das Schreibmaterial, Ausflüge und Musikunterricht. Sie müssten nicht mehr von den Lernenden oder ihren Eltern bezahlt werden. Als Konsequenz wird die Bildungsinitiative den SchülerInnen und Lernenden der Mittel- und Berufsschulen am meisten nützen, verhältnismässig weniger stark den Studierenden. Trotzdem geht sie Studierende und Lernende gleichermassen an.

Weitere Infos: www.bizh.ch

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Schluss mit Lohndumping

geldDer Kampf um Lohndumping geht in die nächste Runde: Am 28. Februar ist die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich dazu aufgerufen, über verschärfte Massnahmen gegen Lohnunterbietungen abzustimmen. Grosskonzerne und Politik sind nicht erfreut.

Ende Februar steht im Kanton Zürich ein gewichtiges Thema auf dem Stimmzettel: die Lohndumping-Initiative der Gewerkschaften. Um das florierende Geschäft mit der Billigarbeit einzudämmen, sollen die Behörden künftig Arbeitsstopps verfügen können, sofern ein Verdacht auf Lohndumping besteht und sich die verantwortlichen Unternehmen nicht kooperativ zeigen. Der Betrieb müsste dabei solange ruhen, bis der Fall geklärt ist.

Zwar hat das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) bereits heute, im Rahmen der flankierenden Massnahmen, die Möglichkeit, einem fehlbaren Unternehmen nicht nur Lohnnachzahlungen, sondern auch Konventionalstrafe und Sanktionen aufzuerlegen – doch wiegen diese Strafen für Grosskonzerne nicht schwer. Eine Busse von bis zu 5 000 Franken zahlen sie aus der Portokasse; eine Arbeitssperre bis zu fünf Jahren kann durch die Gründung eines neuen Unternehmens umgangen werden. Und: Bis ein Fall von Lohndumping definitiv geklärt ist, können bis zu fünf Jahren ins Land gehen, wie die NZZ jüngst vorrechnete. Bis dahin «sind die jeweiligen Arbeiten abgeschlossen und die Firma möglicherweise über alle Berge», so die Unia. Um dies zu verhindern, müsse frühzeitig gehandelt werden können.

Das «Lohndumping-Konstrukt»

Darüber, mit welchen perfiden Methoden Lohndumping betrieben wird, ist mittlerweile – insbesondere aus der Baubranche – einiges bekannt. Zu einem beliebten Mittel gehört etwa die sogenannte «Scheinselbständigkeit». Dabei werden ArbeiterInnen, zumeist aus dem Ausland, von Firmen dazu angeregt, eine «Ich-AG» zu gründen und als solche Aufträge auszuführen. Mit diesem Trick können die Unternehmen Gesamtarbeitsverträge (GAV) und somit geltende Mindestlöhne umgehen.

Hilfreich, um die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse und Lohnzahlungen zu verschleiern, ist zudem die Weitergabe von Teilaufträgen an Sub- und Subsubunternehmen. Während das Unternehmen, das sich den Auftrag gesichert hat, seine Stammbelegschaft korrekt bezahlt, holen sich die Sub- und Subsubunternehmen, an die Teile des Auftrags ausgelagert werden, BilligarbeiterInnen aus Süd- und Osteuropa. Die ArbeiterInnen schlafen in Containern, manchmal direkt an der Baustelle, arbeiten statt 42 bis zu 60 Stunden die Woche und erhalten einen Lohn, der weit unter dem geltenden Mindestlohn liegt. Um dies zu vertuschen, werden sie dazu angehalten, KontrolleurInnen anzulügen und gefälschte Arbeitszeitrapporte sowie Lohnabrechnungen vorzuweisen.

«Alltag auf Zürcher Baustellen»

Aus Sicht der Unia ist dieses «Lohndumping-Konstrukt» zum «Alltag auf Zürcher Baustellen geworden». So wurden im vergangenen Jahr etwa auf der Baustelle Hardturmpark über mehrere Monate Dunpinglöhne von 10 Franken die Stunden bezahlt und beim Grossprojekt Mattenhof in Schwammendingen systematische Verletzungen durch mehrere Subunternehmen festgestellt. In beiden Fällen sahen sich die BauherrInnen nach gewerkschaftlicher Beweisführung und Streiks dazu gezwungen, hohe Lohnnachzahlungen zu leisten.

Die Liste von Verstössen dürfte insgesamt um einiges länger sein als bekannt. Die Arbeitskontrollstelle für den Kanton Zürich (AKZ) registrierte allein im letzten Jahr 3 500 Fälle, bei denen Verdacht auf Verletzung eines GAV besteht. Die Fälle, bei denen die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden konnten, seien «nur die Spitze des Eisbergs», heisst es seitens der Unia.

Dass Lohdumping ein «Problem» ist, finden mittlerweile, zumindest offiziell, auch Politik und Konzerne, es brauche aber höchstens «Verbesserungen im Vollzug» der flankierenden Massnahmen, heisst es. FDP, CVP und GLP versuchten im Kantonsrat das Volksbegehren gar für ungültig erklären zu lassen, da die flankierenden Massnahmen im Bundesrecht geregelt seien und es für kantonale Bestimmungen «keinen Raum» gebe. Dabei kennen bereits die Kantonen Basel-Land und Genf eigene Gesetze gegen Lohndumping.

Klar ist: Sollte die Vorlage im Kanton Zürich angenommen und Arbeitsstopps künftig tatsächlich verfügt werden, würde das die UnternehmerInnen dort treffen, wo es am meisten weh tut. Denn: Eine ruhende Baustelle kostet die Herrschaften weitaus mehr als drohende Bussen.

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Am Stammtisch der Rebellen

stammtischJahrzehnte lang lag der 520 Seiten umfassende Roman des Kommunisten Harry Gmür in seinen geheimen Schubladen. Jener Harry Gmür, der äusserlich wenig Typisches von einem Kommunisten vor sich hertrug. Doch der Schein trügte. Geschrieben wurde der Roman in den Fünfzigerjahren. Abgetippt auf der Hermes-Schreibmaschine hat er sein Werk in den Sechzigerjahren. Er musste geahnt haben, dass sich sein Werk sehen lassen konnte. Allein das nötigt heute unsere Bewunderung ab. Seinem Sohn Mario Gmür ist es nun gelungen, den Respekt heischenden dicken Schwarten beim Europa Verlag AG in Zürich heraus zu bringen. Und wir stehen nun vor einem Kosmos, der den Namen Zürich trägt. Der Kosmos zeigt uns die Altstadt, ihre Bars und Kneipen, zum Kosmos gehört auch die Welt der Gewerkschaften, seine Büezer, seine Chefs von damals, ihren Kampf um einen grossen, stadtbekannten Streik.Ein Kosmos ist aber auch das Nuttenmilieu. Und natürlich die Implikationen der Zeit: Kalter Krieg, Hochkonjunktur, Kolonialismus, Antikommunismus. Und die politische Rechtslosigkeit der weiblichen Hälfte der Gesellschaft. Keine Angst: Harry Gmür denkt nicht klischeehaft, keine Angst, seine Beschreibungen sind nie plump, eigentlich immer recht intensiv und sehr differenziert. Er ist weit von der Erzählweise eines groben Klassenkämpfers entfernt, und doch wird der Klassenkampf recht drastisch geschildert, wird ein richtiger Kapitalist geschildert und charakterisiert, der rücksichtslos seinen Egoismus auslebt und zudem immer selbstbezüglicher wird. Die für uns heute seltsam anmutende Verschweigung des Ortes, die eigentliche Ortlosigkeit, hinter welcher unsere Stadt steckt, die Geldwährung Krone, die Nichtbenennung des grossen Streiks gehören auch zu jener Zeit, in dem der Kosmos sich ständig um sich dreht, denn es herrscht auch Angst in dieser Welt, Angst, die Dinge beim Namen zu nennen.

Das Kollektiv der Gewerkschaften und Heldenfiguren

Harry Gmür erzählt dann einfühlend von der grossen Gewerkschaftsversammlung, an der 1200 Arbeiter teilnehmen. Die Meister hatten die Forderungen von 15 Cent mit dem Angebot von 2 Cent beantwortet. Wochenlang hatten sie es abgelehnt, zu einer Verhandlung zu erscheinen. Dann haben sie ihre Delegierten geschickt, mit dem Auftrag, die Begehren der Gewerkschaft schlankweg abzulehnen. Die Versammlung gab das Echo mit Wutgeschrei. Der Streik hatte dann mehrere Wochen gedauert. Die Arbeiterschaft war beinahe ausgelaugt danach. Der Sekretär berichtete, die Verhandlungen, die am Vortag vor dem Schlichtungsamt stattgefunden hätten, seien gescheitert. Nicht einmal ein halbes Glas Bier haben sie als Lohnerhöhung verlangt. Und die Meister hätten erklärt, die Kosten der Lebenshaltung seien seit einiger Zeit nicht mehr gestiegen. Doch nach Ansicht der ArbeiterInnen ist die Stadt grösser geworden, der Arbeitsweg ist länger geworden. Es sei den Malern immer seltener möglich, am Mittag nach Hause zu ihren Frauen zu gehen. Die Ferienentschädigungen seien so knapp, sie würden nie für eine zweite Woche reichen. Wochenlang hätten die Meister es abgelehnt, zu einer Verhandlung zu erscheinen. Sie hätten sich verhalten wie Prinzen gegenüber dem Volk.

