Gruusig und truurig!

USRIII_voteflyer_d.inddFür die Unternehmen geht es bei der USRIII um ihre Interessen, um ihre Profite, um rund vier Milliarden Franken an Steuern, die sie sparen können. Entsprechend präsent und penetrant sind sie mit ihrer Abstimmungskampagne im öffentlichen Raum und den sozialen Medien. Die Kampagne kostet Millionen über Millionen. Für die Unternehmen ist die Abstimmung über die USRIII ein Business, in das es sich zu investieren lohnt. Sie wissen genau, dass bei einem Ja zur USRIII die Investitionen in die Abstimmungskampagne reichlich Gewinn ausschütten werden. Oder gibt es für sie einen anderen Grund, die Kampagne zu finanzieren?

Die unterschwellige Botschaft
Von den wohl teuer bezahlten Werbeprofis bestens durchdacht, sprechen die BefürworterInnen in ihrer Abstimmungskampagne immer von einer «Steuerreform» und nicht von der «Unternehmenssteuerreform». Eine taktische Meisterleistung auf psychologischer Ebene, das muss man neidlos anerkennen: Beim Wort «Unternehmenssteuerreform» ist sofort klar, dass die Reform die Unternehmen betrifft, und nur sie. Mit dem Begriff «Steuerreform» hingegen wird suggeriert, dass es uns alle betrifft. Um dieses noch diffuse «Uns» klar beim Namen zu nennen, fügt man eine grosse Portion Nationalismus hinzu. So wird mit einem Ja zur Reform «die Schweiz gestärkt». Es geht also um unser Land. Das diffuse «Uns» ist zu einem greifbaren «Wir» geworden. In diesem «Wir» gibt es auch die oft berechtigte und manchmal wiederum diffuse Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. So wird dem «Wir» gesagt, dass die Reform «Arbeitsplätze sichert». Dies alles mündet im folgenden Slogan der BefürworterInnen: «Arbeitsplätze sichern. Schweiz stärken. Steuerreform Ja.» Die Unternehmenssteuerreform, welche die rund 24 000 international tätigen Unternehmen in der Schweiz betrifft, wird zu einer «Steuerreform», die uns stärkt und unsere Arbeitsplätze sichert. Ergo lautet die unterschwellige Botschaft: Ein Ja ist für uns alle das Beste. Und diese Botschaft wird jetzt täglich und über Wochen hinweg überall dort verkündet und wiederholt, wo es nur möglich ist. Die Millionen von Franken, die dazu freilich nötig sind, stellen für die BefürworterInnen kein Problem dar. Natürlich hat dies nichts mit Demokratie im Sinne der Herrschaft des Volkes zu tun. Aber seit wann ist dies das Problem der KapitalistInnen?

In der Natur der Sache
Auf der Homepage des Komitees, das aus PolitikerInnen aller bürgerlichen Parteien besteht, ist zu lesen: «Die Steuerreform ist eine Grundlage, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Ein Ja sichert alleine bei den international tätigen Unternehmen über 150 000 Arbeitsplätze.» Korrekt ist, dass die von der Reform betroffen internationalen Grossunternehmen etwa 150 000 Personen beschäftigen. Es wird daher behauptet, dass dank der USRIII alle Unternehmen hier bleiben werden. Doch auf welche Grundlage stützt sich diese Behauptung? Gibt es eine Garantie dafür? Nein! Gleiches gilt für die folgende Aussage: «Die Steuerreform stellt sicher, dass die heute besonders besteuerten Unternehmen ihre Steuern auch künftig in der Schweiz zahlen. Insgesamt werden diese Unternehmen sogar mehr Steuern zahlen als bisher.» Genauso gut kann behauptet werden: Ohne neue Steuerprivilegien ziehen 20 Prozent der Firmen weg, aber der Steuerertrag für Bund und Kantone der restlichen 80 Prozent wird um zwei Milliarden höher ausfallen, da die Steuerprivilegien abgeschafft wurden. Oder: Im Paradies fliesst Honig in den Flüssen und aus den Brunnen springt Champagner bester Qualität.

Fakt ist, dass niemand weiss, was die Unternehmen nach einer Reform tun werden – egal wie diese auch aussehen wird. Alle Studien über die möglichen Auswirkungen der USRIII halten fest, dass eine genaue Voraussage nicht gemacht werden kann! So auch jene bemerkenswerte der Firmen «BBS Volkswirtschaftliche Beratung» in Basel und «Mundi Consulting» in Bern. In der Studie ist zu lesen: «Es liegt in der Natur der Sache, dass Prognosen zum Verhalten einzelner Firmen schwierig sind.» Das wissen auch die BefürworterInnen. Daher werden Behauptungen bar jeder Grundlage erstellt, um bei den StimmbürgerInnen eine Meinung zu ihren Gunsten zu schaffen. Sie tun dies auch im Wissen darum, dass es bei der USRIII nur eine Tatsache gibt, die so sicher ist wie das Amen in der Kirche: Es kommt zu Steuerausfällen von mehreren Milliarden Franken. Geld, das dann dem Bund und den Kantonen fehlt und zu Sparmassnahmen in der öffentlichen Hand führt. Dazu gibt es ganz konkrete Beispiele wie etwa den Kanton Luzern: Mit der «Steuergesetzrevision 2011» hat der Kanton in zwei Jahren die Gewinnsteuer für Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor. Unter anderem wurde beim Personal um ein Prozent gespart und im Gesundheits-, Sozial-, Kultur- und Bildungsdepartement kam es zu Kürzungen von fünf Prozent.

«HeldInnen» von links
Bestandteil der Kampagne sind auch «Persönlichkeiten» der Sozialdemokratischen Partei (SP). Ja, man lese und staune. Und zwar jene, die sich für die USRIII ausgesprochen haben. Als wäre dies allein nicht schon schlimm genug, unterstützen sie jetzt aktiv das Ja-Lager. Zu den prominentesten gehören die StänderätInnen Daniel Jositsch, Pascale Bruderer, Hans Stöckli und Claude Janiak. Sie alle werden mit Foto in der Abstimmungszeitung des Schweizerischen Gewerbeverbandes als «HeldInnen» gepriesen, die sich gegen den «Klassenkampf» der SP zur Wehr setzen. Zur Königin der HeldInnen hat der Gewerbeverband Eva Herzog erkoren, die Basler Finanzdirektorin. Gleich auf Seite 2, gemeinsam mit Bundesrat Ueli Maurer, erklärt die SP-Frau ihre Gründe für das Ja. «Es handelt sich nicht um eine Steuersenkung, sondern um einen Umbau des Steuersystems», wird sie zitiert. Na ja, ob Steuersenkung oder Umbau – das Resultat bleibt das gleiche: Steuerausfälle von mehreren Milliarden Franken. Herzog ist sich auch nicht zu schade, den eigenen Parteipräsidenten anzukreiden: «Die Vorwürfe von Christian Levrat sind schlicht falsch. Offenbar müssen wir noch Aufklärungsarbeit leisten.» Was dazu sagen? Es ist nur noch gruusig und truurig.

Ciao bello!

matteo-renziDer italienische Ministerpräsident Mateo Renzi ist nach dem Nein des Volks zu seiner Verfassungsreform zurückgetreten. Was kommt nach Renzi? Die wirkliche Gefahr droht von Matteo Salvini, dem Anführer der rechtspopulistischen Lega Nord.

«Ciao bello» titelte die kommunistische Tageszeitung «il manifesto» am Tag nach der Abstimmungsschlappe und den Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Tausend und ein paar zerquetschte Tage dauerte seine Amtszeit. Die grosse Hoffnung des Partito Democratico (PD), der sozialdemokratischen Regierungspartei, ist weg vom Fenster, sang und klanglos. Am Ende kämpfte er praktisch alleine gegen den Rest für seine Verfassungsreform: Die Rechten und die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo hatte er eh gegen sich. Kommunistische Parteien und Organisationen sowie linke Gewerkschaften hatten sich klar für ein Nein stark gemacht, um ihrer Meinung nach die Grundfeste der Verfassung nicht zu zerstören. Am Ende hat dann selbst der linke Flügel des PD offen dazu aufgerufen, Nein zu stimmen und machte somit Stimmung gegen den eigenen Vorsitzenden Renzi. Sein grosser und gleichzeitig stümperhafter politischer Fehler war, dass er das Referendum über seine höchst fragwürdige Verfassungsreform personalisiert hat. Es ging nicht mehr um die Sache, sondern nur und ausschliesslich um die Frage: «Renzi Si o Renzi No?» Die Antwort ist jetzt bekannt.

Wie gespalten der PD ist, zeigte wenige Tage nach dem Nein ein Interview mit Michele Emiliano, dem Präsidenten der Region Apulien und PD-Mitglied. In der TV-Sendung «Matrix» auf dem Berlusconi-Sender «Canale 5» stellte er Renzi als einen machthungrigen, kleinen Diktator dar. Emiliano behauptete weiter, Renzi sei selbstherrlich und habe die Verfassungsreform konzipiert und durchboxen wollen, um seine eigene Macht zu festigen. Schwerwiegende Vorwürfe. Pikant an der Sache ist, dass Emiliano bis vor nicht allzu langer Zeit ein glühender Anhänger von Renzi war. Emiliano unterstützte Renzi tatkräftig auf seinem Weg zur Macht innerhalb der Partei und zum Regierungschef. Dazu sagte Emiliano im Interview: «Das bereue ich heute sehr!» Der Präsident Apuliens gilt als ein heisser Kandidat für das Amt des PD-Parteivorsitzenden und zwar unabhängig davon, ob Renzi wieder dafür kandidieren wird oder nicht.

Salvini schlimmer als Trump

Renzi ist Geschichte, was bringt die Zukunft? Es wird zu Neuwahlen kommen. Nun darf man darüber spekulieren, wann diese stattfinden werden und mit welchem Wahlgesetz. Aber das sind Details schon fast am Rande. Die Gefahr droht von einem Komiker und der populistischen Rechten der Lega Nord mit ihrem Anführer Matteo Salvini. Grillo und seine 5-Sterne-Bewegung ist eine heterogene Wundertüte mit Positionen, die von heute auf morgen wechseln können. Dort, wo sie am Machthebel sitzt, wie etwa in der Stadt Rom, zeichnet sie sich durch interne Streitigkeiten und Chaos aus. Mit Beppe Grillo droht in Italien das noch grössere Chaos. Kaum vorstellbar, aber doch möglich. Die Bewegung von Grillo konnte grosse Wahlerfolge verbuchen, sie ist aber noch jung und in der Bevölkerung noch nicht verankert. Das ist aber die rechtspopulistische und rassistische Lega Nord von Matteo Salvini. Im Norditalien gibt sie seit Jahren in verschiedenen Regionen den Ton an, vor allem auf kommunaler Ebene. Sie hat eine grosse, militante Basis und eine in der Lokalpolitik eingebettete, gut funktionierende Struktur. Salvini als italienischer Trump zu bezeichnen, ist falsch: Salvini ist schlimmer als Trump! Ein Beispiel: Salvini nennt die Boote der italienischen Küstenwache, die im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Tod retten, «Taxis für illegale Einwanderer». Mateo Salvini ist im gleichen Atemzug zu nennen mit Viktor Orbán aus Ungarn, Marie Le Pen aus Frankreich und Frauke Petri aus Deutschland. Von Salvini und das von ihm propagierte, in der Bevölkerung verankerte Gedankengut ist die wirkliche, grosse Gefahr in Italien.

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Keine FreizeitfahrerInnen

uberIn Basel-Stadt wurden zwei FahrerInnen des Taxiunternehmens Uber mit happigen Geldstrafen gebüsst. Die Urteile könnten eine rechtliche Grundlage darstellen, um das Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen und ihren FahrerInnen besseren Schutz zu gewährleisten.

Das Taxiunternehmen Uber hat Mühe in der Schweiz: In Zürich gibt es laut Gewerkschaftszeitung «work» aktuell 63 Verfahren gegen Uber-FahrerInnen. Dazu kommen ein Dutzend Verfahren aus der Stadt vom letzten Jahr und «rund 20 Fälle aus der Region», so die Zeitung weiter. Laut Unia sind insgesamt rund 500 Anzeigen gegen das Unternehmen hängig. Zwei Verfahren wurden in der Stadt Basel abgeschlossen, wobei die verurteilten FahrerInnen hohe Bussen zahlen müssen.

Trotzdem schwärmte der Schweizer Uber-Manager Rasoul Jalali kürzlich in einem Interview mit der «NZZ» über die lockeren Geschäftsbedingungen besonders in der Stadt Zürich: «Zürich ist ein gutes Pflaster für Uber.» Im Vergleich zu Berlin und Wien sei Zürich «gerade im Bereich, in dem wir tätig sind», sehr liberal bei der Ausgestaltung von Gesetzen.

