Sexuelle Selbstbestimmung verteidigen!

Frauen-Café Winterthur. Seit den voranschreitenden Wahlsiegen von rechten, meist fundamentalistisch-christlichen Parteien in Europa und anderen Teilen der Welt, nehmen die Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung (nicht nur) gegen Frauen zu. In vielen Ländern sind Frauen gezwungen, Verteidigungskämpfe für den Zugang zu sexueller Bildung, Verhütung und die Entscheidung über Fortpflanzung zu führen. Frauen sehen sich mit Angriffen konfrontiert, die sehr akut ihre Gesund¬heit gefährden und ihr Leben einschränken sollen.

Weltweit werden jährlich circa 56 Millionen Abtreibungen durchgeführt, davon werden laut Weltgesundheitsorganisation fast die Hälfte – 25,5 Millionen – mit unsicheren Methoden gemacht. Fast alle unsicheren Schwangerschaftsabbrüche werden in Afrika, Asien und Lateinamerika durchgeführt. In vielen ehemaligen Kolonien wurden durch europäische Herrscher unter Einfluss der Kirchen restriktivste Abtreibungsverbote festgeschrieben, die bis heute überdauern. 30 000 bis 70 000 Frauen sterben jedes Jahr durch unsichere Abtreibungen, bis zu fünf Millionen werden in der Folge lebenslang behindert.
Vor allem dort, wo Abtreibungen verboten oder nur bei Gefahr für das Leben der Frau erlaubt sind, ist die Lage am prekärsten. Je verbotener und stigmatisierter der Abbruch, desto grösser die Gefahr für Gesundheit und Leben der Betroffenen. Aber auch an Orten, an denen eine Liberalisierung der Abtreibung erkämpft worden ist, kommen unsichere Schwangerschaftsabbrüche vor. So werden in Osteuropa mehr als 14 Prozent aller Abtreibungen unsicher durchgeführt. Denn nicht nur eine repressive Rechtslage hindert Frauen, eine ungewollte Schwangerschaft zu unterbrechen, auch die soziale oder familiäre Situation, der Wohnort, der Aufenthaltsstatus, die Klassen- oder Religionszugehörigkeit kann dazu führen, dass Frauen ein vorhandenes medizinisches Versorgungsangebot nicht in Anspruch nehmen können. Je ländlicher und reaktionärer die Umgebung, je ärmer und marginalisierter die Betroffene, desto grösser das Risiko, bei dem Schwangerschaftsab-bruch auf sich alleine gestellt zu sein. Das Recht auf Selbstbestimmung ist immer auch eine Klassenfrage.

Unter Beschuss von rechts
Die bereits prekäre Situation vielerorts wird durch regelmässige Angriffe der Rechten auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen in den Parlamenten und auf der Strasse verschärft. Obwohl in den meisten Ländern mit liberalerer Regelung nicht die Abtreibung an sich erlaubt ist, sondern nur gewisse Ausnahmen straffrei sind, ist dies in den Augen der religiösen FundamentalistInnen unerträglich.
In Polen, Irland, den USA oder Brasilien sind zahlreiche Rückschritte bei der Gesetzgebung, Kürzungen und Einschränkung der Gesundheits¬versorgung von Frauen im Zusammenhang mit Ver¬hütung oder Beendigung einer Schwangerschaft durch rechte Parteien vorangetrieben worden. In Spanien und der Türkei wurden Vorstösse nach breiten Protesten auf Eis gelegt. In der Schweiz wurde 2014 der letzte Versuch der SVP und christli¬cher FundamentalistInnen anderer Parteien abge¬lehnt, die per Initiative versuchten, die Kosten für eine Abtreibung – die erst seit 2002 unter gewissen Voraussetzungen straffrei ist – nicht mehr durch die Krankenkassen zahlen zu lassen.
Die Angriffe der Rechten betreffen nicht nur das grundlegende Recht auf die Entscheidung, ob ein Kind ausgetragen werden soll oder nicht. Auch das Recht auf Information über jegliche Form von Sexualität und sexueller oder geschlechtlicher Identität, über Verhütung und Reproduktion wird negiert und vehement bekämpft. Die christlich unterfütterte, rechte Ideologie sieht in Frauenkämpfen und Feminismus den Untergang des Abendlandes. Feministische Kritik an Geschlechterrollen, Familiennormen und Arbeitsteilung wird unter dem Kampfbegriff des «Genderismus» verteufelt. Die Frauen sollen zurück an den Herd, zurück zur Rolle als Gebärmaschine fürs Vaterland, die Kirche soll im Dorf bleiben, trotz sinkenden Mitgliederzahlen und zerstörter Glaubwürdigkeit durch massenhafte sexuelle Ausbeutung von Kindern. In diesem Zusammenhang ist die Bekämpfung der sexuellen Bildung von Kindern und Jugendlichen zu verstehen, die von den gleichen Kreisen propagiert wird: Unsichere und unaufgeklärte Kinder sind einfache Opfer.

