Keine Schock-Doktrin für Haiti

In den Nachrichtenbeiträgen zu Haiti wimmelt es von Geschichten über Plünderungen. Weniger gerne wird über einen viel grösseren Raubzug gesprochen, der erst noch kommen wird.

In Naomi Kleins Buch «Die Schock-Doktrin» zeigt sie das Aufkommen eines «Katastrophenkapitalismus» auf. Sie beschreibt, wie im Verlauf der letzten vierzig Jahre, der Internationale Währungsfonds (IWF), das Pentagon und verschiedene Grosskonzerne zusehends Katastrophen genutzt (oder gar selbst geschaffen haben), um unpopuläre neoliberale Wirtschaftsprogramme durchzudrücken und verletzbare Volkswirtschaften ihres Kapitals zu berauben.

Ich hatte das Buch von Klein gerade durch, als das Ausmass des Erbebens in Haiti allmählich klar wurde. Was ich angesichts der Situation in Haiti befürchte, liegt auf der Hand. Deshalb tat ich, was jedeR junge Linke in Zeiten von Krisen tut: Ich richtete eine Facebook-Gruppe ein: «No Shock Doctrine for Haiti».

neoliberale Geier

Wie sich herausstellte, waren die Geier bereits am kreisen. Beinahe umittelbar schloss sich ein Bekannter der Gruppe an und schaltete einen Link zur Heritage Foundation auf. Die Heritage Foundation ist ein sehr einflussreicher konservativer amerikanischer Think-Tank. Sie argumentiert für genau den Ansatz, den Naomi Klein in ihrem Buch beschreibt. Das Dokument wurde in der Zwischenzeit «überraschenderweise» vom Internet entfernt.

Noch schlimmer: Gemäss der linksliberalen amerikanischen Zeitschrift «The Nation» war uns der IWF bereits weit voraus. Während ich die Gruppe aufschaltete, waren sie bereits dabei, mit der haitianischen Regierung zu feilschen. Sie einigten sich auf ein Notkredit in der Höhe von 100 Millionen US-Dollar. Aber als Gegenleistung dazu zwangen sie, allegedly, die haitianische Regierung dazu, die Löhne im öffentlichen Sektor einzufrieren und die Treibstoffpreise zu erhöhen.

Das ist das Standardvorgehen des IWF. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber Klein liefert in ihrem Buch verschiedene Beispiele dafür, wie Katastrophen oder grosse Schocks durch den Währungsfonds und andere instrumentalisiert wurden, um unpopuläre, radikal Unternehmerfreundliche Programme durchzuzwingen, welche letztendlich zu grosser Ungleichheit führen. Ihre Fallstudien reichen von Russland über Chile, bis hin zu Südafrika.

Die Schuldenproblematik ist im Zusammenhang mit Haiti ebenfalls vertraut. «Jubilee USA» haben aufgezeigt, wie die Reparationsforderungen Frankreichs für die verlorene Arbeit der befreiten Sklaven in Haiti das Land in massive Schulden zwang, von denen es sich nie wieder erholte.

Einmal davon abgesehen, korrupte Diktatoren für Dekaden an der Macht zu belassen: Als die Menschen in Haiti Präsidenten wählten, die versprachen, auch wirklich etwas gegen die Armut zu tun, haben wir zwei Putsche gegen ihn entweder unterstützt oder zugelassen.

Die USA machte sich ebenfalls für Privatisierungen stark, wovon letztendlich ihre Konzerne smehr profitierne, als die Armen in Haiti. Gemäss Haiti Progrès unterzeichnete die USA beispielsweise 1996 einen Vertrag über 800 000 US-Dollar mit einer kanadischen PR-Firma, damit diese auf Haiti die Werbetrommel für Privatisierungen rührte.

Politisch Unvermeidbar?

Der ökonomische Guru der Neoliberalen, Milton Friedman, erklärte seinen Studierenden, wie ihre neoliberalen Ansätze die Welt erobern: «Nur eine Krise – egal, ob real oder eingebildet – kann echten Wandel hervorbringen. Wenn eine Krise eintrifft, hängt es von den bestehenden Ideen ab, welche Handlungen ergriffen werden. Das – so glaube ich – ist unsere Hauptfunktion: Alternativen zu bestehender Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu erhalten, bis zum Zeitpunkt, an dem das politisch Unmögliche zum politisch Unvermeidbaren wird.»

Die Armut, die dazu führte, dass das Erdbeben derart verheerende Folgen hatte, war kein Unfall. Sie ist das Resultat von zwei Jahrhunderten der Unterdrückung der ersten schwarzen Republik weltweit. Sie ist das Resultat einer aufgezwungenen neoliberalen Politik, die verhinderte, dass sich Haiti auf die einzig gangbare Art und Weise entwickeln konnte: durch Investitionen in Infrastruktur und die Menschen. Friedmans Ideen sind bei den Wohlhabenden derart beliebt, weil sie immer nur etwas tatsächlich erreichten: sie noch reicher zu machen.

Wenn ihr etwas tun möchtet, könnt ihr ActionAid spenden. Die Schock-Doktrin funktioniert, indem sie Reformen durchdrückt, während die Leute abgelenkt und leidend sind. Deshalb müssen wir für sie wachsam sein und die Freibeuter von ihnen fernhalten, bis sie zusammenkommen und beschliessen können, wie sie ihr Land wiederaufbauen wollen. Im Moment, in dem ich das schreibe, sind bereits über 32 000 Menschen der Facebook-Gruppe beigetreten und helfen so, über die Menschen auf Haiti zu wachen.

Dieser Artikel von Adam Ramsey erschien ursprünglich auf «Left Foot Forward» (www.leftfootforward.org).

Die erwähnte Facebook-Gruppe ist unter: http://www.facebook.com/search/?q=no+shock+doctrine+for+haiti&init=quick#/group.php?gid=292737727221&ref=search&sid=61008159.3912915629..1 zu finden.