Tunesien: Selbstkritik der Genossen

Nach den grossen Erhebungen dieses Jahres im nordafrikanischen und nahöstlichen Raum kam es inzwischen auch zu Neuwahlen in Tunesien und Ägypten. Wenig überraschend dominierten dabei überwiegend islamisch orientierte Parteien und Kräfte. Vor kurzem äusserten sich führende Vertreter der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens (PCOT) in einem Interview selbstkritisch zu dem Ausgang und dem für sie unbefriedigenden Ergebnis der tunesischen Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung Ende Oktober.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse der PCOT bei den Wahlen ein? Meinen Sie, dass der Wahlkampf erfolgreich die Sachverhalte thematisierte, die Sie anstrebten?

Hamma Hammami: Einige Zeitungen vertraten die Ansicht, dass die Wahlen am 23. Oktober aussergewöhnlich und einzigartig waren, ja mehr noch dass sie vollkommen waren. Das ist eindeutig eine Übertreibung. Wir müssen blinden Optimismus über die Wahlergebnisse vermeiden und sie stattdessen mit mehr Kritik betrachten.

Es gab viele Vorwürfe gegen einige Wahllisten, und ich denke nicht, dass die Justiz diese rüde zurückweisen würde. Trotz unserer Kritik fordert die PCOT aber weder eine Wiederholung noch eine Annullierung der Wahlen. Allerdings haben wir einige Anmerkungen.

Die erste betrifft die geringe Zahl der Teilnehmer an den Wahlen: gemäß Angaben der Wahlleitung haben nur 48,9% der Wahlberechtigten abgestimmt. (Anm.: Das oben verlinkte Wahlergebnis weist 42% Nichtwähler und 18% ungültiger Stimmen aus!) Solche Zahlen sind Besorgnis erregend und ihre Auswirkungen auf die politische Zukunft der Konstituierenden Versammlung wäre bedeutend – denn auf dieser Basis spiegelt die (dort zu verabschiedende) Verfassung nicht die Meinung der Mehrheit des Volkes wider. Um dieses Problem zu lösen, fordert die PCOT, den Verfassungsentwurf dem Volk im Rahmen eines Referendums vorzulegen. So könnte dann die ganze tunesische Bevölkerung die Verfassung bestätigen oder ablehnen.

Zweitens war politisches Geld (welches die Parteien in ihren Wahlkampagnen einsetzten) ein erheblicher Faktor für die Wahlergebnisse. Niemand kann leugnen, dass es deutliche Unterschiede gibt zwischen durchschnittlichen Ausgaben von 25 Dinar pro Wähler und 500 Dinar pro Wähler.

Drittens hat die Benutzung religiöser Rhetorik in Moscheen und in öffentlichen Bereichen direkt oder indirekt das Volk beeinflusst. Der größte Mangel diesbezüglich war, dass Menschen, die eigentlich den Versuchen zur Beeinflussung der Wähler hätten entgegen treten müssen, dies nicht taten und sich so passiv verhielten, wie unter Ben Alis Regime. Es war fast so, als gäbe es verborgene Mächte, die danach trachteten, Atheisten und Gläubige zu trennen.

Viertens spielten die Medien, vor allem die öffentlichen, eine armselige Rolle. Damit ist gemeint, dass sie dem Volk nicht dabei halfen zu unterscheiden, auszuwählen und zu verstehen, was die Verfassung bewirkt und welche Bedeutung ihrem Inhalt zukommt.

Fünftens gab es gegenseitige Angriffe zwischen den Parteien, die manchmal ein erbärmliches Niveau erreichten.

Sechstens wurden in den Wahllokalen viele Verstöße gegen die Wahlvorschriften begangen, was von einer grossen Zahl der Wahlbeobachter bestätigt wurde.

Abschliessend ist festzustellen, dass niemand leugnen kann, dass die tunesischen Wahlen durch internationale Kräfte (hauptsächlich die USA und seitens der EU) mit dem Ziel manipuliert wurden, die tunesische Revolution auf kleinere Reformen und Veränderungen zu begrenzen und das frühere Machtsystem, sowie die pro-kapitalistische Wirtschaft mit ihrer politischen und sozialen Orientierung aufrecht zu halten. Diese ausländische Einmischung wurde durch die Übergangsregierung und einige Parteien erleichtert, indem während der Wahlkampagne ein reger politischer Reiseverkehr von und nach Tunesien stattfand. Es waren auch von verschiedenen Parteien immer wieder Zusicherungen zu hören, dass Tunesien an den alten politischen und wirtschaftlichen Grundsätzen festhalten würde.

Wie bewertet die PCOT ihre eigene Teilnahme an den Wahlen?

Chrif Khraief: Wir schätzen unsere Teilnahme als schwach ein, und wir sind nicht zufrieden, weil drei Sitze von uns in der Versammlung nicht das wahre Gewicht der PCOT auf den Straßen widerspiegeln. Niemand kann die historische Rolle, den historischen Einsatz und den großen Einfluss der PCOT auf die Durchführung der Revolution leugnen. Wir schauen stets kritisch auf uns selbst, um voran zu kommen und unsere Schwäche zu überwinden und uns zu verbessern.

Es ist wahr, dass die PCOT revolutionären Aktivismus gelernt hat und dabei stets recht gut gehandelt hat. Aber wir haben nie Wahlkampagnen gelernt und diesbezüglich Erfahrungen gesammelt. Wir führten einen saubereb Wahlkampf, in dem wir uns auf unser Programm und Vorschläge für die Verfassung und die Übergangsregierung ausrichteten, und wir setzten auf die Energie und Motivation unserer Aktivisten, besonders der jungen. Aber wir litten auch unter unserer schwachen Verankerung in den Städten und auf dem Lande, was die Umwandlung unseres politischen Ansehens in eine gewählte Macht negativ beeinflusste. Und wir verloren viele Stimmen durch den Namenswechsel unserer ‚PCOT‘ in ‚Al Badil‘ (Revolutionäre Alternative), wodurch uns viele Menschen am Wahltag auf den Listen gar nicht erkannten.

Wir machten auch einen schweren Fehler, als wir nicht für jedes Wahllokal einen überwachenden Beobachter organisierten. Das erlaubte einigen Parteien, die Gelegenheit zur Manipulation der Menschen zu nutzen. Wir gingen ferner mit sehr geringen materiellen Mitteln in den Wahlkampf und vertrauten auf die Finanzierung des Wahlkampfes durch die Behörden, die uns aber dann erst sehr spät im Wahlkampf erreichte. Zusätzlich waren unsere Kandidaten wegen unserer Grundsätze und Integrität Ziel einer sehr rüden Angriffskampagne; einige Parteien verbreiteten viel Hetze gegen uns, was ebenfalls dazu beitrug, dass wir unser eigenes Ziel von 10% der Stimmen nicht erreichten.

Obwohl unsere Wahlergebnisse nicht zufrieden stellen, haben wir doch viel aus diesen Erfahrungen gelernt. Wir kennen jetzt unsere Schwächen und wir sind mehr denn je von unseren Grundsätzen überzeugt.

Haben Sie das Gefühl, dass die neue Regierung irgendwelche tiefen sozialen oder wirtschaftlichen Veränderungen vornehmen wird? Wird sie wirkliche Gerechtigkeit hinsichtlich des früheren Regimes verfolgen?

Chrif Khraief: Wir glauben nicht, dass die neue Regierung in ihrer jetzigen Zusammensetzung gewillt ist, radikale und wirkliche Veränderungen an der sozialen und wirtschaftlichen Front vorzunehmen. Bereits vor der ersten Tagung der Verfassunggebenden Versammlung haben Regierungsmitglieder der Welt versichert, dass sie so weiter machen würden, wie das frühere Regime. Dies ist besonders zutreffend hinsichtlich der Wirtschaftspolitik. Sie erklärten, dass sie die Auslandsschulden tilgen werden und an der Marktwirtschaft festhalten wollen, die uns in die politische Diktatur, in wirtschaftliche Depression und in soziale Ungleichheit hineingeführt hat.

An der sozialen Front hat die Verfassunggebende Versammlung kein Interesse für die Armen und die benachteiligten Menschen innerhalb Tunesiens gezeigt, die ja unter Ben Ali lange Zeit verleugnet wurden, was eine der Ursachen für die Proteste und Streiks Anfang des Jahres war. Und selbst wenn die neue Regierung gewisse Entscheidungen träfen, so wäre das angesichts des Fehlens einer Justizreform eher ein Schwindel. Denn wir können keine reale Demokratie praktizieren, wenn die Vertreter des alten Regimes weiterhin aktiv sind, wenn die Justiz weder gerecht noch frei ist, wenn die Medien nicht frei sind, wenn die Verwaltung immer noch korrupt ist, und wenn Menschen noch frei herumlaufen, die in Folter und Korruption verwickelt sind. Man kann nicht von wirklicher Gerechtigkeit sprechen, ohne über frühere Verantwortlichkeiten zu reden und den Opfern von Ben Ali ihre Würde zurück zu geben.

