Massive bürgerliche Angriffe auf die Ergänzungsleistungen

Rolf Schneider. Nachdem bereits der Ständerat 2016 Abbaumassnahmen bei den Ergänzungsleistungen (EL) beschlossen hat, und zwar in einem Umfang von rund 300 Millionen Franken, legte nun der Nationalrat in der Frühjahrssession noch einen Zacken zu und will einen Abbau von 700 Millionen Franken!

Die bürgerliche Mehrheit des Nationalrates kannte kein Halten. Einzig die PdA, die Grünen und die SP haben gegen das Gesetz gestimmt. Bei den Bürgerlichen gab es ein paar wenige Enthaltungen, bei der CVP immerhin 10 Enthaltungen bei 17 Ja-Stimmenden. Es ergab sich so eine Mehrheit von sage und schreibe 65 Prozent für dieses unsägliche Gesetz.

Ein Überblick
Das vom Nationalrat angenommene Gesetz sieht unter anderem folgende, teilweise sehr einschneidende, Abbaumassnahmen vor:
1. Der Vermögensfreibetrag wird für Einzelpersonen von heute 37 500 Franken auf 25 000 Franken gesenkt, und für Ehepaare von 60 000 Franken auf 40 000 Franken. Wer mehr Vermögen als den Freibetrag besitzt, muss einen Teil des Vermögens verzehren, nämlich 10 Prozent von dem Teil, der über dem Freibetrag liegt. Das bedeutet, dass die Ergänzungsleistungen entsprechend gekürzt werden. Im Jahr 2011 wurde im Zusammenhang mit der neuen Pflegefinanzierung als Kompensation der Freibetrag erhöht. Dass dies nun wieder rückgängig gemacht werden soll, ist ein Verstoss gegen Treu und Glauben. Der Vermögensfreibetrag ist nämlich für die alltäglichen Bedürfnisse eminent wichtig. Denn viele Dinge, die wir für selbstverständlich halten, sind durch die Ergänzungsleistungen nicht gedeckt, wie zum Beispiel das tägliche Glas Wein, der Besuch beim Coiffeur, Geschenke an Enkelkinder…
2. Das Mietzinsmaximum, also der Betrag, den man maximal für die Miete (inkl. Nebenkosten) bekommt, soll nur in den Städten angehoben werden und dies um lächerliche 100 Franken, von 1200 auf 1300 Franken. Die Mieten sind seit der letzten Anpassung um mehr als 20 Prozent gestiegen, das Mietzinsmaximum sollte demnach mehr als 1440 Franken betragen. Dass auf dem Land die Mieten nicht angepasst werden sollen, ist absurd. Aber es kommt noch besser: Die Kantone sollen die Möglichkeit haben, die Mietpreismaxima um bis zu 10 Prozent zu senken. Es wäre also theoretisch denkbar, dass ErgänzungsleistungsbezügerInnen auf dem Land weniger Geld für die Miete bekommen, obschon diese massiv gestiegen ist.
3. Wer in den letzten zehn Jahren vor Bezug der Ergänzungsleistungen zu viel Geld von seinem Vermögen verbraucht hat, das heisst durchschnittlich mehr als 10 Prozent des Vermögens, dem sollen die Ergänzungsleistungen gekürzt werden. Ganz abgesehen davon, dass die damit verbundene Kontrolle der Lebensführung inakzeptabel ist, bleibt das Paradox, dass man vor dem Bezug von Ergänzungsleistungen jährlich nicht mehr als 10 Prozent des Vermögens verbrauchen darf, nachher dann aber mehr als 10 Prozent des Vermögens, das den Freibetrag übersteigt, obligatorisch verbrauchen muss. Da hat die Sozialabbauwut der Vernunft einen schönen Streich gespielt.
4. Weiterhin soll es möglich sein, von der Pensionskasse eine Kapitalauszahlung zu erhalten. Dies ist allgemein nicht ratsam. Wer nämlich davon etwas verbraucht, was ja der Sinn wäre einer Kapitalauszahlung, dem werden die Ergänzungsleistungen lebenslänglich um 10 Prozent gekürzt. Eine Heuchelei sondergleichen. Die Bürgerlichen nennen das Ganze «Eigenverantwortung». Diese gekürzten Ergänzungsleistungen decken den Existenzbedarf natürlich nicht. Das ist ein klarer Verstoss gegen die Bundesverfassung Art. 112a.
5. Für Kinder unter elf Jahren soll auch beträchtlich weniger bezahlt werden. Das dürfte vor allem IV-RentnerInnen vetreffen.
6. Wer nicht in der Schweiz oder in einem Land der EU gewohnt hat, soll nur Ergänzungsleistungen beziehen können, wenn er mindestens zehn Jahre lang AHV-pflichtig war. Das betrifft natürlich vor allem die Flüchtlinge.

