Hineingewachsen in die PdA

03_BantleRuedi Bantle feierte seinen Neunzigsten. Im Gespräch mit dem «vorwärts» erzählt er zusammen mit seiner Frau Erika von seiner Zeit in der Freien Jugend, vom Antikommunismus und seinen Erfahrungen als Parteisekretär der PdA Basel.

Wie hast du die Partei der Arbeit (PdA) kennengelernt?

Ich habe sie nicht kennengelernt, sondern ich bin hineingewachsen in die Partei. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, mein Vater war Briefträger. Es daher war normal, dass man sich zur Arbeiterbewegung zählte. Man kann nicht sagen, ich habe die PdA gewählt. Es hat für mich nichts anderes gegeben. Dazu gehörte noch, dass man nicht in den Religionsunterricht ging. Der Papa hat gesagt: Du gehst nicht in den Religionsunterricht. Und das war’s. Es gab keine Diskussion. Meine Eltern haben mich stattdessen in den Arbeiterkinderverband geschickt, das war eine Gruppierung von Kindern aus dem kommunistischen Kreis. In der Organisation waren wir 30 bis 40 Kinder, die einmal im Jahr die zentrale Aufgabe hatten, ein Ferienlager zu organisieren. Das hat mich sehr geprägt, weil das politisch war.

Danach ist man in die Freie Jugend [die Jugendorganisation der PdA] gekommen. So hat es sich ergeben. Wobei, es hat eine Rolle gespielt, dass ich in der Kriegszeit in der Pubertät war: Es war romantisch, wenn man Plakate geklebt, die Wände vollgeschmiert hat oder eine illegale Zeitung in einen Briefkasten steckte. So war dieses Milieu.

Es war dann selbstverständlich, dass man von der Freien Jugend aus den Schritt in die Partei gemacht hat.

Hast du die KPS, die im Zweiten Weltkrieg verboten wurde, noch erlebt?

1941 war ich fünfzehn. Am Sonntagmorgen ist jeweils ein Mann gekommen und hat vom Papa Beiträge eingezogen für die KommunistInnen, so habe ich sie gekannt. Meine Eltern waren in einem Arbeitergesangsverein, von dort hat man die Leute gekannt. Mein Vater hat sich als Bundesangestellter zurückgehalten, als die KP verboten wurde. Im Arbeiterkinderverband sind wir dann illegal zusammengekommen, später in der Freien Jugend. Dort hat man den KommunistInnen geholfen: Ich hatte eine Tour, bei der ich den Leuten illegale Zeitungen brachte, über die Post ging das nicht.

Was habt ihr gemacht in der Freien Jugend?

Wir waren im Jugendparlament eine Fraktion. Wir haben politische Forderungen gestellt: Für einen besseren Lehrlingsschutz. Das haben wir in Basel mit anderen Gruppen, mit KatholikInnen und jungen Liberalen gemacht. Wir haben eine Kampagne geführt für die Verkürzung der Rekrutenschule. Wir führten eine Kampagne gegen die Anwerbung von jungen Leuten in die Fremdenlegion. Wir hatten eine Zeitung. Was in der Jugendorganisation auch eine Rolle spielte, war die internationale Verbundenheit mit dem Weltbund der demokratischen Jugend, die in Prag, Warschau und Berlin Festivals abhielt. Das war die Ambiance, in der sich die Freie Jugend bewegte. Die Freie Jugend war aber nicht nur eine rein politische Organisation. Übers Wochenende ist man Wandern gegangen, im Sommer hat man gebadet. Man war eine Gemeinschaft mit einer sozialistischen Zielsetzung.

Was ist mit der Freien Jugend passiert, wann hat sie sich aufgelöst?

Ich war zwei Jahre Sekretär der Freien Jugend der Schweiz, von 1954 bis 1956. 1956 bin ich krank geworden, deshalb haben wir die Geschäftsstelle in Basel aufgegeben. Die JugendgenossInnen haben die Geschäftsstelle nach Lausanne verlegt. Ab dann habe ich nichts mehr von ihr gehört. Es gab auch keine Aktivitäten mehr. Sie ist einfach eingeschlafen.

Was hast du beruflich gemacht?