Seit den Wahlen Ende Oktober hat es grosse Streiks im Tourismus, im Transportwesen und anderen Wirtschaftsbereichen gegeben. Waren Mitglieder der PCOT daran beteiligt oder haben sie diese Aktionen unterstützt? Welche Rolle nimmt die All-Union der tunesischen Arbeiter (UGTT) in diesen revolutionären Kämpfen ein?

Chrif Khraief: Die PCOT stand nicht hinter diesen Protesten, aber sie unterstützt sie und wird dies weiterhin stets tun! Wir werden darauf bestehen, dass die Regierung ihre Versprechen einlöst, die sie nach der Revolution machte – wie etwa Abschaffung von tariflosen Gehältern, Unterstützung der zu Festgehältern Arbeitenden, Durchsetzung von transparenten Standards bei Einstellungen.

Die Arbeiter sind derzeit in zwei Gruppen gespalten. Die einen sind die Revolutionäre, die das Ziel anstreben, intern in der Allunion der Tunesischen Arbeiter Demokratie zu verwirklichen und die Arbeiter gegen die Kapitalisten und die Geschäftsführungen zu verteidigen. Dies umfasst Demokraten, Linke, Syndikalisten und andere. Und das war in den glänzendsten Aktionen der UGTT immer deutlich: im Streik vom 26. Januar 1978; im revolutionären Feuer von 1984; in den rechtlichen Kämpfen von 1985; bei der Unterstützung des Iraks im Golfkrieg von 1990 und im Aufstand im Jahre 2008 in Redeyef und Oum Laarayes. Aber hauptsächlich und an erster Stelle waren diese Arbeiter aktiv in der revolutionären Bewegung, die zum Sturz von Ben Ali am 14. Januar 2011 führte.

Alle Aktivisten dieser Art werden sich im Dezember in einer Versammlung zusammenfinden, um den Weg der Revolution fortzusetzen, um reale Demokratie zu schaffen und weiterhin die Rechte der Arbeiter zu verteidigen.

Die zweite Gruppe von Arbeitern sind die Bürokraten, die die konter-revolutionären Kräfte (Gewerkschaft der Bosse) repräsentieren, die lieber Verhandlungen der Gewerkschaften scheitern lassen, als dass sie die Gewerkschaften zu einem Werkzeug der Unabhängigkeit und Macht der Arbeiter machen. Diese Bürokraten waren diejenigen, die Ben Ali bis zum letzten Augenblick unterstützten und die Revolutionäre als Unruhestifter behandelten.

Quelle: kommunisten.de und  Al-Thawra Eyewitness  /  Übersetzung: hth  /  Foto: AndyWorthington

US-Tränengaslieferung verweigert

US-Tränengas gegen die Revolution

Die Hafenarbeit in Suez verweigert die Entgegennahme und Unterschrift einer ersten Lieferung von sieben Tonnen US-Tränengas für das ägyptische Innernministerium. Offenbar müssen dringend die Lagerbestände – nach sechstägigem Beschuss der Protestierenden letzte Woche – wieder aufgefüllt werden.

Eine Gruppe ägyptischer Zollbeamter in Suez brachte an Tageslicht, dass das ägyptische Innenministerium in der USA 21 Tonnen Tränengas zur Aufstockung der Lagerbestände bestellt hat. Die brisanten Dokumente des Zolls wurden dem bekannten Aktivisten Medhat Eissa aus der Küstenstadt zugespielt.
Die betreffenden Zollbeamten wurden unterdessen einvernommen, weil sie die Annahme und die Unterschrift für die Tränengaslieferung verweigerten hatten.

 

Eine weitere Gruppe Hafenarbeiter des «Adabiya Seaport» in Suez besitzt zudem Dokumente, welche beweisen, dass vom US-Hafen Wilmington aus drei Frachter mit insgesamt 21 Tonnen Tränengas in Richtung Ägypten gestartet sind.
Die Hafenarbeiter sagen, dass das Containerschiff «Danica», welches mit sieben Tonnen Tränengas der US-Firma «Combined Systems» beladen ist, bereits den Hafen von Suez erreicht hat. Zwei weitere Containerschiffe der gleichen Firma sollen Ende Woche ebenso in Suez eintreffen.

Quelle: Ahram online, Dienstag, 29. November 2011

ENI-Manager wird Ölminister in Libyen

Die Regierungsbildung hatte sich durch anhaltendes Gefeilsche zwischen den verschiedenen rivalisierenden Stammesmilizen und Fraktionen im Übergangsrat CNT verzögert.

Der neue Regierungschef war bisher weithin unbekannt. 1951 in Tripolis geboren, von Beruf Elektroingenieur, erhielt er seine Ausbildung ab 1973 vor allem in den USA. Dort war er nach dem Studium seit 1985 über zwanzig Jahre lang als Professor tätig. Er verliess die USA nach mehr als dreissigjährigem Aufenthalt, um 2006 am Petroleum Institute in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) den Chefposten der Abteilung Elektroenergie zu übernehmen. Im Frühjahr 2011 nach Libyen zurückgekehrt und in die libysche Politik katapultiert, wurde der Mann mit doppelter amerikanisch-libyscher Staatsbürgerschaft am 31. Oktober von einer knappen Mehrheit im CNT (26 von 51 Stimmen) zum neuen Chef der „Übergangsregierung“ gewählt.

Zum Aussenminister machte er den ehemaligen libyschen Botschafter in Kanada, Ben Khayal. Die wichtigen Posten des Innen- und Verteidigungsministers in der 24-köpfigen Regierung überliesser zwei Milizen-Chefs, dem Stadtkommandanten der Stadt Sintan und einem „Rebellenführer“ aus Misrata. Bereits einen Tag nach der Regierungsbildung haben mehrere libysche Stammeschefs, darunter die berberischen Amazighs in Westlibyen und die Awagi und Maghariba in Bengasi erklärt, dass sie diese Regierung nicht anerkennen, weil sie sich ungenügend in ihr vertreten fühlen. „Nein zu einer Regierung der Ausländer“ hiess es auf einem Schild bei einer  Demonstration in Bengasi vor dem Hotel, in dem der Übergangsrat seinen Sitz hat.

Wir werden eine Million sein

Verschiedene Parteien haben für den Folgetag zu einer neuen Grosskundgebung aufgerufen, nachdem bei den Auseinandersetzungen mehr als 20 Menschen getötet worden sind.

Die Proteste haben am Freitag begonnen, als verschiedene ägyptische Parteien eine Grossdemonstration gegen die Vormachtstellung des Militärs und für eine rasche Übergabe der Macht an eine Zivilregierung veranstalteten. Am Samstag eskalierten sie, nachdem die Polizei ein Camp von Demonstranten aufgelöst hatte. Seitdem wird auf dem Platz demonstriert, während sich in einigen Nebenstrassen Polizei und Demonstranten Straßenschlachten mit Tränengas und Gummigeschossen, Pflastersteinen und Molotow-Cocktails liefern.

Anders als vor zwei Tagen, als die Strassenschlachten begannen, ist der Platz jetzt fest in der Hände der Demonstranten, die Kämpfe werden zwar noch immer mit unerbittlicher Härte ausgetragen, finden aber nur noch in den Nebenstrassen statt; die Tränengas-Angriffe der Polizei auf den Platz scheinen aufgehört zu haben. Die Gesundheitsversorgung ist deutlich besser organisiert als in den Anfangsstunden: Mit einer Schnur ist ein Korridor quer über den Platz abgeriegelt, durch den im Minutentakt Verletzte mit Tränengasreizung oder Gummigeschossen herangeschleppt werden, um entweder auf Decken auf der Verkehrsinsel in der Mitte oder in dem provisorischen Lazarett vor dem Kentucky Fried Chicken auf der Nordseite des Platzes behandelt zu werden. Junge Männer versuchen, einen weiteren Korridor für die Krankenwagen frei zu halten, die alle paar Minuten mit Blaulicht davonrasen, in die Krankenhäuser der Innenstadt. Und findige Geschäftsleute haben Kartons mit Gasmasken gebracht, die sie als Schutz vor dem Tränengas an die Demonstranten verkaufen.

Quelle: www.pamirblog.de Der sehr empfehlenswerte Blog informiert laufend mit ReporterInnen vor Ort!

Gewaltiger Rechtsrutsch in Spanien

Izquierda Unida (IU), die  vereinigte Linke in Spanien sorgt für einen kleinen Lichtstrahl am dunklen, konservativen Himmel in Spanien: Sie hat elf Sitze gewonnen und gewann somit fünf Mal mehr Abgeordnete als noch vor vier Jahren. Ihr Spitzenkandidat Cayo Lara erklärte in einer ersten Stellungnahme,
dass sich die IU mit voller Kraft gegen den bevorstehenden, sozialen Kahlschlag wehren wird. Wie ihr dies angesichts der konservativen Übermacht im Parlament gelingen wird, ist offen und vor allem sehr fraglich. Die elf Parlamentssitze der IU sind leider nicht mehr als ein Tropfen auf dem heissen Stein.

