«Wir müssen den Druck aufrechterhalten»

Die Teilnehmer*innen des Podiums an der Veranstaltung der PdA Zürich. Bild: pdazuerich.ch

lmt. Am 30.April fand die Podiumsdiskussion der Partei der Arbeit Zürich über die Pflege in der Krise statt. Der vorwärts veröffentlicht in gekürzter Form die spannenden Aussagen der Pflegefachpersonen über ihren Arbeitsalltag und über künftige Lösungen.

Wie hat sich die Krise in eurem Arbeitsalltag ausgewirkt?
Sarina (Pflegefachfrau in der Langzeitpflege): Das ist ein sehr breites Thema. Was ich besonders gespürt habe, so paradox es auch klingt, ist die dritte Welle, die Omikron-Welle. Man sprach nur noch davon, dass es den Spitälern und den Intensivstationen relativ gut ging, aber dabei gingen die Altersheime und die Spitex komplett vergessen. Gerade bei uns war die letzte Welle fast am schlimmsten. Wir hatten zeitweise über die Hälfte der Bewohner*innen in Insolation. Gleichzeitig war auch über die Hälfte des Personals krank und dennoch musste die Versorgung irgendwie gewährleistet werden. Was zum Anfang der Pandemie gesagt werden muss, ist, dass vor allem Alters- und Pflegeheime, wie aber auch die Spitex nicht genügend «Isolationsmaterial» hatten. Wir hatten zwar sehr viele Fälle aber fast keins oder dann schon abgelaufenes oder beschädigtes Material, um uns zu schützen.

Yvonne (Pflegefachfrau und Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK): Beim Berufsverband ist so ziemlich mit dem Start der ersten Welle die Post abgegangen. Wir haben alle die Bilder aus Italien gesehen. Da war unsere erste Priorität, dass wir das Möglichste tun müssen, um unsere Leute zu schützen, ihnen die Informationen zu geben, die sie brauchen, um die Menschen in diesem Land sicher und gut pflegen zu können. Dann war für uns auch ganz wichtig, schnellst möglich die Fakten, die wir seit Jahren kennen, auf den Tisch zu legen. Wir haben einen eklatanten Mangel an Pflegenden in unserem Land. Viel zu wenige werden ausgebildet und die Ausgebildeten verlassen den Beruf. Das wissen wir nicht erst seit der Pandemie. Die Intensivstationen waren überbelastet, die ganzen medizinischen Abteilungen enorm ausgelastet. Alters- und Pflegeheime sowie die Spitex haben «gebrannt». Daher haben wir in der ganzen Zeit der Pandemie versucht der Bevölkerung aufzuzeigen, wie wichtig die Investitionen in die Pflege sind. Dies nicht nur während der Pandemie, sondern auch nachhaltig lohnt es sich, in ein starkes Pflegesystem zu investieren.

Deniz (Pflegefachfrau in der Psychiatrie): Während der ersten Welle nahm ich wahr, dass bei vielen ein Ohnmachtsgefühl spürbar war. Viele Pflegende waren frustriert. Die ganze Gesellschaft war wie in einer Schockstarre, weil es eine neue Situation für alle war, eine neue Gesundheitskrise. Und da haben wir die Notwendigkeit gesehen, die Menschen niederschwellig zu sensibilisieren und aufzuklären, wieso es wichtig ist, sich zu organisieren. So entstand der «Pflegedurchbruch», ein Verein, der sich engagiert, Pflegende niederschwellig aufzuklären und den Druck für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege aufrechtzuerhalten.Weiter kann ich von der Psychiatrie berichten, vor allem vom Bereich Abhängigkeitserkrankungen: Die Gesundheitskrise hat uns auch sozial isoliert und das hat vermehrt dazu geführt, dass viele Menschen eine hohe Abhängigkeit entwickelt haben, zum Beispiel im Bereich Alkohol oder illegaler Substanzen. Unsere Warteliste ist sehr lang. Das heisst, es gibt viele Menschen, die akut einen Entzug machen möchten, aber das Angebot reicht nicht.

