Tabubruch öffnet Tür und Tor

 

sit. Gewerkschaften und SP unterstützen offiziell die Altersreform 2020, die zu einem Sozialabbau von 1,3 Milliarden Franken auf dem Buckel der arbeitenden Frauen führt. Das höhere Frauenrentenalter ist eine alte Forderung der Bürgerlichen, die das generelle Rentenalter 67 als Ziel haben. 

Bei den Gewerkschaften hat der Entscheid, die Altersreform 2020 tatkräftig zu unterstützen, alles andere als die Reihen zum Kampf geschlossen. Vor allem in der Westschweiz und im Tessin unterstützen verschiedene Lokalsektionen- und Verbände, FunktionärInnen und ein breiter Teil der Basis das Referendum gegen die Reform, das von einem linken Komitee ergriffen wurde, dem auch die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) angehört. Für das Komitee sind vor allem die Erhöhung des Frauenrentenalters sowie der Rentenverlust bei den Pensionskassen zwei fette, übelriechende Kröten, die man nicht schlucken will.

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«Enorme Unzufriedenheit»

Philipp Zimmermann. Zehntausende Menschen haben sich in Argentinien an einem Generalstreik beteiligt. Mit den Gewerkschaften fordern sie Massnahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit und ein Ende der neoliberalen Politik.

In Argentinien haben am 6. April die drei grössten Gewerkschaftsdachverbände CGT, CTA und CTA Autónoma einen Generalstreik gegen die Politik von Präsident Mauricio Macri angeführt. Daran beteiligten sich nach Angaben der Gewerkschaften Zehntausende Menschen im ganzen Land. Im Zentrum stand die Forderung der Gewerkschaften nach Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, die seit Macris Amtsantritt im Dezember 2015 angestiegen ist. Dieser hat in seinem ersten Amtsjahr etwa die Entlassung etlicher öffentlicher Angestellter durchgesetzt.

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Gesundheit, nicht Geschäft

dab. MediCuba Schweiz feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen und MediCuba Europa sein 20-jähriges. In Havanna findet am 6. Mai der Auftakt zu den Jubiläumsfeierlichkeiten statt.

«Mit den anstehenden Jubiläumsveranstaltungen will MediCuba sowohl die bisher erreichten Erfolge in der solidarischen Zusammenarbeit mit Kuba würdigen», so Roland Wüest von MediCuba Schweiz, «aber auch darauf aufmerksam machen, dass wir unser Engagement für das kubanische Gesundheitssystem auch in Zukunft unermüdlich weiterführen.»

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«Den Feind demaskieren»

Hans Peter Gansner. Kurz nachdem der erste grosse biografische Dokumentarfilm über ihn ins Kino gekommen ist mit dem Titel «Der Optimismus des Willens», erscheint Jean Zieglers neues Buch «Der schmale Grat der Hoffnung» jetzt auch auf Deutsch. Reflexionen, interessante Beobachtungen rund um den Erdball und illustre Figuren zeichnen das Werk aus.

Jean Ziegler hat allen Unkenrufen zum Trotz, es gehe ihm gesundheitlich nicht besonders gut, ein äusserst wichtiges neues Buch verfasst. «Der schmale Grat der Hoffnung» heisst der Titel, und es trägt den Untertitel: «Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden.» Gerade jetzt, da der potenzielle Weltbrandstifter Donald Trump die Beiträge der USA an die Uno und natürlich – wen wundert’s – an die in Genf beheimateten Institutionen für Menschenrechte drastisch kürzen will, setzt Ziegler ein deutliches Fanal. Das Opus steht ganz im Zeichen der Maxime des italienischen Marxisten Antonio Gramsci, der in seinen Gefängnisheften schrieb: «Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.»

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Lenín, el presidente

Michael Wögerer. Ecuadors neuer Präsident heisst Lenín Moreno. Der Linkskandidat aus den Reihen der Regierungspartei will die Sozialprogramme seines Vorgängers Rafael Correa ausweiten. Die rechte Opposition tobt.

Am Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Ecuador gibt es nichts mehr zu rütteln. Der Kandidat der linken Regierungspartei Alianza País, Lenín Moreno, hat nach Angaben der Nationalen Wahlkommission (CNE) die Stichwahl vom 2. April mit 51,15 Prozent gewonnen. Sein rechtskonservativer Herausforderer, der neoliberale Banker Guillermo Lasso von der Partei Creo-Suma erhielt 48,85 Prozent. Somit wird der 64-jährige Moreno am 24. Mai die Nachfolge von Rafael Correa antreten, der seit 2007 das Land regiert und nach zweimaliger Wiederwahl nicht wieder kandidiert hatte.

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Aus dem Tagebuch einer Samariterin

Redaktion. Die Schweizerin Käthe Hempel arbeitete als Samariterin (Sanitäterin) während dem Spanischen Bürgerkrieg. Zu Beginn des Krieges war sie im Dorf Tardienta stationiert, das von den FaschistInnen mit Granaten angegriffen wurde. Sie erzählt bildhaft von ihren Erlebnissen am ersten Kampftag.

Im Juli 1936 reiste die junge Schaffhauserin Käthe Hempel zusammen mit ihrem Freund, einem jungen deutschen Emigranten, nach Spanien. Sie wollten in Barcelona an der grossen Volkssportolympiade teilnehmen. In diesen Tagen erhob sich das Militär, angeführt von verräterischen Generälen, gegen Regierung und Republik. Ihr Freund Erwin meldete sich sofort als Freiwilliger und zog an die katalanische Front. Sie meldete sich als Samariterin, um den Verwundeten Hilfe zu leisten, insbesondere da sie auch beruflich darin ausgebildet war. Nachstehend ein Auszug aus dem Tagebuch dieser tapferen Samariterin.

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«Streik für Freiheit und Würde»

 

Georg Polikeit. In den israelischen Gefängnissen befinden sich 1500 palästinensische Gefangene im Hungerstreik. Sie fordern bessere Haftbedingungen und die Abschaffung der «administrativen Haft», der Haft ohne Anklage und Gerichtsverfahren.

Seit Ostermontag sind etwa 1500 palästinensische Häftlinge in mehreren israelischen Gefängnissen in einem unbefristeten Hungerstreik, und es könnten noch mehr werden. Die Beteiligten bezeichnen ihre Aktion als «Streik für Freiheit und Würde». Es handelt sich um den grössten Hungerstreik palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen seit fünf Jahren.
Parallel zum Beginn der Hungerstreikaktion fanden mehreren Demonstrationen von tausenden PalästinenserInnen in Gaza und im Westjordanland anlässlich des am 17. April alljährlich begangenen «Tags der palästinensischen Gefangenen» statt. In Bethlehem kam es zu Zusammenstössen mit israelischen Sicherheitskräften, die Tränengas und Gummigeschosse einsetzten und damit mehrere Verletzte verursachten. Zusammenstösse ähnlicher Art ereigneten sich auch vor der israelischen Haftanstalt Ofer in der Nähe von Ramallah, dem einzigen israelischen Gefängnis ausserhalb des israelischen Staatsgebiets im Westjordanland.

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Neutralisierung durch Integration

Susann Witt-Stahl. Eine Koalition aus SPD, Grünen und der Linkspartei in Deutschland wäre kein progressives Reformbündnis. Die «R2G»-IdeologInnen bemühen sich eifrig darum, sich als einzige Alternative zu einem AfD-Aufstieg darzustellen. Es droht ein gefährlicher Pyrrhussieg.

In Deutschland stellt sich die Frage: Kommt Rot-Rot-Grün, oder kommt Rot-Rot-Grün nicht? Galt das Projekt Anfang des Jahres noch als politisch so gut wie tot, wachsen seit Frühlingsbeginn dank «Schulz-Effekt» mit den ersten Blättern auch die Umfragewerte der Sozialdemokratie und sorgen für frischen Wind in den Segeln der «R2G»-Begeisterten. Aber viel schlauer ist man auch nach der Saarland-Wahl nicht. Hin- und hergeworfen zwischen Schreckensbildern – «Rot-Rot-Grün gefährdet die Sicherheit der Bevölkerung!» (Volker Kauder, CDU) – und Euphorie angesichts des kommenden «Bündnisses aller progressiven Kräfte» (Sigmar Gabriel, SPD) schlingert die veröffentlichte Meinung weiter in Richtung Bundestagswahl. » Weiterlesen

Normalzustand: Krieg

In Syrien hat die USA zum ersten Mal direkt die syrische Regierung angegriffen. Eine Woche später liess der US-Präsident die «Mutter aller Bomben» über Afghanistan abwerfen. Der US-Imperialismus treibt damit die militärische Eskalation weiter voran.

