Unser Leben zurückerobern!

Die Zeit ist reif für eine Verkürzung der Arbeitszeit! Bild: zVg

flo. Die Forderung nach einer radikalen Reduktion der Arbeitszeit macht in der politischen Linken die Runde. Der Kampf um weniger der eigenen Lebenszeit an den Patron zu verschwenden, ist engstens mit der Arbeiter*innenbewegung
verbunden und ist nach wie vor von grosser Bedeutung.

Vor Kurzem waren wir zum Tag der Arbeit auf den Strassen. Nach zwei Jahren eingeschränktem Versammlungsrecht konnte die Arbeiter*innenbewegung sich wieder die Strasse nehmen und für ihre Forderungen und Perspektiven agitieren. Ohne den Kampf für den 8-Stundentag in Chicago 1886 hätte es aber den wichtigsten Feier- und Kampftag unserer Klasse wohl nicht gegeben. Damals hatten Gewerkschaften einen Streik für die Arbeitszeitreduktion von zwölf auf acht Stunden organisiert. Damals hatte der Staat die Streikbewegung gewaltvoll unterdrückt. Bis zum 4.Mai starben in dem am 1.Mai begonnenen Streik 18 Arbeiter und ein Polizist. Acht Mitorganisatoren wurden für ein Bombenattentat, bei dem bis auf den einen Polizisten nur Arbeiter getötet wurden, verantwortlich gemacht und im Rahmen eines Justizmords des US-Staats hingerichtet. Die Forderung, dass wir weniger Lebenszeit mit entfremdender Lohnarbeit verschwenden müssen, war daher schon früh Teil der Bewegung unserer Klasse. So muss es nicht erstaunen, dass die Forderung nach einer Reduktion der zulässigen Höchstarbeitszeiten auch heute noch Konjunktur hat.

Weniger Arbeiten fürs Klima
Besonders prominent portiert wird die Forderung aktuell von den Aktivist*innen der Klimastreikbewegung. Die Klimaaktivist*innen argumentieren, dass eine Reduktion der Arbeitszeit nötig sei, damit die heissgelaufene kapitalistische Produktionsmaschinerie nicht endgültig zum ökologischen Kollaps führt. Die Aktivist*innen stellen mit ihrer Forderung den richtigen Zusammenhang her: Laut einer OECD-Studie würde eine Reduktion der Arbeitszeit um ein Viertel einer Senkung des ökologischen Fussabdrucks pro Person um 36 Prozent entsprechen. Der Wert ergibt sich aus den Einsparungen in der Produktion wie auch dem Verkehr.
Doch nicht nur die Klimajugend kämpft für eine Reduktion der Arbeitszeiten. Im Parlament reichte Tamara Funiciello (SP) im Dezember 2021 eine Motion für die Einführung einer maximalen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden ein. Der Bundesrat schmetterte die Forderung ab. Eine niedrigere Wochenarbeitszeit sei, so die Regierung, eine Abkehr von zentralen Elementen der Schweizer Arbeitsmarktpolitik. Folgt man jedoch dieser Logik, wäre auch die Reduktion der Arbeitszeit auf 8,5 Stunden ein Bruch mit diesen Prinzipien gewesen. Und wenn die Arbeitszeitreduktion einmal funktioniert hat, wie kann man argumentieren, dass es aktuell elementar sei, solche Reduktionen der Arbeitszeit zu verhindern?
Tatsächlich drängte bis vor nicht allzu langer Zeit die Bourgeoisie mit ihren Vollzugsgehilf*innen im Parlament und einigen Renegaten (so SP-Ständerat Daniel Jositsch, der offen für eine Flexibilisierung bis hin zur 60-Stunden-Woche warb) nach einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in Bezug auf die zulässigen Arbeitszeiten. Die Logik der Kapitalist*innen ist klar: Die Arbeiter*innen haben zur Verfügung zu stehen, egal was sonst so in ihrem Leben läuft, welche Verpflichtungen und Aufgaben im Alltag noch warten. Doch die Forderungen nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten dürften es gegenwärtig schwer haben. Tatsächlich scheint gar möglich, dass die schwierige Situation in Sachen Covid in den letzten zwei Jahren den Hebel unserer Klasse verlängert hat.