Der neue, starke Mann in Spanien heisst Mariano Rajoy, ein bekennender Franco-Anhänger, der enge
Kontakte zum Opus Die und somit zum katholischen Adel pflegt. «Ich bin bereit, das umzusetzen, was die Spanier verlangen», sagte der voraussichtliche neue Regierungschef Rajoy bei der Stimmabgabe. «Die Sache wird nicht leicht werden.» Rajoy, der bei den Wahlen 2004 und 2008 gegen Zapatero verloren hatte, will
Spanien ein drastisches Sparprogramm verordnen. Der 56-Jährige kündigte Einschnitte in allen Bereichen mit Ausnahme der Renten an. «Ich werde Spanien aus dieser Krise herausbringen» hatte der Parteichef der Konservativen im Wahlkampf versprochen. Er liess aber offen, wo er konkret den Rotstift ansetzen
will. Das einzige Wahlversprechen war, dass er bei den Renten nichts ändern wird, sprich keine Kürzungen vornehmen wird. Ob er sich daran halten wird, werden die nächsten Monaten zeigen.

Insgesamt waren 35,8 Millionen Spanier zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung war deutlich geringer als bei der vorigen Wahl 2008.

Der italienische Preusse

Der neue italienische Regierungschef Mario Monti, 68 Jahre alt, formell «parteilos», ist alles andere als ein reiner Finanzfachmann und «Technokrat». Der Wirtschaftsprofessor aus Mailand, aus einer Bankiersfamilie
stammend, hat sein Studium gleichfalls in den USA, an der Yale-Universität in Connecticut vervollständigt. Dort hat er u. a. auch bei James Tobin, dem Erfinder der Tobin-Steuer studiert – allerdings offenbar ohne sich für dessen Idee einer Finanztransaktionssteuer zu erwärmen. Das Vertrauen der EU Oberen erwarb er
sich vor allem in seinen Jahren als EU-Kommissar in Brüssel. Von Silvio Berlusconi dafür vorgeschlagen, war er dort von 1995 – 1999 für den EU Binnenmarkt und danach bis 2004 für Wettbewerbsfragen zuständig. Er erwies sich in diesen Jahren als getreuer Durchsetzer der neoliberalen EU-Politik. Unter seinen Kollegen wurde er als der «italienische Preuße» bezeichnet. Als Berater des US amerikanischen Finanzimperiums Goldmann Sachs und des Coca-Cola-Konzerns, Vorstandsmitglied der geheim tagenden Bilderberg-Konferenz mächtiger Finanzleute, Konzernchefs, Politiker und Militärs, als Freund des neuen italienischen EZB-Chefs Mario Draghi, Aufsichtsratsvorsitzender der EU-Denkfabrik Bruegels
und zuletzt Präsident der Mailänder Elite-Universität Bocconi verfügt er über glänzende Verbindungen in die Welt des internationalen Kapitals.

Es kann kein Zweifel geben, für welche Politik der neue EU Statthalter in Italien steht. Unter dem Deckmantel «neutraler Fachleute» sollen sie die alten Rezepte der EU-Zentrale zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung durchsetzen, an denen Papandreou und Berlusconi gescheitert
sind. Es ist aufschlussreich, dass ein Mann wie Berlusconi, der fast 20 Jahre lang die italienische Politik als Vorkämpfer gegen die «Gefahr des Kommunismus» und als Medienzar mit einem machtvollen Netzwerk in die Finanzwelt und mafiaartige Zirkel massgeblich bestimme und von führenden Kreisen der italienischen
Bourgeoisie offensichtlich in diese Position gehievt worden und trotz aller Justiz- und Sexskandale jahrelang gehalten worden war, nun auf Betreiben des italienischen Unternehmerverbands im Verein mit den EU-Oberen gestürzt worden ist. Vorgeworfen wird ihm jetzt, dass er sich nicht energisch genug für die
Durchsetzung der von Unternehmern und EU verlangten «Reformen» eingesetzt hat.

Mit Monti soll das nun anders werden. Springers «Welt» fasste seine Aufgaben am 14.11. so zusammen: «Auf Monti wartet viel Arbeit. Italien muss die Wirtschaft liberalisieren, zahlreichen Berufsgruppen
Privilegien entreißen (lies: Renten, Arbeiterrechte, Sozialleistungen kürzen), einen harten und unpopulären Kampf gegen Steuerhinterziehung einleiten und Staatsbesitz verkaufen. Das Land muss sich aus der staatlichen Umklammerung befreien und damit zahlreiche Politiker ihrer Pfründe berauben. Die Justiz muss
modernisiert werden. Und all das wäre erst der Anfang.»

 

Die ETA setzt die Entwaffnung auf die Agenda

Drei Wochen nach der Erklärung der baskischen Untergrundorganisation, den bewaffneten Kampf gegen Spanien einzustellen, hat die ETA nun im Interview verkündet, die «Entwaffnung auf der Verhandlungs-Agenda» zu haben. Sie interveniert nicht mit tödlichen Anschlägen in den Wahlkampf wie 2008, sondern bietet eine weitere Geste zur Entspannung an. Die linke Unabhängigkeitsbewegung hatte derlei Schritte von ihr gefordert. Nach einer 52-jährigen Existenz zeigt sich die ETA nun zur «Zerstörung der Waffen» bereit. Damit will sie Spanien und Frankreich an den Verhandlungstisch zwingen, wie es die «Internationale Friedenskonferenz» Mitte Oktober forderte.

In den Verhandlungen soll nach Meinung der ETA nicht nur über die Entwaffnung nach irischem Vorbild verhandelt werden, sondern auch über die «Rückkehr der Gefangenen und Exilierten» und über die «Demilitarisierung des Baskenlands». Dazu müsse ein Dialog unter allen Parteien, Gewerkschaften und sozialen Organisationen im Baskenland beginnen, um zu einer definitiven Friedenslösung zu kommen, an dem die ETA nicht teilnehmen will. Dieser Prozess müsse frei von jeglicher Einmischung und Gewalt sein und das Recht auf Selbstbestimmung der Basken einschliessen. Bisher hat sich die spanische Regierung zu keiner Geste durchringen können, um den Friedensprozess zu fördern. Alle baskischen Parteien und Gewerkschaften fordern aber, nicht länger zu warten. Als erste Geste sollten schwerkranke Gefangene entlassen und mit den Verlegungen der 800 politischen Gefangenen ins Baskenland begonnen werden, was spanische Gesetze ohnehin vorsehen. Doch Zapatero, der 2006 und 2007 mit der ETA verhandelte, will alles der neuen Regierung und damit wohl den Konservativen überlassen, die bisher jede Verhandlungslösung torpediert haben. Deren Spitzenkandidat Mariano Rajoy hält nun die Türen offen. Er forderte seine Partei auf, «bedachtsam» zu sein und «unfruchtbare Debatten» zu vermeiden. Ungewöhnlich wären solche Gespräche nicht, denn auch die PP-Regierung hatte 1999 mit der ETA in Zürich verhandelt.

Eine Fahne für den Frieden

Zapatero hat seine Chance verpasst und die abstürzenden Sozialdemokraten können damit im Wahlkampf nicht punkten. Sein Verhalten führt auch zu Widersprüchen in den eigenen Reihen. Der Druck auf die sozialdemokratische PSOE nimmt nach der ETA-Erklärung zu, doch sie spielt weiter auf Zeit. Nun fordert sie, die ETA müsse ihre Opfer anerkennen. Der  Präsidentschaftsminister Ramón Jáuregui meinte, die ETA versuche nur, «eine Prämie bei den Wahlen zu erhalten». Tatsächlich dürfte die PSOE im Baskenland für ihre Taktik schwer abgestraft werden, während die Koalition «Amaiur», in der die gesamte baskische Linke antritt, für ihren Friedenseinsatz belohnt werden dürfte.

Halleluja, Silvio ist weg!

«Halleluja, Silvio Berlusconi ist zurückgetreten», schreibt die kommunistische Tageszeitung «il manifesto» in ihrer Ausgabe vom Sonntag, 13. November 2011. Endlich, nach 17 Jahren, verlässt der Medienzar und Multimillionär die politische Bühne Italiens. Sein letzter Gang zum Staatspräsidenten Giorgio Napoletano, bei dem Berlusconi seinen formellen Rücktritt einreichen musste, wurde zum Spiessrutenlauf: Sein Auto und er wurden von wütenden BürgerInnen mit Münzen beworfen. Auf Schildern und Transparenten war zu lesen: «Fertig gehurt», «Game over», «Fertig Party», oder «Danke für den Bankrott», um der Ironie auch noch etwas Platz zu lassen.