Am frühen Freitagmorgen, am 7. April, hat US-Präsident Donald Trump einen Luftangriff auf eine Militärbasis der syrischen Regierung durchführen lassen. Die USA haben damit zum ersten Mal direkt die syrische Regierung angegriffen. Auf der Militärbasis wurden nach syrischen Angaben mindestens fünf Menschen und im Umfeld weitere neun Menschen getötet. Gemäss Trump war die Attacke eine Antwort darauf, dass die syrische Regierung einige Tage zuvor angeblich für einen Giftgasangriff in der Stadt Khan Shaykhun verantwortlich gewesen sei. Es handle sich um einen «Akt der Verteidigung nationaler Sicherheitsinteressen». Wie schon viele Male zuvor bei US-Militäraktionen hat das Trump-Regime nicht darauf gewartet, dass der Vorfall unabhängig untersucht und bestätigt wurde. Noch ist weiterhin unklar, wer für dieses Kriegsverbrechen die Verantwortung trägt. Frühere Angriffe mit chemischen Waffen konnten der Assad-Regierung nie nachgewiesen werden. Die syrische Regierung hat ihre Chemiewaffenbestände unter internationaler Kontrolle zerstört. Es bestehen also Zweifel daran, dass die Assad-Regierung für den Anschlag in Khan Shaykhun verantwortlich ist. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die bewaffnete Opposition in letzter Zeit an Boden verloren hat und von einer Militärintervention in Syrien stark profitieren würde.

Massenvernichtung proben

Die letztjährige Präsidenschaftskandidatin und Kriegstreiberin Hillary Clinton bejubelte den Angriff. In einem Interview stellte sie klar, dass sie bereits in ihrer Zeit als US-Aussenministerin aggressiver in Syrien eingreifen wollte. Auch bei den restlichen Democrats fand Trump Unterstützung. Der Wall-Street-nahe Senator Chuck Schumer nannte den Angriff eine «richtige Handlung». Die linkeren Democrats wie Keith Ellison und Bernie Sanders sind kritischer, aber teilweise bloss auf formaler Ebene. Sanders mahnte Trump in erster Linie dafür, dass er vom US-Kongress keine Ermächtigung für den Angriff eingeholt habe.

Der Angriff gegen die syrische Regierung ist ein weiterer Schritt in der Eskalation des Syrienkriegs, nachdem der US-Imperialismus vor Kurzem mit Bodentruppen im Land einmarschiert ist. Jede Illusion über eine friedliche Präsidentschaft des Bonzen Trump hat sich in Luft aufgelöst. Eine Woche später hat Trump seine Bereitschaft zum Krieg nochmals bewiesen mit dem Abwurf der «Mutter aller Bomben» in Afghanistan: Die US-Streitkräfte setzten am 13. April zum ersten Mal eine Superbombe des Typs «GBU-43» über dem Achin-Distrikt an der Grenze zu Pakistan ab. Diese ist die gefährlichste verfügbare nicht-atomare Massenvernichtungswaffe.

Beim Einsatz der 16 Millionen Dollar teuren Superbombe wurden «nur» 36 KämpferInnen des Daesh getötet. Es handelte sich bei dem Bombenabwurf hauptsächlich um die Erprobung einer Massenvernichtungswaffe, die 2003 erstmals unterirdisch getestet worden war. Der Bombenabwurf muss aber auch als Drohung gegen den Iran und Nordkorea verstanden werden.

Keine Hemmungen

Der Imperialismus hatte nie Hemmungen, seine Interessen mit Krieg und Gewalt durchzusetzen. Die neue Entwicklung, das heisst neu seit dem Ende des sowjetischen Sozialismus, besteht darin, dass der Imperialismus die Maske der humanitären Interventionen und Kriege, als eine Ultima Ratio, nicht mehr zu brauchen scheint. Krieg ist zum Normalzustand der Welt geworden und ist ein probates Mittel der imperialistischen Mächte, ihren Willen durchzusetzen, besonders im und gegen den globalen Süden. Je länger, desto weniger scheint der Westen auch eine zwischenimperialistische Auseinandersetzung zu fürchten.

An Abrüstung ist gar nicht mehr zu denken. Das imperialistische Wettrüsten, an dem sich zum Teil auch die Schweiz und in letzter Zeit verstärkt Deutschland beteiligt, wird sich wohl bis zum nächsten kriegerischen Aufeinandertreffen weiter fortsetzen, und dem kann nichts, keine richtungslosen «sozialen Bewegungen», keine spintisierenden W.W.J.D.-Frömmler, schon gar keine mahnwachenden ethnopluralistischen Nazis, nichts, ausser einer geeinten sozialistischen, antimilitaristischen ArbeiterInnenbewegung, die sich auf Wissenschaft gründet, etwas entgegensetzen. Im Kapitalismus kann es keinen währenden Frieden geben. Auch nicht im sozialdemokratisch verwalteten, wie die nordischen Länder mit ihren Kriegsbeteiligungen glänzend beweisen. Die soziale Revolution und der Sozialismus gehören deshalb definitiv auf die Agenda.

Aus dem vorwärts vom 28. April 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Lugansk und Donezk am Gartentor

Infotafeln vor der Botschaft in Bern

dab. Am 10. April, Gedenktag für die Befreiung der ukrainischen Stadt Odessa von der faschistischen Besatzung 1943, fand in Bern und in 18 weiteren Städten in Europa und Nordamerika die Odessa Solidarity Campaign statt. Auch an das faschistische Massaker vom 2. Mai 2014 in Odessa wurde erinnert.

Am 21. Februar 2014 putschte die extreme Rechte in der Ukraine, stürzte die gewählte «prorussische» Regierung Janukowitsch und brachte eine «prowestliche» rechtsliberal-rechtsextreme Regierung an die Macht. Bewaffnete rechtsextreme Milizen durften ungestraft Russisch sprechende UkrainerInnen, die zweitgrösste Volksgruppe in der Ukraine, misshandeln und umbringen, zum Teil wurden sie offiziell anerkannt und in die Streitkräfte integriert.

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Ausschaffung verhindern!

Die Schweiz verschliesst die Augen vor der spanischen Folter und so soll Nekane Txapartegi ihren Peinigern übergeben werden. Das zuständige Bundesamt für Justiz verlangt Beweise, die gar nicht erbracht werden können und lehnt gleichzeitig ein unabhängiges Gutachten mit fadenscheinigen Begründungen ab. Ein Skandal!

«Es kann nicht sein, was nicht sein darf», sagt ein Freund der Baskin Nekane Txapartegi dem vorwärts und fügt hinzu: «Mit dem grossen EU-Mitgliedsstaat Spanien will sich die Schweiz nicht anlegen. Aus Staatsräson ist entschieden worden, die 44-Jährige an Spanien auszuliefern.» Seinen Namen (der Redaktion bekannt) will der frühere Journalistenkollege von Nekane aus Sicherheitsgründen nicht genannt wissen. Zur Erinnerung: Die baskische Aktivistin lebte seit 2009 mit falscher Identität in Zürich, wo sie am 6. April 2016 verhaftet wurde. Ende März 2017 hat das Bundesamt für Justiz (BJ) der Auslieferung nach Spanien zugestimmt. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, obwohl sie 1999 in Spanien nach ihrer Verhaftung bestialisch gefoltert wurde.

Ein gemeinsames Ziel

Dass Nekane wieder in die Hände ihrer Folterer gelangt, wollen ihre Familie, FreundInnen und GenossInnen verhindern. Ihr Anwalt Olivier Peter wird beim Bundesstrafgericht in Bellinzona Beschwerde einlegen. Diese hat eine aufschiebende Wirkung. Daher steht keine unmittelbare Auslieferung bevor. Am Mittag des 6. Aprils fand vor dem Schweizer Konsulat in Bilbao eine Protestaktion statt. «Wir demonstrierten dagegen, dass die Schweiz die Folter unterstützt», heisst es in einem Aufruf. Am Abend fand dann in ihrem Heimatort Asteasu erneut eine Demonstration statt. Auch bei der «Korrika» ist die Solidarität mit Nekane stets präsent. Die «Korrika» findet alle zwei Jahre statt. Für die baskische Sprache wird an zehn Tagen 24 Stunden lang ohne Unterlass durch alle sieben Provinzen des unter Spanien und Frankreich aufgeteilten Baskenlands ein Rennen geführt. 2500 Kilometer werden zurückgelegt, Tausende von Menschen nehmen daran teil. Auch in der Schweiz fanden am 6. April verschiedene Solidaritätsaktionen statt. Gemeinsames Ziel der Solidaritätsaktionen: Die Ausschaffung von Nekane verhindern.

