Fehlende Sensibilität

Gaston Kirsche. Der Abgeordnete Deniz Çelik der Partei Die Linke im Hamburger Parlament schaffte mit seiner parlamentarischen Anfrage etwas Licht in Sachen polizeiliche Datenbanken über rund 11000 Personen. Im Gespräch erklärte er, warum eine intensive Auseinandersetzung nötig ist.

Wie kommt es zu der enorm grossen G20-Datenbank CRIME der Hamburger Polizei?
Datenbasierte Polizeiarbeit hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen und ist auch in der Polizei Hamburg ein wichtiges Instrument. Auch in der Vergangenheit gab es bei der Polizei keinerlei Zurückhaltung bei Datenbanken und man führt Dateien über vermeintliche «Linksextremist*innen», ebenso wie über aktive Fussballfans und schreckt auch nicht vor der Speicherung von sensiblen Daten wie «Volkszugehörigkeit» oder Gesundheitsinformationen zurück. Angesichts des Datenhungers der Polizei Hamburg ist die Datei «Schwarzer Block» keine Überraschung. Für eine datenbasierte Polizeiarbeit war der G20-Gipfel ein wahres Datengewinnungsparadies. Allein die über 400 Ingewahrsamnahmen, unzählige Personalienfeststellungen und natürlich auch die fast 100 Terabyte Bildmaterial dürften dafür ein guter Datenlieferant gewesen sein.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Pushbacks und Geldsegen

An den EU-Grenzen werden Asylsuchende trotz Recht auf ein Asylverfahren oft von Grenzbehörden misshandelt und abgewiesen. Bild: Klaus Petrus

dab. Trotz illegalen Zurückweisungen und Menschenrechtsverletzungen wollen Bundesrat und Parlamente den jährlichen Beitrag an die EU-Grenzschutzagentur Frontex um mehr als das Vierfache erhöhen. Das Referendumskomitee verlangt «Bewegungsfreiheit statt Grenzgewalt für alle».

National- und Ständerat sprachen mehr Geld für die Grenzschutzagentur. «Gegen erbitterten Widerstand der Ratslinken» (O-Ton sda) gaben sie grünes Licht für die Erhöhung des jährlichen schweizerischen Beitrags von 14 auf 61 Millionen Franken. Auch mehr Personal soll der Bund laut der neuen Gesetzesvorlage in Zukunft zur Verfügung stellen. Eine Erhöhung des Kontingents für Resettlement-Flüchtlinge, die die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR aufnimmt, auf mindestens 4000 Personen pro Jahr lehnten beide Kammern ab. Die in der Schlussabstimmung angenommene Vorlage enthält auch «humanitäre Ausgleichsmassnahmen» im Asylrecht, die der Ständerat eingebracht hat: Die Rechtsmittel der Asylsuchenden sollen gestärkt und die Unterstützung bei Beschwerdeverfahren ausgeweitet werden. » Weiterlesen

Die Partei als Mittel der Bevölkerung

Von links: Klubobmann Manfred Eber, Elke Kahr und Robert Krotzer bei der Vorstellung des Wahlprogramms der KPÖ. Bild: zVg

flo / sit / Marius Käch. Die Kommunistische Partei Österreichs hat bei den Wahlen in Graz einen historischen Erfolg errungen und ist mit 28,84 Prozent der Stimmen die stärkste Partei der Hauptstadt des südösterreichischen Bundeslandes Steiermark. Der vorwärts sprach mit dem Genossen Robert Krotzer, der seit 2017 mit Elke Kahr Mitglied des Grazer Stadtrats ist, der Exekutive der Stadt. Neu hat die KPÖ drei von sieben Sitzen.

