Selbstmorde und eine Verbrennung

Aufenthaltsbewilligungen statt Nothilfe und Verzicht auf Racial Profiling: Demonstration in Bern am 20.Juli 2020. Bild: Damian Buggmann

dab. Abgewiesene Asylbewerber*innen im Kanton Bern machen mit Demonstrationen und Forderungen auf die diskriminierenden Verhältnisse aufmerksam, in denen sie über Jahre leben müssen. Sie fordern Integration und Respekt statt Isolation und Repression und ein Leben in Würde und Freiheit.

«Stop Isolation» ist eine Gruppe von geflüchteten Migrant*innen mit Negativentscheid. Sie leben in den Rückkehrzentren Biel-Bözingen, Gampelen, Aarwangen und Konolfingen im Kanton Bern. «Die Rückkehrzentren sind offene Gefängnisse und bedeuten ein Leben in völliger Isolation» betonen Aktivist*innen der Gruppe, «ein Leben in Würde ist dort nicht möglich». In den Rückkehrzentren leben Asylbewerber*innen mit ablehnendem Asylentscheid, die nicht oder noch nicht in ihr Herkunftsland ausreisen können. Vernachlässigte Infrastruktur, enge Platzverhältnisse, desolate hygienische Bedingungen, Sparpolitik der Betreiberfirma und teilweise schlecht geschultes Personal von ORS und Securitas machen ihnen sehr zu schaffen. Viele leben lange Jahre unter diesen Verhältnissen. Sie verlangen Aufenthaltsbewilligungen statt Nothilfe und mehr Respekt. Ihre Integration in Gesellschaft und Wirtschaft ist von Behörden und Politik aber nicht erwünscht, sie sollen möglichst schnell aus der Öffentlichkeit und der Schweiz verschwinden.

Forderungen an Bund und Kanton
«Stop Isolation» protestiert mit Aktionen und Demonstrationen sowohl in den vier Zentren wie bei den für das Asylwesen zuständigen Behörden Migrationsdienst des Kantons Bern und Staatssekretariat für Migration (SEM). Anfang Juni übernachteten über hundert Asylsuchende in der Grossen Halle der Reitschule in Bern und hielten am Morgen dort eine Medienkonferenz ab. Sie richteten ihre Forderungen schriftlich an beide Migrationsdienste, eine Dreierdelegation wurde von beiden empfangen.
«Die Vertreter*innen des SEM machten viele Worte und zeigten viel Verständnis», sagt der Kurde Amar Salim über das Gespräch. «Sie zeigten aber kein Interesse, erklärten sich für nicht zuständig und verwiesen uns an den Kanton, der die Zentren betreibt.» Naima Chouaf, aus dem Irak geflüchtet, machte beim Gespräch mit dem kantonalen Migrationsdienst die gleichen Erfahrungen: «Er sei da, um mit uns kommunizieren, betonte Herr Maurer vom Migrationsdienst. Er könne nichts versprechen. Er wolle eine Delegation von zwei Personen ins Rückkehrzentrum Bözingen schicken, um die Zustände zu überprüfen.» Und es wurde eine schriftliche Stellungnahme zu den Forderungen versprochen.
Amar und Naima haben genug vom Verharren in den diskriminierenden Verhältnissen. Viele Be-wohner*innen der Rückkehrzentren seien resigniert und zum Teil physisch und/oder psychisch angeschlagen, es gäbe Selbstmorde. Naima: «Viele haben Angst vor Ausschaffung, Bussen und Gefängnisstrafen wegen ‹illegalem Aufenthalt›.» Die Polizei habe in letzter Zeit die Repression verstärkt, kontrolliere Flüchtlinge, gebe Bussen und betreibe Racial Profiling, so Amar.

Repression und Abschreckung
Die Forderungen der Gruppe «Stop Isolation» bezeichnet die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern in ihrer Medienmitteilung vom 17.Juli als «undemokratisch und unsolidarisch». Und sie verschanzt sich hinter dem von der Stimmbevölkerung 2016 abgesegneten Asylgesetz des Bundes und den Beschlüssen des Grossen Rats zur Nothilfe von 2019. Ausserdem seien die Hausordnung des Rückkehrzentrums und die Weisungen des Personals zu beachten. «Sollten punktuell Defizite bekannt werden, werden diese umgehend geprüft und wenn nötig behoben», schreibt die Sicherheitsdirektion. Und: «Wer rechtskräftig weggewiesen ist und Nothilfe bezieht, muss gewisse Pflichten und Einschränkungen in Kauf nehmen.» Die Direktion will die Weggewiesenen klar schlechter stellen als die anerkannten Flüchtlinge, ihnen Rechte und Integration verweigern und setzt auf Repression und Abschreckung. Sie erachtet die Forderungen «als unsolidarisch gegenüber den wirklich verfolgten Menschen, die in der Schweiz Schutz suchen.» Eine Formulierung wie aus dem Programm einer xenophoben Partei.

Unzufrieden mit der Antwort
«Das ist eine harte und kalte Antwort», kommentiert Amar Salim. «Der Kanton will zwar verstopfte Lavabos und defekte Duschen reparieren, geht aber auf die grossen Themen wie Polizeirepression, Aufenthaltsbewilligung, Härtefallgesuche und Prüfung der Asyldossiers nicht ein. Wir sind mit der Antwort unzufrieden.» Hier noch die Antwort von «Stop Isolation» an die Sicherheitsdirektion: «Wir finden es nicht undemokratisch, unsere Meinung zu sagen und Verbesserungen zu fordern. Ist es nicht undemokratisch vom Kanton Bern, uns deswegen undemokratisch zu nennen? Wir sind auch nicht unsolidarisch. Niemandem soll es schlechter gehen. Alle Menschen haben das Recht auf Respekt und ein gutes Leben in Würde und Freiheit. Es ist unsolidarisch, Menschen zu diskriminieren und zu isolieren.»

Unbehagen und Verzweiflung
Die Demonstration vom 20.Juli mit gegen dreihundert Teilnehmenden inklusive vielen Solidarischen forderte noch einmal die Sicherheitsdirektion auf, zum Forderungskatalog im Detail Stellung zu beziehen. Die Stimmung auf dem Weg zum Bundesplatz war sehr gut, viele Transparente und Tafeln wurden gezeigt und Sprechchöre gerufen. Plötzlich zündete sich dort ein abgewiesener Asylbewerber an und rannte gegen das Bundeshaus. Mehrere Demoteilnehmer setzten ihm sofort nach und löschten ihn; am Abend wurde bekannt, dass er nicht lebensgefährlich verletzt war. In dieser wachsenden Asylbewegung ist viel Unbehagen und Verzweiflung und ein starker Wille, etwas zu verändern. Weitere Aktionen und Demonstrationen sollen folgen, die Öffentlichkeit soll für die Problematik der abgewiesenen Asylsuchenden aufgerüttelt werden, Gesetzesänderungen sollen erreicht werden.

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