Auf der Suche nach Fritz Platten

Erster Kongress der Kommunistischen Internationalen, März 1919 in Moskau: Gustav Klinger, Hugo Eberlein, Lenin und Fritz Platten. Foto: Universal History Archive/Universal Images Group.

ltm. Wer war Fritz Platten? Dieser Frage widmet sich eine Ausstellung an der Universität Basel. Durch die Recherchen seines Sohnes, aber nicht nur, wird die Geschichte des letzten Jahrhunderts beleuchtet. Der vorwärts sprach mit Rhea Rieben, der Co-Kuratorin der Ausstellung.

Frau Rieben, wer war also Fritz Platten?
Da gibt es verschiedene Antworten. Die Einfachste wäre wohl: Fritz Platten war der Mann, welcher 1917 den Zug organisiert hatte, der Lenin zurück nach Russland brachte. Und durch die Ermöglichung dieser Reise kam es schlussendlich dann auch zur Oktoberrevolution, die das 20.Jahrhundert massgeblich prägte. Eine andere Antwort wäre: Fritz Platten war Parteipolitiker, Revolutionär, politischer Aktivist. Kurz gesagt ein Mann, der grosse Visionen hatte. Zum Beispiel hatte er versucht, am Aufbau der Wirtschaft in der Sowjetunion mitzuhelfen. Er war und ist aber auch eine Person, die zu einer Art Legende und Mythos wurde, und zwar durch alles, was man über ihn schrieb. Dies aufgrund dessen, dass seine Figur in gewissen Kreisen sehr bekannt war. So verband man in Fritz Platten auf der einen Seite sehr viele Hoffnungen auf eine andere und neue Gesellschaft. Auf der anderen Seite repräsentierte Fritz Platten auch viele Ängste und wurde so zur Zielscheibe antikommunistischer Propaganda. Und nach seinem Tod wurden über seine Figur immer wieder Fragen verhandelt wie: Wie steht die Schweizer Gesellschaft zum Kommunismus? Kurz gesagt, ist auf die Frage, wer Fritz Platten war, mehr also nur eine Antwort zu finden.

Wie wurde Fritz Platten in der Sowjetunion angesehen?
Er war in der Sowjetunion eine erhellte Figur. Denn – wie bereits erwähnt – organisierte er die Zugreise Lenins im plombierten Wagen. Platt gesagt, ermöglichte diese Zugreise die Existenz der Sowjetunion. Und des Weiteren gibt es noch eine Legende, die besagt, dass Fritz Platten Lenin das Leben gerettet haben soll. Dies wurde jedoch nie belegt. Auch zu erwähnen ist, dass in der Sowjetunion nach Stalins Tod 1953 und mit Chruschtschow als neuem Generalsekretär eine Art Identitätskrise herrschte. Man versuchte den Personenkult rund um Stalin hinter sich zu lassen und sich mehr auf Lenin als Führerfigur zu konzentrieren. Man sagt dem auch Leninkult. Und weil Fritz Platten ein Freund Lenins war, wurde er auch zu einer Art Heldenfigur in der Sowjetunion.

In der Ausstellung spielen die Recherchen von Fritz Nicolaus Platten, der Sohn von Fritz Platten, eine wichtige Rolle. Ein langjähriger PdA-Genosse nennt Fritz Nicolaus Platten eine höchst umstrittene Person bis hin zu einem Antikommunisten. Was sagen Sie dazu?
Es kommt darauf an, welchen Standpunkt man vertritt. Für einen Kommunisten*oder eine Kommunistin* ist Fritz Nicolaus Platten eine umstrittene Person. Er war als junger Mann selbst Kommunist. In den 1930er-Jahren war er sogar überzeugter Stalinist und hat als solcher damals seinem Vater den Tod gewünscht. Als sehr parteitreuer Kommunist ist Fritz Nicolaus Platten zum Stalinisten geworden, sprach sich für die Schauprozesse in den 1930er-Jahre aus und fand diese richtig. Aus diesem Grund meinte er, wenn sein Vater ein Trotzkist sei und somit einer dieser Verräter, dann solle man ihn erschiessen. Im Laufe der Zeit entfernte er sich vom Standpunkt des Stalinismus und bereute es zutiefst, diese Position eingenommen zu haben. Von dem ausgehend entwickelte er sich zu einer Person, welche circa Mitte der 1950er-Jahre vehement gegen kommunistische Parteien war und vor allem auch gegen seine Parteigenoss*innen. Er trat somit auch aus der PdA aus.

Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Fritz Nicolaus Platten hörte seit der Verhaftung des Vaters 1938 und seiner Verurteilung ein Jahr später zu vier Jahren Straflager nichts mehr von ihm. Er erfuhr erst 1956, dass sein Vater 1942 im Straflager ums Leben kam. Dies in Kombination mit der ganzen Ungarnkrise, die sehr viele damalige Mitglieder der PdA erschütterte und aufgrund des Verhaltens der Sowjetunion zum Austritt bewegte, wendete sich Fritz Nicolaus Platten von der Partei ab und wurde zu einem Antikommunisten. Diese Entwicklung Fritz Nicolaus Plattens ist am besten mit dem Begriff Renegat zu beschreiben. Das ist eine Fremdbezeichnung, mit der Kommunist*innen Menschen bezeichnen, die ins andere Lager wechseln. Im konkreten Fall: Kommunist*innen, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem Stalinismus dann zu Anti-Kommunist*innen wurden, gegen die kommunistische Partei kämpften und dies auch zu ihrer Mission machten. Sie haben für sich selbst gesagt: Ich bin enttäuscht von der kommunistischen Partei und vom Kommunismus. Das ist eine schlechte Ideologie und das müssen alle erfahren. Dies machte sich auch Fritz Nicolaus Platten zu seiner Lebensaufgabe, um so die Vergangenheit seines Vaters und seine eigene als Stalinist aufzuarbeiten. So bezeichnete sich Nicolaus Platten selbst auch als Renegat.

Basiert die Ausstellung ausschliesslich auf den Recherchen von Fritz Nicolaus Platten?
Nein, natürlich nicht. Ich kann auswendig gar nicht sagen, wie viele Archive ich angeschaut habe. Sein Nachlassarchiv in der Universitätsbibliothek Basel ist einfach eins davon. Ich habe mir auch den Nachlass von Franz Dübi, ein PdA-Genosse aus Basel, angesehen. Dieser war eine sehr wichtige Quelle, weil er sehr gute Kontakte in die Sowjetunion hatte. Ich habe auch sehr viel Material aus dem Bundesarchiv studiert. Dies sind jedoch mehrheitlich behördliche Akten. Sie geben vor allem eine Perspektive darauf, wo Fritz Platten überall aktenkundig wurde. Und vom Sozialarchiv habe ich auch einiges an Material angeschaut. Letzten Endes sind sehr viele verschiedene Quellen zusammengekommen.

Wie kam es dazu, Fritz Nicolaus Platten und seine Recherchen zu einem zentralen Punkt der Ausstellung zu machen?
In einer Ausstellung brauchen wir eine Art von Erzählung. Denn es ist eine ganz andere Art, die Geschichte durch eine Ausstellung zu erzählen als zum Beispiel in einem Buch. Denn in einem Buch kann ich so viele verschiedene Protagonist*innen einfügen, wie ich möchte. Bei einer Ausstellung muss ich mich wiederum auf ein paar Figuren konzentrieren, die mir einen roten Faden geben. Und einer dieser roten Fäden, der uns durch die Hälfte der Ausstellung führt, ist eben der Sohn. Dies, weil wir über die Suche des Sohnes die Biografie des Vaters und seine Geschichte versuchen zu erzählen. Und um auf diese Weise Fragen zu beantworten wie: Was ist passiert nach der Verhaftung von Fritz Platten? Wie ist er plötzlich wieder bekannt geworden? Wie wurde in rechten Kreisen über Fritz Platten gesprochen? Wie wurde in linken Kreisen über ihn gesprochen? Und so weiter und sofort. Darum orientiere ich mich an der Suche des Sohnes, erzähle aber nicht nur seine Perspektive. Das wäre falsch. Als Historikerin nehme ich nicht den Standpunkt von jemandem ein. Sondern ich habe meinen eigenen und versuche, durch Protagonist*innen, welche historische Figuren sind, eine Geschichte zu erzählen. Und Fritz Nicolaus Platten ist einer dieser Figuren. Der Nachlass ist darum so besonders spannend, weil er wahnsinnig viele Akten gesammelt hatte, viel Material aus anderen Archiven, auch aus russischen Archiven und ganz viele Fotografien. Fast das gesamte Bildmaterial über Fritz Platten befindet sich in seinem Nachlass. Und mit diesem Nachlass habe ich den Überblick bekommen, was es alles gibt. Aber es wäre nach wie vor falsch, nur mit dem Nachlass von Fritz Nicolaus Platten zu arbeiten, denn er hatte eine bestimmte Perspektive. So zu sagen seinen eigenen Blick auf das Ganze. Und als Historikerin muss man diesen Blick verstehen, aber noch weitere Ideen und Perspektiven hinzunehmen.

