Klimacamp in Zürich eröffnet!

Seit Sonntag, 3. bis hin zum 10. Juni dreht sich am Zürcher Platzspitz alles rund ums Klima. «Es geht darum, unsere Zukunft mitzugestalten. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe und deren verheerenden Folgen für das Leben auf der Erde ist es wichtig, sich auch mit den gesellschaftlichen Ursachen des Problems zu befassen», erklärt eine Mitorganisatorin.

Mit gegen fünfzig praktischen und theoretischen Workshops quer durch und um das Thema Klima können die Besuchenden ihr Wissen im Klimacamp erweitern, sich mit Interessierten vernetzen und austauschen. Eine direkte Aktion am Samstag und eine Ausstellung am Sonntag bilden den Abschluss des Camps. Das Klimacamp findet dieses Jahr in der Stadt Zürich statt, weil der Klimaschutz mit seiner Wichtigkeit ins Zentrum gehört. Denn das Klima ist relevant – jetzt und für alle. Laut dem Klimacamp ist Verantwortung für den Klimawandel nicht delegierbar und alle sollen die Möglichkeit haben Informationen zu erhalten, die Konsequenzen ihrer herkömmlichen Lebensweise zu erkennen und die Alternativen dazu zu entdecken.

Das Klimacamp ist eine unabhängige Gruppe von Klima-AktivistInnen und steht allen Menschen offen, die sich mit dem Thema «Klima» beschäftigen wollen. Ob dies nun im Rahmen des Besuchs eines einzelnen Workshops oder in einem mehrtägigen Besuch ist. Das Workshop-Programm rund ums Thema Klima ist mit Basiswissen und Hintergrundinformationen bis zu Methodik und Handwerk breit gefächert und kostenlos. Die Workshops werden von verschiedenen Einzelpersonen, Gruppen und NGOs gehalten, unter anderem Greenpeace, WWF, Schweizer Energiestiftung, Tier-im-Fokus und vielen mehr. Es ist keine Anmeldung nötig. Abends bietet ein kulturelles Programm mit Filmen und gemütlichem Beisammensein Abwechslung. Am Samstag wird es eine direkte Aktion zum Thema Soja als Klimakiller geben und ab 13.30 findet gemeinsam mit Greenpeace und der Gesellschaft der bedrohten Völker eine bewilligte Kundgebung statt. Abgeschlossen wird das Camp am Sonntag von der Ausstellung «zwei Blicke in die Zukunft», welche positive und negative Auswirkungen unseres Handelns aufzeigen soll, wobei ein Jeder seinen persönlichen Beitrag mitbringen oder hier anfertigen kann.

Geplant und organisiert wird das Klimacamp, welches in der Schweiz bereits zum vierten Mal stattfindet, von einer Gruppe freiwilligen und engagierten Klima-AktivistInnen. Das Camp lädt alle dazu ein, mitzugestalten: Ideen einbringen, einen Workshop anbieten, sich bei der direkten Aktion einbringen, künstlerisch betätigen oder beim Auf- und Abbau helfen – jeder Beitrag ist herzlich willkommen.

Der braune Sumpf der Schweiz

Die Antifa Bern, Antifa Oberland und repro haben gemeinsam die Broschüre «Die braune Szene der Schweiz» herausgegeben, die einen ausführlichen Einblick in die Entwicklung der rechts-extremen Szene der Schweiz liefert. Neben der Portraitierung rechter Gruppierungen bietet das knapp 40-seitige Heft auch detaillierte Hintergrundinformationen.

Die beteiligten Gruppen haben einige Monate lang recherchiert: rechtsextreme Kundgebungen dokumentiert, Rechtsrock-CDs durchgehört, Webseiten und Diskussionsforen durchforstet und nun die gesammelten Daten veröffentlicht. Mit vielen, teils bisher unveröffentlichten Fotos bebildert, zeigt die neue Broschüre ein aktuelles Bild der rechtsextremen Szene der Schweiz, wirft aber auch einen Blick zurück auf die letzten Jahrzehnte. Nebst einem schön aufgearbeiteten geografischen Überblick und einer Chronologie rassistischer Übergriffe in den letzten zwei Jahren finden sich viele Portraits bekannter und weniger bekannter Gruppen der extremen Rechten. Diese gründliche Aufarbeitung mache die Broschüre laut HerausgeberInnen zu «einem unverzichtbaren Nachschlagewerk sowohl für alte Hasen als auch für NeueinsteigerInnen der Antifa-Szene».

Umfassende Darstellung

Einen grossen Teil der Broschüre nimmt die Einschätzung und Geschichte der umtriebigen «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS) ein, die ausführlich mit sechs ihrer Sektionen portraitiert wird. Zudem finden sich Texte zu der bekannten Gruppe «Blood & Honour» und zu den Hammerskins. Doch auch kleinere, unbekanntere Gruppen kommen nicht zu kurz: so werden der «Waldstätterbund», der «Volksbund Wasserschloss» und die «Europäischen Aktion» beleuchtet. Auch eine Darstellung der aktuellen Vertriebsstrukturen der Neonazi-Szene, wie etwa der Berner Oberländer Versand «Holy War Records» oder der Basler Kleiderladen «Power Zone», lässt sich in der Revue finden.

Einen umfassenden Einblick gibt die Broschüre in die enge Verbindung der braunen Szene mit ihren rechtspopulistischen Vorreitern. Der Befund der Broschüre: Die extreme Rechte – allen voran die PNOS als ihre wichtigste Akteurin – schwächelt mit wenigen Ausnahmen und steht im Schatten der übermächtigen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die ähnliche Themenfelder besetzt hält. Auch in der Schweiz konnte die SVP mit ihrer Gewaltrhetorik bei extremen Rechten punkten. Es ist bezeichnend, dass an SVP-Kundgebungen immer wieder rechtsextreme Gruppen auftauchen und etliche SVP-PolitikerInnen auf Facebook mit Neonazis befreundet sind.

Ein genauer Blick

Die HerausgeberInnen beschreiben ihre Tätigkeit: «Der genaue und stete Blick nach Rechts ist ein wesentlicher Bestandteil und die eigentliche Basis der Antifa-Tätigkeit. Durch kontinuierliche Recherchearbeit können die Machenschaften der Alt- und Neonazis aufgedeckt und publik gemacht werden.» Schade ist, dass etwa die Machen- und Seilschaften der SVP als wohl wichtigste rechstpopulistische Kraft – wobei diese Charakterisierung auch nur bedingt taugt – etwas zu kurz kommt. Zudem könnte man bemängeln, dass zu wenig Gewicht auf die autoritären und repressiven Momente innerhalb demokratischer Strukturen gelegt wurde. Doch für antifaschistische AktivistInnen dürfte die Broschüre ein wichtiges Nachschlagewerk für ihre alltägliche Arbeit darstellen.

Bezogen werden kann die Broschüre gratis über: info@antifa.ch oder auf www.antifa.ch

Nein zur Diktatur der Versicherungen!

Am 17. Juni wird schweizweit über das Referendum zur Managed Care-Vorlage abgestimmt. Diese will die Marktlogik im Gesundheitsbereich vertiefen und steht somit dem Recht auf den Zugang zur besten Behandlung für alle  Menschen entgegen. 

Am 30. September 2011 hat das Parlament die Vorlage zur integrierten Versorgung (Managed Care) im Gesetz verankert. Eine Koalition von Gewerkschaften, linken Parteien und unterschiedlichen ÄrztInnenvereinigungen haben daraufhin das Referendum ergriffen und mit 133?000 Unterschriften eingereicht. Damit kommt am 17. Juni die Vorlage zur Abstimmung.

 

Worum es bei der Vorlage genau geht

Die wichtigsten Elemente der Revision können wie folgt zusammengefasst werden. Erstens:  Der Art. 41c des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) führt eine neue Versicherungsform ein: die integrierte Versorgung. Leistungserbringer (ÄrztInnen, aber auch andere) vereinigen sich in ein Netz, um die medizinischen Behandlungen zu koordinieren. Zweitens: Die integrierten Versorgungsnetze schliessen mit den Krankenversicherungen spezifische Verträge ab, die u.a. die Bezahlung der Leistungen regeln. Hier wird der Begriff der «Budgetmitverantwortung» eingeführt: Neu sollen neben den Krankenkassen auch die Versorgungsnetze die finanzielle Verantwortung mittragen. Drittens: Ein finanzieller Anreiz wird eingeführt, um die Versicherten anzuspornen, sich bei einem Versorgungsnetz anzuschliessen. Für sie wird der Selbstbehalt bei 10 Prozent und jährlich maximal 500 Franken liegen. Diejenigen Personen, die sich gegen ein Versorgungsnetz entscheiden, werden sanktioniert und müssen 15 Prozent bzw. maximal 1000 Franken der jährlichen Kosten selbst übernehmen (Art. 64). Zudem ist im neuen Gesetz verankert, dass der Bundesrat den maximalen Beitrag «an die Entwicklung der Gesundheitskosten» anpassen und ihn auch erhöhen kann. Viertens: Die Vertragsdauer kann für die integrierten Versorgungsnetze auf drei Jahre erhöht werden. Wer sich entscheidet, vorher ein Netz zu verlassen, muss eine Ausstiegsbusse bezahlen.

Die sozialen Folgen der Vorlage

Auf den ersten Blick erscheint die Vorlage als organisatorische Verbesserung der ambulanten Gesundheitsversorgung und der Verzicht auf die freie Arztwahl eine akzeptable Einschränkung, um «Kosten zu sparen». Kurz oder lang werden aber die sozialen Ungleichheiten verschärft. Denn in erster Linie wird die Vorlage zu einer direkten Erhöhung der Gesundheitskosten für alle Haushalte führen, zuallererst für diejenigen Personen, die sich keinem Versorgungsnetz anschliessen. Die Gesundheitskosten lasten schon heute schwer: 20 Prozent der Haushalte mit den tiefsten Einkommen geben 22 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Gesundheit aus; hingegen sind es für die Bessergestellten nur 11 Prozent. Es ist vorhersehbar, dass also Haushalte einerseits aus Kostengründen auf bestimmte Behandlungen verzichten werden, andererseits gezwungen sein werden, andere Ausgaben zu verringern, um sich pflegen zu lassen. Zu diesem Schluss kommt sogar das Beratungsunternehmen «Deloitte» in einer 2010 publizierten Studie.

Stärkung der Versicherer

Die Freiheit, Verträge abzuschliessen, erlaubt den Versicherungen, diejenigen ÄrztInnen auszuwählen, mit denen sie zusammenarbeiten und denen sie die Leistungen finanziell zurückerstatten wollen. Die Krankenkassen werden also nicht mehr gezwungen sein, jede Ärztin und jeden Arzt als Verhandlungspartner zu akzeptieren, was ihre Stellung gegenüber den ÄrztInnen massiv stärkt, vor allem im aktuellen Kontext steigender Leistungsangebote (auf den 1. Januar 2012 ist das Ärztemoratorium aufgehoben worden). Die Budgetmitverantwortung führt dazu, dass ein «Selektionseffekt» eintritt: die Versorgungsnetze werden keine grossen Interessen haben, schwere und teure Fälle zu übernehmen, da sie die Finanzierung der Behandlungen in Zukunft mittragen müssen. Dies wiederum führt zu einem «Rationierungseffekt»: Der Druck steigt, nur bestimmte Behandlungen anzuwenden, um das Budget nicht zu überschreiten. «Gute Risiken» werden behalten, teure Fälle «weitergegeben», es entstehen «Zulieferungsketten» in der Gesundheitsversorgung.

