Die Partei als Mittel der Bevölkerung

Von links: Klubobmann Manfred Eber, Elke Kahr und Robert Krotzer bei der Vorstellung des Wahlprogramms der KPÖ. Bild: zVg

flo / sit / Marius Käch. Die Kommunistische Partei Österreichs hat bei den Wahlen in Graz einen historischen Erfolg errungen und ist mit 28,84 Prozent der Stimmen die stärkste Partei der Hauptstadt des südösterreichischen Bundeslandes Steiermark. Der vorwärts sprach mit dem Genossen Robert Krotzer, der seit 2017 mit Elke Kahr Mitglied des Grazer Stadtrats ist, der Exekutive der Stadt. Neu hat die KPÖ drei von sieben Sitzen.

Robert, seid ihr auch noch drei Tage nach dem Wahlerfolg am Feiern?
(Lacht). Diese Frage beantwortete Elke Kahr, mit der ich für die KPÖ in der Grazer Exekutive, sprich dem Stadtrat sitze, in einem Zeitungsinterview so: ‹Auch wenn man eine gute Schularbeit geschrieben hat, hört man ja nicht auf zu lernen.› Als politische Bewegung ist klar, dass man sich das Vertrauen immer wieder erarbeiten muss. Es gibt keine Vorschusslorbeeren, die ewig währen.

Bleiben wir kurz beim Wahlsonntag vom 26. September 2021. Kompliment, ein historischer Tag für Graz.
Vielen Dank. Ja, der Begriff politisches Erdbeben wird an Wahltagen oft und gerne verwendet, aber für den 26. September 2021 in Graz trifft es wirklich zu. 2017 erreichten wir etwas über 20 Prozent. Jetzt haben wir 28.9 Prozent, also fast neun Prozent dazu gewonnen. Selbstverständlich bekommt man ein gewisses Gespür, wenn man bei Infoständen ist, wenn man in der Bevölkerung unterwegs ist. Dieser direkte Kontakt geht bei uns weit über Wahlkampagnen hinaus. Die Menschen sagen uns immer wieder: ‹Ihr seid die Einzigen, die immer Infostände machen, die einzigen, die immer greifbar sind. Unabhängig davon, ob eine Wahl ansteht oder nicht.› Von daher hatten wir in den letzten Tagen vor der Wahl schon das Gefühl, dass es am Sonntag nicht ganz so trostlos aussehen würde. Aber, dass wir so stark dazu gewinnen und die seit Jahren regierende Österreichische Volkspartei ÖVP derart verlieren würde, damit haben wir nicht gerechnet. Das war auch für uns eine Sensation.

Wie ist der Wahlsieg zu erklären?
Ende der 1980er, zu Beginn der 1990er-Jahre befand sich mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in Osteuropa die kommunistische, aber auch die linke Bewegung insgesamt, in einer tiefen Krise und stand vor der Sinnfrage: Wie weiter? Die Genoss*innen gaben sich damals die folgende Antwort: Wir wollen eine nützliche Partei für das tägliche Leben und für die grossen Ziele der Arbeiter*innenbewegung sein. Ausgehend davon hat man sich vielen alltäglichen Problemstellungen der Menschen zugewandt. Das hatte insbesondere mit dem Thema Wohnen zu tun. (Siehe dazu vorwärts-Ausgabe 34/35). 2005 ist es uns nach über 30 Jahren Abwesenheit wieder gelungen, in den steirischen Landtag einzuziehen. Und in all diesen Jahren hat man den Kompass nicht verloren und eine bodenständige Politik betrieben. Eine Politik, die, wie ich soeben erwähnt habe, sich den alltäglichen Problemen der Menschen zuwendet. Ab 1998 kam zusätzlich folgende Frage ins Spiel: Wie gehen wir damit um, dass Politiker*innen in Österreich sehr viel Geld verdienen? Beschlossen wurde, dass Mandatsträger*innen der KPÖ nicht mehr als ein Gehalt einer Facharbeiter*in beziehen sollen. Ich bekomme über 6000 Euro netto im Monat. Ich behalte 1950 und über 4000 Euro gebe ich weiter, um Menschen in Notlagen ganz konkret zu helfen. Das geht vom Ersetzen einer kaputten Waschmaschine bis hin zur Unterstützung der Kosten einer Psychotherapie, die nicht von der Krankenkasse finanziert wird. Natürlich können wir nicht alle sozialen Missstände beseitigen, das ist völlig klar. Und vorgeworfen wird uns von anderen Parteien auch, dass wir das Geld einfach weitergeben. Es ist aber wesentlich mehr: Zum Beispiel, dass Menschen überhaupt ein offenes Ohr finden und sich jemand ihrer Probleme annimmt. Wir versuchen, eine umfassende Sozialberatung zu organisieren, in der man die Leute aufklärt, welche Rechte und Ansprüche sie haben, welche Möglichkeiten und Unterstützung es gibt. Hinzu kommt, dass die politischen und ökonomischen Verhältnisse die Soziale Frage wieder verstärkt auf die Tagesordnung bringen. Jetzt muss man schauen, ob es linken, sozialistischen und kommunistischen Kräften gelingt, eine Antwort zu geben, die vom grösseren Teil der Bevölkerung wahrgenommen wird. Das hängt, auch wenn man sich das europaweit anschaut, sehr stark davon ab, ob man es schafft, eine Verankerung in der Bevölkerung zu schaffen. Wir haben natürlich einen gewissen historischen Optimismus. Andererseits haben wir viele historische Erfahrungen, die auch von Niederlagen geprägt sind. Um eine solche Niederlage zu nennen: Das Verschwinden ganzer Parteien, die eine wesentliche Rolle gespielt haben. Ein Beispiel dieser Tragödie ist die italienische KP. Wichtig ist es dennoch, nie den Optimismus zu verlieren. Andererseits darf man aber auch nicht einem blinden Optimismus verfallen, bei dem man denkt: Okay, jetzt geht es immer nur vorwärts. Man darf niemals einer Selbstzufriedenheit verfallen. Das wäre der erste Schritt zum Niedergang ist. Es geht nicht automatisch voran. Man muss seine Arbeit und seine Wege finden, wie man die Verankerung in der Bevölkerung schaffen kann. Wie man eine nützliche Kraft für die arbeitenden Menschen darstellt und wie man ein politisches Projekt weiter voranbringen kann. Es steht und fällt immer alles mit der Arbeit. Das ist der Weg, den wir all die Jahre gegangen sind und auch weiterhin gehen werden.

