Pascale Fontaines vierter Streich

Der kürzlich verstorbene Literaturkritiker Marc Reinhart aus La Chaux-de-Fonds hat den bereits legendär gewordenen Pascale-Fontaine-Krimis jeweils eingehende Besprechungen gewidmet, und eben ist eine chinesische Übersetzung der Kriminalstory «Betonkönig» aus dem ersten Band «Sechs Fälle für Pascale Fontaine» in Vorbereitung. Wo traditionelle Techniken der Kriminalistik versagen, da ist die attraktive Kommissarin gefordert, mit den spezifischen Waffen einer Frau. Seit der Kreation der Kommissarin Pascale Fontaine durch H.P.Gansner ist die Attraktivität Frankreichs für nicht französischsprachige Krimi-AutorInnen stetig gestiegen: Barbara Traber liess ihren Berndeutschen Krimi «Poulet im Chörbli» (Licorne) im Burgund spielen, während der aus dem nebligen und kühlen Schottland stammenden, in Washinton DC als Journalist tätige Martin Walker seinen «Bruno, Chef de Police» (Diogenes) in der beliebten englischen Ferienregion des Périgord angesiedelt hat.

Tödliches Tête-à-Tête – mit erotischem Vorspiel…

Nun hat die französischen Kommissarin Pascale Fontaine wieder zugeschlagen: «Tödliches Tête-à-Tête auf Guadeloupe» (Edition Signathur, Dozwil 2009), es ist ein spannender Krimi über die Schrecken des Kinderhandels und der Kinderpornographie. Die Zerschlagung einer besonders brutalen Mafiaorganisation durch Pascale Fontaine, einer unerschrockener Kommissarin der französischen Brigade criminelle.

Der Boss einer gefürchteten Kinderhändler-Bande hat sein Domizil ausgerechnet auf der paradiesischen Insel Guadeloupe aufgeschlagen. Von diesem Hafen des Friedens und der Ruhe in der traumhaft schönen französischen Karibik aus hofft der Mafioso, unbemerkt seine Fäden um die Welt spinnen zu können. Doch da hat er die Rechnung ohne Pascale Fontaine, der französische Kommissarin für spezielle Aufgaben gemacht. Denn sie heftet sich ihm unerbittlich an die Fersen und geizt wie üblich nicht mit ihren Reizen, bis der Fisch im Netz zappelt. Denn nach vier weiteren Kindsentführungen nur auf der Insel selbst gelingt es ihr, mit einer ungewöhnlichen, sehr weiblichen Kriegslist, den Mafia-Boss an die Angel zu bekommen und ihn und seine kriminelle Organisation unschädlich zu machen.

«Tödliches Tête-à-Tête auf Guadeloupe» des in Genf und Hoch-Savoyen (Frankreich) lebenden Krimiautors H. P. Gansner ist eine spannende Kriminalnovelle, die man in einem Zug von der ersten bis zur letzten Seite liest. Sie vereinigt alle Qualitäten der klassischen Novelle: exotische Schauplätze, aussergewöhnliche Begebenheiten, sich überstürzende Dramatik, spannende Dialoge. Zudem ist die Story nach den schier unglaublichen Verbrechen der letzten Jahre im Bereich der Kinderpornographie von geradezu erschreckender Aktualität. Tödliches Tête-à-Tête auf Guadeloupe ist H. P. Gansners vierter Krimi mit der französischen Kommissarin Pascale Fontaine, die besonders verzwickte Fälle mit den ungewöhnlichen Methoden einer Frau zu lösen imstande ist.

«Grossartige Kriminalnovelle»

Jean Ziegler schrieb zu diesem ganz speziellen Krimi: «Eine grossartige Kriminalnovelle, brillant und faszinierend! – Guadeloupe, seine düstere, gewalttätige Vergangenheit, die Deportation, die Sklaverei sind wie Gespenster – un-heimlich – stets an den Stränden, in den Luxushotels präsent und verwandeln das singuläre Verbrechen in eine Nacht von Gewalt und nie überwundener Angst. Ein ausserordentlich spannendes und eindrückliches Buch.» Den Kontrast zwischen dieser «düsteren, gewalttätigen Vergangenheit» und dem exotischen Charakter der Karibikinsel hat die Grafikerin Belinda Oetterli mit grossem Einfühlungsvermögen und künstlerischem Flair in der Umschlaggestaltung dieser Meisternovelle dargestellt.

«Sechs Fälle Für Pascale Fontaine», «Mein ist die Rache» und «Frivole Fälle für Pascale Fontaine» sind im Karin Kramer Verlag, Berlin, erschienen; «Tödliches Tête-à-Tête auf Guadeloupe» in der Edition Signathur, Dozwil, 2009.

100 Jahre religiöser Sozialismus in der Schweiz

1906 von kirchenkritischen Pfarrern gegründet, entwickelten sich die «Neuen Wege» bald zum Organ des religiösen Sozialismus in der Schweiz.  Das Buch «Für die Freiheit des Wortes» lässt die Geschichte des Blattes nun Revue passieren.

Mit dem Titel ihres Buches spielen die drei Autoren – Willy Spieler, Stefan Howald und Ruedi Brassel-Moser – auf einen einschneidenden Moment in der Geschichte der «Neuen Wege» an. Während des Zweiten Weltkriegs sollte die Zeitschrift zwischenzeitlich der Zensur unterstellt werden. Dies, weil der damalige Redaktor, der Pfarrer Leonard Ragaz, wiederholt forderte, die Schweizerische Neutralität zugunsten einer «Solidarität der Völker» aufzugeben. Ausserdem wagte er es, Hitlerdeutschland in scharfen Tönen zu kritisieren. «Solches Heruntermachen fremder Staatsmänner und Regime gefährden im höchsten Masse unsere guten und darum wertvollen Beziehungen zum Ausland», hielt die Pressekontrolle des Kantons Zürich damals fest. Ragaz akzeptierte die Zensur nicht und lies die Zeitschrift 1940 aus Protest einstellen: «Ich habe ohne Zögern abgelehnt, meine Manuskripte von irgendeinem Offizierlein, dessen politisches Urteil in keinem Verhältnis zur Grösse seiner Einbildung stünde, korrigieren zu lassen, wie ein Schulbube einen Aufsatz von seinem Lehrer.» Bis zum Ende des Krieges erschien die Zeitschrift im Untergrund.

Ein Buch zum Schmökern

Angesichts der Debatte um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, die diesen Sommer erneut entbrannte, erscheint der Bezug im Titel ungewollt aktuell. Doch nicht nur zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, sondern auch zu unzähligen anderen Debatten liefern die aufbereiteten Auszüge aus den «Neuen Wegen» mancherlei Interessantes. Erwähnt sei hier nur der Umgang mit der Systemfrage, dem Arbeitsfrieden oder der Armee innerhalb der Sozialdemokratie.