Nein zu Managed Care

Gewinner dieser Vorlage sind in erster Linie die Krankenversicherungen, die ihre Machtposition auf dem Markt gestärkt sehen. Mittelfristig werden sich zudem Versorgungsnetze herauskristallisieren, die sich auf die «guten Risiken» spezialisieren und die grössten finanziellen Gewinne einfahren werden. Verlierer wird die ganze lohnabhängige Klasse sein. Ihre Beteiligung an den Gesundheitskosten wird weiter steigen. Schon heute ist ihre Beteiligung im Vergleich zu den privaten Versicherungen und dem Staat am höchsten. Gerade die kantonal unterschiedlichen und einkommensunabhängigen Kopfprämien potenzieren das Armutsrisiko. Und damit nicht genug: Einflussreiche Verantwortliche von Krankenkassen wollen sogar generationenabhängige Prämien durchboxen, d.h. diejenigen der Jungen senken und diejenigen der Älteren erhöhen. Dass 25 Prozent der über 65-Jährigen armutsgefährdet sind, wird absichtlich verschwiegen.

Die lohnabhängige Klasse sieht sich gerade im Kontext der Prekarisierung der Arbeit erhöhten Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Die Revision des KVG würde ihre Situation noch verschlechtern. Nur breite und solidarische Mobilisierungen für die Abstimmung, aber besonders an den Arbeitsplätzen und auf der Strasse, können diesen Frontalangriff bekämpfen.

Asyl in der reichen Schweiz

Heute werden weltweit 43 Millionen Flüchtlinge gezählt, davon sind 26 Millionen so genannte «intern Vertriebene». Diese Menschen – unter ihnen viele Frauen und Kinder – mussten vor Krieg, Gewalt und Naturkatastrophen flüchten. Sie alle sind äusserst verletzlich. Die wenigsten dieser Menschen gelangen nach Westeuropa oder gar in die Schweiz. Trotzdem wird die Asylpolitik der humanitären und den Menschenrechten verpflichteten Eidgenossenschaft immer unmenschlicher. Unser Land ist durch seine Waffenexporte an Staaten, die Krieg führen und foltern lassen, ein wenig mitverantwortlich dafür, dass Menschen fliehen.

Kriegsdienstverweigerer aus Eritrea, die in ihrem Land verfolgt werden, will man in der Schweiz nicht mehr als Flüchtlinge anerkennen. Zurückschicken kann man sie aber nicht in dieses Land, das von einer fürchterlichen Diktatur beherrscht wird.

Zudem wäre es jetzt für das Bundesamt für Migration plötzlich «rechtlich vertretbar», Asylsuchenden generell nur noch Nothilfe statt  Sozialhilfe zu gewähren. Sie würden dann nur noch acht bis zehn Franken pro Tag erhalten, was pro Monat etwa 300 Franken ausmachen würde. Bisher wurden nur Asylsuchende, die nicht ausreisen wollten, auf diese Nothilfe gesetzt. Hans Jürg Käser, der Präsident der kantonalen Justizdirektoren, und einige Politiker, möchten die Nothilfe für Asylsuchende, die nicht ausreisen wollen, gar ganz abschaffen.

Wie leben heute Menschen mit Nothilfe, sprich mit acht bis zehn Franken pro Tag? Warum reisen sie nicht aus? Um dies zu verstehen, sind Berichte von Betroffenen wichtig. Der Journalist Michael Walther zeichnete Gespräche mit Asylsuchenden auf und veröffentlichte das Buch «Und es sind Menschen auf der Flucht». Alle Gesprächspartner von Walther hatten einen so genannten «Nicht-Eintretens-Bescheid» erhalten, ihr Asylgesuch wurde somit abgelehnt. Die Behörden hatten sie aufgefordert, die Schweiz unverzüglich zu verlassen. Zwölf Menschen erzählten Walther ihre Lebensgeschichte: Boris Johnson aus Liberia, Adriana Ademi aus Kroatien und Kosova, John Taha aus dem Sudan, Mohammed Jaafar aus Mauretanien und Senegal, Michael Werede aus Eritrea, Thomas George aus Kerala in Indien, Rahima Abdul Raheem aus Tamil Nadu in Indien, Modou Koroma aus Sierra Leone und Mali, José Correia aus Guinea-Bissau, Kaw Diatigi aus Guinea und die Familie Gujar aus Jammu und Kaschmir in Indien. Vielleicht werden wir wie die Familie Guaja einmal zu Flüchtlingen? Nach einem Krieg? Nach einem Unfall eines Atomreaktor wie in Tschernobyl und Fukushima?

Die Asylgesetzgebung wurde in den letzten Jahren laufend verschärft und soll jetzt noch weiter verschärft werden. Asyl in einem der reichsten Länder der Welt? Wurden Henri Dunant, Albert Schweitzer und Heinrich Pestalozzi vergessen?

Tote und Verletzte bei Protesten gegen Xstratas in Peru

Der zunächst friedlich verlaufende Streik in der peruanischen Andenprovinz Espinar gegen die Bergbauaktivitäten von Xstrata Tintaya mit Sitz in der Schweiz wurde letzte Woche mit Tränengas und Schrotkugeln gewaltsam aufgelöst. Zu beklagen sind zwei Todesopfer und über 90 Verletzte.

Zwei Todesopfer und über 90 Verletzte, darunter sowohl Streikende als auch Polizisten, veranlassten den peruanischen Präsidenten gestern Abend dazu, den Notstand über die Provinz auszurufen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), MultiWatch und die Solidaritätsgruppe Schweiz-Peru sind äusserst besorgt über die neusten Entwicklungen.

Der Konflikt zwischen Xstrata Tintaya, einem Tochterunternehmen des Bergbauriesen Xstrata mit Sitz in der Schweiz, und der lokalen Bevölkerung in Espinar spitzt sich immer mehr zu. Ein angekündeter Protestmarsch, bei dem am 21. Mai zunächst nur einige Hundert Menschen vom Stadtzentrum von Yauri in Richtung der Tore der Mine Xstrata Tintaya losmarschierten, fand im Verlauf des mehrtägigen Protestes mehrere Tausend Anhänger. Der Protest richtete sich gegen die Weigerung des Bergbaukonzerns, auf Vorwürfe wegen Umweltverschmutzung einzugehen. Insbesondere wird von Xstrata gefordert, die in zwei Studien aus dem Jahre 2010 und 2011 nachgewiesene Schwermetallbelastung in Böden, Gewässern, sowie in Blut und Urin der in unmittelbarer Nähe zum Tagebau lebenden Bevölkerung abzuklären.

Polizei schiesst auf Demonstranten

Laut Angaben lokaler Partnerorganisationen standen die Demonstrierenden einem Aufgebot von 1200 bis 1500 Polizisten gegenüber. Diese wurden bereits am 18. Mai abends von Xstrata Tintaya ins Camp des Bergbaukonzerns gerufen, um die Schürfaktivitäten vor angekündigten Protesten abzuschirmen. Im Verlauf des 22. Mai eskalierte die Situation. Polizisten hatten aus nächster Nähe auf zwei demonstrierende Jugendliche geschossen, die versuchten, in die Mine zu gelangen. Dazu kamen Berichte von Misshandlungen mehrerer Demonstrierender. Dies führte zu schweren Zusammenstössen zwischen den Streikenden und der Polizei.

Betroffen von Repressionen sind unter anderem auch der Bürgermeister der Provinz Espinar, Oscar Mollohuanca, der Vizepräsident der grössten sozialen Basisorganisation, Sergio Huamaní, sowie die Direktorin der Menschenrechtsabteilung des katholischen Vikariats, Ruth Luque, welche auf Einladung von MultiWatch, GfbV und der Solidaritätsgruppe Schweiz-Peru Ende April in die Schweiz gereist waren, um anlässlich der Generalversammlung der Xstrata-Aktionäre das Gespräch mit der Konzernleitung in der Schweiz zu suchen. Die GfbV, Multiwatch und die Solidaritätsgruppe Schweiz-Peru unterstützen die Forderung von Ruth Luque an die Konfliktparteien und den peruanischen Staat, «sofort ernsthafte Verhandlungen mit dem Ziel verpflichtender Vereinbarungen durchzuführen, um die Lebensqualität und Würde aller Einwohner zu gewähren und eine unverzügliche, sowie endgültige Lösung in den Konflikten in der Provinz Espinar zu finden.»

Präsident Humala verhängt den Notstand

Aufgrund der gewalttägigen Entwicklungen hat die Regierung in Lima gestern den Notstand über die Provinz verhängt. Damit sind die demokratischen Grundrechte für 30 Tage ausgesetzt. Für die lokalen Protestbewegungen ist das ein schwerer Schlag, denn im Notstand ist es verboten, zu protestieren, sich zu versammeln, oder gar Plakate mit politischen Botschaften zu tragen. Die Wahrung von Ruhe und Ordnung obliegt nun dem Militär und entzieht sich weitgehend demokratischer Kontrolle. Damit reagiert der peruanische Präsident Ollanta Humala bereits das zweite Mal in seiner erst kurzen Amtszeit mit Verfügung des Notstands auf Konflikte der Bevölkerung in Zusammenhang mit grossen Minenprojekten. Bereits am 5. Dezember 2011 hatte er in der Region Cajamarca den Notstand erklärt, als es dort zu Protesten gegen die Erweiterung der Mine Yanacocha kam.

Quelle: Gemeinsame Medienmitteilung von GfbV, MultiWatch und Solidaritätsgruppe Schweiz-Peru.

Internationaler Protest gegen Kahlschlag bei Merck Serono

Rund 200 Angestellte von Merck Serono in Genf reisen am 30. Mai, dem Welt-Multiple Sklerose-Tag, nach Darmstadt an den Firmensitz der Merck-Gruppe. Die Angestellten von Merck Serono Schweiz solidarisieren sich mit den deutschen und europäischen Angestellten, deren Arbeitsplätze im Zuge des Restrukturierungsprogramms ebenfalls gestrichen oder in Billiglohnländer verschoben werden sollen.

Beschäftigte von Merck Serono aus der Schweiz und Deutschland werden gemeinsam gegen die brutalen Restrukturierungsmassnahmen protestieren, denen in ganz Europa Tausende von Arbeitsstellen – alleine 1500 am Standort Genf – zum Opfer fallen sollen. Und dies, obwohl noch vor einem Jahr die Merck-Gruppe – die noch immer zu rund 70 Prozent im Besitz der Familie Merck ist – die Dividendenzahlungen um 20 Prozent erhöht hat.

Die Delegation der Schweizer Merck-Serono-Beschäftigten sowie die Gewerkschaft Unia laden Sie herzlich ein, an der Reise nach Darmstadt teilzunehmen. Die Reise verläuft nach folgendem Programm:

– Dienstag, 29. Mai, 23 Uhr: Abfahrt per Bus von Genf nach Darmstadt

– Mittwoch, 30. Mai, 7 Uhr: Ankunft in Darmstadt

– Bis 14 Uhr: Diverse Aktionen auf dem Gelände von Merck Serono gemeinsam mit den deutschen KollegInnen sowie ein Treffen mit der Direktion von Merck Serono

– 14 Uhr: Demonstration in Darmstadt (Treffpunkt vor dem Haupteingang des Werks von Merck Serono zwischen Pyramide und Bistro)

– 17 Uhr: Rückreise nach Genf

Wenn Sie die Schweizer Delegation auf Ihrer Protestreise nach Darmstadt begleiten möchten, wenden Sie sich bitte so rasch als möglich an den Regio-Sekretär der Gewerkschaft Unia in Genf, Alessandro Pelizzari.

Alessandro Pelizzari, Regio-Sekretär Unia Genf, 079 817 29 04

 

Für eine öffentliche Krankenkasse!

Die Initiative «für eine öffentliche Krankenkasse» ist ein Erfolg:  Heute Mittwoch, 23. Mai wird der Trägerverein bei der Bundeskanzlei 115 468 beglaubigte Unterschriften einreichen. «Dies ist ein grosser Erfolg und ein klares Signal», sagt Erika Ziltener, Präsidentin des Trägervereins.

«Die Unterschriftensammlung belegt eindrücklich wie wichtig es sein wird, das Projekt einer einzigen öffentlichen Krankenkasse anstelle eines teuren Pseudowettbewerbs voranzutreiben und wie sehr die Bevölkerung unter der steigenden Prämienlast und der Willkür einzelner Krankenversicherungen leidet.»