Ein erfolgreicher Weg, der auch zu einer Verankerung in der Bevölkerung geführt hat.
Ja, richtig. Die Wählerschaft der KPÖ ist von arbeitenden Menschen zusammengesetzt. Aber auch von vielen Menschen, die mitunter vom System abgehängt sind, weil sie aus dem Arbeitsprozess rausgefallen sind oder gesundheitliche Probleme haben. Wir bemühen uns immer, diese Menschen einzubinden, ihre sozialen Probleme ernst zu nehmen und es auch zum eigenen Thema zu machen. Diese soziale Problematik betrifft mittlerweile auch die früher ‹besser situierte Teile› der Arbeiter*innenklasse und gar Teile des Mittelstands. Dies insbesondere, wenn es um die Fragen des Wohnens geht, wie etwa die steigenden Mietpreise. Die Wahlergebnisse zeigen ganz klar, dass wir in den klassischen Arbeiter*innenbezirken, die oft auch stark migrantisch geprägt sind, 40 bis 48 Prozent der Stimmen erhalten haben. Aber auch in anderen Bezirken haben wir sehr gut abgeschnitten, in denen die Menschen das soziale Engagement der KPÖ durchaus schätzen. So zum Beispiel unser Engagement für den Schutz der Altstadt, gegen eine völlig überbordende Überbauung und gegen den Abriss bestehender Bausubstanzen. So war in den letzten Jahren die im Sinne der Investor*innen betriebene Baupolitik der ÖVP und der FPÖ ein grosses Thema in der Stadt. Flächen mussten nach und nach weichen und die Baudichte nahm ständig zu. Ein konkretes Beispiel: 2017 wurde geplant, eine grosse Ackerfläche zu verbauen, die einer landwirtschaftlichen Fachschule zugeordnet war. Durch eine Volksbefragung (Anm. d. Red: Zu vergleichen mit einem Referendum in der Schweiz) im Bezirk haben wir es gemeinsam mit der Bevölkerung geschafft, das Vorhaben zu verhindern. 97 Prozent der Abstimmenden haben sich gegen die Verbauung ausgesprochen. Die Bevölkerung hat das gesehen und das wahrgenommen, was Genosse Ernest Kaltenegger mal so formuliert hat: ‹Die KPÖ ist ein Mittel der Bevölkerung, um zu ihrem Recht zu kommen›.

