Himmel über der Wüste

Hans Peter Gansner. Der US-amerikanische Schriftsteller und Fotograf Paul Bowles kehrte früh seiner Heimat den Rücken zu und zog nach Marokko, genauer nach Tanger. Seine Inspiration holte sich Bowles nicht zuletzt auch von Trancetänzen und Ritualen, die oft mit Kiff- und Majoun-Konsum verbunden waren. Ein Ausflug in die US-amerikanische Literatur im Jahr der Präsidentenwahl.

Ein Tag vor Silvester 2000 wäre der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles in der nordmarokkanischen Stadt Tanger runde 90 Jahre alt geworden. Doch er hat der literarischen Öffentlichkeit den Streich gespielt, ein Jahr zuvor, im November 1999, zu sterben.

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Improvisation in allen Belangen

Peter Dürsteler. Vom 12. bis 14.März fand das diesjährige «Taktlos»-Festival statt – diesmal ausschliesslich im Kunstraum Walcheturm an der Kanonengasse 20 in Zürich. Der Anlass stand bereits ganz im Zeichen des Corona-Virus. Dies erforderte Improvisationsfähigkeiten in allen Belangen.

Seit 2018 hat das «Taktlos» mit der alljährlich wechselnden Kuratierung ein neues Konzept. Dieses Jahr wirkte die Pianistin Sylvie Courvoisier als Kuratorin. Dabei hatte sie ein sehr persönliches Programm zusammengestellt, denn: «Ich wollte meine Freunde um mich haben, vor allem meine Freundinnen.

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Patriarchaler Kitsch

dab. Trotz theoretischer Gleichstellung und gesetzlichem Diskriminierungsschutz sind Fernsehen und Blockbuster-Filme immer noch gut bestückt mit sexistischen, sowie homo- und transphoben Inhalten. Auch chauvinistische, imperialistische und antikommunistische Mythen sowie Überzeugungen sind darin noch weit verbreitet.

«Büezerbueb» Gölä, der sich laut eigener Aussage mehr als Unternehmer denn als Musiker versteht, gibt sich in der SRF-Talentshow «Voice of Switzerland» als ein von Testosteron und Adrenalin überschäumender Macho im Büezeroverall. » Weiterlesen

Erfolgreich ans Bein pissen

sah. Leicht einzuordnen ist die Künstlerin Princess Nokia nicht. Als afro-indigene Frau in Sparten wie Hip-Hop, Pop oder Rap sticht sie nicht nur aus dem Musikmainstream heraus, sondern sie ist Mitbegründerin eines neuen Genres: Queer Rap. Höchste Zeit, sie kennenzulernen.

Alle Leben beginnen mit der Geburt: Die Kinderjahre verbrachte Destiny Frasqueri auch in der Bronx New Yorks. Das Leben der nigerianischen und puerto-ricanischen Einwandererfamilie änderte sich grundlegend, als die Mutter an Aids starb. Die spätere Princess Nokia wurde danach in verschiedenen Pflegefamilien untergebracht, wo sie oft misshandelt wurde.

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Gelb ist das neue Rot

Peter Nowak. Über die französische Gelbwestenbewegung sind in den letzten Monaten einige Bücher erschienen. Doch der im Verlag «Die Buchmacherei» erschienene Sammelband mit dem Titel «Gelb ist das neue Rot» liefert einige neue Aspekte. Das ist dem Herausgeber Willi Hajek zu verdanken.

Willi Hajek lebt seit einigen Jahren in Marseille und steht mit basisgewerkschaftlichen Zusammenhängen in verschiedenen Ländern in regen Austausch. In Frankreich hat Hajek gute Kontakt zu Aktivist*innen der Gelbwesten und der Gewerkschaften. Die zehn Aufsätze drehen sich um das durchaus spannungsgeladene Verhältnis zwischen ihnen.

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«Moskau Einfach»

Alois Bühler. 30 Jahre nach dem Auffliegen des Fichenskandals kommt der Regisseur Micha Lewinski auf den grössten Skandal der Eidgenossenschaft zurück. Der Film bringt immerhin das Thema wieder auf den Tisch und kann so der Beginn der nötigen Aufarbeitung sein.

