Generalstreik in Spanien

Ralf Streck. Am 23. März kommt es in Spanien zum sechsten Generalstreik seit Ende der Diktatur im Jahr 1975. Die Gewerkschaften mobilisieren gegen die neue Arbeitsreform der bürgerlichen Regierung. Diese führt unter anderem zu einer Durchlöcherung des Kündigungsschutzes. Am Sonntag, 13. März, haben die Gewerkschaften die Hauptprobe für den Generalstreik durchgeführt.

Auch die grossen spanischen Gewerkschaften werden am 29. März gegen die Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung streiken. Die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) haben sich Anfangs März dem Aufruf der Gewerkschaften im Baskenland und Galicien angeschlossen, die sofort nach dem Dekret der Regierung zu diesem Streiktag aufgerufen hatten. CCOO und UGT hatten noch versucht, mit Ministerpräsident Mariano Rajoy zu verhandeln. Nachdem das Parlament, in dem die rechte Volkspartei (PP) die absolute Mehrheit hat, das Dekret bestätigte, sehen sie aber keinen anderen möglichen Ausweg mehr.

«Reform für Entlassungen»
«Der Generalstreik an sich ist nicht das Ziel, sondern das Mittel, um die Regierung zu Verhandlungen zu bringen», sagte der Chef der CCOO. Ignacio Fernández Toxo fügte an, die Reformvorschläge habe man ihr schriftlich übermittelt. Er hofft, im Gesetzgebungsverfahren deutliche Veränderungen an den «brutalen Einschnitten» durchsetzen zu können. Es handelt sich um den sechsten Generalstreik im ganzen Land seit dem Ende der Diktatur 1975. Wie Toxo hofft auch der UGT-Chef Cándido Méndez auf einen Schwenk, obwohl der Regierungssprecher Alfonso Alonso als Reaktion auf den Generalstreik angekündigt hat: «Wir werden keinen Rückwärtsgang einlegen». Doch 2002 hatten die Gewerkschaften per Generalstreik eine Arbeitsmarktreform der damaligen PP-Regierung unter José María Aznar gekippt. Méndez sagte, die Entscheidung zum Streik sei «schwierig aber notwendig» gewesen, weil die Reform «Jahrzehnte des sozialen Friedens» beerdige. Die Gewerkschaften kämpfen dagegen an, dass mit der Reform über einen Probevertrag erstmals eine völlige Freigabe der Kündigungen und zudem ohne Abfindung möglich wird. Es sei unverständlich, wenn die Regierung von einer «Reform für Einstellungen» spreche, denn in Tat und Wahrheit es sei eine «Reform für Entlassungen». Toxo erinnert die Regierung an ihre eigene Prognose, dass im laufenden Jahr weitere 630 000 Stellen verlorengehen werden. Damit wären zum Jahresende fast sechs Millionen Menschen in einem Land ohne Arbeit, das nur etwa die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands hat, indem drei Millionen Arbeitslose gezählt werden. Die bisherige Arbeitslosenquote von 23,3 Prozent wird daher deutlich weiter steigen.

Schwammige Floskeln
Mit der Reform wird es für Firmen allgemein einfach und billiger, sich von Beschäftigten zu trennen, auch wenn sie weiter Gewinne machen. Es reicht der Nachweis, dass in drei Quartalen die Umsätze gefallen sind, um eine Abfindung zahlen zu müssen, die auf dem Lohn von 20 statt wie bisher 45 Tagen basiert. Die Reform sieht auch eine Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen vor. Weiter sagen die Gewerkschaften, dass die Mitbestimmung der Betriebsräte und Rahmentarifverträge ausgehebelt würden. So können Löhne gekürzt, Urlaub angeordnet, Arbeitszeiten geändert und ArbeitnehmerInnen versetzt werden, wenn es die «Wettbewerbsfähigkeit, die Produktivität oder die technische Organisation sowie die Arbeit der Firma» erfordern. So lautet die schwammige Formulierung im Dekret. Bei Entlassungen von bis zu zehn Prozent der Beschäftigten, dürfen diese Massnahmen eingeleitet werden, ohne dass der Betriebsrat zu Wort kommt. Ist eine grössere Zahl von Beschäftigten betroffen, muss der Betriebsrat angehört werden. Doch, gibt es keine Einigung, entscheidet die Firma einseitig.
Unternehmen können sich nun auch vom Tarifvertrag lösen, wenn sechs Monaten die Umsätze sinken. Bei Uneinigkeiten schlichtet eine Kommission aus Vertretern von Gewerkschaften, Unternehmern und Verwaltung. In dieser Zusammensetzung der Kommission ist es für die Gewerkschaften sehr schwierig, die Interessen der ArbeiterInnen zu verteidigen. Sie erwarten daher wohl zurecht, dass sie in der Schlichtungskommission bei Konflikten meistens überstimmt werden. Die Gewerkschaften weisen auch hier wieder zurecht darauf hin, dass es unter solchen Umständen und Bedingungen kaum noch einen Sinn macht, Branchenverträge auszuhandeln.

Probleme werden nur verschoben
Der Professor für Arbeitsrecht an der Universität Madrid, Fernando Valdés, zweifelt auch deshalb an der Verfassungsmässigkeit der Reform, weshalb Linksparteien und Gewerkschaften vor das höchste Gericht ziehen wollen. Experten weisen auch darauf hin, dass damit der Wettbewerb verzerrt werde. Statt dringend notwendiger Investitionen zur Steigerung der Produktivität würden einfach die Löhne gesenkt, womit die allseits bekannten strukturellen Probleme Spaniens zeitlich nur verschoben würden. Mit Billiglohnländern könne auch mit fallenden Löhnen nicht konkurriert werden, weshalb das Wirtschaftsmodell allgemein reformiert werden müsse.
Mit grossen Demonstrationen in vielen Städten haben die Gewerkschaften am Sonntag, 11. März die Hauptprobe für den Generalstreik durchgeführt. Schon Mitte Februar hatten Hunderttausende demonstriert, doch wegen des Jahrestags islamistischer Anschläge am 11. März 2004, waren die Proteste der Gewerkschaft diesmal umstritten. Bei den schlimmsten Anschlägen in der neueren Geschichte wurden 191 Menschen ermordet, als in vier in Vorortzügen der Hauptstadt Madrid Bomben gezündet wurden. Die Präsidentin der grossen Opfervereinigung «11-M» sieht jedoch in den Demos keinen respektlosen Umgang mit den Opfern, wie von Seite der Regierung den Gewerkschaften vorgeworfen wurde. Der Opfer «müsse jeden Tag gedacht werden», sagte Pilar Manjón und betont: «Am Sonntag finden auch Fussballspiele statt, ohne dass jemand dagegen etwas sagt».

Nein zu neuen AKWs

Die Allianz «Nein zu neuen AKW» anerkennt die Bestrebungen der BKW für eine nachhaltige Stromversorgung der Schweiz und wartet auf Tatbeweise. Kein Verständnis hat die Allianz gegenüber dem Ansinnen, das AKW Mühleberg bis 2022 weiter zu betreiben. Weiter fordert die Allianz, dass die BKW nun das sistierte Neubaugesuch für ein AKW Mühleberg II zurückzieht.

Die BKW hat die Zeichen der Zeit erkannt und plant – anders als Alpiq und Axpo – die Anpassung ihrer Infrastruktur an die dezentrale Stromproduktion. In der neuen Strategie «nach Mühleberg» will sie auf Effizienz, erneuerbare Energie und auf intelligente Netze setzen. «Das ist löblich,» sagt Jürg Buri, Präsident der Allianz «Nein zu neuen AKW» und Geschäftsführer der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, «doch nun muss der Tatbeweis folgen, dass dies kein reines Lippenbekenntnis bleibt.»

Energiezukunft ohne Atomkraft
Denn nach wie vor hält die BKW an der Atomkraft fest. Dies zeigt der Fall Mühleberg, bei dem die BKW mit dem Weiterzug des Bundesverwaltungsgerichtsentscheids ans Bundesgericht den eigenen Profit über die Sicherheit der Bevölkerung stellt. Dies zeigt auch das sistierte Neubaugesuch für ein AKW Mühleberg II, welches nach wie vor hängig ist. «Wenn die BKW glaubhaft sein will, muss sie das Gesuch für ein AKW Mühleberg II nun zurückziehen» so das Fazit von Jürg Buri.

Die Allianz «Nein zu neuen AKW» setzt auf die Zukunft und damit auf die umwelt- und sozialverträgliche Nutzung neuer erneuerbarer Energien und auf Stromeffizienz. Sie setzt sich gegen den Bau neuer AKW in der Schweiz ein.

Weitergehende Informationen zur Allianz «Nein zu neuen AKW» und zu Risiken und Gefahren der Atomenergie finden Sie auf der Website www.nein-zu-neuen-akw.ch.

«Konkrete politische Unterstützung einfodern»

Warum habt ihr euch entschlossen, die Zentrale der SP Schweiz zu besetzen? Was sind die Erwartungen und konkreten
Forderungen, die ihr euch durch die Aktion erhofft?

Philippe Blanc: Durch die Besetzung wollte die Bewegung selbstbestimmt ihre politische Isolation durchbrechen. Wir suchten eine politische Kraft, die nicht völlig von der xenophoben SVP-Migrationspolitik vereinnahmt ist. Die SP will sich «für alle statt für wenige» einsetzen. Durch unsere Aktion wollten wir die SP-Schweiz mit der Forderung nach einer kollektiven Regularisierung der Illegalisierten konfrontieren. Für die 173 Sans-Papiers der Regularisierungsliste suchten wir konkret politische Unterstützung im Kampf um Papiere und ein Bleiberecht.

Seid ihr mit dem Resultat der Gespräche zufrieden oder habt ihr konkretere Zugeständnisse und Ergebnisse erwartet?
Philippe Blanc: Wir hatten ein klareres Bekenntnis zu den Forderungen kollektive Regularisierung, Nothilfestopp, Ausschaffungsstopp erwartet und erhofften uns konkretere politische Unterstützung in unserem Kampf. Dennoch sind wir zufrieden, uns mit Levrat und Tschümperlin ausgetauscht zu haben. Es gelang den Sans-Papiers den Parteipräsident und den Franktionschef mit unseren Positionen, der Realität unserer Bewegung und den existenziellen Problemen der Sans-Papiers zu konfrontieren und Erwartungen zu formulieren. Zudem werten wir es als Erfolg, dass die SP zusicherte, sämtliche Reisekosten für die oft mittellosen Sans-Papiers zu übernehmen. Auch der versprochene Zugang zu Basismitgliedern der Partei schätzen wir als nicht-institutionelle Bewegung sehr.

Wie beurteilt ihr die beiden Aktionstage insgesamt? Welche Schlüsse zieht ihr aus dem Gespräch mit Bundesrätin
Sommaruga und der Besetzung der Büros der Parteizentrale der SP Schweiz?

Philippe Blanc: Der 13. und 14. März waren ein Erfolg. Erstens hat Frau Sommaruga unsere Liste erhalten und sich dem Druck der Bewegung gestellt. Zweitens hat die Presse breit und grundsätzlich positiv auf uns reagiert. Das ist nicht entscheidend, aber trotzdem sehr wichtig. Drittens gelang es, Position zu beziehen und die SP mit der Bleiberechtbewegung zu konfrontieren. Wir haben keinen Blankoscheck erwartet.
Die Aktion hat gezeigt, dass die Bewegung einen Schritt weiter gekommen ist. Die Heterogenität zwischen Sans-Papiers und Unterstützenden, zwischen AktivistInnen mit mehr oder weniger Erfahrung im politischen Widerstand oder zwischen Beteiligten mit unterschiedlichsten Zielen und Ressourcen hat sich weder hemmend noch lähmend ausgewirkt. Die politischen, sozialen, kulturellen und materiellen Unterschiede innerhalb der Bewegung wurden kollektiv als Stärke und Vorteil empfunden. Gegen aussen traten wir geeint, entschlossen und schlagfertig auf.