Nicht alle haben am Wahlerfolg der KPÖ Freude, richtig?
Wir erleben hier in Graz eine unglaubliche Freude bei irrsinnig vielen Menschen. Ob man in den Supermarkt war, oder beim Kiosk stand, die Leute gratulierten einem. Diese Freude ist wirklich sehr gross und strahlt aus. Ein Genosse, der Arzt ist und ausserhalb von Graz arbeitet, sagte, auch die Pfleger*innen haben sich gefreut, dass die KPÖ in Graz der ÖVP den Erfolg abringen konnte. Schön war auch die Breite an Leute, die am Wahlsonntag zu uns ins Volkshaus gekommen sind. Aber klar ist auch, dass sich nicht alle über unseren Sieg freuen. Wir haben in den letzten Wochen antikommunistische Attacken, sowohl medialer Natur als auch von anderen Parteien erlebt. Es wurden skandalisierte Dinge aus der Vergangenheit hervorgekramt. Oder auch das Landesprogramm der Steirischen KPÖ analysiert, wie eine sozialistische Ökonomie aussehen könnte und so weiter. Man kann es ein wenig mit einem Computerspiel vergleichen, bei welchem mit jedem höheren Level die Gegner*innen schwieriger werden. Das hat auch eine gewisse Dimension erreicht, bei der es der ÖVP nicht ganz egal ist, denn Graz war die mit Abstand grösste Stadt, die bisher mit komfortabler Mehrheit von der ÖVP regiert wurde. Das ist nun Geschichte. In der Kronenzeitung, der meistgelesenen Zeitung im Lande, schreibt ein Urgestein des Journalismus: «Das kann nicht sein! Das darf nicht sein, dass die zweitgrösste Stadt Österreichs von Kommunist*innen regiert wird.› Aber wie gesagt, es gibt unglaublich viel Zuspruch, unglaublich viel Freude, auch über Graz hinaus. Es ist also sehr durchmischt. Doch der Gegenwind wird natürlich härter und rauer, das ist überhaupt keine Frage. Wenn wir Gegenwind nicht aushalten würden, wären wir als Kommunist*innen am falschen Platz.

Jetzt werden die Erfolge der Partei mit ihrer Realpolitik erklärt. Ist die KPÖ nun eine reformistische Partei oder versucht man damit einfach den Anspruch einer gesellschaftlichen Umwälzung mit solchen Argumentationslinien zu überspielen?
Der Anspruch ist da. Wir sehen uns klar als prinzipienfeste marxistische Partei. Die eine Bündnisfähigkeit, in erster Linie zur Bevölkerung hin, aber auch mit anderen Bewegungen, versteht. Das Zentrum unserer Entscheidungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten war immer die Frage nach dem Nutzen. Ist es eine Entscheidung oder eine Errungenschaft, die den arbeitenden Menschen, der Mehrheit der Grazer Bevölkerung nutzt? Oder ist es etwas, das in erster Linie Immobilienkonzerne, der Bauwirtschaft, Investor*innen etc. nützt? Letztlich ist das die Frage, die sich in der kommunalen Arbeit oder der Arbeit in einer Stadtgemeinde zuspitzt. Klar ist: Du kannst als Stadt weder eine sozialistische Ökonomie aufbauen noch den Kapitalismus auf lokaler Ebene aushebeln und überwinden. Aus dem Kompass des Marxismus heraus sind wir immer gegen jede Form von Ausgliederung und gegen jede Form von Privatisierung. 2004 konnten wir den gedachten Verkauf der Gemeindewohnungen durch eine Volksbefragung verhindern. Das war ein riesiger Erfolg. In Berlin wurde 2004 genau der umgekehrte Weg gegangen: Zehntausende Sozialwohnungen wurden damals an private Immobilienkonzerne verkauft. Für uns heisst Marxismus auch Bewegung von unten aufzubauen. Zum Beispiel geben wir eine Zeitung für Gesundheitsbeschäftigte heraus, die wir an alle Pflegeheime und Spitäler verteilen. Denn wir wollen auch eine gewerkschaftliche Organisierung und Kämpfe von unten stärken.

Wie sehr ist das, was die KPÖ in Graz macht auf andere Regionen übertragbar?
Man kann die Frage ganz konkret mit Salzburg beantworten: Dort sind die Wohnfrage und die Frage der Gehälter der Politiker*innen von den Genoss*innen sehr gut thematisiert worden. Damit gelang der Einzug in den Gemeinderat. Der Genosse Kay-Michael Dankl, der auch gewählt wurde, macht Sozialberatung und eine sehr gute Medienarbeit. In Salzburg passiert vieles im Bereich der Verankerung und ich bin daher optimistisch, dass diese Arbeit auch bei der nächsten Gemeinderatswahl honoriert wird. Von daher ja, es ist übertragbar. Es braucht dann auch die Leute mit dem richtigen Riecher und den entsprechenden Einsatz. Von Bedeutung ist, dass man den Leuten auf Augenhöhe begegnet, dass man sich wirklich mit ihren Problemen und Sorgen beschäftigt und wie man Wege findet, dass man weiterhelfen kann. Das ist die Grundvoraussetzung. Kluge Texte schreiben ist auch wichtig. Aber das wird wohl nicht dazu beitragen, dass die Menschen sagen: Ja, der schreibt so gute Texte, die Partei wählen wir jetzt. Wichtig sind die Handlungen, die Tätigkeiten, dann sagen die Menschen: Ja, die haben mir geholfen, die haben mir nützliche Tipps gegeben, dort habe ich mich ernst genommen gefühlt. Das wird dann auch weitererzählt.