«Moskau einfach!», wer aus der linken Szene erinnert sich nicht an diese Aussage. Damit war jeweils, wenn der Gegner*innen nicht mehr weiter wusste mit seiner Argumentation, jedes Ge­spräch definitiv beendet. Es war dies die Zeit des kalten Krieges, die Zeit der Be­spitzelung durch die politische Polizei.

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Heisse Fäuste im Kalten Krieg

Alois Bühler. 1957 entlud sich in Zürich die vom Antikommunismus getriebene Gewalt gegen junge Linke, die von einer ­Moskau-Reise zurückkehrten. Das Buch von Rafel Lutz schildert das blutige Ereignis, bei dem die Polizei zwar vor Ort war, den wütenden Mob aber gewähren liess.

Als 1948 in Prag eine sozialistische Regierung die Geschicke des Landes übernahm, kam es im Westen und auch in der Schweiz zu harschen Reaktionen: Der Kalte Krieg war geboren. Zuerst noch recht sittsam, aber der Koreakrieg und später die Ereignisse in Ungarn 1956 liessen den Antikommunismus zur Alles dominierenden Ideologie und Leitmaxime des Schweizer Bürgertums und in weite Teile der Sozialdemokratie werden. Ein Beispiel: 1956 etwa wurde der Literaturvertrieb, die Buchhandlung der PdA, gestürmt, Bücher wurden auf die Strasse geworfen und verbrannt.

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Eine Heldin unserer Zeit

Cristina Fischer. Viel Empathie, zu wenig kritischer Geist: Der Autor Christian Schneider hat eine romantisch-psychologische Biographie der linken Politikerin Sahra Wagenknecht geschrieben. Die einst verschmähte «Stalinistin» ist so beliebt wie noch nie – und steht womöglich vor einer Neuorientierung, privat und politisch.

Christian Schneider, Sozialpsychologe und Coach mit dem Schwerpunkt Psychoanalyse, hat Sahra Wagenknecht bei einem Interview für die taz 2014 kennengelernt – und dabei offenbar Feuer gefangen. Die Idee, ihr Leben zu ergründen, muss sich ihm damals unwiderstehlich aufgedrängt haben. In seinem Eingangskapitel beschreibt er die Herausforderung «sich einer Frau zu nähern, die wie kaum eine Zweite in der deutschen Politik fasziniert und polarisiert, verehrt und abgelehnt wird. Und dabei derart rätselhaft bleibt. Sie sei «auf ihre Weise die wahrscheinlich charismatischste Politikerin der Republik».

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«Wir haben uns gegen Milliardäre erhoben»

Peter Nowak. In den letzten Monaten wurde in linken Kreisen wieder verstärkt über weltweite Aufstände diskutiert. Dabei fehlt die fast völlige Abwesenheit der Arbeiter*innenklasse in der medialen Berichterstattung über die Proteste auf. So verdient das Buch von Dario Azzellini «Vom Protest zum sozialen Prozess» besonders Aufmerksamkeit.

Auf knapp 150 Seiten hat Dario Azzellini einen guten Überblick über die selbstverwalteten Betriebe in Frankreich, Italien, Griechenland, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Ex-Jugoslawien, den USA, der Türkei und Ägypten gegeben.

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Kein Ort des Triebes und des Willens

Sabine Hunziker

Oli. Was für eine Art Denken trug ich in mir? Das fragt sich die Protagonistin in der 2019 erschienenen Geschichte «Winterhart». Zum Stichwort Rechtsextremismus hat die Autorin Sabine Hunziker einen Roman geschrieben, der neue Aspekte im rechten Milieu aufzeigt. Ein Interview.

