Die Solidarität lebt weiter

Das Treffen der Brigade mit der kubanischen Frauenorganisa-tion Federación de Mujeres Cubanas.

Jadena Schlettwein. Im Juli dieses Jahres reiste die 50.Solidaritätsbrigade José Martí nach Kuba. Das Ziel war es,
Solidarität mit der sozialistischen Revolution zu zeigen und den kubanischen Sozialismus kennenzulernen. Kuba, das seit über 60 Jahren unter Sanktionen leidet, schafft es allen Widersprüchen zum Trotz, den Sozialismus zu erhalten.

Dieses Jahr hatte ich das Glück, als Teil der Solidaritätsbrigade José Martí nach Kuba zu reisen. Diese Brigade, die durch die freiwillige Hilfsarbeit bei der Zuckerrohr-Ernte entstanden ist, bietet auch heute noch die Möglichkeit, Kuba und die kubanische Revolution durch die gelebte Solidarität kennenzulernen.
Das Programm hat allerdings mit der körperlichen Arbeit der Zuckerrohr-Ernte nicht mehr viel zu tun. Nur zwei von fünfzehn Tagen arbeiteten wir auf dem Feld, um dort bei der Aussaat zu helfen. Den Rest der Zeit verbrachten wir mit einem kulturellen und politischen Programm, dass das Ziel hatte uns das kubanische Leben in all seinen Aspekten zu zeigen. In einer Gruppe von etwa 40 Personen, aus allen Ecken Europas stammend, reisten wir zwei Wochen durch das Land. Von historischen Plätzen wie der Schweinebucht, zu örtlichen Spitälern, abgelegenen Dörfern und dem neu aufkommenden Privatsektor versuchten wir, die gesamte Realität von Kuba heute kennenzulernen. Ein Unterfangen, das in zwei Wochen natürlich nie erreicht werden konnte.

Völkerrechtswidrige Sanktionen
Überrascht hat mich die Differenziertheit und Ehrlichkeit des Programmes. Es gab keinen Versuch, die Schwierigkeiten oder Widersprüche, die existieren, zu verschweigen oder kleinzureden. Alle, selbst – oder insbesondere – die stärksten Unterstützer:innen der Revolution und des Sozialismus, haben offen über die Probleme gesprochen, denen sie im Alltag begegnen.
Seit gut 60 Jahren leidet Kuba unter Wirtschaftssanktionen, auferlegt durch ihren grossen Nachbarn, die USA. Der Sozialismus mitten im Herzen des Einflussgebietes dieser Weltmacht, in einem Gebiet, das von den US-amerikanischen Imperialist:innen als ihr Besitz angesehen wird, konnte und kann so vom Imperialismus nicht toleriert werden. Als die Sanktionen im Juli 1964 in Kraft traten, hatten sie das klar gestellte Ziel, den populären Rückhalt der Sozialist:innen in der Bevölkerung Kubas zu unterwandern, und zwar durch das Verschlechtern des Lebensstandards der Bevölkerung. Dieses Ziel hat sich in den vielen Jahren seither nicht verändert. Zumindest ein Teil des Plans funktioniert: Es mangelt an allem, sei es Geld, Benzin oder Essen. Und seit dem Fall des Ostblocks, dem ehemaligen grössten Handelspartner Kubas, befindet sich das Land in einem fast konstanten Krisenzustand.
Während der Covid-Pandemie wurden die Sanktionen erneut verschärft. Die Konsequenzen davon sind gut spürbar. Trotzdem hat Kuba fünf Impfungen entwickelt, die Sterberate ist mittlerweile gleich tief wie bei einem Erst-Welt-Land. In verschiedenste Länder werden kubanische medizinische Brigaden geschickt, die wirksamste kubanische Impfung wird auf der ganzen Welt verteilt.