Robert, seid ihr auch noch drei Tage nach dem Wahlerfolg am Feiern?
(Lacht). Diese Frage beantwortete Elke Kahr, mit der ich für die KPÖ in der Grazer Exekutive, sprich dem Stadtrat sitze, in einem Zeitungsinterview so: ‹Auch wenn man eine gute Schularbeit geschrieben hat, hört man ja nicht auf zu lernen.› Als politische Bewegung ist klar, dass man sich das Vertrauen immer wieder erarbeiten muss. Es gibt keine Vorschusslorbeeren, die ewig währen. » Weiterlesen

Die Regeln ändern

Thierry Bodin. Bild: zVg

Joël Depommier. Am 13.Oktober protestierten linke Kräfte in Bern vor dem Gebäude der Welthandelsorganisation (WTO). Ihre Forderung ist die Abschaffung der Patente. Thierry Bodin des französischen Gewerkschaftbunds Confédération générale du travail (CGT) erklärt im Interview, warum der Druck aus der Bevölkerung steigen muss.

Thierry, wie stehen Frankreich und die Europäische Union dazu, dass der US-Präsident eine vorübergehende Aufhebung der Patente unterstützt?
Am 2.Oktober 2020 beantragten Süd-afrika und Indien bei der WTO die Aufhebung der Patente. Europa und die grossen Erzeugerländer wie Frankreich, Deutschland und die Schweiz lehnen diesen Vorschlag jedoch ab. Wir müssen also eine Mobilisierung der Bevölkerung schaffen, um die Aufhebung der Patentrechte zu erreichen. Aus diesem Grund haben wir diesen Tag vor dem WTO-Gebäude organisiert, zu einem Zeitpunkt, an dem der zuständige Rat den Vorschlag für eine befristete Ausnahmeregelung der Impfstoffpatente prüft. Je länger wir zögern, desto mehr Menschen sterben.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

«Wir verstehen den Marxismus als unseren Kompass und unser Werkzeug»

Das KPÖ-Wahlprogramm an der Pressekonferenz. Die Vorschläge der Partei stiessen bei den Grazer*innen auf viel Gehör, wie der Wahlerfolg der Genoss*innen beweist. Im Hintergrund: Manfred Eber, Elke Kahr und Robert Krotzer. Bild: KPÖ Graz

Marius Käch. Die Kommunistische Partei Österreichs erzielt in Graz einen beeindruckenden Wahlsieg und ist mit 28,8 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft. Die jahrelange Basisarbeit hat sich bewährt. Der vorwärts sprach mit KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer.

Am Wahlsonntag vom 26.September in Österreich: In Graz, der Hauptstadt des südösterreichischen Bundeslandes Steiermark und zweitgrössten Stadt der Republik, geschieht das schon fast Unglaubliche: Unzählige Werktätige aus allen Stadtbezirken strömen zum Volkshaus der Kommunistischen Partei (KPÖ). Dort ertönt lautstark die Internationale unter der roten Fahne mit Hammer und Sichel. Die Genoss*innen haben die Wahlen gewonnen und sind nun die stärkste Kraft in der Stadt. Kompliment! Die Konservativen verlieren nach über 18 Jahren Regentschaft als grösste Partei ihre Vormachtstellung in Graz und die Politiker*innen des Landes sprechen ihre Sorgen über das Wahlergebnis aus. » Weiterlesen

Die Tugend der gegenseitigen Hilfe

Mathias Stalder. In der süditalienischen Region Gioia Tauro, geprägt durch die Mafia, besteht die landwirtschaftliche Kooperative «Mani e terra». Es ist ein Ort der konkreten Solidarität mit migrantischen Landarbeiter*innen und Kleinproduzent*innen, eingebettet in die Kampagne SOS Rosarno. Ein Gespräch mit Guiseppe «Peppe» Pugliese, einem Mitgründer der Kooperative.
» Weiterlesen

Berlin enteignet

Peter Nowak. Das Berliner Volksbegehren für den Rückkauf von Wohnungen von privaten Immobilienunternehmen, das unter dem Titel «Deutsche Wohnen und Co. Enteignen» firmierte, war erfolgreich. Am 26.September stimmten rund 57 Prozent dafür. Bei der Umsetzung spielen die Mietrebell*innen eine wichtige Rolle.