Rückschritte und Gegenproteste in Irland …
In Irland ist das Leben des Embryos jenem der Schwangeren durch die Verfassung seit 1983 gleich¬gestellt. Dadurch ist Abtreibung ein krimineller Akt. ÄrztInnen, die in Irland Abtreibungen durchführen, drohen bis zu 14 Jahre Gefängnis. Auch Kinder, die durch eine Vergewaltigung gezeugt wurden oder kaum überlebensfähig sind, müssen geboren wer¬den. Die Regelung im von Britannien besetzten Nor¬den Irlands ist gar noch restriktiver und wurde im Februar 2018 zum wiederholten Mal durch die Uno als unmenschliche und brutale Behandlung von Frauen bezeichnet.
2012 starb Savita Halappanavar, eine 31-jährige Inderin, in einem irischen Krankenhaus an ei¬ner Fehlgeburt, weil trotz schwerer Komplikationen keine Abtreibung gemacht wurde. Man sei in einem katholischen Land, klärte man sie vor ihrem Tod auf. Seither hat die Bewegung für die Entkriminalisierung einen massiven Schub erhalten. 2013 wurde unter Druck die akute Lebensgefahr als einziger Abbruchsgrund akzeptiert. Am letzten 8. März riefen Frauenorganisationen zum Frauenstreik auf, um den 8. Verfassungsartikel endlich abzuschaffen. Nun hat die Regierung versprochen, noch dieses Jahr ein Referendum abzuhalten. Die Frauenbewegung verlangt, dass die Abstimmung noch im Mai stattfinden müsse, da danach die Studierenden in den Semesterferien das Land in grosser Zahl verlassen, um im Ausland Geld zu verdienen. Junge Frauen sind besonders betroffen. So reisten alleine 2016 über 3200 von ihnen nach England oder Holland, um dort abzutreiben. Hinzu kommen über 1500 per Internet bestellte Abtreibungspillen. Die Kirche und ihre reaktionären Verbündeten drängen auf eine Abstimmung im Juni, in der Erwartung, den frauenfeindlichen Status quo durchzusetzen.

… in Polen
In Polen hat sich in den letzten zwei Jahren eine massenhafte Mobilisierung von Frauen dem Ansinnen der rechten, christlichen Regierung widersetzt, das bereits sehr restriktive Abtreibungs-recht praktisch abzuschaffen. Seit 1993 sind Abbrüche nur bei Gesundheitsgefahr für die Frau, schwerwiegenden Behinderungen des Fötus und bei Schwangerschaften durch Vergewaltigung er-laubt. Die von der rechten Regierung geplante und vorerst durch Proteste verhinderte Verschärfung macht Abtreibung bei schwerbehinderten Föten illegal, nur bei schwerer Gefahr für das Leben der Schwangeren gibt es eine Ausnahme. Abtreibende Frauen sollen bis zu fünf Jahre ins Gefängnis, ÄrztInnen oder UnterstützerInnen drohen Gefängnis¬strafen zwischen einem und fünf Jahren.
Während den Grossmobilisierungen von 2016, dem Streik von mehreren 10 000 Frauen, dem so genannten «schwarzen Protest», stellten sich die Oppositionsparteien auf die Seite der wütenden Frauen. In der neusten Abstimmungsrunde im Januar sind sie gekippt und haben mit der Regierung verhindert, dass eine Initiative zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im Parlament behandelt wird. Dafür kam mit ihrer Hilfe eine Initiative der klerikalen Rechten durch, die verlangt, Abtreibungen von behinderten Föten zu verbieten – dies ist heute der Hauptgrund, aus welchem legal abgetrieben werden kann. Der Kampf um reproduktive Selbstbestim¬mung muss auch in Polen weitergeführt werden.