Ich habe Mechaniker gelernt und 25 Jahre in diesem Beruf gearbeitet. In den verschiedensten Stellen. Im Jahr 1962 wurde ich angefragt, ob ich an die Schule in Moskau gehen würde. Die kommunistische Weltbewegung hatte eine internationale Schule aufgebaut, an welche die Länder junge GenossInnen schicken konnten, um zu studieren. Die Partei hat mich angefragt. Ich sagte aber, ich würde nur gehen, wenn Erika mitgehen kann. Wir waren dann drei Jahre in Moskau. Wir hatten ein Stipendium, das hat gereicht fürs Essen und Schlafen. Wir waren sehr zufrieden.

Erika Bantle: Interessant war vor allem die Internationalität. Aus jedem Land hatte es ein paar Leute. Wir waren auch dort nicht mehr die jüngsten, aber es hatte viele ältere GenossInnen aus Österreich, Deutschland, Frankreich; Leute, die aus den Kriegsjahren gekommen sind.

Was habt ihr mit dieser Ausbildung gemacht?

Ruedi Bantle: Der Sinn und Zweck der Schule war, Kader zu schaffen und dass diese danach mithelfen bei der Kaderausbildung in der Landespartei. Als wir zurückgekommen sind, wurde ich in die Leitung gewählt und habe mitgeholfen, die Politik der PdA zu entwickeln in Basel. Die Funktionen haben sich ergeben. Dass ich Parteisekretär geworden bin sieben Jahre später, war nicht mein Wille, ich wurde gefragt. Ich wurde Parteisekretär der Region Basel, und zwar für 14 Jahre. Das war eine gute Zeit. Man denke: 1970 hatte die Partei noch neun Mitglieder im Grossen Rat. Ich war zwölf Jahre im Grossen Rat. Wir machten etliche Initiativen vom Stimmrechtsalter über Wohnungsnot, Innerstadtparking, Polyklinik, Krankenkasse… Es ist ganz gut gelaufen.

Erika Bantle: Das war aber auch die grösste Zeit des Antikommunismus. Damals ist der Antikommunismus anders gelaufen als heute. Es war ein anderer Antikommunismus in den 70er und 80er Jahren.

Wie habt ihr den Antikommunismus erlebt?

Ruedi Bantle: Das war sehr individuell. Nach 1956 war es sehr schwierig: Es gab Kündigungen der Wohnung und am Arbeitsplatz. Es gab Leute, die selbstständig waren und Kundschaft verloren. In Zürich war es noch schlimmer, dort wurden sogar Scheiben eingeschlagen. Man wurde diskriminiert. Wir konnten keine Inserate mehr schalten in den Zeitungen für Wahlen oder Abstimmungen. Oder wenn man versuchte, Versammlungslokalitäten zu bekommen, haben die Wirte das abgelehnt, mit einer Ausnahme: Nämlich die Wirtschaft, in der ein Abhörgerät installiert war. Im Laufe der Jahre hat sich das wieder normalisiert. Die Partei konnte wieder inserieren.

1956 wurde übrigens die PdA in Basel fast aufgelöst. Ich kam damals um 4 Uhr morgens nach Hause und schaute zufälligerweise in den Briefkasten. Dort war eine Einladung: «Bitte am Sonntag um 10 Uhr kommen.» Ich bin hingegangen und wusste nicht, was los war. Wir wurden mit Personenwagen nach Neuenburg gebracht, wo wir darüber diskutierten, die PdA in Basel aufzulösen. Wir sind mit hängenden Köpfen heimgefahren, ohne Begeisterung. Zwei Wochen später gab es eine Vorstandssitzung und die Leute haben sich umentschieden. Man hat den Entscheid wieder rückgängig gemacht.

Warum hat man sich überlegt, die PdA Basel aufzulösen?

Die BaslerInnen waren nicht so ideologisch verhaftet wie in Zürich. Es ist eine Frage der Mentalität. In Basel hatte es ein paar leitende Genossen, bewährte Genossen aus den 30er Jahren, die waren der Meinung, dass wir keine Zukunft mehr hätten. Man hat sich nicht aufgelöst, weil man gegen die Sowjetunion wäre. Der Grund war, wie man die Partei und ihre damaligen Möglichkeiten eingeschätzt hat.

1956 hatte der «vorwärts» eine solche Einbusse an AbonnentInnen, dass er als Tageszeitung materiell nicht mehr tragbar war. Deshalb wurde er eine Wochenzeitung. Die Partei beschloss dann, ihn zu stärken. Wir bezogen also für einen Monat sechzig Exemplare und gingen sie jeweils am Freitag verteilen. Beim vierten Mal gingen wir mit dem «vorwärts» unter dem Arm an der Wohnungstüre klingeln und fragten die Leute, ob sie nicht interessiert wären, den «vorwärts» zu abonnieren. Den Kontakt mit den Leuten zu suchen in einer vermeintlich feindlichen Umgebung, das war schon was.