Wie geht es nun weiter? Was sind die nächsten Pläne und Schritte der Bleiberechtsbewegung?
Philippe Blanc: Unser Ziel bleibt die kollektive Regularisierung der 173 Sans-Papiers, die sich eingetragen haben. Es sind weitere «Blitzaktionen» in Planung. Ein grösseres Projekt ist die Teilnahme und Co-Organisation des «Europäischen Marsch der Sans-Papiers und MigrantInnen». Vom 2. Juni bis zum 2. Juli planen Sans-Papiers Kollektive aus Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz einen Protestmarsch von Paris nach Strassburg. Die Probleme der Sans-Papiers und ein radikaler Bruch mit den herrschenden Migrationsregime verlangen eine internationalistische Perspektive und eine grenzenüberwindende Vernetzung des Widerstandes.

«Näher als sie scheinen»

Kai Degenhardt. Auch meine fünfte Platte ist selbstverständlich wieder ein politisches Liedermacher-Album – was sonst? Allerdings nicht im Sinne, dass ich zur Klampfe singend tagespolitische Themen erörtere. Ich zähle meine Musik zu dem Genre, das die Anglo-Amerikaner «Singer-Songwriter» nennen und das bei uns unter «Liedermacher» läuft.

Musikalisch basieren weite Teile des Albums auf Geräusch-Samples – vom Mülltonnendeckel über Katzen-Gemieze zum Schlagschrauber. Ich bin tatsächlich in den letzten zwei Jahren meiner Umwelt häufig dadurch auffällig geworden, dass ich mit einem mp3-Recorder durch die Gegend lief und alle möglichen Alltagsgeräusche aufgenommen habe. Ausschliesslich aus solchen Schnipseln habe ich dann am Rechner die Beats für die Stücke des neuen Albums gebastelt. Der entstehende Verfremdungseffekt ist natürlich Sinn der Angelegenheit. Aber keine Sorge, auch klassische Musikinstrumente werden noch gespielt, und zwar Gitarre, Bass, Klavier, Melodica und Laptop.
«Näher als sie scheinen» ist aber auch ein Album im hergebrachten Sinn des Wortes, weil die darauf enthaltenen Stücke inhaltlich zusammengehören. Die seit nunmehr fünf Jahren andauernde und stetig sich verschärfende globale Systemkrise bildet den übergeordneten thematischen Bezugsrahmen für die insgesamt 16 Stücke. Ob heute wieder gilt, dass «wenn alles beim Alten bleiben soll, sich alles ändern muss» – wie es die Lampedusa in seinem Roman «Der Leopard» schrieb, oder doch schon ein Szenario zu erkennen ist, «dass die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen» (Lenin) – das versuche ich auf der Platte, sozusagen en passant, poetisch zu erörtern.

Zwischen Morricone und modalem Jazz
Dabei möchte ich gerne das ganze Spektrum der persönlichen Konnotationen meiner HörerInnen wachrufen, auf dass diese sich mit Text und Musik irgendwie verzahnen. Dazu gehören Emotionen und Erinnerungen an frühere Erfahrungen und Wahrnehmungen (Näher als sie scheinen, Über den Mond) genauso wie das Durchspielen der inneren Möglichkeiten zu den in den Songtexten gemachten Vorschlägen hinsichtlich der Aneignung von Gegenwart und Geschichte (Herbst 1918, Zum Verbrechen, Vom Machen und Überlegen, Die Karawane). Konzeptalbum? Na klar.
Die zwischen den längeren Songs eingesetzten Miniaturen werfen ihre Streiflichter auf die individuellen Innen- und Aussenräume, wo die politische Grosswetterlage, die voranschreitende gesellschaftliche Fragmentierung und Entsolidarisierung sich ins so genannte Persönliche übersetzen (Frau Gesangsverein, Michael) und sich mitunter eine allgemeine soziale Statuspanik Bahn bricht (Auf Augenhöhe, An den Kufen des Hubschraubers, Wendehammer-Bohème).
Bänkelsong oder doch Ballade? Egal, die klassischen Disziplinen werden jedenfalls auch gepflegt: «Die Ballade vom Bernie Strauss» ist die 12-strophige Erzählung einer postfordistischen Aufsteiger-Biographie und ihres Endes, zu einem geloopten Flamenco-Buleria-Fake im 12/4-Takt. Und in «Nach der Sperre» greife ich das Genere «Bewaffnetes Road-Movie» von der letzten Platte wieder auf und setzte die Geschichte fort: Es ist ja auch wirklich nicht meine Aufgabe, mitzuteilen, was in meinem Leben real geschieht, sonder davon zu erzählen, was mir nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit passieren könnte.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts hatten sich beträchtliche Teile der kulturellen Opposition aus dem Geist von 1968 in die neoliberale Kapitalismus-Restauration eingeschrieben. Mit dem Platz der Immobilien-, Finanz- und anderer Blasen sind manche davon heftig abgestürzt und auch aufgeprallt. Der 18-minütige XXL-Schluss-Song «Unwetter in Blau» aus der Gattung des epischen Ein-Akkord-Rollen-Liedes erzählt das «Fleddern» eines so Gestürzten: In Raum und Zeit gedehnte Textmalerei zu programmierten Sound- und Geräuschschleifen, drüber live eingespielte, improvisierte Instrumentalstimmen von Klavier und spanischer Gitarre, genremässig irgendwo zwischen Morricone und modalem Jazz.

Ich
Ich zähle meine Musik zu dem Genre, das die Anglo-Amerikaner «Singer-Songwriter» nennen und das bei uns unter «Liedermacher» läuft. Wenn eine Musik und die Texte heute anders klingen, als das zu Zeiten der Burg-Waldeck-Festivals in den 1960ern der Fall war, so verdeutlicht es das nur. Purismus und Tradition sind zwei grundverschiedene Angelegenheiten. Und natürlich mache ich politische Lieder. Ich schreibe und singe von mir und Gott und der Welt und wie das alles zusammenhängt. Im landläufigen TV-Talk-Sinne aber ist und bleibt meine Musik absolut unpolitisch: Weder die Bundespräsidenten-Affäre noch der Fiskalpakt werden von mir auch nur im Ansatz textlich oder musikalisch behandelt.
Geboren 1964, wurde ich in den Siebziger und frühen Achtzigern entscheidend musikalisch sozialisiert, bin also mit Folk, Rock, Punk, Wave, Reggae und so weiter gross geworden, aber natürlich auch mit den Liedern meines im November letztes Jahres verstorbenen Vater Franz Josef Degenhardt. Mit ihm habe ich 20 Jahre als Arrangeur und Gitarrist zusammengearbeitet. Von 1987 an habe ich auf sämtlichen seiner Alben und diversen Tourneen mitgewirkt. Natürlich hat mich das künstlerisch stark geprägt.
Seit 1997 habe ich fünf eigene Alben veröffentlicht. Das letzte, «Weiter draussen», wurde 2008 von der Jury der Liederbestenliste zur CD des Monats November gewählt, und die Vereinigung «Preis der deutschen Schallplattenkritik» wertete es als eine der künstlerisch herausragenden Neuveröffentlichungen des Tonträgermarktes.

Kai Degenhardt spielt am Montag, 2.April in Basel im Hirscheneck, 20.00 Uhr.
Einziges Konzert in der Schweiz

Deutsche «Privatmiliz» gegen streikende Arbeiter in Belgien

Deutsches Unternehmen schickt Schläger über die Grenze nach Belgien. So geschehen Ende Februar im belgischen Sprimont beim deutschen Autozulieferer MEISTER-Benelux. Die belgische Arbeitsministerin De Coninck verurteilt das Vorgehen der deutschen Firma aufs Schärftste.

Im Auftrag der deutschen Firmenleitung des Autoteilherstellers Meister haben am Sonntag, 26. Februar zwei Dutzend vermummte Schläger die streikenden ArbeiterInnen eines Zweigwerks in Belgien überfallen. Die schwarz gekleideten und mit Gummiknüppeln, Baseballschlägern und Tränengasspray bewaffneten Mitarbeiter einer deutschen «Sicherheitsfirma» waren über die Grenze geschickt worden, um drei bereits mit Maschinen und Teilen beladene Lastwagen «in Sicherheit zu bringen». Die ArbeiterInnen halten das Werk in Sprimont bei Liege seit mehr als einer Woche besetzt, um gegen die Pläne des zur Poppe+Poothoff-Gruppe gehörenden Unternehmens zu protestieren, einen Teil der Produktion nach Tschechien zu verlegen und dafür zahlreiche Arbeitsplätze im belgischen Werk zu streichen.

Ermittlungen gegen «Privatmiliz»
Den am Sonntag überfallenen ArbeiterInnen gelang es, in kürzester Zeit nahezu hundert KollegInnen und FreundInnen zu mobilisieren und mit ihnen das Überfallkommando auf dem Firmengelände zu blockieren, bis die Polizei kam und die Identität der Täter feststellte. Sie wurden dann von den BeamtInnen bis zur deutschen Grenze eskortiert und abgeschoben. Die Staatsanwaltschaft von Liege hat am Montag ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Drei der überfallenen ArbeiterInnen haben ihrerseits Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Wie die belgische Innenministerin Joelle Milquet erklärte, haben die Mitarbeiter der deutschen Sicherheitsfirma gegen geltende belgische Gesetze über die amtliche Zulassung solcher Unternehmer verstossen und sie würden daher juristisch behandelt wie eine «Privatmiliz». Arbeitsministerin Monica De Coninck schätzt ein, dass «diese Methoden nicht hinnehmbar sind und aus einer längst vergangenen Zeit stammen».

Grosse Empörung in Belgien
Die Gewerkschaft, die energisch gegen den Überfall protestiert, kritisiert zugleich das laxe Verhalten der belgischen Polizei, die die Täter «nur zur Grenze begleitet und nicht vorläufig festgenommen und verhört» habe. Die belgischen Medien berichten seit Tagen ausführlich über diesen Überfall und geben die empörten Reaktionen vieler BelgierInnen wieder.
Durch ihre belgischen KollegInnen wurden auch deutsche GewerkschafterInnen auf den ungeheuerlichen Vorfall aufmerksam. So protestierte der erste Bevollmächtigte der IG Metall Bielefeld Harry Domnick in einem offenen Brief «aufs schärfste gegen das brutale Vorgehen von Schlägertrupps gegen streikende Gewerkschafter». Von der deutschen Firmenleitung fordert er, «sich bei den belgischen Gewerkschaftern in aller Form zu entschuldigen». Dagegen erklärte der Geschäftsführer der Gruppe Poppe+Poothoff, Rüdiger Faustmann, in einer Pressemitteilung lediglich, dass er «sehr bedauert, dass es zu diesem Konflikt gekommen ist».

SchweizerInnen – selbstlose Arbeitsbienen?

Die Abstimmung über die Volksinitiative «6 Wochen Freien für alle» hätte für alle Lohnabhängigen, die die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung stellen, Erleichterungen gebracht. Dennoch wurde die Initiative von den StimmbürgerInnen klar abgelehnt. Ein Kommentar zum Abstimmungskampf und seinem leider wenig überraschenden Ausgang.

«Die Schweizer, ein Volk von Vernünftigen», titelte der «Blick am Abend» zur Ablehnung der Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» triumphierend und bewies damit einmal mehr, dass die so hoch gepriesene Objektivität der bürgerlichen Medien eben meist bloss die Objektivität der Herrschenden ist. Doch man kann sich nicht ganz der Einsicht verwehren, dass die StimmbürgerInnen vom Standpunkt der Nationalökonomie in aller Regel tatsächlich vernünftig handeln. Schon in der Vergangenheit zeigten die Stimmberechtigten der Schweiz, was sie von Erleichterungen im Arbeitsalltag halten: 2002 lehnten sie die Initiative für eine 36-Stunden-Woche mit wuchtigen 74 Prozent ab. 2008 schickten sie einen Vorstoss für die Frühpensionierung mit über 58 Prozent bachab. Und nun stimmten 66,5 Prozent dafür, dass die ArbeiterInnen nicht sechs Wochen Ferien zu gute haben sollen. Vor diesem Hintergrund ist das Abstimmungsresultat – auch in dieser Höhe – nicht wirklich erstaunlich.