Harry Gmür wusste auch, was zu einem grossen Roman gehört: eine Liebesgeschichte, eine dramatische, eine tragische ausserdem. Doris und Alf. Sie waren in Geldnöten. Doris hat sich zeitweise helfen lassen von einem Windhund. Alf, ein junger Mann, der sich als Künstler versuchte, schwieg dazu. Aber als ihm bewusst wurde, was das süsse Mädchen getan hatte, um ihnen beiden aus der Patsche zu helfen, packte er seine Sachen und ging. Das war der jähe Bruch. Das vielleicht erstaunlichste an dem Roman ist die Tatsache, dass hier das Kollektiv der Gewerkschaft erscheint, dass es aber auch eine durchgehende Heldenfigur, sowohl eine männliche wie weibliche gibt, die mit grosser Zartheit und Zärtlichkeit beschrieben werden, die jedoch zeitweise auseinander brechen.

Trinker, Zinker, Stinker und Nutten

Harry Gmür profitierte von seinen fast allabendlichen Forschungsspaziergängen im Stadt-Dschungel, von Bar zu Bar, von Beiz zu Beiz. Die Milieuschilderungen sind farbig, lebendig, teilnahmevoll, ja sogar soziologisch und sozial einsichtig. Was für ein heimliches, lange verschollenes, jetzt wieder erwecktes Meisterwerk! Das Milieu der Trinker, Zinker und Stinker wird mit Anteilnahme gezeichnet. Was die sich einbilden, diese Cadilac-Ziegen! Schau diese schmierige stockblaue Rothaarige an. Sie kann kaum mehr auf den Beinen stehen, und hat eine Gesichtsfarbe – wie frisch gekotzt! Schleimige Kröte. Billige Strassen-Flöte!

Diese obergestopfte, versoffene Drecksau! Ein Pfund musst du schütten, bis dich einer fickt. Ja, ich weiss über dein Schweineleben bescheid. Es stellt sich ein billiger Kampf ein um die Lokale, das eine war zu nobel, das andere zu distinguiert. Die billigen Nutten wurden aussortiert. Ich pfeif auf dich, du trüber Molch. Nimm das zurück, du Lumpentier, schrie eine Nutte. Totschlagen hätte man sie sollen. Walfisch-Bar. Flamingo-Bar. Miranda-Bar. Katakombe. Royal-Bar. Glitzernde Schiessbuden-Mamsell, die tragen ja ein Kilo Messing und einen halben Glaswarenladen herum. Was für eine triste Amüsierbude.

Als am Ende die junge, schöne Doris tot da liegt und von der in Tränenfluten heimgesuchten Pierina wie ein krankes Kind angesprochen wird, die sie mein Schätzchen, mein Häslein, mein Ärmstes und Liebstes nennt und ihr schwört, sie werde ihr himmeltrauriges Leben für immer ändern. Alf findet seine Doris sehr vertraut und doch fremd und fern. Sie liegt verklärt in einer Reinheit, das kam ihm ganz und gar fremd vor.

Am Ende der 520 Seiten kommen nochmals die Gewerkschaften zu Wort. Die AnführerInnen des Streiks danken der Bevölkerung für die Solidarität und für den endlich errungenen Sieg und die überwältigende Begeisterung. Der Kampf sei vorbei, nun gelte es wieder zu arbeiten, loyal und ehrlich auch mit den Meistern. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung habe mit tatkräftiger Solidarität zu den Streikenden gehalten.

Am Stammtisch der Rebellen, Europa
Verlag Zürich, ISBN 978-3-906272-24-5

 

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Gegen die «Durchsetzungsinitiative» ist Widerstand Pflicht!

sciopero-generaleOffene Veranstaltung der Partei der Arbeit Zürich 
Montag, 1. Februar 19.00 Uhr
Im Lokal vom Verein Dem.Kurd, Letzigraben 165 – 8047 Zürich
(Tram 3 bis Hubertus, dann Bus 33 bis Sackzelg , eine Station ab Hubertus)

Am 28. Februar kommt die fremdenfeindliche, so genannte «Durchsetzungsinitiative» zur Abstimmung.  Sie  sieht selbst bei Bagatelldelikten eine automatische Ausschaffung vor.  In einem Manifest, das von über 150 RechtsprofessorInnen unterschrieben wurde, ist unter anderem zu lesen: «Mit der Initiative werden die von der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns aus den Angeln gehoben, insbesondere das Verhältnismässigkeitsprinzip, die Gewaltenteilung und die Geltung der Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung.» 

Besonders betroffen von der Initiative sind «AusländerInnen», die hier in der Schweiz geboren wurden.  Zur rechtlichen Ebene kommt die politische hinzu: Die SVP-Initiative ist in vielerlei Hinsicht einer der radikalsten und ausländerfeindlichsten Vorstösse der vergangenen Jahrzehnte. Gemäss ersten Umfragen hat die Initiative trotzdem – oder wohl gerade deswegen – gute Chancen, angenommen zu werden. Dies  zeigt, wie sich das politische Klima unter der Führung der SVP in der Schweiz  entwickelt hat.

Widerstand gegen diese Initiative ist Pflicht – mehr muss dazu gar nicht gesagt werden.

Superreiche! Und super wenige!

67197181Jedes Jahr veröffentlicht die Hilfsorganisation Oxfam kurz vor dem WEF in Davos einen Bericht, der die globale Ungleichheit anprangert. Mittlerweile sind es nur noch 62 Menschen, die zusammen 1760 Milliarden Dollar besitzen und somit gleich viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Der neue Oxfam-Bericht zeigt auf, dass ein Prozent der Weltbevölkerung über mehr Vermögen verfügt als die restlichen 99 Prozent.

Während die Reichen immer reicher werden, werden die Armen dementsprechend ärmer. In den zurückliegenden fünf Jahren wuchs das Vermögen der 62 Reichsten der Welt um mehr als eine halbe Billion US-Dollar, während das Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung um rund eine Billion Dollar zusammenschmolz. Da die Superreichen ganz offensichtlich die Nutzniesser der Weltwirtschaft sind, bezeichnet Oxfam diese als die «Wirtschaft für die 1 Prozent».

Immenser Reichtum durch Steuerbetrug

Ein Grund für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist eine «ungerechte Steuerpolitik», mit der Vermögen und Kapitalgewinne im Gegensatz zu früher nur gering besteuert werden. Ausserdem sind die Möglichkeiten für Unternehmen und reiche Einzelpersonen gestiegen, die Steuerabgaben zu senken oder gar ganz zu umgehen. Sie beschäftigen ein Heer von InvestmentberaterInnen und AnwältInnen, um ihr Vermögen vor dem Fiskus in Sicherheit zu bringen. «Reiche Einzelpersonen halten in Steueroasen rund 7,6 Billionen US-Dollar versteckt, neun von zehn grossen Unternehmen haben mindestens eine Tochterfirma in Steueroasen», heisst es in dem Bericht. Allein den Entwicklungsländern gehen auf diese Weise jedes Jahr mindestens 100 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verloren.

In der Schweiz besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung 58,9 Prozent des gesamten Nettovermögens und damit mehr als die übrigen 99 Prozent der Bevölkerung. Laut dem Schweizer Wirtschaftsmagazin «Bilanz» besassen im 2013 die 300 Reichsten der Schweiz 564 Milliarden Franken. Damit hat sich ihr Vermögen in den letzten 25 Jahren mehr als versechsfacht. Und wer reich ist, bleibt reich: Von den 40 Milliarden Franken, die im 2010 vererbt wurden, flossen mehr als die Hälfte an bestehende MillionärInnen. Somit ist die Schweiz an der Spitze jener Länder, welche die sozialen Klassen am besten reproduziert.

