Mubaraks Ende

Nach einem chaotischen Tag trat der ägyptische Präsident Mubarak gestern von allen Ämtern zurück. Damit wurde die drängenste Forderung der Millionen Demonstranten erfüllt. An die Stelle Mubaraks tritt ein Militärrat, der die Regierungsgeschäfte übernehmen und den Übergang zu Neuwahlen regeln soll.

Der Tag, an dem Mubarak ging

Noch am Donnerstagabend  verkündete Mubarak, er selbst werde den Übergang zu einer neuen Regierung leiten. Daraufhin folgte ein Tag, an dem sich die Ereignisse überschlugen. Das Militär, das verkündet hatte, alle Forderungen des Volkes würden erfüllt, gab am Freitagmorgen bekannt, es würde Mubarak unterstützen. Während die Proteste weiter anhielten und sich Demonstranten auch vor Regierungsgebäuden und Medienanstalten sammelten, riegelte das Militär ganze Bezirke ab, teilweise sogar mit Stacheldraht. Dann kam die nächste grosse Nachricht des Tages: Mubarak verliess Kairo und wurde per Helikopter zum Badeort Sharm el Sheik ausgeflogen. Am Abend verkündete Vizepräsident Suleiman dann, dass Mubarak zurückgetreten sei und dass ein Militärrat die anstehende Übergangsphase zu freien Wahlen regeln werde.

Jubel im ganzen Land

Die Nachricht von Mubaraks Rücktritt löste flächendeckenden Jubel aus. Die 30 Sekunden, die Suleiman sprach um den Regierungswechsel zu verkünden, genügten, um ein ganzes Land in Euphorie zu versetzen. Nach 18 Tagen, die die Demonstrationen anhielten, wurde nun also die Hauptforderung der Menschen in Ägypten erfüllt. Der Rücktritt Mubaraks wurde als Zeichen gewertet, dem Willen des Volkes endlich zu entsprechen. Heute normalisierten sich die Zustände in Ägypten langsam: Zivilisten und Militär arbeiteten gemeinsam daran, die errichteten Barrikaden zu demontieren.

Hussein Tantawi neben Robert GatesDemokratie durch das Militär?

Nun liegt die weitere Gestaltung der Ereignisse in Ägypten beim Militär. Die Spitze des Militärrates, der jetzt Ägypten regiert, bildet Hussein Tantawi. Er ist Feldmarschall, Oberkommandierender der Streitkräfte und war Verteidigungsminister unter Mubarak. Angekündigt wurde die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Abhaltung freier Wahlen. Dabei erklärte ein Militärsprecher, dass „die Armee eine legitime zivile Regierung nicht auf Dauer ersetzen werde“.

Diese Entwicklung der Ereignisse ist schwer zu beurteilen. Einerseits kann der Rücktritt Mubaraks nur als Erfolg der Volksbewegung gewertet werden. Andererseits macht die Übergabe der Regierungsgewalt an einen Militärrat misstrauisch. Das Militär trat in der gesamten Zeit der Proteste als dritte Macht in Ägypten, neben Mubaraks Administration und den Demonstranten, auf. Es ist unklar, wessen Interessen nun vertreten werden. Die ägyptische Armee ist eine Wehrpflichtarmee; die meisten ihrer Angehörigen und niederen Offiziere haben durchaus Sympathie mit den Demonstranten bekundet. Die Generalität und oberste Leitung der Armee stellt jedoch eine eigene Klasse dar: Sie ist es, die durch das Regime Mubaraks profitierte und sowohl Macht wie auch Villen zu verteidigen hat. Dass sich derlei Privilegien am besten in der Diktatur sichern lassen, ist eine alte Binsenweisheit und es verwundert deshalb auch nicht, dass Hussein Tantawi zu den engen Vertrauten Mubaraks gerechnet wird. Ob das Militär seinen Ankündigungen nach freien Wahlen und Abgabe der eigenen Macht also Taten folgen lassen wird, ist mehr als unklar. Immerhin: Das ägyptische Volk hat seine Entschlossenheit im Kampf gegen Despoten glorreich bewiesen.