Der nationale Standort

Die Analyse des Abstimmungsresultats durch PolitologInnen ist relativ einfach zusammenzufassen: Eine millionenschwere Kampagne der Wirtschaftsverbände, wirtschaftliche Unsicherheit und ein geschlossener bürgerlicher Block standen gegen die InitiantInnen. Das lässt man sich in den Medien nun von ExpertInnen lang und breit erklären. Natürlich lässt es sich nicht ganz von der Hand weisen, dass diese Faktoren eine gewichtige Rolle gespielt haben. Doch mit dieser Analyse kratzt man bloss an der Oberfläche der Erscheinungen. Auch der Verweis von GenossInnen, dass bloss ein kleiner Teil der arbeitenden Bevölkerung abgestimmt habe und alle ArbeitsmigrantInnen ohnehin von der Abstimmung ausgeschlossen seien, stimmt zwar, aber sie vermag das Wahlresultat in seiner tieferen Dimension nicht zu erklären.

Warum kann eine so banale Kampagne, wie sie von den VorlagengegnerInnen initiiert worden war, überhaupt derart verfangen? Warum stimmen ArbeiterInnen anscheinend gegen ihre unmittelbaren Interessen? Die Kampagne der Wirtschaftsverbände mit dem so einfachen wie manipulativen Inhalt «Mehr Ferien gleich weniger Arbeitsplätze» setzte auf Denkkategorien, die sich ein guter Teil der abstimmenden Schweizer Bevölkerung längst zu eigen gemacht hat. Vielfach fragt man nicht mehr nach dem eigenen unmittelbaren Interesse, sondern betrachtet die Welt bereits durch den Filter des nationalen Standorts. Was ist gut für die Schweiz? Was bringt «uns» einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den nationalen Konkurrenten? Auch die BefürworterInnen der Initiative liessen sich auf dieses altbekannte Spiel ein: Sechs Wochen Ferien seien für den Wirtschaftsstandort gut und mit ausgeruhten und erholten Arbeitskräften könne man besser wirtschaften.

Es ist für die Initiative und für die gesellschaftliche Auseinandersetzung, die sich objektiv an der Klassengrenze abspielt bereits fatal, wenn man die nationale Kategorie über die der Klasse stellt. Dies spielte im Abstimmungskampfgetöse keine Rolle. Und es war für die Kampagne der InitiantInnen auch nicht relevant, dass es um die Verteilung des Reichtums ging. Darum nämlich, ob die ArbeiterInnen für weniger Arbeit gleichviel des von ihnen produzierten Mehrwerts erhalten sollten. Das ist in der aktuellen Abstimmung wie meist schlicht nicht thematisiert worden. Stattdessen stritt man sich darum, wer denn nun über alle Klassengräben hinweg die Interessen des nationalen Standortes am besten vertreten würde. Auf der einen Seite die InitiantInnen, die mit ausgeruhten ArbeiterInnen argumentierten, auf der anderen Seite die GegnerInnen, die die Wirtschaft durch die zusätzlichen Ferien in Gefahr sah.

Probleme des Klassenkampfs

Was in dieser Abstimmung auf der formell-demokratischen Ebene seinen Ausdruck fand, trifft man auch in der Welt der alltäglichen Arbeitskämpfe an. Streikende und protestierende ArbeiterInnen können «ihr» Unternehmen nicht kaputtstreiken, weil sie damit ihre eigene Lebensgrundlage mitzerstören. Die Reproduktion der Proletarisierten ist in dieser Welt an die Reproduktion des Kapitals gekettet. Dies ist uns an dieser Abstimmung auf der nationalen Ebene begegnet: Die Reproduktionsbedingungen der ArbeiterInnen hängt vom Wohlergehen des nationalen Wirtschaftsstandorts ab. Man darf das nicht falsch verstehen: Deutschland hat als momentaner Krisengewinner gerade vorexerziert, wie ein prima funktionierender Wirtschaftsstandort dennoch Verarmungsprogramme gegen seine ArbeiterInnen durchsetzt. Aber umgekehrt ist es eben so, dass eine kriselnde Wirtschaft ihre Probleme an die Proletarisierten weiter gibt. Und so hat die eigentlich verkehrte Identifikation mit dem nationalen Wirtschaftsstandort tatsächlich sowas wie einen rationalen Kern.

Diesen Kern kann man nicht vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft – und darauf stellen sich im Wahl- und Abstimmungskampf praktisch alle – nicht in Frage stellen. Bloss eine Perspektive, die über den Kapitalismus hinausweist, kann solche Basiskategorien in Frage stellen. Allerdings bleibt die Problematik, dass die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen an das Kapital gebunden sind, noch bei aller Kritik bestehen. Abhilfe würde hier lediglich eine reelle praktische Perspektive der Überwindung bieten, wenn die Proletarisierten in Kämpfen die Reproduktion selber und gegen das Kapital zu regeln beginnen.

Wie weiter?

Für eine nächste Abstimmung, die die gesamte Klasse der ArbeiterInnen betrifft, müsste man anerkennen, dass die Mobilisierung gegen objektive Widerstände in Kopf und Herz der grossen Masse der Bevölkerung betrieben werden müsste. Es ist für eine Linke, die grundsätzlich mit dem Kapitalismus brechen will von elementarer Bedeutung, dass die Idee der Nation und des Wirtschaftsstandortes angegriffen und durch die Klassenfrage ersetzt wird. Und so müsste man, wenn man denn auf der Ebene von Abstimmungen intervenieren will, in eine andere Richtung argumentieren: Die Initiative war eine Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen jenen, die den Mehrwert produzieren und jenen die ihn sich aneignen. Die Initiative war direkt an die Klassenfrage geknüpft und diese Frage lässt sich konsequent vertreten und zumindest in der Krise mit nationalen Kategorien nicht vereinbaren. über die Volksinitiative «6 Wochen Freien für alle» hätte für alle Lohnabhängigen, die die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung stellen, Erleichterungen gebracht. Dennoch wurde die Initiative von den StimmbürgerInnen klar abgelehnt. Ein Kommentar zum Abstimmungskampf und seinem leider wenig überraschenden Ausgang.

«Die Schweizer, ein Volk von Vernünftigen», titelte der «Blick am Abend» zur Ablehnung der Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» triumphierend und bewies damit einmal mehr, dass die so hoch gepriesene Objektivität der bürgerlichen Medien eben meist bloss die Objektivität der Herrschenden ist. Doch man kann sich nicht ganz der Einsicht verwehren, dass die StimmbürgerInnen vom Standpunkt der Nationalökonomie in aller Regel tatsächlich vernünftig handeln. Schon in der Vergangenheit zeigten die Stimmberechtigten der Schweiz, was sie von Erleichterungen im Arbeitsalltag halten: 2002 lehnten sie die Initiative für eine 36-Stunden-Woche mit wuchtigen 74 Prozent ab. 2008 schickten sie einen Vorstoss für die Frühpensionierung mit über 58 Prozent bachab. Und nun stimmten 66,5 Prozent dafür, dass die ArbeiterInnen nicht sechs Wochen Ferien zu gute haben sollen. Vor diesem Hintergrund ist das Abstimmungsresultat – auch in dieser Höhe – nicht wirklich erstaunlich. Der nationale Standort Die Analyse des Abstimmungsresultats durch PolitologInnen ist relativ einfach zusammenzufassen: Eine millionenschwere Kampagne der Wirtschaftsverbände, wirtschaftliche Unsicherheit und ein geschlossener bürgerlicher Block standen gegen die InitiantInnen. Das lässt man sich in den Medien nun von ExpertInnen lang und breit erklären. Natürlich lässt es sich nicht ganz von der Hand weisen, dass diese Faktoren eine gewichtige Rolle gespielt haben. Doch mit dieser Analyse kratzt man bloss an der Oberfläche der Erscheinungen. Auch der Verweis von GenossInnen, dass bloss ein kleiner Teil der arbeitenden Bevölkerung abgestimmt habe und alle ArbeitsmigrantInnen ohnehin von der Abstimmung ausgeschlossen seien, stimmt zwar, aber sie vermag das Wahlresultat in seiner tieferen Dimension nicht zu erklären. Warum kann eine so banale Kampagne, wie sie von den VorlagengegnerInnen initiiert worden war, überhaupt derart verfangen? Warum stimmen ArbeiterInnen anscheinend gegen ihre unmittelbaren Interessen? Die Kampagne der Wirtschaftsverbände mit dem so einfachen wie manipulativen Inhalt «Mehr Ferien gleich weniger Arbeitsplätze» setzte auf Denkkategorien, die sich ein guter Teil der abstimmenden Schweizer Bevölkerung längst zu eigen gemacht hat. Vielfach fragt man nicht mehr nach dem eigenen unmittelbaren Interesse, sondern betrachtet die Welt bereits durch den Filter des nationalen Standorts. Was ist gut für die Schweiz? Was bringt «uns» einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den nationalen Konkurrenten? Auch die BefürworterInnen der Initiative liessen sich auf dieses altbekannte Spiel ein: Sechs Wochen Ferien seien für den Wirtschaftsstandort gut und mit ausgeruhten und erholten Arbeitskräften könne man besser wirtschaften. Es ist für die Initiative und für die gesellschaftliche Auseinandersetzung, die sich objektiv an der Klassengrenze abspielt bereits fatal, wenn man die nationale Kategorie über die der Klasse stellt. Dies spielte im Abstimmungskampfgetöse keine Rolle. Und es war für die Kampagne der InitiantInnen auch nicht relevant, dass es um die Verteilung des Reichtums ging. Darum nämlich, ob die ArbeiterInnen für weniger Arbeit gleichviel des von ihnen produzierten Mehrwerts erhalten sollten. Das ist in der aktuellen Abstimmung wie meist schlicht nicht thematisiert worden. Stattdessen stritt man sich darum, wer denn nun über alle Klassengräben hinweg die Interessen des nationalen Standortes am besten vertreten würde. Auf der einen Seite die InitiantInnen, die mit ausgeruhten ArbeiterInnen argumentierten, auf der anderen Seite die GegnerInnen, die die Wirtschaft durch die zusätzlichen Ferien in Gefahr sah. Probleme des Klassenkampfs Was in dieser Abstimmung auf der formell-demokratischen Ebene seinen Ausdruck fand, trifft man auch in der Welt der alltäglichen Arbeitskämpfe an. Streikende und protestierende ArbeiterInnen können «ihr» Unternehmen nicht kaputtstreiken, weil sie damit ihre eigene Lebensgrundlage mitzerstören. Die Reproduktion der Proletarisierten ist in dieser Welt an die Reproduktion des Kapitals gekettet. Dies ist uns an dieser Abstimmung auf der nationalen Ebene begegnet: Die Reproduktionsbedingungen der ArbeiterInnen hängt vom Wohlergehen des nationalen Wirtschaftsstandorts ab. Man darf das nicht falsch verstehen: Deutschland hat als momentaner Krisengewinner gerade vorexerziert, wie ein prima funktionierender Wirtschaftsstandort dennoch Verarmungsprogramme gegen seine ArbeiterInnen durchsetzt. Aber umgekehrt ist es eben so, dass eine kriselnde Wirtschaft ihre Probleme an die Proletarisierten weiter gibt. Und so hat die eigentlich verkehrte Identifikation mit dem nationalen Wirtschaftsstandort tatsächlich sowas wie einen rationalen Kern. Diesen Kern kann man nicht vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft – und darauf stellen sich im Wahl- und Abstimmungskampf praktisch alle – nicht in Frage stellen. Bloss eine Perspektive, die über den Kapitalismus hinausweist, kann solche Basiskategorien in Frage stellen. Allerdings bleibt die Problematik, dass die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen an das Kapital gebunden sind, noch bei aller Kritik bestehen. Abhilfe würde hier lediglich eine reelle praktische Perspektive der Überwindung bieten, wenn die Proletarisierten in Kämpfen die Reproduktion selber und gegen das Kapital zu regeln beginnen. Wie weiter? Für eine nächste Abstimmung, die die gesamte Klasse der ArbeiterInnen betrifft, müsste man anerkennen, dass die Mobilisierung gegen objektive Widerstände in Kopf und Herz der grossen Masse der Bevölkerung betrieben werden müsste. Es ist für eine Linke, die grundsätzlich mit dem Kapitalismus brechen will von elementarer Bedeutung, dass die Idee der Nation und des Wirtschaftsstandortes angegriffen und durch die Klassenfrage ersetzt wird. Und so müsste man, wenn man denn auf der Ebene von Abstimmungen intervenieren will, in eine andere Richtung argumentieren: Die Initiative war eine Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen jenen, die den Mehrwert produzieren und jenen die ihn sich aneignen. Die Initiative war direkt an die Klassenfrage geknüpft und diese Frage lässt sich konsequent vertreten und zumindest in der Krise mit nationalen Kategorien nicht vereinbaren.>Die über die Volksinitiative «6 Wochen Freien für alle» hätte für alle Lohnabhängigen, die die Mehrheitder Schweizer Bevölkerung stellen, Erleichterungen gebracht. Dennoch wurde die Initiative von den StimmbürgerInnen klar abgelehnt. Ein Kommentar zum Abstimmungskampf und seinem leider wenig überraschenden Ausgang.