Geld ist vorhanden

Diese dramatische Spaltung der Gesellschaft zwischen den Superreichen und dem Rest ist politisch gewollt. Denn Geld kauft Macht. Und so sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten auf das Engste und einander herzlich verbunden. Gleichzeitig wird versucht, der Bevölkerung einzureden, dass Menschen auf der Flucht vor Hunger, Elend, Krieg und Verfolgung Europa «überfordern» und eine Gefahr für «unseren Wohlstand» seien. Nein! Nicht die Flüchtenden, sondern die extreme Ungleichheit zwischen Arm und Reich ist das Problem. Wenn das Abkippen in autoritäre Verhältnisse verhindert werden soll, dann muss die Verteilungsfrage ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt werden. Denn der im Oxfam-Bericht aufgezeigte Mechanismus, der diese obszöne Ungleichheit in Gang gesetzt hat und am Laufen hält, schafft jeden Tag neue Fluchtursachen, untergräbt die Demokratie und blockiert jeden politischen Ausweg aus der Krise.

Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse durch progressive Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen zugunsten der Finanzierung öffentlicher Güter und Dienste sind die Antwort auf Verrohung, Rechtsentwicklung, wirtschaftliche Stagnation und der Gefahr des Falls in die Barbarei. Die Linke muss es schaffen, die Bedürfnisse der Flüchtlinge und der schon hier Lebenden zu einem gemeinsamen Anliegen zu bündeln, die verschiedenen Bewegungen zu verbinden und gemeinsam für Umverteilung, bezahlbaren Wohnraum für Alle, Investitionen in kommunale Infrastruktur sowei für die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu kämpfen. Das Geld ist vorhanden!

Quelle: www.kommunisten.de

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Nichts geschenkt

schweizer fahnDie Schweiz nimmt Flüchtlingen bei ihrer Einreise das Bargeld ab. Usus ist das bereits seit mehr als 20 Jahren. Die Behörden verteidigen das Vorgehen.

Es sind Bilder, die international hohe Wellen schlugen: «1380 Schweizer Franken», steht auf dem Zettel, den der syrische Flüchtling A.T. dem Reporterteam des Schweizer Fernsehens in die Kamera hält. Es ist die Quittung für den Betrag, den die Polizei dem Schutzsuchenden bei der Einreise in Zürich abgenommen hat. Von ursprünglich 2387 Schweizer Franken bleibt dem Familienvater weniger als die Hälfte. Er habe von dem Geld Kleidung für seine Familie kaufen wollen, sagt A.T. Doch das eingezogene Geld wird nur dann zurückerstattet, wenn er das Land innerhalb von sieben Monaten freiwillig verlässt. Andernfalls wird die Barschaft einbehalten – als Anzahlung für die Kosten, die durch seinen Aufenthalt in der Schweiz «verursacht» werden.

Gesetzlich verankertes «Raubrittertum»

Der Beitrag, der am 21. Januar in der Sendung «10vor10» ausgestrahlt wurde, zeigt eine ähnliche Praxis, wie auch Dänemark sie kürzlich beschlossen hat. Nur: In der Alpenrepublik ist die sogenannte «Vermögensabnahme» bereits seit dem Jahr 1992 Gesetz. So sind Geflohene, die in der Schweiz Zuflucht suchen, verpflichtet, bei der Einreise ihre gesamten Vermögenswerte zu deklarieren. Alles, was den Wert von 1000 Schweizer Franken übersteigt, darf vom Staat konfisziert werden. Dazu gehören Geld, Bankguthaben und Wertgegenstände, wobei man «persönliche Gegenstände» wie Eheringe nicht an sich nehmen würde, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) in einer Mitteilung betont. Darüber hinaus seien nur wenige Menschen von der «Vermögensabnahme» betroffen, so Léa Wertheimer, Sprecherin des SEM. Von «theoretisch» 45000 Betroffenen, die in der Schweiz im vergangenen Jahr Schutz suchten, sei bei 112 Personen ein Gesamtwert von 210000 Schweizer Franken eingezogen worden. «Die allermeisten Flüchtlinge, die die Schweiz erreichen, scheinen mittellos zu sein», so Wertheimer.

Gänzlich unumstritten ist die herrschende Regelung jedoch nicht. So bezeichnete Stefan Frey, Sprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), das Vorgehen der Behörden als «Raubrittertum». Die Flüchtlingshilfe sei zwar nicht gegen den Einzug von Vermögen, aber gegen die Art und Weise, wie diese geschehe, erklärte Frey auf Anfrage. Ein grösserer Dorn im Auge als die «Vermögensabnahme» ist der Flüchtlingshilfe indes die sogenannte «Sonderabgabe». So haben asylsuchende und vorläufig aufgenommene Personen, die trotz langwieriger Bewilligungsverfahren eine Arbeitsstelle finden, während zehn Jahren bis zu zehn Prozent ihres Gehalts an den Staat abzuliefern. Betroffen davon sind alle Personen ab dem 18. Lebensjahr, Auszubildende eingeschlossen. Die «Sonderabgabe» hat zum Zweck, dem Staat die in der Erwerbslosigkeit entstandenen Ausgaben für Leistungen wie «Fürsorge-, Ausreise- und Vollzugskosten» zurückzubezahlen. Aus Sicht der Flüchtlingshilfe handelt es sich hierbei um eine «ungerechtfertigte Doppelbelastung» von arbeitstätigen Flüchtlingen, da diese auch steuerpflichtig seien. Das SEM hält dagegen, dass es sich bei der «Sonderabgabe» um keine Diskriminierung oder Benachteiligung von Flüchtlingen handle. «Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz müssen die Kosten zurückerstatten, die sie der Sozialhilfe verursachen», erklärt SEM-Sprecherin Wertheimer.

«Sonderabgabe» soll ersatzlos gestrichen werden

Tatsächlich müssen BürgerInnen, die im Wohlstandsland Schweiz einmal auf Hilfe angewiesen sind, dem Staat das Geld für die bezogenen Leistungen zurückgeben. Der Gesamtbetrag, der eine asylsuchende oder vorläufig aufgenommene Person über «Sonderabgabe» zu berappen hat, richtet sich derweil aber nicht nach tatsächlich bezogenen Leistungen, sondern beläuft sich, über zehn Jahre, auf eine Pauschale von 15000 Schweizer Franken pro Person. Jährlich nimmt der Bund auf diesem Weg rund vier Millionen Schweizer Franken ein.

Diese Einnahmen dürften bald jedoch wegfallen. Die «Sonderabgabepflicht» soll in den kommenden Jahren «ersatzlos» gestrichen werden. Grund dafür ist die im Februar 2014 angenommene «Masseneinwanderungsinitative», die verlangt, dass die Einwanderung beschränkt und inländisches «Potential» an Arbeitskräften besser genutzt wird. Wie der Bundesrat in einem Bericht vom Februar 2015 schreibt, würde mit dem Wegfall der «Sonderabgabe» sowie Ersetzung der Bewilligungs- durch eine Meldepflicht der «administrative Aufwand bei der Anstellung» für Unternehmen reduziert und für Flüchtlinge «die Annahme einer Arbeit auch im Niedriglohn- oder Teilzeitbereich» lukrativer machen. Dadurch würde sich auch der Bezug von Sozialhilfe verringern, womit die Ausfälle durch die gestrichenen «Sonderabgaben» kompensiert werden sollen, rechnet der Bund vor. Erfreut über die Absichten des Bundesrats zeigt sich demnach nicht nur die Flüchtlingshilfe, sondern auch ein Grossteil der Unternehmerverbände. Keine Änderung geben soll es indes bei der «Vermögensabnahme». So wird es auch Zukunft heissen: Wer nach der Flucht in die Schweiz noch etwas hat, dem wird es genommen.

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Mit dem Rücken zur Wand

maduroDie PSUV hat in Venezuela die Mehrheit im Parlament verloren. Die Wahlniederlage ist aber im Grunde genommen eine Niederlage des Reformismus. Die Mängel der bolivarischen Revolution waren schon im Vorhinein ersichtlich.

Das Jahr 2015 war für die radikale Linke bitter. Da war der Rechtsruck bei den vergangenen eidgenössischen Wahlen; dass die Partei der Arbeit wieder in den Nationalrat eingezogen ist, war bloss ein kleiner Trost in diesen düsteren Zeiten. In Frankreich konnte der Front National einen Erfolg erzielen, während der PCF und die Linken eine Niederlage einsteckten. In Argentinien sind die Rechten wieder an der Macht. Und nicht zu vergessen, die tragische Kapitulation der griechischen Regierung gegenüber der Troika, die dem Versuch, mit der Sparpolitik der EU zu brechen, ein Ende bereitet hat.