Prügel und Elektroschocks

«Die immanente Logik des Entscheids der Schweizerischen Justiz ist, dass in einem EU-Land per se nicht gefoltert wird», erklärt der bereits zitierte Freund der Baskin. Wie man sich in Bern windet, zeige die Begründung des BJ. 70 Seiten hat es gebraucht, um die mehr als nur fragwürdige Entscheidung zu rechtfertigen. Angeblich habe man die Foltervorwürfe «sehr gut abgeklärt», welche die 44-jährige Baskin nach den dramatischen Vorfällen 1999 detailliert erhoben hat. Sprecher Folco Galli berief sich auf die spanischen Behörden, die den Fall umfassend dokumentiert hätten. Das BJ schreibt, Txapartegi habe weder «glaubwürdig darlegen können, dass sie gefoltert wurde», noch dass «in Spanien die Vorwürfe nicht ernsthaft untersucht wurden».

Das BJ fordert von Nekane Beweise, dass sie schon auf dem rund 400 Kilometer langen Weg aus dem baskischen Hochland nach Madrid geschlagen, mit einer Tüte nahe an den Erstickungstod gebracht und Opfer einer Scheinhinrichtung wurde. Sie soll belegen, tagelang bestialisch misshandelt und vergewaltigt geworden zu sein. Letzteres ist sogar in Spanien eine Ausnahmeerscheinung und gehört nicht zum Standardprogramm wie zum Beispiel Prügel, Elektroschocks und Erstickungsmethoden. Ein solcher Nachweis kann aber kaum erbracht werden. Das perfide System macht das praktisch unmöglich. Selbst Grundrechte werden denen verweigert, die der Unterstützung der baskischen Untergrundorganisation Eta beschuldigt werden. Bis zu zehn Tage kann die berüchtigte «Incomunicado»-Haft dauern, in der man nicht einmal Kontakt zu seinem Anwalt hat. Deshalb fordern Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die den Entscheid des BJ hart kritisieren, ihre Abschaffung.

Spanien mehrmals verurteilt

Im Fall Txapartegi wurden sogar vom Gefängnisarzt bei der Einlieferung die Spuren von Gewalt am ganzen Körper dokumentiert. Spuren, die laut BJ eher auf die Verhaftung zurückgehen sollen, gegen die sich Txapartegi gewehrt habe. Doch das ist falsch. Bern hätte dazu die Anwesenden bei der Verhaftung befragen können und so Aussagen von AugenzeugInnen bekommen. Die Gutachten von Folterexperten wie Önder Özkalipci und Thomas Wenzel weist das BJ zurück. Dies mit der Begründung, es seien «Berichte und Aussagen von Drittpersonen, die keine Zeugen waren». Der türkische Rechtsmediziner Özkalipci und der Wiener Psychiater Wenzel haben ihre Expertisen aber auf Basis des auch von der Uno anerkannten «Istanbul-Protokolls» zur Folteruntersuchung durchgeführt. Das Ergebnis war, dass die Baskin während der Kontaktsperre gefoltert wurde.

Bern hätte auch bemerken können, dass Spanien bereits Folterer verurteilt hat, auch wenn sie meist schnell begnadigt werden, wie Enrique Rodríguez Galindo. Der ehemalige General der Guardia Civil wurde zu einer Haftstrafe von 75 Jahren verurteilt, weil er daran beteiligt war, zwei baskische Jugendliche zu Tode zu foltern. Und Bundesbern verschliesst auch die Augen davor, dass Spanien in den letzten Jahren in acht Fällen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg verurteilt wurde, weil die Folter nicht untersucht wurde. Der Kampf für die Freilassung geht weiter!

Aktuelle Infos auf: www.freenekane.ch

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Ohne Waffen keinen Krieg

Die Schweiz exportiere im Jahr 2016 Kriegsmaterial für rund 422 Millionen Franken. Die Waffen werden an Regimes, die Kriege führen und die ihre Bevölkerung unterdrücken, geliefert, solange sie nicht «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind». Jahrelange Kriege wie in Afghanistan, Syrien, dem Irak, im Jemen, im Sudan, in Somalia und anderswo wären nicht möglich, wenn nicht alle Seiten auf direkten oder verschlungenen Wegen von den Industriestaaten mit Rüstungsgütern versorgt würden, auch von der «neutralen» Schweiz.

Laut der offiziellen Statistik des Bundes exportierte die Schweiz von 1975 bis 2016 für 17,5 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Verkauft wurden diese Rüstungsgüter zu einem grossen Teil an kriegführende Staaten, in Spannungsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regimes und an arme Länder in der Dritten Welt. In den 17,5 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheinen in diesen Zahlen nicht. Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken und Pensionskassen investierten in den letzten Jahren auch in Firmen, die an der Atomwaffenproduktion, an der Herstellung von Antipersonenminen und Clusterbomben beteiligt sind.

Strafrechtliche Verantwortung

Für Kriegsmateriallieferungen ist das Strafrecht nicht einfach ausser Kraft gesetzt. Es gibt keinen strafrechtlichen Freipass für FabrikantInnen und PolitikerInnen, die Rüstungsgüter liefern an Regimes, die Kriege führen und die ihre Bevölkerung unterdrücken. Unter Artikel 25 des Schweizerischen Strafgesetzbuches fallen nämlich Delikte wie Beihilfe zum Mord, zu vorsätzlicher Tötung, zu schwerer Köperverletzung und zu schwerer Sachbeschädigung. Gehilfe bei solchen Straftaten ist derjenige, welcher «zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzliche Hilfe leistet», wer also auch «vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines andern fördert».

70 ExpertInnen in Völkerrecht und Strafrecht kritisierten schon vor acht Jahren die Nichteinhaltung der Kriegsmaterialverordnung, im Oktober 2009 in einem offenen Brief an den Bundesrat. Ihre Aussage: Das Exportverbot für Kriegsmaterial gilt für Länder, die «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind». Simon Plüss vom Seco erklärte daraufhin, der Bundesrat habe das Exportverbot immer dahingehend ausgelegt, dass es sich auf einen internen Konflikt im eigenen Land bezieht. Im Falle eines Bürgerkriegs in Saudi-Arabien oder in den USA gäbe es keine Rüstungsausfuhren in diese Länder mehr.

Deutschland beteiligt sich am Krieg

2016 wurde für rund 422 Millionen Franken Kriegsmaterial exportiert. Deutschland war dabei der grösste Abnehmer von Kriegsmaterial. Für 93,2 Millionen Franken bezog Deutschland aus der Schweiz, Bestandteile zu gepanzerten Radfahrzeugen, Munition (der Ruag), Komponenten zur Fliegerabwehr (von Rheinmetall) und Klein- und Leichtwaffen.

Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris, kündigte die deutsche Bundesregierung an, sich mit einem Bundeswehreinsatz in Syrien zu beteiligen. Am 4. Dezember 2015 beschloss auch der Deutsche Bundestag die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den Daesh. Wie es hiess, ist zunächst vorgesehen die Bundeswehr mit bis zu 1200 SoldatInnen ausserhalb Syriens zur Unterstützung einzusetzen.

Die deutsche Tochter der bundeseigenen Ruag der Schweiz lieferte 2014 vier Millionen Schuss Munition den kurdischen Peschmerga-KämpferInnen im Irak, die noch heute in den Krieg verwickelt sind. Was meinte Bern zu diesem Geschäft? «Die Ausfuhr von in Deutschland produzierter Munition der Ruag in den Irak unterliege der Exportkontrolle der deutschen Behörden. Eine Zuständigkeit der Schweiz sei nicht gegeben», erklärt eine Sprecherin des zuständigen Staatssekretariats für Wirtschaft in Bern.

Initiative der Gsoa

Die Ruag gilt als grösste Munitionsherstellerin in Europa. 2013 erzielte die Munitionssparte Ruag Ammotec einen Umsatz von 354 Millionen Franken. Mit Gewehrkugeln, mit Munition für Kleinwaffen, kommen in Konflikten weltweit mehr Menschen um als bei Bombardierungen und Kämpfen mit schweren Waffen.

Eva Krattiger, Sekretärin der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa), erinnerte an der Pressekonferenz in Bern an die Rolle des Finanzplatzes Schweiz: «Über die Schweiz fliessen jährlich mindestens 15 Milliarden Franken in die Rüstungsindustrie.» Die Gsoa wird deshalb zusammen mit anderen Organisationen im Frühling eine Volksinitiative lancieren, welche die Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten verbieten will.

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Eine kantonale Krankenkasse für Genf

Die PdA Genf lanciert eine kantonale Volksinitiative «Für eine öffentliche und soziale Kranken- und Unfallversicherung in Genf». Damit will sie das untragbare System der privaten Krankenkassen, die ständig die Prämien erhöhen, beenden.