«Die Schweizer, ein Volk von Vernünftigen», titelte der «Blick am Abend» zur Ablehnung der Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» triumphierend und bewies damit einmal mehr, dass die so hoch gepriesene Objektivität der bürgerlichen Medien eben meist bloss die Objektivität der Herrschenden ist. Doch man kann sich nicht ganz der Einsicht verwehren, dass die StimmbürgerInnen vom Standpunkt der Nationalökonomie in aller Regel tatsächlich vernünftig handeln. Schon in der Vergangenheit zeigten die Stimmberechtigten der Schweiz, was sie von Erleichterungen im Arbeitsalltag halten: 2002 lehnten sie die Initiative für eine 36-Stunden-Woche mit wuchtigen 74 Prozent ab. 2008 schickten sie einen Vorstoss für die Frühpensionierung mit über 58 Prozent bachab. Und nun stimmten 66,5 Prozent dafür, dass die ArbeiterInnen nicht sechs Wochen Ferien zu gute haben sollen. Vor diesem Hintergrund ist das Abstimmungsresultat – auch in dieser Höhe – nicht wirklich erstaunlich.

Der nationale Standort

Die Analyse des Abstimmungsresultats durch PolitologInnen ist relativ einfach zusammenzufassen: Eine millionenschwere Kampagne der Wirtschaftsverbände, wirtschaftliche Unsicherheit und ein geschlossener bürgerlicher Block standen gegen die InitiantInnen. Das lässt man sich in den Medien nun von ExpertInnen lang und breit erklären. Natürlich lässt es sich nicht ganz von der Hand weisen, dass diese Faktoren eine gewichtige Rolle gespielt haben. Doch mit dieser Analyse kratzt man bloss an der Oberfläche der Erscheinungen. Auch der Verweis von GenossInnen, dass bloss ein kleiner Teil der arbeitenden Bevölkerung abgestimmt habe und alle ArbeitsmigrantInnen ohnehin von der Abstimmung ausgeschlossen seien, stimmt zwar, aber sie vermag das Wahlresultat in seiner tieferen Dimension nicht zu erklären.

Warum kann eine so banale Kampagne, wie sie von den VorlagengegnerInnen initiiert worden war, überhaupt derart verfangen? Warum stimmen ArbeiterInnen anscheinend gegen ihre unmittelbaren Interessen? Die Kampagne der Wirtschaftsverbände mit dem so einfachen wie manipulativen Inhalt «Mehr Ferien gleich weniger Arbeitsplätze» setzte auf Denkkategorien, die sich ein guter Teil der abstimmenden Schweizer Bevölkerung längst zu eigen gemacht hat. Vielfach fragt man nicht mehr nach dem eigenen unmittelbaren Interesse, sondern betrachtet die Welt bereits durch den Filter des nationalen Standorts. Was ist gut für die Schweiz? Was bringt «uns» einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den nationalen Konkurrenten? Auch die BefürworterInnen der Initiative liessen sich auf dieses altbekannte Spiel ein: Sechs Wochen Ferien seien für den Wirtschaftsstandort gut und mit ausgeruhten und erholten Arbeitskräften könne man besser wirtschaften.

Es ist für die Initiative und für die gesellschaftliche Auseinandersetzung, die sich objektiv an der Klassengrenze abspielt bereits fatal, wenn man die nationale Kategorie über die der Klasse stellt. Dies spielte im Abstimmungskampfgetöse keine Rolle. Und es war für die Kampagne der InitiantInnen auch nicht relevant, dass es um die Verteilung des Reichtums ging. Darum nämlich, ob die ArbeiterInnen für weniger Arbeit gleichviel des von ihnen produzierten Mehrwerts erhalten sollten. Das ist in der aktuellen Abstimmung wie meist schlicht nicht thematisiert worden. Stattdessen stritt man sich darum, wer denn nun über alle Klassengräben hinweg die Interessen des nationalen Standortes am besten vertreten würde. Auf der einen Seite die InitiantInnen, die mit ausgeruhten ArbeiterInnen argumentierten, auf der anderen Seite die GegnerInnen, die die Wirtschaft durch die zusätzlichen Ferien in Gefahr sah.

Probleme des Klassenkampfs

Was in dieser Abstimmung auf der formell-demokratischen Ebene seinen Ausdruck fand, trifft man auch in der Welt der alltäglichen Arbeitskämpfe an. Streikende und protestierende ArbeiterInnen können «ihr» Unternehmen nicht kaputtstreiken, weil sie damit ihre eigene Lebensgrundlage mitzerstören. Die Reproduktion der Proletarisierten ist in dieser Welt an die Reproduktion des Kapitals gekettet. Dies ist uns an dieser Abstimmung auf der nationalen Ebene begegnet: Die Reproduktionsbedingungen der ArbeiterInnen hängt vom Wohlergehen des nationalen Wirtschaftsstandorts ab. Man darf das nicht falsch verstehen: Deutschland hat als momentaner Krisengewinner gerade vorexerziert, wie ein prima funktionierender Wirtschaftsstandort dennoch Verarmungsprogramme gegen seine ArbeiterInnen durchsetzt. Aber umgekehrt ist es eben so, dass eine kriselnde Wirtschaft ihre Probleme an die Proletarisierten weiter gibt. Und so hat die eigentlich verkehrte Identifikation mit dem nationalen Wirtschaftsstandort tatsächlich sowas wie einen rationalen Kern.

Diesen Kern kann man nicht vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft – und darauf stellen sich im Wahl- und Abstimmungskampf praktisch alle – nicht in Frage stellen. Bloss eine Perspektive, die über den Kapitalismus hinausweist, kann solche Basiskategorien in Frage stellen. Allerdings bleibt die Problematik, dass die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen an das Kapital gebunden sind, noch bei aller Kritik bestehen. Abhilfe würde hier lediglich eine reelle praktische Perspektive der Überwindung bieten, wenn die Proletarisierten in Kämpfen die Reproduktion selber und gegen das Kapital zu regeln beginnen.

Wie weiter?

Für eine nächste Abstimmung, die die gesamte Klasse der ArbeiterInnen betrifft, müsste man anerkennen, dass die Mobilisierung gegen objektive Widerstände in Kopf und Herz der grossen Masse der Bevölkerung betrieben werden müsste. Es ist für eine Linke, die grundsätzlich mit dem Kapitalismus brechen will von elementarer Bedeutung, dass die Idee der Nation und des Wirtschaftsstandortes angegriffen und durch die Klassenfrage ersetzt wird. Und so müsste man, wenn man denn auf der Ebene von Abstimmungen intervenieren will, in eine andere Richtung argumentieren: Die Initiative war eine Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen jenen, die den Mehrwert produzieren und jenen die ihn sich aneignen. Die Initiative war direkt an die Klassenfrage geknüpft und diese Frage lässt sich konsequent vertreten und zumindest in der Krise mit nationalen Kategorien nicht vereinbaren.

Roter Abend

Täglich füttern uns die Medienkonzerne mit Banalitäten, Events, Idolen und Skandalgeschichten. Doch nicht genug, dass sie damit von den wirklichen Problemen und den Ursachen des offensichtlichen Niedergangs der kapitalistischen Gesellschaft ablenken: Klaus von Raussendorf Publizist und Landesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes (NRW) zeigt auf, dass sie Begriffe der Aufklärung, der ArbeiterInnen- und Friedensbewegung aufnehmen, ihres Sinnes berauben und mit verdrehter Bedeutung als Waffe zur Unterwerfung der Ausgebeuteten und Unterdrückten verwenden. So können dann im Namen der Menschenrechte, des Internationalismus und des Völkerrechtes ganze Länder zerbombt und Tausende von Menschen vernichtet werden. Der Inhalt dieser Namen,d ieser Begriffe muss wieder zurückerobert werden. Es ist bewusst zu machen, dass die Kultur der Herrschenden nicht die Kultur der Beherrschten ist und sein kann.
Donnerstag, 15. März, 19:30 uhr
Wallstrasse 10, Basel

Nichts ändert sich

Kürzlich habe ich in der Migros zwei Bananen erworben. Marke Chiquita. Ein solcher Kauf löste bei mir früher nie ein Frösteln aus. Diesmal ist es anders. Während ich darauf wartete, bis die Preisetikette ausgedruckt wurde – man muss heute ja alles selbst machen, erinnerte ich mich, was ich über die Bananenmultis gelesen habe. Dass Chiquita, Dole und Del Monte in England vor wenigen Jahren auf Verkäufe von 775 Millionen Franken nur 225 000 Franken Steuern bezahlt haben. Notabene alle drei zusammen. Abzüglich der Kosten für die Bananenproduktion und dem Transport bleiben den Unternehmen geschätzte 50 Prozent Gewinn auf die knappe Milliarde Umsatz. Für die Eigentümerfamilien und die AktionärInnen ein stattlicher Gewinn. Der Steuerbetrag von 225 000 Franken macht nicht einmal 1 Prozent aus. Er ist exakt 0.033 Prozent. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ein Batzen in der Portokasse irgendeiner Steueroase, wo die Firmen ihre Steuerdomizile haben. Ein lächerlicher Steuerbetrag für jeden Normalbürger, der mit einem Lohnausweis versteuern muss. Bei Chiquita, Dole und Del Monte wären dies in der Schweiz, bei einem Steuerfuss von 22 Prozent, 160 Millionen. In Zahlen ausgeschrieben 160 000 000. Ohne Steueroasen, im Steuerjargon Off-Shore, müssten die Bananenmultis obigen Betrag an die Gemeinschaft abliefern. Das tun sie nicht, weil ihnen die Gesetze das erlauben. Und die anderen Multis auf dieser Welt tun es auch nicht. So gehen die Produktionsländer ebenso leer aus, wie die Länder, wo man mit hohen Gewinnen verkauft. Abgeliefert wird der Steuerobolus dort (mehr ist es nicht), wo es am günstigsten ist. Auf Jersey, Zypern, Gibraltar, Liechtenstein, in England, in einem steuergünstigen Bundesstaat der USA, in Panama, auf den Bahamas oder in Zug. Ich starre auf die Bananen, als wären sie das Übel dieser Welt persönlich. Ich seufze, denn ich kann es ja nicht ändern. Zudem profitieren wir hier in der Schweiz nicht unwesentlich. Wir haben sichere und gut bezahlte Jobs bei hunderten von Banken, AnwältInnen und Treuhandbüros. Selbst die kantonale Verwaltungen können sich ein Stück davon abschneiden. Über Bewilligungen, Firmeneinträge, Nachprüfungen und Gerichtsstreitigkeiten. Alle profitieren von dem weltweit herumwandernden Geld. Als die Bananen über den Scanner gezogen werden, reche ich aus, dass von den Franken 1.10 mindestens 20 Rappen nach Costa Rica wandern müssten. Ich höre schon die Entrüstung. Immerhin würden sie Arbeitsplätze bereitstellen! Sichere und gute Arbeitsplätze, sonst würden die Menschen verhungern. Dass diese Jobs nicht weit davon entfernt sind, sagen sie nicht. Die gern zitierte Rechtfertigung der Multis dient nur dazu, das tief im Unterbewusstsein schlummernde, schlechte Gewissen zu kaschieren. Am Abend bei einem Glas Wein meint Andrea philosophisch, ich müsste die Ungerechtigkeit auf dieser Welt nicht zu nahe an mich heranlassen. Wer das tut, würde nur krank. Sie hat Recht und rasch vergesse ich, dass nahezu alle Weltfirmen ihre Milliardengewinne an der Allgemeinschaft vorbeizirkeln. Vorbei an der Dritten Welt und auch vorbei an der ersten Welt, die wegen dieser Praktiken mit mehr und mehr sozialen Konflikten konfrontiert ist. Das alles ist das Resultat der freien Marktwirtschaft. Das Wort frei ist so täuschend wie nichts anderes. Frei bedeutet, dass derjenige, der das Geld hat, frei und ungestört einen anderen ausrauben kann. Daran ändert auch das ganze Gezeter gegen Steueroasen nichts. Dass dem Herumschieben von Geld nichts in den Weg gelegt wird, dafür sorgt die OECD. Sie hat kürzlich den Willen zur freien Marktwirtschaft bekräftigt. Somit können Multis und reiche Privatpersonen ihre astronomischen Reichtümer auch weiterhin deponieren, wo es nahezu gänzlich unangetastet bleibt. Gewisse Länder tragen an der Steuerflucht sicher auch eine Mitschuld. Unverhältnismässige Belastungen werden nirgendwo goutiert. Die obige beschriebene Stuervermeidung gleicht einem vollständigen Steuerfreipass, und je länger so etwas dauert auf dieser Welt, desto tiefer wird der Keil zwischen die Gesellschaft getrieben, der zwischen reich und arm entscheidet. Auf Zeit zerstört es jede demokratische Form.