Das Buch schildert den Werdegang der Zeitschrift von ihren Anfängen bis zur Gegenwart in grossem Detailreichtum. – Und das nicht bloss einmal, sondern vier Mal unter verschiedenen Blickwinkeln. Im Teil «Allerwärts am Aufbau der neuen Welt arbeiten» beleuchten die drei Autoren die Geschichte der Zeitschrift an sich und ihre Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Bewegungen. In einem zweiten Teil widmen sie sich vertieft dem Umgang mit religiösen Themen in den Spalten der Neuen Wege. Die Befreiungstheologie findet hier ebenso Erwähnung, wie die feministische Theologie. Unter dem Titel «Wir sind es, die den Frieden machen oder nicht machen» sind im dritten Teil Beiträge zu Pazifismus – oder besser: Antimilitarismus – zusammengefasst. Bereits lange Zeit bevor es eine GSoA gab, in den frühen 20er Jahren, war der eingangs schon erwähnte Leonard Ragaz ein vehementer Verfechter der militärischen Abrüstung in der Schweiz. Der vierte Teil schliesslich trägt Artikel zusammen, in welchen die Suche nach Alternativen zu Kapitalismus einerseits, und «Gewaltkommunismus» andererseits im Mittelpunkt stehen. Dabei klammern die drei Autoren heikle Punkte nicht aus. Das Buch ist keine oberflächliche Jubelschrift, sondern bildet auch Konflikte, Spannungen und Spaltungen innerhalb der Redaktion und der religiös-sozialen Bewegung generell ab. Damit leistet es eine wirklich umfassende Aufarbeitung der Geschichte der «Neuen Wege».

Wie die Autoren festhalten, nehmen sie Überschneidungen zwischen den vier Teilen bewusst in Kauf. Das enorm umfangreiche Buch ist somit nicht gemacht, um von vorne bis hinten durchgelesen zu werden. Vielmehr ist es ein Buch zum Schmökern und Stöbern, zum Hin- und Herblättern. Die immense Fülle von Material, das die Autoren aufbereiten, ist dabei Fluch und Segen zugleich. Das Buch weist eine Vielfalt von Themen auf, die selten zu finden ist. Allerdings fragte ich mich bei der Lektüre stellenweise, ob denn nicht weniger mehr gewesen wäre. Ob nicht weniger Breite, und dafür mehr Tiefe von Nöten gewesen wäre.

Denkmal für stille Schaffende

Dennoch möchte ich das Buch allen wärmstens empfehlen, die sich für religiösen Sozialismus und Antimilitarismus weltweit sowie linke Bewegungen in der Schweiz interessieren. «Für die Freiheit des Wortes» stellt eine Art Karte durch die mittlerweile über tausend Ausgaben der «Neuen Wege» dar. Wenn man sich mit einem der aufgeführten Themen deshalb vertieft beschäftigen möchte, erschliesst einem das Buch deshalb unzählige spannende Quellentexte aus der Zeitschrift. Einer Zeitschrift, nota bene, die aufgrund der in ihr praktizierten qualitativ hochwertigen Analyse und Reflektion seit Jahrzehnten in der deutschsprachigen Linken ein ausgezeichnetes Renommee besitzt.

Besonders spannend macht das Buch, dass die drei Autoren nicht nur bekanntere Persönlichkeiten, wie Leonard Ragaz, Frei Betto und Ruth Dreifuss berücksichtigen. Es ist nicht primär die Geschichte einiger grosser Stars, die hier dargelegt wird, sondern jene einer Vielzahl von engagierten Kämpferinnen und Kämpfer, die oftmals abseits des Rampenlichts wirkten. Von Personen, deren Grösse aus ihren Taten – und nicht aus ihrem Charisma – resultiert. Jenen stillen Schaffenden wird in diesem Buch ebenfalls ein Denkmal gesetzt.

Willy Spieler, Stefan Howald, Ruedi Brassel-Moser: «Für die Freiheit des Wortes». Theologischer Verlag Zürich, 440 Seiten, 48 Franken, ISBN 978-3-290-17415-6.

Der Weg zur «Gefangenen Kunst»

Ayo (Name geändert) übergibt uns die ersten Bilder an einem trüben Tag. Es regnet, der Himmel ist grau, ebenso der Betonklotz, in welchem die Übergabe stattfindet. Unsere Schuhe sind nass, der Spaziergang hierhin war nicht schön, nur passend…

Da sitzen wir im ungemütlichen Besucherraum des Flughafengefängnisses Kloten und sind berührt vom Lachen, welches Ayo noch immer zustande bringt. Seit mehreren Monaten ist Ayo hier in Ausschaffungshaft. Vor mehr als zwei Jahren ist Ayo, damals 25 Jahre alt, in die Schweiz gekommen. Mit nicht viel mehr als einem gültigen Flugticket und seinen Sportschuhen hat Ayo sein afrikanisches Heimatland verlassen, um an einem Marathonlauf in Zermatt teilzunehmen, zu welchem er eingeladen worden ist. Und weil Ayo Hoffnung in seinem Herzen und Träume in seinem Kopf hatte, ist er nicht wieder ins Flugzeug gestiegen, nicht in seine Heimat zurückgeflogen. Bald hat er gemerkt, wie das hier läuft, beziehungsweise nicht läuft, denn ohne Asylantrag läuft gar nichts… Also hat er einen Asylantrag gestellt, sich nicht wohl dabei gefühlt, denn Asyl brauchte er ja nicht. Auf seinen Antrag wurde nicht eingegangen, ein «Nichteintretensentscheid», kurz NEE. Ayo hätte gehen müssen, doch er blieb. Alle paar Wochen ist er in eine neue Notunterkunft gezogen, hat das Nötigste bekommen, mehr nicht. Dann, acht Monate später, ist Ayo in eine Polizeikontrolle geraten und mitgenommen worden, zuerst in die Kaserne, dann ins Flughafengefängnis, in Ausschaffungshaft.

Eine Stimme geben!

Im Gefängnisalltag ist keine Beschäftigung für die Inhaftierten vorgesehen, im Gegenteil: möglichst langweilig soll es sein, zermürbend, die Leute sollen genug davon bekommen, sollen gehen wollen, sollen zurück, zurück in Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Schlimmer kann sie ja kaum sein, da wo die Menschen her kommen. Hier, an diesem Ort, wird sie gemacht. Bewusst. Die Menschen sollen von der Schweiz abgeschreckt werden. Aufgeben. Ayo gibt nicht auf; er fängt an, Bilder zu malen. Ayo ist vor der wirtschaftlichen Misere seines Landes geflüchtet, hat nach Schweizer Gesetzgebung kein Anrecht auf Asyl. Trotzdem hat er es versucht, ist seiner Hoffnung auf ein besseres Leben gefolgt. Ist das ein Verbrechen? Unsere Gesellschaft bestraft Menschen wie Ayo mit monatelanger, zermürbender Haft, gibt tausende von Franken aus, um den Menschen die Hoffnung zu nehmen.