Es gibt nicht viele Romane, bei denen die Hauptfigur aus der rechten Szene kommt. Warum hast du dich für diese Geschichte entschieden? Ist es möglich, als linke Autorin über Rechte zu schreiben?
Soviel ich weiss, gibt es vor allem Autobiographien, wissenschaftliche Arbeiten oder Material zur Prävention, aber nur wenig Fiktion zum Thema. Beispielsweise hatte Ingo Hasselbach als bekannter Aussteiger der deutschen Neonaziszene seine Geschichte verfasst, auch der Schweizer Alexander Nyffenegger schrieb ein Buch über die Vergangenheit als wichtiges Mitglied der Neonazi-Szene. Mit Nyffenegger hatte ich damals um 2010 herum für eine Zeitung ein Interview geführt. » Weiterlesen

«Ich will die Realität erzählen»

Burak (Ismail Can Metin} mit seiner Mutter Emine (Beren Tuna).

sit. Die Schweizer Regisseurin Esen Isik erzählt in ihrem eindrücklichen Film «Al-Shafaq. Wenn der Himmel sich spaltet» die Geschichte von Burak, der als 16-jähriger von Zürich aus in den Jihad zieht, von seinem Vater Abdullah, der sich die Schuldfrage stellt und vom Flüchtlingsjunge Malik, der sich fragt, wie es mit seinem Leben weitergehen soll. Im Gespräch mit dem vorwärts erklärt Esen I?ik unter anderem, warum alle Opfer sind.

«Wie geht es ihm?», fragt der Abdullah, der Vater von Burak als erstes. Wenig später sieht er seinen 16-jährigen Sohn tot auf dem Bett eines Spitals an der türkisch-syrischen Grenze liegen, gefallen im «heiligen Krieg» für Allah. Aufgewachsen und sozialisiert (wie man so schön sagt) ist Burak in der Partystadt Zürich und gleichzeitig in einer anderen Welt, denn seine Eltern Abdullah und Emine sind strenggläubige Muslime: Das trinken eines Biers gilt bereits als Sünde.
Enden tut der Film an einer türkischen Zollstation. Der Bus, in dem auch Abdullah und Malik bis zur Grenze gefahren sind, fährt weiter. Ob mit ihnen oder ohne sie, bleibt offen. Malik ist ein 11-jähriges Kind, das aus Syrien vor dem Krieg floh. Sein Vater wird von der Terrormiliz IS erschossen, seine Mutter und Schwester verschleppt. Er schafft die Flucht mit seinem älteren Bruder in ein türkisches Flüchtlingscamp. Als sein Bruder durch einen Unfall stirbt, will Malik Selbstmord begehen. In letzter Sekunde wird er von Abdullah gerettet. Mit der Erzählung der drei Schicksale, stellt die Regisseurin Esen I?ik viele Fragen und hat bewusst auf eine «Anleitung» mit Happyend verzichtet, wie sie im Gespräch mit dem vorwärts erklärt.

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Den Denkrahmen aufsprengen

Tommy Vercetti by Moritz Keller

flo. Tommy Vercetti ist Rapper aus Bern. In seinen Texten geht es um die grossen Themen Liebe, Hoffnung, Kindheit, Macht, Kapitalismus. Mit Sozialkritik steckt er nicht zurück. Vor kurzem stürmte er mit seinem neuen Album «No 3 Nächt bis morn» die Spitze der Schweizer Albumcharts. Ein Gespräch über Brecht, Kommunismus und über die Verantwortung von Künstler*innen bei der Errichtung einer anderen Welt.

Es ist 2019, die Klimastreiks bringen die Jugend auf die Strasse, der Frauen*streik hat über die Generationen hinweg mobilisiert. Die Grünen überholen in Umfragen die CVP und Tommy Vercetti, ein Rapper und Kommunist aus Bern, setzt sich an die Spitze der Albumcharts. Was ist da los?
Also ich mache jetzt eine nüchterne Einschätzung und mit nüchtern meine ich eine, die nicht pessimistisch sein will noch Self-Fulfilling-Optimismus, wo ich sage, es kommt alles toll, weil ich will, dass es toll kommt. Ich würde sagen, dass im Moment gewisse Widersprüche auf gewisse Krisenphänomene viel offenbarer werden. Diese Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren einen sehr liberalen Anstrich gegeben, was bei den Frauen* beispielsweise zu gewissen Widersprüchen führte, weil sie eben merkten: Unsere Rechte wären so, unsere tatsächliche Situation sieht aber ganz anders aus. Und das ist der Aspekt davon, weswegen solche Bewegungen aufkommen. Vielleicht profitiert das Album ja von diesen Entwicklungen. Die leicht kritischere Frage, die hier aufkommt, ist: Inwiefern bringt der Spätkapitalismus so einen Raum hervor, der eine Art psychologisch reinigende Wirkung hat, wo die Gesellschaft sich mit ihren Problemen quasi unproblematisch auseinander setzen kann.

