Der Sozialismus als Weg aus der Umweltkrise

Der «vorwärts» sprach mit Dr. Ingo Nentwig von der Bildungsgemeinschaft SALZ (Soziales, Arbeit, Leben und Zukunft). Er hat als wissenschaftlicher Beirat von SALZ an der Konferenz teilgenommen.

Herr Dr. Nentwig, schildern Sie uns bitte, worum es an der Konferenz ging?

Auf der Konferenz sollte zunächst einmal der Stand der Diskussion in Deutschland verallgemeinert werden. Auf der Konferenz wurde erwähnt, dass sich die meisten bereits vom 2. bis 4. Mai 1980, auch in Kassel, zur «1. Sozialistischen Konferenz» getroffen hatten. Damals war der Auslöser die Entstehung der grünen Bewegung gewesen und es wurde auch Ökologie und Sozialismus diskutiert. Und man stellte mit einem gewissen Erschrecken fest, dass in diesen dreissig Jahren der Fortschritt gering gewesen ist. Wir haben eine Verbürgerlichung und Integration in den Herrschaftsapparat der Partei «Die Grünen» feststellen müssen und die marxistische, sozialistische Linke hat sich nur begrenzt der Thematik Ökologie angenommen. Wir wollten einmal den Diskussionsstand ermitteln und dann zum zweiten einen neuen Impuls geben aufgrund der objektiven Dringlichkeit dieser Thematik.

Was müssen wir unter dem Begriff «Ökosozialismus» verstehen?

Was wir da definitiv nicht darunter verstehen müssen, ist, dass wir es hier mit der Gründung einer neuen Partei zu tun hätten. Nichts liegt uns ferner; aber in der Tat verwenden wir den Begriff Ökosozialismus als etwas Besonderes und für uns liegt der Grund darin, dass wir der Meinung sind, dass die jetzige sich abzeichnende ökologische Krise nicht mehr vereinbar ist mit einer kapitalistischen Lösung. Also kurz, Klimawandel, Erderwärmung und vor allem das Ende des Brennstoffzeitalters werden zu einer radikalen Veränderung der Gesellschaft zwingen, egal was politisch passiert. Und darum ist das so etwas wie eine organische Verbindung dieser beiden Gedanken; der ökologischen und der sozialistischen Bewegung und nicht quasi, dass jetzt die sozialistische Bewegung die Ökologie einfach nur als eines ihrer Themen entdeckt, sondern dass im Kern eine wesenhafte Verbindung zwischen Sozialismus und Ökologie bestehen muss.

Als Sozialisten habt ihr eine langfristige Sicht, gibt es konkrete Sofortforderungen?

Wir haben ja nach der SALZ-Konferenz eine Konferenz von SOAG (Solidarität in Arbeit & Gesellschaft e.V.) abgehalten, deren Aufgabe es war, eine Erklärung zu verabschieden. Das war eine Erklärung, die den Konsens fast aller dort Anwesenden ausdrückte. Damit wollen wir unseren Diskussionsstand kundtun und öffentlich machen und dazu aufrufen, sich an der Diskussion zu beteiligen, was man auf der Seite der SALZ (www.bildungsgemeinschaft-salz.de) tun kann, und in einem Jahr wollen wir uns wiedertreffen zu einer Konferenz, die den Arbeitstitel «Ökologie und Arbeit» trägt. Wir wollen am Rande dieser Konferenz dann den Diskussionsstand, der sich in einem Jahr ergeben hat, wieder in eine verbesserte Erklärung einfliessen lassen. Wir rufen alle Interessierten dazu auf, sich an der Diskussion zu beteiligen; selbstverständlich auch GenossInnen in der Schweiz. Was wir uns ganz konkret politisch vorstellen, ist im besten Fall so etwas wie eine Strömung zu sein, die zur Diskussion beiträgt und die in der Meinungsbildung mitwirkt. Aber wenn man jetzt praktisch denkt, dann haben wir im Moment in Deutschland die Programmdiskussion der Partei «Die Linke» und diese Partei hat einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss. Diese Programmdiskussion ist offen und natürlich möchten wir gern, dass möglichst viele Inhalte aus unserer ökosozialistischen Erklärung Eingang finden in das zukünftige Programm der Linken und damit in der Politik auf Bundesebene und regionaler Ebene in Deutschland stärker beachtet werden.

Eine eurer Parolen lautet «Ökosozialismus oder Barbarei»?

Das klingt erstmal hart. Es gibt kurz zusammengefasst die These von Marx, dass wenn die antagonistischen Widersprüche ihr höchstes Entwicklungsstadium erreicht haben, dass es dann die Menschheit entweder schaffen wird, sich zum Sozialismus durchzuringen, oder in die Barbarei zurücksinken wird. Und wir haben das jetzt nur um diese eine kleine Facette erweitert, nämlich den Ökosozialismus. Wir denken, dass unsere gesamte Industriegesellschaft an einen Wendepunkt ihrer Entwicklung gekommen ist. Das bedeutet nicht, dass wir wieder eine nicht-industrielle Gesellschaft haben wollen, das wäre natürlich Blödsinn. Aber nach unserer Analyse wird es einfach eine Tatsache sein, dass zum Beispiel die brennstoffbezogenen Primärenergien in den nächsten zwanzig, dreissig Jahren so weit zurückgehen werden, dass wir weltweit in Gesellschaften leben werden, die nur noch weniger als die Hälfte des heutigen Energieverbrauchs zur Verfügung haben werden. Das erfordert, dass wir nicht mehr weiter so produzieren können wie jetzt, dass die gesamte Entwicklung im Verkehr völlig umgekehrt werden muss, dass zum Beispiel die Landwirtschaft viel stärker wieder zurück zu einer lokalen werden muss, damit die Versorgung mit Lebensmitteln lokal geregelt werden kann und nicht mehr Lebensmitteln um die ganze Welt mit dem Flugzeug transportiert werden. Das sind sozusagen aus unserer Sicht objektive Gegebenheiten. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist, wenn das zwanghaft kommt; wie wird das sozial ausgetragen? Wird es weiter so sein, dass einige wenige reiche industrialisierte Staaten und Einzelpersonen ihre umweltfeindliche, verschwenderische Lebensweise, ihren Umweltverbrauch so weiterleben können, als sei nichts geschehen und die Kosten auf dem Rücken der armen Nationen und der verarmten Menschen, auch hier in den Metropolen ausspielen können. Oder schaffen wir es, das demokratisch mit einer Umverteilung von oben nach unten zu regeln? So was muss gesamtgesellschaftlich entschieden werden und dafür ist der einzige Ausweg, der einzige Lösungsweg, diese sowieso kommende Krise des Produktionssystems demokratisch und gewaltfrei zu regeln, der des Sozialismus.