Mit der Ausstellung «Gefangene Kunst» möchten wir auf die Menschen aufmerksam machen, die in Ausschaffungshaft sind. Wir möchten ihnen eine Stimme geben und die Möglichkeit, ihr Gefangensein in irgendeiner Art für die Menschen draussen fühlbar, begreifbar zu machen. Da sind Menschen wie Ayo, die sich ein besseres Leben erhofften. Da sind aber auch Menschen, die Kriege erlebt haben. Menschen, die aufgrund unmenschlicher Lebensbedingungen geflüchtet sind. Mit der Hoffnung und dem Mut, in einem ihnen fremden Land einen Neuanfang zu wagen. Manche sind mit Traumas gekommen, in der verzweifelten Hoffnung auf Schutz, andere voller Tatendrang und dem Willen, sich hier ein Leben zu erarbeiten, etwas zum Ganzen beizutragen. Sie alle haben Vertrauen in unser Land gehabt. Vertrauen darin, dass es hier so etwas wie Gerechtigkeit gibt, dass Menschenrechte geachtet werden. Mit zerbrochenen Träumen und orientierungslos, vielleicht voller Angst vor einer Rückschaffung, sitzen sie jetzt in Ausschaffungshaft. Ohne je ein Verbrechen begangen zu haben. Denn: Flucht ist kein Verbrechen! Darf keines sein! Angesichts der gigantischen Herausforderung, welche die weltweite Migrationsbewegung mit sich bringt, hat die Schweiz kapituliert. Anstatt nach menschenwürdigen, gangbaren Wegen zu suchen, nach wirklichen Lösungen, hat sie sich Scheuklappen angezogen. Die verschärften Gesetze zur Asylpolitik sind teilweise menschenverachtend. Es darf nicht sein, dass die Motivation, Menschen zu inhaftieren, eine lebensverachtende ist. Das ist sie aber wenn es darum geht, die Menschen so lange zu zermürben und mit Perspektivlosigkeit zu füttern, bis sie «freiwillig» gehen – wohin auch immer. Wo es um globale Herausforderungen geht, ist es gefährlich, auf solch kurzsichtige, egoistische Weise zu handeln. Die neuen Wege, die es braucht, müssen mitfühlende sein, menschliche, denn es geht um Menschen.

Die Hoffnung nicht ganz verloren

Ayo hält 17 Monate durch. Dann teilt er den Behörden mit, dass er bereit ist, zurück zu kehren. Er hält es nicht mehr aus. Kurz darauf wird er freigelassen, bekommt ein Papier in die Hand gedrückt, auf welchem steht, dass er die Schweiz innerhalb von 24 Stunden verlassen muss. Papiere hat Ayo keine. Nur die Wahl zwischen illegal über die Grenze in ein Nachbarland gehen oder illegal hier bleiben. Ayo bleibt. Kämpft, hofft weiter. Weihnachten feiert er zusammen mit anderen Asylsuchenden und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung in der besetzten Predigerkirche. Kurz danach wird er erneut verhaftet. Fast zwei Monate ist er in Untersuchungshaft. Dann kommt er ins Bezirksgefängnis, wenig später in die Strafanstalt Pöschwies. Angeklagt wegen illegalem Aufenthalt und wiederholtem Fahren ohne gültigem Fahrausweis. Dort ist er jetzt, malt weiter. Die Hoffnung für die Schweiz hat er wohl verloren, die Hoffnung für sich noch nicht ganz. Ayo hat ein kleines Bild gemalt, eine Bleistiftskizze: Gitterstäbe, dahinter ein lachendes und ein weinendes Gesicht. Unter das Bild hat er den Satz geschrieben: «Some people can only see darkness, others can see the stars»

Die Ausstellung «Gefangene Kunst» zeigt Bilder, die von Menschen in Ausschaffungshaft gemalt worden sind. Die Bilder waren bereits letzten September im Café Zähringer zu sehen.

Ausstellung: 3. März bis 30. April 09 im Restaurant Bubbles, Strassburgstrasse 15, 8004 Zürich (beim Stauffacher)

Vernissage: Freitag, 3. April 09 ab 18 Uhr, Veranstaltung mit Betroffenen und Experten um 19 Uhr.

«Der Sozialismus ist tödlich»

Thomas Bernhard ist nun 20 Jahre tot. Grund genug fürs Schauspielhaus Zürich, Bernhards «Immanuel Kant» aufzuführen. Seine beispiellose Übertreibungskunst stellt – wie auch im «Heldenplatz» – unsere Gesellschaft gänzlich in Frage. In «Immanuel Kant» entzieht der begnadete Künstler unserer Gesellschaft ihr philosophisches Fundament.

Wie sinnvoll ist Philosophie und an welche Werte glauben wir? Philosophen wie Immanuel Kant (1724-1804) übten – ohne zu werten – einen grossen Einfluss auf das Denken Europas aus. Stellvertretend für alle Philosophen wählt Thomas Bernhard diesen aus, um das wissenschaftlich-geistige Fundament Europas in seinen Grundfesten zu erschüttern. Der Künstler zeigt in dem Stück eine Gesellschaft, die an Absurdität, geistiger Flachheit, Dekadenz und Perversion kaum noch zu unterbieten ist.

Schauplatz ist ein Luxusdampfer Namens «Prätoria». Professor Immanuel Kant reist nebst Gattin, Diener und seinem Papagei Friedrich nach Amerika. Der Grund der Reise ist ein Augenleiden des «Gelehrten». Der herrschsüchtige und von sich überzeugte Protagonist lebt davon, seine ihm Umgebenen herum zu kommandieren und zu demütigen. Kant entpuppt sich als asozialer Exzentriker, der in fachlicher Hinsicht nur grotesken Stumpfsinn von sich geben kann. Auffallend pervers gestaltet sich das Verhältnis zwischen dem Professor und seinem Papagei Friedrich. In diesem schlummert der eigentliche Sinn seines Lebens, denn von Menschen hält Kant nicht viel – andernfalls wäre sein Verhalten zu seinen Mitmenschen anders. Kant liebt Friedrich über alles. Ohne ihn wäre er verloren. Er nutzt den Vogel, um all sein «Wissen» im Kopf des Federviehs zu speichern. Und dieses repetiert logischerweise nur Fragmente, doch Kant geht in seiner «geistigen Genialität» davon aus, dass Friedrich alles speichert.