Die Initiative wird die kostentreibenden Anreize im heutigen System korrigieren, die Qualität der Versorgung durch fortschrittliche Behandlungsformen verbessern, die Transparenz erhöhen und die Geldverschwendung für gigantische Werbekampagnen im Kampf um die besten Risiken stoppen.

Die Initiative «für eine öffentliche Krankenkasse» sieht die Einrichtung einer einzigen Krankenkasse mit kantonalen Agenturen vor, welche die Prämien festlegen und das Inkasso erledigen. Dies entspricht dem heutigen und bewährten Modell der Suva. Mit der öffentlichen Krankenkasse wird die Voraussetzung geschaffen, um die Kosten dauerhaft in den Griff zu bekommen und gleichzeitig die Versorgungsqualität zu verbessern. Insbesondere entfallen der teure Scheinwettbewerb unter den Krankenkassen und die alljährlichen aufwändigen Kassenwechsel in der Grundversicherung. Die heute aktiven Krankenversicherer werden ihr Geschäft auf den Bereich der Zusatzversicherungen konzentrieren können.

Die Unterschriftensammlung zur Krankenkassen-Initiative startete am 1. Februar 2011. Im Trägerverein der Initiative sind über 20 Patienten-Organisationen, Parteien, Berufsfach- und Branchenverbände sowie Gesundheitsorganisationen und Gewerkschaften vertreten.

Wer stoppt die menschenverachtende Migrationspolitik?

Missbrauchte Statistiken, Hasstiraden, Gesetzesrevisionen und Speziallager: die Schweizer Asyl- und Migrationsdebatte wird mit einer nappetitlichen Heftigkeit geführt und hat drastische Konsequenzen für unsere ausländischen MitbürgerInnen. 

Die Zuwanderung in die Schweiz ist momentan hoch. Der grösste Teil der Einwandernden sind ArbeitsmigrantInnen aus dem nahen europäischen Ausland. Diese eignen sich aber nicht als Sündenböcke, denn sie sind das Resultat der europäischen Integration. Viel einfacher ist da das Asyl-Bashing, denn Asylsuchende sind fremd und sie haben nicht die EU als «Lobby» im Rücken, die ihnen ihre Rechte garantiert. Die politisch als zu hoch eingestufte Einwanderung führt deshalb vor allem zu immer weiteren Beschneidungen der Rechte der Asylsuchenden.

Zu viele Asylgesuche?

Die Zahl der Asylgesuche liegt momentan bei deutlich über 20 000 pro Jahr (2011). Im langjährigen Vergleich keine wahnsinnig hohe Zahl. Ein Grossteil dieser Flüchtlinge hat aber gar kein Anrecht auf ein Asylverfahren in der Schweiz. Wer in ein Land des Schengen-Raums einreist, hat seinen Asylantrag in diesem Land zu stellen und wird nach Möglichkeit dorthin wieder ausgeschafft – und zwar mit aller Härte. Wie schwer es in vielen Ländern ist, im Asylverfahren zu überleben, wird dabei ignoriert. In Italien leben alleinerziehende Mütter auf der Strasse, in Ungarn werden Asylsuchende grundsätzlich in Haft gesetzt. Der offiziellen Schweiz scheint dies egal zu sein.

Mit den Revolutionen im arabischen Raum kamen viele Menschen, vor allem aus Tunesien, zu uns. Diese Leute litten ihr ganzes Leben lang unter dem diktatorischen Regime von Ben Ali, flohen auf Nussschalen nach Europa und erlebten auf ihrem Weg über das Mittelmeer, auf Lampedusa und dem italienischen Festland grauenhafte Dinge. Natürlich sind sie hier in der Schweiz, einer generellen Feindlichkeit und Perspektivenlosigkeit ausgesetzt, nicht gerade pflegeleicht und verhalten sich nicht alle vorbildlich. Wie sollten sie auch? Sie deshalb einfach als „Abenteurermigranten“ und „Party-Asylanten“ zu bezeichnen ist eine Frechheit. Den neu zugewanderten „Arabern“ wird von Anfang an mit Abwehr, Hass und Misstrauen begegnet. Es entsteht eine Dynamik der Kriminalisierung, wie sie seit langem auch schon bei Asylsuchenden aus Schwarzafrika oder bei den Roma zu beobachten ist: Rassismus und Ausgrenzung führen zu Hilflosigkeit, ein Teil von ihnen gerät in die Kleinkriminalität. Den Druck, den diese Asylsuchenden hier erleben, lassen sie nicht selten auch an anderen Asylsuchenden aus – es kommt zu Rivalitäten und teilweise gewaltsamen Konflikten unter ihnen.

Diese Tendenzen werden in den Mainstream-Medien genüsslich ausgeschlachtet: Kriminelle Asylsuchende werden zu einem Hauptproblem der Gesellschaft hochstilisiert. Die geschürten Ängste der Bevölkerung werden dankbar aufgenommen und die «zu lasche» Migrationspolitik der Schweiz dafür verantwortlich gemacht. Die Folge: Keiner will mehr Flüchtlinge aufnehmen. Gemeinden wehren sich (oft erfolgreich) gegen die Unterbringung von Asylsuchenden. Deren Wohnsituation wird folglich immer schlimmer. Mittlerweile gilt es fast schon als normal, wenn Asylsuchende (Familien mit eingeschlossen) monatelang in Zivilschutzbunkern leben müssen, obwohl gerade diese Unterbringung die Leute kaputt macht und bei vielen Asylsuchenden zu Frust und Aggressionen führt.

«Echte» gegen «unechte» Flüchtlinge

Die Botschaft ist klar: Die meisten Flüchtlinge sind unechte Flüchtlinge und missbrauchen unser System. Sie sind nicht «echt», weil sie lediglich vor Armut und genereller Unterdrückung geflohen sind. Selbst Deserteure gelten mit der geplanten Revision des Asylgesetzes bald nicht mehr als echte Flüchtlinge. Der Wunsch, ein besseres Leben im Ausland zu suchen, gilt schon lange nicht mehr als legitim. Die Schweiz zeigt diesen Leuten immer deutlicher: Wir wollen euch nicht und um euch loszuwerden, sind wir bereit, sehr weit zu gehen. Wir bauen einen umfassenden Grenzschutz auf, kooperieren mit Diktaturen, um Flüchtlinge wieder zurückschaffen zu können. Wir lassen sie im Mittelmeer ertrinken und die, die es trotzdem bis zu uns schaffen, verunglimpfen wir als Kriminelle und Scheinasylanten und isolieren sie von der Gesellschaft. Dafür schaffen wir Internierungslager und eröffnen Bundesbunker im Alpenmassiv. Zuletzt versuchen wir, sie mit aller Gewalt und Härte, wenn nötig gefesselt und geknebelt, irgendwohin auszuschaffen. Um die Herkunftsstaaten zur Kooperation mit unserem Ausschaffungsregime zu bewegen, drohen wir ihnen mit der Streichung von Entwicklungshilfegeldern. Das Recht auf Migration gilt nur für die ganz «echten» Flüchtlinge. Viele Hilfswerke haben daher Angst, dass deren Ruf durch die «unechten» Flüchtlinge Schaden nimmt und wehren sich deswegen nicht gegen Hetze und Repression.

Das Fehlen einer über pure Abwehr hinausgehenden Migrationspolitik hat zur Folge, dass zwei migrationspolitische Themen miteinander vermischt werden. Irreguläre Migration wird vollumfänglich in die Asylpolitik integriert und deren Funktionalität dann (zu Recht) in Frage gestellt. Viele Flüchtlinge erfüllen den engen Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention tatsächlich nicht (dafür braucht es auch keine weiteren Verschärfungen). Die moderate Zunahme der Asylgesuche wird aber trotzdem für eine erneute Verschärfung des Asylgesetzes benutzt. Das Asylwesen ist für die meisten Menschen aber das einzige Tor zur Schweiz. Nur deshalb landen sie im Asylverfahren und da sie den Flüchtlingsbegriff nicht erfüllen, ist dieser Weg eine Sackgasse. Zudem wurden das Asylsystem in der Ära Blocher kaputtgespart und die Aufnahmekapazitäten massiv reduziert. So haben wir nun bei jedem grösseren Anstieg der Asylgesuche eine Krisensituation, die ebenfalls für eine erneute Verschärfung (sprich Aushöhlung) des Asylrechts missbraucht wird. Dass es eine Alternative zum Asylsystem bräuchte, will keiner einsehen. Dass es für eine Beschleunigung der Asylverfahren vor allem einen Ausbau der dafür nötigen Infrastruktur bräuchte, auch nicht. Lieber beschneiden die PolitikerInnen weiter die Rechte der Flüchtlinge.

Was tun? 

Es ist nicht leicht, sich in der gegenwärtigen Situation für eine Migrationspolitik einzusetzen, die diesen Namen verdient. Zumindest können wir aber unsere Solidarität mit den ausländischen Mitmenschen bekunden und für ihre Rechte kämpfen. Zum Beispiel am 23. Juni in Bern. Schluss mit Repression und Abwehr – lasst uns eine Gegenbewegung aufbauen, die zumindest die linken Parteien zwingt, die geplanten Gesetzesverschärfungen konsequent als fremdenfeindliche Scheinlösungen zu bekämpfen!

Wenn Menschen Utopien bauen

Vom 3. bis zum 10. Juni 2012 findet das Klimacamp zum ersten Mal im Stadtgebiet von Zürich statt. Hier versammeln sich aktive Menschen um sich zu vernetzen, gegenseitig voneinander zu lernen und um ein Leben im Einklang mit Natur und Umwelt (vor-) zu leben.

Die Welt bewegt sich – und wir bewegen uns mit ihr. Mehr oder weniger. Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich das Klima verändert. Und auch wenn es Argumente dagegen geben mag, so wird wohl kaum jemand abstreiten, dass die Jahreszeiten ihre Beständigkeit verloren haben und es noch nie so viele Umweltkatastrophen gab wie jetzt. Über die Thematik wird viel geredet und zu wenig Konkretes unternommen – dagegen setzen sich einige Menschen aktiv ein.

So treffen sich am 3. Juni 2012 um 14.15 Uhr Interessierte beim Bahnhof Stadelhofen, um zum Klimacamp zu spazieren und da mit dem Aufbau zu beginnen, damit am Montag das Programm mit Workshops, diversen Aktivitäten und künstlerischen Events beginnen kann. Um ein genaueres Bild vom Klimacamp zu erhalten, hier ein paar Fragen an einen jungen Mann, der sich aktiv mit der Umwelt auseinandersetzt und beim Camp und seiner Organisation mit anpackt:

Wer bist Du? Erzähl etwas über Dich.

Ich bin MO, 21 Jahre alt und selbständig als gelernter Schreiner, Bastler und Näher. Ich sehe mich ein bisschen als Lebenskünstler. Ein Interessengebiet von mir ist die Gartenarbeit zur Selbstversorgung und aktives «Radical Recycling». Und natürlich bin ich vernetzter Aktivist. Ich war in der Organisation vom Menschenstrom gegen Atom tätig und bin nun für das Klimacamp unterwegs. Bei AKW-Ade habe ich mich dafür eingesetzt, Menschen und Medien auf eine kreative Weise zu erreichen. Ich ernähre mich, ursprünglich aus tierrechtlicher Überzeugung, vegan – heute sehe ich auch Aspekte wie die Ökologie und den Welthunger.

Was sind deiner Meinung nach die grössten Umweltprobleme unseres Planeten?

Die Auswirkungen des Klimawandels wirken sich direkt auf die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt aus. Die hohen Temperaturen können viele Arten nicht überleben. Ein weiterer Punkt ist der Besitzanspruch, den der Mensch auf den Planeten erhebt – durch den vielen Arten ihren Lebensraum genommen wird. Die Ausfischung der Meere ist ein ähnlich trauriges Kapitel. Wir Menschen tun grundsätzlich viel zu viele Dinge, bei welchen wir die Auswirkungen nicht abschätzen können. Ein gutes Beispiel dafür sind die AKWs.