KPÖ-Genosse Robert Krotzer, 34, ist seit 2017 im Grazer Stadtrat für die Bereiche Gesundheit und Pflege zuständig. Er war viele Jahre in der Kommunistischen Jugend und in der Studierendenbewegung tätig. Bild: graz.at

Wie ist die Entwicklung der Partei in Sachen Mitgliederzahlen?
Wir sind traditionell nicht die grösste der Parteien. Bis vor etlichen Jahren waren wir sogar eine relativ kleine Partei, in der die Genoss*innen, die dabei waren, einfach sehr fleissig waren, intensiv gearbeitet haben und sich um sehr viele Kontakte bemüht haben. Ich war einmal in Paris auf Einladung der dortigen Bezirkssektion der französischen KP, weil wir in Graz so gute Wahlergebnisse erzielt hatten. Als ich dort sagte, wie viele Mitglieder wir haben, konnten die Genoss*innen es überhaupt nicht fassen, dass wir so wenige waren. Wir hatten schon vor dem Wahlerfolg vom 26.September sehr viele Anfragen für die Mitgliedschaft. Und zwar mehr als wir aktuell bewältigen können. Es wird jetzt auch einige Wochen dauern, bis wir all die Leute einladen können, um sich kennenzulernen und Fragen zu diskutieren wie: Was machen wir als Partei? Kann sich jemand auch wirklich vorstellen, aktiv zu werden und bei uns mitzumachen? Für uns ist immer ganz wichtig, dass die KPÖ eine Organisation bleibt, in der man aus inhaltlicher Überzeugung dazukommt und keineswegs, um Karriere zu machen. Das ist in all den Jahren und Jahrzehnten der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Und wir pflegen einen sehr freundschaftlichen Umgang, sowohl nach innen wie nach aussen. Das ist etwas Unverzichtbares.

Mit drei von sieben Stadträten ist die KPÖ definitiv keine Opposition mehr. Ist dies ein Problem? Und wie geht es jetzt konkret weiter?
Wir sind schon länger in unterschiedlichen Bereichen in Regierungsverantwortung. Aufgrund des Proporzsystems hatten wir immer Ressorts, für die wir zuständig waren, beziehungsweise sind. Sehr lange das Wohnungsamt, zuletzt hatte Elke das Verkehrsressort, ich die Gesundheit und Pflege übernommen. Wir hatten zuvor auch die Zuständigkeit für die Bau- und Anlagebehörden und für die städtischen Wirtschaftsbetriebe. Es ist uns in einem günstigen historischen Fenster gelungen, das Zünglein an der Waage zu sein. Was es uns damals 2015 und 2016 ermöglicht hat, sehr vieles durchzusetzen: Der Bau von 500 Zusätzlichen Gemeindewohnungen, einer vergünstigten Jahreskarte für die Verkehrsbetriebe, der Erhalt von Grünflächen, keine Privatisierungen etc. So gesehen gibt es Erfahrungen, jedoch nicht in Form einer Koalition, in der wir Teil eines politischen Kuhhandels waren. Jetzt ist die Fragestellung natürlich etwas anders. Nach den Statuten der Stadt hat die stärkste Partei den Anspruch auf das Amt der Bürgermeisterin. Das setzt allerdings voraus, dass sie im Gemeinderat mehrheitlich gewählt wird, was wiederum eine Übereinkunft mit anderen Parteien voraussetzt. Wir sind im Gespräch mit den Grünen, die auch stark dazugewonnen haben und der Sozialdemokratie, die um die zehn Prozent der Stimmen erhalten hat. Wir hoffen, dass es zu einem tragfähigen Bündnis kommen wird. Das Ganze mit dem Anspruch, den Elke so formuliert hat: ‹Wir wollen ein freundlicheres Graz. Wir wollen ein sozialeres Graz, wir wollen ein ökologischeres Graz.» Es wird Räder geben, an denen man schneller drehen kann, und es wird Räder geben, an denen es schwieriger werden wird.

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