Über dem Professor schwebt der Nimbus der Allwissenheit. In der Gesellschaft, die gezeigt wird – es ist die «Elite» des Kapitalismus – geniesst Kant – wie soll es anders sein? – hohes Ansehen. Anstatt, dass seine Ehefrau dies hinterfragen würde, verhält auch sie sich ihm gegenüber devot. Was auch dazu führt, dass der imaginäre Thron des Exzentrikers sich weiter erhöht. Und wer die Dinge nicht reflektiert, bleibt so dümmlich wie die Millionärin, die ebenfalls mit an Bord ist. Sie liebt alles, was Ansehen geniesst – unreflektiert, unhinterfragt, vollends erfüllt von der Flachheit ihrer Gedanken. Verheiratet war sie mit einem Proletarier, doch die «Luxusluft war zu dünn» für ihren Gatten – er starb früh.

Nur Idioten

Mit auf dem Schiff ist natürlich auch ein Kardinal, der ausser Banalem nichts in der Schlüsselszene an der grossen Tafel beizutragen hat. Auch ein Admiral ist an Bord. Alles in allem: nur Idioten. So entwickelt sich die Reise des Immanuel Kant, denn Kant kam aus Königsberg nie raus, weshalb «Königsberg dort ist, wo Kant ist», zu einer Reise, die in Amerika bei Ärzten endet. Es sind Ärzte, die  nicht in einer Augenklinik, sondern in einem Irrenhaus arbeiten. Warum, so stellt sich das Publikum die Frage, haben diese Ärzte nicht gleich alle gezeigten Gäste der «Prätoria» in die Klapse eingeliefert? Vielleicht, weil Amerika Amerika ist?

Ausgezeichnet gespielt wird die Figur des Kant durch Michael Maertens. Nicht minder bravourös spielt Sunnyi Melles die Rolle der Millionärin. Bernhards «Immanuel Kant» ist dringend sehenswert für alle, die an unsere Gesellschaft nicht glauben. Und zur Fundamentalkritik an allen Philosophen wird  – neben Kant und Leibniz – nur noch einer genannt: Karl Marx. Der war ein «Tunichtgut». Und: «Der arme und schwachsinnige Lenin hat mich total missverstanden», meint Kant. Beide waren nichts anderes als «geborene Romanschriftsteller», die «ihr Talent, ihr eigentliches Genie nicht ausgeübt haben». Schliesslich habe «die Gesellschaft den Sozialismus vollkommen missverstanden». Eine Lösung des Problems liefert uns der Künstler nicht. Muss er auch nicht. Denn die Zeit wird zeigen, wohin der Papagei fliegen wird.

Aus der Printausgabe des vorwärts vom 20. Februar 2009

Operation Walküre – keine antifaschistische Heldentat

Der Film über das Stauffenberg Attentat auf Hitler 1944 wurde nun als Stoff für einen Hollywood Film genutzt. Auf die politischen Hintergründe des Attentats wird nicht eingegangen. Der überzeugte Faschist Graf von Stauffenberg soll zum Held gemacht werde – doch das war er bei Weitem nicht.

Am 20. Juli 1944 wurde im Führerhauptquartier ein Bombenattentat ausgeführt, um Hitler zu beseitigen. Graf von Stauffenberg hatte die Bombe gezündet. Die Motive der Offiziere, die dieses Attentat verübten, waren aber keinesfalls, so wie es gerne dargestellt wird, Demokratie für die breiten Massen zu schaffen. Was war also das wirkliche Motiv für dieses Attentat? Welche Stellung nahm Stauffenberg während des Hitlerfaschismus ein, war er wirklich derjenige, der sich ehrlich vom Faschismus abwendete?  Wie der Name verrät, gehörte er zu den Herrschenden, insbesondere zu den Grossagrariern. Er kam aus einer Adelsfamilie, besass riesige Ländereien, war Mitglied der NSDAP und hat den Faschismus seit Beginn an mit geführt und für richtig befunden. In einem Brief an seine Frau schrieb der Graf aus Polen folgendes: «Ein Volk welches sich unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun»

Den Krieg gegen die Sowjetunion wollte Stauffenberg unbedingt gewinnen, so heuerte er auch sowjetische Kollaborateure für den Sieg des Faschismus an. Am 20. Juli führte von Stauffenberg ein Manuskript mit, woraus sein Motiv klar zu lesen ist: «Bei Fortsetzung des gegenwärtigen Krieges sei eine Niederlage und Vernichtung der materiellen und blutsmassigen Substanz unausbleiblich. Das drohende Verhängnis könne nur durch Beseitigung der jetzigen Führung abgewendet werden. (…) Nach einem Regimewechsel sei es das wichtigste Ziel, dass Deutschland noch eine im Spiel der Kräfte einsetzbaren Machtfaktor darstelle und insbesondere die Wehrmacht in der Hand ihrer Führer ein verwendbares Instrument bleibe. »

Eine Aktion um die Macht zu sichern.

Die Aktion am 20. Juli 1944 war der Ausdruck der Gegensätze im Lager der Herrschenden. Ihre Ursache hatte sie in der rapiden Entwicklung der deutschen Niederlage, in der Aussichtslosigkeit eines erfolgreichen Abschlusses des Krieges. Die Kapitalisten sind  in der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft ausserordentlich beweglich und manövrierfähig. Wird ihre Klassenherrschaft bedroht, sucht sie sofort nach einem geeigneten Ausweg aus der bedrohlichen Lage. Kann sie mit der einen Herrschaftsform ihre Herrschaft auf die Dauer nicht aufrechterhalten, benutzt sie eine andere. Erstes Beispiel: Als 1918 die Monarchie in Deutschland unter den Massen diskreditiert war, wechselten die Herrschenden zur bürgerlichen Demokratie über. Und zweites Beispiel: Als 1932, infolge der durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Notmassnahmen die Massen revolutionierten und die kapitalistische Herrschaft gefährdeten, führte die Bourgeoisie die faschistische Diktatur ein. Sie wechselten also wieder einmal die Form, um den kapitalistischen Inhalt zu erhalten. Der 20. Juli 1944 war ein Versuch eines Teils der Herrschenden, die Herrschaftsform zu verändern, um an der Macht zu bleiben. Sie wurden zu der Aktion getrieben, weil sie sich unmittelbar bedroht fühlten. Durch den überraschenden, schnellen Vormarsch der Roten Armee bis an die Grenzen Deutschlands sahen sich Stauffenberg und Co. nicht nur endgültig verloren, was Hitler ihnen für ihre Gefolgschaft zugesichert hatte, und zwar Güter in Polen, in der Ukraine, in Weissrussland, sondern ihren eigener Besitz war auch massiv bedroht. Vor allem war ihnen klar: Wenn die Rote Armee den ostdeutschen Raum besetzt, ist es mit ihrer Herrschaft aus. Sie sahen ihren Ausweg in der Konzentrierung aller verfügbaren militärischen und wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands auf das eine Ziel: die Aufrechterhaltung des Dammes gegen die Rote Armee, was nur durch Verständigung und Einstellung des Kampfes mit den Alliierten und dies wiederum nur durch Liquidierung des Faschismus möglich gewesen wäre.