Ich fall jetzt einfach mit der Tür ins Haus. Wie hältst du es eigentlich mit der Revolution?
(lacht) Ich glaube schon, dass Revolution der einzige Weg ist, die Welt in einem notwendigen und vernünftigen Mass zu verändern. Dann kommt aber die zweite Frage: Was genau verstehen wir unter Revolution? Neuestens ist ja der Begriff der «Transformation» aufgekommen. Der bietet eine Chance, aber auch ein Risiko und das Risiko ist, dass es ein Problemverdeckerbegriff ist. Denn er suggeriert, dass man die Frage von Reform oder Revolution nicht mehr lösen muss, denn in Begriff Transformation wären ja beide irgendwie enthalten. Ich glaube dass eine Revolution nötig ist und ich glaube, dass sie möglich ist, weil Herrschaftsverhältnisse immer etwas extrem fragiles waren und weil Herrschaftsverhältnisse etwas sind, das von der Akzeptanz der Beherrschten abhängt. Macht ist etwas zirkuläres. Das bedeutet: Ich bin der König – aber nur solange du akzeptierst, dass ich der König bin. Wenn die Beherrschten die Beherrscher nicht mehr anerkennen, bricht das zusammen.

Ein Marxist also?
Es ist ja immer schwierig, wer was unter was versteht. Es gibt schon viele Sachen, die ich anders sehe, die man auch zu Marx‘ Zeiten nicht vorhersehen konnte oder die sich geändert haben. Aber doch, ich würde mich schon als Marxist bezeichnen.

Davon, wie der Kapitalismus funktioniert, rappst du auch auf deinem neuen Album. Dein letztes Album, für das du den Berner Literaturpreis erhalten hast, hatte ja auch schon ziemlich klare politische Schlagseite. «No 3 Nächt bis morn» scheint aber eine neue Qualität zu erreichen. Zufall?
Das Album ist auf eine Weise schon politischer geworden. Ich würde behaupten, dass ich mit «Seiltänzer» schon grosse Themen angesprochen habe, Kindheit, Religion Tod, die zwar auch aktuelle Themen sind, die mit dem Kapitalismus zu tun haben aber vielleicht doch ein bisschen universeller sind: Sie beschäftigen wohl ebenso ein Amazonasvolk. Dieses Mal habe ich versucht mir die Frage zu stellen: Was sind die grossen Themen. Aber vor allem: was sind die grossen Themen heute, hier.

