Ruhiges Hinterland fu?r Nazis

flo. Die Antifa Bern hat mit ihrer Revue «Die braune Szene in der Schweiz» die Entwicklungen am rechten Rand zusammengefasst. Darin erfährt man viel mehr über faschistische Strukturen und Akteur*innen als im Bericht des
Nachrichtendienstes des Bunds, was kein Zufall ist.

Es hat schon fast was rührend Naives, wie der Nachrichtendienst des Bundes (NdB) mit Faschist*-innen umspringt. Während linke Aktivist*innen mit Polizeirazzien zu rechnen haben, wenn sie offene Briefe für die Klimabewegung abschicken (siehe Artikel auf Seite 5 oben), wird bei Rechtsextremen, die Waffenlager anlegen, erst nach Monaten zögerlich gehandelt. Und dies auch nur dann, wenn der öffentliche Druck gross genug geworden ist. Laut dem Lagebericht des NdB kommen «gewalttätige Linksextremisten» als «Hauptthema» in den Fokus der nachrichtendienstlichen Arbeit. Die politischen Aktivitäten von Rechten wird unter der Rubrik «Frühwarnung» harmlos abgetan, auch wenn eine Welle rechten Terrorismus Leben in Europa fordert.

Eigene Strukturen nötig
Während in Hanau ein Faschist gezielt Migrant*-innen erschiesst, in Halle ein Rechtsterrorist eine Synagoge stürmen will oder rechte Netzwerke in Armee und Polizei der Bundesrepublik Deutschland Mordpläne gegen die politische Gegnerschaft schmieden, schiesst man sich gegen die Gefahr von links ein. Und geschieht doch ein rechter Terrorakt, war es natürlich wieder ein «Einzeltäter». Für uns Marxist*innen ist klar: Die Faschist*innen waren nie weg. Zumindest Mitgliedern der Arbeiter*innenbewegung dürfte der bürgerliche Irrglaube von den harmlosen Nazis völlig abgehen. Umso zentraler, dass die politische Linke im Kampf gegen Rechts nicht auf den bürgerlichen Staat vertraut, sondern eigenständige Strukturen bildet. Das wichtigste Mittel in diesem Kampf – und da muss man den Genoss*innen der Antifa Bern für ihre Arbeitsleistung danken – sind Informationen.

Aktivitäten beleuchtet
Auf fünfzig Seiten gibt die Revue «Die braune Szene in der Schweiz» einen Überblick über die Entwicklungen der äusseren Rechten in der Eidgenossenschaft, über ihre Geschichte und ihre Akteur*innen. Zu finden ist auch eine Auflistung von insgesamt 168 rechten Vorfällen in der Schweiz. Die Spannweite der Vorfälle reicht von versuchten Brandstiftungen, den Angriffen mit selber gebauten Sprengsätzen auf die Wohnorte von Jusos und Sozialdemokrat*innen in Solothurn bis hin zu Razzien bei faschistischen Organisationen, bei denen mehrfach Waffen und Munition sichergestellt wurden. Neben Fällen in der Schweiz finden sich in der Auflistung auch Vorfälle im Ausland mit Beteiligung von schweizerischen Faschist*innen.
Es ist bereits das zweite Mal, dass eine Revue aus Bern versucht, einen Überblick über das zu geben, was am rechten Rand geschieht. Doch seit 2012, als die erste Ausgabe erschien, ist auch im braunen Nazisumpf das eine oder andere in Bewegung geraten. Kurzum kann festgehalten werden: Der tumbe Glatzkopffaschist der 1990er-Jahre ist nicht ausgestorben. Aber manchen Rechten scheint aufgefallen zu sein, dass es wohl attraktivere Formen des Auftretens gibt.
So bedienten sich Faschist*innen in Deutschland schon in den frühen 2000er-Jahren bei der Symbolsprache und dem Auftreten linksautonomer Strukturen. Sie brachten damit die bürgerliche Presse völlig aus dem Häuschen, die sich den Ball von den Rechten gerne zuspielen liess und so tat, als könne man die beiden Gruppen unmöglich voneinander unterscheiden. Aktuell sind es eher die Tattoo- und die Kampfsportszenen, die als Aneignungs- und Projektionsfläche für den Auftritt Rechter dienen. Weswegen dann die bürgerliche Presse glaubt, darüber schreiben zu müssen, wie «jung und hip» diese Faschos wiederum seien.

