Militär-Karneval der Superlative

Panzerfreaks am diesjährigen «Convoy to Remember» spielen Krieg.

Fabian Perlini. Vom 9. bis am 11. August fand in Birmenstorf AG zum 8. Mal der «Convoy to Remember» statt. Das Treffen, das dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg gewidmet sein sollte, verkommt seit Jahren immer mehr zu einem Spielplatz für Militärfanatiker*innen mit Beteiligung der Schweizer Armee. Ein Erlebnisbericht, Teil 1.

Eine Archiv-Aufnahme von rennenden Soldat*in-nen am Strand. Sie werden niedergeschossen. Schnitt. Eine moderne Aufnahme eines alten Panzers. Schnitt. SVP-Bundesrat Ueli Maurer feuert Soldat*innen an. Schnitt. Eine applaudierende Menschenmenge.
So beginnt der Werbe-Trailer für den 8. «Convoy to Remember», die grösste «Militär-Oldtimer-Show» der Schweiz, die seit 1996 bis heute ungefähr alle drei Jahre im Aargauischen Birmenstorf durchgeführt worden ist. Gemäss den Veranstaltern soll damit an die «Befreiung Europas durch die Allierten» gedenkt werden, die sich dieses Jahr zum 75. Male jährt. Die Lokalpresse feiert den Anlass verlässlich und von den grösseren Zeitungen berichtet nur der Tagesanzeiger, der den Anlass ebenfalls in ein positives Licht stellt. Der vorwärts hat sich vor Ort ein eigenes Bild gemacht.

In der Fremdenlegion
Der Einladung der Organisatoren folgen jeweils Armee-Fans und Reenactors (Nachsteller) aus ganz Europa. Mit ihren alten Militärfahrzeugen und historischen Uniformen errichten sie ein Army-Camp, wo sie sich während drei Tagen den rund 20000 Neugierigen präsentieren und so «leben wie es damals war» , wie uns ein kostümierter Herr erklärt. Der Mann trägt eine kakifarbene Uniform mit weisser Mütze. Die Teile habe er alle einzeln im Internet zusammengekauft. «Gesamthaft trage ich hier Kleidungsstücke für drei- bis viertausend Franken. Alles Originale der Fremdenlegion!», sagt er nicht ohne Stolz. Dann fügt er etwas beschämt hinzu: «Nur die Socken nicht. Die sind von der Wehrmacht.»
Zusammen mit ein paar Freunden hat der «Legionär» einen «Feldposten» aufgestellt. Interessierten Besucher*innen erzählen sie allerlei Details über die Geschichte «ihrer» Legion. Sie berichten von schrecklichen Waffen und grausamen Kommandanten. Wir stellen fest, dass Kriegskritik an Tiefe gewinnt, wenn sie aus fundiertem Wissen schöpft. Doch leider bleiben diese Darsteller eine seltene Ausnahme an diesem Anlass.

«Spass» ohne Grüne und Linke
Kaum haben wir uns verabschiedet, hören wir einen Schrei und zucken zusammen: ein Mini-Jeep mit Kindern am Steuer flitzt an den Passanten vorbei. Wir hatten noch nie zuvor ein solches Fahrzeug gesehen. Kann das legal sein? Gibt es hier keine Polizei? Kurze Zeit später finden wir sie, damit beschäftigt, ihren eigenen Stand aufzubauen.
Den «Spass», mit ungewöhnlichen Fahrzeugen querfeldeinzufahren, teilen die Kinder mit den Erwachsenen. In der grossen Kiesgrube werden mit Panzern und anderen Vehikeln Runden gedreht. Die Kiesgrube ist derart wichtig, dass für nächstes Mal ein neuer Veranstaltungsort gesucht wird, dann wird der Kies nämlich fertig abgetragen sein.
In der Grube wie auf den Strassen der Umgebung stehen die Passagiere in den Fahrzeugen, johlen und albern herum. Viele Nummernschilder dienen im besten Fall der Nostalgie und verkehrstaugliche Helme werden hier offensichtlich auch keine erwartet. Wenn schon, wird auf dem Kopf ein Museumsstück getragen. Vielleicht ist man deshalb darauf bedacht, jeweils den Chef des Strassenverkehrsamtes als VIP einzuladen, wie es zumindest in der Vergangenheit der Fall war.
Am Sonntag wird man die Fahrzeuge vom Feldprediger segnen lassen können. Vielleicht hilft das ja. Aber zuvor geht es noch auf die 35 Kilometer lange Parade quer durch den Aargau, an der sich alle 600 Militär-Oldtimer beteiligen. Mit ausgedienten Jeeps, Motorrädern und Lastwagen geht es mitten durch die Altstadt und das Fricktal hinab. Als ich zu bedenken gebe, dass dies nicht allzu umweltfreundlich werden dürfte, erklärt mir ein Soldat: «Mit Grünen und Linken haben wir es halt nicht so hier.» Und er fügt lachend hinzu: «Grüne essen ja nicht mal Fleisch!»