Staatlich kontrollierter Privatsektor
Trotzdem: Eine Reaktion auf diesen konstanten Krisenzustand musste folgen. Eine Veränderung war notwendig. Um die Finanzierung für die Entwicklung von rückstehenden Sektoren zu ermöglichen, haben die letzten Reformen die Tür für ausländische Investor:innen geöffnet. Das nötige Geld wird angeschafft durch die Eröffnung eines privaten Marktes und sogenannten Joined Ventures, Unternehmen, in denen private Investor:innen 49 Prozent des Unternehmens besitzen und der Staat die restlichen 51 Prozent. Die Voraussetzung ist, dass alle Arbeiter:innen Kubaner:innen sein müssen, einzig das Management darf aus dem Ausland kommen. Damit soll garantiert werden, dass Kubaner:innen ausgebildet werden und die notwendigen Fähigkeiten, um bestimmte Sektoren zu unterhalten, auch im eigenen Land existieren. In allen Unternehmen bestehen strikte staatliche Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen und eine breite gewerkschaftliche Organisation der Angestellten. Das Ziel der Finanzierung und des Aufbaus gewisser Bereiche kann damit erreicht werden. Aber damit einher kommt auch ein offensichtlicher Widerspruch und eine offensichtliche Gefahr, die bei der Existenz von kapitalistischer Produktion – wenn auch unter grosser staatlicher Kontrolle – auch in einem sozialistischen System existiert. Eine wachsende Ungleichheit und eine Reproduktion der kapitalistischen und kleinbürgerlichen Ideologie sind reale Konsequenzen dieser Entwicklungen.
Trotz allem hält sich der Sozialismus weiterhin. Der Privatbesitz befindet sich unter Kontrolle eines Staates, der die Arbeitenden vertritt und sich für ihre Rechte einsetzt. Die Notwendigkeit, sich ausbeuten zu lassen, um zu überleben, die uns im Kapitalismus so klar begegnet, ist abgeschwächt: Gesundheit und Bildung sind kostenlos und zugänglich, alle Kubaner:innen erhalten Rationen an Nahrungsmitteln und es ist illegal, jemanden aus seiner oder ihrer Wohnung auszuweisen.

Die Komitees zur Verteidigung der Revolution
Aber Privatbetriebe sind nicht das einzige, was Kuba ausmacht. Auch verschiedene Basisorganisationen und politische Organe konnten wir in der Brigade kennenlernen. Überraschend dabei: Es war nicht ungewöhnlich, dass an einer Konferenz alle Rollen auf der Bühne von Frauen besetzt waren. Konkret: die Vertreterinnen von politische Organen oder Organisationen, die Moderation und die Übersetzung. Das ist nicht aus einer aktiven politischen Entscheidung entstanden, sondern das Resultat in einem Land, in dem der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter ernst geführt wird und daher mehr als nur eine leere Show ist.
Entgegen dem, was hier bei uns gerne über Kuba berichtet wird, sind die demokratischen Prozesse im ganzen Land weit verbreitet und fest in der Bevölkerung verwurzelt. Der Einfluss, den das Geld in der Schweiz auf jede Wahl und Abstimmung hat, existiert in Kuba nicht.
Das Basisorgan der kubanischen Gesellschaft sind die Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR). Mehrere davon, in verschiedenen Lagen und Umgebungen, wurden von der Brigade besucht. Diese Komitees sind aus Bürger:innenmilizen zur Verteidigung gegen rechte Terrorgruppen während der Revolution entstanden, haben sich allerdings weiterentwickelt zur Basis der Organisation der Nachbarschaft. Sie umfassen eine definierte Nachbarschaft und alle, die dort wohnen, werden mit ihrem 16.Geburtstag automatisch Mitglied. Durch die CDR wurden unter anderem Recyclingkampagnen durchgeführt, die Impfungen während der Pandemie verteilt und die Besorgung von Nahrungsmitteln für diejenigen in Covid-Isolation organisiert.

