Viel Platz für Polizeiwillkür

dab. Am 13.Juni wird an den Urnen über das Bundesgesetz «Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) abgestimmt. Das neue Gesetz stützt präventive polizeiliche Repressionsmassnahmen auf vage Verdächtigungen und öffnet damit der staatlichen Willkür Tür und Tor.

Das Polizeimassnahmen-Gesetz gefährdet die Grund- und Menschenrechte der Schweizer Bevölkerung. Es stellt Menschen unter Generalverdacht, hebelt die Unschuldsvermutung aus und überlässt der Polizei einen zu weit gehenden Ermessensspielraum. Durch das neue Gesetz wird die Bundespolizei (fedpol) dazu ermächtigt, Zwangsmassnahmen gegen Personen anzuordnen, die sie für potenziell gefährlich hält – ohne Verdacht auf eine Straftat oder richterliche Prüfung. Dies gilt bereits für Kinder und Jugendliche. Eine erstaunlich breite NGO-Koalition von über zwanzig Organisationen von Humanrights.ch bis Amnesty Schweiz engagiert sich gegen dieses folgenschwere Polizeigesetz.

Scharfe Kritik von UNO und Rechtsprofessor*innen
Die Massnahmen sollen auch gegen Kinder ab zwölf Jahren (respektive ab 15 bei Hausarrest) ausgesprochen werden können. Unter anderem dieser Verstoss gegen die UNO-Kinderrechtskonvention und brachte der Schweiz scharfe Kritik der UNO ein. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates bezeichnet die im PMT vorgeschlagenen Massnahmen als «übermässigen und willkürlichen Eingriff in die Menschenrechte». Und: «Keine unserer Empfehlungen in unserem 16-seitigen offiziellen Brief an den Bundesrat wurden in der Gesetzesvorlage berücksichtig», betonten die zuständigen UN-Menschenrechtsexperten Ende Mai. «Der Bundesrat gab keine befriedigende Antwort auf unsere Einwände gegen die Unvereinbarkeit der Vorlage mit den Menschenrechten und mit der optimalen Vorgehensweise in Sachen internationale Antiterror-Massnahmen.»
Der in der Gesetzesarbeit ebenfalls nicht berücksichtigte, siebenseitige Offene Brief von sechzig Schweizer Rechtsprofessor*innen an Bundesrat und Parlament hält fest, dass polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus unbedingt menschenrechts- und verfassungskonform zu sein haben. Die heftige Kritik von internationalen Institutionen, Menschenrechtsorganisationen und Vertreter*innen der akademischen Forschung seien keine «politische Stellungnahmen» oder «persönliche Meinungen», sondern «das Ergebnis ernsthafter und vertiefter juristischer Analysen». Staatliches Handeln in diesem Bereich habe «in Anbetracht der inhärenten Risiken einer ‹Null-Risiko-Politik› mit grösster Vorsicht zu erfolgen.»
Mit dem neuen, griffigen Gesetz soll das fedpol künftig präventive Zwangsmassnahmen gegen Personen anordnen können, bei welchen es aufgrund von «Anhaltspunkten» davon ausgeht, dass sie in ungewisser Zukunft «eine terroristische Aktivität» ausüben könnten. Diese Einschätzung basiert lediglich auf Mutmassungen über künftige Handlungen und Absichten von Personen – ein strafrechtlich relevanter Tatverdacht fehlt.

«Furcht und Schrecken»
Somit können elektronische Überwachung, Kon-taktverbote, Ein- und Ausgrenzungen, Ausreiseverbote und sogar Hausarrest gegen Menschen zum Einsatz kommen, die mit politischen Absichten «Furcht und Schrecken» verbreiten – eine vage Definition, die selbst politische Demonstrationen und Aktionen nicht ausschliesst. Dazu würde das fedpol – mit Ausnahme des Hausarrests – nicht einmal eine richterliche Genehmigung benötigen. Auch zu Unrecht verdächtigte Personen wären so der Willkür der Polizei ausgeliefert.
Die Zwangsmassnahmen sind mit massiven Einschränkungen der Grundrechte verbunden, etwa der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Arbeit und Bildung. Dass die präventiven Massnahmen auch gegen Kinder ab zwölf Jahren zum Einsatz kommen können, steht zudem im Wiederspruch zur UNO-Kinderrechtskonvention.

Auch die Kantone verschärfen
Viele Kantone sind daran, ihre Polizeigesetze rechtssaatswidrig zu verschärfen, oder haben dies bereits getan. Nicht immer ohne demokratischen Widerspruch – wie im Kanton Bern. Im März 2018 beschloss der Grosse Rat des Kantons Bern die Totalrevision des Polizeigesetzes. Das Gesetz schuf eine neue Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinden. Es enthielt jedoch auch einige grundrechtlich problematische Regelungen. Neu sollten Kosten, die durch gewalttätige Ausschreitungen an Demonstrationen entstehen, auf die Organisator*innen über-wälzt werden. Weiter sollten neue strenge Bestimmungen zur Wegweisung und Fernhaltung von Fahrenden sowie sehr weitreichende Überwachungsbefugnisse der Polizei eingeführt werden.
Das revidierte Berner Polizeigesetz stand wie das eidgenössisch Polizeimassnahmengesetz von Anfang an wegen grundrechtlich heiklen neuen Regelungen in der Kritik. Eine breite Allianz aus Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechts- und Minderheitenorganisationen reichte deswegen Beschwerde beim Bundesgericht ein. Nachdem das Referendum gegen das Gesetz vom Volk abgelehnt worden war, reichte ein Komitee aus verschiedenen Organisationen Beschwerde beim Bundesgericht ein. Grossrätin Christa Ammann, Mitglied des Komitees, sagte: «Ein Gericht hat die Aufgabe, korrigierend einzugreifen, wenn ein Parlament oder die Stimmbevölkerung etwas entscheidet, das mit den Grundrechten nicht vereinbar ist.» Das Bundesgericht in Lausanne folgte den Beschwerdeführenden und hiess im April 2020 zahlreiche Punkte der Beschwerde gut. So wurden die Befugnisse zu GPS-Überwachungen aus dem Gesetz gestrichen sowie die «Lex Fahrende» vollumfänglich aufgehoben. Einzig die Bestimmung zu den Demonstrationen liess das Bundesgericht unangetastet.

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zur Sicherheit untenstehende Aufgabe lösen * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.