Die vielleicht schlimmste und bedeutendste Niederlage, die weder verschwiegen noch relativiert werden darf, fand in Venezuela statt. Die MUD, eine oppositionelle Koalition von oligarchischen VenezolanerInnen, hat zwei Drittel der Sitze im venezolanischen Parlament errungen. Dadurch hat die Koalition die Macht, die Verfassung zu ändern und den Präsidenten Nicolás Maduro abzusetzen. Es war die erste Wahlniederlage des Chavismus seit der Wahl von Hugo Chávez zum Präsidenten Venezuelas 1999. Die PSUV, die von Chávez gegründet wurde und viele linke Parteien vereinigte mit Ausnahme der Kommunistischen Partei (die ihre Organisation erhalten wollte, aber solidarisch mit der revolutionären Regierung ist), findet sich nun zum ersten Mal in der Opposition.

Reformistische Illusionen

Die Wahlniederlage ist auf alle Fälle ein harter Schlag für das venezolanische Volk, aber auch für alle, die ihre Hoffnung auf Chávez und seine Bewegung gesetzt haben. Venezuela erschien nach Kuba als das hellste Leuchtfeuer des Sozialismus in Lateinamerika, als linkstes Land des Kontinents, als ein Land, in dem die sozialistische Revolution auf dem demokratischen Weg ihren Sieg feiern konnte. Viele glaubten, dass ein Punkt erreicht wurde, an dem der Prozess irreversibel geworden ist. Dieser Optimismus ergab sich oft daraus, dass an mehr oder weniger reformistische Illusionen, an einen Übergang von bürgerlich-demokratischen Institutionen zum Sozialismus geglaubt wurde. Man muss sagen: Venezuela hat niemals aufgehört, ein kapitalistisches Land zu sein hinsichtlich der Produktionsweise. Der Prozess, der von Hugo Chávez angestossen wurde, nannte sich «bolivarische Revolution». Zweifellos ist er aus einer Volksbewegung mit revolutionärem Charakter heraus entstanden und hat sich das Ziel des Sozialismus gegeben. Die bolivarische Revolution hat sich auch sehr schnell eine Partei gegeben, die das umsetzen sollte.

Es hat sich wirklich um eine Revolution gehandelt, aber um eine, die auf halbem Weg steckengeblieben und in eine gewisse Routine verfallen ist. Die bolivarische Revolution hat die venezolanische ArbeiterInnen an die Macht gebracht und die Bourgeoisie zur Seite gedrängt, aber ohne deren ökonomische und politische Macht vollständig zu brechen. Der Chavismus hat eine Verstaatlichung im Interesse des Volkes vorangetrieben, besonders der Erdölindustrie, aber viele strategische Sektoren der Wirtschaft wurden nicht angetastet. Die bolivarische Revolution hat zwar nicht einfach versucht, die alte Maschine des bürgerlichen Staates zu übernehmen und sie im Interesse des Porletariats zu bedienen, aber fast. Trotz wichtiger Fortschritte hinsichtlich einer direkteren Basisdemokratie auf Grundlage lokaler Kollektive, trotz notwendiger Veränderungen in der Armee, ist der venezolanische Staat strukturell gleich geblieben. Man ist sehr weit vom Aufbau einer wirklichen Volksmacht entfernt.

Unklare Ideologie

«Es gibt eine solche Partei und es ist die bolschewistische Partei», sagte Lenin als Erwiderung auf seine GegnerInnen in den Zeiten der provisorischen Regierung, als behauptet wurde, dass keine politische Kraft in Russland existiere, die das Land aus den Widrigkeiten hinausführen könne, in denen es steckte. Für die PSUV wäre es zumindest prätentiös, so zu reden. Denn diese Partei ist bis heute ein bunt zusammengewürfelter Haufen verschiedenartiger Strömungen mit einer ziemlich unklaren ideologischen Linie. Ihr Zusammenhalt ist zu einem grossen Teil den persönlichen Anstrengungen Chávez’ zu verdanken. Entsprechend fehlt es der Partei an Einheit und Disziplin, die nötig sind, um den Aufbau des Sozialismus zu lenken, die aber umgekehrt nicht den Mitgliedern fehlt, die ihr aus Opportunismus beigetreten sind, und dem rechten Flügel, der in Wirklichkeit dem Sozialismus entgegengesetzt ist. Namentlich führen sich gewisse PSUV-Gouverneure wie lokale Barone auf und auch die Korruption konnte nicht vollständig unterdrückt werden. Kurz: Man ist sehr weit entfernt von einer leninistischen Partei neuen Typus, deren Notwendigkeit von der Geschichte weitgehend bewiesen wurde. Und auch wenn es an Bezügen zu revolutionärer und marxistischer Ideologie nicht gemangelt hat, blieben sie immer vage und undeutlich. Eine klare Leitlinie der Revolution wurde nie wirklich formuliert. Die Diskussion um den «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» ist nie mehr als konfus geblieben.

Vor allem aber hat es der Chavismus nicht geschafft, eine materielle Basis des Sozialismus zu errichten. Die Erdölindustrie wurde verstaatlicht, die Gewinne wurden in den Dienst des Volkes gestellt, um ehrgeizige Sozialprogramme und Arbeitsrechte, die die ArbeiterInnen schützten, den Mindestlohn erhöht, die Infrastruktur verbessert, zu finanzieren. Die absolute Armut wurde beinahe vollständig beseitigt und der allgemeine Lebensstandard wurde stark verbessert. Trotz allem wurde der Geldsegen nicht oder kaum eingesetzt, um eine nationale Industrie aufzubauen, um die Wirtschaft im Land zu diversifizieren, die zum Grossteil auf Importe aus der kapitalistischen Welt angewiesen ist. Noch schlimmer: Der Aussenhandel wurde in den Händen der Privatwirtschaft gelassen.

Abhängig vom Kapitalismus

Wenn die Erfahrung des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion und der theoretische Beitrag der KPdSU uns etwas lehren kann, dann dass ein sozialistisches Land sich auf einen eigenen produktiven Sektor stützen muss und dass man sich nicht mit dem Export von Erdöl zufrieden geben kann, weil man dadurch von der kapitalistischen Welt abhängig bleibt. Überhaupt hatten die USA ein leichtes Spiel, indem sie sich mit ihren saudischen und katarischen FreundInnen absprachen, um den Erdölpreis drastisch zu senken und dadurch die venezolanische Wirtschaft in Schwierigkeiten zu bringen.

Seit Beginn der bolivarischen Revolution hat die entmachtete Oligarchie mit Unterstützung des Imperialismus regelrecht einen Informations- und Wirtschaftskrieg gegen das venezolanische Volk geführt. Die Bourgeoisie in Venezuela, die stets den Aussenhandel in ihren Händen behalten hat, hat künstliche Engpässe auf allen Gebieten und eine Hyperinflation erzeugt, um die VenezolanerInnen gegen die Regierung aufzubringen. Die Medien, besonders das Fernsehen, die in übergrossen Mehrheit auf Seiten der Opposition sind, haben von Anfang bis zum Schluss eine hasserfüllte Verleumdungskampagne gegen die bolivarische Revolution betrieben. Eine Kampagne, die von den bürgerlichen Medien in Europa bedingungslos übernommen wurde, trotz ihres grotesken Charakters.

Wie die Klassiker des Marxismus erklärt haben, bleibt die Bourgeoisie vorläufig auch nach der Revolution stärker als das siegreiche Proletariat, durch ihre Verbindungen mit dem internationalen Kapital und den Machtmitteln, die ihr verbleiben. Und sie wird niemals ihre Macht abgeben, ohne bis zum Schluss darum zu kämpfen. Um die Revolution zu Ende zu bringen, müssen Massnahmen getroffen werden, um die Macht der Oligarchie zu brechen. Die Theorie der Diktatur des Proletariats hat heutzutage einen schlechten Ruf, was nicht verhindert, dass die Tatsachen für sie sprechen.

Klassenkampf am Horizont

Die Niederlagen der Syriza und der PSUV sind im Grunde genommen Niederlagen des Reformismus. Aber während die Syriza definitiv kapituliert und objektiv das Lager gewechselt hat, ist die Sache für die PSUV noch nicht gelaufen.

Zuerst einmal muss man sich aber darauf gefasst machen, dass die venezolanische Rechte, getrieben von Hass und Durst nach Vergeltung, sich vorrangig alles zurückholen wird, was ihr der Chavismus genommen hat. Sie wird die Errungenschaften der Revolution zerstören und die Sozialprogramme von Chávez aufheben, alles, was verstaatlicht wurde, wieder privatisieren und das Land an die USA annähern. In diesem Fall wird sich die Rechte unweigerlich am venezolanischen Volk stossen, das sich nicht einfach enteignen lassen wird. Der venezolanische Arbeitgeberverband hat zum Beispiel sofort die Beseitigung des Arbeitsgesetzes gefordert, von dem die grösste Gewerkschaft Venezuelas gesagt hat, dass sie dessen Abschaffung niemals zulassen würde. Es zeichnet sich ein unerbittlicher Klassenkampf am Horizont ab.