alberT Schaffner

 

Kunstprovokationen in Vergangenheit und Gegenwart

hans peter gansner. Kunst soll seit der Antike gefallen und bilden – so dachte man zumindest bis ins 19. Jahrhundert. Seither ist ein Wandel eingetreten: Kunst provoziert, wenn neue Stile entstehen. Heiner Müller sagte über die Politik: «Das erste Gefühl beim Auftritt des Neuen ist der Schrecken». Dies gilt heute auch bei einem grossen Teil der innovativen Kunstproduktion.

Was wirklich Kunst sei, war schon seit eh und je ein Zankapfel – der KritikerInnen. Die KünstlerInnen selber wussten es aber immer schon: Van Gogh, der von der Kunstakademie abgelehnt wurde mit der Begründung, er könne ja nicht einmal einen Stuhl in der richtigen Perspektive malen (heute ist das berühmte Gemälde seines Zimmerchens in Arles mit dem Strohstuhl in der Ecke Millionen wert), über Marcel Duchamps Flaschentrockner und Andy Warhols Suppendosenetiketten bestand bis heute ein wesentliches Merkmal der Avantgarde im gesellschaftlichen Skandal. In Basel war das Brancusi-Fudi in den Siebzigerjahren das Fasnachtsthema, und der Tinguely-Brunnen, das Prunkstück neben dem Restaurant Kunsthaus, heute der beliebteste Aufenthaltsort der Basler an besonders heissen Tagen, wurde damals von der NA (Nationale Aktion) als ein Haufen Schrott bezeichnet und in einer Nacht- und Nebel-Aktion verunstaltet.

Vaclav Pozarek oder die Liebe zur Geometrie

Das Bündner Kunstmuseum in Chur avancierte in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Tempel der Gegenwartskunst. Jetzt kann das Publikum sich von dem in der Nähe von Bern lebenden tschechischen Künstler Vaclav Pozarek durch das Labyrinth seiner «Library of Sculptures» führen lassen. Graubünden war immer schon ein Nährboden für moderne und avantgardistische KünstlerInnen. Das Klima und das antifaschistische Exil spielten dabei eine wichtige Rolle. Ernst Ludwig Kirchner musste sich von seinem Lungenleiden erholen, war aber arm wie eine Kirchenmaus. Als er einmal dem Pöstler von Davos ein Bild schenken wollte, weil er nicht genug Geld für einen ungenügend frankierten Brief hatte, soll dieser dankend abgelehnt haben: Er glaube nicht, dass seine Frau Freude hätte, wenn er mit einem solchen Schwarten nach Hause komme. Das Bühnenbild, das Kirchner gratis für eine Dorftheatertruppe malte, wurde nach dem Krieg in Stücke geschnitten und in die USA verschifft, wo New Yorker Kunsthändler damit Millionen verdienten. Unsere «Eigenen» dagegen waren oft zur Emigration gezwungen, wie Alberto Giacometti (Paris) oder heute Not Vital aus dem idyllischen Engadiner Dörfchen Sent (USA), ein Vorkämpfer der «Land Art», oder Gaspare O. Melcher, der als Bürger von Tschlin in Chur geboren wurde und auch hier aufgewachsen ist, jedoch schon lange in Italien lebt und arbeitet. Ich kann mich erinnern, wie ich Caspare Melcher damals, anfangs Siebzigerjahre, in seinem Atelier in der Herengracht im Zentrum von Amsterdam besuchte, wo er seine Endlosvarianten auf wandgrosse Leinwände malte: ein unvergessliches Erlebnis (Walter Lietha hat die Dokumentation im Calven Verlag, Chur, herausgegeben). Auch der aus Chur stammende international bekannte Foto- und Installationskünstler Hans Danuser ist inzwischen in New York ebenso heimisch geworden wie in Zürich und im Bergell. Er geniesst im Bündner Kunstmuseum Chur grosszügiges Gastrecht. Was Not Vital betrifft: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mich die damalige Bündner Zeitung anfragte, ob ich Vitals «Not Vital Action» besprechen könne: die Kulturredaktion wisse nicht, ob das armdicke Hanfseil, das sich da aus der Galerie in der Kirchgasse um die Martinskirche schlängle, um sich dann in der Altstadt zu verlieren, Kunst, harmloser Unfug oder Scharlatanerie sei.

Labyrinth der Gegenwartskunst…

Im gleichen Spannungsfeld spielen sich die «Werke» Vaclav Pozareks ab, bestehen sie doch «eigentlich» nur aus einem riesigen Sammelsurium von jahrelang geduldig gesammelten fotografischen Reprografien, collagiert, montiert oder einfach «à l’état brut», die dem Betrachter Rätsel über Rätsel aufgeben, aber in einen lustvollen Rausch von Impressionen, Reminiszenzen und Reflexionen versetzen. Nur dass man heutzutage nicht mehr, wie zu Zeiten des radikal engagierten Zeichners und Karikaturisten Martin Disteli, sagen kann: «Und fluchend steht das Volk vor seinen Bildern», sondern «das Volk», wenn es überhaupt seine Schritte in eine Ausstellung lenkt, steht meistens ratlos und kopfschüttelnd da. Ausser wenn ein Künstler wie Thomas Hirschhorn im «Centre Culturel Suisse» in Paris den Darsteller einer seiner Kunst-Inszenierungen in der Pose eines Hundes gegen ein Portrait urinieren lässt, das einem bekannten SVP-Politiker sehr ähnlich sieht. Item, wegen solchen Interpretationsproblemen ist es auch sehr wichtig, einen guten Katalog als Faden der Ariadne durch das faszinierende Labyrinth der Gegenwartskunst zu legen. Und dies haben Stephan Kunz und Max Wechsler mit ihren erklärenden Beiträgen zu Pozareks «Library of Sculptures» glänzend hingekriegt. Ein phantastischer Fotoband mit Abbildungen von Büsten bekannter und unbekannter Persönlichkeiten und Personen aus den verschiedensten Epochen und Kulturen ergänzt die Ausstellung «Library of Sculptures» (Verlag Scheidegger & Spiess), die man nicht verpassen sollte, wenn man im Frühling in die Ferien nach Graubünden fährt. Schon der idyllische Ort, eine Jugendstilvilla in einem sagenumwobenen Park mitten im ringsum brandenden Verkehrschaos der Bündner Metropole, ist es wert, bei der Durchreise einen Zug auszulassen und erst den übernächsten zu nehmen. (Bündner Kunstmuseum Chur, Postplatz Chur, bis zum 6. Mai 2012)

Kienholz: Installationen des Schreckens

Ich kann mich an den Schrecken erinnern, den ich anfangs Siebzigerjahre empfand, als ich im Kunst-haus Zürich zum ersten Mal zwischen den Grauen erregenden Installationen des amerikanischen Künstler-Ehepaars Kienholz wandelte. Der ganze Horror der Epoche mit Antikommunismus, Vietnamkrieg, Sexismus und Polizeibrutalität gegen Minderheiten war da in einer Art politisch-sozialer Geisterbahn mit lebensgrossen Statuen in Intérieurs zu sehen, die an Realismus nicht zu überbieten waren. Diese Ausstellung hat mich damals stärker politisiert als alle linken Reden und Bücher zusammen, die ich gehört und gelesen hatte… Nun kommt das Werk des Francisco Goyas des 20. Jahrhunderts nach Basel: Harte Bandagen empfehlen sich! («Kienholz: Die Zeichen der Zeit» ist eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, wo sie bis Ende Januar zu sehen war, in Kooperation mit dem Museum Tinguely. In Basel dauert sie bis zum 13. Mai.)

Der Genfer Provokateur

Wolfgang-Adam Töpffer (1766-1847) war der Vater des viel bekannteren Rodolphe Töpffer, Verfasser so bekannter Bücher wie den «Voyages en zigzag» und der «Nouvelles Genevoises» (alle kürzlich im Slatkine Verlag, Genf, neu publiziert), die er auch selbst mit Zeichnungen illustrierte, die in vielem an Wilhelm Busch erinnern. Rodolphe Töpffer, der auch ein Pensionat gründete, das aber nichts mit der heutigen «Ecole Töpffer» im Quartier de Champel in Genf zu tun hat, endete als fremdenfeindlicher, reaktionärer Eiferer. Auf ihn berief sich in den Dreissigerjahren eine rechtsradikale, Mussolini zu dienende Künstlergruppe unter Führung des antisemitischen Karikaturisten Noël Fontanet, die sich als «Les petits-fils de Töpffer» bezeichnete. Sie fiel auf durch spektakuläre kunstpolitische Happeninigs, die durchaus im heutigen Hirschhorn-Stil, aber politisch diametral gegenteilig verortet, abliefen und in der Genfer Arbeiterklasse für Empörung und Verwirrung sorgten, da die «Actions» den populären Linkspolitiker Léon Nicole zum Ziel hatten. Nun ist zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst eine Gesamtdarstellung des malerischen Werkes von Rodolphe Töpffers Vater, Wolfgang-Adam Töpffer, erschienen. Als 1789 in Genf die Revolution ausbricht, verliert er schlagartig sein Einkommen – unter den Waffen schweigen die Musen –, und er muss als Zeichenlehrer im Pensionat seines Sohnes Rodolphe Unterschlupf suchen. Zum Glück hat er hochrangige Mäzene, zu welchen sogar die Kaiserin Joséphine gehört. Doch in dem soeben bei Benteli publizierten Gesamtwerk entdecken wir überrascht, dass sich hinter dem als genialer Landschaftsmaler einer ganz eigenständigen deutsch-französischen Romantik, beliebt bei der ganzen europäischen Aristokratie und dem entstehenden Geldadel in der Schweiz, auch ein äusserst provokativer Karikaturist versteckte, was ihm in der intoleranten und engherzigen Stadt Genf selber keine Freunde machte. Man verwechselt ja immer wieder den so hoch gelobten «Esprit de Genève», den es eigentlich erst seit der Gründung des Roten Kreuzes, des Völkerbundes und der Uno gibt, und den «esprit genevois», der kleinlich, nachtragend, geldgierig und im Grunde bis heute zutiefst kunst- und geistfeindlich ist. Vater Töpffers beinah surrealistisch anmutenden Grotesken über die Genfer «Momiers», wie die calvinistischen Eiferer damals genannt wurden, machten im keine Freunde bei der Genfer Bourgeoisie, die fest an die Lehren des Kirchenreformators glaubte, der die Rhonestadt zu Glanz und Reichtum geführt hatte. Der Künstler schreibt denn auch etwas verbittert am Ende seines Lebens: «In Genf findet man die wenigsten meiner Werke», um mit übertriebener Bescheidenheit fortzufahren: «Ich fertigte viele Karikaturen verschiedenster Art an und war wohl in dieser Beziehung einigen Erfindungen der Zeit ein paar Schritte voraus». Das kann man wohl sagen, parbleu! Der Kunstwissenschaftler Lucien Boissonas hat dem prachtvollen Band eine kenntnisreiche Einleitung und einen Strauss Zitate über Vater Töpffer vorausgeschickt. (W.-A. Töpffer, 1766-1847, Peintures, Benteli Verlag, 2012).