Wie siehst du diesbezüglich die Ursachen und Zusammenhänge?

Das übertriebene Wirtschaftswachstum in Zusammenhang mit unserer Konsumgesellschaft, in der unbewusstes Konsumieren von Dingen, die der Mensch nicht wirklich braucht, gefördert wird, führt zu immer mehr Energie- und Ressourcenverbrauch. Die einzelnen Menschen könnten dies durch ihr Verhalten beeinflussen, dafür müssten sie aber eine Änderung in ihrem Bewusstsein vollziehen.

Was ist dein Lösungsansatz zu der Thematik?

«Décroissance». Das Wirtschaftswachstum muss schrumpfen, die Produktion quantitativ reduziert werden. Die Denkweise muss verändert, nachhaltige Produktion gefördert werden. Dinge, wie radikales Recycling (direktes Recycling – z.B. Taschen aus alten Veloschläuchen oder Sonnenstoren hergestellt) sollen gefördert werden. Durch solche Schritte werden nicht nur Ressourcen gespart, sondern auch Kreativität gefördert. Das allgemeine Bewusstsein für Mobilität und Nachhaltigkeit muss verstärkt werden. Die Einzelperson bewirkt alleine wenig. Durch Vernetzung und Anregung des Umfeldes zum Mitmachen können Strukturen verändert werden. Konsequentes Vorleben von Ideologien und das Aufmerksam-Machen auf bestehende Missstände und verbesserungsfähige Situationen sind ein guter Anfang. Wer weiter gehen will, wird aktiv und fordert Konzerne bestimmt dazu auf, ihre Firmenpolitik zu verändern.

Ein Themenwechsel: Du hilfst bei der Organisation des Klimacamps mit. Was ist der Sinn hinter der Veranstaltung?

Ich denke, der Hauptpunkt besteht aus der Vernetzung von aktiven Leuten und dem Weitergeben von Wissen. Dazu kommen die Workshops, die helfen, sich theoretisches Wissen anzueignen und in die Praxis umzusetzen.

Was genau muss man sich unter dem Klimacamp vorstellen?

Das Klimacamp repräsentiert sich in einer bunten und kreativen Zeltstadt. Camp-Leben, veganes Essen. Die Küche wird teilweise offen sein, so dass man mithelfen und dabei etwas über das vegane Kochen lernen kann. Das Workshop-Programm macht den zentralen Teil aus. Der Wissensaustausch dazwischen ist aber genauso spannend und lehrreich wie die Workshops selber. Die TeilnehmerInnen lernen sich untereinander kennen und vernetzen sich.

Das Camp hat einen offenen Rahmen; es soll wachsen können. In den letzten Jahren waren wir so um die vierzig bis hundert Leute, dieses Jahr erwarten wir deutlich mehr. Sehr schön am Camp ist auch, dass es familienfreundlich und generationenübergreifend ist.

Weitere Infos unter: www.klimacamp.ch

 

Das Programm des Klimacamps

Das Klimacamp ist also ein Ort, um sich zu treffen, zu vernetzen, zu lernen und kreativ zu sein. Ein Ort, an dem Organisationen wie Greenpeace, SES, WWF und Tier-im-Fokus, aber auch Einzelpersonen wie die deutsche Kletteraktivistin namens «Eichhörnchen», ihr Wissen und Engagement mit einbringen.

Dies unter anderem mit Workshops, Infoveranstaltungen und Filmen mit Themen wie «Klima und Nutztierhaltung», «Medienarbeit-ABC», «Herstellen eines Pyrolyse-Ofens» und «Klimaskeptiker».

Am Samstag (9. Juni) ist im Rahmen des Camps eine direkte Aktion geplant: Grossverteilern soll die Verbindung von Soja in der Milch/Fleischproduktion mit Regenwaldabholzung und Klimazerstörung aufgezeigt werden.

Am Sonntag (10. Juni) findet zum Abschluss die Ausstellung «zwei Blicke in die Zukunft» statt. Hier sollen die Konsequenzen unseres Umgangs mit der Umwelt auf vielfältige Weise dargestellt werden. Wie an allen Aktionen des Camps sind auch hier TeilnehmerInnen jeglicher couleur willkommen. Ob mit von zu Hause mitgebrachten oder vor Ort ausgedachten Visualisierungen – es geht darum, aufzuzeigen, was passieren kann, wenn wir so weiter machen, oder aber was geschieht, wenn wir Menschen die Thematik endlich ernst nehmen und handeln.

«Wir sind keine Ratten»

Die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in den kollektiven Unterkünften sind miserabel. Eine Koalition von politischen Organisationen und sozialen Bewegungen mobilisieren sich in Bern an der Seite der Sans-Papiers für eine unmittelbare Verbesserung der Situation. Im Zentrum der Kritik stehen schliesslich die Fremdenhetze und das Asylbusiness. Bericht der letzten Mobilisierungen.

Nachdem Sans-Papiers Mitte März 2012 das Generalsekretariat der SP besetzt hatten, kam es in den vergangen Wochen zu zwei weiteren Mobilisierungen der Bleiberechtsbewegung. Am 27. April protestierten BewohnerInnen des Nothilfezentrums Aarwangen bei Langenthal gegen Probleme mit der Berner Kantonspolizei. Am 5. Mai kam es in Bern hingegen zu einer breiten Demo gegen die ORS AG und einen von ihr betriebenen Asylbunker. Die Sans-Papiers liefen zuvorderst mit.

Reismarsch gegen Rassismus und Bussen

Mit Kellen und Pfannen laut lärmend marschierten BewohnerInnen des Sachabgabezentrums (SAZ) Aarwangen nach Langenthal. Vor der lokalen Polizeiwache kritisierten sie die Praxis der Berner Kantonspolizei. In einem offenen Schreiben an die Berner Kantonspolizei erklärten die BewohnerInnen: «Wir wissen nicht, was PolizistInnen persönlich denken und fühlen, doch die Art und Weise, wie viele BeamtInnen mit uns sprechen, ist herabsetzend.» Die angeprangerten rassistischen Einstellungen und Handlungsweisen vieler PolizistInnen zeigen sich laut BewohnerInnen anlässlich systematisch stattfindender Personenkontrollen, die hauptsächlich gegen Schwarze gerichtet sind. Die kontrollierten abgewiesenen Asylsuchenden werden nicht nur herablassend behandelt, sondern erhalten auch hohe Bussen wegen illegalem Aufenthalt. Wer nicht bezahlt, wird für die entsprechenden Tagessätze weggesperrt. «Dieses System ist absurd und gehört abgeschafft», skandierten die BewohnerInnen lautstark vor der Polizeiwache. Nothilfeabhängige haben im Kanton Bern ausschliesslich Anspruch auf eine Sachabgabe im Wert von sechs Franken täglich und verfügen über kein Bargeld. Um verschiedene Bussen zu bezahlen, schleppten die BewohnerInnen 88 kg Reis von Aarwangen nach Langenthal. Die Polizei akzeptierte diese Zahlungsweise jedoch nicht. Erst nach einem langen Lärmprotest willigte die Kantonspolizei schliesslich ein, sich den Sans-Papiers zu stellen. Ein Verantwortlicher der Kantonspolizei empfing den offenen Brief, den über dreissig BewohnerInnen unterzeichneten. Er äusserte sich jedoch nicht zu den Vorwürfen. Eine Antwort steht noch aus.

«ORS raus – Bunker weg!»

Die gewinnorientierte Aktiengesellschaft ORS Services AG erhielt vom Kanton Bern Anfang 2012 den Auftrag, in einer unterirdischen Zivilschutzanlage im Berner Hochfeldquartier bis zu 160 Asylsuchende unterzubringen. Nun regt sich Widerstand gegen den Beschluss des Kantons. 300 Personen nahmen am 5. Mai 2012 in Bern an einer Demonstration teil. Zuvorderst marschierten auch dreissig BewohnerInnen des Hochfeld-Bunkers mit. Einzelne unter ihnen ergriffen das Wort und beschrieben ihre Lage: «Wir sind 160 Frauen, Kinder und Männer im Bunker, aufgeteilt in grossen Räumen à 40 Personen. Wir können kaum schlafen, bekommen das Tageslicht kaum zu sehen, haben kein Geld und müssen dann essen, wenn es uns vorgegeben wird. Haben wir am Nachmittag Hunger und verlangen nach einem Stück Brot, bekommen wir nichts. Nur Ratten leben in Löchern. Wir sind aber keine Ratten – wir sind Menschen.» Ein anderer Bewohner des Bunkers erläutert: «Wir sind aus unseren Ländern geflohen und haben unsere Familien zurückgelassen, weil unser Leben bedroht ist. Wir müssen das Menschenrecht auf Asyl bekommen!»

Zur Demo aufgerufen haben verschiedene politische Organisationen und soziale Bewegungen, die sich unter dem Komitee «Fremdenhetze und Asylbusiness stoppen!» vereinigen. Nebst den katastrophalen Lebensbedingungen im Hochfeld kritisiert das Komitee die Privatisierung des Asylbereichs. Es fordert vom Kanton, die Leistungsverträge mit der ORS AG aufzukündigen und den Bunker sofort zu schliessen.

ORS AG und Politik in der Kritik

Die ORS setzt jährlich über 55 Millionen Franken um. Die Gewinne aus dem Asylbusiness fliessen direkt in die Taschen von privaten Investoren. Die Firma verstärkt damit den Trend zur Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Dienstleistungen. «Sie lebt davon, dass dem Markt überlassen wird, was unter demokratische Obhut gehört», schreiben die Organisatoren der Demo. Im Konkurrenzkampf um den Leistungsauftrag im Hochfeld verdrängte die ORS AG die Flüchtlingshilfe der Heilsarmee. Die ORS AG verspricht eine effizientere Zusammenarbeit mit dem Migrationsdienst und der Polizei und garantiert dem Kanton Bern die totale Loyalität gegenüber seiner xenophoben Asylpolitik. Mit diesem Profil setzt sich die ORS AG nicht nur im Kanton Bern durch. Überall geraten Asylorganisationen unter Druck, widerstandslos mit dem repressiven Behörden zu kollaborieren und sich aktiver an der Asylhetze zu beteiligen. Das Komitee unterstrich während der Demonstration jedoch ausdrücklich, dass sich die Kritik nicht ausschliesslich auf die Firma ORS Services AG beschränkt: «Ihre menschenverachtende Praxis ist die Konsequenz der Migrations- und Asylpolitik der Schweiz und des Kantons Bern».

Widerstand ist notwendig

Die beiden Mobilisierungen sind Ansätze des dringend nötigen Widerstands gegen Fremdenhetze und Asybusiness: Institutionelle Xenophobie, absurde Bussensysteme, profitorientierte Firmen oder Asylbunker haben in einer Asylpolitik, die diesen Namen verdient, nichts zu suchen. Es geht um Menschen und nicht um Waren, mit welchen auf dem Markt Profite generiert werden.

Der Evergreen «Lohnschere»

Die Einkommens- und Lohnschere öffnet sich seit den 1990ern in der Schweiz zusehends. Dies belegt eine aktuelle  Studie des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Um diese Entwicklung einordnen und über den blossen Befund hinausgehen zu können, muss man einen Blick auf die Entwicklungsgesetze des Kapitals werfen.