Diese Situation könnte auch eine Gelegenheit sein, wenn die RevolutionärInnen sie zu nutzen wissen. Die Niederlage hat uns in Erinnerung gerufen, dass beim Aufbau des Sozialismus nichts irreversibel ist, dass der Klassenfeind sich nie geschlagen gibt, dass sich die Revolution nicht durch ruhige Routine oder auf rein parlamentarischem Weg durchsetzt. Präsident Maduo sagte klar, dass er nicht vor der Konterrevolution kapitulieren, sondern den Kampf weiterführen wird. Die RevolutionärInnen in Venezuela haben zweifellos die Kraft, den Kampf wieder aufzunehmen, an der Seite des Volkes, gegen die momentan siegreiche Oligarchie. Unsere GenossInnen in der Kommunistischen Partei Venezuelas, die oft zu Recht die Mängel und Halbheiten des Chavismus kritisiert haben, müssen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die bürgerlichen Medien und die prokapitalistische «Linke» freuen sich über diese temporäre Niederlage, aber ihre Freude ist verfrüht. Ebenso dürfen wir nicht zu schnell verzweifeln. «Diese heroische Mobilisierung, die es dem Volk erlaubte, 1998 der erste Etappe im revolutionären Prozess den Anstoss zu geben, die Erbin des Kampfes für die nationale Befreiung, wird dieselbe sein, die den mörderischen Faschismus und Imperialismus gnadenlos besiegen wird. Sie wird mit Stolz bestätigen, dass die Anstrengungen des Genossen Chávez nicht vergebens waren und dass man den Weg zum Aufbau des wissenschaftlichen Sozialismus in revolutionärer Einheit wieder aufnehmen wird», erklärte die Kommunistische Partei in Erinnerung an Hugo Chávez. Die reaktionären Kräfte können stark erscheinen, sie werden aber nicht verhindern können, dass diese Sätze Wirklichkeit werden.

 

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Öffentlich gekürzt

unia.streik.1.11. 040Infolge einer desaströsen Steuerpolitik drohen dem Service public schmerzhafte Sparprogramme. Die Gewerkschaften leisten laustark Widerstand.

Die Parlamentswahlen waren gerade vorbei, als der Bundesrat die konkreten Pläne bekannt gab, in den kommenden Jahren jedes Jahr rund eine Milliarde Franken im Bundeshaushalt zu sparen. Ein Drittel davon soll der Bund bei sich selber ansetzen, weshalb «namhafte Kürzungen im Personalbereich vorgesehen» sind. In den einzelnen Kantonen wird ebenfalls radikal der Rotstift angesetzt: In Genf sollen die Lohnkosten der Staatsangestellten um 5 Prozent gekürzt, die Arbeitszeit auf 42 Wochenstunden verlängert und ein Einstellungsstopp erlassen werden. 10 000 Menschen sind dagegen auf die Strasse gegangen. Dem Kanton Luzern steht ein «gigantisches Sparpaket» von 330 Millionen bevor. In Zürich regt sich unter den SchülerInnen und LehrerInnen heftiger Widerstand gegen die beschlossenen Kürzungen im Bildungsbereich. Zwei Drittel aller Kantone drehen dieses Jahr die Sparschraube an. Mehr als die Hälfte aller Städte in der Deutschschweiz wird Sparmassnahmen umsetzen.

Fundamentale Veränderungen

Vor diesem bedrohlichen Hintergrund haben der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und die Personalverbände zu einer Tagung eingeladen unter dem Leitspruch «Den Service public stärken. Jetzt erst recht!». Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, wusste aber auch von einem ersten Erfolg zu berichten: Infolge der grossen Protestaktionen in Genf, an denen sich das Personal und die Personalverbände gemeinsam wehrten, konnte erreicht werden, dass die geplanten Sparmassnahmen aufgeschoben und die Regierung ohne Vorbedingungen mit den Gewerkschaften verhandeln wird. Er verortet das Problem aber tiefer: Die einst stabilen Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst haben sich fundamental verändert. Im gleichen Betrieb arbeiten heute Festangestellte neben Mitarbeitenden mit befristeter Anstellung und viel schlechteren Löhnen. Das Personal steht unter dauerndem Rechtfertigungsdruck; es zählt nicht mehr die Arbeitsleistung, sondern die Kosten, die der Einzelne verursacht. Verstärkt werden die Probleme durch die Angriffe der Bürgerlichen. Die rechten Medien hetzen kontinuierlich gegen den Service public, während die neue bürgerliche Mehrheit im Parlament ihn nun ganz grundsätzlich infrage stellt. «Wir müssen den Service public wieder stärken, wir müssen die Abbau- und Sparmassnahmen verhindern», forderte Tuti im Gegensatz dazu.

«Wir sind dabei, etwas zu verlieren»

Franz Schultheis, Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen, machte die Veränderungen im Service public deutlich. In einer Studie hatte er Beschäftigte des öffentlichen Dienstes über ihre Arbeitsbedingungen befragt. Eine besonders starke Transformation habe die Post durchgemacht: Sie sei immer mehr zu einem Supermarkt verkommen. Er zitierte eine Postangestellte, die die Veränderung treffend beschreibt: «Wenn ein Kunde eine Einzahlung machen kommt, bediene ich ihn nicht, ich verkaufe ihm etwas.» Die Strategie des Verkaufes und der Maximierung der Profite ist ein typisches Muster im Service public. «Der Idealtypus Detailhandel, der sich überall durchsetzt, stellt eine wirkliche Infragestellung der eigentlichen Kernaufgabe des Service public dar.»

In der anschliessenden Diskussion wurden die beobachteten Veränderungen im Service public von den TeilnehmerInnen der Tagung bestätigt. Auch bei den Schweizerischen Bundesbahnen sowie im Gesundheitswesen gäbe es die Tendenz zur Ökonomisierung. Ein Gewerkschafter aus dem Spitalbereich stellte fest: «Bei uns gibt‘s keine Patienten mehr, sondern Kunden.»

Auf die Frage, wie er selber zu der Transformation des öffentlichen Dienstes stehe, antwortete Schultheis, dass der Service public seinen Sonderstatus behalten müsse. Man dürfe hierbei konservativ sein und für seine Bewahrung kämpfen, denn: «Wir sind dabei, etwas zu verlieren.»

Die Gesundheitsökonomin Anna Sax sagte: «Mir hat noch nie jemand erklären können, wie die Privatisierung eine Verbesserung darstellt.» Es gebe keine empirische Evidenz dafür, es sei eine rein ideologische Frage. Die Verwirtschaftlichung der öffentlichen Hand betrifft nicht nur ihre einzelnen Teilbereiche. «Die Kantone verstehen sich zunehmend als Unternehmen», konstatierte Daniel Lampart, Chefökonom des SGB. Sie müssen rentieren und stets volle Kassen haben. Das sei ein fundamentaler Denkfehler. Denn die Kantone dürfen Schulden haben. «Das ist der grosse Unterschied zu einer Aktiengesellschaft. Wir, die Bevölkerung, sind der Staat, wir sind die Kantone und solange es uns gut geht, geht‘s dem Kanton auch gut, egal wie seine Zahlen aussehen.» Die Schulden dienen als Argument in der Finanzpolitik. Die finanzielle Lage der Kantone wird dramatisiert wie die Analyse von Lampart zeigt: «Erstens neigen die Kantone dazu, zu pessimistisch zu budgetieren, so dass die Kantonsfinanzen in Wirklichkeit besser sind als in den düsteren Zukunftsszenarien. Zweitens wird die kantonale Verschuldung überschätzt, denn die Kantone haben mehr Vermögen als Schulden.»