«Wir fordern vom Berliner Senat, alle Massnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind», ist auf der Website dwenteignen.de der Initiant*innen des Volksbegehrens (gleichzusetzen mit einer Volksinitiative in der Schweiz) zu lesen. Konkreter: Private profitorientierte Immobiliengesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen, werden enteignet, um ihre Bestände in Gemeineigentum zu überführen. Genossenschaften sollen nicht enteignet werden. Die betroffenen Unternehmen werden deutlich unter Marktwert entschädigt. Zur Verwaltung der Bestände wird eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) geschaffen. Statutarisch wird verankert, dass die Bestände der AöR nicht privatisiert werden dürfen. Und in der AöR werden die in Gemeineigentum überführten Bestände unter demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft, Mieter*innen, Beschäftigten und Senat verwaltet.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Das weisse Gold Portugals

Die Bevölkerung will vom umweltschädlichen Abbau von Lithium zu Recht nichts wissen. Bild: zVg

Ralf Streck. Portugal soll über das grösste Lithiumvorkommen in Europa verfügen, das sechstgrösste weltweit. Bereits stehen internationale Bergbaufirmen in den Startlöchern. Doch es regt sich ein starker und militanter Widerstand gegen das Vorhaben, das zur Zerstörung der Natur und der Lebensweisen der Menschen führen würde.

Das Serra d’Arga ist ein einzigartiges Gebirge im Norden Portugals. Hier, wo der Grenzfluss Minho in den Atlantik mündet, trennt er gleichzeitig Portugal von Galicien in Spanien ab. Hinter der malerischen Kleinstadt Caminha und dem naheliegenden grösseren Viana do Castelo türmt sich am Atlantik das Serra-Gebirge gut 800 Meter auf, das aus vielen Seen, Wasserfällen und einer vielfältige Flora besteht, in dem etliche bedrohte Arten zu finden sind. Das Gebiet gehört zudem zur Route des atlantischen Wolfs. Der zieht auf seinen Wegen auf der Iberischen Halbinsel auch durch die abgelegene Barroso-Region, die zu einem guten Teil weiter östlich im Landesinneren zum grenzüberschreitenden Biosphärenreservat Gerês-Xurés gehört

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Kein Linksrutsch für Sozialdemokrat*innen

Die radikale Linke Partei Rødt legte bei den Wahlen kräftig zu. Bild: zVg

flo. Die Wahlen in Norwegen haben die Karten neu gemischt. Die konservative Regierung tritt ab, die Sozialdemokrat*in-nen übernehmen. Doch den neuen Regierenden steht eine schwere Legislaturperiode bevor. Auf der politischen Bühne spielt auch die radikale Linke eine Rolle.
Endlich sei es geschafft, liess der Oppositionsführer der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet (AP) Jonas Gahr Støre am Abend des 13.Septembers verlauten. Er meinte damit das Ende der konservativen Regierung von Ministerpräsidentin Erna Solberg, die Norwegen seit 2013 regierte.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Streikbrechende Wohlfahrtsstaaten

flo. Der Pflegenotstand galoppiert nicht nur in der Schweiz. Selbst in den vermeintlichen Hochburgen des Service Public, den Staaten Nordeuropas, verheeren Sparprogramme ganze Gesundheitssysteme – doch es regt sich Widerstand.

Leicht gemacht ist so ein Ausstand im Krankenhaus sicherlich nicht. Ob jetzt Ärzt*innen, Pfleger*innen oder Reiniger*in-nen in den Streik treten, drängt sich mit einer noch grösseren Dringlichkeit als bei anderen Berufen die Frage in den Vordergrund, wie sich der Streik auswirkt. Leiden Patient*innen darunter? Wird eine akute Erkrankung chronisch? Stirbt im schlimmsten Fall gar jemand wegen dem Arbeitskampf?

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

«Das ist eine grausame Grenze»

Die abgesperrte und bewachte Fussgängerbrücke über den Grenzfluss Bidasoa. Bild: Ralf Streck.

Ralf Streck. An der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, die es eigentlich in einem «Europa ohne Grenzen» nicht geben sollte, ist man entsetzt über drei Tote in wenigen Monaten. Das letzte Opfer ist der 18-jährige Abdulaye Kulibaly. Alle starben beim Versuch, den Grenzfluss Bidasoa zu überqueren.