Die Kreise des Finanzkapital bestimmten allerdings die Politik des kapitalistischen Deutschlands, die Faschisten führten sie durch. Hätte hinter der Aktion der Generäle vom 20. Juli 1944 das Finanzkapital gestanden, wäre der Erfolg nicht ausgebleibender und Hitler wäre liquidiert worden.

Drahtzieher bleiben unbehelligt

Bekanntlich verkauft sich ein Hollywood Film nur dann gut, wenn es auch ein Thema ist, was die Menschen anspricht. Der Film setzt an dem antifaschistischen Bewusstsein der Menschen an. Viele begrüssen somit auch den Versuch Stauffenbergs, Hitler zu ermorden. Dass gerade Graf von Stauffenberg als antifaschistischer Held auserkoren wurde  ist kein Zufall. Sollen die Massen sich doch darauf verlassen, dass die Herrschenden, zu denen der Herr Graf ja nun gehörte, im Grunde schon das richtige tun. Das Attentat war Teil des bürgerlichen Antifaschismus, die nur die bestialische Hülle des Hitler-Faschismus bekämpften, dessen Klasseninhalt nichts anderes war als die terroristische Herrschaftsform des Monopolkapitals. Mit dem Film sollen auch die wahren Drahtzieher des Faschismus, das Monopolkapital, unbehelligt davon kommen. Antifaschistischer Widerstand ist nicht die  Sache eines einzelnen, sondern kann nur durch eine kämpferische und breite Aktionseinheit zum Erfolg führen.

Aus dem vorwärts vom 6. Februar 2009

Liebe und Kapitalismus

«Die Kunst des Liebens» von Erich Fromm ist ein Klassiker. Das Buch thematisiert Pseudo-Formen der Liebe und die wachsende Unfähigkeit des modernen Menschen, zu lieben. Ausgangspunkt ist die Psychoanalyse. Eingebettet sind Fromms Betrachtungen in die Kritik des Kapitalismus. Seine These: Wir gehen davon aus, dass wir Liebe nicht lernen müssen. Wir irren.

In einem Programm-Papier der PdA las ich unlängst, dass zwischenmenschliche Beziehungen im Kapitalismus korrumpiert seien. Ich stellte mir die Frage, was damit gemeint sei. Erich Fromm beantwortete diese Frage. Aber nicht hier und heute, sondern 1959. In seinem Klassiker «Die Kunst des Liebens» untersucht Fromm die Formen der Liebe und analysiert Pseudolieben und die Unfähigkeiten zu lieben. Ausgangspunkt für Fromm ist Siegmund Freud, den er gleichzeitig kritisiert. Die Liebe der Mutter zum Kind sei bedingungslos. Der Vater stelle – und das ist fraglich – seine Liebe zum Kind unter Bedingungen. Fromm kritisiert unser Verständnis von Liebe. Uns ginge es mehr darum, geliebt zu werden statt zu lieben. Ein Mann etwa, versucht durch Karriere im Beruf und einem guten Auskommen als attraktiv zu gelten, und damit als liebenswert. Frauen versuchen sich möglichst attraktiv zu kleiden, mit dem gleichen Ziel. Fromms These ist, wir gehen automatisch davon aus, dass wir Liebe nicht lernen müssen. Laut Fromm müssen wir sie aber lernen. Sie sei eine Kunst. Und wie jede Kunst ist sie lernbar. Fromms Buch ist kein Lehrbuch. Der Autor beschreibt, thematisiert, analysiert – mehr nicht. Vergegenwärtigen wir uns, dass – ich glaube – jede dritte Ehe inzwischen geschieden wird. Ist dies ein Scheitern der Liebe – oder war dort womöglich nie eine? Ist im Kapitalismus Liebe überhaupt möglich? Fromm sagt «Ja» und verweist gleichzeitig auf Autoren, die diese Frage verneinen. Der Humanist kritisiert unseren bis heute gültigen Begriff des Glücks: Wir blicken in ein Schaufenster, freuen uns über das, was wir sehen, kaufen es und konsumieren. Ähnlich, so Fromm, verläuft es mit der Partnerwahl. Attraktiv trifft auf attraktiv. Und was als attraktiv gilt, bestimmen Mode und der Zeitgeist. Oder wie Fromm es formuliert, gilt das als attraktiv, was «auf dem Personalmarkt gefragt ist». Fromm spricht von Tauschobjekten: Was werfe ich in die Waagschale und was bekomme ich zurück?

Ein Deal?

Liebe wird zum Deal. Fromm beschäftigt sich mit sadistischer und masochistischer Liebe, ebenso mit neurotischer Liebe. Welches Verhältnis wir zur Liebe entwickeln hängt auch davon ab, was uns unsere Eltern in frühester Kindheit und auch später vorgelebt, vorgeliebt haben. Aber was ist Liebe? Nach Fromm könnte sie eine Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz sein. Wir sind ein Teil der Natur, haben uns von ihr losgerissen, sie uns zum Untertan gemacht und können nicht zu ihr zurückkehren. Dieses Abgetrennt sein ertragen wir nicht wirklich. Fromm proklamiert jedoch nicht, zurück zur Natur, sondern vielmehr: der Mensch kann nur vorwärtsschreiten, in dem er seine Vernunft entwickelt. In der wachsenden Unfähigkeit der Menschen, ihre Nächsten zu lieben erblickt Fromm die Gefahr des Untergangs unserer Kultur. Er analysiert am Ende des Buches ein wenig die gesellschaftlichen Verhältnisse. Fromm nimmt Bezug auf Karl Marx, argumentiert mit der Entfremdung des Menschen. Er sieht in den Gruppen der Manager die eigentlich Herrschenden. Und dieses Buch ist wohl gemerkt nicht in unseren Tagen entstanden, sondern 1956. «Die Kunst des Liebens» ist sehr lesenswert. Weil es das Phänomen der Liebe im Zusammenhang mit kapitalistischen Verhältnissen und der Psychoanalyse betrachtet. Und wenn weder ersteres noch letzteres, so bleibt mittleres ein Thema für jeden Menschen. Marx und Freud hin oder her.

Erich Fromm: «Die Kunst des Liebens»
dtv-Taschenbuch
11. Auflage.
ISBN: 3423361026

Preis: ca. 14 Franken

Artikel aus dem vorwärts vom 23. Januar 2008

1 Jahr «Aktion Freiraum»

Am 1. Dezember 2007 verhaftete die Luzerner Polizei über 200 Jugendliche, die friedlich für eine alternative Kulturpolitik demonstrierten. Aus diesem Anlass erinnert die «Aktion Freiraum» in einem Communiqué an die damaligen Ereignisse. Und ruft gleichzeitig auf, nach Vorne zu schauen. Hier das Communiqué.