Ein Projekt mit dramatischen Auswirkungen steht vor der Tür

«Die Schweizer Kantone haben im internationalen Vergleich sowohl für juristische als auch für natürliche Personen tiefe Steuern. Bei dieser Ausgangsbasis ist es kaum möglich, über Steuersenkungen weitere Unternehmen und Gutverdienende anzuziehen.» Die Steuerbelastung ist lediglich für den Standort- und Investitionsentscheid hochmobiler Gesellschaften relevant, spielt für die übrigen Unternehmen jedoch beinahe keine Rolle. Wichtiger sind qualifizierte Arbeitskräfte, gute Infrastruktur und Absatzmöglichkeiten. Wird infolge von Steuersenkungen und Einnahmeausfällen bei Bildung und Infrastruktur gespart, wirke sich das negativ auf die Wirtschaft aus. Einen Input aus dem Publikum gab Urs Stauffer, Steuerverwalter der Stadt Biel. «Die Tendenz, natürliche Personen steuerlich stärker zu belasten, wird sich in Zukunft fortsetzen.» Ein Projekt mit dramatischen Auswirkungen stehe vor der Tür: Die Unternehmenssteuerreform III. In der städtischen Steuerkonferenz wurde berechnet, welche Steuerausfälle die Reform produzieren wird. «Auf kommunaler Ebene kamen wir auf 1,3 Milliarden Franken Steuersubstrat, das vernichtet wird. Bei den Kantonen rund 2 Milliarden.» Die Stadt Zürich allein würde zwischen 200 und 300 Millionen verlieren. Die Schweizer Regierung will als Kompensation den Kantonen eine Milliarde Franken zur Verfügung stellen. Aber: «Im Kanton Bern reicht das nicht mal, um die Steuerausfälle von unseren Städten Bern und Biel zu finanzieren.» Die Folgen werden laut Stauffer brutal sein: «Wir werden mit der Unternehmenssteuerreform III sicher Sparprogramme erleben, wie wir sie bis jetzt noch nie hatten.»

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Kämpferische Demo statt Lichterkette

bildungsdemoKämpMit dem Zürcher Manifest riefen verschiedene Verbände und Institutionen zum Protest gegen die geplanten Kürzungen in der Bildung im Kanton Zürich auf. Die Kundgebung, welche die Aktionen, die tagsüber im ganzen Kanton stattfanden, beschliessen sollte, wurde aber drei Tage vor dem «Tag der Bildung» abgesagt. Bildung sei ein Investitionsgut, bei dem nur eines teurer sei, als mehr auszugeben: zu sparen. So liessen Personalverbände aus dem Bildungsbereich, verschiedene Rektorenkonferenzen, Elternverbände, die Hochschulen und auch eine SchülerInnenorganisation in ihrem «Zürcher Manifest» verlauten. Auf Basis dieses Manifestes, sollten durch den eigens für den 13. Januar gegründeten Verein «Tag der Bildung» Aktionen an den Schulen und Hochschulen im Kanton Zürich stattfinden. Am Ende der Aktionen sollte mit einer Kundgebung und Lichterkette auf dem Bürkliplatz das Ende des «Tag der Bildung» eingeläutet werden.

Unsere Antwort auf eure Politik

Die Aktionen zum «Tag der Bildung» wurden von Beginn weg von bürgerlicher Seite kritisiert. Vor allem die FDP und die SVP monierten, dass zwar bekannt sei, dass in den nächsten drei kantonalen Budgets des Kantons Zürich jährlich rund 48 Millionen eingespart werden sollten, wo genau gekürzt werden sollte, sei aber noch nicht klar, was jeglichem Protest die Legitimität nehme. Auch von linker Seite gab es Kritik. Das Aktionsbündnis «Kämpfen für Bildung» fand insbesondere den neoliberalen Bildungsbegriff im Zürcher Manifest stossend, kritisierte, dass Kürzungen ausserhalb des Bildungssektors nicht ebenso in die Kritik des Vereins «Tag der Bildung» einbezogen wurden und riefen dazu auf, sich im Anschluss an die Kundgebung die Strasse für eine unbewilligte Nachdemo zu nehmen.

Die Ankündigung einer Nachdemo jagte den OrganisatorInnen der Kundgebung mit Lichterkette den Schrecken in die Knochen. Nachdem die Zürcher Kantonspolizei den MittelschulleiterInnen des Kantons Zürich ankündigten, dass sie im Falle einer unbewilligten Nachdemo nicht für die Sicherheit der Kundgebung garantieren könnten, sagten die RektorInnen ihre Veranstaltung ab. Im Vorfeld zur Absage wurden sowohl von den bürgerlichen Medien wie auch vom Verein «Tag der Bildung» eine regelrechte Diffamierungskampagne gegen das Aktionsbündnis betrieben. So hätte die Benutzung des Begriffs «Kämpfen» seitens des Bündnisses von Anfang an klar gemacht, dass es den OrganisatorInnen der Nachdemo nur um Gewalt ginge. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass einige LehrerInnen ihre SchülerInnen von der Nachdemo fernhielten, indem sie verbreiteten, dass es bei der Nachdemo sowieso zu Gewalt käme und den SchülerInnen, die trotzdem dorthin gingen, der Schulverweis drohe. Das Aktionsbündnis kommunizierte gleichzeitig, dass von der Nachdemo keine Gewalt ausgehen werde. Trotz der Androhung von Repressalien und den Verleumdungen fanden am 13. Januar rund 700 Personen, AktivistInnen, SchülerInnen, Studierende und auch manche Eltern und LehrerInnen den Weg an den Bürkliplatz zur nichtbewilligten Demo des Aktionsbündnisses. Nach einigen Redemeldungen, deren Inhalt vor allem eine Botschaft enthielt – Bildung müsse der Profitlogik der Märkte entzogen werden – setzte sich die Demo in Bewegung. Mit lauten Sprechchören skandierten die Demonstrierenden «Kampf in der Schule, Kampf in der Fabrik – das ist unsere Antwort auf eure Politik». Die Polizei war mit einem enormen Aufgebot in Vollmontur, mit Mehrfachwerfern im Anschlag und zwei Wasserwerfern vor Ort und lenkte die Demonstration um die mehrbesseren Einkaufsviertel der Stadt herum. Trotz der martialischen Atmosphäre blieb der Demonstrationszug friedlich.

Gemeinsam kämpfen statt spalten

Der Umstand, dass die SchulleiterInnen in vorauseilendem Gehorsam eine Kundgebung absagten, um im gleichen Atemzug die Bewegung gegen Sparprogramme zu spalten, demonstriert eindrücklich, wie politische Naivität den Erfolg von gesellschaftlichen Kämpfen gefährden kann. In der Hoffnung den Bürgerlichen mit knalligen, bunten – aber zahnlosen Aktionen – so zu gefallen, dass sie sich entscheiden, doch lieber im Sozialen und bei der Gesundheit statt im Bildungswesen zu sparen, erwies sich als vollendete Tagträumerei. Die Gewerkschaft VPOD hatte in ihrer Erklärung, die sie als Folge der Absage herausgab, recht, als sie sagte, dass etwas mehr Gelassenheit angebracht gewesen wäre. Den Lügen der Polizei, dass für die Sicherheit der Kundgebung nicht garantiert werden könne, wurde unkritisch aufgesessen und als Hauptfeind wurden linke KürzungsgegnerInnen wahrgenommen, während man mit den UrheberInnen der Sparübungen den Dialog suchte. Das Ziel der Bürgerlichen, die Bewegung zu spalten, haben die SchulleiterInnen als willige VollzugsgehilfInnen gleich selber in Angriff genommen und erreicht. In seiner Wirkung blieb der Kampf gegen die Kürzungsmassnahmen im Kanton Zürich, die die logische Folge einer Politik von Steuergeschenken für Unternehmen und Superreiche ist, weit hinter den Kämpfen, die geeint und auf der Strasse in Luzern oder Genf geführt worden sind.

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«Von der Bewegung lernen»

davos_wef_0Am 22. und 23. Januar findet in Zürich «Das Andere Davos», der Gegenkongress zum WEF-Treffen in Davos statt. Ursprünglich wurde das Treffen von ATTAC Schweiz veranstaltet. Seit einigen Jahren führt die «Bewegung für den Sozialismus» (BFS) die Organisation weiter. Der vorwärts sprach mit den OrganisatorInnen über die Ziele und den Inhalt des Kongresses.

Das WEF hat eine lange Geschichte ebenso der Gegenkongress «Das Andere Davos». In den späten Neunzigern bis kurz nach der Jahrtausendwende gab es eine entsprechende politische Bewegung, die an den grossen Gipfeln ihren Protest ausdrückte und den Hintergrund für die «globalisierungskritischen» Aktivitäten abgab. Heute gibt es diese Bewegung kaum mehr. Warum denkt ihr, dass es heutzutage dennoch Sinn macht, einen grossen Kongress gerade zu diesem Themenbereich zu organisieren?

Die globalisierungskritische Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts war Ausdruck einer «Wiederauferstehung» der politischen Linken nach den «bewegungsarmen» 1990er Jahren. Dass eine solche Bewegung auch wieder abflaut, ist nicht weiter erstaunlich. Ebenso wenig überrascht es, dass die durch das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verursachten Probleme, welche von der Bewegung damals kritisiert wurden, sich nicht von selbst aus der Welt geschafft haben. Gerade in einer Zeit wie heute, wo die imperialistischen Spannungen weltweit wieder zunehmen, kriegerische Auseinandersetzungen die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen zerstören und sie zur Flucht zwingen, die ökologische Krise sich verschärft und Hunger und Armut längst nicht mehr nur für die Menschen in den Ländern des globalen Südens eine tagtägliche Realität darstellen, sind unsere internationalistischen Antworten auf die vom Kapitalismus verursachten Tragödien gefordert.