Vor einem Jahr haben die AktivistInnen der Partei der Arbeit (PdA) Genf eine Volksinitiative «Für die Rückerstattung der Zahnpflegekosten» lanciert, die mit einer Rekordzahl von über 18 000 Unterschriften eingereicht werden konnte. Nicht nur haben die Leute gerne unterschrieben und uns für unseren Kampf gedankt, es wurde auch häufig gefragt, ob und wann wir auch etwas zu den Krankenkassen machen würden. Tatsächlich ist das gegenwärtige System der privaten Krankenkassen im Pseudowettbewerb, die die Versicherten übers Ohr hauen und immer höhere Prämien einstecken, geradezu unerträglich. Die massive Wut der Bevölkerung, die die Tricksereien und der Zynismus der Versicherungen erzeugen, ist nur allzu verständlich. Eine radikale Reform des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) zu einem wirklich sozialen und öffentlichen Gesundheitssystem entspricht klar dem Wunsch der Bevölkerung und ist eine dringende Notwendigkeit. Die Durchschnittsprämie für einen Erwachsenen in Genf übersteigt locker 500 Franken pro Monat! Es ist doch klar, dass dieses Geld am Ende nur in den Taschen der AktionärInnen der privaten Krankenkassen landet. Wie lange akzeptieren wir noch, dass wir solche skandalösen Summen zahlen müssen? Etwa bis wir 1000 Franken und dann 2000 Franken zahlen müssen? Wir erinnern daran, dass die eidgenössischen Initiativen für eine Einheitskrankenkasse und für eine öffentliche Krankenkasse zwar auf nationaler Ebene abgelehnt worden sind, die GenferInnen aber in beiden Fällen Ja gestimmt haben.

Nicht im Dienste der AktionärInnen

Es ist dringend notwendig, ein sozialeres und gerechteres System einzurichten und den Gaunereien der privaten Kassen ein Ende zu bereiten. Auf eidgenössischer Ebene scheint die Situation im Moment blockiert zu sein. Die Geschichte der Schweiz lehrt, dass gewisse soziale Fortschritte in den Kantonen errungen werden können, in denen die Kräfteverhältnisse für die fortschrittlichen Kräfte günstiger sind. Deshalb hat die PdA Genf eine kantonale Vorlage ausgearbeitet und die Volksinitiative «Für eine öffentliche und soziale Kranken- und Unfallversicherung in Genf» lanciert. Darin wird lediglich die Einführung einer Kranken- und Unfallsversicherungskasse festgeschrieben, in Form einer autonomen öffentlich-rechtlichen Anstalt. Wir denken, dass es sich dabei in der gegenwärtigen Machtkonstellation um die beste und realistischste Lösung handelt, um die üble Situation zu überwinden und einen entschiedenen Schritt vorwärts zum sozialen Fortschritt zu machen. Als kantonale Initiative gibt es die Hürde, dass sie dem Bundesgesetz entsprechen muss, in diesem Fall dem KVG. Aber das KVG verbietet keinem Kanton, sich eine öffentliche, soziale Krankenkasse, die nicht im Dienste der AktionärInnen und ihrem Hunger nach Profit steht, sondern im Dienste der Versicherten und der Gemeinschaft, zu geben. Wir bekommen damit sofort die Möglichkeit, nicht mehr die eine oder andere private Versicherung wählen zu müssen, die allesamt gleich betrügerisch sind. Wir können uns damit einer öffentlichen Institution anschliessen, die keine neoliberalen TechnokratInnen, keine LobbyistInnen in den Räten anstellen, die keine undurchsichtigen Geschäftsinteressen um jeden Preis verteidigen, die keine Werbung machen, die keine Millionen für politische Kampagnen aufwenden muss, einzig um die egoistischen Interessen ihrer AktionärInnen zu verteidigen. Eine solche Krankenkasse könnte uns mit günstigeren Prämien und einem Service höherer Qualität versichern. Das wäre ein wirklicher Schritt vorwärts hin zu einem öffentlichen und sozialen Gesundheitssystem, das im Dienste aller steht und nicht im Dienste von Gaunern.

Keine neue Idee

Die Idee einer kantonalen Krankenkasse ist nicht neu. Tatsächlich hatten vor der Einführung des KVG mehrere Kantone eigene Krankenkassen, die bekannteste davon ist die Öffentliche Krankenkasse in Basel, die mittlerweile privatisiert wurde. In Genf hat die Alliance de Gauche bereits 2002 eine kantonale Kranken- und Unfallversicherung vorgeschlagen auf der Grundlage eines detaillierten Initiativtextes. Das Projekt hatte keinen Erfolg aus rein juristischen Gründen: Das Bundesgericht entschied, dass die Vorlage das Prinzip der Einheit der Materie verletzte. Die PdA hat, um solche Schwierigkeiten aus formalen Gründen zu umgehen, einen einfachen und knappen Initiativtext vorgelegt, der im Grossen Rat von Genf anschliessend präzisiert werden muss. Das hat den Vorteil, dass wir nicht an rechtlich formalen Einwänden scheitern werden.

An der Seite der ArbeiterInnen

Wir zweifeln nicht daran, dass unsere Initiative ein Erfolg sein wird. Die ersten Reaktionen nach der Veröffentlichung auf den sozialen Medien und in den Online-Kommentaren sind fast alle sehr positiv, was uns zusätzlich zeigt, dass unsere Initiative notwendig und relevant ist. Die PdA stellt sich damit einmal mehr, wie schon immer in ihrer Geschichte, an die Spitze des Kampfes für den sozialen Fortschritt. Das entspricht dem Sinn nach vollkommen einer Partei, die sich auf den Klassenkampf und die Ideen des Marxismus gründet. Die Partei der Arbeit ist die einzige politische Kraft im Kanton und in der Schweiz, die immer kohärent und kämpferisch an der Seite der ArbeiterInnen und den mittellosen Klassen steht, die bis zuletzt für deren legitimen Interessen und Forderungen kämpft, die die Hoffnung auf eine neue, sozialistische Gesellschaft mit sich trägt. Ohne den Kampf unserer Partei gäbe es in der Schweiz keine bezahlten Ferien, weder AHV noch zahlreiche andere sozialen Einrichtungen. Seit der Einführung des KVG haben die Linken, darunter unsere Partei, dafür gekämpft, eine Kranken- und Unfallversicherung nach dem Vorbild der AHV einzuführen. Stattdessen haben es die Rechten und die Sozialdemokratie geschafft, das gegenwärtige Marktsystem zu installieren: Die obligatorische Versicherung bei Privatunternehmen. Man ist damit gezwungen, sich im «Marktsystem» zu versichern, wo die Kassen selber ihre Prämien festsetzen. Das ist nicht sozial, es ist auch kein «freier Markt» – von welcher «Freiheit» kann man denn sprechen, wenn alle VerkäuferInnen (in der Grundversicherung) die gleiche Ware anbieten und die KäuferInnen zu kaufen gezwungen sind? Dieses System ist nicht länger tragbar und erfordert eine radikale Reform. Die Prämien werden zunehmend unbezahlbar. Für die einen ist es das Ziel, so lange wie möglich ihren Profit daraus zu ziehen. Für den grossen Rest schlagen wir diese Lösung vor: eine soziale und öffentliche Kranken- und Unfallversicherung.

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Kampf der AHV-Reform

Bei Redaktionsschluss war der Ausgang der «Rentenreform 2020» im Parlament noch offen. Das Verhalten der Gewerkschaftsführung war dabei höchst fragwürdig. Die PdA Schweiz hat hingegen den Beschluss bestätigt, falls nötig das Referendum gegen die Reform zu ergreifen.

Nein zum höheren Rentenalter und Nein zu Rentenkürzungen – weder jetzt und noch in Zukunft. So kann die Debatte im Zentralkomitee der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) vom 25. Februar in Bern kurz, aber treffend zusammengefasst werden. In ihrer Stellungnahme hält die Partei fest, dass die Differenzen zwischen National- und Ständerat wie etwa die Rentenerhöhung von 70 Franken, im Grunde nicht von wesentlicher Bedeutung sind, denn: «In den essenziellen Punkten der Reform sind sich die beiden Räte einig.» Dabei handelt sich um die Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahren sowie die Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen von 6,8 auf 6,0 Prozent, was einer Reduktion von 12 Prozent entspricht! So ist für die PdAS klar: «Der Kampf gegen die ‹Rentenreform 2020› bleibt eine Priorität der Partei.»