Und woher kommt das alles? Sich linkspolitisch zu positionieren ist in der Schweiz ja nicht unbedingt immer populär. Wieso dieser pointierte Einsatz, obwohl es ohne wohl einfacher wäre?
Was ich schon an mir loben würde, ist, dass ich ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden habe, und damit kommt vielleicht auch eine gewisse Integri-tät einher. Ich denke, niemand würde mich als «Egoist» beschreiben. Aber da kommt ganz klar dazu, dass ich selber, meine Familie, Leute die mir sehr nahe stehen, Leidtragende dieses Systems sind. Ich bin quasi direkt betroffen. Klar geniesse ich aktuell einen gewissen Komfort. Es geht mir nicht schlecht. Aber ich werde nie etwas erben, meine Stabilität ist also auch eine fragile, man kann ebenso schnell absteigen, wie man aufgestiegen ist. Meine Freundin ist Tochter einer Flüchtlingsfamilie, meine Grossmutter war italienische Migrantin, die drei Jobs hatte und die Kinder allein aufzog. Mein ganzes Umfeld ist irgendwie geprägt durch diese Erfahrungen. Es ist also einerseits eine Art persönliche Motivation. Und dann durch die Beschäftigung damit – wer sich ernsthaft und genuin mit solchen Sachen auseinandersetzt, kann nur radikaler werden. Ich sehe nicht, wie man bei der Beschäftigung mit diesen Themen ökonomisch liberaler oder mittiger werden kann. Neben diesen persönlichen und emotionalen Beweggründen wäre mir noch nie intellektuell und argumentativ etwas begegnet, das mich von diesem Weg abgebracht hätte. Ich hatte aber auch das Glück, dass mir das noch nie zum Hindernis wurde. Ich finde auch, dass man ganz klar aussprechen muss: Ich bin Kommunist. Und man muss auch versuchen die Begriffe zu rehabilitieren und in die Offensive zu gehen. Wir leben aber auch in einer Zeit, in der das auch auf unnötige Antipathie stösst. In Interviews spreche ich das selten direkt an. Wenn ich aber sage: «Privateigentum ist ein Problem, weil dann so viele Leute über uns bestimmen können. Das betrifft mein Leben, das betrifft dein Leben», dann verstehen die Leute das. Wenn du aber für die Abschaffung des Privateigentums bist, bist du irgendwie immer auch Kommunist*in oder Anarchist*in und dann sieht’s plötzlich anders aus.

Du hattest vorher Kindheit, Liebe, Tod und so weiter als Themen deiner Musik erwähnt. In deinem neuen Album spielt ja auch Hoffnung eine grosse Rolle. Was also ist die Sicht auf deine Rolle als Künstler in diesem Kampf für eine andere Welt?
Ja das ist natürlich die grosse Frage und es ist eine Frage, die mich schon sehr lange umtreibt. Als ich, damals noch für das Album «Seiltänzer» das Lied «Zitadella» schrieb, stiess ich das ganze Thema schon einmal an. Ich finde, Kunst darf nicht in den Dienst der Politik treten. Ich denke, Kunst ist wirklich dann am politischsten, wenn sie autonom ist. Mir ist völlig klar, dass die Autonomie der Kunst historisch gewachsen und eine neuere Erscheinung ist. Oder dass sie vielfach auch illusionär ist. Aber da gibt es kein Zurück mehr. Und ich glaube, hier ist Kunst auch am einflussreichsten und glaubwürdigsten. Die Frage, wie ich am meisten bewegen kann, hat mich lange beschäftigt und ich bin zum Schluss gekommen: Am meisten kann ich wirklich machen, wenn ich einfach versuche, möglichst gute Musik zu machen und meine politischen Gedanken darüber kommuniziere. Und dort glaube ich, dass Kunst am politischsten ist, wenn sie ästhetisch versucht radikal zu sein, wenn sie versucht genuin zu sein. Kunst hat ein unglaubliches Potenzial den Denkrahmen aufzusprengen. Wir leben in einer ideologisch extrem verengten Zeit. «Verengt» bedeutet, dass die Leute sich nichts mehr anderes vorstellen können als Kapitalismus und Markt. Wenn du heute sagst, du hast ein Problem mit Kapitalismus, mit Marktwirtschaft, heisst’s gleich «jo was de süsch?!» Weil man sich nichts anderes mehr vorstellen kann. Und da setzt die Aufgabe der Kunst an, weil man dort eben nicht alles perfekt mit Studien belegt und durchargumentiert sein muss, um neue Vorstellungen zu präsentieren. Kunst hat diese Sachzwänge nicht. Wenn ich ein Lied mache über eine Insel, auf der der Wohlstand anders verteilt wird, muss das Ziel sein, dass das in den Köpfen etwas macht und man sich sagt «es ginge schon anders».