Eine Woche vor dem 1. Mai legte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) eine aktualisierte Version seines Verteilungsberichtes vor. Dieser zeigt, dass die Einkommensungleichheiten in der Schweiz «dramatische Ausmasse» angenommen haben. Im hohen Einkommenssektor hat eine Familie mit zwei Kindern 2010 am Jahresende real 15 000 Franken mehr zur freien Vergüng als zehn Jahre zuvor. Die selbe Familienkonstellation mit einem tiefen Einkommen hat bloss 1 300 Franken zusätzlich. Ein alleinstehender Normalverdiener hat 2010 sogar 1 300 Franken weniger zum Leben als noch 2000. Dies vor allem wegen den steigenden Krankenkassenprämien und Wohnungsmieten. Zwar haben in der Krise die höchsten Einkommen – etwa wegen ausbleibender oder gekürzter Boni – etwas eingebüsst, aber der allgemeine Trend ist damit keineswegs umgekehrt. Die Lohn- und Einkommensschere spreizt sich zusehends. Bei den höchsten Löhnen sei jedes Mass verloren gegangen, so SGB-Präsident Paul Rechsteiner. Schuld sei aber auch die Steuerpolitik: So entlaste etwa die Unternehmenssteuerreform II, die Steuereinbussen bis zu 7,5 Milliarden Franken nach sich zieht, vor allem AktionärInnen, die dies gar nicht nötig hätten. Der SGB resümiert im Bericht: «Die Einkommens- und Lohnschere ist seit den 1990er-Jahren eines der grössten wirtschaftspolitischen Probleme in der Schweiz».

Klassenkampf von oben

Die goldene Zeit des Kapitalismus, die vom Ende des Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 70er Jahre andauerte und den proletarischen Massen eine zunehmende Anteilnahme am gesellschaftlichen Reichtum in Aussicht stellte, ist längst passé. Auch sie war näher betrachtet für den grössten Teil der ArbeiterInnen nicht viel mehr als das Versprechen auf ein Leben harter Arbeit mit Kühlschrank, Abwaschmaschine und Kleinwagen. Doch selbst dieser nicht sonderlich verführerische Traum sollte sich in den 70er Jahren aufzulösen beginnen. Mit den sinkenden Profitraten des Kapitals kam dieses in Zugzwang und versuchte, die Raten über einen generalisierten Angriff auf die Arbeitskräfte zu sanieren. Der sogenannte neoliberale Angriff ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen und nicht etwa einfach eine böse Idee niederträchtiger PolitikerInnen. Der SGB-Bericht spricht davon, dass sich diese Politik der Umverteilung in England und den USA unter Thatcher und Reagan in den 80ern verschärfte, und dass das kontinentale Europa ab den 90er Jahren zunehmend betroffen war. Die strukturelle Krise des Kapitalismus hat also in seinem offenen Ausbrechen die obersten Einkommensklassen kurzfristig etwas nach unten korrigiert, aber sie ist auch die Ursache dafür, dass die unteren und mittleren Einkommen zunehmend unter Druck kamen und kommen. Nur in diesem Zusammenhang versteht man, wie sich die Zwänge der kapitalistischen Akkumulation vermittelt durch WirtschaftsführerInnen und PolitikerInnen durchsetzen und die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen angegriffen werden. Und nur so erkennt man auch, wie stark die Kämpfe von unten sein müssen, um diese Tendenzen abbremsen oder kurzfristig gar umkehren zu können.

Kapital und Lohn

Die Studie spricht auch davon, dass 2008 etwa 2,6 Prozent der Bevölkerung 50 Prozent des gesamten Vermögens besassen und die Schweiz damit eines der ungleichsten Länder weltweit ist. Es ist jene Minderheit, die die Einkommensschere ins schier unermessliche aufspreizt. Das Vermögen dieser Menschen ist zum allergrössten Teil deckungsgleich mit dem Geld, das im Wirtschaftsprozess angelegt ist. Ihr Geld ist Kapital und als solches wirft es Gewinn ab, ob nun als Rente, Zins oder industrieller Profit. Die normalen ArbeiterInnen dagegen verbrauchen in der Regel den grössten Teil ihres Geldes für den Lebensunterhalt. Sie müssen tagtäglich ihre Arbeitskraft wieder für einen Lohn verkaufen. Sie sind es aber, die den ganzen Reichtum schaffen, auch wenn das an der Oberfläche der Gesellschaft verschleiert ist. Es kann nicht darum gehen, mittlere und tiefe Löhne abzugleichen oder innerhalb der Arbeiterklasse eine Lohnschere zu bedauern. Zwar kann man die Managersaläre skandalisieren – auch wenn damit niemandem geholfen ist –, aber letztlich muss man den Widerspruch zwischen den ArbeiterInnen und dem Kapital auf die Tagesordnung der Kämpfe setzen.

Antworten und Botschaften

Es war ein kämpferischer und starker 1. Mai in Zürich. An der Demonstration nahmen rund 12 000 Personen teil. Ein voller Erfolg und der Beweis, dass der internationale Tag der Arbeit an seiner Aktualität nichts eingebüsst hat. 

Nach dem 1. Mai in Zürich sind alle zufrieden: Vom Revolutionären Bündnis über das 1.Mai-Komitee, von den Gewerkschaften, der JUSO und der SP bis hin zum Stadtrat und der Polizei. Für alle war es ein Erfolg, wie aus den verschiedenen Stellungsnahmen und Communiques zu entnehmen ist. Bei so viel Friede, Freude, Eierkuchen drängt sich schon fast die Frage auf, ob es tatsächlich ein guter 1. Mai war? Und die Frage ist nicht ironisch gemeint: Letztes Jahr kam es zu über 500 Verhaftungen, was die Polizei und die bürgerlichen Kreise – mit der SVP an der Spitze – als Erfolg werteten.

Nun,  ausser den 50 Verhaftungen, dem Polizeihubschrauber, der am Himmel seine Runden drehte und das «enorme Aufgebot von Stadt- und Kantonspolizei» (Zitat von Philipp Hotzenköcherle, Kommandant der Stadtpolizei Zürich im Tagesanzeiger vom 2. Mai), war es in der Tat ein wunderschöner und kämpferischer Tag der Arbeit. Selbst die bürgerlichen Medien mussten diese Tatsache zugeben und in ihrer Berichterstattung auf die politischen Inhalte des 1. Mai eingehen. Dies, nachdem sie in den vergangenen Jahren ihre Seiten mit Berichten über «Krawalle» und «Chaoten» füllten und so die mehr als berechtigten Forderungen der ArbeiterInnen links liegen lassen konnten.

Zwei Blöcke

An der Demonstration am Vormittag nahmen rund 12 000 Personen teil. Dieser Menschenstrom mit roten Fahnen und die Tausenden, die während dem dreitägigen internationalen Volksfest auf das Kasernenareal kamen, waren eine beeindruckende Antwort auf die neoliberalen Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen hier und weltweit.  Sie waren der Beweis, dass der 1. Mai alles andere als ein sinnloses Ritual von Ewiggestrigen ist. Er ist und bleibt der Kampftag für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung. Die kämpferische Demo und das Volksfest waren auch eine deutlich Botschaft an den Gewerkschaftsbund, insbesondere jedoch an die Führungscrew der Zürcher Unia, endlich mit dem Machtgeplänkel um den Hegemonieanspruch rund um den 1. Mai aufzuhören. Der Konflikt zwischen dem Gewerkschaftsbund und dem 1. Mai-Komitee führte dazu, dass für die Demo ein Abstand von 300 Metern zwischen dem Gewerkschaftsblock und dem 1. Mai-Komitee beschlossen wurde. Die Praxis auf der Strasse zeigte dann ein anderes Bild. Der geplante Abstand war «kaum oder überhaupt nicht zu sehen», wie verschiedene Augenzeugen dem «vorwärts» berichteten. Seltsame Beschlüsse sind dem Volk eben nur schwer zu vermitteln…

Widerstand gegen multinationale Unternehmen 

An der Schlusskundgebung war der Hauptredner des 1. Mai-Komitees Kamal Abbas, Koordinator der freien ägyptischen Gewerkschaftsbewegung. Abbas gehört zu den Schlüsselfiguren der Revolution in Ägypten. Er eröffnete seine emotionale Rede mit folgenden Worten: «Seit ich mich der ägyptischen Arbeiterbewegung angeschlossen habe, ist dies das erste Mal, dass ich den Tag der Arbeit ausserhalb Ägyptens feiere. Aber ich fühle mich hier nicht fremd, denn ich bin umgeben von Genossinnen und Genossen, Kolleginnen und Kollegen.» Abbas rief dazu auf, den «Widerstand gegen ein autoritäres und ausbeuterisches Herrschaftssystem und gegen multinationale Unternehmen, die auf dem Buckel der Arbeiterinnen und Arbeiter Milliardenprofite einheimsen, zu leisten.» Das Komitee unterstrich in der Medienmitteilung die eigene Überzeugung, dass «eine internationale Vernetzung im Kampf gegen die gierigen Konzerne nötig ist.»

Der Schriftstelle Pedro Lenz sprach alle Anwesenden an der Schlusskundgebung mit «Genossinnen und Genossen» an, sagte aber auch, dass «aus Genossen Konsumenten» geworden seien.  Mit seinem beeindruckenden Sprachwitz zeigte er auf, wie aus der «Eidgenossenschaft eine Eidkonsumentenschaft» geworden sei.

Für die Gewerkschaften sprach der SGB-Präsident und SP-Nationalrat Paul Rechsteiner: «Wir haben in der Schweiz jetzt zehn, fünfzehn Jahre der Ungleichheit hinter uns. Zehn, fünfzehn Jahre, in denen die hohen und höchsten Einkommen krass zugelegt haben, während die Mehrheit mit unteren und mittleren Einkommen stehen geblieben ist. Es reicht. Es langet!» Er unterstrich, dass diese Fehlentwicklung politisch verursacht sei. «Und sie kann auch politisch umgedreht werden: mit einer Lohnpolitik der Vernunft, mit starken Gesamtarbeitsverträgen und mit Mindestlöhnen, die ein Leben in Würde ermöglichen.»

Gegen die Angriffe von oben

Laut Medienmitteilung des «Revolutionären Bündnis» reihten sich am Vormittag «über 2000 Menschen in den revolutionären Teil der Demo» ein. Es gab Reden zu Arbeitskämpfen, politischen Gefangenen, Repression und rechter Propaganda. Ein Genosse aus Athen berichtete über die Kämpfe in Griechenland. Weiter schreibt das Bündnis: «Im revolutionären Block brachten viele Leute lautstark zum Ausdruck, dass sie die derzeitigen Angriffe auf ihre Lebensverhältnisse nicht hinnehmen wollen, und dass für sie der Kapitalismus und das Elend, das er produziert, nur mit einer revolutionären Politik überwunden werden kann.»  Ab dem Mittag trafen sich etwa 300 Leute zum revolutionären Treff auf dem Kanzleiareal unter der Parole «Gegen die Angriffe von oben – weltweit kämpfen». Dieses Jahr war das Bündnis bereits am Wochenende vor dem 1. Mai mit einem Politprogramm auf dem Kanzleiareal präsent. Dazu gehörte auch eine Platzbesetzung mit Musik am Samstagabend.


Wenn sich ArbeiterInnen nicht einschüchtern lassen

Seit Mitte Juli 2011 stehen täglich 80 ArbeiterInnen der Jabil – einem Produktionsunternehmen von elektrotechnischen Teilen für die Telekommunikation – vor den Werktoren im mailändischen Cassina de› Pecchi und bewachen die Fabrik. Sie kämpfen gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze.

Jabil lässt nicht locker: Frühmorgens des 13. April 2012 fahren einige Lastwagen vor das Werk in Cassina de› Pecchi. Der Befehl lautet: Werkzeuge und Maschinen, die sich im Betrieb befinden, abtransportieren. Es handelt sich um eine weitere Provokation. Wieder einmal denkt das Unternehmen nach Belieben das tun und lassen zu können, was es will. Die ArbeiterInnen besetzen nun aber das Werk seit Monaten und fordern die Wiederaufnahme der Produktion. Die Aktion von Jabil schüchtert die ArbeiterInnen nicht ein: Was sich innerhalb der Fabrik befindet, wird nicht rauskommen.