Wie ist die Ausstellung aufgebaut? Was ist zu sehen?
Sehr unterschiedlich. Von Fritz Platten selbst gibt es nicht sehr viele Gegenstände. Denn er ist 1923 in die Sowjetunion ausgewandert. Somit ist an persönlichem Material nur sehr wenig vorhanden. Aber ich kann die Struktur der Ausstellung etwas genauer erläutern. Es gibt zwei Erzählstränge. Zum einen der biografische Erzählstrang. Da gibt es fünf Stationen, bei denen man die Biografie von Fritz Platten kennenlernt. Es hat vor allem Vitrinen mit Objekten, wie zum Beispiel einen Pass von ihm, ein Auswanderungsbuch mit seinem Bild drin, in dem die Behörden verzeichneten, wer wann in die Sowjetunion auswanderte. Dann hat es sehr viele Flachwaren, also alles Papier im herkömmlichen Sinne und sehr viele Fotografien. Hinzu kommt bei jeder Station einen Entdeckungsposten mit je einem biografischen Kapitel über Fritz Platten. Diese Posten sollen als Recherchestationen dienen, bei denen man das jeweilige Kapitel der Biografie selbst vertiefen kann. Weiter gibt es jeweils eine Hörstation. Da erfahren die Besucher*innen, was Fritz Platten so geschrieben hat. Es gibt jedoch keine Originalaufnahmen. Wir haben Zeitungsartikel oder Ähnliches von ihm eingesprochen aufgenommen. Dieser Erzählstrang bildet die Hälfte der Ausstellung und hier waren auch Student*innen der Universität Basel bei der Ausarbeitung dabei. Im zweiten Erzählstrang geht es mehr um die Erinnerungsgeschichte. Also wie in unterschiedlichen Kontexten (Schweiz, Sowjetunion) Fritz Platten in Erinnerung gehalten worden ist. In diesem Erzählstrang wird es etwas multimedialer. Wir zeigen zwei Filme. Den sowjetischen, biografischen Dokumentarfilm zeigen wir komplett. Zu erwähnen ist hier, dass dieser Film es nicht immer sehr eng mit den Fakten nimmt. An gewissen Stellen übertreibt er ein wenig, aber er bleibt trotzdem spannend. Vom zweiten Spielfilm wird ein Ausschnitt gezeigt. Und am Schluss gibt es noch einen Epilog. Zu diesem luden wir fünf Personen ein, die alle eine unterschiedliche Haltung zu Fritz und Nicolaus Platten haben. Wir machten mit ihnen Kurzfilme und Interviews, damit sie ihre Perspektive auf diese Figuren erzählen konnten. Ich kann daher versprechen, dass die Ausstellung multimedial und vielfältig ist.

Rhea Rieben, Co-Kuratorin der Ausstellung über Fritz Platten. Sie ist Doktorandin an der Philosophisch-Historischen Fakultät Basel. Bild: unibas.ch

Was wollen Sie mit dieser Ausstellung bewirken? Was ist das Ziel der Ausstellung?
Meiner Meinung nach ist Fritz Platten eine Figur, mit der man die politische Geschichte des 20. Jahrhundert erzählen kann. Man kann sowohl die Geschichte des Kommunismus zu dieser Zeit aufzeigen als auch die des Antikommunismus. Und ich finde, dass in der heutigen Zeit viel zu wenig über diesen Teil der Geschichte gesprochen wird. Daher fand ich, es würde sich lohnen eine Ausstellung zu diesen beiden wichtigen Aspekten der neueren Zeit zu machen.

Die Ausstellung «Auf der Suche nach Fritz Platten» ist bis am 14. Januar 2022 in der Universität Basel zu sehen.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8 bis 20 Uhr und am Samstag von 12 bis 17 Uhr.

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