Kommentar: Zweierlei Freunde

Das ägyptische Volk demonstriert. Millionen sind auf der Strasse und fordern die Absetzung des Regimes und die Schaffung einer neuen, demokratischen Verfassung. Die einen Sprechen von Protest, die anderen von Revolution. Dabei geniesst das Volk derzeit zweierlei Freundschaften.

Die erste Freundschaft kommt von denen, die Macht haben. Es ist die Freundschaft der USA und Europas, die nun die Umsetzung des Volkswillens fordern und ihre Sympathie mit den Demonstranten kundgetan haben. Diese Freundschaft scheint dem ägyptischen Volk nützlich, denn sie kommt von einem starken Freund mit grossen Mitteln. Was aber ist der tiefe Kern dieser plötzlichen Solidarität? Es ist das Eigeninteresse der Herrschenden. Gezwungen von der öffentlichen Meinung und getrieben von den moralischen Standards, die man aufbaute um sie anderen vorzugaukeln, hat man sich mit dem ägyptischen Volk gemein gemacht. Man unterstützt es. Wir haben aber gesehen, dass dies nicht von Anfang an galt. Solange es noch wahrscheinlich schien, dass Mubarak und seine Schergen sich halten können, solange hielt man sich mit Kritik zurück. Unvergessen ist, dass es gerade die westlichen Staaten, gerade ihre Regierenden, gerade die sind, die sich jetzt Freunde des Volkes nennen, die über Jahrzehnte gute Geschäfte mit der Diktatur in Kairo gemacht haben. Wenn sie sich nun mit dem Volk verbrüdern, dann, weil sie hoffen, auch mit dem zukünftigen Ägypten weiter paktieren zu können. Es ist nicht das Mitfühlen mit der Sache der Massen, sondern der drohende Verlust von Profiten, der die Regierungen des Westens umtreibt. Es ist keine Frage: Wenn Ägypten ein stabiles Land wäre, dann gäbe es diese Freundschaft nicht.

Die zweite Freundschaft ist kleiner in Masse und Wirkung. Ihr Nutzen offenbart sich erst auf den zweiten Blick und sie verbringt kaum grosse Taten. Es ist die Freundschaft der Linken, der Sozialisten und Kommunisten mit dem ägyptischen Volk. Dies sind die echten Freunde des Volkes; sie teilen die Bedürfnisse der Ägypter nach einem Ende der Despotie und sind bereit, in jeder Minute ihre Solidarität offen kundzugeben. Sie sind die Ehrlichen, Unbeirrbaren, Rationalen. Ihre Freundschaft mit dem Volk bestand vor den Demonstrationen, sie besteht nun und wird auch danach bestehen. Dabei ist es ganz gleich, welchen Ausgang die Proteste nehmen. Es sind die Linken, die das Zögern der Regierenden am schärfsten kritisieren, die sie zur Aktion mahnen, die ihnen ihre Doppelmoral vorwerfen. Darin liegt ihr Nutzen. Er ist begrenzt, aber er ist da. Auch dies ist keine Frage: Bestünde der Westen aus sozialistischen Ländern, man hätte – kein Zweifel! – die Demonstranten nach Kräften unterstützt.

Ägypten: USA fordern sofortige Reformen

Während die Massenproteste in Ägypten anhalten, fordern die USA die sofortige Umsetzung von Reformen. Man setzt hierbei auf den Dialog mit Omar Suleiman, der von Mubarak als Vizepräsident eingesetzt wurde. Dem steht die Drohung des ägyptischen Aussenministers gegenüber, der verlauten liess, dass die Streitkräfte intervenieren würden, sollte „Chaos“ ausbrechen.

Forderungen der USA…

US-Regierungssprecher Robert Gibbs gab am Mittwoch bekannt, dass die amerikanische Regierung mit den „Fortschritten“ in Ägypten unzufrieden ist. Er sprach darüber, dass die „Minimalforderungen des ägyptischen Volkes“ noch nicht erfüllt seien. Nun erhöht Amerika den Druck auf ägyptens Herrschaftsriege und fordert, dass „ein ordentlicher Übergang jetzt zu beginnen hat und ohne Verzögerungen unmittelbare und unumkehrbare Fortschritte hervorbringen muss“. Dabei setzt man offenbar auf Omar Suleiman, den Vizepräsidenten Ägyptens. Joe Biden (US-Vizepräsident) sprach am Mittwoch persönlich mit Suleiman, um ihm die Wünsche der USA mitzuteilen. Offenbar will man auf diese Weise die Zusammenarbeit mit Mubarak umgehen und seine Regierung spalten.

