Front gegen Flüchtlinge

Foto: noborder.org

Die Flüchtlingsdramen, die sich auf den trügerischen Gewässern des Mittelmeers abspielen, lassen in Deutschland die Kritik an der Agentur für die operative Zusammenarbeit an den EU-Aussengrenzen (Frontex) wachsen. Quer durch die Parteien formiert sich Widerstand gegen die rechtlich fragwürdigen Operationen von Frontex auf hoher See, an denen auch Beamte der Bundespolizei beteiligt sind und in deren Zug es um das Abfangen und Eskortieren von Flüchtlingsbooten in Länder ausserhalb der Europäischen Union geht. Im Zentrum der Kritik steht die Frage, inwieweit die Grenzschützer auch bei „exterritorialem Handeln“, also außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone, international verbriefte Flüchtlingsrechte einhalten müssen.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, ist der Ansicht, dass „auch auf hoher See und an Bord von Frontex-Schiffen der Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ohne Abstriche gelten muss“. Beck bezieht sich auf die Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die sich begründet in der oft fehlenden Unterscheidung zwischen Asylsuchenden, denen in ihrer Heimat Verfolgung, Folter oder die Todesstrafe droht, und Migranten, die auf bessere Arbeitsbedingungen hoffen. Frontex leite Flüchtlingsboote in die Gewässer afrikanischer Staaten zurück, ohne bei deren Insassen möglicherweise bestehende Asylgründe zu erfragen. „Die Flüchtlinge müssen deshalb in einen sicheren europäischen Hafen gebracht werden“, fordert der FDP-Politiker Max Stadler. Er hat sich dem Aufruf „Stoppt das Sterben“ der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl angeschlossen, in dem Frontexeinsätze verurteilt werden.

Auch in der SPD rumort es angesichts der Tatsache, dass im ersten Halbjahr 2008 die Zahl der Todesopfer bei Fluchtversuchen nach offiziellen Angaben auf etwa 380 angestiegen ist. Im vorigen Jahr sollen es mehr als 500 gewesen sein. Christoph Strässer, für die SPD im Ausschuss des Bundestags für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, pocht deshalb auf den Anspruch der Flüchtlinge, nach den Maximen menschenrechtlicher Konventionen behandelt zu werden, „und wenn ich das richtig sehe, wird der bei Frontexeinsätzen in vielen Fällen missachtet. Da liegt einiges im Argen“.

Stetig wachsendes Budget

Die Meinungen von Politikern jedweder Couleur stehen im direkten Gegensatz zur offiziellen Linie der Bundesregierung, die in Frontex ein probates Mittel sieht, illegale Einwanderung einzudämmen und gleichzeitig die Zahl der Todesfälle auf hoher See zu verringern. So sollen 2006 und 2007 mit Hilfe von Frontex 53 000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet worden sein. Die deutsche Regierung bezweifelt aber, dass Bundesbeamte im Rahmen der Frontexoperationen auch in internationalen Gewässern an die menschenrechtlichen Garantien des Grundgesetzes gebunden seien, wie aus einem Schreiben des Innenministeriums an den Menschenrechtsausschuss des Bundestags hervorgeht, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Zwar verwies Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf klare Anweisungen für Beamte der Bundespolizei, Menschenleben zu retten, wo immer sie können. Gleichzeitig wisse er aber nicht, ob alle Mittelmeeranrainer sich an die gemeinsame europäische Politik der Rettung und des Schutzes von Flüchtlingen hielten – eine Aussage, die Grünen-Politiker Volker Beck „zynisch“ findet.

Seit nunmehr drei Jahren ist die Agentur Frontex mit Sitz in Warschau für den Grenzschutz zuständig. Sie koordiniert dabei die Einsatzkräfte der einzelnen EU-Mitgliedstaaten und überwacht so die gängigen Routen der Flüchtlinge, die es nach Europa zieht. Seit Frontex im Jahr 2005 die Arbeit aufnahm, ist das Budget der Agentur, das zum grössten Teil von der EU gespeist wird, stetig gewachsen. In diesem Jahr verfügt die Agentur über 70,4 Millionen Euro, für 2008 hat Frontex einen Bedarf von 83 Millionen angemeldet. Und die Bundesregierung macht keinen Hehl daraus, dass sie die Pläne der französischen Ratspräsidentschaft unterstützt, die Grenzschutzagentur weiter zu stärken.