Unpopulär und unsozial

Die Strategie der bürgerlichen Parteien ist immer die gleiche und bestens bekannt: Die Diskussion wird auf Differenzen gelenkt, die zweitrangig sind, um die GegnerInnen der Reform zu spalten. Es scheint, dass diese Strategie bei der so wichtigen Fragen der AHV ihre Früchte trägt. Die SP hat bereits früh angekündigt, die Reform, so wie sie vom Ständerat vorgeschlagen wird, zu unterstützen. Ihr folgte dann offiziell auch der Zentralvorstand der Gewerkschaft Syndicom: «Die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre stellt unbestreitbar ein Rückschritt aus gewerkschaftlicher Sicht dar. Dennoch zeigt sich der Zentralvorstand von Syndicom bereit, diese Kröte zu schlucken, wenn das Parlament dem Ständeratsmodell entsprechend Ausgleichsmassnahmen und Verbesserungen vorsieht.» Peinlich! Auch die Gewerkschaft Unia tut alles daran, den Kongressbeschluss zu kippen, der die Unterstützung des Referendums vorsieht. Dass die Gewerkschaftsführung offensichtlich gegen den Willen eines aktiven Teils der Basis handelt, zeigt auch der offene Brief der Gewerkschaftsfrauen (siehe Seite 2).

Diese Tatsachen haben die PdAS dazu bewogen, zum internationalen Frauentag am 8. März den «Kolleginnen und Kollegen in führenden Positionen der Gewerkschaften» und den «Vertreterinnen und Vertreter der Linken im Parlament» einen offenen Brief zu schreiben. Darin hält die PdAS fest, dass «keiner der Kompromisse auf eine bessere Verteilung des Reichtums hoffen lässt». Sie fordert die AdressatInnen des Schreibens auf, sich auf die Seite der arbeitenden Frauen zu stellen: «Ihr wisst sehr gut, dass dieses AHV-Projekt im Grunde unpopulär und unsozial ist. Eine allfällige Umsetzung hat für jene Menschen, deren Interessen wir primär vertreten, mit Sicherheit mehr Nachteile als Vorteile.»

Bündnis in der Westschweiz

Auch in ihrer Schlussfolgerung lässt die PdAS keine Zweifel offen: «Der einzige Weg, Widerstand gegen den Abbau bei den Renten zu leisten, ist das Ergreifen des Referendums. Wir müssen diesen Kampf auf die Strassen und in die Betriebe tragen und zwar mit einem möglichst breiten Bündnis aller progressiven Kräfte.» So ein Bündnis ist in der Westschweiz startklar, falls es zum Referendum kommen wird. Es besteht aus Organisationen der feministischen Bewegungen, RentnerInnen, linken Parteien sowie lokale und regionale Gewerkschaftssektionen. Im Tessin hat der kantonale Gewerkschaftsbund die Unterstützung des Referendums angekündigt. In der Deutschschweiz hingegen herrscht das grosse Schweigen.

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Régulariser tous les sans-papiers?

Der Kanton Genf hat ein zweijähriges Pilotprojekt gestartet, um unter bestimmten Voraussetzungen Menschen ohne Papiere, Sans-Papiers, zu regularisieren. Tausenden Arbeitenden könnte damit geholfen werden. Es handelt sich aber «weder um eine Amnestie noch um eine kollektive Regularisierung».

Es befinden sich insgesamt 76 000 Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz, 13 000 leben in Genf. Es sind Sans-Papiers, Migrant-Innen, die keine Genehmigung haben, legal in der Schweiz zu leben. Sie arbeiten oftmals in Branchen mit tiefen Löhnen, dabei halten sie sich in einem schwarzen oder grauen Bereich der Legalität auf und haben keine vollständige Sozialversicherung. Im Jahr 2000 hat die Linke auf nationaler Ebene ihre kollektive Regularisierung gefordert, wie es bereits in verschiedenen europäischen Ländern geschehen ist – aber ohne Erfolg. Angesichts der schwierigen Situation im Kanton – etwa 1000 Sans-Papiers-Kinder gehen zur Schule, während ihre Eltern keinen anerkannten Aufenthaltsstatus haben –, hat Genf beschlossen, «aktiv zu werden». Der Codename des Projekts: Papyrus. Dieses zweijährige Pilotprojekt wurde vom Staatsrat und seinen Behörden lanciert gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Migration (Sem) und Migrant-Innenorganisationen wie dem Centre de Contact Suisses-Immigrés und der Gewerkschaft SIT. Es soll unter bestimmten Voraussetzungen den Zugang zum Ausländerausweis B erleichtern.

Auch gegen Lohndumping

Wer kann einen Antrag stellen? Begünstigt sind Familien mit schulpflichtigen Kindern, die beweisen können, dass sie seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz leben, sowie Paare ohne Kinder und Ledige, die seit 10 Jahren im Land sind. Zudem müssen diese Personen eine Arbeitsstelle haben oder finanziell unabhängig sein, keine Vorstrafen haben und auf gutem Niveau Französisch sprechen. «Die Hauptbetroffenen kommen mehrheitlich aus Lateinamerika, danach aus dem Balkan, den Philippinen und aus der Mongolei. Diese Menschen arbeiten in der Hauswirtschaft, auf dem Bau oder in Restaurants», erklärt Bernard Gut, Leiter des kantonalen Amts für Bevölkerung und Migration (OCPM). Diese demografische Gruppe wurde während einer Testphase eruiert, die 2016 im Geheimen stattfand und die im letzten Jahr bereits 590 Sans-Papiers eine Aufenthaltsgenehmigung ermöglicht hat. «Nur sechs Fälle sind aus Bern retourniert worden, weil ihre Dossiers nicht komplett waren», sagt Pierre Maudet, Sicherheitsdirektor von Genf. Es sei schwierig, heute schon zu wissen, wie vielen Menschen die Regularisierung zugute kommt. «1000, 3000, 6000 Personen, wir wissen es noch nicht», meint Maudet. Im gegenwärtigen Klima des Misstrauens gegenüber AusländerInnen und Spannungen auf dem Arbeitsmarkt hat der freisinnige Direktor alle Vorkehrungen getroffen, um die vollkommen Legalität des Prozesses abzusichern: Er geniesse die Unterstützung aller RegierungskollegInnen. Die Regularisierung würde auf keinen Fall abgewiesene AsylbewerberInnen oder «kriminelle» AusländerInnen betreffen. «Das Projekt Papyrus ist ein Handlungsrahmen im Dienste des Allgemeinwohls innerhalb einer kohärenten und gerechten kantonalen Migrationspolitik», versichert der Staatsrat Maudet. «Es handelt sich weder um eine Amnestie noch um eine kollektive Regularisierung. Wir nutzen den Handlungsspielraum, der das Ausländergesetz gestattet. Durch Arikel 30 sind Abweichungen von den üblichen Zulassungsvoraussetzungen möglich», erklärt Cornelia Lüthy, Vizedirektorin des Sem. Die Direktorin des Kantonalen Amts für Arbeitsinspektion und Arbeitsbeziehungen (OCIRT), Christina Stoll, sieht einen weiteren Vorteil dieses Projekts: «Damit kann in einem Sektor wie der Hauswirtschaft aufgeräumt werden, der besonders undurchsichtig ist, indem Lohndumping und Schwarzarbeit bekämpft wird», erklärt die ehemalige Gewerkschafterin. «Diese Situation verursacht eine schwierige, prekäre Lage für die ArbeiterInnen und unlauteren Wettbewerb unter den ArbeitgeberInnen.»

Informationskampagne

Personen, die ein Regularisierung erstreben, müssen dem OCIRT Informationen über ihre ArbeitgeberInnen überstellen, das in den Unternehmen dann Kontrollen durchführen wird – und bei Missständen Sanktionen aussprechen kann. Das Kantonale Amt für Migration sorgt in Zusammenarbeit mit dem Integrationszentrum seinerseits dafür, dass betroffene Personen Zugang zu Informationen haben. Ausserdem wird eine Arbeitsbörse für die Hauswirtschaft geschaffen, um private Arbeitgeber-Innen und KandidatInnen, aber auch Einheimische in Verbindung zu setzen. Die Regierung will diesen Frühling auch eine Informationskampagne lancieren, um ArbeitgeberInnen für ihre rechtlichen Pflichten zu sensibilisieren. Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, und Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss von der SP sind erfreut über das Projekt. «Vor zehn Jahren haben wir mit diesem Vorhaben in Bern begonnen. Vonseiten des Justiz- und Polizeidepartements unter Blocher gab es keinerlei politischen Willen dazu», erzählt Brunschwig Graf, während Dreifuss meint: «Ich bin glücklich und bewegt von diesem Projekt. Damit geht eine lange Geschichte zu Ende, aber gleichzeitig startet es eine neue.»

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Faschos keine Bühne bieten!

