Kein Ort des Triebes und des Willens

Sabine Hunziker

Oli. Was für eine Art Denken trug ich in mir? Das fragt sich die Protagonistin in der 2019 erschienenen Geschichte «Winterhart». Zum Stichwort Rechtsextremismus hat die Autorin Sabine Hunziker einen Roman geschrieben, der neue Aspekte im rechten Milieu aufzeigt. Ein Interview.

Es gibt nicht viele Romane, bei denen die Hauptfigur aus der rechten Szene kommt. Warum hast du dich für diese Geschichte entschieden? Ist es möglich, als linke Autorin über Rechte zu schreiben?
Soviel ich weiss, gibt es vor allem Autobiographien, wissenschaftliche Arbeiten oder Material zur Prävention, aber nur wenig Fiktion zum Thema. Beispielsweise hatte Ingo Hasselbach als bekannter Aussteiger der deutschen Neonaziszene seine Geschichte verfasst, auch der Schweizer Alexander Nyffenegger schrieb ein Buch über die Vergangenheit als wichtiges Mitglied der Neonazi-Szene. Mit Nyffenegger hatte ich damals um 2010 herum für eine Zeitung ein Interview geführt. In dieser Zeit interessierte mich die rechte Szene brennend, auch heute ist das Thema hier leider präsenter denn je. Die Schweiz ist diesbezüglich keine Insel: Beispielsweise habe ich mich ein Jahr lang geachtet und aus der bürgerlichen Gratiszeitung «20 Minuten» alle Nachrichten rund um Rechtsextremismus in der Schweiz gesammelt – es gab eine ganze Mappe voll. Mir ist bewusst, dass es schwierig ist, als Nichtangehörige der rechten Szene einen Roman über Rechte zu schreiben. Aber es gehört auch zum «Beruf» des Autoren, Figuren zu beschreiben und sie in Geschichten spielen zu lassen, zu denen er persönlich keinen Zugang hat. Ich hoffe, dass mir hier eine gewisse Authentizität gelungen ist. Wäre das nicht möglich, dann könnten die meisten Romane beispielsweise rund um Morde nicht realisiert werden. Auch denke ich, dass es problematisch ist, Personen, die menschenverachtende Aussagen machen und Hassverbrechen verüben, so ins Zentrum zu rücken. Das ist sicher ein Kritikpunkt. Für mich gilt immer noch: Faschismus als Oberbegriff und all seine Unterkategorien sind nicht Meinung, sondern Verbrechen.

Was macht deine Geschichte rund um Protagonisten aus dem rechten Sumpf speziell und erzählenswert?
Ich denke, dass im Roman «Winterhart» einmal mehr die Gewalt aufgezeigt wird, auf dem das rechte Denken schlussendlich basiert. Anders als vielleicht bei bisherigen Filmen oder Büchern wird bei meinem Roman der Akzent auf die Gewalt innerhalb der rechten Kameradschaft gelegt. Denn der ganze ideologische Scheiss und die dazugehörige Repression wird logischerweise nicht nur gegen aussen getragen, sondern wirkt auch gegen innen – gegen die eigenen «Freunde und Freundinnen» und sich selbst.

Stimmt es, dass du selber im Hitlerbunker warst – für die Recherche zu der betreffenden Szene im Buch?
Tatsächlich war ich auf dem Obersalzberg. Mit Hilfe entsprechendem Kartenmaterial habe ich sogar die Ruinen vom Kampfhäusle gefunden, wo Hitler am Manuskript «Mein Kampf» geschrieben haben soll und ich bin – wie im Roman beschrieben – auch den Weg zum «Adlerhorst» (Kehlsteinhaus) hochgewandert. In den Bunkeranlagen beim Hotel «Zum Türken», die tief in den Boden hinunterreichen, bin ich herumgekrochen, bis ich vor der zugemauerten Tür zum Bunker gestanden bin. Meine erste Frage an mich selber war: «Bin ich nun ganz deppert geworden – was tue ich da?».

Du bist für ein Kapitel auch zum «Sonnenblumenhaus» in Rostock-Lichtenhagen gereist – wo 1992 Rechtsextreme unter Applaus der Bevölkerung einen Block angriffen, in dem unter anderem vietnamesische Arbeiter*innen wohnten.
Das Pogrom stand im Zusammenhang mit der damaligen Asyldebatte. Das Drama um Winterhart beginnt 1992, wo die Protagonistin eine Liveübertragung der Übergriffe im Fernsehen sieht und endet vor dem Sonnenblumenhaus, wo sie nach einer langen Odyssee vor der Fassade mit den bunten Kacheln stehen bleibt. Ich selber war vorletztes Jahr da, als man die Gedenktage anlässlich des 25.Jahrestages des Pogroms organisierte. Dazu wurden fünf thematische Mahnmale in der Gegend aufgestellt, von denen drei allerdings bereits nach kurzer Zeit beschädigt wurden. Das sagt viel über die heutige Stimmung aus mit der Vielzahl von Anschlägen und rechtsradikalen Demonstrationen unter anderem gegen «Asylbewerber*innen». Die Stimmung in der Schweiz ist zwar nicht vergleichbar, aber Übergriffe gegen Asylzentren sind auch hier keine Seltenheit. 1992 fanden – nach der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus – etwa 20 Brandstiftungen auf Flüchtlingseinrichtungen statt. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl auf etwa einen Anschlag pro Jahr gesunken – doch in der Datenbank sind nur schwerwiegende Fälle verzeichnet, wie beispielsweise der absichtlich gelegte Brand in Vernier im Kanton Genf 2014, als ein Mann starb und 40 Personen verletzt wurden.

Du denkst also, dass Rostock-Lichtenhagen wieder möglich wird?
Ja und Nein. Eigentlich findet es bereits jetzt statt: einfach anders. Aggressiv und repressiv ist die Asylpolitik zurzeit ähnlich. Heute wie früher ist die Situation so, dass ein grosser Teil der geflüchteten Menschen gar nicht erst in Europa ankommt. Es sind Regierungen, die mit Hilfe von Zäunen, Grenzkontrollen oder der Verweigerung von Anträgen für Asyl operieren. Es gibt beispielsweise in Italien die Politik der geschlossenen Häfen, bei der ein bisschen mehr als die Hälfte der Bevölkerung diesen Entscheid befürwortet – der andere Teil aber nicht. Es gibt Strömungen der Fremdenfeindlichkeit, wobei aber Einzelpersonen niemals isoliert vom grossen Ganzen betrachtet werden dürfen. Wie bereits erwähnt, ist diese Asyldebatte nicht eigentlich Thema von «Winterhart». Mir ging es vielmehr darum, die Gewalt innerhalb der Gruppe zu zeigen, beispielsweise auch, wenn ein Mitglied die Kameradschaft verlassen will. Auch habe ich versucht, meine Anschauung zu illustrieren, dass die Welt eigentlich kein Ort des Willens und des Triebes ist, sondern im Kern menschenfreundlich und friedlich.

Du schreibst von einer Überarbeitung der «Broken-Window-Theorie» – kannst du uns die Gedanken dazu erläutern?
Ich schreibe da, dass nicht eine erste zerbrochene Scheibe zur Verwahrlosung eines ganzen Gebäudes führt, sondern dass öffentlich zugelassene Menschenfeindlichkeit und Hassverbrechen eine ganze Gesellschaft zu verbrennen vermag. Hier, und nicht wie im Original propagiert, gilt die Nulltoleranz-Strategie.

Sabine Hunziker: Winterhart. Klak Verlag 2019., 194 Seiten, ISBN 978-3-948156-23-7

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