Schon jetzt verfügt Frontex über mehr als 100 Boote, etwa 25 Hubschrauber und 20 Flugzeuge. Alleine an der Patrouillenoperation „Nautilus“ im Mittelmeer zwischen Libyen und Tunesien auf der einen sowie Italien und Malta auf der anderen Seite waren im vorigen Jahr 95 Beamte der Bundespolizei beteiligt, insgesamt stellte Deutschland 2007 für sechs Operationen 148 Polizisten und zwei seeflugtaugliche Hubschrauber zur Verfügung. Kosten: 245 000 Euro. Angesichts dieser geballten Ansammlung an Mensch und Material zur Bekämpfung illegaler Migration spricht die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, gar vom „Krieg gegen Flüchtlinge“. Migranten würden mit überzogenen Mitteln systematisch daran gehindert, das europäische Festland zu erreichen.

Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist Frontex mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) eine Kooperation eingegangen. Am 17. Juni unterzeichneten beide Seiten in Warschau eine Absichtserklärung in Zukunft besser zusammenarbeiten zu wollen. Die Vereinbarung beinhaltet vor allem ein Schulungsangebot für Grenzschutzbeamte auf dem Gebiet der Menschen- und Flüchtlingsrechte.

Die erste Euphorie ist jedoch Ernüchterung gewichen. Auf dem 8. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz Ende Juni musste die UNHCR-Repräsentantin in Brüssel, Judith Kumin, eingestehen, dass die Gespräche zwischen Frontex, den EU-Mitgliedstaaten sowie dem UNHCR „bisher nirgendwohin führten“. Bislang konnte man keine Einigkeit erzielen, weil die Meinungen der einzelnen Länder so weit auseinandergingen, bestätigte Kumins Sprecher Gilles van Moortel der SZ. Er fragt: „Nimmt man die Leute an Bord oder nicht? Bringt man sie in einen EU-Hafen oder schickt man sie gleich wieder zurück? Gibt man ihnen Essen und Trinken oder nicht?“

Der Leiter der Einsatzzentrale der italienischen Militärpolizei in Rom, Francesco Saverio Manozzi, gibt bereits Antworten. In einem ARD-Radiofeature gab er zu Protokoll, dass seine Einheiten bei offiziellen Treffen mit Einsatzplänen und schriftlichen Befehlen konfrontiert worden seien, denen zufolge die Abwehr der illegalen Einwanderer darin bestehe, an Bord der Schiffe zu gehen und Lebensmittel sowie Treibstoff von Bord zu nehmen. Sollte dies zutreffen, sagt Volker Beck, „wäre für uns die Grundlage bei Frontex mitzuwirken entfallen“. So oder so: Die Aussagen Manozzis werfen ein neues Licht auf die Konflikte zwischen europäischen Einheiten im Rahmen von Frontexpatrouillen.

In der Frontexzentrale mit ihren zur Zeit 164 Mitarbeitern gibt man sich indessen alle Mühe, die Vorbehalte zu zerstreuen. Mehrmals hat Frontexdirektor Ilkka Laitinnen betont, wie sehr ihm an menschenrechtlich unbedenklichen Einsätzen im Mittelmeer gelegen ist. Allerdings werden die Kritiker wohl kaum zu besänftigen sein angesichts des hohen Masses an Intransparenz, die der Grenzschutzagentur innewohnt.

Nach Auskunft der Bundesregierung besteht für Frontex gegenüber den EU-Staaten beziehungsweise deren nationalen Parlamenten keine Informationspflicht. Da lediglich das EU-Parlament oder der Ministerrat den Exekutivdirektor auffordern können, Bericht über seine Tätigkeiten zu erstatten, ist Frontex der Kontrolle nationaler Parlamente entzogen. Für Volker Beck ein untragbarer Zustand: Weder Bundestag noch Europaparlament hätten ausreichende Informationen über Frontex. „Das muss anders werden.“ Für Max Stadler wäre es nun an der Bundesregierung, auf europäischer Ebene tätig zu werden. „Wir werden das Thema auch in Zukunft im Innenausschuss ansprechen.“

Quelle: Süddeutsche Zeitung