Das Podium mit und die im Vorfeld geplante Zusatzveranstaltung über den AfDler Marc Jongen bot Stoff für eine Kontroverse – und wurde wegen des vielseitigen politischen Drucks vom Theaterhaus Gessnerallee Zürich abgesagt.

Am 10. März hätte im Theater eine öffentliche Diskussion darüber stattfinden sollen, ob das Podium mit Marc Jongen vom 17. März durchgeführt oder abgesagt werden soll. Der Titel des Podiums hätte «Die neue Avantgarde» gelautet, denn Jongen bezeichnet sich selbst als «avantgarde-konservativ». Der Parteiphilosoph der rechtsextremen deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD) spricht sich unter anderem gegen die Gleichstellung der Geschlechter aus, fordert eine Steigerung der Geburtenrate in Deutschland und wünscht sich die Rückkehr von «thymotischer Energie» – Zorn, Wut und Empörung – in die Politik – bis Asylheime brennen?! Seine Partei fordert auch eine «negative Migrationsbilanz», also mehr Aus- als Einwanderung, und die Ausbürgerung «krimineller Immigranten», auch wenn sie damit zu Staatenlosen werden. In ein «offenes, ausgewogenes Gespräch» bringen wollte man im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee Marc Jongen mit VertreterInnen von SVP (Olivier «No Billag» Kessler) und von der wirtschaftsliberalen Operation Libero (Co-Präsidentin Laura Zimmermann und Kunstwissenschaftler Jörg Scheller). Scheller tritt gemäss Ankündigung gegen ein «Scheuklappendenken im konservativen wie im progressiven Lager» an.

«Progressive nobilitieren»

Das Theater zeigte sich bewusst, dass das Podium nicht ausgewogen besetzt sei, das Ganze sei auch ein Experiment, und das Publikum könne ja Fragen stellen und mitdiskutieren. Die Stimmen aus Antifa, postmigrantischen und feministischen Linken fehlten klar. «Der Ausgang des ‹Experiments› ist längst voraussehbar», zeigte sich die «Woz» dieser Dialog-Schwärmerei gegenüber skeptisch, «das nationalistische Spukgespenst tritt auf die Sprechbühne. Ein paar Progressive nobilitieren sich, indem sie ihm unerschrocken entgegentreten. Linke dürfen aus dem Saal die Grundsatzkritik jammern.» Ein von 500 Kulturschaffenden unterschriebener «Offener Brief» aus Berlin und die öffentliche Stellungnahme der Partei der Arbeit (PdA) der Schweiz beschäftigten sich intensiv mit dieser «thymotischen Energie» der AfD, hielten dazu fest: «Jede Störung einer Theaterveranstaltung, jeder Angriff auf eine linke Buchhandlung, auch jede brennende Geflüchtetenunterkunft sind angewandte und durch diesen Diskurs legitimierte ‹Zornpolitiken›» und listeten real passierte Angriffe von rechts auf.

«Strategisches Desinteresse»

Die BerlinerInnen riefen das Theaterhaus in Zürich und alle anderen Theater und TheatermacherInnen auf, der AfD keine Bühne zu bieten. Ein weiterer, viel unterschriebener «Offener Brief» aus der Schweiz rief dazu auf, auch das Gessnerallee-Team, der Doppel-Veranstaltung mit strategischem Desinteresse zu begegnen und zu boykottieren. Die PdA Schweiz forderte alle EinwohnerInnen der Stadt Zürich auf, diesen offenen Brief zu unterschreiben und das Theater mit Protestbriefen und E-Mails aufzufordern, die Veranstaltung abzusagen.

Die Absage der beiden Veranstaltungen kam prompt in einem Communiqué, das sich dem starken politischen Druck beugte, aber festhielt: «Die Gessnerallee Zürich ist weiterhin der Meinung, dass Veranstaltungen wie das Podium ‹Die neue Avantgarde› an einem Ort wie der Gessnerallee stattfinden können müssen» und «dass das weltweite Erstarken von Populismus und Autoritarismus sowie die Renaissance reaktionären Denkens Phänomene sind, die wir nicht ignorieren können, sondern mit denen wir uns konfrontieren müssen».

«Dialog statt Filter-Blase»

In der Diskussion innerhalb der PdA Zürich fragte sich István Fata, ob es klug gewesen war, sich der Forderung nach dem Auftrittsverbot von Marc Jongen anzuschliessen, und ob es nicht produktiver gewesen wäre, den AfD-Parteiphilosophen in einem Streitgespräch zu demaskieren. Und: «In der heutigen digitalen Daumen-Hoch-Daumen-Runter-Kommunikation ist das Theater (noch) ein Ort, wo eine analoge Kommunikation, eine persönliche Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch – im Dialog – stattfinden kann. (…) Das Theater erfüllte in der griechischen Antike eine wichtige Funktion zur Entwicklung der Demokratie. Heute bevorzugen wir ‹Filter-Blasen› und dichten deren Wände hermetisch ab. Nimmt man den Marxismus ernst, der sich als Wissenschaft und Philosophie in einem versteht, also als revolutionäre Kritik, so wäre es gerade für die sonst marginalisierte PdAZ eine Chance gewesen, öffentlichkeitswirksam in radikal demokratischem Geist die akademisch-philosophisch parfümierte völkisch-reaktionäre Gesinnung des AfD-Ideologen Marc Jongen zu entlarven und die eigenen sozialistischen Positionen zur Geltung zu bringen.»

Zu viel Respektabilität

Anjuska Weil konterte, wo es unabdingbar sei, müssten wir Figuren wie Marc Jongen Paroli bieten und ihnen unsere Positionen entgegenstellen, aber: «Eine Bühne anzubieten, heisst per se Respektabilität zuzugestehen. (…) Rassistisches Gedankengut bis hin zum Faschismus gehört klar als ausserhalb des akzeptierten politischen Spektrum deklassiert und deklariert zu werden, so wie es die völkerrechtlichen Prinzipien festhalten. (…) Dies gilt selbstverständlich auch für Blocher und Co. Stellen wir uns vor, Blocher würde konsequent nicht zu Talk Shows eingeladen. Sein politischer Einfluss wäre enorm reduziert und dies nicht allein, weil er seine Positionen nicht breit vertreten könnte, sondern auch, weil er nicht als ‹respektable Person› wahrgenommen würde.»

Kurze Zeit nachdem die Podiumsdiskussion mit Jongen abgesagt worden war, gab auch der rechtsextreme SVP-Verein «Brennpunkt Schweiz» bekannt, am 18. März nicht auf dem Bundesplatz aufzumarschieren. Die SVPlerInnen wollten mit einer Kundgebung für die Durchsetzung der Masseneinwanderungsinitiative agitieren. Gegen den rechten Aufmarsch hat das antifaschistische Bündnis «Rechte Hetze Stoppen!» dezentrale Gegendemonstrationen angekündigt. Die Antifas freuen sich über ihren Erfolg, betonen aber, dass Widerstand gegen rechte Hetze und rassistische Ressentiments weitergeführt werden muss: «Antifa wird Handarbeit bleiben!»

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Der Kampf um die Zukunft ist auch ein Kampf um die Geschichte

Die Geschichte des 8. März ist politisch. Vor 100 Jahren lösten die Arbeiterinnen Petrograds die Februarrevolution aus und erkämpften sich kurz danach das Stimmrecht. Der 8. März wird in diesem Jahr 100 Jahre alt, wie die zwei Revolutionen in Russland. Die Februarrevolution – sie müsste nach unserem Kalender Märzrevolution heissen – wurde am 8. März durch die demonstrierenden Arbeiterinnen Petrograds, der damaligen Hauptstadt Russlands, ausgelöst. Die Zweite Internationale Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau erhob deshalb 1921 diesen Tag zum internationalen Frauenkampftag, was bis heute so geblieben ist.