Was sind deine Gedanken zur Spaltung der Partei in Basel?

Dem konnte man nicht ausweichen. Die Probleme haben 1979 angefangen. In Regensdorf fand ein Delegiertenversammlung der PdA Schweiz statt. Es wurde beschlossen, dass man sozialen Bewegungen eine grössere Bedeutung beimisst, dass man sie gleichberechtigt behandelt und in ihnen als Partei nicht die führende Rolle in Anspruch einnimmt, wie das zuvor der Fall war. Die Bewegungen haben sich um die Gleichberechtigung der Frau, Feminismus gruppiert, um das Verhältnis gegenüber den AusländerInnen, um Probleme der jungen Generation an und für sich und die Frage der grünen Bewegung. Wie verhaltet sich die Partei gegenüber diesen Bewegungen, um diesen Fragekreis hat sich 1979 die Spaltung abgezeichnet. Die Spaltung selber ist aber erst zehn Jahre später zum Ausdruck gekommen an einem konkreten Fall: Die Basler Regierung hatte beschlossen, ein Areal, das Schlachthofareal, zu überbauen. Das Areal war noch frei, unbebaut; junge Kulturschaffende haben es besetzt und einen eigenen Betrieb aufgezogen, was die Regierung vorerst duldete. Gleichzeitig ist von diesen jüngeren Leuten – es waren StudentInnen, Kulturschaffende, keine ArbeiterInnen – eine Initiative lanciert worden, dass ein Teil des Areal nicht überbaut werden darf und an dieser Stelle ein Volkspark entwickelt werden sollte. Ein Teil der PdA-Mitglieder war nicht einverstanden, dass die Partei der Arbeit dabei mitmacht, und hat die Nein-Parole beschlossen. Es gab DissidentInnen, 24 Leute, die mit diesem Entscheid nicht einverstanden waren. Und so kam es zur Spaltung: Die «PdA 44» und die Neugründung von 1989. Innerhalb von einem Jahr war die Trennung vollzogen.

Warst du zu dieser Zeit noch Sekretär in Basel?

Nein, damals nicht mehr.

Was hast du zu dieser Zeit gemacht?

Wir sind mehrere Male in Kuba gewesen, in einer Aufbaubrigade, und 1987 während einem halben Jahr in Nicaragua. Die Unterstützung der internationalen Bewegung war für uns immer wichtig. Wir haben ein halbes Jahr mit zwei weiteren Schweizern dort zwanzig Unterkünfte gebaut für die nicaraguanische Bevölkerung in einer abgelegenen Gegend. Wir hatten kein Wasser und die Verpflegung war sehr dürftig. Aber es war für uns beide sehr positiv.

Wir haben auch über Jahre eine Bildersammlung angelegt und viermal eine Verkaufsausstellung sowie eine Auktion gemacht. Vom Ertrag daraus ist etliches an «vorwärts» gegangen. Man darf auch nicht vergessen, dass Erika während 15 Jahren nach der Pensionierung regelmässig einen Flohmarkt betrieben hat, aus dem in Teil des Ertrags an den «vorwärts» gegangen ist. Dass wir Antiquitäten gesammelt haben, das hat sich aus unserer Neigung ergeben. Das haben wir aber auch kommerziell ausgenutzt, indem wir regelmässig für den «vorwärts» Flohmärkte gemacht haben. Für uns ist die Kultur, die Teilnahme am Kulturleben genauso von Bedeutung wie die politische Arbeit. Es gibt keine Trennung zwischen der politischen Arbeit und den vorhandenen Neigungen, das eine bedingt das andere. Man kann nicht Kommunist sein und sich nicht für Kultur interessieren. Wir sind keine strenge politische Familie, die nur für die Partei der Arbeit gelebt hat. Man muss essen und schlafen und, wenn man kann, kulturell interessiert sein

Vor Kurzem habt ihr die Sektion der PdA in Basel, die «neue PdA», aufgelöst.

Das kam so: Wir waren ein Grüppchen von 18 Leuten und 90 Prozent davon waren über 60. Wir konnten nicht mehr. Wir wollten auch die Freiheit, die man im Alter hat, ausnutzen. Dann haben wir uns vor einem Jahr aufgelöst.

Aus dem vorwärts vom 1. Juli 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

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