Damit wir den Kreis dialektisch schliessen können: Wir haben darüber gesprochen welchen Einfluss Künstler*innen auf die Bewegung, auf den Kampf für eine andere Welt haben, jetzt anders herum gefragt: Welchen Einfluss haben die Bewegungen auf die Kunst?
Ich glaube, das hängt erst einmal stark davon ab, wie sehr die Kunst integriert ist, wie fest sie sich mit der Bewegung identifiziert. Und das ist auch etwas, worüber ich gesagt habe, dass es nicht gekoppelt sein dürfe, nicht im Dienst davon stehen dürfe. Der Künstler nimmt da irgendwie eine dritte Instanz ein, wo er auch die Bewegung, die Politik kritisieren kann. Die Frage, wie nah der Künstler der Bewegung ist, ist ganz zentral und ich bin eben nahe der Bewegung, ich bewege mich im linken Diskurs, ich sehe mich als – nicht sehr aktiver, aber doch – Teil der Bewegung. Und ich denke das sieht man auch am Album. Ich finde es sollte zumindest jeden Künstler*in irgendwie interessieren, was politisch geschieht. Er muss sich nicht explizit politisch äussern, aber ich finde wichtig, dass ein Künstler spürt, was abgeht. Also eine Art Sensibilität für die Zeit besitzt. Jetzt kommt aber schon die nächste Frage: was «politisch» denn genau meint. Ich würde sagen, Kafka beispielsweise war schon jemand, der nicht stark von den politischen Bewegungen beeinflusst war, dennoch einer, der mit seinem Gespür etwas unglaublich Politisches schuf.

In «Güetzi» portraitierst du den Kapitalismus nur dünn maskiert mithilfe von tyrannischen Kindern, die auf dem Spielplatz über alles bestimmen, weil sie eben die meisten Guetzli haben. Irgendwie ist das ein Herunterbrechen aber eben auch eine Verfremdung der bestehenden Verhältnisse. Du willst bestehenden Verhältnissen den Spiegel vorhalten. Damit bist du aber nicht der erste, gibt es revolutionäre Kunstschaffende, die dir vorangegangen sind, die besonders grossen Einfluss auf dich hatten?
Ich hatte sehr viel Brecht gelesen – auch theoretische Sachen – bevor ich mich an das Album wagte. Eben auch, weil mich da diese Frage des Emotionen-Ablassens beschäftigte und ich mir die Frage stellen musste: Mach ich einfühlsame Sachen, wo jeder* auch befriedigt ist, wenn er es fertig hört oder mache ich etwas, was die Leute vielleicht irritiert? Grad für «Güetzi» oder auch für «Vorem Gsicht» waren schon die Dramen von Brecht wichtig. Aber auch Kafka mit seinen absurden Elementen. Du sagst, der Kapitalismus sei «dünn maskiert». Und das ist eine Frage, die mich als Künstler sehr beschäftigt. Wie dick ist die Maske? Wie und wie sehr verhülle ich meine Aussage? Das ist dann auch etwas, was man in diesem brechtschen Sinn beschreiben kann: Dadurch, dass es einfach Kinder sind, empfindet man es als viel stärker daneben und kann ein ganz anderes Urteil fällen.

Mit dem Kopf gegen die Wand

sah. Aus der Mitte – direkt in euer Gemächt: Lina Maria Sommer und Jessica Jurassica lasen erotische feministische Texte im Zelt «Schützenhaus». Literatur ist eine Plattform; eine Mo?glichkeit zu erza?hlen, zu wagen, zu thematisieren. Ein Interview über Feminismus und Literatur.

Am 20. März 2019 war es soweit: Lina Maria Sommer und Jessica Jurassica lasen im Schützenhaus auf der Schützenmatte vor der Reitschule in Bern im Rahmen von «Platzkultur» mit den angekündigten Sätzen: «Die Wange der Gegenwart läuft in die dargebotene, literarische Faust unserer Zeit.» Oder auch: «Es gibt viele Möglichkeiten, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen.» Rund ist der Tisch und weiss leuchtet die Sturmmaske von Jessica Jurassica, die mit einer Schirmmütze und in einem Trainerpulli vor der Tischplatte sitzt. Als ich später die zwei Autorinnen für ein Interview anspreche, bleibt die Frau unter der Maske genauso ein Phantom, wie sie das auf der Bühne gewesen ist.