Es liegt an diesem grauen Sommermontag erneut ein trauriger Schleier über der baskischen Klein- und Grenzstadt Irun, als sich auf dem Platz vor dem Rathaus hunderte Menschen versammeln, um dem 18-jährigen Abdulaye Kulibaly zu gedenken. Es fliessen Tränen der Trauer über den sinnlosen Tod des jungen Mannes aus Guinea, der am Vortag im «Europa ohne Grenzen» sein Leben an einer Grenze verlor, die es hier zwischen Spanien und Frankreich eigentlich gar nicht geben dürfte. Diese Grenze macht aber mit massiven Kontrollen und Absperrungen seit rund eineinhalb Jahren wieder deutlich auf sich aufmerksam. Auch Kulibaly hatte es mehrfach vergeblich versucht, auf dem Landweg über die Grenze zu kommen. Letztlich ist er beim Versuch ertrunken, durch den Bidasoa zu waten. Dieser Fluss markiert hier schmerzlich auch eine Grenze für die Bask*innen, da er das Baskenland in zwei Teile (Frankreich und Spanien) zerschneidet.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

«Wahlstreik» in Frankreich

Georg Polikeit. Zwei von drei Wahlberechtigten blieben den Regional- und Departementswahlen in Frankreich vom 20. und 26.Juni fern. Dies zeugt von grassierendem Misstrauen gegenüber der Politik. Die Rechtsextremist*innen von Marine Le Pen erhielten einen Rückschlag, während die Kommunistische Partei Erfolge verbuchen kann.

Gekennzeichnet waren diese Wahlen vor allem von einer aufsehenerregenden Nichtbeteiligung der grossen Mehrheit der Französ*innen: Zwei von drei Wahlberechtigten verweigerten die Stimmabgabe. Im ersten Wahlgang vom 20. Juni erreichte die «abstention» den historischen Rekord von 66,7 Prozent, den es in Frankreich seit 1945 bisher bei Wahlen noch nie gegeben hatte.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Illegale Push-Backs

Redaktion. Die griechische Grenzpolizei, unterstützt von Frontex, greift Menschen auf der Flucht an Land, auf See und selbst hunderte Kilometer entfernt von der Grenze gewaltsam auf und schiebt sie in die Türkei ab. Ein neuer Bericht von Amnesty International.

Die Menschenrechts-NGO fordert an-gesichts der völkerrechtswidrigen Push-Backs die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf, ihre Operationen in Griechenland auszusetzen oder sich ganz aus dem Land zurückzuziehen. Der Bericht «Greece: Violence, lies and pushbacks» (PDF, 46 Seiten) konzentriert sich auf rechtswidrige Operationen der Grenzpolizei zwischen Juni und Dezember 2020 in der Region Evros und am gleichnamigen Fluss, der die griechisch-türkische Grenze bildet.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Die monströse Abwehragentur

dab. Zehntausende Geflüchtete sterben seit Jahrzehnten im Mittelmeer, in Osteuropa werden viele misshandelt und ohne Asylverfahren zurückgeschoben. Der Druck aus Politik und Zivilgesellschaft auf die Flüchtlinge abwehrende und misshandelnde EU-Agentur Frontex wächst.

Zuwanderung wird viel weniger unter dem Aspekt der Menschenrechte als dem der Bekämpfung illegaler Einwanderung betrachtet und als Sicherheitsproblem behandelt, das mit hartem Durchgreifen beseitigt werden soll.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Nix geht ohne Lohnschutz!

flo. Mit dem institutionellen Rahmenabkommen soll EU-Dienstleister*innen der Zugang zum Schweizer Markt garantiert werden. Doch wegen der Unbeweglichkeit Brüssels beim Lohnschutz scheint das Abkommen nicht mehr gerettet werden zu können.

Die Situation beim Rahmenabkommen ist grösstenteils unsicher. Auf Anfrage des vorwärts heisst es bei der Gewerkschaft Unia, dass man durchaus bereit sei, Auskunft zu geben, aber die Informationen bis zum 1.Mai wahrscheinlich schon veraltet seien. Trotz grosser Unklarheiten ist in Bern wie in Brüssel relativ klar, dass das Abkommen so wie es vorliegt keine Chance hat.