Dabei befinden sich die USA in einem Dilemma: Einerseits will man nicht die Sympathien Suleimans verlieren, andererseits ist man getrieben von den eigenen moralischen Ansprüchen und der öffentlichen Meinung. So kommt es auch, dass die USA einmal fordern, den „Dialog“ der Regierung mit der Opposition auf Zivilgruppen auszudehnen, die bislang nicht an den Gesprächen beteiligt waren, und dann sagen, man könne Ägypten keine Reformen diktieren. Entschieden hingegen ist man in der Frage des Militärs: Von diesem erbittet sich die US-Regierung weitere Zurückhaltung bezüglich der Demonstranten.

…und Reaktionen aus Kairo

Die Regierung um Mubarak und Suleiman weist die Forderungen der USA zurück. „Wenn man einem großen Land wie Ägypten Forderungen nach sofortigen Reformen stellt, dann drückt man ihm seinen Willen auf“, sagt der ägyptische Aussenminister Gheit. Dieser zeigte sich empört, denn die ägyptische Regierung sei immer ein „guter Freund“ der USA gewesen und habe die „beste aller Beziehungen“ aufrechterhalten. Auch drohte Gheit damit, dass die Armee intervenieren würde, wenn Chaos ausbräche.

Allerdings musste sich das Regime in Ägypten dem öffentlichen Druck ein Stück weit beugen. Man will sechs Artikel der Verfassung ändern lassen, die u.a. die eine unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen und die Kandidatur von Oppositionskandidaten erschweren. Die Wünsche des Volkes gehen jedoch viel weiter: Man will eine gänzlich neue Verfassung. So sind die „Reformen“ des Regimes blosse Spiegelfechtereien.

„Der letzte Schub“

„Der Tag der Abreise“ wurde in Ägypten ausgerufen. Es soll der „Letzte Schub“ sein, der Präsident Mubarak endlich dazu veranlasst, sein Amt niederzulegen und den Willen des ägyptischen Volkes zu respektieren. Mehr als eine Million Menschen in Kairo und Hunderttausend in Alexandria haben sich zu einer letzten, friedlichen Demonstration versammelt. Ihre Kampfansage: „Wir gehen nicht, ehe Mubarak verschwunden ist!“

Der unwillige Präsident

Das aber will Mubarak nicht hinnehmen. Es grenzt an eine Komödie: Mubarak äußerte sich, dass er „genug hat“ und „nach 62 Jahren des Staatsdienstes“ das Amt verlassen will. Dies jedoch ist kein Grund zur Freude, denn im selben Atemzug erklärt Mubarak auch, dass er „nicht jetzt“ gehen werde. Seiner Meinung nach würde seine Abdankung nur Chaos schaffen. Auch ansonsten gibt Mubarak sich tief besorgt, er bedaure zu sehen, dass „Ägypter gegen Ägypter“ gekämpft haben.

Dabei übersieht der ungeliebte Präsident allerdings, einerseits, dass er selbst es war, der mit Bestechungen und Polizeieinsätzen für Blutvergiessen gesorgt hatte und dass, andererseits, allein sein Bleiben das Land ins Chaos stürzt.

Die Fortsetzung der Demonstrationen?

Dieser Unwille, dem massiv geäusserten allgemeinem Willen zu folgen, bringt die Frage hervor, wie  und ob die Demonstrationen weitergehen. Mubarak hat kaum mehr Unterstützer: Wenige Hundert Pro-Mubarak-Demonstranten stehen Millionen gegenüber und auch die Unterstützung durch andere Staaten schwindet zusehends. Jedoch sollte auch bedacht werden, dass die letzte Woche einen Ausnahmezustand für Ägypten darstellte, in dem normale Tagesabläufe kaum mehr möglich waren. Diese Tatsache könnte sich in die Achillesferse der Revolution verwandeln: Wenn in den nächsten Tagen kein Ergebnis bezüglich Mubarak erzielt wird, ist es denkbar, dass Frustration und Lethargie sich ausbreiten und die Demonstrationen zum Erliegen kommen.