5000 Franken Busse

Die Urteile in Basel dürften wohl ein deutlicher Dämpfer sein für das «Technologieunternehmen» (Selbstbezeichnung). In der Urteilsbegründung vom 1. September zum ersten schuldig gesprochenen Uber-Fahrer schreibt die Basler Staatsanwaltschaft: «Die beschuldigte Person führte in der Region Basel (…) mehrfach berufsmässige Personentransporte (insgesamt 26 Fahrten) für Uber durch, ohne im Besitz der entsprechenden Bewilligung zu sein … Ausserdem führte sie überhaupt keine Kontrollmittel, so dass die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten nicht überprüft werden konnten.» Gebüsst wurde er mit 500 Franken und einer bedingten Geldstrafe. Der zweite fehlbare Uber-Fahrer musste sogar 5000 Franken blechen mit derselben Urteilsbegründung – für insgesamt 541 Fahrten in sechs Monaten. Damit haben die Gerichte klargestellt, dass Uber-FahrerInnen keine FreizeitfahrerInnen sind, wenn sie mehr als zwei Mal pro Monat unterwegs sind. Uber-Fahrer brauchen eine Bewilligung für berufsmässige Personentransporte sowie ein entsprechend ausgerüstetes Auto. Und sie haben sich, wie alle Fahrer, an die gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeiten zu halten. Uber-Chef Jalali behauptete noch im März gegenüber der «TagesWoche»: «UberPop ist ein Mitfahrdienst unter Privatpersonen. Menschen nehmen einander gegen ein kleines Entgelt mit, um die Fixkosten für ihr bereits vorhandenes Auto zu reduzieren oder einfach, um nette Gespräche zu führen. Da dabei nach Abzug aller Kosten im Durchschnitt keine Gewinne anfallen, erfüllt UberPop nicht die Voraussetzungen für den berufsmässigen Personentransport.»

Weniger Uber-FahrerInnen

Unter den Uber-FahrerInnen herrscht Verunsicherung: Die Zahl der Uber-FahrerInnen war vor einigen Monaten noch um einiges höher als jetzt. Das wird auch von FahrerInnen und KundInnen bestätigt. Mehrere Uber-Kunden haben der «TagesWoche» erzählt, dass man seit einigen Wochen bei Uber in Basel vorne einsteigen müsse: «So merkt die Polizei nicht, dass wir Uber sind. Es sieht so aus, als seien wir Kollegen.» Auch die Art und Weise, wie Uber mit den FahrerInnen umgeht, schafft Unsicherheit: Die Accounts von FahrerInnen, die ein Problem mit der Polizei bekommen, würden einfach gesperrt – und fertig. «Die verschwinden einfach aus dem System», erzählt ein Fahrer.

Uber selbst hält die Entwicklung für eine Kampagne gegen sich. Eine eindeutige Gegnerin hat das Taxiunternehmen in der Gewerkschaft Unia, die sich vor Kurzem in einem offenen Brief gegen die Partnerschaft zwischen Uber und SBB erboste: «Es geht nicht an, dass Sie Dumping-Geschäftsmodelle wie jenes von Uber fördern, das gegen arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verstösst.» Die SBB hätten als Staatsbetrieb auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Uber würde gesetzliche Bestimmungen über Arbeitszeit, Ruhezeiten und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ignorieren, systematisch Schwarzarbeit fördern und seine Angestellten in eine prekäre Schein-Selbständigkeit zwingen. «Vor diesem Hintergrund ist es absolut unangebracht, in einer SBB-App Werbung für Uber zu machen.»

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Wir sind gewarnt!

usriiiAm 12. Februar 2017 wird über die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) abgestimmt. Es geht um Steuerausfälle von mehreren Milliarden Franken. Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) zeigt in ihrer Abstimmungskampagne auf, dass Steuergeschenke direkt zu Sparprogrammen auf dem Buckel der breiten Bevölkerung führen. Nein zur USRIII!

Der Abstimmungskampf gegen die USRIII ist auch ein Zahlenkrieg: Wie hoch werden die Steuerausfälle, sprich die Steuergeschenke an die Unternehmen, sein? Fest steht, dass es beim Bund zu Einnahmeausfällen von deutlich über einer Milliarde Franken kommen wird. Fest steht weiter, dass die Kantone und Gemeinden stark bluten werden. Der Städteverband errechnete allein für die Gemeinden einen Ausfall von 1,3 Milliarden. Das grosse Fragezeichen bilden aber die Steuerausfälle bedingt durch die verschiedenen, auf kantonaler Ebene möglichen Massnahmen (Instrumente) wie zum Beispiel die zinsbereinigte Gewinnsteuer. Realistisch ist wohl mit Mindereinnahmen von 2,5 bis 3 Milliarden Franken zu rechnen, was eine Gesamtsumme von über vier Milliarden Franken an Einnahmeverlusten bedeutet.

Zahlreiche Unsicherheitsfaktoren

Wie problematisch die Sache mit den Zahlen ist, zeigt auch das Beispiel aus dem Kanton Zürich: Im Auftrag der Kantonsregierung hat das Forschungsinstitut BAK Basel ein dynamisches Modell entwickelt, um die Steuerausfälle zu berechnen, ein Modell, das auch sogenannte Zweitrunden-effekte wie Zu- und Wegzüge von Firmen einkalkuliert. Gestützt darauf rechnet der Kanton mit eigenen Ertragsausfällen von 296 bis 339 Millionen Franken und 373 bis 429 Millionen Franken für die Gemeinden, was ein Total von mindestens 669 Millionen und höchstens 758 Millionen Franken ergibt. Bezeichnend für die Ungewissheit über die realen Steuerausfälle ist die Bandbreite von knapp 90 Millionen Franken zwischen dem Minimum und Maximum. Unter dem Strich, das heisst nach Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen des Bundes und den Einnahmen durch die Erhöhung der Besteuerung der Dividenden, wird die USRIII dem Kanton Zürich gut eine halbe Milliarde Franken kosten. Aber eben, es handelt sich dabei um Schätzungen. Selbst das BAK unterstreicht, dass zahlreiche Unsicherheitsfaktoren bestehen.

Die Tatsache, dass niemand auch nur annähernd auf zehn Millionen Franken genau sagen kann, wie hoch die effektiven Steuerausfälle tatsächlich sein werden, ist von wesentlicher Bedeutung. Es bedeutet konkret: Herr und Frau Schweizerin stimmen am 12. Februar 2017 über eine Vorlage ab, über dessen Auswirkungen sie völlig im Nebel stehen. Eigentlich sollte dies alleine genügen, um ein überzeugtes Nein in die Urne zu legen.

Achtung Schätzung! Achtung Lüge!

Nützlich an dieser Stelle ist auch, das Kurzzeitgedächtnis zu aktivieren und sich an die zweite Reform der Unternehmenssteuer (USRII) zu erinnern: «Die Abstimmung über die USRII gilt als ein Tiefpunkt der Schweizer Demokratie», schrieb dazu der «Tages-Anzeiger» im Juni 2015. Am 24. Februar 2008 scheiterte das Referendum gegen die USRII mit 49,5 Prozent Nein-Stimmen denkbar knapp. Der Bundesrat ging von Steuerausfällen in der Höhe von rund 80 Millionen Franken pro Jahr aus. Drei Jahre später, am 14. März 2011, musste die Regierung auf Druck des Parlaments jedoch zugeben, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USRII mit Steuerausfällen von über sieben Milliarden Franken in den nächsten zehn Jahren rechnen müssen, etwa das Neunfache vom Vorausgesagten!

Selbst das Bundesgericht sprach von einer «krassen Verletzung der Abstimmungsfreiheit», von «Fehlinformation durch Unterdrückung», einzelne RichterInnen gar von einer «systematischen Irreführung» der StimmbürgerInnen. Wir sind gewarnt!

Die Sache beim Namen nennen

Der Abstimmungskampf ist in die entscheidende Phase eingetreten. Die SP setzt in ihrer Kampagne stark auf den Mittelstand und so lautet der sozialdemokratische Kampfruf gegen die USRIII: «Bschiss am Mittelstand! Wir bezahlen, Grossaktionäre profitieren! Jetzt reichts!» Die PdAS hingegen stellt die politischen Zusammenhänge ins Zentrum ihrer Abstimmungskampagne. Sie zeigt auf, dass Steuerausfälle direkt «Sparprogramme» zur Folge haben, die auf Kosten der breiten Bevölkerung durchgeführt werden und ArbeiterInnen hart treffen. So hat der Bundesrat bereits im Oktober 2015 für seinen «Haushaltsplan 2017 – 2019» ein Sparpaket im Umfang von einer Milliarde Franken vorgelegt. Besonders stark betroffen ist das Bundespersonal, denn hier sind laut Medienmitteilung des Bundesrats «namhafte Kürzungen» vorgesehen.

Ein Musterbeispiel aus dem Bilderbuch ist der Kanton Luzern: Mit der «Steuergesetzrevision 2011» wurden in zwei Jahren die Gewinnsteuer für Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor, in dem unter anderem beim Personal generell um 1 Prozent gespart wurde und das eine Kürzung von fünf Prozent im Gesundheits-, Sozial-, Kultur und Bildungsdepartement beinhaltete. Wie bereits gesagt, wir sind gewarnt!

Der politische Kern der Vorlage ist im Grunde einfach zu verstehen: Die Unternehmen und ihre AktionärInnen sollen mehr vom gesellschaftlich produzierten Reichtum erhalten. Und damit sie mehr kriegen können, soll unter anderem im öffentlichen Dienst, in der Bildung und im Sozial- und Gesundheitswesen gespart werden. Früher, vor einigen Jahren, als die Klassenfrage noch eine Bedeutung in den politischen Auseinandersetzungen hatte, nannte man so eine Vorlage wie die USRIII Klassenkampf von oben gegen unten. Es ist an der Zeit, die Sache wieder beim Namen zu nennen und die Klassenfrage wieder zu stellen.

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Nein zu Luxuswohnungen!

zuerich_haupt_3_0Die SBB und die Stadt Zürich haben bekannt gegeben, dass die drei SBB-Areale Neugasse, Hardfeld und Werkstadt «zu attraktiven Lebensräumen für Wohnen, Logistik und Gewerbe» entwickelt werden sollen. Es handelt sich um eine Fläche von rund 140’000 Quadratmeter, doppelt so viel wie bei der Europaallee und so gross und breit wie 20 Fussballfelder. Auf der Europaallee, das im Besitz der SBB ist, sind Luxuswohnungen und eine teure Einkaufsmeile entstanden. Sogar die SP, die bestimmende Partei der Stadt, muss zugeben, dass bei der Europaallee Fehler gemacht worden sind.

Nun wollen die SBB mit Privaten etwa 1,8 Milliarden Franken in das Projekt investieren. Nur im Areal Neugasse sind Wohnungen vorgesehen, die beiden anderen bleiben Gewerbeplatz. Auf der Neugasse soll ein Drittel der Wohnungen gemeinnützig werden. Der Rest soll im «mittleren Preissegment» angesiedelt sein. Die Stadtpräsidentin Mauch meint damit bis zu 4000 Franken Miete pro Monat für eine 100-Quadratmeter-Wohnung!

Die Partei der Arbeit Zürich (PdAZ) ist der Meinung, dass bei solchen Riesenprojekten, die das Gesicht der Stadt prägen werden, die Stadtbevölkerung zwingend mitreden muss. Für die PdAZ ist ein Anteil von einem Drittel an gemeinnützigem Wohnraum viel zu wenig. Auch sind 4000-Franken-Luxuswohnungen absolut inakzeptabel.

Das Beispiel der Europaallee und Tausende andere Fälle in der Stadt haben gezeigt, dass Wohnungen und Immobilien nicht auf den freien Markt gehören. Dort sind sie der Spekulation und dem Preiswucher ausgesetzt, was zu unerschwinglichen Wohnungen für die Arbeitenden führt. Die Stadt ist aufgefordert, das Areal aufzukaufen und dort eine städtische Wohnsiedlung zu schaffen. Nur in der Hand der Gemeinde ist eine demokratische Kontrolle der Mieten möglich. Die PdAZ setzt sich dementsprechend für einen verstärkten kommunalen bzw. städtischen Wohnungsbau ein.

Ja zur dritten Generation

Junge Menschen ohne Pass, die in der dritten Generation in der Schweiz leben, sollen erleichtert – nicht automatisch – eingebürgert werden. Der Abstimmungskampf dürfte trotz starker Verwässerung der Vorlage hart werden. Ein Ja, zu dem auch die Partei der Arbeit (PdA) aufruft, ist Pflicht.

Noch bevor die jüngste Abstimmungsrunde vergangen war, wurde vom Komitee «Ja zur dritten Generation» bereits die Kampagne für die nächste wichtige Abstimmung eröffnet. Am 12. Februar im nächsten Jahr sollen AusländerInnen der dritten Generation leichter eingebürgert werden können: Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind – so wie mindestens ein Elternteil von ihnen – und die noch keinen Schweizer Pass besitzen, soll eine erleichterte Einbürgerung ermöglicht werden. Das überparteiliche Komitee bis nach rechts zur FDP fordert, dass «AusländerInnen der dritten Generation nicht mehr gleich behandelt werden dürfen wie solche der ersten Generation».

