BVG 21: Mehr Beiträge für weniger Rente

Amanda Ioset. Die Debatte über die Gegenreform der beruflichen Vorsorge BVG 21 wird im Parlament aufgrund eines neuen Vorschlags der Ständeratskommission fortgesetzt. Alle Modelle, die derzeit diskutiert werden, sehen eine Senkung des Umwandlungssatzes und eine Erhöhung der Beiträge vor.

Nach der knappen Annahme der Reform AHV 21 in der Volksabstimmung vom 25.September hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S) einen neuen Vorschlag für Ausgleichsmassnahmen im Rahmen der beruflichen Vorsorge vorgelegt. Zur Erinnerung: Der Entwurf der Gegenreform BVG 21 war nach Beratungen im Juni 2022 vom Ständerat an die Kommission zurückgewiesen worden. Doch, um zu verstehen, was im Parlament im Bereich der zweiten Säule gerade gespielt wird, ist ein vertiefter Blick in die Geschichte nötig.

Das Projekt der Sozialpartner*innen
Am 24.September 2017 lehnten 52,7 Prozent der Wählenden die Vorlage Altersvorsorge 2020 (AHV 2020) ab. Diese Gegenreform betraf sowohl AHV, also die erste Säule durch die Erhöhung des Rentenalters der Frauen*, sowie die zweite Säule, Pensionskassen durch die Senkung des Umwandlungssatzes. Kurz darauf schlug der Bundesrat dieselben Massnahmen erneut vor, doch diesmal aufgeteilt in zwei verschiedenen Vorlagen: Die AHV 21 und die BVG 21. Die Hauptfrage, die die Regierung damals in Bezug auf die zweite Säule beantworten musste, lautete: Wie bringt man die Arbeitnehmer*innen dazu, eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes zu akzeptieren, die in Volksabstimmungen bereits mehrfach abgelehnt wurde? Die Antwort bekam die Regierung von den Sozialdemokraten und Gewerkschaften auf dem Tablett serviert: Sie erklärten sich bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und gemeinsam mit den Arbeitgeber*innen ein sogenanntes «Reformprojekt der Sozialpartner*innen» auszuarbeiten.
Im Gegensatz zu dem, was die «Linke» gerne behauptet, ist der Entwurf, der aus diesen Verhandlungen hervorging, weder ein guter Kompromiss und noch ein sozialer Fortschritt. Der Kern der Vorlage besteht weiterhin darin, den Mindestumwandlungssatz von 6,8 auf sechs Prozent zu senken. In der obskuren Sprache der beruflichen Vorsorge ist der Umwandlungssatz die Zahl, mit der das Altersguthaben (das während des Arbeitslebens angehäufte Kapital) in eine jährliche Altersrente umgewandelt wird. Nehmen wir als Beispiel ein Altersguthaben von 100000 Franken. Mit dem aktuellen Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent beträgt die jährliche Altersrente 6800 Franken. Bei einem Satz von sechs Prozent sinkt die Rente auf 6000 Franken.

Ausgleichsmassnahmen?
Eine Senkung des Umwandlungssatzes hat also eine Senkung der Renten zur Folge. Tatsache, die bei einer Volksabstimmung einen äusserst schweren Stand hätte. Und das wissen auch der Bundesrat und die Sozialpartner*innen.
Der Entwurf schlägt daher vor, das Gesamtniveau der Renten durch verschiedene sogenannte «Ausgleichsmassnahmen» zu erhalten. Die erste ist die Senkung des Koordinationsabzugs. Es ist der Betrag, der vom Lohn abgezogen wird, um den Anteil des versicherten Lohns zu berechnen. Durch die Senkung dieses Koordinationsabzugs wird der Anteil des versicherten Lohns und damit die Beitragsbemessungsgrundlage erhöht. Die zweite Massnahme besteht in einer Anpassung der Altersgutschriftensätze. Also des Prozentsatzes des versicherten Lohns, der jedes Jahr dem Altersguthaben der Arbeitnehmer*innen gutgeschrieben wird. Die dritte Massnahme ist die Einführung eines Rentenzuschlags, der solidarisch durch die Beiträge der Arbeitnehmer*innen finanziert werden soll. Sieht man von der sehr technischen Sprache mal ab, die in diesem Bereich verwendet wird, ergibt sich unter dem Strich folgendes Bild: Das Ziel des Projekts der Sozialpartner*innen ist, die Arbeitnehmer*innen dazu zu bringen, während ihres gesamten Berufslebens höhere Beiträge zu zahlen, um im Grossen und Ganzen die gleichen Renten wie bisher zu erhalten.