Vor einem Jahr rückte sich die Luzerner Polizei und die Stadt Luzern in ein sehr schlechtes Licht. Die Meinungsäusserungsfreiheit wurde mit Polizeigewalt unterbunden, 245 friedliche Jugendliche stundenlang unter unwürdigen Umständen im Sonnenberg eingesperrt. Vorwürfen seitens der Verhafteten wurde bis heute nicht nachgegangen. Die Polizei, wie auch die Politik stellten sich gegen eine externe Untersuchung. Dies sind bedenkliche Tatsachen, aber sie liegen in der Vergangenheit und wir kämpfen für die Zukunft.

Obwohl der 1. Dezember in den Medien bei all unseren Aktionen erwähnt wird, spielt er innerhalb der Aktion Freiraum keine grosse Rolle mehr. Für uns steht nach wie vor unser Anliegen im Zentrum: Wir engagieren uns für alternativ-kulturelle Freiräume in der Stadt Luzern, wie sie die Boa teilweise geboten hat. Dafür kämpfen wir nun seit einem vollen Jahr und werden auch weiter kämpfen. Unsere Hoffnungen beruhen im Moment auf Gesprächen, welche wir mit der Stadt Luzern führen. Dass sich diese hinziehen liegt in der Natur der Sache. Räume sind in Luzern ein knappes Gut und es zeigt sich, dass deren massive Kommerzialisierung voranschreitet, was die Verdrängung von Alternativkultur, aber auch ganzer Bevölkerungsgruppen zur Folge hat.

Wir werden uns in den nächsten Monaten um die Lösung unseres Raumproblems bemühen und hoffen da auf eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt Luzern. Die Aktion Freiraum tut alles dafür, dass diese Verhandlungen weiterhin ernsthaft geführt werden und eine schnellstmögliche Lösung angestrebt wird. Die selbe Haltung erwarten wir auch vom Luzerner Stadtrat. Wir glauben an diesen Lösungsansatz und es freut uns, dass sich auch eine beachtliche Mehrheit des Grossen Stadtrates zu diesem Weg bekannte.

Quelle: Aktion Freiraum (www.aktionfreiraum.ch)

40 Jahre AJZ Biel: Jubiläumsband

Das mit Abstand langlebigste Autonome Jugendzentrum der Schweiz beginnt im Jubiläumsjahr die Herausgabe seiner Geschichte. Der erste Band, welches die Jahre 1968 bis 1981 umfasst, liegt druckfrisch vor.

Kernstück des mit Faksimiles und Fotos reich illustrierten Buches in deutscher und französischer Sprache bildet die chronologische Geschichte in vier Kapiteln. Dazu kommen weitere Texte zu Themen wie Autonomie und rechtliche Form, interne Strukturen und Finanzen sowie zu den politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten.

Am 6. Juli 1968 tauchten an einer Demonstration auch in Biel Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum auf. Bald darauf stand der «Chessu» zur Verfügung, es wurde gebaut und am Lagerfeuer wurden Gespräche und Musik gepflegt.

Mitte der 90er Jahre hat eine Arbeitsgruppe in aufwändiger Recherchierarbeit ein Archiv aufgebaut. Eine neue Gruppe gibt jetzt die AJZ-Geschichte in drei Bänden heraus. Zwei weitere Bände über die Jahre 1981 bis 1993 und 1993 bis 2009 werden nächstes Jahr folgen.

Die Geschichte des AJZ Biel 1968 bis 1981, AJZ-Eigenverlag, 110 Seiten broschiert, schwarzweiss illustriert, 24 Franken

Che-Ausstellung

Im Winterthurer Café Bistro «Dimensione» sind Bilder aus dem Leben Ernesto Che Guevaras zu sehen. Die Wanderausstellung wurde von der Vereinigung Schweiz-Cuba zusammengestellt und zeigt wenig bekannte Bilddokumente von und über Guevara. Die Fotos stammen zum Teil aus dem privaten Umfeld des Revolutionärs, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag hätte feiern können.

Die Ausstellung beginnt mit einem Bild, das einen vierjährigen, auf einem Esel sitzenden Jungen zeigt, und endet mit einem Foto des ermordeten, von bolivianischen Militärs umgebenen Che. Der erste Teil der um die 30 Bilder ist den Jugendjahren und der Zeit der Reisen des jungen Ernesto Guevara durch Südamerika gewidmet. Sie hat ihn wesentlich für die herrschende soziale Ungerechtigkeiten sensibilisiert und für sein späteres Engagement geprägt. Wer das erfolgreiche und gelungene Roadmovie «Diarios de motocicleta» gesehen hat, stösst hier auf die Originale der Filmsujets. Einige der ausgestellten Fotos hat Che auf dieser Reise aufgenommen, zum Beispiel in der Lepra-Station, wo er und sein Freund Alberto Granado als junge Ärzte gearbeitet haben. Es sind heute Bilddokumente von historischem Wert. Am Schluss dieser ersten Sequenz weisen ein Bild und ein Zeitungsausschnitt auf die zeitweilige Tätigkeit Guevaras als Fotograf in Mexiko hin.

Im zweiten Teil sind Bilder zu sehen, die Che Guevara während der Kuba-Jahre zeigen: Beim Ritt durch die Sierra Maestra in der Zeit des Guerillakampfes, später im neuen Kuba als anerkannte Grösse der Revolution. Zitate Ches und ein Text des Befreiungstheologen Frei Bettino runden das Bild des Revolutionärs ab, dessen Ausstrahlung weltweit ungebrochen ist. Aufschlussreich ist der Vermerk zum Bild des toten Che: Sein Mörder Mario Terán, Feldweibel der bolivianischen Armee, wurde 2007 in Bolivien von kubanischen Ärzten in einem von Kuba gespendeten Spital vom Star befreit – wie Hunderttausende anderer Menschen in Lateinamerika. «Merken sie sich diesen Namen: Mario Terán, ein Mann, der zum Töten erzogen wurde, kann dank der Ärzte wieder sehen, die den Ideen seines Opfers folgen», schrieb der Sohn Teráns in der in Santa Cruz erscheinenden Zeitung «El Deber».

Die Ausstellung im Bistro Café «Dimensione» in Winterthur dauert noch bis zum 15. Dezember.

„Karl Marx hatte noch nie so recht wie heute!“

Der portugiesische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger von 1998, José Saramago, hat angesichts der gegenwärtigen internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise geäussert, die Situation belege das „Karl Marx noch nie so sehr recht hatte wie heute“.