«Föderalistischer Unsinn»

Kommenden Februar wird über eine kleine Änderung des Artikels 38 der Bundesverfassung, der über den Erwerb und Verlust der Bürgerrechte bestimmt, entschieden. Das geltende Bundesrecht sieht bisher keine Einbürgerungserleichterungen für Kinder ausländischer Eltern vor. Der Verfassungsartikel hält fest, dass der Bund den Erwerb und den Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, Heirat und Adoption selbst regelt. Die Kompetenz zur Einbürgerung von AusländerInnen hingegen überlässt er weitgehend den Kantonen und beschränkt sich diesbezüglich auf den Erlass von Mindestvorschriften. Für AusländerInnen in einer gemischtgeschlechtlichen Ehe mit SchweizerInnen gelten besondere Regelungen für eine erleichterte Einbürgerung; für homosexuelle AusländerInnen gibt es diese Regelung jedoch nicht.

Mit der erleichterten Einbürgerung für die dritte Generation werden zwei Dinge geändert: Die einbürgerungswillige Person muss nicht mehr beweisen, dass sie integriert ist. «Sie müssen deshalb nicht im ordentlichen Einbürgerungsverfahren mit Interviews und Sprachtests beweisen, was schon alle wissen, nämlich: Die dritte Generation ist hier geboren und aufgewachsen», sagt das Komitee. Falls sich die Gemeinde oder der Kanton gegen die Einbürgerung stellen, müssten diese nun beweisen, dass die betreffende Person nicht integriert ist. Zweitens gäbe es eine Harmonisierung auf nationaler Ebene. Gegenwärtig gibt es grosse Unterschiede zwischen den Kantonen: In neun Kantonen gibt es überhaupt keine Erleichterungen, während die Kantone Waadt und Neuenburg für AusländerInnen der zweiten Generation keinen Integrationstest machen. Dazwischen gibt es sechs verschiedene Mitteldinge: In Bern und Basel wird auf Sprachtests verzichtet für BewerberInnen unter 16 Jahren. In Zürich wird zwischen Menschen mit oder ohne «Anspruch» auf Einbürgerung unterschieden. Das Komitee spricht hierbei zu Recht von einem «föderalistischen Unsinn».

Keine automatische Einbürgerung

Anstoss für die Möglichkeit des Volksentscheids hat eine parlamentarische Initiative der waadtländischen Sozialdemokratin Ada Marra von 2008 gegeben. Darin hiess es: «Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen und aufhören, Menschen als ‹Ausländerinnen und Ausländer› zu bezeichnen, die keine sind. In der Schweiz geborene Personen, deren Eltern ebenfalls in der Schweiz geboren wurden und deren Grosseltern mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens überwiegend in der Schweiz verbracht haben, sind keine Ausländer mehr. Die Mehrheit dieser Personen spricht die Sprache der Grosseltern nur mangelhaft oder gar nicht. Müssten sie in ihrem Herkunftsland einen Integrationstest machen, würden sie den Sprachtest auf keinen Fall bestehen. Die dritte Generation unterhält fast nur noch eine symbolische Beziehung zum ‹geheimnisvollen Land› der Grosseltern.» An der Medienkonferenz erklärte Marra, dass die Vorlage alles andere als revolutionär sei und dass es kein leichtes Unterfangen sein wird, die Abstimmung zu gewinnen. 2004 wurde die Vorlage zur erleichterten Einbürgerung der zweiten Generation mit fast 57 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Gleichzeitig scheiterte auch der Bundesbeschluss über den automatischen Bürgerrechtserwerb der dritten Generation relativ knapp. Die Nationalrätin der BDP, der «anständigen» SVP, Rosmarie Quadranti stellte auch sofort klar: «Es geht nicht um eine automatische Einbürgerung, sondern um eine erleichterte Einbürgerung.»

Ein starkes Zeichen

Die Möglichkeit der Einbürgerung soll ausserdem auf junge Menschen beschränkt werden, «die bis zu 25 Jahre alt sind, die hier geboren sind, bei denen mindestens ein Elternteil hier geboren ist, sich mindestens zehn Jahre hier aufgehalten und mindestens fünf Jahre hier in die Schule gegangen ist». Es wird aber eine Übergangsregelung geben. «Während fünf Jahren nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen auch alle unter 35-Jährigen ein Gesuch stellen dürfen», beschwichtigte das Komitee. Revolutionär ist die Vorlage tatsächlich nicht.

Die Partei der Arbeit der Schweiz sowie alle linken Parteien sprechen sich für ein Ja zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation aus. Es ist klar, dass ein Ja bei der Abstimmung ein Zeichen wäre gegen die Diskriminierung von Menschen ohne Pass. Es wäre ein Signal an diese Menschen, dass wir sie haben wollen und sie zu uns gehören. Und es wäre ein kleiner Schritt hin zur Überwindung der Spaltung der Arbeiterschaft in AusländerInnen und SchweizerInnen.

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Die Industrie blutet

Die Richemont-Gruppe, die Luxusuhren produziert, entlässt über 200 ArbeiterInnen. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Unia fordern die ArbeiterInnen die Rücknahme des «Restrukturierungsplans».

Die Richemont-Gruppe, zu der die Luxusmarken Vacheron Constantin und Piaget gehören, hat kürzlich den Abbau von 211 Stellen angekündigt. Davon betroffen sind Produktionsstandorte im Vallée de Joux (VD), in Genf und in La Côte-aux-Fées (NE). Als Protest gegen den geplanten Stellenabbau riefen am 24. November die betroffenen ArbeiterInnen und die Gewerkschaft Unia zu Protestkundgebungen auf. Unter dem Slogan «Unsere Leben zählen mehr als euer Profit!» versammelten sich am Mittag in Le Sentier rund 400 Personen, darunter viele Beschäftigten der dortigen Uhrenfabriken. In einer Resolution forderten sie das Unternehmen auf, die Abbaupläne zu stoppen und stattdessen Kurzarbeit einzuführen, denn Richemont geht es finanziell blendend: Die Gruppe hat im ersten Halbjahr 2016 einen Gewinn von über zwei Milliarden erzielt! Am späteren Nachmittag versammelten sich auch in Genf rund 300 Beschäftigte vor den Betrieben von Vacheron Constantin und Piaget. Sie unterstützten die von den ArbeiterInnen im Vallée de Joux verabschiedete Resolution.

Klare Forderungen gestellt

Unia-Sekretärin Derya Dursun aus Neuenburg erklärt auf Anfrage des vorwärts, dass es bereits im Frühling eine erste Entlassungswelle gab. «Dafür wurde zwischen der Unia und der Geschäftsleitung von Richemont ein Sozialplan ausgehandelt», erklärt Derya. Gefragt nach dem Grund der Entlassungen, antwortet sie: «Es heisst, es gäbe einen Einbruch bei den Uhrenexporten, namentlich durch das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung in China. Auch werden die gegenwärtige Instabilität auf der Welt und sogar die letzten Terroranschläge in Europa als Grund angegeben. Wir glauben jedoch, dass die Richemont-Gruppe mit den Entlassungen warten kann. Sie hat in der ersten Hälfte dieses Jahres einen saftigen Gewinn eingefahren. Von daher ist es klar, dass sie mit den Entlassungen nur ihre AktionärInnen zufrieden stellen und die Dividenden erhöhen will.» Und die Gewerkschafterin fügt hinzu: «Die Entlassungen sind für das Unternehmen notwendig, da es in diesem System zum Überleben eine ständige Krisensituation braucht.» Die Gewerkschaft hat vorgeschlagen, zuerst eine Reduktion der Arbeitszeit durchzuführen, um unter anderem den «Salon international de la haute horlogerie» in Genf und die «Basler Herbstwarenmesse» abzuwarten. Die Mehrheit der ArbeiterInnen pocht darauf, dass der «Restrukturierungsplan» zurückgezogen wird. «Dies war das klare Resultat der Betriebsversammlungen, die wir durchgeführt haben und an denen gesamthaft über 700 betroffene ArbeiterInnen teilgenommen haben», erklärt Kollegin Derya. Die Forderungen sind in einer Resolution zusammengefasst, die dem Unternehmen überbracht worden ist. Die betroffenen ArbeiterInnen haben auch von den lokalen politischen Behörden konkret Unterstützung gefordert, die sich für den Erhalt der für die Region wichtigen Arbeitsplätze einsetzten sollen. Der Kampf steht erst am Anfang und so hält Kollegin Derya fest: «Was wir sonst noch für Aktionen in Zukunft durchführen werden, wird an den Betriebsversammlungen entschieden. Klar ist natürlich, dass wir nur das tun, was die ArbeiterInnen wollen.»

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Fidel Castro ist gestorben

fidel-castro-100-_v-gseagaleriexlFidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November. Die Welt verliert damit eine zentrale Figur und einen Vorkämpfer des Sozialismus. Die Welt verliert damit einen Mann, der sich unermüdlich für eine bessere Welt und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat.

Fidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November, wie das kubanische Staatsfernsehen bestätigt hat. Raul Castro, der kubanische Präsident und Bruder des Verstorbenen, kündigte an, das Fidel am Samstag darauf kremiert werden würde. «Der Oberkommandierende der kubanischen Revolution starb heute um 22.29 Uhr», hat Raul Castro gemeldet.
Fidel Castro wurde 1926 in die Familie eines bekannten Landbesitzers in der Provinz Holguín auf Cuba geboren. Er führte die kubanische Unabhängigkeitsbewegung an und besiegte 1959 die von den USA unterstützte Batista-Diktatur. Bald nachdem seine Bewegung die Macht übernommen hatte, übernahm das Land durch Fidel ein explizit sozialistisches Entwicklungsmodell und nahm enge Beziehungen zur Sowjetunion auf. Damit geriet Cuba in Feindschaft zur USA.
Für die nächsten 48 Jahre, bis er 2008 zurücktrat, führte Fidel die kleine Inselnation durch eine historische Entwicklung. Das Land wurde dadurch weltweit führend in vielen sozialen Bereich wie Bildung und Gesundheit.

Cubas Internationalismus

Der Erfolg der kubanischen Revolution bedeutete für das Land auch eine 50-jährige feindselige und ruinöse Blockade durch die USA. Fidel überlebte mehrere Mordanschläge durch den US-Geheimdienst CIA.
Die kubanische Erfahrung inspirierte eine wachsende antikolonialistische Bewegung auf der Welt, die Fidel aktiv unterstützte, indem er kooperative Hilfsnetzwerke in Lateinamerika, Afrika und im Rest des globalen Südens aufbaute.
Unter der Führung von Fidel ging Cubas Internationalismus über die blosse Unterstützung von Befreiungsbewegungen wie dem African National Congress von Nelson Mandela in Südafrika hinaus: Tausende von GesundheitsexpertInnen und ÄrztInnen wurden von Cuba in alle Welt entsandt. Cubas Alphabetisierungsprogramm hat Millionen Menschen ausserhalb von Cuba das Lesen beigebracht. Die kubanischen ÄrztInnen haben sogar das Lob der US-Regierung erhalten für ihre «heroische» Beteiligung am Kampf gegen den Ausbruch von Ebola in Westafrika.
Fidel war auch wichtig für den Aufschwung linker Regierungen in Lateinamerika, der 1998 mit der Wahl von Hugo Chavez in Venezuela seinen Anfang nahm. Fidel und Chavez förderten zusammen die Radikalisierung und Koordination von Bewegungen in der Region, was zu linken Siegen in Ecuador, Bolivien und Nicaragua, und zu gemässigt linken Regierungen in Brasilien, Uruguay und Argentinien führte. Auf die Initiative der beiden Revolutionsführern hin ging auch die Bolivarianische Allianz für Amerika (Alba) hervor, die eine Alternative zum neoliberalen Freihandel darstellte.

Fidel wurde 90

Bewundert von vielen, geächtet von anderen; der kubanische Lider blieb einflussreich und war als scharfsinniger Beobachter des Weltgeschehens hochangesehen. Vor Kurzem hat er noch seinen 90. Geburtstag gefeiert. «Ich werde bald 90 Jahre alt», sagte Fidel im April 2016 am Kongress der Kommunistischen Partei, als er seinen längsten öffentlichen Auftritt seit Jahren hatte. «Bald werde ich so sein wie alle anderen. Für alle wird die Zeit einmal kommen, aber die Ideen der kubanischen KommunistInnen werden auf diesem Planeten bleiben als ein Beweis: Wenn man mit Leidenschaft und in Würde arbeitet, kann man die materiellen und kulturellen Güter schaffen, die die Menschen brauchen und für die man kämpfen muss, ohne jemals aufzugeben.»