Silvio, der das Land wie sein Medienimperium führen wollte, hinterlässt einen Scherbenhaufen, nachdem sein Traum zum schrecklichen Albtraum für Millionen von ItalienerInnen geworden ist. Seine Erbschaft ist ein durch seine privaten Interessenkonflikte völlig entstelltes Land, zerrissen in den elementarsten Regeln des zivilen Zusammenlebens und gedemütigt durch die Prostitution, nicht nur der sexuellen. Etwas ist hier jedoch hinzuzufügen: Es war die Mehrheit der ItalienerInnen, die den ständig lächelnden kleinen Zwerg dreimal zum Chef ihres Landes gewählt haben! Geblendet durch seine populistische, gewaltige Propagandamaschinerie ist das Volk dem Rattenfänger blind hinterher gelaufen – die Quittung dafür ist desaströs.

Ein EU-Vorzeigesoldat übernimmt

Gibt es in Italien eine grössere Tragödie als Berlusconi selbst? Ja, die gibt es. Und wie, auch wenn es schwer zu glauben ist. Es war nicht die sozialdemokratische Opposition im Parlament oder gar eine breite Massenprotestbewegung, die Berlusconis politisches Grab schaufelte. Diese Tatsache spricht Bände. Abdanken musste Silvio wegen dem Diktat des Marktes, genauer: durch den Befehl der EU, für die Berlusconi schlicht nicht mehr tragbar war. Über seine sexuellen Eskapaden mit minderjährigen Mädchen konnten die EU-Mächtigen noch lächeln (vielleicht waren einige graumelierte Herren in EU-Kreisen sogar eifersüchtig und blickten mit Neid auf den dauergeilen Premierminister Italiens), doch die Tatsache, dass er das Land nicht auf den befohlenen EU-Blutsaugerkurs führen konnte, wurde ihm nicht verziehen. Brüssel wünscht sich nun, das dies Mario Monti tun soll. 1995 wurde Monti EU-Kommissar für den Binnenmarkt. Dieses Amt hatte er bis 1999 inne, dann wurde er bis 2004 Kommissar für Wettbewerb. Der 68-jährige Vorzeigesoldat der EU, ausgezeichnet mit dem europäischen «Eisernen Kreuz des Neoliberalismus», wurde in einer Nacht- und Nebelaktion zum Senator auf Lebzeiten gewählt. Ja, denn selbst in Italien muss man Mitglied einer Parlamentskammer sein, um Regierungschef zu werden. Und da es Mario Monti bis zum 10. November nicht war, musste diese kleine Nebensächlichkeit noch schnell korrigiert werden. Bananenrepublik, dein Name sei Italien!

Das letzte Geschenkpaket

Das letzte Geschenk von Berlusconi war das so genannte «Stabilitätspaket», das – wen wundert es – von Brüssel befohlen worden ist. Berlusconi machte die Annahme des Pakets zur Bedingung für seinen Rücktritt. Es beinhaltet die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes (unter anderem durch eine Durchlöcherung des Kündigungsschutzes) und den Verkauf von Staatseigentum, der an Schwerreiche verscherbelt werden soll. Dass die «Partito Democratico» (PD), die sozialdemokratische und grösste Oppositionspartei im Parlament, diesen krassen Sozialabbau schlucken musste, um Berlusconi endlich loszuwerden, beweist, in welch jämmerlichem Zustand sich die italienische Linke befindet. Hinzu kommt, dass die PD nun gewillt ist, die Regierung von Mario Monti zu unterstützen, weil die Partei «Verantwortung für das Land übernehmen will». Auf die radikale Linke im Land zu hoffen, ist eine Illusion. Sie ist zersplittert, zerstritten und  seit Jahren damit beschäftigt, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen – povera Italia!

Streikwelle in Ägyptentrotz Ausnahmezustand

Nach der Erstürmung der israelischen Botschaft wurde in Ägypten der Ausnahmezustand wieder in Kraft gesetzt und es wurde angekündigt, mit harter Hand gegen Streikende vorzugehen. Prozesse gegen das alte Regime wurden vertagt.

Am 10. September finden in ganz Ägypten Grosskundgebungen statt. Es sind vorwiegend linke Organisationen, streikende ArbeiterInnen und Jugendgruppen, die auf die Strasse gehen. Auch auf dem Kairoer Tahrirplatz sind es an diesem Tag wieder Zehntausende, unter ihnen viele Ultras der beiden Vereine Zamalek und Al-Ahly. Aus gutem Grund: Die beiden Fanclubs werden an diesem Tag für ihre mutige Rolle während der Tage der Revolution von der Bewegung «geadelt». Gleichzeitig demonstrieren vor der israelischen Botschaft mehrere Hundert Personen. Später stösst ein Teil der DemonstrantInnen vom Tahrirplatz hinzu. Dort soll die gigantische Betonmauer, welche zum Schutz der israelischen Botschaft erst ein paar Tage zuvor errichtet wurde, demontiert werden. Sozusagen als symbolischer Akt, so der Konsens im Vorfeld. Am späteren Nachmittag strömen immer mehr Menschen vor die israelische Botschaft, gleichzeitig kommt es vor dem kilometerweit entfernten Innenministerium zu Krawallen. Und vor dem Kabinett protestieren zeitgleich Zehntausende Lehrer. Es ist viel los, an diesen Tagen am Nil. Später dann der Sturm einer wütenden Menge auf die israelische Botschaft. Während ein Grossaufgebot von Militär und Polizei während mehreren Stunden tatenlos zusieht. Erst als die Situation völlig aus dem Ruder läuft, greifen die Sicherheitskräfte ein. Die Folge sind stundenlange Strassenschlachten, drei Tote und über 1?000 Verletzte. Erst in den frühen Morgenstunden kehrt in Kairo allmählich wieder Ruhe ein.

 

Der Kater danach

Nach dem Botschaftssturm bleibt ein Scherbenhaufen zurück. Der Militärrat nutzt die Gunst der Stunde und setzt den Ausnahmezustand wieder in Kraft. Derweil haben Verschwörungstheorien rund um den Sturm auf die israelische Botschaft Hochkonjunktur. Gemäss verschiedenen Augenzeugen sollen die vier Männer, welche als erste in die Botschaft eindrangen, zuvor von der Militärpolizei zur Botschaft gebracht worden sein. Selbst ein Sprecher der radikal-islamistischen Salafisten, der zunächst den Botschaftssturm noch bejubelte, veröffentliche am Tag darauf die Meldung, dass hinter dem Angriff auf die Botschaft das ägyptische Militär stecken würde. Auch die Jugendorganisation «6.April», welche sich schon im Vorfeld von der Aktion distanzierte, bezichtigt den Militärrat die Proteste für ihre Interessen manipuliert und angeheizt zu haben. So sollen sich eine grosse Anzahl Mubarak-Anhänger und bezahlte Provokateure unter die Menge vor der Botschaft gemischt haben. Zumindest in einem Punkt sind sich alle Akteure einig: Der Botschaftssturm nützt nur den alten Seilschaften und dem Militärrat.

 

Schiessbefehl und Notstandsgesetze

In den folgenden Tagen werden mehrere AktivistInnen von der wieder aktiveren Sicherheitspolizei verhaftet. Die Regierung behauptet, sie seien am Angriff auf die Botschaft beteiligt gewesen und hätten sich deshalb vor einem der neuen Sondergerichte zu verantworten. AktivistInnen hingegen sagen, es handele sich um Oppositionelle, die auf dem Tahrirplatz waren und sich nicht am Botschaftssturm beteiligt hätten. Die ägyptische Redaktion von Al-Jazeera wird geschlossen und die Büros von 16 internationalen TV-Stationen werden durchsucht. Dabei werden Sendegeräte beschlagnahmt und MitarbeiterInnen verhaftet. Mehreren populären Fernsehmoderatoren wird ein Auftrittsverbot erteilt. Und Innenminister Essawy kündigt an, dass ab sofort jeder Angriff auf ein öffentliches Gebäude mit scharfer Munition beantwortet werde. Polizisten, welche sich nicht an den Schiessbefehl halten, sollen hart bestraft werden. Das Notstandsgesetz soll mit grosser Härte vor allem gegen «thugs» (Kriminelle) – so werden die Protestierende oft genannt – und Streikende (!) angewandt werden.

