Feministischer Kampf im Iran gestern, heute, morgen

Sadaf Sedighzadeh. Jin, Jiyan, Azadî. Ich war fasziniert von diesem Spruch, als ich im Kontext der kurdischen Widerstandsbewegung darauf gestossen bin. Nichtahnend, dass mich diese drei Worte ausgerechnet im Zusammenhang revolutionärer Prozesse in der Heimat meiner Eltern wieder beschäftigen werden.

Frau, als politisches Subjekt. Leben, als Kontext der Bedingungen, die vom Patriarchat erzeugt werden, um Macht aufrechtzuerhalten, Leben und Lebensräume zu definieren. Freiheit als Forderung, diese Macht aufzubrechen.
Zumindest habe ich mir das damals im Rahmen meiner Maturarbeit zu Jineoloji zusammengereimt. Und nun ist der Spruch wieder präsenter denn je. Seit September letzten Jahres sind im Iran heftige Proteste ausgebrochen, deren Geburtsstunde der Mord an Jina Mahsa Amini war. Die 22-jährige Kurdin wurde von der Sittenpolizei so heftig zusammengeschlagen, dass sie wenige Stunden später an deren Folgen gestorben ist. Es ist nicht das erste Mal, dass Schreckensbilder von staatlich ermordeten Frauen aus dem Iran um die Welt gehen. Prägende Erinnerung aus meiner Kindheit war das Bild der 27-jährigen Neda Agha-Soltan, die im Zuge der Proteste nach dem Wahlbetrug der Präsidentschaftswahl 2009 von einem Basiji erschossen wurde. «Neda» bedeutet «Stimme» oder «Ruf». Eine Symbolik, die sich auch bei den aktuellen Protesten wieder zeigt. Die Heimat meiner Eltern ist gezeichnet von wiederkehrenden Protesten, von Widerstand. Sie ist gezeichnet von Frauen, deren Leben regelrecht bekämpft werden. Frauen sind Dreh- und Angelpunkt der Widersprüche. Frauen sind Widerstand gegen das Regime. So war es auch schon 1979, als der internationale Feministische Kampftag erster Warnhinweis auf die kommende Entwicklung war und niemand hingehört hat.

Wie alles begann
Doch kehren wir ganz an den Anfang unserer Geschichte zurück. Es war einmal ein König, Mohammad Reza Shah Pahlavi. Dieser König, dieser Shah, hat Iran sehr geprägt. Er war bemüht aus dem Iran eine «Tamadon-e Bozorg», eine «grosse Zivilisation» zu machen. Diese Veränderung erachtete er als ermöglicht durch die «Weisse Revolution». Das war eine Reihe an rasant ausgeführten sozialen, politischen und ökonomischen Reformen, welche – laut seines Beraters Wolf Ladjinsky in Washington – den Übergang zu einem Industriestaat ermöglichen, den Status des Landes anheben und die Macht des Shahs verfestigen. Was die Weltöffentlichkeit von dieser «Weissen Revolution» mitbekam, waren unter anderem mehr Bildung für Frauen, Reformen des Familienrechts und Frauenwahlrecht. Was die Weltöffentlichkeit nicht mitbekam, war zum Beispiel, dass die Bildungsreformen nur wenige tausend Frauen zugutekamen. Was sie auch nicht mitbekam, war unter anderem die Zensur und die Errichtung der SAVAK, einem gnadenlosen Geheimdienst, der politische Gegner:innen systematisch verfolgte und  nicht vereinbar war mit international geltenden Menschenrechten. Die feministischen Bemühungen des Monarchen beschränkten sich auf alles, was vom Westen anerkannt werden konnte, ohne grundlegende Veränderung in Bezug auf Gleichstellung erreichen zu müssen. Feminismus lag nicht im Interesse des Shahs, wie folgendes Zitat zeigt: «Niemand kann mich beeinflussen, überhaupt niemand. Und eine Frau schon gar nicht. Im Leben eines Mannes zählen Frauen nur, wenn sie schön und anmutig sind und wissen, wie man weiblich bleibt. Diese Frauenbefreiungsbewegung zum Beispiel. Was wollen diese Feministinnen? Was wollt ihr?» So äusserte sich Mohammad Reza Pahlavi gegenüber Oriana Fallaci, einer italienischen Journalistin im Dezember 1973, sieben Jahre bevor die Revolution und allen voran auch Frauen tatsächlich Einfluss auf sein Leben genommen haben. 

