Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Anne Polikeit

Redaktion. Die Öffnung der Grenzen durch die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik am 9.November 1989 bedeutete für die Kommunist*innen in Deutschland einen Verlust. Anne Polikeit lebte damals mit ihrer Familie in Wuppertal in der BRD, heute ist sie Mitglied der PdA Bern und Dozentin an der Haute Ecole Arc.

Wie erlebten Sie die Trennung Deutschlands vor dem Ende der DDR?
Ich habe immer mit der Mauer gelebt, sie war etwas Natürliches für mich. Ich betrachtete DDR und BRD als zwei verschiedene Staaten. Wir wohnten in der BRD, weil mein Vater dort leben wollte, wo er aufgewachsen war. Da wir Verwandte in der DDR hatten, überquerten wir in den Ferien manchmal die Grenze. Das war für uns Deutsche aus der BRD leichter als für unsere Verwandten.

Rief die politische Orientierung Ihrer Familie in der BRD Kritik hervor?
Kommunist*innen waren in BRD nicht gerne gesehen, das ist richtig. Als ich klein war, nahmen mich meine Eltern oft an sozialistische Aktivitäten mit. Ich erinnere mich, dass die Leute zu uns sagten: «Geht doch nach drüben!» Erst recht weil mein Vater als Journalist für die DKP arbeitete. Bestimmte Berufe im Öffentlichen Dienst wie Lehrer*in oder Postbot*in waren für Kommunist*innen mit Berufsverbot belegt.

Wann wurden Sie Parteiaktivistin?
Mit 14 schrieb ich mich bei der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) ein, einer Organisation, die es heute noch gibt. Mein Bruder war dort bereits aktiv und die ganze Familie politisch engagiert. Im Sozialismus sagen wir, «wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.»

Wie erlebten Sie das Ende der DDR?
Dieses Ereignis fiel nicht vom Himmel. Angesichts der Krise waren wir uns bewusst, dass sich etwas verändern musste; das war unausweichlich. Aber wir hätten eine andere Lösung bevorzugt als den Verzicht auf die sozialistische Macht. Wir erlebten das als eine Niederlage. Eine Schlacht ging verloren. Mein Vater wurde arbeitslos und meine Mutter, die für sozialistische Organisationen gearbeitet hatte, musste eine andere Arbeit finden.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation in Deutschland heute?
Die Situation wurde für die Leute in ganz Deutschland schwieriger und die Gesellschaft individualistischer. Wer in der DDR gelebt hatte, verlor eine gewisse soziale Sicherheit; die Arbeitslosigkeit ist gross und die Jungen gehen daher woanders hin. Es gibt immer noch einen Unterschied zwischen Ost und West. Die Arbeitszeit zum Beispiel ist im Osten höher.

Welche Lösung empfehlen Sie?
Heute sieht man eine Art Niveauangleichung nach unten. Für umfassende Sozialleistungen braucht es ein sozialistisches System. Sozialistische Länder haben in der Vergangenheit Fehler gemacht und manchmal sogar Verbrechen begangen. Sie zeigten aber zumindestens, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt.
Sie nennen sich Kommunistin, obwohl Sie sich in einer privilegierten beruflichen Situation befinden.
Meine Situation, die nicht absolut sicher ist, hindert mich nicht zu sehen, was in der Welt vorgeht. Mein Bruder ist arbeitslos und ich selbst durchlebte schwierige Zeiten. Bertolt Brechts Gedicht «An die Nachgeborenen» drückt meine Gedanken gut aus: «Ich verdiene noch meinen Unterhalt. Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen. Zufällig bin ich verschont.» Geld allein bestimmt nicht meine Lebensqualität, und wenn ich in einem sozialistischen Land mit weniger Komfort auskommen müsste, würde mich das nicht stören. Ich würde anderes gewinnen.

Quelle: L’Express, L’Impartial. Übersetzung: dab

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