 

Die Entschlossenheit der 

ArbeiterInnen

Die Auseinandersetzung des 13. April 2012 war nur das jüngste Ereignis eines seit Monaten andauernden Kampfes. Mitte Juli 2011 entschied das Unternehmen die Einführung einer 100 Prozent Kurzarbeit für die 320 ArbeiterInnen (sogenannte cassa integrazione). In den darauffolgenden Wochen wollte das Unternehmen definitiv entscheiden, was mit der Produktion in der Peripherie Mailands geschehen soll. Die Rede war von einer Auslagerung der Produktion nach Ungarn, wo Jabil zwei weitere Produktionsstätten besitzt. Seit dem ersten Tag bewacht ein kämpferischer Kern der Belegschaft die Werkstore und verhindert somit die Wegführung von Maschinen und Material.

Am 12. Dezember 2012, nachdem sie nun fünf Monate in Kurzarbeit waren, erhielten sie ein Telegramm, das Werk schliesse definitiv und die 320 ArbeiterInnen würden unmittelbar ihre Arbeit verlieren. Als die Nachricht den ersten Arbeiter erreichte, wurde schnell Alarm geschlagen. Die ArbeiterInnen zögerten nicht, die vom Unternehmen zugeketteten Tore aufzubrechen und in die Fabrik einzudringen. Die Fabrik war jetzt nicht nur bewacht, sondern auch besetzt.

«Solange das Unternehmen die Kündigungen nicht zurückzieht, bleiben wir hier, in unserer Fabrik. Denn die Fabrik gehört uns, nicht dem Unternehmen. Und wir sind nicht wenige, so wie das Unternehmen vermutet.» So berichteten ArbeiterInnen am Tag der Besetzung. «Wir rufen all diejenigen auf, die gegen Fabrikschliessungen sind, einen langen Kampf zu unterstützen hier bei uns bei der Jabil. Wir rufen dazu auf, dass es ein symbolischer Kampf wird gegen alle Angriffe auf die Lohnabhängigen, auch von der neuen Regierung aus! Und wir werden ab heute öffentliche Versammlungen abhalten, um die Zukunft mit allen zu diskutieren, und auch darüber, ob wir nicht alleine die Produktion wieder aufnehmen sollen.»

Sie nahmen dann genau einen Monat nach der Besetzung, am 12. Januar 2012, die Produktion wieder auf. Diese beschränkt sich jedoch auf eine symbolische Aktion von täglich drei Stunden, denn für eine tatsächliche, eigenmächtige Produktion wurde noch keine Vereinbarung gefunden mit den Abnehmerunternehmen.

Nicht ohne Schwierigkeiten

Die Stärke dieses sozialen Kampfes liegt sicherlich in der Entschlossenheit des kämpferischen Kerns der Belegschaft. Er orientiert sich zudem an den Erfahrungen, die drei Jahre vorher bei der nahe gelegenen INNSE gemacht wurden, als die Besetzung des Betriebes den Erhalt der Arbeitsplätze garantieren konnte.

Doch hinter der Massenentlassung von Jabil steht auch das Interesse eines weiteren Grosskonzerns, nämlich von Nokia Siemens Networks. Ihm gehört der Boden, auf dem die Fabrik liegt. Es kristallisiert sich also heraus, dass nicht nur die unmittelbar betroffenen ArbeiterInnen ein Interesse daran haben, die Produktion weiterzuführen, sondern die ganze lohnabhängige Klasse. Denn Immobilienspekulation haben zum Ziel, Lebens- und Wohnkosten zu erhöhen und das Leben noch unerträglicher zu machen. Der Ruf «Hände weg von der Jabil» wird somit noch lange ein gemeinsamer Moment aller Kämpfenden rund um Mailand sein.

Unerwünschter Besuch an der Uni ZH!

Für den 7. Mai hat das Schweizerische Institut für Auslandsforschung (SIAF) die Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, zu einem Vortrag an die Universität Zürich eingeladen. Das Bündnis «Uni von unten» ruft zu Protesten gegen den Besuch von Christine Lagarde an der Universität Zürich auf.

Es ist nicht das erste Mal, dass der neoliberale Think Tank SIAF für seine Gäste in Kritik gerät. Vor gut zwei Jahren konnten aktive StudentiInnen dafür sorgen, dass der Vortrag von Novartis-CEO Daniel Vasella an der Uni abgesagt werden musste und Redner wie Nestlé CEO Peter Brabeck oder der amerikanische Kriegsbefürworter Robert Kagan nur unter grossem Protest sprechen konnten. Auch für den 7. Mai haben sich erste Proteste angekündigt. So ruft das Bündnis Uni von unten auf ihrer Website an diesem Tag zu einer Kundgebung beim Haupteingang der Universität auf.

 

Verheerende Folgen

Christine Lagarde ist seit dem Rücktritt von Dominic Strauss Kahn im letzten Jahr die Vorsitzende des IWF. Doch auch unter ihrer Führung hat sich nichts zum Positiven geändert. Noch immer tritt der Währungsfonds im Interesse des Kapitals auf und noch immer leiden unzählige Menschen darunter. Aktuelles Beispiel ist Griechenland. Aufgrund der vom IWF geforderten Sparmassnahmen werden Löhne gekürzt, im Gesundheitswesen gespart und über 1 000 Schulen geschlossen. Die Folgen für die Menschen vor Ort sind bekannt.Doch während überall im Staatsetat gespart wird, bleibt das Militärbudget auch unter dem wachenden Auge des IWF konstant hoch. Kein Wunder, denn damit profitiert die Rüstungsindustrie Deutschlands, welche mit Griechenland einen teuren Rüstungsvertrag abgeschlossen hat. Dass einer solchen Institution an der Universität ein Podium geboten werden soll, ist skandalös. Der IWF negiert seit Jahren die verheerenden Folgen  seiner Eingriffe und tut weiter so, als tätige er seine Eingriffe im Interesse der Menschen. Doch für die Betroffenen vor Ort zeigt sich ein ganz anderes Bild. Was würde wohl geschehen, wenn Christine Lagarde einen öffentlichen Vortrag an einer Athener Universität halten würde?

 

Gegen die Ökonomisierung der Uni

Dass das SIAF gerade die Uni auserkoren hat, um ihre neoliberale Hegemonie weiter auszudehnen, ist angesichts der Entwicklung der Universitäten nicht verwunderlich. Die schleichende Ökonomisierung zeigt sich unter anderem darin, dass immer mehr Unternehmen versuchen, an der Universität Fuss zu fassen. Es geht ihnen dabei nicht etwa um die Privatisierung, sondern viel mehr darum ihr Image aufzubessern, ihre Legitimation zu stärken und um die besten Abgänger buhlen zu können. So finanzierte der Pharmakonzern Syngenta unlängst eine Professorenstelle an der ETH, die im Bereich «nachhaltige Agrarökosystem» forschen und lehren soll.  Und neoliberale Think Tanks, wie das SIAF, versuchen mit Redner und Forschungsgelder aus der Privatwirtschaft, die Definitionsmacht darüber zu festigen, wie die Welt analysiert und bewertet werden muss. Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden. Gerade um zu zeigen, dass sich die Universität Zürich solidarisch mit den griechischen Universitäten in ihrem Kampf gegen die Ökonomisierung der Bildung, Sparmassnahmen und den Bildungsabbau zeigt, wäre es wünschenswert, wenn sie bei Gästen, wie Christine Lagarde, ein Machtwort sprechen und dem SIAF keinen Raum zur Verfügung stellen würde.

Nestlé: Angeklagt wegen Mord

In Kolumbien wird der Gewerkschafter Luciano Romera von Paramilitärs ermordet. Der Nestlé-Konzern rückte ihn in die Nähe der Guerilla und sprach damit sein Todesurteil aus. Nun steht Nestlé vor Gericht.

Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen  Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er durch zahlreiche  Messerstiche starb. Wenige Tage nach seinem Tod sollte der langjährige Nestlé-Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über den Nestlé-Konzern aussagen. Romero wäre einer von über dreitausend kolumbianischen Gewerkschaftern, die  in den letzten Jahren von Paramilitärs getötet worden sind. Doch sein Fall hat heute schon Rechtsgeschichte geschrieben. Die  Juristenvereinigung «European Center for Constitutional and Human Rights» (ECCHR) hat kürzlich gemeinsam mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitglied Romero war,  bei der Schweizer Justiz Anzeige gegen Verantwortliche des  Nestlé-Konzerns eingereicht. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod des Gewerkschafters «durch pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht» zu haben. «Der Mord geschah im Kontext eines bewaffneten Konflikts, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung, vor allem durch Paramilitärs und staatliche Stellen ausgesetzt sind», heisst es in der Begründung der Anzeige. So sei Romero vor seinem Tod von Nestlé-Verantwortlichen fälschlich in die Nähe der kolumbianischen Guerilla gerückt worden. Ein solcher Verdacht sei unter den damaligen Verhältnissen in Kolumbien fast ein Todesurteil gewesen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte der Sinaltrainal-Anwalt Leonardo James, dass ein kolumbianischer Richter in dem Prozess gegen zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes auf die Verantwortung von Nestlé hingewiesen habe. Der Jurist sei  danach ebenfalls von den Paramilitärs bedroht worden und habe das Land verlassen müssen.

Juristisches Neuland

Der Sinaltrainal-Vertreter Carlos Olava zitierte bei dem Pressegespräch den Ausspruch eines Paramilitärs, der bekräftigte, die Gewerkschafter seien systematisch getötet worden, weil sie der Wirtschaft gefährlich werden könnten. Tatsächlich habe die Ermordung von Romero und anderen Gewerkschaftern einen schweren Rückschlag bei den Organisierungsbemühungen zur Folge gehabt. Die Menschen hätten danach Angst gehabt, sich überhaupt noch zu organisieren. Olava sieht auch keinen Widerspruch darin, den juristischen Weg zu gehen und trotzdem für eine kämpferische Interessenvertretung einzutreten.

Der Berliner Rechtsanwalt und ECCHR-Vertreter Wolfgang Kaleck betonte, dass mit der Anzeige juristisches Neuland betreten werde. Es gehe aber nicht um ein Medienspektakel. Neben der Aufklärung der Wahrheit über die Ermordung des Gewerkschafters soll auch die Verantwortung von Konzernen thematisiert werden. Hier könnte die Klage eine Türöffnerfunktion bekommen, hofft Kaleck, «Unternehmen wie Nestlé wissen, in welchen Gefahren ihre Arbeiter schweben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren und ihre Rechte als Arbeiter verteidigen. Wenn sie solche Verbrechen hinnehmen, werden sie zu schweigenden Komplizen», heisst es in einer der Pressemappe beigelegten Stellungnahme. Mittlerweile hat Nestel in einer Pressemitteilung erklärt, dass der Konzern immer gegen Gewalt eingetreten sei, lehne aber jede Verantwortung für den Tod Romeros ab.

Zähmung des Kapitalismus durch das Recht?

Die Initiative ist schon deshalb lobenswert, weil den Angehörigen und Freunden Luciano Romeros bisher die juristische Aufarbeitung seiner Ermordung verweigert wurde. Doch bei vielen der Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Bestrafung des Nestlé-Konzerns einsetzen, schwingt unverkennbar die Hoffnung mit, den Kapitalismus mit den Mitteln des Rechts zivilisieren zu können. An diesem Punkt sollte vor falschen Hoffnungen gewarnt werden. Recht wird unter kapitalistischen Verhältnissen immer in erster Linie für die reibungslose Profitmaximierung sorgen. Trotzdem sollen sich auch linke und klassenkämpferische Organisationen juristischer Mittel bedienen, ohne zu vergessen, dass die entscheidenden Schlachten nicht im Gerichtssaal ausgefochten werden. Diese Zusammenhänge stellte die proletarische Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe immer in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Damals sollten juristische Mittel den Klassenkampf unterstützen, nicht aber den Kapitalismus zivilisieren. Auf der Pressekonferenz zur Nestlé-Klage fiel hingegen kein klassenkämpferisches Wort. Einige der eingeladenen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen stellten den europäischen Kapitalismus als grosses Vorbild hin, dem sie nacheifern wollten. Am Ende wurde noch die absurde These geäussert, in Deutschland wäre Luciano Romero schon längst Träger des Bundesverdienstkreuzes. Solche falschen Eingemeindungen hat der ermordete Gewerkschafter nun wirklich nicht verdient.