Gut für die Frauen*?
Ein von der Linken genanntes Argument, um ihre Unterstützung dieses «Kompromisses» zu rechtfertigen, ist, dass die Senkung des Koordinationsabzugs die Absicherung von Wenigverdienenden oder Teilzeitbeschäftigten, hauptsächlich Frauen*, verbessern würde, die heute keine oder kaum Beiträge in die zweite Säule einzahlen. Dieses «feministische» Argument ist jedoch sehr zweifelhaft, denn in Wirklichkeit werden die betroffenen Personen diese minimale Verbesserung ihres BVG-Schutzes sehr teuer bezahlen. Ihre ohnehin schon prekären Löhne werden durch die Beiträge der zweiten Säule noch weiter geschmälert, sodass sie im Alter kaum höhere Renten als heute erhalten. Dies hält auch der Bericht des Bundesrates klar fest. Darin zu lesen ist, dass mit dem Entwurf der Sozialpartner*innen «die Arbeitnehmer*innen rund dreiviertel der zusätzlichen Lohnbeiträge aus der Reform tragen werden, was zu einer Verringerung ihres Einkommens um durchschnittlich 0,8 Prozent führen wird».

Die Bürgerlichen beenden die Arbeit
Die Sozialpartner*innen hatten also den Boden gut vorbereitet, indem sie die Grundzüge der neuen Gegenreform festlegten. Der Rechten blieb nur noch, die Arbeit im Parlament zu vollenden, indem sie das Projekt noch weiter verschärfte. Im Dezember 2021 beschloss der Nationalrat, den Sparprozess vorzuziehen und somit junge Arbeitnehmer ab 20 Jahren (heute 25 Jahre) beitragspflichtig zu machen. Er übernahm somit den Vorschlag, der unter anderem aus den Reihen des Schweizerischen Baumeisterverbands, des Schweizerischen Pensionskassenverband und dem Schweizerischen Versicherungsverband stammte. Der bürgerlich dominierte Nationalrat lehnte auch den von den Sozialpartner*innen und dem Bundesrat geplanten Rentenzuschlag ab und ersetzt ihn durch einen auf 15 Jahre befristeten Zuschlag, der nicht für alle gilt. Im Jahr 2022 sprach sich die SGK-S für einen Kompromiss aus in Sachen Rentenzuschlag. Doch auch dieser fand im Ständerat keine Mehrheit und die Vorlage wurde an die Kommission zurückgewiesen.

Die Antwort muss Referendum heissen
Der Kampf um BVG21 zeigt, wie sehr die Strategie der SP, Sozialabbauprojekte mit Kompensationsmassnahmen zu begleiten, an ihre Grenzen stösst. In diesem Fall verdeckt die Frage nach der Kompensation – dem Rentenzuschlag – die Tatsache, dass die zentralen Pfeiler der Gegenreform (die Senkung des Umwandlungssatzes und die Erhöhung der Beiträge) nicht einmal bestritten werden, was zumindest beunruhigend ist. Mehr Beiträge zahlen, um in etwa das Gleiche oder sogar weniger zu verdienen, noch mehr Geld der Arbeitnehmer*innen in die Vorsorgekassen, das heisst in die Finanzmärkte pumpen: Das Projekt der Liberalen und das, was uns die Führungsetagen der Sozialdemokrat*innen und der Gewerkschaften vorschlagen, sind im Grunde genommen fast identisch.
Die Arbeitnehmer*innen in diesem Land müssen anderswo nach Lösungen für ihre Renten suchen. Und auf BVG 21 müssen sie mit einem Referendum antworten, egal welche Variante in Bern triumphieren wird.

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