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Grosse Arbeitskämpfe im Kino

En guerre: Im Kampf für Arbeitsplätze, Zukunft und Würde.

Peter Nowak. Neue Kinofilme beschäftigen sich mit linker Gewerkschaftsarbeit in unserer Zeit. Der Dokumentarfilm «Luft zum Atmen – 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum» und der Spielfilm «En guerre» werfen wichtige Fragen auf und können interessante Diskussionen über Inhalte weiter führender Gewerkschaftspolitik und -partizipation auslösen.

Da sitzt Wolfgang Schaumberg im Jahr 2018 in einem Klassenraum vor einer Tafel und erzählt, wie er und viele Genoss*innen mit ihrer Betriebsarbeit vor mehr als 45 Jahren die Weltrevolution vorantreiben wollten Er berichtet, wie die jungen Linken Kontakte mit Genoss*innen aus Deutschland und Spanien knüpften, die bei Opel arbeiteten.

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Revolutionäres Selbstverständnis

Eliah Giezendanner. Mit einem Büchlein über Theologie und Klassenkampf lässt der in Bonn lehrende Andreas Pangritz knapp aber aufschlussreich an seinen – wenn man so will – akademischen Grossvater erinnern: Helmut Gollwitzer feierte im letzten Jahr seinen 110. Geburtstag.

Pangritz bringt ihn damit in eine Gegenwart, die auf eine Figur wie Gollwitzer zwar nicht gewartet zu haben scheint, aber dennoch so dringend nötig hätte.

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Überschäumend und übergriffig

sah. Catherine Millet, Chefredakteurin der Kunstzeitschrift art press, wurde bekannt mit ihrem autobiographischen Buch «Das sexuelle Leben der Catherine M.», das laut Klappentext freizügiges Sexualleben schildert. Diese Freizügigkeit passt zu Klaus Kinskis «Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund», wo der Missbrauch von Minderjährigen beschrieben wird.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte «Le Monde» einen offenen, von hundert Frauen wie Catherine Deneuve, Ingrid Caven oder Catherine Millet unterzeichnet Brief. Gewarnt wird vor dem «Klima einer totalitären Gesellschaft», ausgelöst durch die «Denunziations-Kampagne gegen die Männer» im Rahmen von #MeToo.

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Die Wiederherstellung von «Kultur und Volk»

Ueli Schlegel. Die Vereinigung «Kultur und Volk» blickt auf eine lange Geschichte zurück: Seit 1935 geht es den Mitgliedern darum, Kunst und Kultur auch den ArbeiterInnen zugänglich zu machen.

Älteren wird die Vereinigung «Kultur und Volk» noch in guter Erinnerung sein, Jüngere werden kaum ihren Namen kennen, denn «Kultur und Volk» ist vor etlichen Jahren eingeschlafen – nicht infolge Mitgliederschwundes oder Desinteresses, sondern mangels Aktivität des Vorstandes. » Weiterlesen

Mit Marx in die Zukunft

Fabian Perlini. Am 2. Dezember feierte die Partei der Arbeit 200 Jahre Karl Marx. Im Zürcher Volkshaus kamen rund 100 GenossInnen und FreundInnen der Partei zusammen, um sich marxistisch weiterzubilden, Musik zu geniessen und mitzusingen. Der Höhepunkt bildete ein lehrreiches Musiktheater über das Hauptwerk des bärtigen Mannes, der die Geschichte der Menschheit prägte und dies auch in Zukunft tun wird.

Für die Einen ist Marx eine Popikone, für Andere ein Vorbild der Ewiggestrigen. Wer heute noch glaubt, von Marx etwas lernen zu können, wird nicht selten belächelt, öfters angegriffen. Denn den alten Rauschebart zu stilisieren oder zu verurteilen ist tatsächlich viel einfacher, als sich seinen komplexen Gedanken zu widmen. » Weiterlesen

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