Trump gewann – Leute, organisiert euch!

donald-trumpDie nachfolgende Darstellung zum Wahlsieg von Donald Trump befasst sich mit dem Wahlverhalten der US-amerikanischen ArbeiterInnen. Sie wurde von «People’s World» veröffentlicht, die der Kommunistischen Partei der USA nahe ist. Der Autor ist ehemaliger Gewerkschaftsorganisator und in der Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA aktiv.

Gewerkschafts- und FortschrittsaktivistInnen im ganzen Land sind bereits dabei, Strategien einer Antwort auf die gestrige Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu formulieren. Der Milliardär war in der Lage, die Unterstützung der Rechten zu gewinnen, die bereits das Repräsentantenhaus und den Senat, die meisten Bundesstaaten und viele Gerichte kontrollieren, indem er ihnen vertrauenswürdig versicherte, dass er die Anti-ArbeiterInnen-Politik verstärken werde, die die Reichen reicher macht. Gleichzeitig nutzte er Lügen, Angstmache und Sündenböcke, um die Unterstützung von vielen Opfern dieser Politik zu gewinnen. Trump wurde an die Spitze gehievt, weil er rund 60 Prozent der WählerInnen aus der weissen ArbeiterInnenklasse und 27 Prozent der WählerInnen bei den Latinos gewann, ein höherer Prozentsatz als für Mitt Romney (Kandidat der RepublikanerInnen bei der Präsidentenwahl 2012 gegen Obama). Alle Wählerbefragungen bei Verlassen der Wahllokale zeigten, dass diejenigen, die Bernie Sanders bei den Vorwahlen der DemokratInnen unterstützten, in voller Stärke zur Abstimmung für Hillary Clinton gingen, während nur etwa 1 Prozent der Wählerschaft die Grüne Partei unterstützte, nicht genug, um etwas zu bewegen. Die Libertäre Partei holte 3,3 Prozent der Stimmen, wobei die meisten andernfalls für Trump gestimmt hätten.

«Zornig und frustriert»

Die grosse Mehrheit der Trump-WählerInnen sagte, dass sie für ihn stimmten, weil er «das Establishment durcheinanderschütten» werde. Gleichzeitig sagten rund 61 Prozent, dass sie wissen, dass Trump nicht qualifiziert ist, Präsident zu sein. Viele sagten, dass sie Obama-DemokratInnen gewesen waren, aber nun das Gefühl haben, dass ihre Partei sie «aufgegeben» hat. Sie verwiesen auf die Tatsache, dass ihr Lebensstandard eingebrochen ist und dass sie sich nicht länger der wirtschaftlichen Sicherheit erfreuen, die sie einst hatten. Sie sagten, dass sie sich «zornig und frustriert» durch die Regierung fühlen und «einen Wechsel wollen». In Nachwahlumfragen in den Staaten des oberen Mittleren Westens, die unter der Deindustrialisierung gelitten haben, bezeichnete sich die Hälfte der WählerInnen, die für Trump gestimmt haben, selbst als Gewerkschaftsmitglieder. Rund 30 Prozent der GewerkschafterInnen in den umkämpften Swing-Bundesstaaten sollen Trump-UnterstützerInnen sein. Trump verstand es, den Ärger und die Angst vieler ArbeiterInnen in den sogenannten «Rostgürtel»-Staaten zu manipulieren, indem er ihre Meinung aufgriff, dass sie Jobs verloren hätten, weil das Nafta-Freihandelsabkommen (mit Kanada und Mexiko, Übers.) die Unternehmen ermutigt habe, ihre Tätigkeit nach Übersee zu verlagern. Er erinnerte unaufhörlich daran, dass Clinton als First Lady für die Annahme von Nafta geworben hat. De facto wurde Nafta aber gegen den Widerspruch der Mehrheit der DemokratInnen durchgesetzt, die zu jener Zeit im Repräsentantenhaus und Senat waren. Während seines Wahlkampfs hat Trump, obwohl er versprach, die durch Nafta und andere Handelsabkommen verlorenen Jobs «nach Amerika zurückholen», niemals einen Plan vorgelegt, um das zu tun. Stattdessen stachelte er Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an, indem er MigrantInnen für viele der wirtschaftlichen Nöte Amerikas verantwortlich machte. Trumps Sieg widerspiegelt den Erfolg von fremdenfeindlichen Rechten in vielen Ländern Europas. Zum Beispiel gelang es jenen, die den Rückzug Grossbritanniens aus der EU unterstützen, die «Brexit»-Abstimmung zu gewinnen, weil sie die Unterstützung der arbeitslosen und unterbeschäftigten britischen ArbeiterInnen fanden, die im deindustrialisierten zentralen Teil von England lebten. Die ökonomische Landschaft dort sieht sehr stark so aus wie das, was überall in den «Rostgürtel»-Staaten zu sehen ist.

Auch eine Chance

Clinton richtete ihren Wahlkampf darauf aus, «Gemässigte» anzusprechen, obwohl die Zahl der WählerInnen, die sich mit diesem Label identifizieren, seit der letzten Präsidentenwahl stark abgenommen hat. Die Tatsache, dass die USA so gespalten sind, stellt für ArbeitervertreterInnen und progressive AktivistInnen auch eine Chance dar. Tatsache ist, dass fast die Hälfte der WählerInnen nicht für Trump gestimmt hat. Darüber hinaus sagen viele von den arbeitenden Menschen, die für ihn gestimmt haben, dass sie ihn nun strikt dafür haftbar machen wollen, dass er seine Versprechen einhält. Die Schlacht gegen die Rechten wird nicht im Fernsehen oder im Internet gewonnen. Sie wird gewonnen durch die Organisierung der arbeitenden Menschen von Angesicht zu Angesicht. Die Gewerkschaftsbewegung muss reale Lösungen für reale Probleme finden, vor denen viele amerikanische ArbeiterInnen aller ethnischen Gruppen stehen. Jetzt, da Trump das Weisse Haus und die RepublikanerInnen die Kontrolle über alle Zweige der US amerikanischen Bundesregierung gewonnen haben, ist für die US-AmerikanerInnen, die eine gerechtere Gesellschaft anstreben, der Aufbau einer machtvollen Volksbewegung entscheidender denn je.

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Rassistische Polizeikontrollen

stadt-polizei-zuerich-mit-einem-30706Am 7. November stand Mohamed Wa Baile vor dem Bezirksgericht Zürich, weil er sich anlässlich einer rassistischen Polizeikontrolle nicht kooperativ verhielt. Der Fall steht exemplarisch für die erniedrigende Erfahrung Tausender in der Schweiz. Die Allianz gegen Racial Profiling wehrt sich dagegen.

Es war der 5. Februar 2015, als Mohamed Wa Baile von seinem Wohnort Bern nach Zürich unterwegs war, wo er als Bibliothekar an der ETH arbeitet. Als er um 7 Uhr morgens den Zürcher Hauptbahnhof durchquerte, wurde er mitten im PendlerInnenstrom noch in der Haupthalle von drei Beamten der Stadtpolizei Zürich angehalten, da er seinen Blick von ihnen abgewendet hätte. Da Wa Baile die Kontrolle aber als rassistisch motiviert empfand, weigerte er sich, sich auszuweisen. Erst als die Polizisten bei ihm einen AHV-Ausweis fanden, konnte er zur Arbeit gehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wa Baile aufgrund seiner Hautfarbe ins Visier der Polizei geriet, aber das erste Mal, dass er dieses erniedrigende Prozedere nicht schweigend hinnahmen. Die «Belohnung» für seinen Widerspruch bekam er postwendend in Form einer Busse von 250 Franken wegen «Nichtbefolgen einer polizeilichen Anordnung». Was für die meisten von uns eine Erfahrung ist, die nur die wenigstens je machen werden, ist es für viele andere in diesem Land eine alltägliche Lebensrealität, die in Fachkreisen auch als «Racial/Ethnic Profiling» bekannt ist. «Racial Profiling» bedeutet, dass eine Personenkontrolle nicht etwa aufgrund eines objektiven Verdachtsmoments passiert, sondern lediglich wegen äusseren Merkmalen wie etwa der Hautfarbe oder der religiösen Kleidung.

Allianz gegen Rassismus

Bei der neu gegründeten Allianz gegen Racial Profiling handelt es sich um einen Zusammenschluss von AktivstInnen, WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden sowie Fachpersonen und Menschenrechtsorganisationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, sich gegen den institutionellen Rassismus in den Schweizer Polizeikorps zur Wehr zu setzen. So kritisiert die Allianz die Willkürlichkeit von Polizeikontrollen und dass Betroffene unverhältnismässig oft kontrolliert und von bestimmten Orten weggewiesen werden, ohne dass dafür sachliche Gründe vorliegen. Für die Allianz gegen Racial Profiling stellen diese Kontrolle gar eine gravierende Verletzung des verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Verbots rassistischer Diskriminierung dar. So fordert das Bündnis unter anderem den Gesetzgeber auf, juristische Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen rechtlichen Schutz vor rassistischer Diskriminierung durch die Polizei gewährleistet.
Tatsächlich gibt es so einiges an der Polizeiarbeit zu kritisieren. Gerade in den urbanen Zentren könnte man durchaus den Eindruck bekommen, unter Besatzung zu leben. Polizeiliche Omnipräsenz und junge Uniformierte aus ländlichen Regionen und fremden Kantonen, die in den Städten wie Süsswasserfische in einem Salzmeer wirken. Genauso problematisch ist, dass schon beim kleinsten Widerspruch gleich fleissig Strafbefehle verteilt werden und bei jeder Nichtigkeit mit Gummiparagraphen wie «Nichtbefolgen einer polizeilichen Anordnung» und «Hinderung einer Amtshandlung» hantiert wird. Aufmüpfige und kritische ZeitgenossInnen werden so systematisch kriminalisiert, eingeschüchtert, und bei Polizeiübergriffen kommt es durchaus vor, dass kurzerhand – für den Fall der Fälle – schon mal präventiv das Opfer verzeigt wird. Missstände, die schon seit Jahren bekannt sind und in der Vergangenheit immer und immer wieder kritisiert wurden; an der Praxis hingegen hat sich bis heute nichts geändert. Eine nur auf dem Papier existierende Gewaltentrennung, ein Korpsgeist, der uniformierte TäterInnen schützt, sowie nicht existierende, unabhängige Instanzen, sind da nur einige Stichwörter von vielen. Die viel beschworene BürgerInnennähe jedenfalls sieht anders aus.

Spiegelbild der Gesellschaft

Letztlich bedürfte es in den Polizeikorps einen tiefgreifenden Mentalitätswechsel. Die allgegenwärtigen rassistischen Kontrollen sind letztlich eben nicht nur Ausdruck eines tief verankerten, institutionellen Rassismus, sondern ein Spiegelbild der heutigen Gesellschaft. Selbst ein Antirassismusgesetz verkommt zum Papiertiger, solange eben kein gesellschaftliches Bewusstsein für Rassismus vorhanden ist und ein stillschweigender Konsens existiert. Da greift die Kampagne Allianz gegen Racial Profiling zu kurz und überfordert den durchschnittlichen Gölä-Schweizer wohl auch ein wenig. Rassistische Polizeikontrollen jedenfalls sind schon seit Jahren ein Dauerthema, das sehr vielen Betroffenen unter den Fingernägeln brennt. Von daher trifft die Allianz gegen Racial Profiling durchaus einen Nerv. Ob aber auf juristischem Weg, mit Bildungsarbeit und Workshops, institutioneller Sensibilisierung und einer gewissen Autoritätsgläubigkeit effektiv etwas an den rassistischen Verhältnissen in diesem Land geändert werden kann, darf bezweifelt werden. Ach ja, erwartungsgemäss wurde die Busse gegen Wa Baile vom CVP-Einzelrichter Maira bestätigt, da er sich auf den Standpunkt stellte, dass er nicht darüber zu urteilen hätte «ob in der Stadtpolizei rassistische Stereotypen institutionell verankert sind», sondern einzig, ob ein «Nichtbefolgen von polizeilichen Anordnung stattgefunden hat». Effektiv gibt es bis heute keinen einzigen Fall, worin je einE PolizistIn wegen einer rassistisch motivierten Personenkontrolle verurteilt wurde, trotz gesetzlich verankertem Diskriminierungsverbot. Was nicht sein darf, ist auch nicht. Und so verwundert es höchstens, dass die Allianz gegen Racial Profiling noch keine Strafanzeige wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm erhalten hat und Wa Baile nicht wegen übler Nachrede und Beamtenbeleidigung verzeigt wurde. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

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Freiheit für Selahattin Demirta und Figen Yüksekda!

selahattin-demirtas-ve-figen-yuksekdag-mal-varligini-acikladi-1448977629Der Angriff der türkischen Regierung gegen die politische Bewegung der KurdInnen und progressiven Menschen in der Türkei eskaliert weiter. Die beiden Co-Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP Selahattin Demirta und Figen Yüksekda wurden in der Nacht auf den 4. November verhaftet. Die HDP ist eine grosse Oppositionpartei und konnte bei den letzten türkischen Parlamentswahlen über zehn Prozent der Stimmen holen, damit ist sie die drittgrösste Partei im Parlament. Neben den Co-Vorsitzenden wurden zeitgleich auch der Fraktionschef Idris Baluken und weitere prominente VertreterInnen der HDP inhaftiert. Als Vorwand für die Verhaftungen wurde ihnen wie auch bei allen anderen Verhaftungen von HDP-PolitikerInnen Nähe zur militanten kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK angelastet.

