Raus aus der Defensive

IG Sozialhilfe. Vor wenigen Wochen endete die Frühlingssession in Bern. Aus sozialpolitischer Perspektive tat sie dies mit einem Grauen: An allen Ecken und Enden wurde gekürzt und gespart. Der Generalverdacht gegenüber Armutsbetroffenen wurde gesetzlich verankert. Doch es regt sich Widerstand!

In der vergangenen Frühlingssession hat sich ein Szenario wiederholt, das in der Politiklandschaft der Schweiz mittlerweile weit verbreitet ist: Der Bundesrat schlägt Kürzungen im Sozialbereich vor, die Rechte interveniert und die bürgerliche Ratsmehrheit segnet einen weit drastischeren Sozialabbau ab, als er von der Landesregierung vorgesehen war – so zuletzt bei den Ergänzungsleistungen. Wollte der Bundesrat 200 Millionen Franken bei diesem Instrument des sozialen Ausgleichs sparen, beschloss der Nationalrat gar eine Reduktion um 500 Millionen Franken.
Eine andere Verschärfung fällt jedoch in Anbetracht der dahinterstehenden Dynamik noch schlimmer aus: die Annahme des Gesetzes zur Observation von SozialversicherungsbezügerInnen. Sollte dieses Gesetz tatsächlich umgesetzt werden, stehen der kompletten Bespitzelung von Versicherungsabhängigen Tür und Tor offen. Mittels GPS-Trackern und Drohnen sollen Menschen überwacht werden, die auf sozialstaatliche Leistungen angewiesen sind. Besonders brisant: Im Jahr 2016 wurde die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der mangelnden Rechtsgrundlage ihrer Überwachungsmassnahmen gerügt. Aber der Schutz der Privatsphäre scheint im Parlament nicht zu interessieren. Die nun gesetzlich legitimierte Observation ist noch umfangreicher als jene von 2016. War die legale Überwachung vor zwei Jahren noch auf Personen beschränkt, die auf Zahlungen von AHV und IV angewiesen waren, dürfen neu alle Sozialversicherungsabhängigen observiert werden. Besonders stossend ist dabei, dass mit den Krankenkassen nun auch Private Bespitzelungen durchführen dürfen.

Wir wehren uns!
Mit der allumfassenden Überwachung von Versicherten und Sozialhilfeabhängigen wird der Spiess in der Diskussion um Armut ein weiteres Mal umgedreht. Strukturelle Ursachen von Armut werden ausgeklammert, als Lösungen präsentierte Massnahmen sind im besten Fall Symptombekämpfung, im schlechtesten Fall kontraproduktiv. Dass Armut in der reichen Schweiz System hat und eine direkte Folge des kapitalistischen Systems ist, findet praktisch nirgends Einzug in diese Debatte.
Belege für diese Systematik gibt es jährlich Tausende. In der Solidaritätsarbeit der IG Sozialhilfe erleben wir sie täglich. Neueste Daten des Bundesamts für Statistik zeigen, dass in der Schweiz rund 615 000 Personen unter Einkommensarmut leiden. In einer Gesellschaft, in der so viele in Einkommensarmut leben, müssen Lösungen politisch wie praktisch in der Gesellschaft gesucht und gefunden werden – sicherlich nicht in der Überwachung von Individuen!

Referendum unterschreiben
Die IG Sozialhilfe unterstützt seit über zwanzig Jahren Armutsbetroffene politisch, aber auch durch soziale Begleitung und Beratung. Ein Aspekt des nun gegen die Observation von SozialversicherungsbezügerInnen ergriffenen Referendums ist für uns zentral: Das Referendum wurde von einer aus wenigen Personen bestehenden Interessensgemeinschaft ergriffen. SP und Grüne wollten anfänglich kein Referendum ergreifen – aus mangelnder Aussicht auf Erfolg. Durch den nun entstandenen Druck sind die beiden Parteien umgeschwenkt und unterstützen das Referendum offiziell.
Ein politisches Kollektiv, welches seit einiger Zeit basisorganisiert für Anliegen von Armutsbetroffenen einsteht und sich gegen deren politische Diffamierung stark macht, ist die Allianz gegen Sozialapartheid. Dieser Zusammenschluss von Basisorganisationen aus der ganzen Schweiz ermöglicht es durch die Abdeckung vieler Regionen, gemeinsamen Aktionen mehr Gewicht zu verleihen. Dadurch können überregional politische Veränderungen angestrebt und der Druck von unten erhöht werden.
Die IG Sozialhilfe engagiert sich politisch in diesem Kollektiv. Nebst unserer politischen Arbeit unterstützen wir Armutsbetroffene im Rahmen verschiedener Projekte direkt und unbürokratisch. So beispielsweise im Kafi Klick, unserem kostenlosen Internetcafé für Armutsbetroffene in Zürich. Neben Zeit und Energie kostet diese Arbeit auch Geld. Wir rufen deshalb zur politischen und materiellen Unterstützung unserer Arbeit auf.

Infos: www.ig-sozialhilfe.ch

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