Hüftschuss mit Folgen?
Doch in Brüssel scheint man Geschmack an direktdemokratischen Mitteln zu finden. Dies zumindest beim CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab, der die Schweiz-Delegation des EU-Parlaments anführt. «Ein Volksentscheid wäre uns lieber, als wenn der Bundesrat nach jahrelangem Hinhalten einfach Nein sagt», erklärte er. Der Christdemokrat spekuliert gar, dass das Schweizer Stimmvolk eine solche Vorlage bestimmt annehmen würde. Dies zeige alleine schon die Erfahrungen, die man im Zusammenhang mit dem bilateralen Weg mit der Schweiz gemacht habe – Herr und Frau Schweizer würden im Zweifelsfall schon für eine Kooperation stimmen. Warum die Schweiz nicht Teil der EU ist, wenn sich das Stimmvolk im Zweifel doch für die europäische Integration aussprechen würde, bleibt bei Schwab jedoch offen. Und auch, dass laut Brüssel die Schweiz mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative den bilateralen Weg stark gefährdet habe, scheint Schwab vergessen zu haben.
Die Forderung nach einer Volksabstimmung zur Rettung des Rahmenabkommens gleicht mehr einem Schnellschuss als politischer Strategie. Und er ist weit daneben gegangen: Ein Urnengang hätte weder den gewünschten Erfolg, noch ist das politische Establishment in der Schweiz bereit, eine solche Abstimmung zu forcieren.

Bern ist nicht Brüssel
Der Hauptgrund dafür ist, dass die Zahl der politischen Kräfte, die von einer solchen Abstimmung und vor allem vom Abstimmungskampf profitieren kann, sehr klein ist. Genau genommen könnte sich vor allem die SVP, die in den letzten Monaten politisch immer stärker in Bedrängnis kam, auf ein Powerplay einstellen und mit ihrem Steckenpferdchen die anderen etablierten Parteien vor sich hertreiben.
Wirklich für das Plebiszit beim Abkommen einstehen, mag ausser der GLP kaum jemand. Selbst der Freisinn, der sich in Sachen Rahmenabkommen stets hinter ihren Bundesrat Cassis stellte, einer der Hauptunterstützer des Abkommens, plant bereits, was man beim Scheitern tun muss. Und auch die CVP – heute Die Mitte – und ihr Parteipräsident Gerhard Pfister sind zurückgekrebst. So wollte die Partei im März 2019 dem Volk und dem Parlament «das erste und letzte Wort geben». Zwei Jahre später erklärte Pfister im Gespräch mit dem Schweizer Fernsehen, dass bei einer Ablehnung durch den Bundesrat eine Volksabstimmung «absurd» sei, da die Gegner*innenschaft sich so auf den Bundesratskurs berufen könnten. Pfister will offensichtlich der SVP keine Gelegenheit geben, mit ihrem Lieblingsthema in den Abstimmungskampf zu ziehen. Das Verdikt ist klar: Wird der Bundesrat das Abkommen ablehnen, dann werden Teile der politischen Mitte sich anschliessen. Zugleich wird das Abkommen von der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und der SVP bekämpft. Wie es unter diesen Umständen vor dem Volk auch nur den Hauch einer Chance haben soll, dürfte Menschen, die mit der Schweizer Politlandschaft vertraut sind, ein Rätsel sein.

