Im letzten Augenblick

flo. Viel hat wirklich nicht mehr gefehlt und es wäre gestreikt worden. Doch die Pilot*innen konnten kurz vor dem Ausstand ihre Forderungen durchsetzen. Was ist dieser Sieg wert?

Es wird wieder gestreikt im Land des Arbeitsfriedens. Auch früher schon in Zeiten vermeintlicher sozialer Grabesruhe hatten Arbeiter*innen ihre «Büez» ruhen lassen, um ihren Forderungen mehr Durchschlagskraft zu verleihen. Doch aktuell häufen sich die Arbeitskämpfe wieder vermehrt, so dass man in praktisch jeder Ausgabe des vorwärts über eine neue Streikbewegung lesen kann. Und: Viele dieser Streiks, wie beim Verkehrspersonal in Genf oder den Textilarbeiter*innen bei Riri im Tessin, werden gewonnen. Und auch bei den Pilot*innen gingen die Arbeiter*innen aus dem Ringen um bessere Arbeitsbedingungen und einen angemessenen Teuerungsausgleich als Sieger*innen hervor. Mit dem Sieg der Personalvertretungen am Verhandlungstisch ist darüber hinaus der bei Swiss herrschende vertragslose Zustand beendet. Er war von der Swiss 2021 gekündigt worden, weil er zu wenig «krisensicher» gewesen sei.

Was habt ihr erwartet?
Man ist insofern versucht, den Entscheidungs-träger*innen in den Teppichetagen der Swiss die Frage zu stellen: Was genau habt ihr erwartet? Als im Februar 2021 der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) von Unternehmensseite gekippt worden war, fiel damit auch die Friedenspflicht der Pilot*innen. Zum Zeitpunkt der Kündigung herrschte wegen Covid noch ziemliche Friedhofsstimmung in der Flugbranche. Nach einem Jahr Covid erholte sich die Wirtschaft nur langsam bis gar nicht. Der Hebel des Personals für einen Streik wäre bei der zeitweise enormen Anzahl sowieso schon gestrichener Flüge nicht besonders gross gewesen.
Tatsächlich hatte die Swiss im Sommer 2021 noch 550 Stellen abgebaut. Irgendwann fanden aber ausgedehnte Impfkampagnen statt, die Zertifikatspflicht kam und die Leute konnten wieder vermehrt in den Urlaub fahren und fliegen. Als das Unternehmen bei der Einführung der Impfpflicht einen Teil ihres Personals verlor, musste sie jedoch einem Teil der Entlassenen Rückkehrangebote machen. Inzwischen dürften sich die Kräfteverhältnisse noch mehr zugunsten der Arbeiter*innen verschoben haben – dabei spielt auch der Prozess eine Rolle, den man in den Schweizer Medien gerne unter «Fachkräftemangel» subsumiert.

Affront auf Affront
Dass man so lange verhandelte, liegt auch an der irrational wirkenden Verhandlungsführung der Lufthansa-Tochter Swiss. Eine kurzzeitige Einigung machte das Unternehmen wieder rückgängig, für die Verhandlungen wurden lange Personal aus dem unteren Management der Unternehmensführung um Dieter Vranckx eingesetzt, wobei es zu Konflikten in der Geschäftsleitung gekommen sei. Darüber hinaus sei versucht worden, Verhandlungsergebnisse aus wirtschaftlich schwierigeren Phasen der letzten Jahre auch dann noch umzusetzen, als die Branche sich zu erholen begann und wieder gute Halbjahreszahlen geschrieben wurden. Bei einer Abstimmung beim Personal wurde jener Vorschlag dann auch mit 80 Prozent der Stimmen verworfen.
Für die Personalvertretung von Aeropers stand beim Konflikt vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Zentrum. Insbesondere die Kurzfristigkeit der Arbeitspläne war ein Stein des Anstosses. Zudem erhalten die Pilot*innen einen relativ bescheidenen Teuerungsausgleich von 2,3 Prozent (Die Uhrenarbeiter*innen hatten Ende Oktober 6,1 Prozent erstritten). Die Anstellungsverhältnisse sind bei der Swiss bislang ambivalent. Es bestehen hohe Lohngefälle – eine Copilotin verdient zu Beginn ihrer Laufbahn etwa 76000 Franken, ihr Kolleg kurz vor der Pensionierung kann bis zu 210000 Franken jährlich verdienen. Die hohen Löhne werden mit der hohen Spezialisierung und der Bindung an das Unternehmen erklärt, die einen Branchenwechsel ohne massive Lohneinbussen unmöglich machen. Dazu kommen grosser Stress, unregelmässige Einsatzzeiten und damit verbundene Gesundheitsrisiken.

Ein Sieg für unsere Klasse?
Wie sehr ist es also als Sieg für die Arbeiter*innen-klasse zu sehen, wenn eine relativ kleine, gut entlöhnte und hochspezialisierte Minderheit innerhalb der Ar-beiter*innenschaft ihre Arbeitsbedigungen und Löhne durch Streikdrohungen verbessern kann? Zum einen ist hier anzumerken, wie nahe man an einem historischen Moment war: In ihrer 20-jährigen Geschichte hatten bei der Swiss die Pilot*innen kein einziges Mal gestreikt. Und jeder solche Moment in den Klassenkämpfen schärft auch das Bewusstsein dafür, dass man kämpfen und siegen kann. Und daran, dass die Unternehmensführung auch dieses Mal bereit war, Zugeständnisse zu machen, kann man ablesen, wie ungelegen den Bossen der Ausstand kam. Das liegt vor allem daran, wie strategisch günstig das Personal in der Luftfahrtbranche positioniert ist. Einige hundert organisierte Arbeiter*innen sind dort dazu in der Lage, Infrastrukturen so lahmzulegen, dass sich ein riesiger Rattenschwanz an Verspätungen durch den ganzen europäischen Flugverkehr zieht. Einige Stunden Streik können Millionen und Abermillionen an verlorenen Profiten für die Konzerne bedeuten.
Wir müssen uns aber hier bewusst machen, dass die Pilot*innen nicht die einzigen strategisch günstig positionierten Arbeiter*innen sind. Und mit Digitalisierung und Spezialisierung auf dem Arbeitsmarkt – da sind diese Prozesse nämlich zweischneidige Schwerter sowohl für das Kapital als auch die Arbeiter*innenschaft – existieren mehr strategisch günstig positionierte Lohnabhängige. Je nach Branche kann die richtige Arbeiterin, am richtigen Hebel, mit einem Streik schon heute enormen ökonomischen Druck schaffen und die Lage ihrer Klasse verbessern.

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