Nach dem gescheiterten Putsch im Juli hat die Regierung unter Erdogan die Repression stark ausgedehnt und unter anderem die Immunität von ParlamentarierInnen aufgehoben. In der Folge sind reihenweise RegierungskritikerInnen und oppositionelle PolitikerInnen verhaftet worden, zuletzt die Co-BürgermeisterInnen der grössten kurdischen Metropole, aber auch JournalistInnen der Zeitung «Cumhuriyet».

Die Türkei hat damit jeden Rest vom Scheins eines Rechtsstaats abgeworfen, es herrscht nun ohne jeden Zweifel eine brutale Diktatur. Die Schweiz darf keinesfalls die Augen davor verschliessen, dass in der Türkei die freie Ausübung der politischen Rechte massgeblich eingeschränkt und die grosse Oppositionspartei HDP unter fadenscheinigen Vorwürfen aufgerieben wird.

Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) fordert die umgehende Freilassung aller politischer Gefangenen und das Ende des Krieges gegen die KurdInnen und die fortschrittlichen Menschen in der Türkei. Die PdAS sichert den von der Regierung verfolgten Organisationen und Minderheiten ihre volle Solidarität zu.

Die Schweiz wird von der PdAS aufgefordert, sofort jede politische und ökonomische Unterstützung des Regimes abzubrechen und jede ihr verfügbaren diplomatischen und politischen Mittel anzuwenden, um die Freilassung der politischen Gefangenen anzutreiben. AKP-nahe und türkisch-faschistische Gruppen in der Schweiz müssen verboten werden, damit die Sicherheit der KurdInnen und fortschrittlichen TürkInnen in der Schweiz gewährleistet werden kann.

 

Von der Zarenherrschaft zum Sozialismus

vladimir_lenin_cc_img_0Vor 99 Jahren begann die Grosse Sozialistische Oktoberrevolution, eines der wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrtausends und der Auftakt einer völlig neuen Ära. Zum ersten Mal in der Geschichte siegte die proletarische Revolution in einem Land; der Kapitalismus wurde gestürzt und musste dem Sozialismus weichen.

Das jahrhundertealte russische Zarenreich war zur Zeit des Ersten Weltkriegs von unlösbaren Widersprüchen zerfressen. Der Kapitalismus befand sich dort in der Entwicklung, in den Städten wie auf dem Land. Mit dem Aufschwung der Industrie in den grossen Städten bildete sich eine ArbeiterInnenklasse, die zwar eine Minderheit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung darstellte, in den grossen Produktionseinheiten jedoch zu einer organisierten und kämpferischen Mehrheit konzentriert war. Weder die brutale Tyrannei des Zaren noch die exzessive Zensur konnten die Zunahme von Ar-beiterInnenkämpfen und die Verbreitung von revolutionären Ideen in Russland verhindern. Trotz der unbarmherzigen Repression entstanden und etablierten sich drei politische Parteien, die das Ende der absoluten Monarchie forderten: Die Konstitutionell-Demokratische Partei, auch Kadetten genannt (die Partei der liberalen Bourgeoise), die Partei der Sozialrevolutionäre (eine Partei, die sich auf die Tradition der russischen «Volkstümler» bezog) und einer wirklich marxistischen Partei, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, die sich bald in die Menschewiki (wörtlich «MinderheitlerInnen», die ReformistInnen) und Bolschewiki («MehrheitlerInnen», RevolutionärInnen) aufteilte.

Das Vorspiel zur Revolution

Am 9. Januar 1905 schoss die Armee auf eine grosse Demonstration von Streikenden, die nach St. Petersburg gekommen waren, um ihre Klagen dem Zaren Nikolaus II. vorzubringen. Dieser Tag ging als Petersburger Blutsonntag in die Geschichte ein. Das Vertrauen, dass die russischen Parteien in den Zaren setzten, war für immer zerstört. Was folgte war die erste russische Revolution. Gewaltige Streiks brachen im ganzen Land aus. Moskau wurde von Barrikaden überzogen. Zum ersten Mal wurden Arbeiter- und Bauernräte, sogenannte Sowjets, gegründet, eine Form der neuen Demokratie, die den revolutionären Kampf anführten. Die Revolution wurde im Blut erstickt, aber nichts war mehr wie zuvor. Die ArbeiterInnen-klasse hatte in ihrer politischen Organisation einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht. Und das zaristische Regime war durch die Revolution ge-zwungen, gewisse Konzessionen zu machen und den Anschein eines Parlaments einzuführen: die Staatsduma. Die ersten Wahlen brachten den Oppositionsparteien erwartungsgemäss eine grosse Mehrheit. Nach zwei Auflösungen und einem Reformversuch des Wahlgesetzes konnte Nikolaus II. schliesslich eine weniger aufmüpfige Duma zusammenstellen; der Sturz des Regimes war jedoch nur noch eine Frage der Zeit. Wie die anderen imperialistischen Staaten versuchte das zaristische Imperium, seine inneren Widersprüche mit dem Ersten Weltkrieg zu lösen. Damit war der letzte Fehlschritt des Regimes getan. Die offizielle Propaganda hatte dem Volk einen klaren und schnellen Sieg versprochen, aber der Krieg zog sich in die Länge und trotz einigen militärischen Erfolgen erwies er sich als verheerend sowohl hinsichtlich der Verluste an Menschenleben als auch ökonomisch. Die Kriegsbeteiligung wurde immer unpopulärer und die Streiks und politischen Mobilisierungen gegen die Fortsetzung des Konflikts sowie die Aufstände und Desertionen innerhalb der Armee vervielfachten sich. Diese Widerstandskämpfe wurden dadurch erleichtert, dass die russischen ArbeiterInnen über eine Partei, die Partei der Bolschewiki, verfügten, die nicht der Politik des Burgfriedens zu Beginn des Krieges verfallen war und ihre Prinzipien nicht verraten hatte. Aus diesem Grund war die Partei in der Lage, im Gegensatz zum Grossteil der sozialdemokratischen Parteien der verräterischen Zweiten Internationale, den revolutionären Kampf anzuführen.

Die Februarrevolution

Am 23. Februar 1917 brach ein grosser Streik aus in St. Petersburg, der damaligen russischen Hauptstadt, der sich schliesslich zum Generalstreik entwickelte. Der Zar befahl der Armee, auf die Menge zu schiessen. Aber diese stellte sich auf die Seite der Aufständischen. Am 27. Februar übernahm der Petersburger Arbeiter- und Soldatensowjet das Taurische Palais, den Sitz der Duma, und er hätte die Staatsmacht erlangen können. Aber der Sowjet war von den SozialrevolutionärInnen und den Menschewiki dominiert, die am Dogma festhielten, dass die Revolution gegen den Zarismus nur eine bürgerliche sein und sie deshalb nur von der Bourgeoisie ausgeführt werden könnte, die dann in einer bürgerlichen Demokratie münden müsste. Alle parlamentarischen Gruppierungen in der Duma, ausgenommen den rechtsextremen MonarchistInnen, kamen in der Nacht auf den 28. Februar zusammen, um ein provisorisches Komitee der Staatsduma zu bilden und die zaristische Herrschaft zu ersetzen. Am 2. März wurde eine provisorische Regierung unter der Leitung von Fürst Lwow, einem Kadetten, konstituiert. Am Tag darauf dankte Nikolaus II. ab zugunsten seines Bruders, Grossfürst Michail, der seinerseits ein paar Tage später zurücktrat. Die Dynastie der Romanows, die Russland während drei Jahrhunderten regiert hatte, war gestürzt. Am 27. März verliess Lenin die Schweiz, wo er als politischer Flüchtling gelebt hatte, um die Führung des revolutionären Kampfes in Russland zu übernehmen.

Doppelherrschaft

Fortan war Russland eine bürgerlich-demokratische Republik und laut Lenin das vorläufig «freieste Land Europas» (im Sinne, dass die Provisorische Regierung nicht in der Lage war, einen strikten Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten wie andere Kriegsländer). Es unterstand für kurzer Zeit sogar einer «linken» Regierung, an deren Spitze der Sozialrevolutionär Alexander Kerenski stand. Diese Konstellation konnte die Probleme des Landes nicht lösen und die Forderungen der Bevölkerung nicht befriedigen. Man hatte zuvor versprochen, Frieden zu schliessen, aber nun beschloss die Regierung, den Krieg «bis zum Sieg» fortzuführen. Die Wirtschaft des Landes lag in Trümmern, eine Hungersnot drohte, die ArbeiterInnen lebten im extremen Elend. Die Regierung hatte nicht vor, dem abzuhelfen. Auch die versprochene Agrarreform, die Hauptforderung der Bauernschaft und die zentrale Losung der SozialrevolutionärInnen vor der Revolution, wurde nicht vollzogen. Gleichzeitig entstand im Land eine Situation der Doppelherrschaft. Offiziell war die Provisorische Regierung die Spitze des Staates. Aber ihre Macht war wackelig und stützte sich nur auf einen Staatsapparat, den sie vom Zarismus geerbt hatte und im Zerfall begriffen war. Die Provisorische Regierung konnte sich nur solange halten, wie sie von der anderen Macht, die im Land präsent war, akzeptiert wurde: Die Sowjets der ArbeiterInnen, BäuerInnen und SoldatInnen, die eine reelle Basis in der Bevölkerung wie in der Armee hatten. Die Sowjets wurden zuvor mehrheitlich von den Menschewiki und den SozialrevolutionärInnen kontrolliert, die sich weigerten, die Revolution gegen das Joch der bürgerlichen Legalität zu wenden. Sie lähmten damit die Handlungsfähigkeit der Sowjets und halfen der Provisorischen Regierung, an der Macht zu bleiben. Die Bolschewiki kämpften derweil unter der Parole «Alle Macht den Sowjets!» im Bewusstsein, dass sie darin in der Minderheit waren. Dadurch sollte die Macht schnell in die Hände der Ar-beiterInnen und BäuerInnen übergehen und eine Volksdemokratie entstehen, die auf der Koexistenz von mehreren Parteien, die dem Sozialismus positiv gesinnt waren, ruhen würde. Dieses Szenario kam nicht zustande, aufgrund der Politik der Menschewiki und SozialrevolutionärInnen, die ihren revolutionären Thesen objektiv den Rücken gekehrt hatten und um jeden Preis an der Kollaboration mit der Bourgeoise festhielten.

Die Oktoberrevolution

Diese Situation konnte keinen Bestand haben. Am 3. Juli liess die Provisorische Regierung ihre loyalen Truppen auf eine Versammlung der Bolsche-wiki schiessen, was 400 Tote und Verletzte zur Folge hatte. Sie versuchte, ebenfalls Lenin wegen Hochverrats zu verhaften, ohne Erfolg. Die Bourgeoisie wollte sich nun nicht mehr mit einer unsicheren provisorischen Regierung begnügen und setzte alles auf die Errichtung einer Militärdiktatur. Der Putsch unter General Lawr Kornilow, der dank des Einsatzes der Bolschewiki scheiterte, kündete das Ende der Herrschaft von Kerenski an. Ein Aufstand war notwendig geworden, um die Revolution zu retten. Die Provisorische Regierung wurde am 25. Oktober (bzw. am 7. November nach unserem Kalender) gestürzt. Die Hauptstadt befand sich in den Händen der revolutionären Truppen und der Bolschewiki. Am 26. Oktober wurde der 2. Allrussische Sowjetkongress eröffnet, an dem die Bolschewiki nun die Mehrheit stellten. Der Kongress nahm das Dekret über den Frieden, das den sofortigen Friedensschluss unter fairen Bedingungen für alle beteiligten Nationen verkündete, und das Dekret über den Grund und Boden an, das alles Landeigentum ohne Kompensation dem Volk übergab. Der Kongress wählte ausserdem einen Rat der Volkskommissare, die erste revolutionäre Regierung Russlands, mit Lenin an der Spitze. Die Revolution weitete sich schnell auf den Grossteil des Landes aus, oft mit Gewalt, manchmal ohne auf Widerstand zu stossen. Anfang Juli 1918 nahm der 5. Allrussische Sowjetkongress die erste Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik an, die die Basis der Macht der ArbeiterInnen und BäuerInnen und des Sozialismus bildete. Der erste Arbeiter- und Bauernstaat der Geschichte war geboren.

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Uns allen?

02_maurerDer Bundesrat erklärt sein Ja zur Unternehmenssteuerreform III. Dabei schweigt er über die Tatsache, dass die Kantone und Gemeinden massiv Steuereinnahmen verlieren werden. Dies erinnert stark an die Lüge aus dem Jahr 2008. Fast gleichzeitig stellt er ein neues Sparpaket in Aussicht, das rund 1,5 Milliarden wiegt.