 

Landesweite Streiks

Trotz Ausnahmezustand sowie Demonstrations- und Streikverbot weiten sich die Proteste aus. So rufen die «Revolutionäre Jugendkoalition» und ein breites Bündnis politischer Parteien für Montag, 19. September, zu einem Marsch zum Kabinett in Kairo auf, um gegen die Reaktivierung des Notstandsgesetze, welches die grösste Bedrohung seit der Revolution darstelle, zu demonstrieren. Zuvor hatte schon die «Unabhängige Union der ägyptischen Lehrkräfte» ihre Drohung wahr gemacht. Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres sind sie, trotz Ausrufung des Ausnahmezustandes, am 17. September landesweit in den Streik getreten. Es ist der erste Lehrerstreik seit 1951. Damals hatten die Briten in Ägypten noch das Sagen. Sie fordern höhere Löhne, kleinere Klassen und den sofortigen Rücktritt von Innenminister Essawy. Tatsächlich ist die Lage für ägyptische LehrerInnen ausgesprochen ungemütlich. So liegt der Monatslohn für eine Lehrperson in den ersten fünf Jahren bei rund 20 Franken. Selbst für ägyptische Verhältnisse ein sehr geringer Lohn. Die staatliche Nachrichtenagentur MENA berichtet, dass nur 140 Schulen (rund 0,6 Prozent) bestreikt würden. Die Realität ist wie immer eine Andere. Landesweit bleiben zu Beginn des neuen Schuljahres 90 Prozent der Schulen geschlossen, in einigen Regionen liegt die Quote gar bei 100 Prozent. Unabhängige ägyptische Medien sprechen von 65 bis 75 Prozent Streikbeteiligungen. Entsprechend aufgebracht ist man bei der Lehrergewerkschaft und wirft der staatlichen Nachrichtenagentur MENA gezielte Desinformation der ägyptischen Öffentlichkeit vor. Vielerorts werden die Lehrkräfte massiv unter Druck gesetzt und mit Gefängnis und den Notstandsgesetzen bedroht. Unterdessen sind in Oberägypten aus Protest gegen den Militärrat und die Wiederinkraftsetzung des Ausnahmezustandes Zehntausende ArbeiterInnen von Zuckerrohrraffinerien in den Streik getreten. Schon zuvor haben die Transportangestellten ihre Arbeit niedergelegt. Angestellte und StudentInnen besetzten am 11. September die «Amerikanische Universität». In Ägypten geht der Kampf um jeden Millimeter Freiheit ungebrochen weiter.

Ausnahmezustand in Ägypten

Die EU, USA und die internationale Gemeinschaft hat das Militär nun offenbar hinter sich, wenn es gegen jede Art von weiteren Protesten und Streiks vorgeht. Hinter dem Angriff auf die israelische Botschaft steckt das Militär.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse vom Sonntag:

– Nach der Wiedereinsetzung des Ausnahmegesetzes hat eine Verhaftungswelle eingesetzt: 93 Personen wurden am Sonntag festgenommen, sie wurden von der wieder aktivierten Sicherheitspolizei «Amn el-Dawla» in ihren Häusern und Arbeitsstellen verhaftet – das ist seit der Revolution nicht mehr geschehen! Die Regierung behauptet, sie seien am Angriff auf die Botschaft beteiligt und werden von Sondergerichten verurteilt werden. Aktivisten sagen, es handele sich um Protestierende, die auf dem Tahrirplatz waren.

– Derweil häufen sich Vorwürfe gegen das Militär, der Vorfall an der Botschaft sei von diesem initiiert. Augenzeugen berichten, die vier jungen Männer, die zuerst in die Botschaft eindrangen, seien von Soldaten bis zur Tür der Botschaft gebracht worden, diese haben dies später in Interviews bestätigt. Ein Salafiten-Führer der zunächst den Angriff auf die Botschaft guthiess, veröffentlichte Sonntagabend eine Nachricht: Hinter dem Angriff auf die Botschaft steckt das Militär. Wir müssen uns auf eine baldige Konfrontation einstellen.

– Innenminister Essawy verteidigt die neuen harten Regeln: Jeder der versuche eine Polizeistation oder ein offizielles Gebäude angreife auf den werde direkt geschossen, schiessen die Polizisten nicht, werden sie hart bestraft. Das Notstandsgesetz werde insbesondere gegen Drogen- und Waffenhändler, thugs («Verbrecher», häufig für Protestierende verwendete Beschuldigung) sowie Streikende (!) angewandt.

– Al-Jazeera Ägypten ist weiter dicht. Die Regierung hat heute 16 internationale Fernsehstationen angegriffen, Sendegeräte beschlagnahmt und Mitarbeiter verhaftet. Mehreren bekannten Fernsehmoderatoren wurde am Sonntag abend jeder weitere TV-Auftritt verboten.

– Der heute begonnene Prozess gegen die Verantwortlichen der «Camel battle» ist vertagt. Live-Übertragung ab morgen verboten.

Quelle und weitere aktuelle Infos unter: http://egyptianspring.blogsport.de

«Eine Bewegung des Mittelstands»

Seit Wochen gehen in Israel Zehntausende auf die Strasse, um gegen die schlechten Lebensbedingungen zu protestieren. Welchen Hintergrund haben die jüngsten sozialen Proteste in Israel? Wie gestaltet sich die Wechselwirkung von sozialem Protest, anhaltender Okkupationspraxis Israels und beständiger Kriegsdrohung? Ein Gespräch mit dem bekannten israelischen Historiker und Soziologen Moshe Zuckermann über die aktuellen Proteste in Tel Aviv.

In den letzten Wochen haben sich immer wieder meist junge Menschen in Tel Aviv versammelt.Sie haben gegen soziale Missstände in der israelischen Gesellschaft wie zu hohe Mieten, gestiegene Lebenshaltungskosten allgemein und jugendliche Chancenlosigkeit protestiert. Können Sie erst einmal schildern, was sich genau in Tel Aviv zuträgt und ob diese Proteste etwas qualitativ Neues in der israelischen Protestkultur darstellen? 

Es ist eigentlich eine Protestbewegung des israelischen Mittelstands. Sie kommt nicht ganz von unten. Die Bewegung geht nicht aus von den mittelosen und den unterprivilegierten Schichten und Klassen der israelischen Gesellschaft, sondern, wie gesagt, sie geht aus vom Mittelstand, der im Grossen und Ganzen gut verdient. Aber wegen den vollkommen abgebauten israelischen Wohlfahrtsstrukturen, den Privatisierungstendenzen der letzten zehn Jahre und aufgrund der neoliberalen Ausrichtung eines Netanjahu ist der Mittelstand an einen Punkt gelangt, wo er – obwohl er gut verdient – die explodierenden Lebenshaltungskosten nicht mehr aufbringen kann, sich verschuldet. Oder wo die Erwartungen, die er an einen guten Verdienst hat, enttäuscht werden. Was aber ganz lokal, harmlos und minoritär begann, das Zeltaufschlagen in einer zentralen Allee Tel Avivs, hat sich zu einer Massenbewegung ausgeweitet, die bei weitem das übertrifft, was die ursprünglichen Initiatoren dieser Bewegung vor Augen hatten und sie überhaupt erwarten durften. Wenn ich an die Proteste vom 14. August denke, als 350 000 Menschen auf Israels Strassen, vor allem in Tel Aviv, gegangen sind, muss ich konstatieren: Das hatten wir noch nie. Und das lässt mich vermuten, dass es nicht nur um die ökonomischen Belange geht, die jetzt als offizielle Belange verkündet werden. Denn es hat schon Zeiten in Israel gegeben, in denen es den Leuten weit schlechter ging als heute. Obwohl natürlich heute die soziale Kluft und die soziale Diskrepanz so weit auseinander gegangen sind, wie wir sie schon lang nicht mehr hatten. Aber insgesamt war ja die israelische Gesellschaft in vergangenen Epochen viel schlimmer dran. Ich vermute, dass mit dieser Protestbewegung sich etwas ankündigt, das eine Ahnung davon entwickelt, dass Israel sich insgesamt in eine Sackgasse manövriert hat. Diese Ahnung existiert allerdings lediglich im Vorbewussten, es wird nicht deutlich artikuliert. Denn wie in der Wirtschaftspolitik hat man sich vor allem aussenpolitisch in eine Sackgasse katapultiert.  Nun wird von Seiten der Protestbewegung dieses Problem jedoch nicht angesprochen, sondern – ganz im Gegenteil – versucht, den Protest «nicht politisch» zu halten.

 

Wie waren nun die Reaktionen der Protestbewegung nach der Anschlagswelle in Eilat und den darauf folgenden Bombardierungen des Gaza-Streifens rund um den 18. und 19. August? 

Wie es eben leider nicht anders zu erwarten war: In dem Moment als die Kanonen dröhnen, schweigen die Musen. In dem Moment haben auch die Protestierenden mehr oder weniger geschwiegen. Das letzte Wochenende (20. und 21. August) hat man einen Schweigemarsch in Tel Aviv gemacht. Da kamen gerade mal 4 000 bis 5 000 Menschen. Diejenigen, die dann dort versammelt waren, waren dann auch alte Bekannte. Es waren eben nur noch diejenigen auf der Strasse, die auch sonst, wenn die Sicherheitsfrage instrumentalisiert wird, nicht aufhören zu protestieren. Aber es blieben eben ein paar Tausend Menschen, was im Vergleich zu den Zahlen der Protestbewegung davor ein steiler Abfall war. Es bleibt die Frage, ob sich die Proteste wieder in Bewegung setzen werden, wenn sich die Situation an den Grenzen abgekühlt hat.