Unterstützung in der Bevölkerung
Auch politische Entscheide werden in diesen Nachbarschaften diskutiert, wie das letzte Referendum zum neuen Familienkodex. Diese Diskussionen können lange und anstrengend sein, wurde uns erzählt, denn die unterschiedlichsten Positionen haben die Möglichkeit, dort aufeinanderzuprallen. Alle Anwohnenden der Nachbarschaft haben das Recht, das Wort zu ergreifen.
Wahlen finden ebenfalls in den Nachbarschaften statt. Delegierte können von Nachbar:innen vorgeschlagen werden – es gibt keinerlei Voraussetzung, dass sie Mitglied der Partei oder einer Massenorganisation sein müssen. Dadurch, dass die Wahlen innerhalb einer gefestigten Community stattfinden, wird sichergestellt, dass die gewählten Abgeordneten die Probleme ihrer Nachbarschaft genau kennen – denn sie erleben die genau gleiche Realität. Auch werden sie so gezwungen, täglich den Kontakt mit denjenigen zu haben, denen sie Wahlversprechen gemacht haben. Sollten sie ihren Wahlversprechen nicht nachkommen, existiert das Recht, sie wieder abzuwählen.
Delegierte müssen dabei nicht auf Linie des Staates sein oder die Revolution unterstützen. Im Gegenteil: Alle haben das Recht, gewählt zu werden, egal wie ihre gesellschaftspolitischen Positionen sind. Heisst das, dass auch antikommunistische Positionen vertreten werden? Ja, natürlich. «Aber die Leute merken schon, wer sich wirklich für ihre Interessen einsetzt und wer nicht», wird uns an einem Treffen erzählt. Es ist daher nur durch die Unterstützung in der Bevölkerung, dass sich der Sozialismus aufrechterhält und weiterentwickelt.

«Wir werden es überstehen»
Der Klassenkampf ist nicht vorbei im Sozialismus. Er ist ein Prozess, bei dem sich das Kräfteverhältnis geändert hat und die arbeitende Klasse die Werkzeuge verwenden kann, die vorher der Bourgeoisie vorbehalten waren. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die Widersprüche im Griff zu behalten und den Sozialismus zu schützen – aber gewaltig sind alle Probleme, denen die kubanischen Genoss:innen bisher begegnet sind. Trotzdem existiert der Sozialismus mit all seinen Erfolgen auf der kleinen Insel. Bildung für alle, ein umfassendes demokratisches System und das Abdecken der Grundbedürfnisse der Menschen. Ein Land, das Ärzte anstelle von Waffen in andere Länder schickt. Das sind nur ein paar der Resultate, die der Sozialismus allen Schwierigkeiten zum Trotz vorweisen kann.
Es gibt eine Erfahrung, die mir von der Brigade besonders geblieben ist. Wir waren in Havanna unterwegs und sprachen einen Arbeiter in einem Museum an, um ihn nach dem Weg zum nächsten WLan-Park zu fragen. Das Gespräch entwickelte sich, die spanisch sprechenden Genoss:innen erzählten ihm von den Erfahrungen der Solidaritätsbrigade und unseren Eindrücken, er erzählte von seinem Alltag und seiner Arbeit. Wie die meisten, die wir getroffen hatten, sprach er sehr offen über die Probleme, denen er jeden Tag begegnete. «Wir leben in einer schwierigen Zeit», meinte er, und stellte dabei sicher, dass die spanisch sprechenden Genoss:innen ihn auch übersetzten. «Aber es ist nicht das erste Mal, dass wir in einer schwierigen Zeit leben. Das sind wir uns gewohnt. Bisher haben wir es immer überstanden, und wir werden es auch dieses Mal wieder überstehen.»

Ein wichtiger Austausch
Kuba ist ein kleiner Inselstaat, der das Unmögliche geschafft hat. Das Land muss ein Vorbild sein für alle, die für eine bessere Welt kämpfen. Denn Kuba beweist uns, dass es einen anderen Weg in die Zukunft gibt, dass wir mehr Optionen haben als nur die Ausbeutung und Zerstörung, die durch kapitalistische Produktionsweise entsteht.
Auch in den kommenden Jahren werden wieder Solidaritätsbrigaden nach Kuba reisen. Mit ihnen werden Leute in der Lage sein, zu sehen, welchen Schwierigkeiten Kuba jeweils gerade begegnet. Sie werden aber auch sehen, dass Alternativen zum Kapitalismus vorhanden sind und sie werden Solidarität mit dem kubanischen Volk sowie dem kubanischen Sozialismus zeigen. Ein Austausch, der uns allen guttut.

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