Yvonne, was folgt jetzt im politischen Prozess, um die Pflegeinitiative konkret umzusetzen?
Der Bundesrat möchte die Pflegeinitiative in zwei Paketen, zwei Etappen, umsetzen. Die erste Etappe ist das, was früher der indirekte Gegenvorschlag war. Sie beinhaltet eine Ausbildungsoffensive mit 460 Millionen Franken über acht Jahre. Das Geld soll für mehr Ausbildungsplätze in der Theorie und in der Praxis fliessen sowie in die Löhne der Studierenden. Gleichzeitig ist im ersten Paket auch der eigenverantwortliche Bereich drin. Dass zum Beispiel die Pflegefachpersonen nicht für jede Kleinigkeit eine ärztliche Verordnung brauchen. Dieses Paket muss jetzt durch den ganzen demokratischen Prozess und könnte dann frühestens Mitte 2023 in Kraft treten. Das zweite Paket wird viel ideologischer diskutiert. Denn in diesem geht es um bessere Arbeitsbedingungen und die Finanzierung der Pflegeleistungen, damit die Institutionen auch Geld haben, um in die Pflege zu investieren. Des Weiteren geht es auch um eine angemessene Personaldotation, das heisst mehr Pflegende auf den Schichten. Wir sind aktuell daran zu beeinflussen, was in dieses Paket rein muss. Fazit: Das erste Paket geht «relativ» rasch. Beim zweiten Paket wird wahrscheinlich erst Mitte oder Ende 2023 eine Parlamentskommission darüber diskutieren. Deshalb ist es sehr zentral, dass wir uns in den Betrieben aber auch gegenüber den Kantonen einsetzen.

Deniz: Der Vorschlag des Bundesrates, die Pflegeinitiative in zwei Etappen umzusetzen, stellt aus Sicht des Pflegedurchbruchs einen Widerspruch dar. Wenn 40 Prozent aus dem Beruf aussteigen und als Gegenschlag über 400 Millionen in die Hand genommen werden, um in eine Bildungsoffensive zu investieren, steigen am Ende des Tages trotzdem wieder 40 Prozent aus dem Beruf. Das heisst: Sinnbildlich füllen wir eine Badewanne, ohne einen Stöpsel reinzusetzen. Das ist ein unhaltbarer Zustand, denn die Ausbildungsoffensive muss Hand in Hand mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehen. Wir müssen Anreize schaffen, damit unsere Kolleg*innen in diesem Beruf bleiben.

Welche nächsten Schritte braucht es in der Pflege konkret?
Sarina: Die Ausbildungsoffensive ist ein guter Schritt. Aber wie schon gesagt: 40 Prozent verlassen den Beruf wieder. Und die Leute in Ausbildung werden schon genug ausgebeutet. Es hat auch nicht genug Berufsbildner*innen, welche die Lernenden durch ihre ganze Ausbildung eng begleiten können. Was man sich auch überlegen muss ist, wie man die jungen Leute ein wenig vor dem psychischen Druck schützen kann. Denn es kann nicht von einer oder einem 16-Jährigen* Resilienz verlangt werden. Daher muss, wie schon gesagt, eine Bildungsoffensive gleichzeitig mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehen.

Deniz: Es braucht einen höheren Organisationsgrad der Pflegenden, sei das bei den Gewerkschaften oder im Berufsverband. «Organisiert euch», ist einfacher gesagt als getan. Aufgrund der hohen physischen und psychischen Belastung mag man sich nicht noch um etwas Zusätzliches wie Aktivitäten in der Gewerkschaft kümmern. Wir dürfen weiter nicht vergessen, dass der Grossteil der Beschäftigten in der Pflege Frauen* sind, meistens mit Kindern. Daher muss es ein Ziel sein, Bedingungen zu schaffen, um die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Freizeit, Arbeit und Familie zu erreichen. Dazu braucht es Anreize und diese müssen wir uns fordern und erkämpfen.

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