Die Regierung reagierte sehr aufgeschreckt über die Breite der Protestbewegung. Da stellt sich der Protestbewegung die Frage: Was wird passieren, wenn die Regierung, um die Protestbewegung auszuhöhlen, sagt: «Jetzt haben wir ja gesehen, dass die Leute wieder in dem Moment zu braven israelischen Bürgern werden, wenn es an den Grenzen heiss wird, nun dann heizen wir einfach an den Grenzen an.» Das muss nicht unbedingt in einen nächsten Krieg oder in eine nächste Intifada ausarten. Es steht ja im September einiges an, beispielsweise die Proklamation des Palästinenserstaates in der UN. Das könnte dann dazu führen, dass in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes einiges an Bewegungen bei den Palästinensern entsteht. Die israelische Regierung könnte darauf den Sicherheitskräften anordnen, dass diese die entstehenden Unruhen in den Griff kriegen sollen. Und innenpolitisch gibt es Schweigen. Ich will also nicht ausschliessen, dass es unter diesen Gesichtspunkten zu einer Instrumentalisierung dessen, was wir gerade als das Sicherheitsproblem benannt haben, kommen könnte. Und in diesem Fall wäre dann in der Tat abzuwarten, wie dann die Protestbewegung reagiert. Für die aktuelle Situation muss man festhalten: Sie hat sich selbst Schweigen auferlegt.

Die Empörten auf dem Marsch nach Brüssel

Seit dem 16. Juli sind sie unterwegs, seit dem 17. August in Frankreich, am 17. September wollen sie in Paris sein und am 8. Oktober in Brüssel. Als sie aufbrachen, um die mehr als 1500 Kilometer lange Strecke von Madrid nach Brüssel zu Fuss zurückzulegen, waren sie nur rund zwei Dutzend. 

«Reale Demokratie jetzt» und «Zugang zur Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnung und Arbeit für alle» lauten die Hauptparolen, unter denen schon am 23. Juli ein grosser Sternmarsch der «Indignados» aus mehr als 80 spanischen Städten gegen den von der EU diktierten Sparkurs und Sozialabbau der spanischen Regierung Zapatero stattgefunden hatte. Bei diesem Treffen von 40?000 TeilnehmerInnen soll unter den AktivistInnen auch die Idee für den Marsch nach Brüssel entstanden sein.

Grenzenlose Empörung

Die TeilnehmerInnen veranstalten in den Städten und Dörfern, durch die sie kommen, immer wieder kleine Versammlungen und Diskussionsforen. Sowohl in Spanien wie in Frankreich seien sie von der Bevölkerung zwar oft mit Staunen, aber immer mit spontaner Solidarität aufgenommen und unterstützt worden, berichten sie. Sie seien mit Essen und Getränken versorgt worden und da und dort seien ihnen auch Schlafplätze zur Verfügung gestellt worden, manchmal sogar in städtischen Turnhallen. Aber gelegentlich übernachten sie auch in Zelten auf Grünflächen unter Bäumen. Die Truppe ist inzwischen «international» geworden: Den TeilnehmerInnen aus Spanien schlossen sich auch ItalienerInnen, BritInnen, NiederländerInnen und seit dem Überschreiten der spanisch-französischen Grenze auch FranzösInnen und sogar Israelis an.

Am 17. September soll in Paris eine grosse Vereinigung der von Madrid und Barcelona gestarteten Marschgruppen mit Marschgruppen aus verschiedenen Städten Frankreichs, unter anderem aus Marseille, stattfinden. Von dort aus soll es dann nach Brüssel weiter gehen. Dort soll ab dem 8. Oktober ein Treffen mit Abordnungen der Protestierenden aus zahlreichen weiteren EU-Staaten und bis zum 15. Oktober eine ganze Woche von gemeinsamen Aktionen und Diskussionsforen in der belgischen Hauptstadt stattfinden. Für diesen Tag hat die Bewegung «Reale Demokratie jetzt» europa- und weltweit dazu aufgerufen, auf die Strasse zu gehen, um «unsere Empörung über den Verlust unserer Rechte zu zeigen – Rechte, die uns durch ein Bündnis zwischen grossen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen werden», wie es in dem Text heisst. Es sei «der Augenblick gekommen, die Stimme zu erheben. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel, und niemand kann der Kraft von Millionen von Menschen trotzen, wenn sie sich in gemeinsamer Absicht vereinen».

Die TeilnehmerInnen der Märsche nach Brüssel sind naturgemäss vorwiegend jüngeren Alters. Sie seien jedoch «ganze normale Leute», BauarbeiterInnen, LehrerInnen, Arbeitslose, IngenieurInnen, SozialarbeiterInnen, KöchInnen und KünstlerInnen, durchaus unterschiedlicher Meinungen, betonten TeilnehmerInnen. Es vereine sie aber der Wille zu demonstrieren, «dass die Empörung in Europa grenzenlos ist».

 

Libyen: NATO verstärkt Kriegseinsatz am Boden

Es  ist klar, dass der Einsatz von Kampfhubschraubern nur zur Bekämpfung von Zielen am Boden dienen kann. Das hat mit der Durchsetzung einer «Flugverbotszone», wie sie ursprünglich in der einschlägigen Libyen-Resolution von UNO-Sicherheitsrat genehmigt worden ist, absolut nichts mehr zu tun. Nach dem Wortlaut der UNO-Resolution sollten westliche Flugzeuge nur eingesetzt werden, um eine «Flugverbotszone» durchzusetzen, die Gaddafis Luftwaffe an Angriffen auf die Zivilbevölkerung hindern sollte. Der Einsatz von westlichen Truppen für Kämpfe am Boden war ausdrücklich ausgeschlossen worden. Inzwischen ist die Gaddafi-Luftwaffe infolge des anhaltenden NATO-Bombadements einsatzunfähig. Bereits die NATO-Bomben auf Panzerkolonnen, Militärlager, Kraftstoff- und Fahrzeugdepots und andere Ziele am Boden waren ein Eingreifen in Kämpfe am Boden, das deutlich über die in der UNO-Resolution festgelegten Grenzen hinausging. Doch der nun praktizierte Einsatz von Kampfhubschraubern kann sich überhaupt nur gegen Bodenziele richten. Er stellt also eine weitere Eskalation des Eingreifens in den Bodenkrieg weit über den vom UNO-Sicherheitsrat genehmigten Rahmen hinaus dar.

Geheimdienstveteranen  helfen mit

Statt auf den vorliegenden Friedensplan der «Afrikanischen Union» zur raschen Beendigung der Kämpfe und zur Einleitung eines Verhandlungprozesses über demokratische Reformen in Libyen einzugehen, der vom Gaddafi-Regime akzeptiert wurde, eskaliert die NATO die Kriegsführung am Boden, die von keinerlei UNO-Beschluss gedeckt ist. Gleichzeitig gab sie am 1. Juni bekannt, dass sie ihr «Mandat» für den Libyen-Einsatz, das eigentlich Ende Juni ausgelaufen wäre, aus eigener Machtvollkommenheit bis Ende September verlängert – ohne dass der UNO-Sicherheitsrat dazu auch nur gefragt worden wäre. Die NATO-Strategen rechnen offensichtlich noch mit einer längeren Dauer des Libyen-Krieges, mindestens bis in den Herbst hinein, ungeachtet der Tausende von Todesopfern und Verletzten einschliesslich von Opfern unter der Zivilbevölkerung und ungeachtet schweren Zerstörungen der Infrastrukturen des Landes.

Es kommt hinzu, dass die Einsatzziele für die Kampfhubschrauber offensichtlich von vor Ort am Boden eingesetzten «Aufklärern» ermittelt werden. Das ergibt sich aus einer Veröffentlichung der britischen Zeitung «The Guardian» am 31. Mai unter der Überschrift: «SAS-Veteranen helfen der NATO, Gaddafi-Ziele in Misrata zu identifizieren».

SAS steht hier für «Special Air Service». Das ist eine etwa 500 Mann starke Spezialeinheit der britischen Armee, die seit Jahrzehnten weltweit zur «Aufklärung» und «Nachrichtenbeschaffung» im Einsatz ist, unter anderem im Irak, in Afghanistan und im Iran. Aber auch «operative Einsätze» wie Geisel- und Gefangenenbefreiung, Sabotageakte, «Terroristenbekämpfung» vor Ort und «verdeckte Einsätze» in anderen Ländern ohne Wissen der betreffenden Regierungen gehören zu ihren Aufgaben. Sie ist teilweise mit dem deutschen KSK («Kommando Spezialkräfte») vergleichbar.

Wie der «Guardian» schrieb, haben «gut platzierte Quellen» der Zeitung berichtet, dass «frühere SAS-Soldaten und andere westliche Angestellte von privaten Sicherheitsfirmen der NATO helfen, Ziele in der libyschen Hafenstadt Misrata zu identifizieren». Die «Spezialkräfte-Veteranen» sollen Details über Standorte und Bewegungen der Gaddafi-Truppen an das NATO-Hauptquartier in Neapel melden. Danach würden diese Ziele durch «Spionageflugzeuge» und US-«Predator»-Drohnen «verifiziert». Die so erkundeten Ziele würden dann an die Piloten der britischen und französischen Kampfhubschrauber weitergegeben. Die früheren SAS-Soldaten seien «mit dem Segen Grossbritanniens, Frankreichs und anderer NATO-Länder»  im Einsatz, die sie mit entsprechenden Kommunikationsgeräten ausgerüstet haben.