Ihr schreibt zum Kongress, dass ihr gemeinsam mit AktivistInnen aus aller Welt gemeinsame Perspektiven und Ansätze für politische Intervention entwickeln wollt. Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass es auf globale Probleme nur globale Antworten geben kann. Und diese Antworten werden wir als antikapitalistische AktivistInnen nicht in einem Hinterzimmer eines Parteilokals finden, sondern nur in den konkreten, sozialen Kämpfen. Deshalb legen wir grossen Wert darauf, dass wir mit AktivistInnen diskutieren, die tatsächlich in klassenkämpferische Auseinandersetzungen involviert sind. Die junge afroamerikanische Genossin der #BlackLivesMatter-Bewegung wird beispielsweise nicht nur als Beobachterin, sondern als Direktbetroffene von den antirassistischen Kämpfen in den USA erzählen. Auf diese Weise können wir von der Bewegung lernen, was wiederum für unsere antirassistischen Interventionen hierzulande nützlich sein kann. Und nur so kann Internationalismus schlussendlich praktisch werden.

Ein Workshop und ein Plenum werden sich um das ziemlich drängende Thema Migration und staatliche Regulation drehen. Dazu werden auch AktivistInnen aus diesem politischen Bereich ihre Erfahrungen vorstellen. Was darf man dazu an Inhalten erwarten und wie seid ihr als OrganisatorInnen auf diesem Gebiet aktiv?

In diesem Herbst erlebte Europa eine grosse Welle von konkreter Solidarität mit geflüchteten Menschen. Dieses Engagement wird auch auf europäischer Ebene koordiniert. Die Organisation migreurop beispielsweise versucht seit 2005 über die Landesgrenzen hinweg den Widerstand gegen das Migrationsregime zu koordinieren. Alain Morice – Mitglied dieses Projekts – wird am Anderen Davos von diesen internationalistischen Perspektiven berichten können. Für uns als AktivistInnen gilt es aber auch konkrete Informationsarbeit zur Situation in der Schweiz zu leisten. Es geht unter anderem darum, Informationen zu den Arbeitsbedingungen der Asylsuchenden und Geflüchteten zu sammeln, zu verbreiten und dagegen zu protestieren. Diese arbeiten oftmals in Beschäftigungsprogrammen, in denen sie 150 Franken pro Monat für eine 100% Arbeit verdienen – zynischerweise zum Beispiel für das Ausreissen von invasiven, fremden Pflanzen. Das Einsetzen von Geflüchteten als «billige» Arbeitskräfte zeigt deutlich auf, wie die strukturelle, rassistische Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen Teil des kapitalistischen Herrschaftssystems ist. Abgesehen davon ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns an den Mobilisierungen gegen das europäische Migrationsregime und an den Protesten von Betroffenen beteiligen.

Ein weiterer Schwerpunkt wird das kaum übersichtliche Schlamassel im Nahen und Mittleren Osten sein. Ihr sucht nach einer Perspektive zwischen Krieg und Krise. Wo seht ihr in dieser Weltregion Anknüpfungspunkte? Oder anders gefragt: Wie wäre es denkbar, dass sich das Projekt Rojava mit den übrigen progressiven Kräften in der Region verbindet?

In Syrien versuchen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten seit einiger Zeit, mit Kräften anderer Bevölkerungsgruppen zusammenzuarbeiten – auch militärisch. Die Syrian Democratic Forces (SDF) sind ein solcher Zusammenschluss von arabischen, assyrischen und kurdischen Milizen. Auch wenn es dabei bestimmt noch viel Potenzial gibt, geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Man versucht, ethnische und religiöse Grenzen zu überwinden und setzt sich ein demokratisches, selbstverwaltetes Syrien zum Ziel. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Türkei. Die massiven Angriffe des Erdogan-Regimes auf kurdische Städte müssen zwingend auch zu Reaktionen der türkischen Linken führen. Hier lässt sich bereits erkennen, dass auch türkische linke Kräfte den Kampf gegen den autoritären Staat intensivieren. Darüber wird unser türkischer Genosse Utku Uraz Aydin berichten können. Wichtig scheint uns, dass wir die Menschen in der Region im Blick haben, sowohl ihr Leid, als auch ihre Kämpfe. Für uns ist es unmöglich, Assad als vermeintlich «geringeres Übel» zu unterstützen. Assad ist ein brutaler Diktator. Mit ihm wird es keinen Frieden geben. Das emanzipatorische und tendenziell selbstverwaltete Projekt Rojava ist zwar auch nicht perfekt, aber bietet enorm viel Potenzial. Deshalb kommt unserer Meinung nach der kurdischen Bewegung eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung in der Region zu. Wenn sie es hinkriegt über ethnische Grenzen hinweg Bündnisse einzugehen, um die diktatorischen Regimes zu bekämpfen und zu stürzen, dann könnte vieles möglich sein.

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100 Jahre Sozialistische Frauenkonferenz

sciopero_generale_04Vor hundert Jahren fand in Bern die Sozialistische Frauenkonferenz statt. Anlässlich des Jubiläums fanden sich FeministInnen am 14. und 15. November in Bern zu den ersten Feministischen Diskussionstagen ein.

Während zwei Tagen wurde ein Blick zurück auf vergangene Kämpfe geworfen, Themen des heutigen feministischen Diskurses aufgegriffen sowie Zukunftsvisionen entworfen.

Zum Jubiläum trafen sich FeministInnen im Hotel Bern, um sich über die feministische Bewegung sowie deren künftige Ausrichtung auszutauschen. Vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, brachten sich an der «Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz» Frauen aus acht Ländern, darunter auch Vertreterinnen der verfeindeten Staaten Frankreich und Deutschland, in den Diskurs ein. Der im Jahr 1914 ausgebrochene Stellungskrieg zwang die internationale Sekretärin Clara Zetkin, die Konferenz anders als geplant nicht in Wien, sondern im neutralen Bern durchzuführen. Der Weltkrieg war das bestimmende Thema der dritten Sozialistischen Frauenkonferenz. Das Anti-Krieg-Manifest, das aus der Konferenz hervorging, forderte die Zusammenarbeit der ArbeiterInnen aller Länder gegen den Burgfrieden, welcher die Einbindung von Gewerkschaften und SozialdemokratInnen in die nationale Politik vorsah und angesichts der äusseren Bedrohung innere Konflikte ruhen lassen wollte. Weiter wurden die Auswirkungen des Krieges auf die Lage der Frauen thematisiert, denn Inflation und Unterversorgung verschärfte ihre oft bereits prekäre Situation. Da durch den Krieg Arbeiter wegfielen, übernahmen Frauen Aufgaben, unter anderem auch in der viel kritisierten Rüstungsindustrie. «Wem nützt der Krieg? Nur einer kleinen Minderheit in jeder Nation. Zunächst den Fabrikanten von Flinten und Kanonen, von Panzerplatten und Torpedobooten, den Werftbesitzern und den Lieferanten des Heeresbedarfs. Im Interesse ihres Profits haben sie den Hass unter den Völkern geschürt und so zum Ausbruch des Krieges beigetragen. Der Krieg nützt des Weiteren den Kapitalisten überhaupt» (Manifest der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz, 1915, Bern.)

Kritik an den kapitalistischen Machtverhältnissen

War die internationale Solidarität im Angesicht des aufkommenden Nationalismus das bestimmende Thema der Sozialistischen Frauenkonferenz vor hundert Jahren, so war Kritik an den bestehenden kapitalistischen Machtverhältnissen ein wesentliches Thema der Feministischen Diskussionstage. Durch die heute vorherrschenden neoliberalen Prinzipien rückt der Einfluss struktureller Macht auf die Geschlechterverhältnisse in den Hintergrund und zugleich wird der Individualismus betont. So wachsen Menschen in dem Glauben auf, sie könnten ihre eigene Biographie gänzlich unabhängig gesellschaftlicher Macht schreiben, wenn sie sich denn nur ausreichend anstrengten. Dieses auf Individuen fokussierte Leistungsprinzip steht einer starken sozialen Bewegung im Wege, da strukturelle Probleme durch bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen verkannt und als selbstverschuldet angesehen werden. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass bestehende Geschlechterstereotypen und damit einhergehende Ungleichheiten im Zugang zu Ressourcen wie Zeit, Macht oder Geld reproduziert werden bei gleichzeitiger Betonung, es handle sich dabei um komplett freie individuelle Entscheidungen. Simone de Beauvoirs Ausspruch, dass man nicht als Frau geboren ist, sondern es wird, steht im kompletten Gegensatz zur heutig vorherrschenden suggerierten kompletten Autonomie des Individuums von gesellschaftlichen Erwartungen, Normen und Zwängen. So wird Frauen unterstellt, dass sie weniger Lohn verdienen, da sie weniger bezahlte Arbeit leisten, sich in Lohnverhandlungen zu wenig forderten oder in Niedriglohnbranchen arbeiten – niedriger Lohn wird damit der individuellen Entscheidung von Frauen angelastet. Gerne vergessen werden dabei gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie Belastungen durch unbezahlte Arbeit, fehlende Betreuungsangebote, Abstrafung bei geschlechterinadäquatem Verhalten etc.