Bei der Premiere des Films „Die Stadt der Blinden“, der nach einer literarischen Vorlage Saramagos entstanden ist, fragte der Schriftsteller in Lissabon mit Blick auf die Rettungspakete in Milliardenhöhe: „Wo war das ganze Geld vorher?“

„Das Geld war gut versteckt“, fuhr der Autor fort. „Aber plötzlich tauchte es dann auf. Um was zu retten? Leben? Nein, Banken?“ Die schlimmsten Folgen der Krise seien momentan noch gar nicht sichtbar, warnte er, um unter Anspielung auf den Inhalt seines nun verfilmten Buches zu sagen: „Wir alle sind mehr oder weniger blind, vor allem für die grundlegenden Dinge.“

Der 85 Jahre alte Saramago hat mehr als dreissig Werke veröffentlicht. Zuletzt beendete er nach seiner Genesung von einer Lungenentzündung im August sein neues Buch „Die Reise eines Elefanten“, das den Weg eines asiatischen Elefanten durch das Europa des 16. Jahrhunderts erzählt. Der bekennende Kommunist hatte bei der Europawahl 2004 symbolisch – auf einem hinteren Listenplatz – für die Portugiesische Kommunistische Partei kandidiert.

Quelle: RedGlobe

Action und Propaganda

(luk) Am 25. Semptember lief der Film «Der Baader Meinhof Komplex» vom Drehbuchautor und Produzenten Bernd Eichinger in den Kinos an. Von den 20 Millionen Produktionskosten wurden 6.5 Millionen von staatlichen Filmförderungen übernommen. Das muss seinen Grund haben. Eine politische Filmkritik.

Wahnsinnige Lifestyle-Revolutionäre. Das ist das Bild, welches im Film «Der Baader Meinhof Komplex» über die Mitglieder der Roten Armee Fraktion vermittelt wird. Moritz Bleibtreu, der Darsteller von Andreas Baader, kommentierte die Äusserung, dass er einen schelmischen, unpolitischen Macho spiele: « Man machte Politik damals, wie man heute an eine Afterwork-Party geht. Und sie wurden vom Spass getrieben: Free Love, Peace und Vögeln vor den Kindern. Erst im Gefängnis las Baader politische Bücher.» Die RAF – eine Afterwork-Spassbande, die sich erst im Gefängnis politisierte. Eine absurde Vorstellung, aber eine, die im Film konsequent inszeniert wird. Es wird nicht versucht, der Politik der RAF zu widersprechen, sondern, ihr jeglichen politischen Charakter abzusprechen. Dabei muss natürlich Sachlichkeit und eine historische Darstellung der Tatsachen fallengelassen werden: «Kurz vor Drehbeginn tauchte plötzlich ein Tonbandmitschnitt des Prozesses auf. Da sassen wir alle zusammen in Berlin und haben den angehört. Baader redete (…), und es war ziemlicher Murks, den er erzählte», sagt Bleibtreu. Gefragt, ob Bleibtreu den Baader so spielen solle, antwortet der Regisseur des Films Uli Edel: «Natürlich nicht!» – Das Drehbuch war zu dieser Zeit schon geschrieben, und es sollten ja nicht die wirklichen Geschehnisse dargestellt, sondern ein bestimmtes Bild von der RAF erzeugt werden…

Und so wird Andreas Baader nicht als politischer Revolutionär dargestellt, sondern als cholerischer Macho, dessen politische Aktionen nur Ausdruck seines unbändigen Charakters sind. Bei den inszenierten Wutanfällen muss er sogar mitunter für sexistische und rassistische Bemerkungen hinhalten. Gudrun Ensslin – gespielt von Jolanda Wokalek – bekommt dagegen die Rolle der Geliebte von Baader, ihn bewundernd, ihm hingegeben. Versteht sich, dass auch für sie dei Beteiligung am militanten Widerstand nicht aus politischen Gründen erfolgt. Im Gegensatz zur eindimensionalen Ensslin wird versucht, Ulrike Meinhofs Lebensweg – von Martina Gedeck inszeniert – mehr oder weniger nachvollziebar zu machen. Was allerdings darin endet, dass sie im Stammheimer Gefängnis als Verrückte dargestellt wird.

Propaganda

Das man den Film durchaus als einen agitativen Film, der eindeutig gegen die Rote Armee Fraktion Stellung bezieht, sehen kann, ist nicht nur an der Darstellung der Charaktere zu erkennen, sondern auch an der Auswahl und Inszenierung vom frei erfundenen Szenen, und vor allem: am Umgang mit dem Tod von Meinhof, Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe. Zu Ersterem: Das Augenmerk beim Dreh über die RAF wird auf die «Brutalität» ihrer Aktionen gelegt. Weder, was sie mit den Aktionen bezwecken wollte, noch die Umstände, welche zu diesen führten, werden im Film besprochen. Dass auch prügelnde Polizisten, die Erschiessung Benno Ohnesorgs durch die Polizei, der Vietnamkrieg und das Attentat auf Rudi Dutschke gezeigt werden, erscheint im Hinblick darauf, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht gezeigt werden, lediglich als verkrampftes Gehabe, um den Schein der Historizität und Objektivität zu wahren. Der Gang in die Militanz von Ulrike Meinhof erscheint im Film deshalb nicht durch die gesellschaftliche, politische Analyse bestimmt, sondern als extremer Reflex auf diese Ereignisse. Und die RAF erscheint als mordende Bande, die nicht aus reflektiert politischen Motiven handelt. Ihre Ideologie als Wahnsinn, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Die Todesnacht von Stammheim und der Tod Ulrike Meinhofs werden diskussionslos als Selbstmorde hingenommen. Mehr noch: Der Drehbuchschreiber Eichinger erdreistet sich am Schluss sogar, eine Szene anzudichten, in der ein RAF-Mitglied aussagt, dass all die Stammheimer Tode vorgeplante Selbstmorde waren. Nichts von all den Widersprüchlichkeiten der Tode; nichts davon, dass eine internationale unabhängige Untersuchungskomission zum Schluss kam, dass sich Ulrike Meinhof nicht selber umgebracht gekonnt haben kann (welche von der deutschen Justiz ignoriert wurde), nichts davon, dass Andreas Baader sich nicht aus 40 Zentimeter Distanz in den Nacken hat schiessen können (was getan wurde, wie eine medizinische Untersuchung ergab), nichts davon, dass an keine der Leichen von Baader, Ensslin und Raspe Schmauchspuren festgestellt werden konnten, welche eine Selbsttötung mit Pistole jedoch hinterlassen würde.