Am 27. Oktober hat der Bundesrat seine Argumente dargelegt, warum er dem Volk ein Ja zur Unternehmenssteuerreform III (USRIII) empfiehlt. Die Vorlage kommt nun definitiv am 12. Februar 2017 zur Abstimmung. Zusammengefasst in einem Satz aus der Medienmitteilung des Bundesrats liest sich dies so: «Ziel der Unternehmenssteuerreform III ist es, die Schweiz als attraktiven Standort zu erhalten, die internationale Akzeptanz des Steuersystems zu stärken und das künftige Steueraufkommen von Bund, Kantonen und Gemeinden sicherzustellen.» Punkt eins und zwei sind genau das, was die Wirtschaftsverbände betreffend der USRIII vehement von der Regierung gefordert haben. Und in Sachen Sicherstellen des Steueraufkommens sollte nicht vergessen werden, dass der Bundesrat vor nicht allzu langer Zeit das Volk deftig angelogen hat. Doch der Reihe nach.

Attraktiv für wen?

Ein beliebtes Zugpferdchen der Regierung und der BefürworterInnen der Steuergeschenke in Milliardenhöhe an die Unternehmen trägt den Namen «Stärkung des Standortes Schweiz». Gemeint ist natürlich die Wirtschaft und unterschwellig wird eine altbekannte Botschaft vermittelt: Geht es der Wirtschaft gut, dann geht es uns allen gut. Wirklich uns allen? Angenommen die StimmbürgerInnen sagen Ja zur USRIII, geht es dann den Kindern in der Schweiz besser? Kriegen die Eltern mehr Zeit für ihre neugeborenen Sprösslinge? Gibt es mehr bezahlbare Krippenplätze? Gibt es Investitionen im Bereich des Kindergartens? Und was ist mit den SchülerInnen? Wird die Volksschule verstärkt? Wird mehr Lehrpersonal eingestellt, um die Schulkinder besser betreuen zu können? Werden die schulisch Schwachen besser unterstützt und gefördert dank der USRIII? Profitieren die StudentInnen von der Reform? Werden etwa die Studiengebühren gesenkt? Und was ist mit den Werktätigen, mit den ArbeiterInnen? Kriegen sie eine Gehaltserhöhung? Müssen sie weniger Stunden arbeiten für den gleichen Lohn? Kriegen sie einen besseren Kündigungsschutz? Oder gibt es für die erwerbslosen Personen Verbesserungen, so dass sie wieder schneller einen Job finden, der ihren Fähigkeiten und Vorstellungen entspricht? Und was ist mit den RentnerInnen? Wird die AHV dank der USRIII erhöht? Oder kriegen die IV- und SozialhilfeempfängerInnen mehr Geld zum Leben, damit sie nicht ständig ums finanzielle Überleben kämpfen müssen? Und was ist mit den Flüchtlingen in der Schweiz? Wird ihre Lebenssituation verbessert, wenn die USRIII angenommen wird? Auf all diese Fragen gibt es eine einzige Antwort: Nein!

Ein kleiner Rest bleibt übrig

Zieht man von diesem «Uns allen» die Kinder, StudentInnen, ArbeiterInnen, Erwerbslosen, RentnerInnen, IV- und SozialhilfeempfängerInnen und Flüchtlinge ab, bleibt vom «Uns allen» nur noch sehr wenig übrig. Und genau im Interesse von diesem im Geld schwimmenden kleinen Rest wird die USRIII gemacht. Nur dieser kleine Rest profitiert davon – alle anderen bezahlen durch den Leistungsabbau der öffentlichen Hand. Wie grotesk dies alles ist, beweist der Bundesrat selber: Er macht für die USRIII Werbung, die Milliarden an Steuerausfällen bringen wird, beklagt sich aber gleichzeitig, dass finanziell «die Luft dünn» wird, um es mit den Worten von Ueli Maurer auszudrücken. So war es auch Ueli Maurer höchstpersönlich, der Mitte Oktober das Stabilisierungsprogramm II vorgestellt hat. Rund 1,5 Milliarden schwer ist es. Es soll zusätzlich zum Stabilisierungsprogramm I umgesetzt werden, das sich bereits im Parlament befindet und Einsparungen von einer Milliarde umfasst. 1 plus 1,5 macht 2,5 Milliarden Franken pro Jahr!

Die Ausfälle und das Schweigen

Dem Bund kostet die USRIII laut eigenen Angaben 1,1 Milliarden Franken pro Jahr. Also jener Beitrag, welchen der Bund den Kantonen zur Verfügung stellt. Doch steuerliche Ausfälle durch die verschiedenen Massnahmen, welche die Reform auf kantonaler Ebene vorsieht, wie etwa die Einführung der Patentbox oder die so genannte «zinsbereinigte Gewinnsteuer» sind in diesen 1,1 Milliarden nicht berücksichtigt. «Hier besteht eine grosse Unsicherheit! Eine vorsichtige Schätzung aller Ausfälle ergibt Mindereinnahmen von mindestens 1,6 Milliarden Franken für den Bund», schreibt die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) in ihrer ausführlichen Informationsbroschüre zur USRIII. Hart treffen wird es die Kantone und Gemeinden: Der Kanton Zürich rechnet bei einer Annahme und entsprechender Umsetzung der USRIII mit Ausfällen von rund 500 Millionen Franken pro Jahr. Im Kanton Genf sind es zwischen 300 und 400 Millionen und der Kanton Waadt budgetiert nach der Annahme der kantonalen Reform der Unternehmenssteuer mit massiven Mindereinnahmen. Der Städteverband errechnete allein für die Gemeinden einen Ausfall von 1,3 Milliarden. «Realistisch ist es wohl mit Mindereinnahmen von 2,5 bis 3 Milliarden Franken zu rechnen», hält die PdAS weiter fest. Somit belaufen sich die Steuerausfälle insgesamt locker auf 4,6 Milliarden Franken pro Jahr. Doch darüber schweigt der Bundesrat. Ein Schweigen, das aufhorchen lassen muss, wie ein Blick in die jüngste Geschichte zeigt: Am 24. Februar 2008 scheiterte das Referendum gegen die zweite Reform der Unternehmenssteuer (USR II) mit 49,5 Prozent Nein-Stimmen denkbar knapp. Der Bundesrat ging von Steuerausfällen in der Höhe von rund 80 Millionen Franken pro Jahr aus. Drei Jahre später, am 14. März 2011, musste der Bundesrat auf Druck des Parlaments jedoch zugeben, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USR II mit Steuerausfällen von über sieben Milliarden Franken in den nächsten zehn Jahren rechnen müssen. «Die Abstimmung über die USR II gilt als ein Tiefpunkt der Schweizer Demokratie», schrieb der «Tages-Anzeiger» am 6. Juni 2015. Selbst das Bundesgericht sprach von einer «krassen Verletzung der Abstimmungsfreiheit», von «Fehlinformation durch Unterdrückung», einzelne RichterInnen bezeichneten es gar als eine «systematische Irreführung» der StimmbürgerInnen. Das höchste Gericht der Eidgenossenschaft musste sich damit befassen, weil der heutige SP-Ständerat aus Zürich Daniel Jositsch eine Beschwerde einreichte. Das Bundesgericht entschied trotz der krassen Feststellungen, dass die Abstimmung nicht wiederholt werden müsse. Dazu Jositsch in einem Interview im «Beobachter» vom 21. Dezember 2011: «Das ist ein Hohn gegenüber dem Rechtsstaat. Das Bundesgericht hat es verpasst, den BürgerInnen zu zeigen, dass sie ihren Institutionen vertrauen können.» Ein wichtiger Grund mehr, am 12. Februar 2017 überzeugt mit Nein zu stimmen!

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Wer eine anfasst, fasst alle an

sciopero_generale_04Es reicht: Lateinamerikanische Länder demonstrieren gegen Frauenmorde und Macho-Kultur. In Argentinien legten Tausende Frauen die Arbeit nieder.

Feminicidio (Femizid) ist in Lateinamerika nicht ein praxisferner Fachbegriff, sondern Realität. Die Anzahl der Morde aus Frauenhass ist gross. Die Nichtregierungsorganisation «Haus der Begegnung» zählte zwischen 2008 und 2016 beispielsweise allein in Argentinien 2094 registrierte Fälle. Sicher gibt es eine Dunkelziffer, zudem bleiben 98 Prozent der Gewaltverbrechen unaufgeklärt, so dass die Täter strafffrei bleiben. Man sagt, dass alle 30 Stunden in Argentinien eine Frau stirbt. In der Praxis sind alle Zahlen Menschen: Lucia Pérez, ein 16-jähriges Mädchen aus Mar del Plata, wurde in der Nacht vom 8. Oktober ermordet, vorher mit Drogen betäubt und vergewaltigt. Schlussendlich führten innere Verletzungen zum Tod.

Ein nationaler Frauenstreik

Das wird nicht mehr einfach so hingenommen: Am 19. Oktober demonstrierten nach dem Aufruf der Fraueninitiative #NiUnaMenos 100 000 Leute in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gegen Feminicidio. Zwischen 13 und 14 Uhr wurde in 80 Städten die Arbeit niedergelegt und später fanden landesweit Versammlungen und Demonstrationen im öffentlichen Raum statt. Viele linke und feministische Organisationen forderten an diesem nationalen Frauenstreik Massnahmen für ein Ende der ökonomischen und sozialen Benachteiligung von Frauen sowie die Anerkennung der nach wie vor unbezahlten Haus- und Erziehungsarbeit. Die Benachteiligung der Frau im Allgemeinen ist einer der Mitgründe für die geschlechtsbezogene Gewalt.

Zwar gibt es in Argentinien seit 2012 ein Gesetz, das eine lebenslange Haftstrafe für Frauenmorde vorsieht. Doch es braucht zusätzliche Massnahmen. «Der Kampf für sexuelle und reproduktive Rechte ist einer der zentralen Schwerpunkte. Dazu gehört die Entkriminalisierung der Abtreibung und ein landesweit einheitlicher Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigungen oder bei Risiken für die Gesundheit der betroffenen Frauen oder Mädchen», meint Beat Gerber, Mediensprecher von Amnesty International Deutschschweiz.

Dies sind Forderungen, die immer mehr Gewicht erhalten, da sich neben einer grossen Masse auch bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, darunter die Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel dafür stark machen. «Dass die Forderungen der Proteste in Argentinien auch strukturelle Gewalt und Anerkennung von unbezahlter Care-Arbeit beinhalten, begrüssen wir. Es zeigt, wie tief das Problem geht», sagt Milena Geiser von der feministischen Friedensorganisation cfd.

Eine Protestkultur entsteht

Neu sind Frauenmorde nicht, zumal es ohnehin eine hohe Anzahl von Gewaltopfern in lateinamerikanischen Ländern gibt. International bekanntgeworden sind diese spezifischen Morde unter anderem durch den Roman «2666» des chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Grundlage für den Roman waren die Frauenmorde von Ciudad Juárez, einer seit mindestens Anfang der 1990er-Jahre andauernden Mordserie in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez. Was sich mittlerweile geändert hat, ist, dass sich AktivistInnen in grosser Zahl organisieren. In Peru demonstrierten im August 150 000 Menschen unter dem Motto «Wer eine anfasst, fasst alle an»; in diesem Jahr wurden bis im August bereits 54 Frauen getötet. Andere Länder ziehen mit. Auch Mexiko, wo je nach Angaben jeden Tag sieben Frauen getötet werden, konnte eine Protestkultur aufgebaut werden. In Kolumbien versammelten sich Frauen zu Kundgebungen in verschiedenen Städten – so auch in Venezuela, Brasilien, Uruguay, Paraguay, Bolivien, Chile, Honduras, Ecuador, Costa Rica, El Salvador und Guatemala. Trotz der Gesetzte, die – ähnlich wie in Argentinien – zum sogenannten «Schutz der Frauen» geschaffen wurden, ist die Gewalt nicht kleiner geworden. Es ist ein kultureller Wandel nötig, um dies zu verändern.

Lateinamerika wacht auf und setzt sich gegen den Machismo zunehmend zur Wehr. Das ist bitter nötig; denn die Morde sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was sich in den Haushalten abspielt.

Kurzinterview mit Dr. Adrian Herrera von der Universität Köln.

Warum passieren in Lateinamerika und in Argentinien eine so hohe Zahl an Femicidios?

In der lateinamerikanischen Kultur ist es nicht selten, dass Frauen nur als passive Sexobjekte betrachtet werden. Auch Witze über Frauen, in denen sie zumeist als «dumm» dargestellt werden, sind nicht selten. Dazu kommt auch die unterwürfige Rolle, die ihnen der in vielen Ländern stark ausgeprägten Katholizismus zuschreibt. In einer Gesellschaft, in der Frauen sich immer mehr emanzipieren – Gewalt gegen sie ist ein horrender Ausdruck von Macht –, ist das eine Art und Weise, um ihnen zu sagen: «Vergiss nicht, wo du hingehörst!» Gleichzeitig kommen in Lateinamerika immer mehr Frauen an Machtpositionen – das ist ein grosses Paradoxon.

