Im migrationspolitischen Abseits

Lea Fäh. Der UNO-Migrationspakt steckt in der Schweiz in einer politischen Endlosschleife. Seit 2018 verweigert das Parlament die Zustimmung. Die Schweiz steht weitab, während die Staatengemeinschaft erstmals politische Massnahmen im Interesse von Klimavertriebenen bestimmt.

Die Agenda für den lang ersehnten Einsitz im UNO-Sicherheitsrat ab Januar 2023 hat sich der Bundesrat schon gesetzt. Einer der vier Schwerpunkte ist die Klimasicherheit. Die klimabedingte Migration nimmt weltweit zu. «Der Klimawandel kann bestehende Stressfaktoren verschärfen und Menschen vertreiben», schreibt der Bundesrat in seiner Medienmitteilung dazu. Den Klimarisiken am stärksten ausgesetzt seien gerade die verletzlichsten Bevölkerungsschichten. Hier könne die Schweiz helfen, denn sie verfüge über viel Expertise für das Abfedern der klimabedingten Risiken, so der Bundesrat zu seinen Ambitionen weiter. Gleichzeitig hat die Schweiz als fast einziges Land nicht einmal den UNO-Migrationspakt unterzeichnet.

Ungelöste globale Herausforderung
«Wir hatten gehofft, dass die Zustimmung zum Pakt endlich diese Wintersession im Parlament traktandiert wird», sagt Patrik Berlinger, Experte für Entwicklungspolitik bei der NGO Helvetas, auf Anfrage des vorwärts. Doch nun ist klar: Das Geschäft wird erneut auf die lange Bank geschoben. Helvetas hatte im Oktober in einem öffentlichen Appell noch einmal auf die Dringlichkeit des Geschäfts aufmerksam gemacht, insbesondere weil die Schweiz bald im UNO-Sicherheitsrat sitzt.
In Europa stossen derzeit viele Schutzprogramme für Flüchtlinge an ihre Grenzen. 7,7 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge sind es laut Schätzung des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). Aber auch schon davor, Ende 2021, lag die Zahl Vertriebener unter UNHCR-Mandat bei 89 Millionen. Die mandatierte internationale Organisation für Flüchtlingsschutz stützt sich bei ihrer Arbeit auf den Globalen Pakt für Flüchtlinge. In diesem Jahr fehlen ihr rund 1,15 Milliarden US-Dollar, vor allem für Flüchtlinge im Globalen Süden. Da der Pakt rechtlich nicht bindend ist, ist sie auf freiwillige Beitra?ge angewiesen. Die Lücke zwischen benötigten und effektiv vorhandenen Mitteln klafft immer weiter auf.

Heisses Eisen
Das International Displacement Monitoring Centre zählte Ende 2021 sechs Millionen intern Vertriebene als Folge von Umweltkatastrophen, die jüngsten Betroffenen in Pakistan und in Westafrika nicht mitgerechnet. Die Platform on Disaster Displacement forderte deshalb die internationale Gemeinschaft dazu auf, gemeinsam dringend notwendige Massnahmen zu beschliessen. Die Widerstandsfähigkeit vor Ort müsse gestärkt werden und es brauche grenzüberschreitende Migrationsmöglichkeiten und Umsiedlungen aus gefährdeten Zonen.
«Die Klimaflucht ist in der internationalen Politik ein heisses Eisen», sagt Berlinger. Bisher wollte man sich dem Thema nicht so recht annehmen. Im Globalen Pakt für Flüchtlinge heisst es dazu: «Umweltzerstörung und Naturkatastrophen sind für sich selbst genommen keine Ursachen für Fluchtbewegungen.» Folglich gelten Klimavertriebene nicht als Flüchtlinge und werden nicht vom Schutz des Pakts erfasst, erklärt Berlinger.