Parvins Erinnerungen
Die tiefst misogyne Weltanschauung des Monarchen zeigt sich auch darin, dass er den Feministischen Kampftag, der im Iran erstmals 1921 bestritten wurde, verbat und ihn durch einen politisch sinnentleerten Muttertag ersetzte. Die Politik von Mohammad Reza Pahlavi hat tiefe Risse hinterlassen und Leben beeinflusst. Parvin, die seit 39 Jahren in der Schweiz ist und die Phase des Umbruches im Iran miterlebte, mag sich noch an «verbotene Bücher» erinnern, die teilweise nicht unbedingt subversiv waren, dennoch der Zensur der repressiven Politik des Shahs unterlagen. Ihr Vater, der damals politisch aktiv war, wurde nicht nur verhaftet, sondern nach der Haft auch der Wiedereinstieg in seinen ehemaligen Beruf verwehrt. Sie betont, dass ihr Vater wegen seines Aktivismus aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Es sei dezidiert keine demokratische Regierung gewesen.
Dann kam 1979 und die Bevölkerung Irans war durstig nach Freiheit und stürzte den Shah. Iran war schon immer divers. Ein Vielvölkerstaat, dessen Wünsche so vielschichtig waren, wie die Intersektionen ihrer Unterdrückung. Durch die Flucht des Shahs ins Exil und die damit verbundene revolutionäre Stimmung im Iran waren Demonstrationen zum Feministischen Kampftag überhaupt erst wieder möglich. Zeitgleich wurden Frauenrechte Stück für Stück durch Khomeini und vor allem der Propaganda seiner Anhängerschaft abgebaut. Das bat einem Bündnis aus Studierenden, Intellektuellen und Frauenorganisationen Grund sich zu vernetzten und diesen Kampftag vorzubereiten, auch weil die Stimmung im Land sich verändert hatte. Parolen wie «Ya roosari, ya toosari», übersetzt: Entweder Kopftuch oder Schläge auf den Kopf, wurden seitens der religiösen Anhängerschaft Khomeinis immer lauter. Am 6.März 1979 erliess Khomeini ein Dekret, der den Hijab-Zwang im Iran einführte. Am selben Abend wird im iranischen Fernsehen verkündet, dass jede Person, die am «imperialistischen und fremden» internationalen Feministischen Kampftag teilnimmt, als anti-islamisch gesehen wird. Vermittelt wurde diese Botschaft von Maryam Riyazi, eine berühmte Fernsehmoderatorin, die an diesem Tag erstmals mit Kopftuch im Fernsehen zu sehen war. Fortan ist ein Wendepunkt überschritten, die emanzipatorische Revolution kippt in eine islamistische und misogyne Richtung und der Feministische Kampftag 1979 entpuppt sich als erste Reaktion gegen dieses sich anbahnende
Terror-Regime. 