Der lange Kampf für die Fristenlösung

 

Klara Zetkin. Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs war seit jeher eine Forderung der Internationalen Frauenbewegung. Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper war und ist ein Gradmesser für die Entwicklung der Gesellschaft – hier und international.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist weltweit zwischen 1995 und 2003 von knapp 46 Millionen auf rund 42 Millionen gesunken. In den Industrieländern, wo Abtreibungen meist sicher und legal durchgeführt werden können und die Aufklärung über Verhütungsmethoden breiter verankert ist, nahmen die Zahlen stärker ab. Im Trikont, wo mehr als die Hälfte der Abtreibungen illegal durchgeführt werden, stagnierten die Zahlen. Auch im 21. Jahrhundert wird circa knapp die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche weltweit illegal und meist nicht fachgerecht usgeführt. Dies nicht zuletzt auch als Folge der reaktionären verhütungsfeindlichen Vatikan-Politik und seinen «Lebensschützer»-Truppen. Die damit verbundenen Risiken sind gemäss Weltgesundheitsorganisation WHO vielfältig:

– weltweit müssen jedes Jahr circa fünf Millionen Frauen wegen Blutungen und Sepsis stationär behandelt werden;

– durch die jährlich auf 40 Millionen geschätzten Abbrüche sterben etwa 13 Prozent der Frauen;

– Todesfälle ereignen sich mehrheitlich im Trikont, vor allem in Afrika;

– weitere Folgen illegaler Abtreibung sind die Stigmatisierung der Frauen und langfristige gesundheitlichen Probleme, wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit.

Doch auch in jenen Ländern, in denen eine Abtreibung rechtlich erlaubt ist, stehen Frauen oft unter einem grossen moralischen und sozialen Druck. Es bestand immer ein Zusammenhang des Verbots der Verhütung und des Schwangerschaftsabbruchs. Die schärfsten Restriktionen gab es historisch in Monarchien, Diktaturen und kriegführenden Staaten. So war zum Beispiel die letzte Frau, die 1945 in Wien hingerichtet wurde, eine Frau, die Abtreibungen durchgeführt hatte.

Harmlose Christen? Gewalttätige Fundamentalisten!

Weltweit sterben nach wie vor Millionen von Frauen unter den unzureichenden medizinischen Bedingungen illegaler Abtreibungen. Bewegungen wie «ein Recht auf Leben» haben in den letzten Jahren in der Schweiz, in Europa und in den USA starken Aufschwung erhalten. Diese radikalen AbtreibungsgegnerInnen propagieren ein ultrarechtes, konservatives und zutiefst patriarchales, homophobes und fremdenfeindliches Weltbild und wollen den Schwangerschaftsabbruch wieder verbieten oder zumindest aus den Krankenkassenleistungen herausstreichen. Ihre Aktionen in der Öffentlichkeit können sie allerdings nicht immer unbehelligt durchführen und müssen durch eigene Sicherheitsdienste und oftmals auch durch massiven Polizeischutz gesichert werden. Dies ist kein Zufall, sondern steht im Zusammenhang mit der ökonomischen und politischen Situation. Der Kampf gegen die radikalen AbtreibungsgegnerInnen ist daher Teil der Klassen- und Frauenkämpfe.

Was hat unser Bauch mit der Krise zu tun?

In den kapitalistischen Staaten gab und gibt es keine einheitliche Meinung zur Abtreibung. Sie ist einerseits von den Bedürfnissen des Kapitals und andererseits vom Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Kapital abhängig. So kann ein längst erkämpftes Recht, wie das Recht auf Abtreibung, auch wieder in Frage gestellt und abgeschafft werden. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten wird das traditionelle Bild der Frau als Hausfrau und Mutter aufgewertet. Ziel ist es, Frauen in Zeiten von Sparmassnahmen und Kürzungen im Pflege- und Kinderbetreuungsbereich die entstandene unbezahlte Mehrarbeit aufzubürden.

Das Erstarken eines reaktionären Frauenbildes und eine Rückbesinnung auf konservative Geschlechterverhältnisse basiert somit auch auf ökonomischen Interessen. Durch Privatisierung, Flexibilisierung und Sozialabbau werden Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung kontinuierlich beseitigt. Der Vorstoß der radikalen AbtreibungsgegnerInnen ist Teil dieses gesamtgesellschaftlichen Rollbacks. Sie versuchen Frauen raus aus der Erwerbsarbeit und hinein in «ihre» Rolle als Mutter und Hausfrau zu drängen, für die bestenfalls ein prekärer Job zu haben ist. Denn ökonomische Unabhängigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und dieses steht im Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsweise, die mit der sozialen Reproduktion verknüpft ist. Dazu gehört auch die Produktion und Erhaltung von Menschen, das heisst Schwangerschaft und Geburt, Betreuung der Kinder, der kranken und älteren Menschen. Den Grossteil der unbezahlten Betreuungs- und Versorgungsarbeit leisten Frauen. Das spart den Unternehmern Geld (das sie sonst in Form höherer Löhne zahlen müssten) und erhöht ihre Profite.

Eine alte Forderung

In der ArbeiterInnenbewegung gewann die Forderung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts an Bedeutung, war jedoch in den eigenen Reihen nicht immer unumstritten. Der Umgang mit dem Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper war und ist ein Gradmesser für die Fortschrittlichkeit einer revolutionären Organisation. Gehören doch Familienplanung, Verhütung und die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs zu den Kernfragen der Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen. Bereits in den 20er Jahren setzte sich die Kommunistische Partei der Schweiz (KPS) auf der Strasse, auf Versammlungen und mit parlamentarischen Vorstössen vehement für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ein. So äusserte sich Lisel Bruggmann* in einem Aufruf am internationalen Frauentag von 1925 wie folgt: «Die Arbeitszeit wird verlängert. Der Lohn wird abgebaut.
Der Brotpreis und alle Lebensmittel steigen… Die Arbeiterin wird zur Austragung ihrer Schwangerschaft gezwungen durch das Gesetz. Das muss nicht sein und darf nicht ewig so bleiben!»**

Nach der Revolution 1917 war Russland das erste Land der Welt, in dem der Schwangerschaftsabbruch legalisiert wurde. Alexandra Kollontai übernahm als erste Ministerin der Welt 1920 den Vorsitz der Frauenabteilung beim Zentralkomitee der KPdSU. Als Volkskommissarin für soziale Fürsorge setzte sie die Lockerung des Eherechts und die Verbesserung des Mutterschutzes durch. Sie erkämpfte das Recht auf Abtreibung und schlug Volksküchen und kollektive Kindererziehung vor. Mit der Etablierung der stalinistischen Bürokratie, wurde diese Errungenschaft 1936 wieder abgeschafft.

Der Kampf in der Schweiz

Noch 1971 wurden in der Schweiz 107 Frauen und 37 Drittpersonen wegen illegaler Abtreibung verurteilt. Zudem kam es in Folge illegaler Eingriffe zu Todesfällen. Die am 19. Juni 1971 lancierte und am 1. Dezember 1971 eingereichte Volksinitiative für straflosen Schwangerschaftsabbruch wurde abgelehnt, löste jedoch breite Debatten aus.

1988 wurde die letzte Frau verurteilt. Abtreibungen sollten nun mit Prävention bekämpft werden, nicht mit Bestrafung. Familienplanungsstellen wurden geschaffen und die Sexualerziehung an den Schulen eingeführt. Illegale Abtreibungen verschwanden und die Zahl der legalen Eingriffe sank um circa 15 Prozent. Das jahrzehntelange Gezänk zwischen Bund und Kantonen und den verschiedenen Parteiinteressen zeigt die Brisanz eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs, dem Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und die Familienplanung. Erst am 2. Juni 2002 wurde in der Schweiz die Fristenlösung vom Volk angenommen und muss bereits wieder verteidigt werden. Am 26. Januar 2010 lancierte der Anti-Abtreibungsverein «Mamma» (früher «Für Mutter und Kind») die Volksinitiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache». Mit der Initiative, die am 4. Juli 2011 mit 109597 gültigen Unterschriften eingereicht wurde, wollen christlich-konservative Kreise dafür sorgen, dass Abtreibungen nicht mehr von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlt werden. Mit der zynischen Parole «Abtreibungen sind keine Krankheit!» und irreführenden Argumenten zur Selbstverantwortlichkeit und Kostensenkung soll ein weiterer Leistungsabbau auf dem Rücken von Betroffenen durchgedrückt werden.
Der Kampf geht weiter

Gesundheit ist ein Menschenrecht, das der Kapitalismus nicht garantieren kann. International schreiten Restrukturierungen, Leistungsabbau und Privatisierungen im Gesundheitswesen voran. Nur eine Vergesellschaftung des Gesundheitswesens kann diese Entwicklung aufhalten. Die Bedürfnisse der Beschäftigten und PatientInnen müssen im Mittelpunkt stehen und das Gesundheitswesen muss der Profitlogik entzogen werden. Schwangerschaftsabbruch ist ein Recht von Frauen, die sich in einer bestimmten Lebenssituation gegen ein Kind entscheiden. In dieser Situation sollen sie die bestmögliche Versorgung erhalten.

Die Geschichte der Fristenlösung zeigt, dass Verbesserungen erst unter dem Druck der ArbeiterInnen- und Frauenbewegung erreicht werden konnten. Wichtige Forderungen wurden noch nicht umgesetzt, gleichzeitig starten konservative und kirchliche VertreterInnen immer wieder Angriffe auf die Straffreiheit der Abtreibung. Auch wenn sich in der aktuellen Situation kaum eine Abschaffung der Fristenlösung durchsetzen kann, bleibt der Kampf für die «Abtreibung auf Krankenkasse» auf der Tagesordnung.

Texthinweise

* Lisel Bruggmann arbeitete nach der Sekundarschule ab 1916 als Hilfsarbeiterin in einer Winterthurer Textilfabrik und trat in die sozialistische Freie Jugend ein. Sie war gewerkschaftlich engagiert und 1918 Gründungsmitglied der Schweiz sowie 1927 Mitglied der ersten schweizerischen Arbeiterdelegation in die Sowjetunion. Sie engagierte sich in der kommunistischen Frauenbewegung, für die Einführung der AHV, den 8 Stundentag und publizierte viele revolutionäre Gedichte und Aufrufe zum Klassenkampf in der Schweiz.

** Aus: Mattli, Angela (2005): «Gleichberechtigt aber anders». Grenzen weiblicher Integration und Partizipation in der Kommunistischen Partei der Schweiz 1921-1927. Grin Verlag, Norderstedt, Seite 20

 

 

Angriffe auf den Pflege und Betreuungsbereich als «neue Landnahmen»

 

 

Tulipana Maccaron. Fast täglich können wir mitverfolgen, wie im Bereich der Pflege und Betreuung Massnahmen ergriffen werden, um die «ungeheuren Kosten» einzudämmen, die der Gesundheits- und Betreuungssektor zu verschlingen scheint. Eigene Überlegungen und geklaute Theorien als Denkanstösse zu einer Diskussion über die Abbaupläne im Carebereich.

Die Massnahmen haben mehrheitlich zwei Ziele: Erstens die Kosteneinsparung durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (im Namen der «Gleichheit» sollen zum Beispiel die Ferien der Hortnerinnen angepasst das heisst um zwei-drei Wochen gekürzt werden, bei gleichem Lohn), Reduzierung der Qualität und Einschränkung von Leistungen. Und zweitens die Überwälzung von Kosten auf die Menschen, die diese Leistungen in Anspruch nehmen müssen.

