Die Situation von Asylsuchenden und MigrantInnen hat sich verschlechtert

Drei Jahre nach der Abstimmung über das verschärfte Asyl- und das neue Ausländergesetz haben die Beobachtungsstellen für Asyl- und Ausländerrecht in der Romandie, der Ostschweiz und im Tessin über 80 problematische Situationen dokumentiert.

In einer vor der Schweizerischen Beobachtungsstelle erstellten Übersicht wird deutlich, dass sich die Situation der Betroffenen in vielen Bereichen verschlechtert  hat. Im Bereich Asyl zeigen die dokumentierten Fälle die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn auf Gesuche nicht eingetreten wird, weil die Asyl suchende Person nicht innerhalb von 48 Stunden Identitätspapiere vorlegen kann. Wie die Beobachtungen zeigen, wird – anders, als während der Asylgesetzrevision in Aussicht gestellt – von den Ausnahmeregelungen kaum Gebrauch gemacht.

Problematisch ist auch der Verweis von abgewiesenen Asylsuchenden bzw. Asylsuchenden mit Nichteintretensentscheid in die Nothilfe. Die knapp bemessene Nothilfe bringt die Betroffenen in eine Notlage – in manchen Fällen über Jahre hinweg – und führt nicht selten dazu, dass sie auf die Hilfe von Dritten angewiesen sind und sich damit in einer Bettelexistenz wiederfinden. Immer wieder führt die prekäre, unwürdige Nothilfe zu psychischen Erkrankungen der Betroffenen.

Für Asylsuchende, die seit fünf Jahren in der Schweiz sind, sowie für MigrantInnen ohne Aufenthaltsbewilligung ist seit dem neuen Gesetz die Erteilung einer Härtefallbewilligung möglich, wenn sie eine Reihe von Kriterien erfüllen. Dabei nutzen jedoch die Kantone ihren Ermessensspielraum sehr unterschiedlich, einige machen davon überhaupt keinen Gebrauch. Das Bundesamt für Migration (BFM) handhabt die Erteilung von Härtefallbewilligungen ebenfalls äusserst restriktiv. So müssen Betroffene in manchen Fällen nach jahrelangem Aufenthalt und Arbeit in der Schweiz und auch wenn die Kinder hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, ausreisen, weil ihnen keine Härtefallbewilligung erteilt wird.

Die Schweiz verlassen müssen auch ausländische Familienväter oder -mütter, wenn die Lebensgemeinschaft aufgelöst wurde. Damit werden Familien auseinander gerissen. Auch verlieren immer wieder Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind und sich von ihrem gewalttätigen Partner getrennt haben, durch die Trennung ihre Aufenthaltsbewilligung – auch wenn gemäss dem Gesetz eine Härtefallbewilligung möglich wäre. Ebenfalls müssen immer wieder Schweizer Kinder die Schweiz verlassen, wenn die Aufenthaltsbewilligung ihrer ausländischen Mutter nicht verlängert wird.

Beobachtet wurde weiter, dass BeamtInnen die betroffenen AusländerInnen immer wieder unverhältnismässig behandeln, sei es wenn Polizisten Gewalt anwenden, Behörden die Betroffenen täuschen, Beamte immer neue Nachweise verlangen oder die eingereichten Unterlagen nicht würdigen.

Die verschiedenen Fälle und ihre Häufung zeigen, dass Handlungsbedarf auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene dringlich ist. Es kann nicht im Sinne des Rechtsstaats sein, dass das Asyl- und das Ausländergesetz die von der Schweiz ratifizierten Konventionen missachten oder Asylsuchenden und MigrantInnen die in der Verfassung verbrieften Rechte nur selektiv zugestehen. Die regionalen und die schweizerischen Beobachtungsstelle werden weiterhin Fälle dokumentieren und sie Fachpersonen, PolitikerInnen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Kinderrechte werden oft missachtet

Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) stellt fest, dass bei der Anwendung des Asyl- und des Ausländergesetzes die Grundsätze der Kinderrechtskonvention immer wieder ausser Acht gelassen werden.

