Bedingungslose Solidarität

Wenn Bilder mehr als 1000 Worte sagen. Bild: Kurdischer Roter Halbmond

lmt. Das an der türkisch-syrischen Grenze ereignete Erdbeben kostete unzählige Menschen das Leben und machte Millionen zu Obdachlosen. Um die Soforthilfe zu unterstützen und längerfristig auch am Aufbau helfen zu können, wurde hier in der Schweiz eine Solidaritätsaktion gegründet.

«Das alles hätte nicht sein müssen», so die traurigen Worte von Seyhan Karakuyu im Gespräch mit dem vorwärts. Sie ist Mitgründerin des neuen Vereins «Solidaritätsbrücke». Die Nationalrätin und ebenfalls Mitgründerin des Vereins Sibel Arslan stellte am Anfang klar: «Wir sind ein neutraler Verein, der nur finanzielle Unterstützung sammelt, damit wir mit den Akteur:innen vor Ort Direkthilfe leisten können.» Im Moment würde es vor allem darum gehen, die Überlebenden am Leben zu halten und in sichere Gegenden unterzubringen.
Aber Seyhan spezifizierte gegenüber dem vorwärts auch die weiteren Ziele des Vereins: «Wir sind nicht nur Soforthilfe, sondern wir wollen Spendengelder für längerfristige Projekte sammeln. Vor uns steht jahrzehntelange Arbeit.» Als ein Beispiel eines solchen Projekts nennt sie den möglichen Bau eines Waisenhauses. Im Katastrophengebiet wird es viele Projekte für den Wiederaufbau geben müssen, für die der Verein eben Geld sammelt.

Aus Betroffenheit folgen Taten
Das Ausmass der Katastrophe im betroffenen Gebiet an der türkisch-syrischen Grenze ist verheerend, kaum vorstellbar: Zehn komplett zerstörte türkische Städte, über 26 Millionen Menschen in Not und stetig steigende Todesopfer. Bei Redaktionsschluss lag die Zahl bei 47000. Die Überlebende kämpfen bei eisigen Temperaturen und schlechtem Wetter weiter um ihr Leben. Das Erdbeben und die Nachbeben trafen ein Gebiet, das sich bereits vor der Katastrophe in einem prekären Zustand befand. Schlecht gebaute Häuser, katastrophale Infrastrukturen und mangelnde Strom- und Wasserversorgung. In Nordsyrien ist zudem weiterhin die türkische Militäroffensive aktiv. Das Erdbeben stürzte die Menschen in noch grösseres Elend. «Als wir am Morgen des 6.Februars vom Erdbeben erfuhren, mussten wir zuerst einmal den Schock verarbeiten und uns sammeln. Wir haben alle Verwandte und Freunde in der Region», erzählt Seyhan dieser Zeitung. «Aus der Betroffenheit wuchs der Impuls zu helfen. So organisierten wir gegen den Abend eine Kriseninterventionssitzung. Und an dieser Sitzung entstand die Idee, einen Verein zu gründen.» In Bern fand eine ähnliche Sitzung statt und daraus resultierte der Verein «Solidaritätsbrücke», kurz Solibrücke. Der Namen wurde für den Verein in Basel übernommen.  «Beide Solidaritätsinitiativen operieren jedoch unabhängig voneinander. Was uns verbindet, ist ein gemeinsames Spendenkonto», erklärt Seyhan weiter.

Nicht in falsche HändeSeit dem Ausrufen des Ausnahmezustands in der Türkei befinden sich alle Machtmechanismen beim Staatspräsident Erdo?an. In anderen Worten: Alles wird von einem Menschen kontrolliert. Seyhan berichtet dem vorwärts von Fällen, in denen Lastwagen gefüllt mit Hilfsgütern von nicht regierungsnahen Organisationen konfisziert wurden. Diese wurden dann mit Aufklebern oder Banner der Regierung und der Partei Erdo?ans, die AKP, versehen und so in die Dörfer geschickt. Am 15.Februar wurde zudem in der betroffenen Region ein Hilfscamp der kurdischen Partei «Halklar?n Demokratik Partisi» (HDP) vom türkischen Militär geräumt, sprich übernommen. 
«All dies wollen wir verhindern. Es darf nicht sein, dass die Regierung die Situation ausnutzt, um ihre Propaganda zu machen», so Seyhan weiter. Und: «Auch aus diesen Gründen haben wir unseren neutralen Verein gegründet, damit die Hilfsgüter nicht an den Staat gelangen.» Man will von der Schweiz aus Einfluss nehmen und gewährleisten, dass die Güter dort hinkommen, wo sie gebraucht werden.
Der Verein rief jüngst zu einer Medikamentenspende auf. Ursprünglich wollte der Verein keine Sachspenden sammeln. Doch angesichts der Situation kam es zum Umdenken. «Streng genommen sind Medikamente keine Sachen, sondern essenzielle und überlebenswichtige Mittel. Und sie müssen auch nicht in Lastwagen transportiert werden, sondern können in einem Koffer gepackt und mit einer Person in die Region geschickt werden», so die Erklärung des Vereins. Aber der Grundsatz, Spendengelder für längerfristige Projekte zu sammeln, bleibt.

Alternativen schaffen
«Gewisse Parteien, darunter die SYKP und HDP, sowie Gewerkschaften, Parlamentarier:innen und die Zivilbevölkerung haben sich zusammengeschlossen und in jeder betroffenen Stadt ein Krisenzentrum aufgestellt», erzählt Seyhan weiter. Diese Krisenzentren basieren auf demokratische, solidarische und progressive Prinzipien. Sie agieren ausserhalb der staatlichen Machtmechanismen und bilden somit in dieser Krisenzeit eine Alternative dazu. Während der türkische Staat in den wichtigen ersten drei Tagen nicht vor Ort war, koordinierten die Krisenzentren zusammen mit anderen Organisationen die Rettungsaktionen und danach die Hilfe für die Überlebenden.
«Unserem Verein ist es wichtig, die Alternative in der Türkei ausserhalb der staatlichen diskriminierenden Mechanismen zu unterstützen», so die Worte der Mitbegründerin von Solibrücke. Der Verein stellt weiter klar: «Wenn humanitäre Soforthilfe geleistet wird, kommt es nicht zu Diskriminierungen. In dem Moment wird niemand nach der Ethnie gefragt. Es wird einfach gerettet.» Aber: «Längerfristig, vor allem wenn es um den Wiederaufbau der bis anhin schon benachteiligten Region gehen wird, wird es zu Diskriminierungen kommen.» Das will man umgehen. Daher sollen die hier in der Schweiz gesammelten Spendengelder gesellschaftlich organisierte Projekte gehen.

Für Spenden und weitere Infos: solibrucke.org

 

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