Bis tief ins Bürgertum
Es hat Seltenheitswert, wenn die Öffentlichkeit einen wachsamen Blick in Richtung heutiger Fa-schist*innen richtet. Generell wird das Problem so gehandhabt, als hätte es sich mit dem Kriegsende am 8.Mai 1945 in Europa endgültig erledigt. Das wird auch damit zu tun haben, dass Rechtsextreme nicht als externes Feindbild taugen, gegen das man mobilisieren kann, um innere Systemwidersprüche zu verdecken.
Das hat vor allem damit zu tun, dass sie so der-massen gut in die Strukturen bürgerlicher Herrschaft, in ihre Parteien, Verbände und Institutionen verankert sind. In den Listen zu den Vorfällen bestätigt sich dieses Bild. Neben den Söldnerdiensten von Schweizer Faschisten im Ukrainekonflikt finden sich unzählige Beispiele von Parteimitgliedern der SVP und Fasnachtsgruppen, die sich bis hin zu Vernichtungsfantasien ihren Ausfällen hingeben. Erstaunlich ist das nicht. Die SVP steht mehr oder weniger offen dazu, in den 1990er-Jahren den rechten Rand grossmehrheitlich aufgesaugt zu haben, ohne sich gross um deren Gesinnung zu scheren.

Deckungsgleiche Interessen
Solche rechten Sammelbecken waren schon in mehreren Fällen Tummelplätze für Rechtsterrorist*-innen. So bei Anders Breivik, der 2011 in einem sozialistischen Jugendlager dutzende Kinder und Jugendliche ermordete, nachdem er in Oslo eine Bombe gelegt hatte. Breivik war Mitglied der rechtspopulistischen Fremskrittspartiet (FrP, Fortschrittspartei). Oder wie beim aktuell wegen gestohlener Waffen und Morddrohungen auf der Flucht befindliche belgische Elitesoldat Jürgen Conings, der Mitglied der rechten Vlaams Belang war. Dass sich so viele Faschist*innen in bürgerlichem Umfeld so wohl fühlen und scheinbar auch willkommen geheissen werden, lässt sich leicht erklären: Die Interessen der Faschist*innen und ihrer jeweiligen nationalen Bourgeoisien sind im Grossen und Ganzen deckungsgleich. Vor allem in ihrem Antikommunismus sind denn beide vereint.

Man muss hinschauen wollen
Die Revue aus Bern gibt uns einen Überblick über einige der zentraleren und wichtigeren Entwicklungen am rechten Rand in der Schweiz. Der Text ist keine Anleitung für den Kampf gegen Rechts. Er ist kein Rezept für die Zerschlagung des Faschismus, aber das beansprucht er auch gar nicht zu sein. Und darin liegt seine Stärke: Er legt das Brennglas auf personelle Verflechtungen und Entwicklungen von schwer greifbaren Strukturen. Die dahinter liegenden Strategien und Konzepten, die in der Rechten aktuell rezipiert werden. Und damit beweist er das, was viele sowieso schon wissen: Die staatliche Arbeit zum Schutz vor rechter Gewalt ist ein Hohn.
Den Aktivist*innen, die die Revue verfasst haben, werden ein vielfaches an Ressourcen weniger zur Verfügung haben als der NdB. Doch dennoch ist der Überblick, den man durch die Lektüre von «Die braune Szene in der Schweiz» gewinnt, viel umfassender als das, was im NdB-Bericht steht. Dies wohl auch, weil im NdB-Text so viel Platz für Verharmlosungen drauf geht. Es ist klar: Was die Faschist*innen in der Schweiz treiben, geschieht nicht ungesehen im Verborgenen. Man müsste halt einfach hinschauen wollen.

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