Verstoss gegen die UNO-Resolution

Der Einsatz der «Geheimdienstveteranen» wurde bekannt, weil in einem Film des Senders Al-Jazira kürzlich sechs mit Sonnenbrillen und Käppis ausgestattete «Westler» mit «britischem Aussehen» an der Frontlinie bei Misrata in Gesprächen mit «Rebellen» zu sehen gewesen waren. Auf Nachfrage verneinte das britische Verteidigungsministerium nachdrücklich, dass es in Libyen ausser zehn Militärberatern in Bengasi irgendwelche weiteren «Kräfte am Boden» im Einsatz habe. Jedenfalls würden die gesichteten «Westler» nicht von der britischen Regierung bezahlt. Inoffiziell hiess es dann, dass die SAS-«Veteranen» jetzt als «private Soldaten» für «Sicherheitsfirmen» agierten, die «von arabischen Staaten, besonders Katar» bezahlt werden.

Das in Paris ansässige Afrika-Magazin «Jeune Afrique», das die Veröffentlichung des «Guardian» am 1. Juni auf seiner Internet-Seite aufgriff, stellte im Anschluss an die Darstellung der Fakten die Frage: «Aber wer bezahlt letzten Endes diese Sicherheitsfirmen und gibt ihre Informationen an die internationale Koalition weiter?»

Es liegt auf der Hand, dass es sich um einen dürftig getarnten Einsatz von britischen «Spezialtruppen» am Boden handelt, der gegen die UNO-Resolution vestösst.

G. Polikeit

Yes, we camp!

Das Protestcamp an der Puerta de Sol, im Herzen Madrids, wird auch nach zwei Wochen bestehen bleiben, bis die Stadtteilversammlungen sich als neue Struktur der Bewegung gefestigt haben. Das beschloss eine Vollversammlung zu der am Sonntagabend weit über 5.000 Menschen gekommen waren. Das Camp wird, so der Konsens, allerdings auf Bitte verschiedener Kommissionen umstrukturiert, um die Organisation zu erleichtern. Deshalb werden vermutlich in den kommenden Tagen Teile der Zeltstadt verkleinert.

Auch in andere Städte wie Bilbao, Zaragoza oder Valencia werden die Protestierenden bleiben. In Barcelona wird eine Vollversammlung am Dienstag Abend über die Zukunft des dortigen Camps beraten. In Toledo hingegen wird ein Informationspunkt das Camp ersetzen. In mehreren Provinzhauptstädten droht die Polizei mittlerweile offen mit einer Räumung.

Als bekannt wurde, dass die Polizei in Paris mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die etwa Tausend Teilnehmer einer der am Wochenende in ganz Europa abgehaltenen Solidaritätsaktion vorgegangen war, zogen hunderte von Madrilenen spontan vor die französische Botschaft. Auf Sol wurde die Marseillaise gespielt.

Die Plattform «Echte Demokratie Jetzt!», die mit ihrem Aufruf zu Demonstrationen der «Empörten» am 15. Mai die spanische Protestwelle gebracht hatte, kündigte am Montag auf einer Pressekonferenz in Madrid für den 15. Oktober «europaweite Mobilisierung» an.

Bis zu diesem Termin sollen verschiedene Bürgeranträge für Gesetzesänderungen – wie sie die spanische Verfassung vorsieht – die notwenigen Unterschriften gesammelt werden. Die erste Initiative zielt auf eine Reform des Wahlrechts ab. Am 15. Juni will «Echte Demokratie Jetzt!» die Pfändung einer Wohnung in Madrid verhindern, um so dagegen zu protestieren, dass «in Not geratene Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden».

Quelle: http://egyptianspring.blogsport.de/2011/05/27/27-mai-zweiter-freitag-der-wut/

Libyen: Ärzte ohne Grenzen evakuiert Team aus Sintan

Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat infolge wiederholten Beschusses heute sein Team aus der west-libyschen Stadt Sintan evakuiert. Das Stadtzentrum ist in den
vergangenen Tagen jeden Nachmittag beschossen worden. Einige Raketen sind
100 bis 200 Meter vom Krankenhaus entfernt eingeschlagen”, sagt Dr Morten
Rostrup, Intensivmediziner von Ärzte ohne Grenzen. Glücklicherweise hat es
keine Schwerverletzten gegeben. Einige Raketen sind 100 bis 200 Meter vom Krankenhaus entfernt eingeschlagen”, sagt Dr Morten Rostrup, Intensivmediziner von Ärzte ohne Grenzen. Glücklicherweise hat eskeine Schwerverletzten gegeben.

MSF hat im März mit der Arbeit in Sintan begonnen und seit April kontinuierlich dort gearbeitet. Das fünfköpfige Team, bestehend aus einem Kriegschirurgen, einem Intensivmediziner und zwei Krankenschwestern, hat das Krankenhaus in Sintan in den vergangenen vier Wochen unterstützt. Die
Mitarbeiter haben den Zustrom der Patienten koordiniert, die infolge der Kämpfe zwischen Pro-Gaddafi-Truppen und Aufständischen in den Nafusa-Bergen verletzt wurden.

Seit dem 30. April sind mehr als 120 Verwundete in das Krankenhaus eingeliefert worden. Das Team von MSF hat auch die Mitarbeiter geschult und Medikamente sowie medizinisches Material zur Verfügung gestellt.
Anfang April und auch in den vergangenen Tagen hat das Team von MSF wahllosen Beschuss der Stadt durch Pro-Gaddafi-Truppen erlebt.

„Die jüngsten Bombardierungen haben die Sicherheitslage im Krankenhaus so verschärft, dass das MSF-Team hier nicht mehr arbeiten kann“, erklärt Dr. Rostrup. „Wir mussten unser medizinisches Team aus Sintan evakuieren.“
Laut Berichten sind libysche Familien aus Sintan geflohen und haben die tunesische Grenze bei Dehiba überquert. Seit Anfang April sind über 50’000 Libyer vor dem Konflikt geflohen und haben Zuflucht entlang der tunesien-libyschen Grenze gesucht. Tataouine, eine Stadt mit 60’000 Menschen, hat mehr als 30’000 Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen. MSF bietet medizinische Versorgung und psychische Betreuung für diese Flüchtlinge. Die Organisation unterstützt ausserdem die lokalen Infrastrukturen, um den wachsenden gesundheitlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

MSF verurteilt den wahllosen Beschuss der Stadt Sintan und dessen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. MSF fordert auch, die medizinischen Einrichtungen zu respektieren und das medizinische Personal und Fahrzeuge, die Patienten befördern, zu schützen.

Das MSF-Team plant, seine Aktivitäten in Sintan wieder aufzunehmen, sobald die Lage es zulässt.

Barcelona und Kairo

Friedliche Atmosphäre zum Mittagsgebet in Kairo, extreme Hitze und noch immer die Furcht vor Angriffen von baltagiyyas – und dann, vor einer Stunde, die Nachrichten, dass der besetzte Platz in Barcelona von Riot Police gewaltsam geräumt wurde, wie in diesem Video zu sehen. Mindestens 15 Verletzte durch Schlagstöcke und Gummigeschosse, alle Übertragungen in Internet abgebrochen, Zelte, Computer und alle sonstige Habe beschlagnahmt.

Viel Solidarität aus Kairo! Und Nachrichten zurück aus Katalonien: Vielen Dank, wir verfolgen was bei Euch geschieht…

27. Mai Zweiter Freitag der Wut /Nacht auf Freitag

Seit der Revolution ist Schlaf unter den jungen AktivistInnen Ägyptens ein rares Wort geworden. In der Nacht vor der Demonstration, dem «zweiten Freitag der Wut» am 27. Mai, scheint es nicht mehr zu existieren. Niemand schläft. Es ist kurz vor drei und im Minutentakt laufen die Twitter-Nachrichten ein. Diskussionen über den morgigen Tag.

Währenddessen, ab und an, eine Nachricht aus Spanien. Es hat begonnen ein bisschen zu regnen, aber wir haben fantastische Planen und so werden wir nicht nass. Ein Zirkus ist vorbeigekommen und bringt alle zum Lächeln! Was für ein tolles Gemüsebett mitten auf dem Platz in Barcelona. Spanien scheint schon seit Tagen unendlich weit weg zu sein.

Salma Said, eine der vielen unermüdlichen, streitbaren, furchtlosen BloggerInnen, die jetzt allesamt versammelt sind, voneinander getrennt vor ihren Bildschirmen sitzen und doch stärker als durch die Kabel verbunden sind durch das Wissen, morgen gemeinsam, der realen Gefahr ausgesetzt, Seite an Seite auf dem Platz zu stehen, schickt ein Video herum, in dem zu wunderbaren Musik die schönsten Szene der Revolution zusammen geschnitten sind. Damit Ihr euch erinnert, wie stark wir zusammen sind!