… in der BRD
In der BRD hat, seit die Ärztin Kristina Hänel im November 2017 durch ein Gericht wegen «Werbung» für Abtreibungen zu einer Strafe von 6000 Euro verurteilt wurde, eine feministische Mobilisierung Fahrt aufgenommen. Gefordert wird, dass der Artikel 219a des Strafgesetzbuches abgeschafft wird, der 1933 von den Nazis eingeführt wurde, um gegen sozialistische, liberale und meist jüdische ÄrztInnen vorzugehen, die Aufklärung und Abtreibungen betrieben. Die Verurteilung Hänels kam zustande, nachdem sie durch eine Abtreibungsgegnerin angezeigt worden war, die eine Homepage namens «Babycaust» betreibt.
Die Belästigung von Gesundheitsfachleuten und Betroffenen vor Kliniken und Praxen hat in Europa zugenommen. Während in den USA die teils gewalt¬tätigen und tödlichen Angriffe auf AbtreibungsärztInnen und -kliniken Tradition hat, ist hier erst seit einigen Jahren eine Nachahmung zu erkennen. In den USA wurde während einem Jahr Trump-Herrschaft die Unterstützungszahlungen an Organisationen, die über Verhütung und Familienplanung informieren eingestellt, die Finanzierung von Verhütungsmitteln durch Krankenkassen abgeschafft und das Parlament hat das Abtreibungsrecht verschärft.

Frauen wissen sich zu helfen
Trotz Repression und Reaktion gibt es einen Trost: Eine Studie hat aktuell festgestellt, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, auch unter erschwerten Bedingungen die Abtreibung durchzuführen, die sie brauchen. Vermehrt haben Frauen mit Hilfe der Online-Unterstützung von «women on web» sicher selber abgetrieben. Die NGO stellt per Internet die Medikamente mit den Wirkstoffen Mifepriston und Misoprostol Frauen bis zur 10. Schwangerschaftswoche zur Verfügung, wenn sie in Gegenden leben, wo es keinen legalen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch gibt.

Widerstand hier und international
Wir sehen uns in Winterthur, einer Hochburg der Freikirchen, einem beunruhigenden Machtzuwachs der fundamentalistisch-christlichen PolitikerInnen gegenüber. Evangelikale Privatschulen werden gefördert, Sozialarbeit wird vom Staat an die Sekten ausgelagert. Im Stadtrat überwiegen religiöse und polizeiaffine PolitikerInnen, im Gemeinderat stehen über 13 Prozent den rechten Evangelikalen nahe, während der grösste Teil der Bevölkerung (45 Prozent) nicht christlich oder nicht religiös ist und somit in der Stadtpolitik keine Vertretung hat. Gemäss Lokalzeitung sagen zwar über 80 Prozent der GemeinderätInnen, das sie ein umfassendes Abtreibungsverbot ablehnen, fast 30 Prozent glauben aber nicht an die Evolution. Wie viele dieser PolitikerInnen an Anlässen wie dem «Marsch fürs Läbe» teilnehmen, ist unbekannt. Fest steht, dass zahlreiche evangelikale Sekten frauenfeindliche, homophobe, rassistische und reaktionäre Positionen vertreten.
Wir stellen uns dieser Entwicklung entgegen. Der freie und kostenlose Zugang zu Verhütung und Abtreibung, die freie und umfassende sexuelle Bildung und Ermächtigung aller Formen der Sexualität und geschlechtlicher Identitäten, die Stärkung des Wissens und des Selbstbewusstseins von Kindern und Jugendlichen gegen Übergriffe und Diskriminierung, sind unabdingbar. Stehen wir solidarisch zusammen gegen Angriffe von rechts!

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