Ein hoher, zu hoher Preis bezahlt

Die Welt steckt in einer Krise und alle sozialen Organisationen mit ihr. Die Gewerkschaftsbewegung stellt dabei keine Ausnahme dar. Befindet sich der Syndikalismus nun in einer Krise aufgrund der Tatsache, dass sich der Kapitalismus selbst in einer Krise befindet, auf welche die Gewerkschaften keine Antworten geben können? Was ist zu tun?

Die gewerkschaftlichen Organisationen, die politischen Organisationen und die Kooperativen riefen  1864 die Erste Internationale ins Leben. Diese war unterteilt in AnarchistInnen und die sozialistischen, revolutionären SozialdemokratInnen (MarxistInnen). Letztere gründeten 1889 die Zweite Internationale, die eine Spaltung zwischen den SozialdemokratInnen (Sozialistische Internationale) und den sozialistischen, revolutionären, pazifistischen Kommunist-Innen (Dritte Internationale 1919) zur Folge hatte.  Zu diesen beiden Strömungen kommt die Libertäre hinzu. Auch um den aktuellen Kontext zu verstehen, ist es unerlässlich, einen kurzen Überblick über die Strömungen zu haben, die die Gewerkschaftsbewegung beeinflussten.

Die Libertären

Für sie ist der Staat nichts anderes als ein Apparat der Herrschaft und Unterdrückung. Daher ist seine Abschaffung die Voraussetzung für die Emanzipation der ArbeiterInnen. Der freie Zusammenschluss von Kollektiven ist der Ersatz für den Staat. Sie fassen die Abschaffung des Privateigentums zu Gunsten des sozialen, kollektiven Besitzes (nicht staatlich) der Produktionsmittel und des Tausches ins Auge. Die Lohnarbeit repräsentiert die Abhängigkeit der ArbeiterInnen gegenüber dem Kapitalisten und der Lohn bezahlt nicht die Arbeit, sondern die verbrachte Zeit unter der direkten Kontrolle des Arbeitgebers. Die Libertären postulieren die Abschaffung der Lohnarbeit sowie den Anspruch für jede und jeden auf einen gleichen Anteil am sozialen Einkommen (Mindesteinkommen und Bedingungsloses Grundeinkommen). In dem Masse, indem die Mittel mit den Prinzipien der Bewegung und des libertären Projekts vereinbar sind, sind alle Mittel erlaubt, sogar die gesetzlichen. Voraussetzung bleibt jedoch der Anspruch auf Kohärenz. Die AnarchistInnen bevorzugen die Organisierung in Netzwerken, die aus autonomen Gruppen bestehen, und ohne politische Richtung, jedoch mit WortführerInnen. Diese Organisationsform ist sowohl im politischen Feld als auch im gewerkschaftlichen Feld massgebend.

Die Sozialdemokraten

Für sie ist der Staat ein Apparat der Regulierung und der Organisierung der Gesellschaft. Dieser Apparat muss von der sozialistischen und der gewerkschaftlichen Bewegung genutzt werden, um eine soziale und kulturelle Wirtschaftspolitik zu führen. Diese soll in erster Linie im Interesse der Benachteiligten, aber daneben, der gesamten Bevölkerung, liegen. Sie wollen die öffentliche Kontrolle über die Produktionsmittel und den Tausch. Das Privateigentum, das vererbt wird, bleibt bestehen und es gibt eine Vermischung des Wirtschaftssystems (privater Sektor, öffentlicher Sektor). Die SozialdemokratInnen setzen sich für einen stetigen Anstieg des Lohnes und eine Verringerung der Lohnschere ein. Sie bestehen auf die Gesetzlichkeit ihrer Mittel, sind jedoch bereit, durch Gesetzesänderungen neue Mittel zu geben. Ausserhalb des Rechts und des Rechtsstaates, sprich innerhalb eines bestehenden demokratischen Staates,sind die SozialdemokratInnen völlig hilflos. Unter einer Diktatur sind sie gute Dissidenten, aber schlechte Widerstandskämpfer. Die SozialdemokratInnen haben eine Organisation, die völlig auf den demokratischen Staat ausgerichtet ist.

Die Marxisten-Leninisten

Für sie ist der Staat ein Instrument, durch das eine Klasse eine andere beherrscht. Im Kapitalismus ist er das Instrument der Diktatur der Bourgoisie. Die revolutionäre Bewegung, angeleitet von der Partei, muss den Staat in ihre Gewalt bringen und ihn völlig in Beschlag nehmen. Sie streben die Abschaffung des Privateigentums an. Die Produktionsmittel sollen an den Staat übergehen. Die KommunistInnen teilen theoretisch das Postulat gegen die Lohnarbeit der Libertären. Sie teilen auch die sozialdemokratische Forderung eines stetigen Anstiegs der Löhne und einer Verringerung der Lohnungleichheiten, aber über den Rechtsweg und nicht über Vereinbarungen. Was die Aktionsmittel betrifft, ist das was zählt, die Effizienz. Die Marxisten-Leninisten gehen davon aus, dass die Mittel, welche die revolutionäre Bewegung benutzt, niemals nur diejenigen sein können, welche der Kapitalismus verwendet. Es ist der Kapitalismus selbst, der seine GegnerInnen zwingt, radikale aber historisch nötige Methoden anzuwenden.

Den kapitalistischen Staat bestärkt

Die sozialistische und gewerkschaftliche Bewegung hat ihre Ursprünge vor langer Zeit. Er liegt so weit zurück, dass die Bewegung vergessen hat, woher sie gekommen ist. In der politischen Landschaft des Westens stützte sie sich auf einer kohärenten, sozialen Basis (der Arbeiterklasse) und einem alternativen sozialpolitischen Projekt. Das heisst einem Projekt, das eine fundamentale Veränderung der politischen und sozialen Realität zum Ziel hat und sich durch ein konflikthaltiges Verhältnis zu den politischen Institutionen auszeichne. Das heisst konkret, um die Staatsgewalt zu erobern oder zu brechen, auf alle Fälle ihr konsequent die Stirn zu bieten. Diese tragenden Elemente der sozialistischen und gewerkschaftlichen Bewegung sind ihr in der Schweiz und im restlichen Europa abhanden gekommen. Die soziale Basis hat sich aufgelöst in ein konsumgeiles, paranoides Kleinbürgerturm (Mittelklasse). Die am meisten benachteiligten ArbeiterInnen sind ausserhalb der Bewegung, das politische Projekt ist zerfallen. Die Strategie der gesellschaftlichen Veränderung hat sich reduziert auf die Partizipation in politischen und sozialen Institutionen. Die sozialistische und gewerkschaftliche Bewegung verstand sich ursprünglich als politischer Ausdruck der Arbeiterklasse gegen den Staat, gegen das Privateigentum und gegen die Lohnarbeit. In den letzten 150 Jahren hat sie den Staat jedoch gestärkt, das Privateigentum verbreitet, die Lohnarbeit verallgemeinert und die Arbeiterklasse, nicht aber das Proletariat, aufgelöst. Der Sozialismus und der Syndikalismus haben ihre Klasse so grundlegend verändert, dass sie diese einschränken und sich auf ihr abstützen. Ihre soziale Basis wurde geschwächt durch etwas, das auf eine Art als Lösegeld für den historischen Erfolg der Bewegung betrachtet werden kann: Die Verbesserung der Lebens- und Abeitsbedingungen der ArbeiterInnen wurde mit der Auflösung der Arbeiterklasse als Klasse an sich bezahlt. Durch die Eingliederung der sozialistischen Bewegung in die politischen Institutionen wurde diese Entwicklung noch verstärkt. Geboren von der Arbeiterklasse hat sie ihre öffentliche Funktion, die gegen den Staat gerichtet war, aufgegeben und sich im Staat selber eingerichtet.

Die Beteiligung der Linken an der Staatsgewalt in Westeuropa setzt eine Beteiligung auf allen Ebenen des politischen Entscheidungsprozesses und in allen Instanzen des Staatsapparats voraus. Mehr noch als blosse Beteiligung fügen sich die Partei und die Gewerkschaften in die Machtstrukturen ein. Es handelt sich um eine Integration der dominanten politischen Kultur und deren Verhaltensvorstellungen über die Arbeiterklasse. Sich mit dem Staat identifizierend, verwechseln sie die Veränderung der Gesellschaft mit dem Austausch der Personen in der Regierung. Sie haben das sozialistische Projekt auf den Etatismus reduziert. Die sozialistische und gewerkschaftliche Bewegung ist nicht mehr als eine revolutionäre Kraft in Erscheinung getreten, sondern als eine konservative Kraft. Sie hat die politischen und sozialen Institutionen, die sie verändern wollten, gestärkt. Es ist ihnen dabei nicht einmal gelungen, das Wiedererscheinen einer Massenarmut zu verhindern. Sie haben es nicht geschafft, dem Erstarken von rassistischen und faschistischen Verhaltensweisen und politischen Diskussionen etwas entgegen zu setzen. Oder etwas freundlicher ausgedrückt: Es fehlt die Rückkehr zum Ursprung und die Suche nach einer verlorenen Identität.

Das militante Engagement der Basis

Trotz des sichtlichen Zerfalls haben die Gewerkschaften heute noch notwendige Funktionen, die, so scheint es, keine andere Institution an ihrer Stelle wahrnimmt. Zu diesen Funktionen gehören mindestens die folgenden drei. Erstens die demokratische: Allen die, die arbeiten oder arbeiten wollen, eine Stimme in ihrem Arbeitsleben zu geben. Zweitens die wirtschaftliche: Zu einer gleichen Verteilung der Früchte des Wachstums beizutragen. Und drittens die soziale: Sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen, indem gegen den Ausschluss, die Gewalt, das soziale Chaos und die Armut gekämpft wird.

Um dies zu erreichen, müssen sich die Gewerkschaften auf die direkte Organisation der ArbeiterInnen stützen und nicht auf ihre Präsenz in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen. Sie sollten auf der Einheit der ArbeiterInnen und deren Organisierung basieren. Dies in einer gemeinsamen Bewegung, welche die Trennungen zwischen Berufen, wirtschaftlichen Sektoren, Qualifizierungen und  Nationalitäten überwindet und nicht auf einem Mosaik von spezifischen Organisationen, die unter einem gemeinsamen Kürzel mehr oder weniger verbündet sind. Sie müssten auf die Organisierung der am stärksten ausgebeuteten und prekarisierten ArbeiterInnen gestützt sein und nicht in erster Linie wie heute auf die Organisierung der am besten geschützten ArbeiterInnen. Das Fundament der Gewerkschaften muss die Bereitschaft sein, kollektive Rechte für die ArbeiterInnen zu erkämpfen und nicht die Verhandlungen dieser Rechte, die nicht verhandelbar sind. Sie müssen auf der Überzeugung gründen, dem Staat die Stirn zu bieten und nicht das Friedensabkommen als Ausgangsbasis betrachten. Und schliesslich sollten die Gewerkschaften auf dem militanten Engagement ihrer Mitglieder und nicht auf dem professionellen Engagement ihrer Funktionäre aufgebaut sein.

Officina Bellinzona: Fest zum Jahrestag des Sieges von 2008

Officina Bellinzona: Fest zum Jahrestag des Sieges von 2008

Zum vierten Mal feierte kürzlich das «Volk der Officina» in der legendären «Pittureria» den Sieg von 2008.
Die klare Botschaft des Streikkomitees: Wir sind immer noch da und wir werden uns wenn nötig zu wehren wissen.