Was haben diese Angriffe auf Arbeitsbereiche, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, mit der Theorie der Landnahme von Rosa Luxemburg zu tun? Der Begriff der Landnahme wurde von Karl Marx verwendet, um die Raubzüge zu beschreiben, die es für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals braucht. Er meinte aber, dies sei nur eine «Geburtswehe» des Kapitalismus. Sobald dieser am Funktionieren sei, brauche es diese gewaltsamen Enteignungen nicht mehr.

In ihrem Hauptwerk «Die Akkumulation des Kapitals» beschreibt Rosa Luxemburg 1912, dass das Kapital zum Überleben immer auf die gewaltsame Aneignung von Menschen, ihrer Arbeit, aber auch Rohstoffen angewiesen ist. (minimalistische Zusammenfassung, wer sich mehr für dieses Thema interessiert lese ersten «Das Kapital» von Karl Marx und zweitens «Die Akkumulation des Kapitals» von Rosa Luxemburg 1912.)

Landnahme bezeichnet nichts anderes als Akkumulation (gleich Anhäufung von Reichtum) durch Enteignung, also Raub. Nebst den offenen Landnahmen durch Kriege, Plünderungen, Krisen weltweit, laufen auch hier räuberische Angriffe auf so genannt marktbegrenzende, das heisst auf noch nicht privatisierte Institutionen wie Schulen, Krippen, Horte, Spitäler, also alles Institutionen des Pflege- und Betreuungsbereiches, in dem vorwiegend Frauen arbeiten. Das ist nicht zufällig. Frauenarbeit soll wieder in den Bereich der Gratisarbeit und, wo das nicht gelingt, zu Billigstarbeit degradiert werden.

Entsolidarisierung als Vorbereitung zum Qualitätsabbau

An aktuellen Beispielen können wir mitverfolgen, wie solche «Landnahmen» geplant, Akzeptanz dafür geschaffen und schliesslich realisiert werden. Eine Massnahme, die als eigentlicher Landraub im Sinne des Wortes bezeichnet werden kann, ist die Reduzierung der Quadratmeter von vier auf zwei Quadratmeter (vor wenigen Jahren waren es noch sechs Quadratmeter)
pro Kind in den Zürcher Horten, schönfärberisch Verdichtung genannt. Den Kindern wird also die Hälfte ihrer Lebensfläche gestohlen (sinnbildlich zu verstehen, da es sich ja nicht um Eigentum handelt). Geraubt wird auch die Hälfte der Aufmerksamkeit der Betreuungspersonen, die Hälfte der pädagogischen Begleitung und Förderung. Stattdessen werden die Kinder, sicher-sauber- satt, verwaltet.

Für die Betreuenden ist es die Verdoppelung ihrer Arbeit zu gleichem Lohn. In einer Produktionssituation würde das heissen, die Maschine plötzlich auf doppelter Geschwindigkeit laufen zu lassen – Charlie Chaplin zwischen den Rädern hängend lässt grüssen.

Schauen wir nun ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen an. Durch Stellenabbau und der Reduktion von gut ausgebildetem Personal, kürzeren Aufenthaltsdauer der PatientInnen, komplexere Pflegesituationen für Spitex und Altersheime usw. wird das Personal an den Rand seines Leistungsvermögens gebracht. Kontinuierlich bleibt frau/man hinter dem Anspruch einer guten Pflege/Betreuung, wie es vermutlich einst gelernt wurde, zurück. Das ist frustrierend und kein Mensch kann auf Dauer in dieser Situation bleiben, ohne krank zu werden oder Methoden zu entwickeln, sich dem Druck zu entziehen oder ihn eben weiterzugeben. Als Problemlösung angeboten wird Abgrenzung und Entsolidarisierung. Abgrenzung wird durch die Aufspaltung der Tätigkeiten eingeführt. Für bestimmte Pflegeverrichtungen ist nur noch Person A zuständig, für andere Person B, fürs Essen die Gastronomie, fürs Putzen die Hauswirtschaft ecetera. Die
Aufsplitterung der Tätigkeiten wird so ad absurdum geführt, dass es in einem Spitalzimmer zugeht wie auf dem Bahnhof. Wenn aber jede Person in diesem «Team» nur noch für ihren eigenen Bereich zuständig ist, interessiert es nicht, wenn die Anderen ihren Teil der Arbeit nicht erfüllen und so einE PatientIn buchstäblich in der Scheisse liegen bleibt. Der auf Unterstützung angewiesene Mensch dahinter verschwindet durch das geistige Sich-Abwenden des Personals.

Auf diese Form der Entsolidarisierung werden wir seit Längerem mit Schlagwörtern wie KostenverursacherInnen, Bedarf/Bedürfnis, Eigenverantwortung und so weier vorbereitet. Man/frau ist also nicht mehr krank, er/sie ist einE KostenverursacherIn. Schon in diesem Begriff steckt die Unterstellung der Selbstverschuldung, ja gar eine gewisse Bösartigkeit. In diesem Klima ist es nicht verwunderlich, dass Pflegende ihre Unzufriedenheit damit ausdrücken, dass sie Bedürfnisse von Patient-Innen als übertriebene Forderungen empfinden.

Das Gesundheitswesen als Institution gehört allen. Jede und jeder hat per Gesetz Anrecht auf eine gute Gesundheitsversorgung. Der Angriff auf das Gesundheitswesen ist der Versuch einer «Landnahme», also einer räuberischen Enteignung von Eigentum der Bevölkerung, die Spitäler durch ihre Steuern mitfinanzieren.

Dass Frauen alles möglich machen, wird gegen sie verwendet

Rosa Luxemburg erkannte, dass Landnahmen nur durch die Anwendung von massiver Gewalt durchgesetzt werden können. Das hat sich bis heute nicht verändert. Der Raub von Arbeit, Fähigkeiten, Wissen von Frauen wird mittels struktureller und offener Gewalt täglich immer wieder neu durchgesetzt, geschützt von frauenfeindlichen Lebensbedingungen, Ideologien und Gesetzen.

Jede bisherige Gesellschaftsform beruhte nebst der Ausbeutung der unteren Klassen auf der Ausbeutung von Frauen nicht nur als Arbeiterinnen, sondern als männlicher Besitz und somit verhandelbare Masse. Der Kompromiss zwischen weissen männlichen Arbeitern und Kapitalisten anfangs des 20. Jahrhundert und die Verbreitung der Ideologie der Kleinfamilie mit Ernährerlohn plus Hausfrau hat die Stellung aller Frauen auf dem Arbeitsmarkt als billige Arbeitskräfte und gleichzeitig die Reproduktionsarbeit als minderwertige Arbeit zementiert. Durch ihre Zuständigkeit für die Reproduktion wurden Frauen als Zusatzverdienerinnen in ungesicherte Teilzeitarbeitsverhältnisse gedrängt. Den Hausfrauen wurde kein Recht auf ein Normalarbeitsverhältnis mit existenzsicherndem Lohn und somit der Möglichkeit zu einem unabhängigen Leben zugestanden. Das Stigma der Zweitverdienerin prägte und prägt die Stellung aller Frauen auf dem Arbeitsmarkt bis heute und prägt auch alle Bereiche, in denen vorwiegend Frauen arbeiten. Das Bild der Frau, die gleichzeitig Haushalt, Kinder, Arbeit managt, hat das Bild der «Nur-Hausfrau» abgelöst. (Als «moderne» Alleskönnerin hat sie heute auch noch «sexy», cool, attraktiv und immer jung zu sein.) Aber dieses «alles möglich machen» wird im Betreuungssektor nun gegen sie verwendet. Mit dem Argument: «Es geht ja noch» wird immer mehr Leistung zu gleichem Lohn verlangt. Multitasking wird heute bei jeder Anstellung verlangt, Belastungsfähigkeit ist Pflicht und Qualitätsabbau muss mit Sprüchen wie „Altes loslassen können und offen sein für Neues!“ hingenommen werden. Gleichzeitig wird durch den Qualitätsabbau die Arbeit entwertet, Kinder hüten und ein bisschen pflegen kann ja jede. Dem Pflege und Betreuungssektor wird die Nähe zur Gratis-Reproduktionsarbeit zum Verhängnis. Bei der Verteilung des Geldes für Lohnerhöhungen im Zürcher Service public bekommt vor allem die Polizei ihre Zulagen, Betreuung und Pflege gehen leer aus – auch mit zwei sozialdemokratischen Frauen an der Spitze der Regierung.

Die Argumente der Banken, gute ArbeiterInnen brauchen gute Bedingungen (inklusive Bonis und so weiter.) gilt nicht für den Carebereich. Dem Arbeitskräftemangel wird nicht durch attraktivere Arbeitsbedingungen, höhere Löhnen, kürzere Arbeitszeiten oder sonstige Vergünstigungen entgegengewirkt, sondern mit dem Einführen von neuen Ausbildungen, die eine neue Gruppe von Billigstlohnarbeiterinnen schafft. Nach einer dreijährigen Ausbildung zur «Fachangestellten Betreuung respektive Gesundheit» verdient eine Angestellte bei Vollzeitbeschäftigung einen Lohn, der nur knapp existenzsichernd ist. Da winkt wieder das heteronorme Bild des Ernährers und «seine» Frau darf ein bisschen dazuverdienen.

Wir meinen: Wir sind uns mehr Wert!

Statt unten sparen, oben enteignen

Dass es an Geld nicht mangelt, auch das wird uns täglich um die Ohren gehauen. Bei den inzwischen alltäglichen Börsenberichten müssen wir uns Gewinnsummen anhören, die nur mit den dagobertschen Fantastilionen zu vergleichen sind. Ein Prozent der MilliardärInnen weltweit leben in der Schweiz. Ohne Hemmungen wird öffentlich gemacht, wie viel die Besitzenden im letzten Jahr verdient haben, die 300 Reichsten 11 Milliarden. Dies natürlich nicht durch Handarbeit zum Beispiel im Pflege- oder Betreuungsbereich. Für den Betreuungsbereich werden in der Schweiz lächerliche 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgegeben! Und da soll noch gespart werden!

Unser Vorschlag: Das Geld da holen, wo es ist, einsetzen, wo es gebraucht wird. Milliardäre enteignen statt bei Besitzlosen sparen.

Die postfeministische Angst vor den Frauen

 

Natalie Schmidt. Postfeminismus ist ein Schlagwort, das salonfähig geworden ist. Während Feministin zu sein meist heisst, als verklemmte Emanze und hässliche Verliererin bei der Partnerwahl abgestempelt zu werden, steht Postfeministinnen scheinbar der goldene Weg zum Erfolg offen.