Auch ist unklar, was geschieht, wenn Mubarak tatsächlich geht. Da die Proteste Ausdruck einer Massenbewegung sind, die sich aus allen Teilen der ägyptischen Bevölkerung zusammensetzt, ist ihr einziges konkretes Ziel die Absetzung Mubaraks. Proletarier und Arbeitslose demonstrieren neben Intellektuellen und Bürgerlichen. Wer sich im Falle der Abdankung Mubaraks durchsetzt, ist noch nicht absehbar. Zu befürchten stünde aber, dass radikale Muslime die Oberhand in Ägypten gewinnen. Gerade hier also ist die aktive und zielgerichtete Arbeit der Kommunistischen Partei Ägyptens gefordert.

Trotz aller Bedenken und der unsicheren Zukunft, der Ägypten entgegensteuert, sollte jeder Linke und jeder Sozialist der ägyptischen Bewegung den Sieg gegen das bestehende Regime wünschen. Die Fesseln der Diktatur müssen gesprengt werden, wenn der Sozialismus eine Chance haben soll!


Demonstrationen in Ägypten und Gerede in Europa

Kairo: Tausende Demonstranten begehen gemeinsam ihr Freitagsgebet. Gleichzeitig fordern Prediger die Freilassung aller politischen Gefangenen.  Auch in Alexandria versammelten sich heute Zehntausende, um ihre Solidarität mit den Demonstrierenden zu bekunden. Der Kampf gegen Mubarak und seine Regierung geht also weiter.

Klare Worte aus Washington

Nachdem in den letzten Tagen mehr als 600 Menschen verletzt und eine noch unbestimmte Zahl getötet wurden, scheint Mubaraks Treiben auch dem Weissen Haus suspekt zu werden. So liess die Obama-Regierung durch ihren Pressesprecher am Dienstagabend verkünden, dass sie den sofortigen Rücktritt Mubaraks wünscht. Gleichzeitig wurden freie Wahlen gefordert. So verliert Mubarak also einen mächtigen Unterstützer – immerhin geben die USA jährlich 1.3Mrd Dollar an Militärunterstützung für Ägypten aus. Die Forderung nach freien Wahlen scheint dabei illusorisch, handelt es sich in Ägypten doch bekanntermassen um ein korruptionsgebeuteltes Land. (Platz 111 von 180 auf dem Korruptionsindex von TI) Dass die amerikanische Regierung dieses Land Jahrzehnte unterstützt, lässt ahnen, dass der Ruf nach freien Wahlen gleichbedeutend mit dem Wunsch nach einer US-freundlichen Regierung ist.

Europas Schlingerkurs

Noch bizarrer mutet die Haltung Europas gegenüber den Demonstrationen in Ägypten an. Die Europa-Aussenministerin Catherine Ashton liess heute verlauten, dass es entscheidend sei, dass Regierung und Bevölkerung „gemeinsam vorangehen“. Auch meint sie, eine Art von nationalem Dialog „zwischen dem Regime und der Opposition“ zu vernehmen. Daraus folgert Ashton, dass der nächste Schritt ein Zeitplan für einen geordneten Übergang sei, der von der Regierung ausgearbeitet werden solle, um Vertrauen zu schaffen.

Damit beweist Ausseministerin Ashton ein gerüttelt Mass an Weltfremdheit und bourgeoiser Bequemlichkeit, welches als symptomatisch für die ganze Europäische Union betrachtet werden darf. In Anbetracht von Zehntausenden von Demonstranten, die den sofortigen Sturz der Mubarak-Regierung fordern, scheint die Rede vom Vertrauen geradezu lächerlich. Auch die Nachricht des „nationalen Dialogs“ erstaunt; von einem solchen kann nur dann die Rede sein, wenn nicht zur Kenntnis genommen wird, dass die Kommunistische Partei Ägyptens (in ihrem Kommuniqué) jede Zusammenarbeit mit Mubarak ablehnte.