Lohnschutz verteidigen!
Stichtag für den Fortgang der Verhandlungen ist der 23.April, kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Dann soll der SVP-Bundesrat Guy Parmelin in Brüssel nochmals einen Versuch wagen. Scheitert dieser, ist es am Bundesrat, die Verhandlungen nach sechs zähen Jahren für gescheitert zu erklären. Einen Plan B hat der Bundesrat vermutlich nicht. Denkbar ist, dass neue Verhandlungen bis 2023 auf Eis gelegt werden, bis das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) neu besetzt wird. Der aktuelle EDA-Vorsteher Ignazio Cassis gab 2018 den Lohnschutz preis. Dies, obwohl der Schutz des Lohnes vom Bundesrat als «rote Linie» bezeichnet wurde, die man nicht überschreiten werde. Cassis setzte sich mit der Preisgabe bei der reformistischen Linken in die Nesseln. Diese war bislang zuverlässige Verbündete der europäischen Integrationspolitik.
Es war klar, dass durch das Handeln von Cassis am Ende nur noch die politische Mitte für das Abkommen zu gewinnen ist. Denn spätestens seit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU im Jahr 2004 sind Lohnschutz und flankierende Massnahmen für die Gewerkschaften zentrale Prinzipien ihrer Europapolitik. Eine Dienstleistungs- und Personenfreizügigkeit gibt es für sie nur bei Sicherung des hiesigen Lohnniveaus. Genau das will man in Brüssel aber kippen. Neu soll die Schweiz die Lohn«schutz»mechanismen der EU übernehmen. Wie wenig weit diese gehen, insbesondere im Bereich der Kontrollen, zeigen vielfache Skandale bei Arbeitsbedingungen und Löhnen im EU-Raum… Die Methode ist in aller Regel immer gleich: Mit der Anstellung von Subunternehmen, Scheinselbstständigkeiten und entrechtete Leiharbeiter*innen, sowie dem Verschleiern von Besitzverhältnissen werden missbräuchliche Löhne bezahlt.

Gegen das Europa des Kapitals
Mit ihrem Vorgehen in Sachen Bilaterale handelt die EU in keinster Weise ungewohnt. Während von der EU-Aussenhandelsbehörde immer noch Tausende in ein nasses Grab getrieben werden, betreibt der Staatenbund in aller Regel Interessenspolitik für die Kapitalist*innenklasse. Ein Ausdruck davon sind eben die Versuche, den Lohnschutz in der Schweiz zu unterhöhlen. So hätte die EU in den Verhandlungen zum Rahmenabkommen auch die Verfolgung von in der Schweiz versteckten Steuergeldern als Faustpfand einbringen können. Sie tut es nicht, denn so würde sie nicht Arbeiter*innen sondern Kapitalist*innen geschadet!

Rücktritt gefordert!

Redaktion. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, an der auch die Schweiz beteiligt ist, hat Flüchtlingsboote gewaltsam aus Schengen-Gewässern vertrieben. Eine Petition fordert nun den Rücktritt von Frontex-Direktor Fabrice Leggeri.

Die Schweiz darf nicht zur Komplizin von Menschenrechtsverletzungen werden. Campax fordert daher den Bundesrat dazu auf, sich für den Rücktritt von Frontex-Direktor Leggeri einzusetzen und die Schweizer Beteiligung bei Frontex zu sistieren, bis die Einhaltung des Völkerrechts garantiert werden kann», schreibt die Schweizer Kampagnenorganisation Campax in ihrer Medienmitteilung vom 29.Januar 2021. Die Organisation hat eine entsprechende Petition lanciert.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Das Sterben stoppen

Lioba Junker und Anne Noack. Mehr als 1000 Tote: Das Mittelmeer ist ein Massengrab. Und was tut die Schweiz? Bundes- und Nationalrat lehnen konkrete humanitäre Verbesserungen für Menschen auf der Flucht ab. Aber die Solidarität in der Bevölkerung wächst. Dies auch dank der Arbeit von Organisationen wie Seebrücke Schweiz.

«Das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Wenn wir in 30 Jahren gefragt werden, was wir damals getan haben, will ich sagen können: Wir haben nicht aus unserer privilegierten Position heraus zugeschaut. Wir haben gehandelt. Wir haben alles getan, um das Sterben im Mittelmeer, an der Grenze zu Europa oder in Konfliktgebieten zu beenden. Wir haben dafür gekämpft, dass die Menschenwürde für alle gilt, bedingungslos.» So äusserte sich Mattea Meyer, SP-Nationalrätin und Initiantin der Motion «Das Sterben auf dem Mittelmeer beenden», zur Ablehnung des Nationalrats im Dezember 2020. Doch der Reihe nach. » Weiterlesen

1 3 4 5 6 7 8