2:20 Uhr. Es geht los. In Alexandria brennt eine Polizeistation, aus Imbaba, einem Arbeiterstadtviertel in Kairo, die Meldung dass eine Gruppe die dortige Polizeistation angreift. Zehn Minuten später: Auch diese brennt.

3.30 Uhr. Erste Meldungen vom Platz. Viele Protestierende dort, auch erste Bilder im Netz zu sehen. Gerüchte über thugs, die auf Motorrädern um den Platz fahren.

Morgen

Kurz nach fünf. Alle Strassen, die auf den Platz führen, sind mit Stacheldraht und provisorischen Barrikaden abgesperrt, junge Männer und Frauen stehen Wache, schicken Auto- und Taxifahrer, die auf den Platz fahren wollen, freundlich zurück. Manch einer schimpft, dass ihm der Weg schon wieder versperrt ist, die meisten sind es nach wochenlangen Demonstrationen und Besetzungen inzwischen gewohnt. Auf dem Weg zum Platz sorgfältig abgetastet, niemand soll Waffen mit auf den Platz bringen.

Quelle: http://egyptianspring.blogsport.de/2011/05/27/27-mai-zweiter-freitag-der-wut/

Empört euch!

Die spanischen Sozialisten (PSOE) haben am Sonntag, 22. Mai von den WählerInnen die Quittung für ihre fatale Wirtschafts- und Sozialpolitik erhalten. Ein Grund dafür ist die Bewegung «Wirkliche Demokratie jetzt». Die Proteste werden verstärkt. Die baskische Linkskoalition «Bildu» wurde aus dem Stehgreif zweitstärkste Kraft.

In 13 der 17 spanischen Regionen wurden die Regionalparlamente gewählt und im gesamten Staat die Gemeinderäte. Dabei musste die PSOE – Sozialdemokraten mit nationalistischem Einschlag – ihre schwerste Niederlage seit Jahrzehnten einstecken.

Einen deutlichen Beitrag dazu hat die Demokratiebewegung «Wirkliche Demokratie Jetzt» geleistet. Die Bewegung wirbt seit gut einer Woche dafür, der PSOE und der grossen rechten Volkspartei (PP) kei- ne Stimme zu geben. Zehntausende demonstrieren und halten zentrale Plätze in vielen Städten besetzt, um gegen die «Zweiparteiendiktatur» zu protestieren, welche die Kosten für die schwere Krise und die Bankenrettung der einfachen Bevölkerung aufbürdet.

Da es sich um eine linke Bewegung handelt, war klar, dass ihr Eingreifen in den Wahlkampf den Einbruch für die regierende PSOE noch vertiefen würde. Dies weil die Bewegung die Stammwählerschaft der postfaschistischen PP nicht erreicht. Wenn viele in Spanien nicht wählen oder ihre Stimme kleineren Parteien geben, kommt dies stets der ultrakonservativen Partei zugute. Dafür sorgt auch das Wahlrecht, das grossen Parteien Vorteile verschafft. Deshalb wird auf der Strasse lautstark eine Wahlrechtsreform gefordert.

Alle Hochburgen verloren

Die PSOE ist abgestürzt. Von 38,5 Prozent bei den Wahlen zum Europaparlament 2009 blieben landesweit noch knapp 28 Prozent übrig. Sie hat Hochburgen wie Sevilla und Barcelona verloren, die sie seit 30 Jahren regiert hat. Dazu gingen auch fast alle Regionalregierungen an die PP. Besonders schwer wiegt, dass sie auch die Hochburg Kastilien – La Mancha ab- geben muss.Die «Vereinte Linke» (IU) hat erstmals vom Un- mut im Land profitiert und landesweit 6,3 Prozent er- reicht. Bei den Europaparlamentswahlen war die IU auf 3,7 Prozent abgesackt. Aber die IU lacht nur auf einem Auge. Für sie ist es hart, dass sie in ihrer Hoch- burg, der andalusischen Stadt Cordoba, die Macht verloren hat. So wird Cordoba, wie alle Grossstädte in Andalusien, nun von der PP regiert. Im Baskenland haben die Wähler allerdings für einen Linksruck gesorgt. Nachdem das spanische Verfassungsgericht das Verbot der Linkskoalition «Bildu» (Sammeln) gekippt hat, wurde die Forma- tion auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Mit der Provinz Navarra (13,1 Prozent) haben 22 Prozent der baski- schen Bevölkerung die Koalition gewählt. Erstmals seit 2003 gibt es wieder ein Wahlergebnis, das nicht durch Verbote verzerrt ist. In «Bildu» bündeln sich die WählerInnen der linken Unabhängigkeitsbewegung, die traditionell die verbotene Partei «Batasuna» (Ein- heit) wählen – die sozialdemokratische «Solidaritätspartei» (EA) und «Alternatiba», eine Abspaltung der baskischen IU. Die breite Koalition wurde für ihren

dauernden Friedenseinsatz belohnt. Sie hat der Untergrundorganisation ETA eine Absage erteilt und sie zur «überprüfbaren» Waffenruhe gezwungen. Hät- te sich auch die Batasuna-Abspaltung «Aralar» sich der Koalition angeschlossen, wäre «Bildu» sogar die stärkste Kraft. «Aralar», die von den Verboten profitiert hatte, bekam für ihren Alleingang mit 2,3 Prozent die Rechnung serviert.

Verbote schlicht missachtet

Obwohl die PP in Spanien gewonnen hat, dürfte sie sich vor den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr Sorgen machen. Trotz der neuen schweren Niederlage hat Zapatero, der selber nicht mehr zur Wahl antritt, es abgelehnt, vorgezogene Neuwahlen auszurufen. Für die Rechten haben zwar fast 38 Pro- zent der Bevölkerung gestimmt, doch bei den Europaparlamentswahlen waren es gut 43 Prozent. Hier zeigt sich klar der Einfluss der Proteste der Demokratiebewegung, die dafür geworben hat, die Stimmen kleinen Parteien zu geben. Die Proteste haben sich über das Wahlwochenende weiter verstärkt, die Verbote der Wahlkommission wurden schlicht missachtet. Die «Empörten» wie sie sich in Bezug auf das Buch des ehemaligen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel «Indignez vous!» (Empört euch!) berufen, werden die Protestcamps auch nach den Wahlen nicht abbauen und wollen den Widerstand verstärken.

Von Ralf Streck aus dem vorwärts, der am 27.Mai erscheint

Die KP Österreich zu Libyen

Dier Erklärung der KPÖ: Gaddafi-Gelder blockieren, Ölgeschäfte der OMV einstellen. Gegen jede Militärintervention in Libyen, wie sie jetzt von USA, EU und NATO und gestützt auf einen Beschluss der Arabischen Liga mit der Forderung nach Flugverbotszonen vom UNO-Sicherheitsrates beschlossen wurde, spricht sich die KPÖ aus und verweist dazu auch auf die Position der Europäischen Linken. 

„Es steht ausser Frage, dass die Zeit des Gaddafi-Regimes politisch abgelaufen ist und auch in Libyen demokratische Verhältnisse und grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte hergestellt werden müssen“, meint KPÖ-Bundessprecher Mirko Messner. Das muss allerdings durch das libysche Volk selber erfolgen, das durch einen lückenlosen Boykott des Gaddafi-Regimes, die Beschlagnahme seiner Gelder im Ausland und den Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen unterstützt werden muss.

Es ist bezeichnend für die Verlogenheit westlicher Politik, wenn jahrzehntelang das Gaddafi-Regime durch intensive Wirtschaftsbeziehungen gestärkt und durch Waffenlieferungen aufgerüstet wurde, dies aber jetzt systematisch verdrängt wird und durch eine Militärintervention versucht wird eine für den Westen konforme Nachfolgeoption zur Fortsetzung der lukrativen Ölgeschäfte zu erreichen.

Wie schon die Erfahrungen in Bosnien und im Irak gezeigt haben, ist bei jeder Eskalation der militärischen Gewalt kein verstärkter Schutz der Zivilbevölkerung zu erwarten, sondern ist dies im Gegenteil wieder mit erheblichen „Kollateralschäden“ gerade unter der Zivilbevölkerung verbunden.

Massive Kritik übt die KPÖ in diesem Zusammenhang an jenen „Falken“ der österreichischen Politik wie Ulrike Lunacek (Grüne), Hannes Swoboda (SPÖ) oder Ernst Strasser (ÖVP), die sich für eine Militärintervention in Libyen stark gemacht haben, was auch mit den Restbeständen der österreichischen Neutralität völlig unvereinbar ist: „Die Erfahrungen der Kriege im Irak oder Afghanistan zeigen, wie schnell ein Land durch eine Intervention in einen Krieg ohne Ende hineingezogen wird, der letztlich keine Probleme löst“ so Messner.

Die KPÖ fordert die Bundesregierung auf, alle Gelder des Gaddafi-Regimes in Österreich einzufrieren und die Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere die Ölgeschäfte der teilstaatlichen OMV, einzustellen bis demokratische Verhältnisse in Libyen hergestellt und grundlegende Menschenrechte gesichert sind.

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