Als Gegenspieler der RAF wird der Chef des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, dargestellt, gespielt von Bruno Ganz. Als weiser, bedachter, grossväterliche Mensch stellt er das Gegenstück zur unreflektiert-emotional inszenierten RAF dar. Das Weise an ihm wird so erarbeitet, dass selbst er den Staat kritisiert und seine Untergebenen vor unüberlegten Kurzschlusshandlungen gegenüber der RAF bewahrt. So ein Mensch, die sogar die Beweggründe der RAF versteht, kann doch nicht auf der falschen Seite sein, wird im Film wahrscheinlich versucht zu sagen.

Fiktion als Realität

Nun, wozu wurde der Film gemacht? Edel sagte, «für meine 20- und 21-jährigen Kinder», und das trifft es recht genau. Es geht darum, den Menschen heute weis zu machen, dass revolutionärer Widerstand keine Perspektive hat, ein Fehltritt der Geschichte ist, dass sie mit Gefängnis und Tod endet, und überdies unmenschlich und brutal ist. Die deutsche Zeitschrift «Stern» hat Jugendliche ins Kino geschickt, um den «Baader Meinhof Komplex» anzuschauen und danach ihre Meinung zu äussern. Das Wissen über die RAF ist auch bei deutschen Jugendlichen gering, und so wird, was im Film dargestellt wird, für Bares genommen. Katherina, 18-jährig, meint: «Es war brutal, die Menschen waren krank!», und ihr Freund: «Mit welcher Brutalität die Vereinigung vorgegangen ist, war mir vorher nicht wirklich klar. Durch den Film hat man das erst richtig zu sehen bekommen». Jan-Philipps gibt zur Auskunft: «Datenspeicherung, Überwachungs- und Polizeistaat – das beeinflusst uns bis heute. Ich habe mich auch gefragt, wie ich damals reagiert hätte. Wäre ich bereit gewesen, so weit zu gehen? Aus heutiger Sicht kann ich sagen, es war falsch.» Aber immerhin: Er will sich in Zukunft näher mit der RAF auseinandersetzen. Bei näherer Recherche wird er vielleicht sehen, dass die Schilderungen im Film keineswegs den Geschehnissen damals entsprechen. Und so das durchbrechen, was die Gefahr des Films ist: Dass die mediale Fiktion als Realität angesehen wird; dass dieser Film Geschichtsunterricht über die RAF wird. Der «Stern» rät dem Filmverleih Constantin Entertainment, «etliche Kopien an deutsche Schulen zu schicken». Die ältere Generation hat sich hat ihre Position gegenüber der RAF bereits angenommen. Wenn aber kein Gegenbewusstsein zu der Darstellung der RAF im Film geschaffen werden kann, so hat der Film dann auch erreicht, wofür er gedreht wurde: Den bewaffneten Widerstand als reale Alternative zum Leben im Kapitalismus vollends – auch bei den Jungen – zu diffarmieren.

Kulturhinweis

Andorra ist ein Kleinstaat, der in Kriegszeiten durch ein faschistisches Regime bedroht wird. Dies lässt vor Andorras Grenzen seine Truppen aufmarschieren. Die Faschisten machen Jagd auf Juden. Die Andorraner haben nichts gegen die Juden. Allerdings gibt es in Andorra auch gar keine Juden. Ausser Andri, der als Judenjunge gilt, auch wenn er unter Andorranern aufgewachsen ist. Trotzdem wird das «Jude sein» sein Schicksal.

Das Land Andorra steht nicht für den wirklichen Kleinstaat dieses Namens, es steht aber auch nicht für einen anderen Kleinstaat anderes Namens. Max Frisch bezeichnet Andorra als Namen «für ein Modell». Das heisst, es geht ihm nicht um Ereignisse, die in der Vergangenheit geschehen sind. Es geht ihm um Ereignisse, die jederzeit geschehen können.

Premiere am 1. November 2008, Pfauen.

Zeltweg 5, CH-8032 Zürich, Theaterkasse: +41 44 258 77 77
www.schauspielhaus.ch

Online-Fotoausstellung: Konzentrationslager Buchenwald

Die Fotoausstellung Schwarz auf Weiss ist die erste virtuelle Präsentation der Bildgeschichte eines Konzentrationslagers. Zugleich will sie den Kontext, in dem die Fotos entstanden sind und die Fotografen der Bilder sichtbar machen. Damit ermöglicht sie ein neues, schärferes und zuverlässigeres Bild des KZ Buchenwald, das so auch einem breiten internationalen Publikum zugänglich ist.

Die virtuelle Ausstellung Schwarz auf Weiss orientiert sich an der Struktur der gleichnamigen „realen“ Ausstellung im Kammergebäude der Gedenkstätte Buchenwald. Sie kann dort – am authentischen Ort – besichtigt werden.

Die Fotografien stammen aus dem Archiv der Gedenkstätte Buchenwald, das über einen Bestand von etwa 10.000 Fotos verfügt. Es ist die älteste grosse Fotosammlung an einer KZ-Gedenkstätte in Deutschland. In den letzten Jahren wurde sie historiografisch erschlossen, nach Fotografen geordnet und digital inventarisiert. Teile der Fotosammlung sind über ein digitales Archiv im Internet zugänglich.

Zur virtuellen Ausstellung

ein BOA Teil

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Nach 19-jähriger Geschichte schloss das Luzerner Kulturzentrum Boa seine Tore. Als wichtiges kulturelles und soziales Zentrum der Zentralschweiz besass es überregionale Ausstrahlung – geprägt durch verschiedene Vorstellungen und Visionen, gezeichnet durch jahrelange Polarisierung auf politischer und medialer Ebene. Dies hinterliess am Tag der Schliessung kein homogenes Bild. Für die einen war und ist die Boa ein Ort der hoch stehenden Musik, für die andern ein Zentrum für das freie Theater oder der politischen Debatten und Literatur. Für die junge Generation war es ein Platz, an dem „Alternativkultur“ gelebt, erlebt und gelernt werden konnte, und für die ältere Generation ist es ein Zeitzeugnis für erkämpften Freiraum.

Neun Monate danach erscheint nun das Boa Buch, mit allen möglichen Facetten und Positionen. Von einer historischer Herleitung, wilden kreativen Impressionen  bis zu inhaltlichen Diskursen über  Alternativkultur.  Als ganzes ein Manifest für ein lebendiges Kulturleben. Über Hundert Mitarbeitende und Mitwirkende zeigen auf 256 Seiten die Tragweite dieser Geschichte.

– Ein grosses Boa-Teil liegt mit diesem Buch vor, quasi ein Lehrstück über Alternativkultur und Kulturpolitik. Oder: ein Buch, viele Boas. –
Kulturmagazin Juli

Vernissage am 30. August 2008 an der Industriestrasse 9 in Luzern, mit Fest und Konzerten ab 18.00 im Figurentheater.

256 Seiten, mit farbigen und s/w-Abbildungen,15.6 x 21.8 cm, Softcover,
erscheint Ende August 2008 | SFR 30.– | ISBN 978-3-033-01645-3

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