Der 8.März 1979, ein Hauch von Hoffnung
Parvin war damals knapp 19, hatte ihr Studium frisch begonnen und zog von Abadan, eine Ortschaft im Süden des Landes, nach Teheran, um auf WG-Zimmer-Suche zu gehen. Dort wurde sie auch auf den Feministischen Kampftag aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester ging sie am 8.März auf die Strasse, um Widerstand zu leisten gegen die totalitären Entwicklungen, gegen patriarchale Dynamiken, welche die Khomeini gross gemacht haben und letztlich beginnen, die Gesellschaft zu prägen. Parvin berichtet von vielen jungen und nicht mehr jungen Frauen, manche mit, manche ohne Kopftuch, sie berichtet von vielen Arbeiterinnen in Uniformen, von Pflegefachfrauen und Schülerinnen. Wenn sie von den Demonstrationen erzählt, zieht sich ein müdes, aber zutiefst glückliches Lächeln über ihr Gesicht, das einen Hauch von Nostalgie birgt. Sie erinnere sich stets sehr gerne an diese Zeit, fügt sie hinzu.
Die dezentral organisierten Proteste rund um den Feministischen Kampftag 1979 gingen mehrere Wochen lang, in der Luft hing ein Hauch von Hoffnung. Doch es war eben auch ein Kampftag und der Feind in diesem Kampf wurde durch die Parolen des Feministischen Widerstandes klar benannt. «Wir haben keine Revolution gemacht, um Rückschritte zu machen», hiess es Mitte März im Iran. Frauen im Hijab gingen auf die Strasse, damit das Hijab eine Wahl bleiben kann. Oft zeigte sich das auch in intergenerationeller Solidarität. Grossmütter und Mütter schlossen sich der jüngeren Generation an, damit Frauen zukünftig nicht unsichtbar gemacht werden, damit sie Entscheidungen treffen können, damit das Land weiterhin einen emanzipatorischen Weg einschlägt. Es ging niemals nur ums Kopftuch, weder damals noch heute, es ging und geht darum, die Symbolen der Macht über den weiblichen Körper zu bekämpfen. 

Krieg und Knast
Lange weigerten sich Frauen die Kopftuchpflicht zu befolgen. Unter ihnen auch Parvin, die bei Kriegsausbruch ein Jahr nach der Revolution in den Süden zurückgefahren ist, um im Iran-Irakischen Kriegsgebiet Bildungsarbeit zu leisten und Kriegsflüchtlingen zu helfen – ohne Kopftuch versteht sich. Der Iran-Irak Krieg wurde als «Heiliger Krieg» propagiert, weshalb Pazifist:innen wie Parvin vom Regime bekämpft wurden. Parvin wurde am Jubiläumstag der Revolution verhaftet und wegen «moharebeh», also Krieg gegen Gott verurteilt. Eine Parallele, die sich auch zu heute ziehen lässt, da die revolutionären Proteste als «Krieg gegen Gott» betrachtet werden, worauf im Iran die Todesstrafe verhängt wird. Die Durchsetzung der Hijab-Pflicht bekam Parvin aus dem Gefängnis raus etwas verzögert mit, anders als auf den Strassen Irans, wo sich allmählich ein Repressionsapparat gegen nicht verschleierte Frauen entwickelte. Das Regime versuchte das Kopftuch mit aller Härte durchzusetzen, erstmals mit Schläger-Cops, später mit Säureangriffe auf unverschleierte Frauen.
Die Forderungen der Feministischen Bewegung rund um den 8.März wurden von allen Seiten kleingeredet. Feminist:innen wurden mit ihren Anliegen und ihrem Unbehagen der Entwicklungen gegenüber alleine gelassen. Khomeini und seine Anhänger haben die Proteste als «verdorben und fremd» abgetan. Die Mehrheit der Linken interessierte sich nicht für das Kopftuch und setzte den Fokus auf den antiimperialistischen Kampf. Die bürgerliche Mitte warf der feministischen Bewegung vor, für die Verfestigung der Islamischen Republik durch ihre Unruhen verantwortlich zu sein. Und niemand hörte zu, um was es denn eigentlich ging. Denn für eine Islamische Republik sind sie damals nicht auf die Strasse, sagt Parvin mit Nachdruck. 

Frauen, Leben, Freiheit
Die Geschichte meines Geburtsortes hat schon mal gezeigt, wieviel man sich verbauen kann, wenn man nicht solidarisch ist, wenn man einander nicht zuhört, wenn man Dynamiken Raum gibt, die den Diskurs bis ans Unkenntliche verändern können. Die Geschichte meines Geburtsortes ist gezeichnet von wiederkehrenden Protesten, von Widerstand. Sie ist gezeichnet von Frauen, die mutig genug sind, solange laut zu sein, bis sich etwas verändert, auch wenn das über 44 Jahre lang dauert. Die Geschichte meines Geburtsortes ist die Geschichte von Frauen, ihr widerständiges Leben für eine Zukunft in Freiheit. 

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