Die attraktiven Vertreterinnen des Postfeminismus propagieren medienwirksam eine Emanzipation, die Spass machen und sich von einer Ästhetik der behaarten Beine und lila Latzhosen der zweiten Frauenbewegung abgrenzen soll. Junge Frauen sind heute dazu aufgerufen, ihre Emanzipation selbst in die Hand zu nehmen. Doch dass sich eine junge Frau als Teil der Frauenbewegung sieht, passiert eher selten. Vielmehr geht es um die Ausgestaltung der eigenen Identität, den individuellen Kampf um Erfolg im Berufsleben und vor allem um die Abgrenzung von anderen Frauen. Eine verallgemeinernde Aussage wie «Wir Frauen werden geschlechtsspezifisch benachteiligt und müssen uns deshalb solidarisieren und gemeinsam kämpfen!», scheint irgendwie nicht mehr in den Zeitgeist zu passen und ist seit den 1990er Jahren in manchen akademischen Kreisen sogar ein politisches No-Go, weil damit die verschiedenen Identitäten von Menschen einfach unter dem Begriff Frauen subsummiert werden. Aber wie kommt es, dass in einer Zeit des Sozialabbaus, des verstärkten Drucks auf Frauen in Haushalt und Beruf gerade die Frage nach Frauensolidarität so absurd erscheint?
Der unsichtbare kapitalistische Rahmen

Auffällig ist, wie wenig sich der Postfeminismus mit ökonomischen Verhältnissen befasst. Vielmehr steht im Vordergrund, kulturelle Codes zu knacken, das eigene Rollenverhalten zu ändern und den individuellen Weg zu finden, um im Patriarchat zu überleben. Das klingt nicht nach Kapitalismuskritik, die die Verhältnisse als ganzes und damit eben nicht nur in Bezug auf kulturelle Spielarten von Geschlecht betrachtet. Es beschreibt vielmehr einen Weg um innerhalb der bestehenden kapitalistischen Ordnung eben noch den grösstmöglichen persönlichen Vorteil herauszuschlagen.
Es ist beunruhigend, wie viel die Ideale des Postfeminismus mit denen der neoliberalen Ideologie gemeinsam haben. In der neoliberalen Ideologie spielt Eigenverantwortung eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang mit dem Abbau der sozialen Sicherungssysteme wird argumentiert, dass alle Menschen eigenverantwortlich am besten ihr Leben organisieren könnten und deshalb die Gemeinschaft beziehungsweise der Staat nicht mehr eingreifen müsse. Dabei geht es eigentlich darum Kosten zu sparen und weniger Geld für die Versorgung der Menschen auszugeben. Damit das aber nicht so unpopulär klingt, wird betont, dass es so besser funktioniert, weil es angeblich in der Natur des Menschen liegt, sich für seinen eigenen Vorteil einzusetzen (vergleiche von Hayek 1971, S.58ff).
Es wird die Vorstellung vermittelt, alle Menschen könnten ihren Erfolg in Beruf und Lebensalltag selbständig beeinflussen. Das ist zwar in gewissem Maße möglich, doch die Ausgangspositionen von Menschen, das Milieu in dem sie aufwachsen, welche Bildung sie erhalten, in welchem Teil der Welt sie geboren sind, welche Hautfarbe und welches Geschlecht sie haben, wie ihre Körper beschaffen sind, sind Faktoren, die massgeblich bestimmend für den Erfolg oder Misserfolg von Menschen im kapitalistischen System sind. Vor allem Frauen «sollen sich neu erfinden und werden permanent dazu aufgefordert, flexibler zu werden und sich den neuen Gegebenheiten anzupassen» (McRobbie 2010, S.173). Dies bezieht sich laut der Soziologin und Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie vor allem auf den Arbeitsmarkt und die Selbstdarstellung.

Eigenverantwortung und Selbstmanagement

Ein populäres Bild, in dem Frauen in unserer Zeit dargestellt werden, ist das der berufstätigen und gut ausgebildeten jungen Frau. Sie tritt als unabhängige, erfolgreiche und kaufkräftige Teilnehmerin im neoliberalen Wettbewerb in Erscheinung. Sie feiert ihren Erfolg als individuellen Erfolg, den sie im Gegensatz zu anderen Frauen vorgeblich durch eigene Anstrengungen verdient hat und ist selbstverantwortlich für ihr Leben. Benachteiligung von Frauen wird so zum Einzelphänomen und zur individuell zu bewältigenden Niederlage. Um ihre Versagensängste in den Griff zu bekommen, wird jungen Frauen vermittelt, dass sie mittels Techniken des Selbstmanagements wie Tagebüchern, Fitness und einer durchdachten Lebensplanung Einfluss nehmen könnten auf ihren Erfolg. Wenn dies nicht gelingt, so kann die Frau keine Ansprüche an die Gesellschaft stellen, sondern sich nur selbst die Schuld für ihr schlechtes Selbstmanagement geben. Die Wahlfreiheit und Selbstständigkeit, die Frauen angepriesen wird, entpuppt sich als schwer zu bewältigende Last, ohne soziale Sicherungssysteme das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Dieses Konzept der Selbstverwirklichung ignoriert die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Frauen weiterhin ökonomischen Zwängen und hegemonial männlichen Hierarchien ausgesetzt sind, auf die sie als Einzelpersonen wenig oder keinen Einfluss haben. In der zweiten Frauenbewegung bedeutete Emanzipation, sich frei zu machen von der Abhängigkeit von Männern, solidarische Beziehungen zwischen Frauen zu knüpfen und eine antikapitalistische Position zu vertreten. Im Postfeminismus bedeutet Emanzipation – passend zur neoliberalen Ideologie – im kapitalistischen Sinne individuell erfolgreich zu sein und vermeintlich über den Ungerechtigkeiten zu stehen. Die Kritik an einer ökonomischen Benachteiligung von Frauen insgesamt steht zurück hinter dem Anspruch, auf eigene Faust Karriere zu machen und möglichst noch ohne Klagen Haushalt und Kinder zu bewältigen. Im Postfeminismus, der zur Änderung
der Produktionsverhältnisse und der Verteilung der Reproduktionsarbeit lediglich ein verändertes Rollenverhalten vorschlägt, werden Verteilungsfragen reprivatisiert. Reproduktionsarbeit, die stillschweigend den Frauen überantwortet wird, wird nur insofern thematisiert, als dass ihnen Strategien angeboten werden, mit ihrer Überlastung fertig zu werden. Politisch ist das Private hier nicht mehr.

Judith Butler und die Befreiung von der Identität Frau

Die Vereinzelung von Frauen findet sich nicht nur im postfeministischen Alltag sondern auch in der poststrukturalistischen Theorie der Philosophin Judith Butler.

In ihrem Aufsatz «Performative Akte und Geschlechterkonstruktion» formulierte sie, dass die Bezeichnung «Wir Frauen» nicht mehr haltbar sei (Butler in Wirth 2002, S.308). Die Bezeichnung «Frau» beschreibt Butler zufolge nur unzureichend die Identität eines Menschen und sie fordert eine stärkere Differenzierung zwischen Identitäten. Eine Politik zur Befreiung der Frauen bezeichnete sie als «nutzlos» und die «Kategorie Frau» sei ihrer Meinung nach nicht repräsentativ für die kulturelle Erfahrung aller Frauen. Für sie sind Frauen eine Kategorie, die so konstruiert ist, dass «Frausein per definitionem bedeutet, sich in einer Situation der Unterdrückung zu befinden». Ihre Argumentation läuft also auf eine Abschaffung des Begriffes «Frau» hinaus. Dass nicht alle Frauen die gleichen Erfahrungen gemacht haben und auch nicht die gleichen Vorraussetzungen haben, wurde bereits in der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre in der BRD diskutiert (vergleiche Sommerbauer 2003, S.78f). Dabei ging es jedoch nicht um die Identität von Frauen, sondern um ihre gesellschaftliche Stellung.
Judith Butler brachte die Diskussion um Identität von Frauen auf und vollzog damit eine Verschiebung des Diskussionsgegenstandes. Identität bekommt bei Butler deswegen einen so hohen Stellenwert, weil sie davon ausgeht, dass mittels Repräsentation in der Gesellschaft Einfluss genommen werden kann. Sie beschäftigt sich also mit der symbolischen Präsenz verschiedener Identitäten in der Gesellschaft und nicht mit ökonomischen Verhältnissen und ihren Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis.

Die Gestaltung der eigenen Identität erscheint so als kulturelles Mittel um die Geschlechterhierarchien aufzulösen, jedoch ohne Bezug zum kapitalistischen System, in dem wir uns befinden. Es überrascht nicht, dass in einer Phase der gesellschaftlichen Umstrukturierung mit dem Ziel, Ausbeutung flexibler zu gestalten, auch die Forderung nach flexibleren Identitäten aufgenommen wird. Menschen, die flexible Identitäten zu ihrem persönlichen Ideal erheben, haben die besten Voraussetzungen, in dieser Gesellschaft ein erfolgreiches Individuum auf dem Arbeitsmarkt und
im Privatleben zu sein, bei dem sie sich auf staatliche Unterstützung und ökonomische Sicherheit nicht mehr verlassen können.
Frauenbünde ahoi!

Die Betonung von differenten Identitäten aller Menschen und die Nicht-Benennung kollektiver ökonomischer Benachteiligung von Frauen erschwert einen solidarischen Zusammenschluss von Frauen, der in der patriarchalen Gesellschaft historisch bedingt sowieso schwierig ist. Die poststrukturalistische Theorie Butlers greift mit ihrer Forderung nach pluralen Identitäten und ihrer Kritik am angeblich zu undifferenzierten Begriff «Frauen» feministische Frauenbünde an, die erst vor nicht allzu langer Zeit gebildet wurden. Es braucht also wieder einen Feminismus von Frauenbünden, die sich nicht durch die Unterschiedlichkeit ihrer Identitäten und auch nicht von den Verheissungen von eigenverantwortlichem Erfolg spalten lassen, sondern deren erklärtes Ziel es ist, die gemeinsame ökonomische Benachteiligung zu bekämpfen und sich in diesem Kampf solidarisch zu stützen.

Quellen:

– McRobbie, Angela: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden 2010

– Hayek, Friedrich A.: Der Weg zur Knechtschaft. München 1971

– Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstruktion. Phänomenologie und feministische Theorie.

– Uwe: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M. 2002

– Sommerbauer, Jutta: Differenzen zwischen Frauen. Münster 2003

Studierendendemo der Uni Zürich und der Fachhochschulen – Montag, 4. März. 16:00

Offensichtlich beginnen sich die Studierenden der Universität Zürich und der Fachhochschulen gegen die geplanten Studiengebührenerhöhungen sowie weitere Verschlechterungen zu wehren. In undemokratischer Manier versucht die SP-Regierungsrätin Aeppli einmal mehr die bürgerlichen Interessen eines neoliberalen Hochschulumbaus durchzusetzen.

Folgend zwei unterschiedliche Demo- bzw. Kundgebungsaufrufe der Studierenden.

Aufruf1:

Aufruf2:

Montagskundgebung gegen die geplante Studiengebührenerhöhung!
Unsereuni – We Are Back!

Die SP-Regierungsrätin Regina Aeppli hat den VertreterInnen der Studierendenorganisationen des Kantons ZH am Montag mitgeteilt, dass für die Studierenden der Universität Zürich die Gebühren um mindestens 160 CHFr steigen sollen. Zudem habe der Regierungsrat eine Erhöhung der Gebühren an den Fachhochschulen auf 720 CHFr. pro Semester entschieden. Medizinstudierende müssen in ihrem Praxisjahr neu die vollen Studiengebühren bezahlen. Parallel dazu werden die Masterstudiengänge umgebaut: Immer weniger sind sie Teil des Regelabschlusses, sondern zugängliche Abschlüsse für die, die sich so was leisten können.
Unsereuni hatte 09/10 auf der ganzen Linie Recht!

Für besonders stossend erachten wir die Frechheit, mit welcher die Regierungsrätin Aeppli die Studierenden der Uni und Fachhochschulen versucht für dumm zu verkaufen, um so einen erfolgreichen Studierenden-Protest wie 2009 zu verhindern. Dem Studierendenrat der Uni Zürich versucht sie glaubhaft zu machen, die Erhöhung der Studiengebühren an der Uni sei zum Einen ein kleineres Übel, sie wolle damit der Forderung nach grösseren Erhöhungen der anderen Parteien entgegenwirken. Zum anderen begründet sie diese Erhöhung dennoch als simplen Teuerungsausgleich. Den VertreterInnen der Fachhochschulen hingegen kommuniziert sie, die Anhebung erfolge aus Gerechtigkeitsüberlegungen.

Offensichtlich fehlen dem Regierungsrat eigentliche Argumente. Und das überrascht auch nicht. Schon 2009 konnten die Studierenden der Uni Zürich die Gebührenerhöhungen durch eine Besetzung verhindern. Dies zeigt, dass Sparmassnahmen und Gebührenerhöhungen politische Entscheidungen sind, die schlicht davon abhängen, ob die Studierenden sich organisieren und zur Wehr setzen können. Wir setzen uns zur Wehr und werden Hand in Hand, Seite an Seite mit den Studierenden der Fachhochschulen für unsere Rechte kämpfen!

Kundgebung: Mo. 16:00, Haupteingang.
Vollversammlung: Do. 18:00, OASE (KO2-G-289).

Quellen: