Da sind wir immer noch!

flo. Der 1.Mai fand dieses Jahr in der ganzen Schweiz wieder wirkmächtig statt. Nach drei Jahren, in denen der Kampftag von der Covid-Pandemie überschattet wurde, nahmen sich wieder Zehntausende die Strassen.

Es ist nicht übertrieben, den 1.Mai, den Kampftag der internationalen Arbeiter:innenklasse, als wichtigsten Tag im Kalender der meisten Linken zu bezeichnen. Auch dieses Jahr kamen an den Veranstaltungen in der ganzen Schweiz und auch auf dem Rest des Globus unzählige zusammen, um zu demonstrieren, zu kämpfen, zu diskutieren, zu streiten und zu feiern. Insgesamt 50 Anlässe zum Tag der Arbeit fanden landauf und landab statt. In Zürich waren es mehr als 10000, die sich an der Demo beteiligten, in Genf 2000 (obwohl der Tag der Arbeit dort kein Feiertag ist), weitere 1000 demonstrierten in Basel. Und auch in zahlreichen kleineren Städten gab es Demonstrationen und 1.-Mai-Feiern. Es war wieder mal ein Tag, der Kraft gab für all die Kämpfe des kommenden Jahres. Doch leider war es auch ein Kampftag, an dem sich die Staatsmacht mit brutaler Repression gegen die politische Linke wandte.

Unterdrückung mit Ansage
Vor allem viel zu reden gab der Fall Basel. Die Genossin Deniz Killi der Partei der Arbeit Sektion Basel (PdAS BS) erzählt dem vorwärts, dass schon von Beginn weg, etwa 400 Meter nach dem Start der Demo, rund 200 Teilnehmende des vorderen Teils von der Polizei eingekesselt wurdem – und dies trotz Bewilligung für die Demo. Der Vorwand: vermummte Teilnehmende mit Schutzausrüstung. «Uns wurde dann eine alternative Route von der Polizei angeboten», erklärt Killi im Gespräch mit dieser Zeitung. Davon wollte man bei den Gewerkschaften und der PdAS BS als Teil vom Komitee vom 1.Mai nichts wissen. «Es war klar, dass wir nur alle zusammen laufen, oder eben warten, bis die Menschen, die im Kessel gefangen waren, wieder frei kamen», so Killi weiter.
Basel ist schon in der Vergangenheit mit massiver Repression gegen die politische Linke – ob am 8.März oder bei «Basel Nazifrei» – aufgefallen. Und es war eine Eskalation der Repression, die gewissermassen eine Ansage hatte: Mit ihrem «Demo-Kodex» haben die reformistischen Organisationen der Linken in Basel, allen voran die Sozialdemokratie, zu einem repressiven Vorgehen gegen den Demonstrationszug direkt eingeladen (siehe vorwärts-Nr. 13/14.) Deniz Killi meint dazu: «Das hat den Bürgerlichen sicher in die Hände gespielt: Vor dem 1.Mai signalisierte so die SP, dass die Linke gespalten ist.»
Obwohl laut Medienberichten auch die Gewerkschaften diesen unseligen Kampftag-Knigge unterzeichnet hatten, ist gerade ihnen zugutezuhalten, dass sie in dieser Situation den Forderungen der Arbeiter:innen nicht den Rücken zugekehrt, und sich sich mit den Eingekesselten solidarisiert haben. Das 1.-Mai-Fest fand improvisiert im Polizeikessel statt. Unia-Vorsitzende Vania Alleva, die sich bei der Demonstration befand, meinte in ihrer Rede zum Einsatz: «Ausser Pfefferspray wird uns nichts geschenkt.» Darum sei es wichtig, für die Rechte von Arbeiter:innen zu kämpfen. Und: «Die Strasse gehört uns am 1.Mai!»

Brutale Gewalt
In Sachen Einschränkung des grundlegenden Rechts auf freie Versammlung blieb Zürich dieses Jahr zumindest ein wenig hinter der Basler Polizei zurück. Bei der offiziell bewilligten Demo kam es zu keinen wirklich nennenswerten Zwischenfällen. Doch, was die Brutalität der Polizei anging, können es die Zürcher Polizist:innen ohne Probleme mit ihren Basler Kolleg:innen aufnehmen. Als sich einige Hunderte beim Helvetiaplatz zur Nachdemo besammelten, griff die Polizei hart durch. Sofort wurde versucht, die Demonstration mit einem grossangelegten Kessel zu verhindern. Als die Demonstrierenden über einen Zaun aus dem Kessel flohen, wurde sogleich das ganze Kanzleiareal eingekesselt. Tränengas und Gummischrot wurden sowohl auf Demonstrant:innen, als auch auf Unbeteiligte geschossen, die schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Verhältnismässigkeit war an diesem Kampftag wieder mal ein Fremdwort für die Staatsmacht. Eine Person wurde durch Gummischrot schwer verletzt. Der Revolutionäre Aufbau schrieb dazu in einer Stellungnahme: «Die Bullen haben in Zürich einem jungen Genossen ein Auge weggeschossen.» Trotz einer Notoperation noch am selben Abend konnte das Auge leider nicht mehr gerettet werden. Wir drücken dem Genossen auf diesem Weg unsere tiefste Solidarität aus.
Dass es zu so schweren Verletzungen kam, muss nicht erstaunen: Ein Reporter bestätigte gegenüber dem Tages-Anzeiger, dass die Polizei ohne freies Sichtfeld in die eingekesselte Menge geschossen habe. Einmal mehr wurden so schwerste Verletzungen von linken Aktivist:innen durch die Polizei nicht nur in Kauf genommen, sondern – man kann es nicht anders sagen – gesucht.

Siegen!
Trotz solcher Exzesse durch die Staatsmacht, trotz hunderter Wegweisungen, Dutzender Verhaftungen und trotz Genoss:innen, die die Wunden dieses Tages ein Leben lang tragen werden, war der 1.Mai 2023 erneut ein Tag des organisierten Ausdrucks unserer Klasse. Ein Tag, an dem wir in aller Deutlichkeit und Klarheit gesagt haben: Doch, da sind wir immer noch! Die Gespräche, die wir an diesem Tag führten, die Demos, an denen wir uns beteiligten, das Wissen, das wir uns angeeignet und anderen Genoss:innen mitgegeben konnten, werden uns auch den Rest des Jahres stärker machen. Aber der Tag der Arbeit ist nicht einfach nur ein Tag, an dem wir die Gesellschaft an unsere Existenz erinnern – es ist ein Tag, an dem Linke aller Couleur zusammenkommen, um Kraft aus dem kollektiven Kampf zu schöpfen. Und auch wenn das Niveau sowohl der Klassenkämpfe als auch der Veranstaltungen zum Tag der Arbeit in der Schweiz noch reichlich Luft nach oben hat, war es ein Tag, an dem wir spüren konnten: Wir können siegen, wir müssen siegen, wir werden siegen!

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zur Sicherheit untenstehende Aufgabe lösen * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.