Neuer Anlauf
Blicken wir kurz zurück. In einem erneuten Effort beschliessen die UNO-Mitgliedsstaaten im September 2016, dass es ein stärkeres Übereinkommen braucht. Nach einem zweijährigen Diskussionsprozess liegt das Ergebnis vor: Der Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration, kurz Migrationspakt genannt.
Mit diesem Pakt soll sich die Zusammenarbeit weltweit verbessern, man will international und regional neue Kooperationsrahmen und Partnerschaften schaffen. Weniger entwickelte Länder mit geringen finanziellen Mitteln sollen nicht mehr allein gelassen werden. Strukturelle Faktoren, die Menschen dazu zwingen, ihre Herkunftsländer zu verlassen, will man gemeinsam bekämpfen. «Herkunfts-, Transit- und Zielländer von Migration erhalten eine Plattform, um sich zu koordinieren und klare Rahmenbedingungen für Menschen zu schaffen, die gezwungen sind, zu migrieren», sagt Berlinger. Sie sollen sichere Wege für eine reguläre Migration in regionalen Wirtschaftsräumen erhalten. Menschenwürdige Transit-, Arbeits- und Integrationsbedingungen sollen festgelegt und Status- und Rückkehrfragen geregelt werden. Insbesondere wird im Pakt anerkannt, dass Naturkatastrophen und andere nachteilige Auswirkungen des Klimawandels durchaus Migrationstreiber sind und es Anpassungsstrategien zu dessen Minimierung braucht. Auch wenn dabei noch in erster Linie auf die Verantwortung der Herkunftsländer verwiesen wird. Beschlossen wurden immerhin Investitionen in Programme vor Ort zum Aufbau von Resilienz und Katastrophenvorsorge sowie zur Bekämpfung der Klimawandelfolgen.
Im Dezember 2018 wurde der Migrationspakt von der UNO-Generalversammlung mit 152 gegen fünf Stimmen angenommen. Die Schweiz enthielt sich der Stimme. Denn das Parlament hatte dem Bundesrat im Vorfeld der Abstimmung klar gemacht, dass eine Zustimmung zum Migrationspakt ohne grünes Licht beider Räte nicht in Frage käme.

Blockade der Rechten
Rechtsbürgerliche Kreise im Parlament schürten Ängste, beschwörten ihr Schreckensszenario einer unkontrollierten Migration in die Schweiz herauf. Dabei schliesst der Migrationspakt mit seinen 23 Zielen ein Recht auf Einwanderung ausdrücklich aus.
Konservative Kräfte machten daraus eine Demokratiefrage. Der Bundesrat hätte die gewählten Volksvertreter*innen übergehen wollen. Sie verlangten, dass ihnen der Pakt formell zur Zustimmung vorgelegt wird. Im Februar 2021 machte der Bundesrat dies auch – und scheiterte erneut. Die Räte wollten erst den Bericht einer Subkommission Soft Law abwarten. Diese hatten sie im Januar 2020 eingesetzt, um zu prüfen, «wie die parlamentarischen Mitwirkungsrechte in diesem Bereich gestärkt werden könnten».

Nichts mehr zu melden
Auf den Bericht der Subkommission Soft Law wartet das Parlament bis heute. Obwohl dieser im 2022 hätte präsentiert werden sollen. Das Geschäft wurde seitdem im Parlament sistiert. An der ersten Ausführung an einem eigens für den Pakt eingerichteten International Migration Review Forum (IMRF) im Mai dieses Jahres konnte sich die Schweiz deshalb nicht beteiligen. An den IMRF beschliesst die Staatengemeinschaft nächste Massnahmen und treibt dessen Umsetzung voran. «Die Länder bringen konkrete Beispiele ein und zusammen entwickelt man Best Practices», erklärt Berlinger.
«Die Schweiz war bei der Ausarbeitung des Pakts involviert und hatte sich positiv eingebracht», sagt Berlinger. «Dass sie nun abseitssteht, ist deshalb umso bedauernswerter», fügt er an. Und mit Blick in die Zukunft. «Durch das Abseitsstehen ist die Schweiz, die ab Januar für zwei Jahre an den Sitzungen des UNO-Sicherheitsrats teilnimmt, bei Diskussionen, die Migration betreffen, leider wenig glaubwürdig», stellt er fest.

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