Das Lissabon-Referendum in Irland von Krisenangst und Meinungsmanipulation bestimmt.«Es war ein Sieg der Mächtigen über das Volk» – so fasste der Direktor der irischen «Worker’s Party» (WP), Padraig Mannion, für die Anti-Lissabon-Kampagne das Ergebnis des zweiten irischen Referendums am 3. Oktober zusammen.
Bei einer Beteiligung von 57 Prozent (2008: 53 %) stimmten knapp 1,2 Millionen der 3 Millionen Wahlberechtigten mit «Ja» (67,01 %), knapp 577 000 mit „Nein“ (32,99 %). Die von der offiziellen Politik und in den Medien gefeierte „überraschend deutliche Zweidrittelmehrheit“ verliert allerdings an Glanz, wenn berücksichtigt wird, dass rund 1,2 Millionen Wahlberechtigte an der Abstimmung nicht teilgenommen haben (42,97 %). Sie sind sicherlich nicht zu Hause geblieben, weil sie die bisherige EU-Politik so toll fanden. Umgerechnet auf die Gesamtzahl der Abstimmungsberechtigten liegt der Prozentsatz der Irländer, die bewusst für den Lissabon-Vertrag gestimmt haben, bei 38 Prozent.
Von Politikern der republikanischen Sinn Féin-Partei wurde nach der Abstimmung betont, dass es vor allem Angst war, was viele Irländerinnen und Irländer dazu veranlasst hat, diesmal für den gleichen Vertrag zu stimmen, den sie vor 14 Monaten bei der ersten Abstimmung im Juli 2008 schon einmal abgelehnt hatten, obwohl am Vertragstext inzwischen kein Jota verändert worden war. «Uns wurde erzählt, wenn wir mit ‹Nein› stimmen, werden wir Investitionen, Jobs und die Unterstützung der EU-Partner verlieren», sagte der Fraktionschef von Sinn Féin im irischen Parlament, O Caolain. Die EU-Abgeordnete Mary Lou MacDonald vermerkte, dass sich viele Iren aufgrund der internationalen Wirtschaftskrise verunsichert fühlten. Diese hatte Irland besonders stark betroffen und zu einem rasanten Anstieg der Arbeitslosenzahlen bis auf 12,5% geführt. Unter diesen Umständen seien viele empfänglich geworden für die schändliche Argumentation der Ja-Befürworter mit der Angst vor den Krisenfolgen: Die Menschen hätten mit ihrem Ja eigentlich «nicht für den Lissabon-Vertrag, sondern für wirtschaftlichen Wiederaufschwung, Jobs und weitere Mitgliedschaft in der EU» gestimmt, erklärte Patricia McKenna, gleichfalls Aktivistin der Nein-Kampagne.
Zugleich hat eine um das Vielfache verstärkte Mobilisierung der Ja-Befürworter zu dem Ergebnis beigetragen. „Sie hatten drei riesige Vorteile: 90 Prozent des Geldes, 95 Prozent der Medien und 100 Prozent des Establishments“, vermerkte der Sprecher der Worker’s Party. In der Tat war nicht nur die Präsenz der Ja-Plakate in den Städten und Dörfern diesmal weit beeindruckender als 2008. Auch eine Menge bekannter Leute waren aufgeboten worden, um für das «Ja» Reklame zu machen. Darunter der irische Dichter und Nobelpreisträger Seamus Heaney, aber auch Schlagersänger und Sportler. Der in Irland über viele Arbeitsplätze gebietende Chip-Konzern Intel hatte eine ganze Seite in der führenden Tageszeitung «Irish Times» finanziert, um per Anzeige vor den Folgen der Abwanderung vieler Firmen bei einem erneuten irischen Nein zu «warnen». Der Boss des Billigflugfirma Ryanair hatte sogar kostenlose Flüge für Leute aus anderen EU-Staaten nach Dublin angeboten, wenn sie sich verpflichteten, in Irland für das Ja zu werben.
Sprecher der Nein-Befürworter betonten, dass es von einem bemerkenswerten Kräftepotenzial zeuge, wenn sich ungeachtet dieses massiven Drucks und der propagierten Katastrophenszenarien Hunderttausende erneut aktiv an der Nein-Kampagne beteiligten und ein Drittel der Abstimmenden trotz der riesigen Angstmache und falschen Versprechungen mit Nein votierten, besonders in den Arbeitervierteln. In «Spiegel-Online» hiess es, dass es «besonders Irlands Mittelklasse war», die in die Wahllokale strömte. «In Arbeitervierteln hingegen, den Bastionen des Nein-Lagers, war die Beteiligung unterdurchschnittlich».
Von der Worker’s Party wurde darauf hingewiesen, dass die vielfältigen Versprechungen, mit denen die irischen Wähler zum Umschwenken animiert wurden, wohl kaum in Erfüllung gehen werden. Das kapitalistische Establishment Irlands habe mit aktiver Unterstützung der irischen Sozialdemokraten zwar einen Sieg davongetragen, aber die Kluft zwischen dem Volk und den EU-Institutionen werde sich in den nächsten Jahren weiter vertiefen. Auch Sinn Féin-Präsident Gerry Adams hob in seiner Stellungnahme zum Abstimmungsergebnis hervor: «Diejenigen, besonders in der Labour Party und in Fine Gael (liberale Partei, AdR), die damit argumentierten, dass die wirtschaftliche Rettung von einem Ja bei der Abstimmung komme, werden in dieser Hinsicht weiter zur Rechenschaft gezogen werden müssen». Er habe keinen Zweifel, dass die von der Rechtspartei Fianna Fail geführte Regierung sich von dem Ergebnis zu einem weiteren harten Sparkurs und Sozialabbau ermutigt fühlen werde. «Die Probleme, mit denen die irische Gesellschaft konfrontiert ist, werden durch das heutige Ergebnis in keiner Weise gelöst». Sinn Féin werde weiter für ein «besseres Europa» kämpfen, „«das demokratischer ist und die Interessen der gewöhnlichen Bürger und Arbeiter über die des big business und der Bürokraten stellt».