Nix da mit Zückerchen
Dies sind nur die schlimmsten Auswüchse der Nationalratsbeschlüsse. Deren Umsetzung würde einen Sozialabbau von mehr als 700 Mio. Franken bedeuten. Wenn man davon ausgeht, dass es 310 000 ErgänzungsleistungsbezügerInnen gibt, so ergibt das pro Person einen Abbau von rund 2260 Franken jährlich gegenüber heute. Ausserdem ist die Mietpreissteigerung überhaupt nicht ausgeglichen. Die minimale Erhöhung der Mietpreismaxima in den Städten ist nicht einmal mehr ein Zückerchen, mit dem die Abbauvorlage «versüsst» werden könnte. Es ist ja gerade üblich geworden, Abbauvorlagen mit einem Zückerchen zu versüssen will, um sie durchzuboxen. Das letzte Mal 2016 bei der Altersvorsorge mit den 70 Franken AHV-Zuschlag für NeurentnerInnen. Und neu soll es auch bei der geplanten Unternehmenssteuerreform ein soziales Zückerchen geben.

Geld ist im Überfluss vorhanden
Der Gipfel der bürgerlichen Provokation ist die Behauptung, es handle sich um eine Optimierungsvorlage, wo doch offensichtlich ist, dass es sich um eine üble neoliberale Abbauvorlage handelt. Man muss sich auch wieder mal den Verfassungsauftrag in Erinnerung rufen, gemäss dem die AHV den Existenzbedarf zu decken hat. Wo die AHV nicht ausreicht, soll der Bedarf mit Ergänzungsleistungen gedeckt werden. Das sollte aber nur In Ausnahmefällen so sein, zum Beispiel wenn jemand pflegebedürftig ist und jeden Monat Tausende von Franken Ausgaben hat.
Ein Argument der Bürgerlichen war, dass man keinen Erbenschutz betreiben will. Mit diesem Argument will man den Zwang zu einem exzessiven Vermögensverzehr rechtfertigen. Da kann man sich nur die Augen reiben und fragen, wer denn Erbenschutz betrieben hat, als es darum ging, eine Erbschaftssteuer zugunsten der AHV einzuführen.
Betrachten wir doch auch einmal das Umfeld. Mit der «Steuerreform 17» sind Steuergeschenke in der Höhe von 920 Mio. Franken an die Reichen und mit dem Kauf von Militärflugzeugen sind weitere Ausgaben im Betrag von acht Milliarden Franken geplant. Es scheint also Geld im Übermass vorhanden zu sein.
Nun geht das Ganze zurück an den Ständerat, der aber selber schon unzumutbare Abbaumassnahmen gutgeheissen hatte. Angesichts dieser dreisten Angriffe auf die ärmsten Bevölkerungsschichten ist sicher mit einem Referendum zu rechnen. Bereits haben sich die PdA und die AVIVO in dieser Richtung geäussert.

Zur Stellungnahme der PdAS

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