Die aufgereihten orangen Arbeitshosen, das Symbol des Streiks von 2008, hängen noch immer an der Wand der «Pittureria», der Karosseriemalerei der Officina von Bellinzona. Die Spruchbänder, die damals die gegenüberliegende Wand zierten, sind inzwischen entfernt worden. Die scheinbar bedeutungslosen, äusserlichen Merkmale charakterisieren treffend das weiterhin andauernde Seilziehen zwischen der Belegschaft und ihrem Streikkomitee auf der einen Seite und dem SBB-Management auf der andern, dessen erklärtes Ziel darin besteht, «die Normalität» wiederherzustellen, was im Klartext die uneingeschränkte Verfügungsgewalt des Kapitals über die Arbeit bedeutet. So soll beispielsweise künftig nicht mehr das von den Arbeitern gewählte Streikkomitee mit der SBB verhandeln, sondern – wie vor dem Streik – einzig die vertragsunterzeichnenden Gewerkschaften SEV und Transfair.

Erst allmählich füllen sich an diesem Samstagnachmittag, 14. April 2012, die Reihen der Sitzbänke und Holztische, die genau gleich dastehen wie im März 2008, als die «Pittureria» zum Symbol des Arbeiterwiderstandes gegen die Pläne des Kapitals wurde. Es sind Arbeiter der Officina mit ihren Familien, UnterstützerInnen, alte und junge, hauptsächlich aus dem Tessin, vereinzelt auch aus den andern Landesteilen, alles in allem etwa zweihundert an der Zahl, die gekommen sind und sich noch immer mit diesem Kampf verbunden fühlen, der am 7. März 2008 wie ein Blitz aus heiterem Himmel die offizielle Schweiz, Regierung und Parteien aller Schattierungen, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gleichermassen aufschreckte.

30 Jahre Umstrukturierungen…

In seinem Referat zur aktuellen Entwicklung streift Gianni Frizzo nochmals die Geschichte der Officina in den letzten dreissig Jahren. Sorgfältig wählt er die Worte aus, will nicht unnötig polemisieren und provozieren. Wer aufmerksam zuhört, bekommt dennoch ein Bild, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Was er erzählt, ist die Geschichte eines stetigen Niedergangs, die Geschichte von Umstrukturierungen und unternehmerischen Fehlentscheiden, von Verbesserungen, die sich regelmässig als Verschlechterungen entpuppten, von falschen Hoffnungen und nicht eingehaltenen Versprechungen. Es ist die Geschichte einer ganzen Generation von Wirtschaftsführern, deren unternehmerische Visionen sich darauf beschränken, mittels Stellenabbau und Arbeitsverdichtung Kosten zu sparen. Die Schliessung der SBB-Werkstätte in Biasca beispielsweise wurde der Belegschaft in Bellinzona mit dem Argument schmackhaft gemacht, dass dadurch dort zusätzliche Arbeitsplätze im Güterwagenunterhalt geschaffen würden. Wenige Jahre später hätte der Unterhalt der Güterwagen privatisiert und jener der Lokomotiven nach Yverdon verlagert werden sollen. Nur durch den entschlossenen Widerstand der Belegschaft und der ganzen Tessiner Bevölkerung wurde das Vorhaben rechtzeitig gestoppt.

… als Beispiel für den Abbau des Service public

Was Gianni Frizzo erzählt, steht stellvertretend für den Niedergang eines Service public, der keiner mehr ist, weil sein Zweck nicht mehr darin besteht, Leistungen im Dienste der Bevölkerung zu erbringen, sondern einen Gewinn für die Besitzer der teilweise oder ganz privatisierten Unternehmungen zu erzielen. Für den Niedergang eines gescheiterten Wirtschaftssystems, das mit der inzwischen erreichten Produktivität eine immer grössere Menge an unverkäuflichen Waren produziert, deren Gebrauchswert gleichzeitig immer geringer wird. Eines Systems, das sich nur noch am Leben erhalten kann, indem es nicht nur den geschaffenen Reichtum fortwährend zerstört, sondern auch das Leben der Menschen, die keine andere Wahl haben, als innerhalb der ihnen aufgezwungenen Bedingungen zu arbeiten.

Später im Gespräch macht Gianni Frizzo klar, es sei beim Streik von 2008 nicht nur darum gegangen, die über 400 Arbeitsplätze zu erhalten, als vielmehr das heutige System grundsätzlich in Frage zu stellen. Formell gehöre die Officina der SBB, in Wirklichkeit aber der Tessiner Bevölkerung. Es seien ihre Väter und Vorväter, die bereits dort gearbeitet und sie aufgebaut haben. Ebenso komme deren Tätigkeit – der Unterhalt der Lokomotiven und Eisenbahnwagen – allen zugute. Starre und schwerfällige Befehlsstrukturen stünden jedoch einem wirtschaftlich sinnvollen Betrieb im Wege. Die Hierarchie müsse viel flacher werden, sonst würden die dazwischen geschalteten Stufen weiterhin wie ein Filter wirken, an dem wichtige Informationen hängen bleiben.

Noch einmal erklärt Gianni Frizzo, was er bereits am Schluss seines Referates an die Adresse der SBB-Spitze unmissverständlich geäussert hat: «Wir sind nach wie vor offen für einen paritätischen Dialog. Wenn man uns aber diese Möglichkeit nimmt, indem man uns den Zugang zu den Zahlen verweigert und uns vor vollendete Tatsachen stellt, dann sind wir gezwungen, zu den Aktionsformen von 2008 zurückzukehren.» Und was mit «Aktionsformen von 2008» gemeint ist, braucht nicht näher erläutert zu werden. Das haben alle noch in guter Erinnerung.

Kämpfe in der Krise

Mit dem Schwerpunkt «Gewerkschaften – Arbeitskämpfe – Widerstand» versucht der vorwärts, die aktuellen Klassenauseinandersetzungen in der Schweiz und anderswo zu beleuchten. Man muss die stattfindenden Kämpfe in ihrem globalen Rahmen betrachten und die Entwicklung der Krise mitdenken. Nur so kann man verstehen, was ihre Perspektive aber auch ihre Beschränkungen sind.

«Auf lange Sicht sind wir alle tot», kommentierte John Maynard Keynes die Erkenntnis, dass sich der Markt höchstens auf lange Sicht selber regulieren würde. Wie recht er mit diesem lakonischen Kommentar haben sollte, erschliesst sich einem erst, wenn man die Konsequenzen der Krisen zu Ende denkt und eben nicht wie Keynes von einer staatlichen Regulierung tagträumt. Die tiefgreifende Krise, mit der wir seit einigen Jahren konfrontiert sind, kann nur dann zeitweilig überwunden werden, wenn riesige aufgeblähte Kapitalwerte vernichtet werden, grosse Unternehmen bankrott gehen und das allgemeine Lohnniveau abgesenkt wird. Einen Vorgeschmack darauf, was das für die ArbeiterInnen bedeuten würde, gibt etwa die Verdoppelung der Selbstmordrate in Griechenland oder die Explosion der Zahl der von Lebensmittelmarken Abhängigen in den USA. In Angst vor den sozialen Konsequenzen eines solchen Kapital-Vernichtungs-Prozesses versuchen die metropolitanen Staaten mit immensen Rettungsschirmen der Krise Herr zu werden. Allerdings mit dem ernüchternden Resultat, dass die Wirtschaft sich nicht nachhaltig erholt, aber die Staatschulden ins Astronomische anwachsen.

Je nach Tageslage beschwören KommentatorInnen das Ende der Krise oder warnen aber vor falschen politischen Schritten. Täglich muss mit neuen Einbrüchen gerechnet werden. Der Schuldenschnitt Griechenlands etwa lässt Gläubiger zurück, die bloss noch die Hälfte des Werts ihrer Staatspapiere in Händen halten. PolitikerInnen sind bemüht, diesen Schritt als absoluten Ausnahmefall zu verkaufen, weil sonst die ohnehin wackeligen Staatspapiere der PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) ins Bodenlose stürzen würden.

Schwäche des Kapitals?

In der Schweiz verdrängt man erfolgreich, wie kurz man während der milliardenschweren UBS-Rettung vor einer Katastrophe stand. Und man beschönigt etwa einen kurzfristigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen um 0,2 Prozent, ohne dem die zunehmende Kurzarbeit gegenüberzustellen. Zudem spricht das Rekordniveau von 1739 Firmenkonkursen im ersten Quartal 2012 eine deutliche Sprache. Die Schweiz steht mit einer Staatsschuld von etwa 33 Prozent des Bruttoinlandproduktes zwar noch verhältnismässig gut da und hat entsprechend noch einiges an Pulver zu verschiessen. Doch vor den genannten Fakten und der Tatsache, dass die Schweiz eben keine autarke Insel ist, erscheint das mediale Hochjubeln der wachsenden Schweizer Wirtschaft vor allem als Selbstvergewisserung, dass man schon irgendwie heil durch die Krise komme.

Man darf nun nicht den Fehler machen, die Verwertungsprobleme des Kapitals für seine Schwäche im Kampf mit den ArbeiterInnen zu halten. Genau in dem Moment, in dem die Nachfrage nach Arbeitskräften fällt, wird ihr Angebot durch Entlassungen vergrössert. Darum schwächen Krisen die Kampfkraft der ArbeiterInnen, die sich zudem häufig mit den Grenzen der Möglichkeiten des Kapitals für Zugeständnisse konfrontiert sehen.

Kämpfe am Abgrund

Vor diesem Hintergrund muss man die vergangenen Kämpfe in der Schweiz einschätzen. Aus Platzgründen kann hier nur ein Aspekt der Kämpfe der letzten Jahre beleuchtet werden: Der Kampf gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen, wie wir sie in Zukunft wohl vermehrt beobachten werden. Als wegweisendes Beispiel steht der erfolgreiche Kampf der ArbeiterInnen des Cargo-Werkes in Bellinzona. Auch hier wusste man nicht im vornherein, ob die SBB es sich überhaupt leisten konnte, die defizitäre Werkstätte aufrechtzuerhalten. Doch mit einem entschlossenen und von der Belegschaft selber geleiteten Kampf konnten die ArbeiterInnen ihre Forderungen durchsetzen. Allerdings muss mitbedacht werden, dass die SBB als Staatsunternehmen grössere Spielräume hatte, als sie in der Privatwirtschaft üblich sind. Auch der Erfolg der Proteste bei Novartis in Nyon dürfte sich nicht unwesentlich daraus ergeben haben, dass der Staat Novartis massive Steuererleichterungen versprach.

Weit weniger rosig waren die Resultate der Proteste, die sich gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen etwa bei der Kartonfabrik in Deisswil, der Papierfabrik in Biberist oder bei der Swissmetal in Dornach richteten. Hier legten die ArbeiterInnen – von wenigen selbstermächtigten Momenten abgesehen – ihre Geschicke in die Hände der Gewerkschaften und standen am Ende mit einem halbgaren Sozialplan da. Es ist eine wichtige Frage, ob diese Kämpfe eine reelle Erfolgsperspektive gehabt hätten, wenn sie selbständig und radikal geführt worden wären. Es lässt sich schlicht nicht sagen, welchen ökonomischen Horizont das Unternehmen oder auf einer höheren Ebene – aktuell etwa in Griechenland – der Staat noch hat. Häufig dürften die Spielräume tatsächlich verschwindend gering sein. Doch wenn man, wie das in der Vergangenheit leider häufig der Fall war, alleine auf die Gewerkschaften baut und diese bloss einen handzahmen Protest organisieren, dann gibt man auf, bevor man richtig zu kämpfen begonnen hat.

Man muss heute wohl einer unangenehmen Realität ins Auge blicken: In Zeiten der Krise gibt es innerhalb der Logik des Kapitals für viele Menschen keinen gangbaren Weg, der nicht massive Einschnitte in ihr Lebensniveau bedeuten würde. Und so hängen heute die Frage um das kärgliche Leben im Kapitalismus und die Frage nach einer ganz anderen Weise sich zu reproduzieren, eng zusammen. Häufig steht man faktisch wohl vor der Alternative, alles zu schlucken oder aber alles zu ändern.

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