Das Vorhaben, ein gemeinsames Datum für einen internationalen Frauentag festzulegen, bestand seit 1910, als dies die beiden Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen forderten, ohne dabei einem konkreten Datum den Vorzug zu geben. Zentral war Zetkin und Duncker die Stärkung der Frauenbewegung durch einen weltweiten und gleichzeitigen Kampftag. Die internationalen Verbindungen der Frauenorganisationen und der über die Grenzen hinausgehende gemeinsame Kampf könne so den Herrschenden am deutlichsten vor Augen geführt werden. Es zeigte sich in den folgenden Jahren, dass ein internationaler Kampftag ohne fixes Datum die Bewegung vor Probleme stellte. Dies nicht nur, weil es organisatorisch anspruchsvoller war, sondern auch, weil der historische Rückbezug auf vorausgegangene Kämpfe einem Bedürfnis entsprach. Die geschichtlichen Bezüge der Entscheidung, den internationalen Frauenkampftag auf den 8. März zu legen, sind nicht einheitlich. So führen viele das Datum auf die Streiks in den USA von 1908 zurück, als eingesperrte Textilarbeiterinnen in einer Fabrik verbrannten, andere auf Streiks im 19. Jahrhundert. In Frankreich ist auch der Bezug zur Pariser Commune beliebt und wieder andere beziehen sich auf den Gedenktag für die Gefallenen während der Deutschen Revolution von 1848. Die Aufzählung zeigt, wie wichtig die Begründung des Datums ist: Der Frauentag soll mit der politisch passenden Gründungsgeschichte behaftet werden. Der März eignet sich auch dafür, denn es fallen viele wichtige Frauenkämpfe auf diesen Monat. Damit wird versucht, politische Kontinuität herzustellen, insbesondere auch durch solche Kräfte, die von sich behaupten, keine «ritualisierten Kampftage» zu brauchen. Wir gehören nicht zu denen, die denken, dass es keine «ritualisierten Kampftage» braucht! Der 8. März ist für uns ein positiv besetzter Rückbezug auf die von Arbeiterinnen ausgelöste russische Revolution, die im Oktober zur ersten dauerhaften sozialistischen Machtübernahme führte.

8. März 1917 in Petrograd

Die Situation 1917 in Petrograd, mitten in den Wirren des ersten Weltkrieges, war katastrophal: Die jüngeren Männer waren gezwungen Dienst zu leisten – zurück blieben vor allem Frauen. Sie mussten nicht nur die eigene Existenz und jene ihrer Familien sichern, sondern ebenso die Produktion aufrechterhalten. Es ist nicht überraschend, dass sie es waren, die 1917 in den Streik traten und damit die Februarrevolution auslösten. Nur wird dieser Tatsache wenig Aufmerksamkeit und Wert beigemessen. Die Februarrevolution führte zwar zur Absetzung des Zaren, ansonsten änderte sich aber wenig, denn die frisch eingesetzte Provisorische Regierung hatte wenig Spielraum. Solange der Krieg tobte, war den erdrückenden wirtschaftlichen Missständen schwer beizukommen und der Zustand des riesigen Reichs war desolat. Was die Provisorische Regierung aber ohne Probleme hätte tun können, wäre die Einführung des Frauenstimmrechts gewesen – was sie aber unterliess. Im Vorschlag für die Prinzipien der zukünftigen Regierung wurde zwar die Beseitigung aller Ausschlüsse aufgrund von Klasse, Religion und Nationalität festgehalten, vergessen aber wurde die Beseitigung jeglicher Restriktionen in Bezug auf Frauen. Die russischen Frauen reagierten schnell darauf und legten nur eine Woche nach der Februarrevolution entschlossen der provisorischen Regierung eine Erklärung vor, in der eine sofortige Änderung des Programms gefordert wurde: «In den feierlichen Tagen der grossen Befreiung des Volkes (…) hat die russische Liga für die Gleichberechtigung der Frauen mit grossem Erstaunen im Programm der Provisorischen Regierung keine Erwähnung der Beseitigung des grossen Unrechts des alten Systems finden können, nämlich jenes der Unterdrückung einer ganzen Hälfte der russischen Bevölkerung – der russischen Frauen.» Diese Erklärung war von Anfang an auch ein Akt der Agitation und ging nicht nur an die Regierung, sondern wurde auf den Strassen, in Fabriken und übers Land verteilt. Die Aktivistinnen waren nicht bereit, zu Hause auf eine formelle Antwort zu warten, sondern organisierten sich.

Erkämpftes Stimmrecht

Nur zwei Wochen nach der Bitte um Richtigstellung des «Versehens» folgte die Demonstration am 19. März 1917, an der ca. 40 000 russische Frauen nicht mehr um das Stimmrecht baten, sondern dieses bedingungslos einforderten und auch erzwangen. Die Demonstration dauerte bis weit in die Nacht hinein. Als Rednerin und Repräsentantin war Vera Figner auserkoren worden. Sie war im bewaffneten Kampf des 19. Jahrhunderts berühmt geworden. Die Vorsitzende der Liga für die Gleichberechtigung der Frauen, Poliksena Shishkina-Iavein, verwies voller Stolz auf ihre Begleiterin: «Wir kamen hierher, um euch alle daran zu erinnern, dass Frauen loyale Genossinnen waren im gigantischen Kampf für die Freiheit des russischen Volkes, tapfer die Gefängnisse füllten, ins Exil gingen und die besten unter uns schauten furchtlos dem Tod in die Augen. Neben mir steht V.N. Figner, die ihr ganzes Leben lang für das gekämpft hat, was wir nun erreicht haben.» Figner und Shishkina-Iavein suchten sowohl den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten als auch das Parlament auf, um eine sofortige Antwort zu verlangen. Schliesslich sicherten die Abgeordneten ihre Unterstützung zu. Allerdings sei es an der Provisorischen Regierung, dies zu verfügen, weshalb ein weiterer Gang zu Fürst Lwow, dem Ministerpräsidenten notwendig sei. Der erklärte dann lapidar «(…) dass die Provisorische Regierung den Begriff universell in dem Sinne verstehe, dass er die Ausdehnung des Stimmrechts auf Frauen beinhalte.» Damit hatten die russischen Frauen die grundsätzliche Forderung nach der Teilhabe am politischen Leben erkämpft. Diese Forderung löste die Selbstverständlichkeit männlicher Bestimmung über die Frau nicht auf, aber stellte diese in Frage. Und dies war ein erster notwendiger Teil der Befreiung der Frauen.

Die Zitate sind einem Erlebnisbericht von Olga Zakuta entnommen und in Aspasia, Vol. 6, 2012, S. 117-124 veröffentlicht.

 

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Resist Trump! – Im Land der Daten und Apps

San Francisco, die Stadt der Querdenkerinnen, LGBTQs (LesbianGayBiTransQueers) und Immigrantinnen aus aller Welt, hasst Trump aus vollem Herzen und auf der ganzen Linie. Doch es gibt auch lokale Akteure, die in der gegenwärtigen politischen Lage eine ambivalente Rolle spielen – und das in vieler Hinsicht.

Am «Women’s March» am Tag nach Trumps Amtsantritt beginnt die Demo bereits im Wohnquartier – so gross ist der Andrang bei den U-Bahn-Stationen und die Begeisterung über den vereinten Widerstand. Auch der Flughafen wird nach Inkrafttreten von Trumps Einreisesperre für Flüchtlinge und Menschen aus sieben überwiegend muslimischen Ländern mit grosser Ausdauer und von bunten Massen blockiert, und am «Day without an Immigrant» bleiben ganze Strassenzüge geschlossen, ein Geschäft ums andere vergittert, alle Restaurants zu. Die Botschaft ist klar: Ohne Immigrant*innen (und Frauen!) läuft hier gar nichts, und San Francisco ist entschlossen, dem Trumpschen Angriff an allen Fronten die Stirn zu bieten. Auch wenn die Stadt, die sich bereits in den 1980er Jahren zu einer «Sanctuary City» erklärte, also zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, damit riskiert, dass ihr von der Regierung Trump der Geldhahn zugedreht wird – denn wer nicht kuscht, der wird gefeuert oder finanziell abgestraft (denn der Präsident hat immer zu 100 Prozent recht).

Neoliberales Laboratorium

Städte wie San Francisco, mit ihrer kosmopolitischen Atmosphäre, ihrem klaren Bekenntnis zu LGBTQ- und reproduktiven Rechten, ihren städtischen Identitätskarten, die auch papierlosen Immigrant*innen offenstehen, und ihren relativ gut ausgebauten Sozialleistungen, sind in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Dennoch erscheint es mir angebracht, die Rolle der San Francisco Bay Area auch kritisch zu beleuchten, den Rissen und Brüchen nachzuspüren, und einen Blick hinter die progressive Fassade zu werfen. Schliesslich befinden wir uns hier in einem regelrechten Laboratorium für neoliberale Rezepte aus der Küche von Uber, Airbnb, Twitter, Facebook und zahlreichen weiteren lokal ansässigen Technologieunternehmen, die den Alltag von Millionen von Nutzerinnen (und Nichtnutzern) auf der ganzen Welt prägen, mit oft verheerenden sozialen Auswirkungen, wie zahlreiche Kämpfe rund um prekäre Arbeitsbedingungen, Privatisierungen und Gentrifizierung belegen. Es sind nicht zuletzt gerade auch solche Kräfte – und die von ihnen und ihren politischen Verbündeten, notabene im Lager der Demokrat*innen, losgetretene Neoliberalisierungswelle – die Rechtspopulist*innen wie Trump in vielen Teilen des Landes Auftrieb verschafft haben. Die Proteste müssen sich daher nicht nur gegen den von aussen kommenden Angriff richten, sondern auch die Rolle von lokalen Akteur*innen in der Konstruktion dieser Kräfte genauestens unter die Lupe nehmen.