Nach angeregten Diskussionen kristallisierten sich thematische Schwerpunkte für den künftigen Kampf heraus. Einerseits ist Sexismus stark in unserer Gesellschaft verankert, was sich besonders in Werbung oder medialer Berichterstattung zeigt. Damit einhergehend werden Geschlechterrollen reproduziert, welche wiederum als freie individuelle Entscheide missverstanden werden. Diese gilt es zu durchbrechen. Weiter ist die ökonomische Unabhängigkeit aller Geschlechter noch immer eine Vision, welche unter anderem die gleiche Bezahlung der Erwerbsarbeit bzw. der Bezahlung der Reproduktionsarbeit umfasst. Um sich dieser und weiterer Themen anzunehmen, wurde die Gründung eines feministischen Netzwerkes beschlossen sowie die Weiterführung der Feministischen Diskussionstage im halbjährlichen Rhythmus.

 

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Genf: Insel des Widerstandes im Meer der Austeritätspolitik

streikIm öffentlichen Sektor in Genf kam es im November und Dezember 2015 zu sieben Tagen Streik und acht grösseren Demos gegen die sich verschärfende Austeritätspolitik. Der Sieg ist noch nicht gewiss, aber der Weg zu einem solchen ist immerhin vorgezeichnet.

Vom 10. bis 12. November 2015 traten die Angestellten des Kantons Genf in einen dreitägigen, gut befolgten Streik. Nachdem die Regierung nicht auf die Forderungen der Streikenden eintreten wollte, folgten weitere vier Tage des Ausstands – mit breiter Unterstützung aus der Bevölkerung. Mit der Teilnahme an acht grösseren Manifestationen, beteiligten sich tausende Personen am Kampf gegen die geplanten Kürzungen im Öffentlichen Sektor. Bis zu 10 000 DemonstrantInnen nahmen an der ersten Manifestation nach dem Streik teil. Für den Kanton Genf arbeiten gegen 33 000 Staatsangestellte. Aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen dürfen die Angestellten des Flughafens, in den Pflegeberufen, in den öffentlichen Verkehrsbetrieben und in anderen Bereichen nur beschränkt streiken, da sie eine Grundversorgung sicherstellen müssen.

Bluten für die Grosskonzerne?

Die Regierung des Kantons Genf, der Staatsrat, hat im Herbst ein Sparpaket vorgestellt, mit dem durch eine lineare Kürzung des Budgets um 1 Prozent etwa 80 Millionen Franken «gespart» werden sollen. Insbesondere sollen die Lohnkosten um 5 Prozent gekürzt, die Arbeitszeit auf 42 Wochenstunden verlängert und ein Einstellungsstopp («personal stop») erlassen werden. Als Begründung wurde, neben einer Verschuldung von 13 Milliarden Franken, die Verminderung der Steuereinnahmen aufgrund der vorgesehenen Umsetzung der – noch nicht einmal beschlossenen! – eidgenössischen Unternehmenssteuerreform III.

Genf gehört mit Zug und Zürich zu den Kantonen, die aufgrund ihrer guten Finanzlage und den hohen Steuereinnahmen weiterhin am meisten in den nationalen Finanzausgleich (NFA) bezahlen, obwohl ihre Schuldenquote leicht über dem Schweizer-Durchschnitt von 48 Prozent liegt. Polemisch wurde von der Presse angeführt, dass Genf mit einer pro-Kopf-Verschuldung von 33 800 Franken schlimmer dastehe als der «Pleitestaat Griechenland» mit einer von 29 500 Franken. Die Waffen (der Argumente) verraten den Gegner!

Genf hat über Jahrzehnte die multinationalen Konzerne und die Holdings, im Rahmen des Steuerwettbewerbs, mit besonders günstigen Steuertarifen angelockt. Diese müssten fortan im Rahmen der OECD-Regeln steuerlich gleich behandelt werden wie die einheimischen Unternehmen. Dies veranlasst den Staatsrat bereits jetzt, in einer allgemeinen Kürzung, die Unternehmenssteuern auf einen Satz um die 13 Prozent zu senken – was ein internationaler «Rekord» darstellt. Dadurch würden die Steuern auch für einheimische Unternehmen um über 10 Prozent gesenkt! Dieses grosszügige Geschenk an die Reichen und Unternehmen muss natürlich von irgendjemandem bezahlt werden. Und dies sind – so die Meinung der Regierung und ihrer Sponsoren – die Staatsangestellten, die Jugendlichen und die Alten.

Die Sponsoren der Regierung stammen aus der regionalen Wirtschaft, dem Immobiliengeschäft, aus Eliteschulen, internationalen Konzernen und internationalen Organisationen, beispielsweise aus dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz.

Zwischenhalt, Atempause oder Sieg?

In den üblichen Scharmützeln in den Medien, wo die Unternehmer und ihre StatthalterInnen in den Regierungen versuchen, die Mobilisierungen herunterzuspielen, hat die Regierung die Teilnahme an den Streiks auf unter 5 Prozent beziffert. Sie musste jedoch später zugeben, dass es mindestens drei Wochen dauern dürfte, genauere Angaben machen zu können, so zu lesen in der Tribune de Genève vom 4. Dezember 2015. Demgegenüber sprechen die Organisatoren von einer sehr hohen Beteiligung.

Jedenfalls ist dieser Vorstoss der Genfer Regierung auf einen breiten – und heterogenen – Widerstand gestossen. Sowohl die linken Parteien wie auch der weit rechts politisierende Mouvement Citoyens Genevois (MCG) lehnen das Sparpaket ab; im MCG sind einige Leute aus dem Polizeikorps organisiert, die teilweise selbst am Streik beteiligt waren. Der Budgetvorschlag der Regierung wurde am 18. Dezember im kantonalen Parlament mit grossem Mehr abgelehnt. Die über 1000 TeilnehmerInnen an einer Manifestation vor dem Ratsgebäude hat dies gefreut.

Das Streikkomitee aus dem Genfer Gewerkschaftskartell und dem VPOD hat einen Tag zuvor eine Vereinbarung mit der Regierung geschlossen, mit der diese mit den Personalorganisationen das Gespräch sucht, um die offenen Fragen bis zum 21. März 2016 zu klären. Die Vollversammlung der Streikenden vom 16. Dezember hält weiterhin an den Forderungen fest, die Abbaumassnahmen zurückzunehmen. Dieser Kampf ist sicher noch nicht zu Ende, aber ein wichtiger Etappensieg ist errungen. Der Hauptgrund für diesen Etappensieg ist und bleibt, dass sich die Staatsangestellten selbst zur Wehr gesetzt haben!

Man nehme sich ein Beispiel!

Und dies ist in der Schweiz schon sehr viel! Wenn man bedenkt, dass in allen Kantonen und in den meisten Städten über die vergangene Periode ähnliche oder noch härtere Abbauprogramme ungehindert angelaufen sind, weitgehend ohne Gegenwehr! Ein entscheidender Grund, dass gerade in Genf der Widerstand aufflammt, besteht in einer gewissen Kampfbereitschaft der lokalen Gewerkschaftsführung gerade im öffentlichen Dienst, die über die vergangenen vier bis fünf Jahre mehrere harte und teilweise siegreiche Kämpfe angeführt hat. Erinnert seien an die teilweise verzweifelten Kämpfe am Genfer Flughafen und im Gesundheitsbereich. Ansätze zu solcher Kampfbereitschaft gibt es auch beim VPOD Fribourg oder bei der Unia im Tessin. Diese Bereitschaft und Erfahrung fehlt an anderen Orten, insbesondere in der Deutschschweiz. Durch solche Kämpfe konnten sich mehrere Tausend Lohnabhängige im öffentlichen Dienst in Genf die wertvolle Erfahrung aneignen, dass kämpfen möglich, ja notwendig ist, um der immer schärfer rollenden Walze der Angriffe auf ihre Löhne, Arbeits- und Lebensbedingungen zumindest für eine gewisse Zeitspanne Dampf wegzunehmen. Man nehme sich ein Beispiel!

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