Warum organisiert sich ausgerechnet jetzt eine so grosse Zahl an AktivistInnen?

Es gibt natürlich immer Auslöser, die zu Massendemonstrationen führen, wenn die Gesellschaft sich besonders erschreckt und berührt fühlt – die grausame Gewalt gegen diese 16-jährige Teenagerin ist mit Sicherheit nicht ein isolierter Fall, aber indem er bekannt wurde, haben AktivistInnen entsprechend reagiert. Ausserdem darf man nicht vergessen, wie aktiv die argentinische Gesellschaft ist, wenn es darum geht, Menschenrechte zu verteidigen.

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Armee zum «Alänge»?

01_armeeMit der Wehrshow «Thun Meets Army & Air Force» unterhielt die Schweizer Armee Tausende Besucherinnen und Besucher auf dem riesigen Waffenplatz Thun. Es geht um grosse finanzielle Begehrlichkeiten und Ablenken von den grossen Flops der Armee.

Die Staaten rüsten auf, die Rüstungsindustrie fährt deftige Profite ein und die kleine Schweiz will zuvorderst dabei sein. Der schweizerische Nationalismus feiert im Zuge dieses neoliberal-konservativen Rollbacks Urstände in der Form von gross angelegten Schwingfesten und Wehrschauen. Trendig und US-cool muss es natürlich tönen, man will mit den Wehrschauen besonders die 15- bis 20-Jährigen ansprechen. Das faschisierende «Stahlgewitter» von Ernst Jünger wurde am letzten Oktoberwochenende in Thun deshalb zur verharmlosenden «Steelparade» und sollte wohl mehr an hedonistisches Abtanzen als an furchtbares Massensterben und flächendeckende Zerstörung und Verseuchung erinnern. Auf dem Regional-TV «Telebärn» (Schlagzeile «Stadt im Ausnahmezustand») vorgeführte ZuschauerInnen fanden es ein tolle Sache und eine Riesenfreude für die Kinder, hier über rotweisse Flugzeuge am Himmel, Cyber-War im Büro, Teenie-Schwarm Luca Hänni auf der Bühne und nostalgische Kavallerie-Rössli auf der grünen Wiese staunen zu können sowie Panzer und andere Fahrzeuge «alänge» zu dürfen. Die Kampagne «Deine Armee», in deren Rahmen die Wehrschau stattgefunden hat, will also mit populistischer Didaktik einen kindlich-naiven und sinnlichen Zugang zur Vorbereitung der gross angelegten Massenzerstörung und des fröhlichen Völkermordens vermitteln – vielleicht wird die lustige Vorbereitung demnächst mit der todernsten Liveperformance «Nato-Krieg gegen Russland auf dem gesamteuropäischen Schlachtfeld» gekrönt.

Armee wittert Morgenluft

Eine «gute Akzeptanz» der Armee in der Bevölkerung sieht Organisator René Wallinger nicht nur im überschwänglichen Publikumsbesuch – 200 000 statt der erwarteten 160 000 laut den VeranstalterInnen –, sondern auch in den letzten Ergebnissen von einschlägigen Volksabstimmungen. Die Bevölkerung habe laut Wallinger «ihre» Armee nicht mehr erleben dürfen, diese habe sich in die Kasernen zurückgezogen und die würden jetzt von der Armee geöffnet. Lange vermied die Armee Defilees und Wehrschauen auf öffentlichem Grund, um Gegenaktionen und -demonstrationen aus dem Weg zu gehen, doch jetzt wittert sie Morgenluft.

Stadtentwicklung wird blockiert

Die Gruppe Schweiz ohne Armee (Gsoa) liess es sich nicht nehmen, in der Thuner Altstadt eine Infoaktion durchzuführen. VBS-Vorsteher Guy Parmelin sagte harmlos in ein SRF-Mikrofon, man wolle nur «zeigen, dass das Material nicht einfach in der Garage steht, sondern, dass es auch draussen im Gelände funktioniert». Stadtpräsident Raphael Lanz sang vor Mikrofonen und Kameras den öden Standard der Einheit zwischen Wirtschaft und Armee, der Arbeitsplätze und Umsätze, welche die edle Institution der Bevölkerung und den Unter-nehmen der Region beschere. Die grüne Politikerin Andrea De Meuron durfte medial kurz darauf hinweisen, der Waffenplatz blockiere mit Sicherheitsargumenten die nötige Stadtentwicklung und verhindere beispielsweise, dass die Uttigenstrasse auf dem Armeeterrain des Bundes dem Verkehr geöffnet werde. Damit unter anderem SchülerInnen der umliegenden Gemeinden mit dem Velo auf ihrem Schulweg nicht einen beschwerlichen Umweg machen müssten. Mehr Armeekritik lag bei SRF und der Grünen nicht drin.

Fünf Abstürze und fünf Tote

Natürlich geht es VBS und Armee auch darum, die Stimmbevölkerung – trotz permanentem Sparkahlschlag in wichtigen Finanzbereichen – für die kommenden happigen Militärausgaben zu erwärmen sowie die vier Kampfjet-Abstürze und den Superpuma-Absturz mit insgesamt fünf Toten der letzten drei Jahre zu verwedeln. Man könnte auch meinen, das nonchalante Motto sei da: Das Material zu Schrott fliegen, damit neue Jets angeschafft werden müssen – die besser kleine Ziele auf dem Boden wie übermütige Fussballfans, politische Streiks, Demonstrationen und Aktionen beschiessen können. So ketzerisch aber dachte in der Thuner Festfreude kaum jemand. Auch an den im Juni beim Flugshow-Training abgestürzten Patrouille Suisse Tiger F5 dachte der Wehrchilbi-Besucher vor der «Telebärn»-Kamera wohl nicht, als er jubelte, die Patrouille-Suisse-Vorführung sei «der Hammer» gewesen. Ein anderer meinte gleich darauf, er sei glücklich, «heute so viele Leute und nur ein halbes Dutzend Gsoa-Krawallbrüder» gesehen zu haben.

Milliarden über Milliarden

Zu den exorbitanten Kosten der Kaprizen der Todesengel: Ende Oktober deckte der «Blick» auf, dass die Armee 55 neue Kampfjets für 10 Milliarden Schweizer Franken beschaffen will. Die Kosten über die gesamte Lebensdauer werden sich laut Gsoa zusätzlich auf 20 bis 30 Milliarden Franken belaufen. In den nächsten Jahren sollen weiter 5,6 Milliarden Franken für neue Panzer, mindestens 1,6 Milliarden für das Luftabwehrsystem Bodluv und sowie 10 Milliarden Franken für neue Kampfjets ausgegeben werden. «Wenn bei diesen Anschaffungen die ge-samten Lebensdauerkosten berechnet werden, belaufen sich die Ausgaben auf Dutzende Milliarden Franken», schreibt die Gsoa auf ihrer Webseite. Vergessen sei die Abstimmung vom Frühling 2014, bei der sich die Schweizer Stimmbevölkerung klar gegen neue Gripen-Kampfjets für 3,1 Milliarden Beschaffungspreis und 10 Milliarden für die gesamte Lebensdauer aussprach.

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«Es ist mein Recht auf freie Meinungsäusserung»

davidDer PdA-Regierungsrat von Lausanne, David Payot, wird von den rechten Parteien angegriffen, weil er sich solidarisch zeigt mit abgewiesenen Asylsuchenden. Im Interview spricht er über die Vereinbarkeit eines Exekutivamtes mit seiner Solidarität für Menschen in Not.

Im März wurde David Payot von der Partei der Arbeit auf einer linken Liste in die Stadtregierung von Lausanne gewählt. Gegenwärtig ist er heftigen Attacken der Rechten ausgesetzt. Sie werfen ihm vor, die Flüchtlingsorganisation Collectif R zu unterstützen, die die Kirche Mon-Gré in Lausanne besetzt (vorwärts berichtete). Besonders scharf angegriffen wird Payot für seine Stellungnahme, dass er einen abgewiesenen Asylsuchenden bei sich aufnehmen und ihm falls nötig eine offizielle Adresse geben würde.

Mit deiner Teilnahme an der Pressekonferenz des Collectif R, wo du dein Recht auf zivilen Ungehorsam verteidigt hast, um Asylsuchenden zu helfen, hast du die Wut der Rechten auf dich gezogen. Eine Resolution der Lausanner FDP, die deine temporäre Suspendierung forderte, wurde vom Gemeindeparlament zurückgewiesen. Gleichzeitig hat der Oberamtmann von Lausanne eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft gegen dich eingereicht. Bereust du, dass du für Flüchtlinge Stellung bezogen hast?

David Payot: Ich bereue es nicht. Falls ich etwas bereue, ist es, dass meine Stellungnahme nicht ganz klar gewesen ist und sie falsch verstanden wurde. Ich habe erklärt, dass ich persönlich bereit wäre, einen Asylsuchenden aufzunehmen, falls seine Umstände dies rechtfertigen würden, wie ich es bereits in der Vergangenheit getan habe. Das heisst, ich würde einen Migranten, der von der Rückschaffung bedroht ist, an meinem Wohnsitz anmelden, um ihm eine Anlaufstelle zu geben. Ist es illegal, diesen Vorsatz anzukündigen? Ich denke nicht, aber das muss die Justiz entscheiden. Wenn solche Menschen jedenfalls nicht von einem sogenannten Götti oder einer Gotte des Collectif R aufgenommen werden, werden sie in einem der Bundeszentren untergebracht, entsprechend den eidgenössischen Verordnungen über die Nothilfe. Oder sie tauchen unter und verlieren jede Aussicht, ihren Status zu legalisieren. Meiner Meinung nach fördert das Götti- und Gottensystem ihren legalen Aufenthalt, statt Illegalität und ihren Verbleib im Freien.

Fürchtest du, dass du früher oder später von der Stadtregierung fallen gelassen wirst?

Ich danke vielmehr der Stadtregierung und der Verwaltung für ihre Position, die sie bezogen haben, dass sie mir mein Recht auf freie Meinungsäusserung zugestehen.

Der Asylverantwortliche Philippe Leuba hat dich ebenfalls angegriffen und dich aufgefordert, die Gesetze einzuhalten. Was antwortest du ihm?

Indem ich mich als Götti eines Asylsuchenden geoutet und Handlungen des zivilen Ungehorsams eingestanden habe, habe ich lediglich eine humanistische Position eingenommen. Gleichzeitig habe ich klargestellt, dass ich bereit wäre, die Konsequenzen zu tragen. Sowieso: Als Regierungsrat, der für die Schulen, die Jugend und die Quartiere verantwortlich ist, habe ich keine direkte Verbindung zum Asylgesetz. Wenn es etwas gibt, dass ich in meinem Amt verpflichtet bin, ist es für die Einschulung jedes Kindes zu sorgen, das in der Gemeinde lebt, unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus.

Letzten Mai hat das Gemeindeparlament von Lausanne ein Postulat eingereicht, wonach sich die Stadt nach dem Vorbild von Barcelona und Madrid zu einer «Flüchtlingsstadt» erklären soll. Wie wird das in Zukunft umgesetzt?

Die Stadtregierung muss natürlich darüber noch diskutieren. Der erste Punkt der Initiative liegt darin, ein Netzwerk von Städten zu bilden, die ihre Solidarität ausgedrückt haben gegen eine europäischen Politik, die illegalisierte Menschen hervorbringt, die sich an den Grenzen und in den Städten sammeln. In den Städten ist man direkt mit der Realität der MigrantInnen konfrontiert. Es wäre ein Erfolg, wenn man andere Schweizer Städte für dieses Projekt gewinnen kann. Auf der Ebene der konkreten Hilfe fordert das Postulat auch mehr Plätze für Flüchtlinge.

Allgemein heisst es, dass die Debatte rund um das Thema Migration in Europa wie in der Schweiz zu einer Stärkung der nationalistischen Rechten führt. Wie kann man dieses Phänomen bekämpfen und den Aufstieg dieser Parteien aufhalten?

Meiner Meinung nach ändert man nichts an der Fremdenfeindlichkeit mit einer Politik für oder gegen AusländerInnen, weil die Fremdenfeindlichkeit eine Reaktion von Menschen ist, die sich nicht verstanden fühlen. Es braucht vielmehr eine Politik zugunsten der einfachen Bevölkerung, eine Politik, die die Probleme der Bildung, der Arbeit, des Wohnens und der sozialen Isolierung angeht.

Du hast deine hundert Tage in der Lausanner Stadtregierung hinter dir. Auf welche Projekte bist du besonders stolz?

