Klaus Petrus. Eins liebte der Tunesier Chamseddine Marzoug das Meer, heute verflucht er es. Zu viele Tote musste der 60-jährige Mann herausfischen, der vom Fischer zum Totengräber im «Friedhof der Unbekannten» wurde. Und weil auch Tunesien sich als Grenzwächterin Europas einkaufen lies, wird im Land massiv gegen Migrant:innen gehetzt.
Chamseddine Marzoug. Bild: Klaus Petrus
Chamseddine Marzoug hat das Zeug zum Helden. Vor zwanzig Jahren war es, als sich Leichenteile in seinen Netzen verfingen, mal ein Arm, dann ein Stück Bein, ein Kopf, ein paar Finger, auch Kleider, Schuhe und Puppen waren dabei. Habseligkeiten von Migrant:innen, die auf maroden Schiffen von Tunesien über Lampedusa nach Europa fliehen wollten, die kenterten, ertranken und vom Meer an die Küste zurückgeschwemmt
wurden.
2011 waren es besonders viele. Damals tobte in Libyen der Bürgerkrieg, 300’000 flüchteten allein in den ersten Monaten nach Tunesien. Und so stiegen immer mehr in diese Holzboote, Fischerboote, Gummiboote, sie zahlten den Schlepper ordentlich Geld, denn alle wollten sie weg. Als das Meer, das Marzoug einst liebte und heute verflucht, zum Friedhof wurde, begann er die Toten oder was von ihnen übrig war in Säcke zu packen, er hievte sie auf einen Pickup, fuhr in die Wüste hinaus, schaufelte Mulden zwei Meter in die Tiefe, er legte die Leichen hinein und schmückte die Gräber mit Plastikblumen, mit Tafeln aus Ton und Engel aus weissem Porzellan.
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