Neutrale Technologie?

Dass gerade Technologieunternehmen bei Diskursen rund um den Aufbau einer Muslim-Datenbank oder Rufen nach einem Ausbau des Polizeistaates eine wichtige Rolle zukommt, versteht sich eigentlich von selbst. So trugen zum Beispiel die von IBM angefertigten Lochkarten massgeblich zur reibungslosen Organisation des Holocaust bei. Mit dem Argument, sie habe doch nur «neutrale» Technologien bereitgestellt, deren Endzweck nicht in ihrer Verantwortung liege, lehnt die Firma eine Aufarbeitung der Geschichte bis heute ab. Stattdessen hat sie Trump in einem persönlichen Brief umgehend zur Wahl gratuliert und ihm die Dienste der Firma ans Herzen gelegt. Und IBM ist keine Ausnahme. Als der frischgewählte Präsident in seinen Trump Tower lud, musste er Spitzenmanager*innen von Facebook, Google, Apple & Co. nicht lange bitten. Denn trotz der linksliberalen Rhetorik und Rufen nach einem «Calexit», einer Abspaltung Kaliforniens vom Trumpschen Restland, verhalten sich die meisten Tech-Firmen wie ein Blatt im Wind. Schliesslich ist das Generieren und Auswerten von Daten nicht nur ihre Spezialität, sondern ihr eigentliches Business. Daher sind auch die halbherzigen Beteuerungen vieler Firmen, sich nun doch nicht an solchen Projekten beteiligen zu wollen, und ihre Kritik an Trumps Einreisesperre, die auch hochspezialisierte Mitarbeitende von Tech-Firmen betrifft, mit Vorsicht zu geniessen. Denn in vielen Fällen sind die nötigen Daten bereits vorhanden – unter anderem weil wir sie alle als User*innen generieren helfen. Die Frage ist daher mehr, wer in welcher Form und zu welchem Zweck Zugriff hat, oder sich Zugriff verschaffen kann.

Normalisierung rassistischer Praktiken

Das Sammeln von Daten über Muslim*innen ist in den USA zum Beispiel seit dem 11. September 2001 schon so weit normalisiert worden, dass der Schritt zu einem offiziellen Register gar nicht mehr so gross erscheint. Der Aufschrei ob solcher Pläne, so dringend nötig er auch ist, kommt damit in vieler Hinsicht vielleicht bereits zu spät, nämlich erst nachdem die ausgeklüngelten Systeme zur Überwachung und Ausschaffung breiter Bevölkerungsgruppen bereits fest verankert sind. «Man sagt so einfach ‹nie wieder› – und verkennt dabei gerne, was sich gerade anbahnt, oder wie weit die Normalisierung von rassistischen Praktiken fortgeschritten ist, gerade auch wenn sie bereits unter Obama etabliert wurden – und wir uns eben nicht früh genug dagegen zur Wehr setzen», meint Karyn, eine Aktivistin des Anti-Eviction Mapping Projects, deren beide Grossmütter von rassistisch motivierten Regierungsmassnahmen betroffen waren. Während ihre Grossmutter auf mütterlicher Seite als Immigrantin aus China während Monaten auf Angel Island interniert war – zusammen mit ihren amerikanischen Kindern –, wurde die Mutter ihres Vaters als Amerikanerin mit japanischen Wurzeln während des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre in ein Internierungslager in Arkansas verfrachtet. Sie war gerade einmal dreizehn Jahre alt. «Natürlich wird es nie genau gleich aussehen, aber wir müssen solche Mechanismen erkennen lernen und uns kritisch damit auseinandersetzen – anstatt uns in eine Erinnerungspolitik zu flüchten, welche die Erfahrung anderer Gruppen und die Gefahr gegenwärtiger rassistischer Strömungen negiert», betont Karyn.

Es rumort in der Tech-Branche

Dass viele Tech-Firmen nun zu einer verhaltenen Kritik an der Politik des Weissen Hauses übergegangen sind, ist wohl vor allem opportunistischem Eigennutzen und Argumenten der «Wirtschaftlichkeit», wie wir sie auch aus der Schweiz gut kennen, geschuldet. Aber auch Proteste und Mobilisierungen haben dazu beigetragen, so zum Beispiel die Blockade des lokalen Uber-Headquarters am «Bleak Friday» oder die Kampagne «DeleteUber», die zum Rückzug von Uber-CEO Travis Kalanick aus Trumps Beratergremium führte. Und auch bei der eigenen Belegschaft rumort es. Ende Januar haben mehr als 2000 Google-Mitarbeitende ihre Arbeit für eine Protestkundgebung niedergelegt und auch anderorts bildet sich Widerstand gegen die Haltung der eigenen Firma. Inwieweit eine solche Kritik jedoch auch die Situation von weniger privilegierten Immigrant*innen und subtiler operierende Mechanismen berücksichtigt, bleibt dahingestellt. Eine kürzlich stattfindende Kundgebung von Tech-Angestellten liess aber zumindest aufhorchen. Die Protestveranstaltung in Downtown San Francisco vereinigte nämlich nicht nur Software-Ingenieur*innen und Programmierer*innen verschiedener Unternehmen, sondern auch die Gewerkschaften des Reinigungs- und Sicherheitspersonals sowie der Beschäftigten der firmeneigenen Cafeterien. In Anlehnung an die Praktiken von Universitäten und Gemeinden wurden «Sancturary Campuses» für Tech-Firmen gefordert, um papierlose Angestellte besser zu schützen, die entgegen der öffentlichen Wahrnehmung auch in der Tech-Branche eine tragende Rolle spielen. Es sind am Ende eben nicht die «Innovators», die Silicon Valley am Laufen halten, sondern Immigrant*innen aus Lateinamerika, die zu Hungerlöhnen und oft unter gesundheitsschädigenden Umständen arbeiten – und gerne unsichtbar gemacht werden.

Und wer putzt das Büro?

Ofelias Mutter, die seit mehr als 20 Jahren in Nachtarbeit die Grossraumbüros von Silicon Valley Firmen putzt und im Gegensatz zu ihrer in den USA geborenen Tochter nicht über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, ist eine von ihnen. Die Familie lebt in East Palo Alto, das von einer Autobahn von Palo Alto mit seiner prestigeträchtigen Stanford University und anderen reichen und mehrheitlich von Weissen bewohnten Gebieten des Silicon Valley abgeschnitten ist. Im Gegensatz zu San Francisco, das mehrere Millionen dringend benötigter Bundesgelder zu verlieren droht, weiss man in East Palo Alto, das man von der Bundesebene nichts zu erwarten hat. Aufgrund der hohen Mordrate galt der Ort lange Zeit als gefährlichste Stadt der USA. Ofelia und ihre Familie sehen das aber anders. In East Palo Alto, einer Immigrant*innen-Gemeinschaft sondergleichen, wo es nicht auffällt und niemanden kratzt, ob man nun über die richtigen Papiere verfügt oder nicht, fühlen sie sich sicher. Dass besserbezahlte Angestellte von Facebook & Co. neuerdings auch nach East Palo Alto ziehen und sich die durch den Tech-Boom ausgelöste Hypergentrifizierung nun auch noch die letzten bezahlbaren Regionen der Bay Area einverleiben, stellt für papierlose Immigrant*innen wie Ofelias Mutter auf mehreren Ebenen eine Bedrohung dar. Denn wer seine Wohnung verliert, muss zukünftig nicht nur unmenschlich lange Arbeitswege auf sich nehmen, sondern riskiert auch, lebenswichtige Netzwerke und den relativen Schutz von Sanctuary Cities wie San Francisco, Berkeley oder East Palo Alto zu verlieren. Wenn es Firmen wie Google und Apple um mehr als reine Lippenbekenntnisse ginge, müssten sie endlich auch für ihre Rolle in der katastrophalen Wohnungsnot und der Verdrängung und Marginalisierung ganzer Gemeinschaften Verantwortung übernehmen. Dies anstatt ständig weitere Steuerdeals auszuhandeln und mit ihren firmeneigenen Shuttle-Bussen und den von ihnen hergestellten Apps die Privatisierung des Service public ihrer Gaststädte und anderer gewerkschaftlich organisierten Sektoren wie dem Taxi- oder Hotelbereich voranzutreiben. Aber das ist schliesslich – genauso wie die Datengenerierung – ihr eigentliches Kerngeschäft.

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