In zahlreichen untersuchten Fällen wurden die Bedürfnisse und das Wohl des Kindes nicht berücksichtigt;
im Vordergrund stand die aktuelle restriktive Migrationspolitik.
In einem heute veröffentlichten Bericht untersucht die Schweizerische Beobachtungsstelle für
Asyl- und Ausländerrecht, wie es bei der Anwendung des Asyl- und des Ausländergesetzes
um die Rechte der Kinder steht. Dabei kommt sie zum Schluss, dass dem von der Schweiz
ratifizierten UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK) vielfach keine Beachtung
geschenkt wird. Gemäss der Kinderrechtskonvention müsste bei allen Massnahmen, die Kinder
betreffen, deren Wohl vorrangig berücksichtigt werden. Ebenfalls stellen der Schutz der
Beziehungen zwischen Kindern und Eltern sowie das Recht auf Familienleben einen zentralen
Aspekt dar.
Wie in der Untersuchung der SBAA deutlich wird, werden diese Grundsätze jedoch hinter die
Vorgaben einer restriktiven Migrationspolitik zurückgestellt. Die einschneidenden Auswirkungen
eines Entscheids auf Kinder werden als «Kollateralschäden» in Kauf genommen. So etwa,
wenn Familiengemeinschaften auseinander gerissen werden, weil der Vater ausgewiesen wird
oder die Mutter mit den Kindern – in manchen Fällen Kinder mit Schweizer Nationalität – die
Schweiz verlassen muss. Die Kinder können dadurch keine regelmässige Beziehung zum Vater
leben. Oder wenn Kinder, die seit Jahren in der Schweiz zur Schule gehen und integriert sind,
in ein ihnen fremdes Land ausreisen müssen, zu dem sie keinerlei Beziehung haben. Der
Bericht zeigt ebenfalls auf, dass Familien, die lediglich Nothilfe empfangen, die gesunde
Ernährung der Kinder nicht gewährleisten können, weil der geringe Betrag dafür nicht ausreicht.
Die SBAA stellt deshalb die Frage, ob das in der Konvention festgeschriebene Diskriminierungsverbot
respektiert wird. Gemäss diesem müssen die Rechte der Konvention für alle
Kinder gewährleistet werden. Kinder von Asylsuchenden und MigrantInnen sind jedoch laut
dem Bericht besonders benachteiligt.
Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht stellt die übermässige
Gewichtung einer restriktiven Einwanderungspolitik im Verhältnis zu den Werten der Kinderrechtskonvention
infrage. Die Kinderrechtskonvention ist ein verbindliches Regelwerk, zu
dem sich die Schweiz bekennt und das sie sich einzuhalten verpflichtet hat. Die Konvention
hat ihre Gültigkeit für alle in der Schweiz wohnhaften Kinder und Jugendlichen – unabhängig
von ihrem Aufenthaltsstatus oder demjenigen ihrer Eltern. Es gilt daher, sie entsprechend
umzusetzen und bei Entscheiden konsequent zu berücksichtigen, damit Kinder nicht zu den
Leidtragenden einer restriktiven Einwanderungspolitik werden.

Schweigen verboten!

An einem Podium der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht(SBAA) hielten sie fest, dass seit den Gesetzesneuerungen Asylsuchende in der Schweizvermehrt in prekären Situationen leben. Kritisiert wurden insbesondere die Nothilfe und diefehlende Umsetzung der Härtefallregelung in verschiedenen Kantonen.

Zwei Beispiele

Eine Asyl suchende Familie, die nicht ausreisen kann, weil ihr Heimatland keinen Passfür sie ausstellt, wird plötzlich zu «Illegalen» – obwohl sie ausreisen möchte. Sie erhältnur noch Nothilfe und gerät in eine Bettelexistenz. Beide Eltern sollen zudem Bussenwegen illegalen Aufenthalts bezahlen.

Eine gut integrierte Familie, deren Kinder in der Schweiz geboren und hier zur Schulegegangen sind, soll trotz 21jährigen Aufenthalts des Vaters in der Schweiz ausreisenmüssen. Grund: Dieser ist nach einer Diabeteserkrankung erwerbslos geworden und die Familie hat zeitweise Sozialhilfe bezogen.

Dies sind nur zwei Beispiele, die aufzeigen, wie sich das Asyl- und das Ausländergesetz aufdie betroffenen Personen auswirken. Über die beiden Gesetze diskutierten am Samstag, 28. März Expertinnen und Experten an einem Podium der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht. Die Asylgesetzrevision, so der Tenor des Podiums, hat ihr Ziel –die Senkung der Zahl der Asylsuchenden – verfehlt. Hingegen geraten beide Gesetze immerwieder mit internationalen Konventionen oder der Bundesverfassung in Konflikt.

Kritisiert wurde insbesondere die Nothilfe: Sie bringe die Betroffenen in eine prekäre Lageund verletze die Menschenwürde. Auch zur Härtefallregelung, laut der in persönlichenHärtefällen Aufenthaltsbewilligungen erteilt werden können, wurde Kritik laut. «Die Härtefall-Artikel der neuen Gesetze sind in diversen Deutschschweizer Kantonen toter Buchstabe»,hielt Rechtsanwalt Marc Spescha fest. Die übersteigerten Anforderungen an einzelne Kriterien liefen, so der Experte im Ausländerrecht, auf eine Rechtsverweigerung hinaus. CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer forderte in ihrem Votum die Einrichtung vonHärtefallkommissionen. Diese seien zentral, damit Familien in prekären Verhältnissen eingeordnetes Leben ermöglicht werde.

Einhellig lehnten die Podiumsteilnehmerinnen und Teilnehmer die erneute Gesetzesrevisionab. Diese reduziere noch mehr die Möglichkeiten für Flüchtlinge, in der Schweiz Schutz zu erhalten, und sei aus menschenrechtlicher Sicht fragwürdig. Hintergrund der Flucht sei zudem nicht die Attraktivität der Schweiz, sondern die Situation im Herkunftsland: Verfolgung, Krieg, Verwüstung, Armut und fehlende Perspektiven.

Schweigen verboten!

Die ebenfalls am Samstag abgehaltene Generalversammlung der SBAA unter der Leitungder Präsidentin und alt-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot bekräftigte, dass die Anwendungder Gesetze beobachtet, dokumentiert und öffentlich gemacht werden müsse. Denn immer wieder geraten die beiden Gesetze in Konflikt mit der Menschenrechtskonvention, der Kinderrechtskonvention, der Flüchtlingskonvention, Schweizer Gesetzen oder der Bundesverfassung.