Perfektionierter CO2-Ausstoss
Tatsächlich ist es schwierig, etwas Fleischloses zu erhalten. Wir finden nur «Militär-Käseschnitten». Dann doch lieber Eiscrème. Und während wir dieses essen, beginnt es über unseren Köpfen zu krachen. Die sechs F-5 «Tiger» beginnen mir ihrer Flug-Show. Aus den Lautsprechern erklingt die Nationalhymne, die bald übergeht in peitschende Popmusik, zu der ein Moderator die Figuren ankündigt: Der «Schwan», der «Diamant», der «Split», der «Flirt», das «Matterhorn», dann ein Looping und als Hommage an die Schweizer Fahne die «Flag». Dabei fliegen alle Jets in einem engen Quadrat. Bei der «Box» haben die Flieger sogar nur vier Meter Abstand voneinander, und dies bei einer Geschwindigkeit von 800 km/h. Dass einer der Flieger mit «maximaler Unterschallgeschwindigkeit» (etwa 1000 km/h) über uns hinwegfegt, verpassen wir. Das anschliessende Getöse schmerzt jedoch im Trommelfell.
Weiter geht es kopfüber, tänzelnd und winkend, und während der Moderator die dargebotene Perfektion wie ein Mantra wiederholt, gibt uns der Kerosin-Ausstoss zu denken: ein Kampfjet braucht 80 Liter pro Minute und stösst dabei 200 Kg Co2 aus (Interpellation von Barbara Gysi von 2012). Die Show mit sechst Jets dauert rund 20 Minuten und wird zwei mal vorgeführt. Dazu kommen vier Fallschirm-Shows, zwei Überfliege und fünf Airshows mit Militärflugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg, die ein Mehrfaches an Emissionen ausstossen.

Karneval in Uniform
Nach dem Getöse streifen wir wieder durch das Lager. Wir entdecken ein Zelt mit grossem roten Stern und Hammer und Sichel. Wir passieren eine DDR-Grenzstein-Attrappe und treffen auf Freunde der Roten Armee. Von den dortigen «Soldat*innen» erfahren wir von den Vorzügen der DDR, beispielsweise, dass es für Frauen* schon damals selbstverständlich war, einer Arbeit nachgehen zu können.
Frauen* hat es zahlreiche unter den Veranstaltern und Gästen, viele davon in Uniform oder im modernen Army-Look. Auf den vielen Bildern existiert jedoch ausschliesslich ein einziger Frauen-Typus: das Pin-up-Girl. Dieses ist omnipräsent. Immerhin werden Uniformen aus verschiedensten Ländern getragen: Schweizerische, Französische, Amerikanische, Sowjetische und solche von der Wehrmacht: Verkleidete aus insgesamt 14 verschiedenen Nationen campieren hier Zelt an Zelt. «Was wir machen ist wie Karneval», frohlockt ein Kostümierter, «mit dem Unterschied, dass unsere Wagen alle grün sind.» Und ergänzt: «Mit grün meinen wir nur die Farbe.» Ja, das haben wir gemerkt, wir gehen weiter …

Teil zwei folgt in der nächsten Ausgabe. Wir dürfen gespannt sein.

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