Uns unersetzbar machen
In den letzten Monaten machte die Einführung von 4-Tageswochen in einigen Schweizer Betrieben Schlagzeilen. Doch solche Massnahmen folgen nicht aus der Menschenliebe einzelner Kapitalist*innen, sondern aus den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Wo vor einigen Jahren unter dem Schlagwort «Fachkräftemangel» die kapitalistischen Wunschvorstellungen subsumiert wurden, nach denen sich Patrons den Idealangestellten herbei imaginieren, besteht aktuell auch in traditionellen Tieflohnbranchen wie der Gastronomie ein Mangel an Arbeitskräften.
Unzählige prekarisierte Arbeiter*innen wurden während der Covid-Pandemie arbeitslos. Viele von ihnen besitzen keinen Schweizer Pass und treffen so die Entscheidung, in die Heimat zurückzukehren. Laut einer Umfrage von Hotelleriesuisse vom Februar 2020 hatten zwei Drittel der Hotelleriebetriebe Mühe, Stellen zu besetzen. Dabei kommt nun eine paradoxe Situation zum Tragen: Sinkt die Zahl der Arbeitssuchenden, schrumpft auch die stille Reserve der Kapitalist*innen. Die Werktätigen werden erpressbarer, sind eher darauf angewiesen, still zu halten und in einer schlechten Stellung zu bleiben, ohne die Möglichkeit zu haben, sich zu wehren. Kommt man der Vollbeschäftigung näher, werden auch politische Forderungen wie die allgemeine Reduktion der Arbeitszeit, erreichbar, wodurch wiederum der Hebel der Werktätigen länger wird. Mit sinkender Arbeitszeit sinkt auch die Arbeitslosigkeit. Wir sind weniger leicht auszutauschen und die Perspektiven für das Erkämpfen von Verbesserungen auch in anderen Bereichen werden besser. So ist nicht weiter erstaunlich, dass sich die Gewerkschaften syndicom und Unia dem Kampf für eine Reduktion der Arbeitszeit (in konkreten Fall auf eine 35-Stunden-Woche) angeschlossen haben.

Die Zeit ist reif
Dafür wurde die Unia Ende Februar von der NZZ gescholten, «politische Verteilkämpfe» zu führen. Die 35-Stundenwoche sei eine «Lifestylevoralge». Man muss sich schon fragen, was aus Sicht der FDP-Presse sonst in der Politik so läuft, als Verteilkämpfe. Vor allem zeigen die alte Tante und das Schweizer Bürgertum, dass dieses System für uns nichts mehr zu bieten hat als Verschlechterungen unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Dabei erfüllt die Forderung nach einer Reduktion der Lebenszeit, die wir jeden Werktag an Kapitalist*innen verkaufen, zwei wichtige Aufgaben: Sie verbessert das Leben von Millionen von Menschen sowie die Bedingungen, mit denen wir uns im Klassenkampf konfrontiert sehen.
Wichtig ist dabei, dass die Reduktion der Arbeitszeit allgemein gilt und nicht Branche für Branche über Gesamtarbeitsverträge (GAV) eingeführt wird. Bei so einer Variante würden die am stärksten prekarisierten Branchen – oft auch die mit einem schlechten Organisationsgrad – unter den Tisch fallen. Damit der Arbeitszeitreduktion der politische Durchbruch gelingen kann, dürfen wir es nicht bei Forderungen im parlamentarischen Kontext belassen. Die Kräfteverhältnisse im Parlament sprechen klar gegen ein solches Vorgehen, wenn nicht bei den nächsten Wahlen ein wirklicher Linksrutsch das Parlament umkrempelt. Insofern tun besonders die Gewerkschaften gut daran, die Forderung allgemein zu stellen – so wie sie es im Zuge der Aktionen vom Klimastreik am 9.April gemacht haben. Und nicht zu vergessen ist, wie das erste Mal durch die Werktätigen ein 8-Stundentag erkämpft wurde: 1840 konnten neuseeländische Arbeiter*innen in Wellington mit dem Mittel des Streiks dafür sorgen, dass ihre Arbeitszeit um die Hälfte auf die noch heute gültigen acht Stunden reduziert wurde. Nach mehr als 180 Jahren ist die Zeit reif für eine neue Reduktion.

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