Auf die Richtung, die wir in der Quartierpolitik gegangen sind hin zur Förderung der partizipativen Demokratie. Die Idee ist, dass die Stadt ein politisches Sekretariat finanziert, unabhängig von den Parteien. Es soll eine Anlaufstelle geben, vielleicht mithilfe einer partizipativen Internetseite, für Projekte und Forderungen von BürgerInnen, die dann bei der Umsetzung unterstützt werden. Zweitens wollen wir einen Zugang zur Bildung für alle schaffen, mit dem Ziel, dass diese Bildung ihnen erlaubt, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Es ist bekannt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem sozialen Milieu und den schulischen Leistungen; aber das ist nicht Schicksal. Das Problem ist oft ein Gefühl einer Barriere zwischen der familiären Kultur und der Kultur der Schule. Ein anderer Punkt ist, dass man die obligatorische Schule offiziell mit 15 bis 16 Jahren beendet, aber dass sich alle weiterbilden, der Zugang dazu allerdings schwierig ist. An gewissen Schulen hören hundert SchülerInnen nach dem obligatorischen Teil auf, aber weniger als zehn davon finden eine Lehrstelle. Für die meisten davon gibt es eine Übergangslösung, aber nicht alle. Allgemein findet eine Prekarisierung in der Bildung statt. Dagegen kämpfen wir.

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Ein aktives Zeichen der Solidarität

kisanak_3144Linke GemeinderätInnen haben einen Austausch zwischen Zürich und der Stadt Amed/Diyarbakir in der Türkei angeregt und mit Hilfswerken das Komitee «Brückenschlag Zürich-Amed/Diyarbakir» gegründet. Der vorwärts hat mit dem Komitee gesprochen.

Gülten Kisanak und Firat Anli sind Co-BürgermeisterInnen von Amed/Diyarbakir, mit 1,6 Millionen EinwohnerInnen eine der grössten Städte der Region sowie eine Hauptstadt für das kurdische Volk. Vor zwei Wochen besuchten sie auf Einladung des Komitees «Brückenschlag Zürich-Amed/Diyarbakir» die Schweiz und sprachen vor den Medien und auf einer Podiumsdiskussion über die Lage in der Türkei und das solidarische Projekt. Die PolitikerInnen gehören der prokurdischen Partei HDP an, die starker Repression von Seiten der türkischen Regierung ausgesetzt ist. Seit einiger Zeit herrscht wieder Krieg im Südosten der Türkei, in Nordkurdistan. Die Altstadt von Amed/Diyarbakir liegt in Trümmern, 23 000 Menschen mussten ihre Häuser in der Stadt verlassen, gleichzeitig strömen Flüchtlinge aus der Region in die Metropole. In dieser Situation hat der Brückenschlag eine wichtige symbolische Bedeutung.

Die Stadt Zürich und die Stadt Amed/Diyarbakir sollten durch eine Städtepartnerschaft verbunden werden, nun gibt es einen Brückenschlag auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Wie ist die Idee entstanden?

Seit dem Sommer 2015 führt der türkische Staat wieder Krieg in Nordkurdistan und zerstört ganze Städte. Dadurch hat sich die Lage der Bevölkerung massiv verschlechtert. In dieser Situation wollte die ehemalige SP-Gemeinderätin Rebekka Wyler ein aktives Zeichen der Solidarität setzen und lancierte die Idee einer Städtepartnerschaft mit Amed/Diyarbakir, einer der am meisten betroffenen Städte in Nordkurdistan. Zusammen mit Ezgi Akyol von der Alternativen Liste und dem Grünen Muammer Kurtulmus reichte sie deshalb das Postulat für eine Städtepartnerschaft ein. In Amed/Diyarbakir fiel die Idee auf fruchtbaren Boden. Stadtregierung und Verwaltung zeigten sich interessiert an einem Austausch über verschiedene Themen, zum Beispiel über den öffentlichen Nahverkehr, über Heimatschutz und Denkmalpflege sowie Abfallentsorgung, weil sie an Projekten in diesen Bereichen arbeiten.

Wieso lehnte die Zürcher Stadtregierung eine Städtepartnerschaft ab?

Der Stadtrat führte in seiner Antwort auf das Postulat zwei Gründe an. Erstens fänden in Amed/Diyarbakir kriegerische Auseinandersetzungen statt und in einem solchen Umfeld seien die Voraussetzungen für eine offizielle Städtepartnerschaft nicht gegeben. Es würden die verlässlichen Partnerinnen und Partner fehlen und die notwendige staatliche Akzeptanz sei nicht gegeben. Zweitens sei eine Städtepartnerschaft, wenn sie Inhalt und Substanz aufweisen soll, mit erheblichem, langfristigem Aufwand verbunden. Deshalb begrüsste der Stadtrat dann die Abänderung des Postulats, worin nicht mehr von einer Städtepartnerschaft, sondern von einem Brückenschlag die Rede ist. Der Brückenschlag hat in Zürich auch eine eigene Tradition, weil unter diesem Titel schon länger eine Zusammenarbeit mit dem Kanton Uri besteht. Daran konnte der neue Brückenschlag anknüpfen. Der Begriff Brückenschlag beinhaltet auch das, was für die PostulantInnen im Zentrum steht: Die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit – und nicht in erster Linie der Austausch zwischen Verwaltungsstellen.

Welche gemeinsamen Projekte zwischen den Städten hat das Solidaritätskomitee im Sinn?

Der Brückenschlag ist noch jung, auch das Solidaritätskomitee hat sich erst diesen Sommer gebildet. Trotzdem, um dem Brückenschlag zwischen Zürich und Amed/Diyarbakir nach der Überweisung des Postulats rasch Gestalt zu geben, hat das Komitee eine Delegation aus Amed/Diyarbakir nach Zürich eingeladen. Die Kontakte sind nun hergestellt, aber es ist zu früh, um von konkreten Projekten zu sprechen. Die politische Entwicklung in Amed/Diyarbakir ist offen. Es ist möglich, dass die beiden Co-BürgermeisterInnen, die hier auf Besuch waren, von der Regierung abgesetzt werden, wie 28 ihrer KollegInnen. Ein erstes Zeichen der Solidarität ist mit dem Brückenschlag und dem Delegationsbesuch gemacht. Es wird weitere brauchen. Das Komitee setzt sich auch dafür ein, dass der Konflikt in Kurdistan bei uns nicht vergessen geht. Zudem soll materielle Hilfe organisiert werden.

Wie sieht die Situation in Amed/Diyarbakir gegenwärtig aus?

Die politische Situation ist unsicher, weil niemand weiss, was der türkische Staat als nächstes unternimmt. Am Schlimmsten ist die Situation in Sur, der Altstadt von Amed/Diyarbakir. Teile von ihr wurden 2015 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Sur ist durch den massiven Einsatz von schweren Waffen durch die türkische Armee weitgehend zerstört. Die BewohnerInnen sind vertrieben. Fünf Bezirke sind auch heute noch vom Militär abgeriegelt. Jetzt ist ein Prozess der Enteignung der ehemaligen BewohnerInnen von Sur im Gang. Der türkische Staat will die Altstadt nach neuen Plänen wiederaufbauen und dann die Liegenschaften an Private verkaufen. Es handelt sich dabei um ein gewaltiges Projekt von Vertreibung und Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen von Sur.

Amed/Diyarbakir ist ein Ziel für kurdische Flüchtlinge aus Syrien und der Region, gleichzeitig gibt es in der Stadt Binnenflüchtlinge durch die Angriffe der türkischen Regierung. Wie geht die Stadt mit den Flüchtlingen um?

Gemäss den Ausführungen der Delegation fanden die aus Sur Vertriebenen bei Verwandten, Bekannten und FreundInnen Unterkunft. Zu den städtischen Binnenflüchtlingen kommen auch jene, die durch die Politik der verbrannten Erde der türkischen Armee vom Land in die Städte vertrieben werden. Und wie du erwähnst, sind viele Flüchtlinge aus der Region in Amed/Diyarbakir gelandet. Die Stadtverwaltung, aber auch soziale Organisationen bauen mit ihnen Projekte auf, beispielsweise Gärten, um Arbeit und Nahrungsmittel zu produzieren. Die Solidarität, die die kurdische Bevölkerung in dieser schwierigen Situation zeigt, ist ausserordentlich.

Die beiden Co-BürgermeisterInnen zeigten sich am öffentlichen Verkehr von Zürich interessiert. Gibt es etwas, bei dem Zürich von Amed/Diyarbakir lernen kann?

Wir hier in Zürich, in ganz Europa, sollten uns ein Beispiel an der zuletzt erwähnten Solidarität der Menschen in Amed/Diyarbakir nehmen. In einer fast aussichtslosen Situation zeigen sie eine Offenheit, Grosszügigkeit und Solidarität, angesichts der wir dringend über unsere Bücher gehen müssen. Ein zweiter Punkt ist das Gesellschaftsmodell, das in Nordkurdistan verwirklicht werden soll. Ezgi Akyol hat es so formuliert: «Ziel ist ein freies, demokratisches, ökologisches und geschlechtergerechtes Leben. In der Basisdemokratie sollen Dorf- und Stadtversammlungen über ihre Angelegenheiten entscheiden. Jede Führungsposition muss gleichzeitig von einem Mann und einer Frau besetzt sein.» Da gibt es einigen Lernstoff für uns – und auch für die Zürcher Stadtverwaltung…

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Warum muss gespart werden?

geld40 Millionen Franken sollen bei den Prämienverbilligungen im Kanton Zürich gestrichen werden. Mit einer perfiden Kommunikationsstrategie versucht der Kanton zu verhindern, dass der Zusammenhang zur Ursache der Sparprogramme hergestellt wird.

Der Zürcher Regierungsrat hat am 6. Oktober die Vorlage zur Revision und zum Neuerlass des «Einführungsgesetzes zum Krankenversicherungsgesetz» (EG KVG) zuhanden des Kantonsrates verabschiedet. Dabei sollen 40 Millionen Franken weniger für die Verbilligungen der Krankenkassenprämien zur Verfügung stehen. Unter dem Titel «Verbesserungen am Prämienverbilligungssystem» wird informiert, wie die «Bedarfsgerechtigkeit» in mehreren Punkten verbessert werden soll, da das heutige System «eine Reihe von Mängeln aufweist». So sollen künftig nur jene Personen eine Prämienverbilligung erhalten, die «wegen ihrer bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse auch tatsächlich darauf angewiesen sind». Spannend ist das Beispiel, das genannt wird: «Heute erhalten dagegen auch solche junge Erwachsene in Ausbildung eine Prämienverbilligung, die dank Unterstützung ihrer Eltern in guten finanziellen Verhältnissen leben.» Weiter sollen auch HausbesitzerInnen keine Verbilligung mehr kriegen.

Der Punkt ist ein anderer

Eines muss man der PR-Abteilung des Kantons lassen: Die Ankündigung des Abbaus kommt geschickt daher. Es wird vermittelt, dass die Unterstützung jenen gestrichen wird, die es gar nicht nötig haben. Und dies sei sozial sowie gerecht und daher eine Verbesserung. Sicher, man soll darüber diskutieren, ob HausbesitzerInnen und Papasöhnchen und -töchterchen im Hotel Mama an der Goldküste eine Prämienverbilligung nötig haben. Fakt ist aber auch, dass die Prämienverbilligungen wohl für viele Eltern ein Teil der Unterstützung an den Nachwuchs bildet. Entfällt sie, belastet es die Familienkasse – und nicht alle, die davon betroffen sind, leben in einer Villa mit Pool. Man lenkt mit dieser Diskussion bewusst vom Wesentlichen ab, denn der Punkt ist ein anderer: Warum müssen die 40 Millionen überhaupt eingespart werden? Eine Umverteilung wäre ja auch denkbar: Man nimmt den HausbesitzerInnen die Verbilligung weg und erhöht dafür die Beiträge bei jenen Menschen, die eine Ergänzungsleistung beziehen oder gar vom Sozialamt leben müssen. Auch wird die Vorlage als Einzelmassnahme dargestellt. Es wird nicht darüber informiert, dass die Kürzung bei den Verbilligungen der Prämien ein Teil eines Gesamtpakets ist. Man versucht offensichtlich mit dieser Kommunikationsstrategie zu verhindern, dass die Zusammenhänge hergestellt werden: Einer der Hauptgründe des 1,8 Millionen Franken schweren «Sparpakets» im Kanton Zürich ist die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) auf Bundesebene. Eine Reform, die aller Wahrscheinlichkeit nach im Februar 2017 zur Abstimmung kommt. Nimmt das Volk die USRIII an, kosten dem Kanton Zürich die dann fälligen Steuergeschenke an die Unternehmen rund 500 Millionen Franken pro Jahr. Ein Loch in der Kasse, das gestopft werden muss. Dazu sollen 40 Millionen durch den Abbau bei den Prämienverbilligungen beitragen. Stellt man diesen Zusammenhang her, entsteht ein anderes Bild: Es wird von der Mitte abwärts gespart, um ganz oben zu geben!

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