Lernresistentes Bundesbern

flo. Schon wieder: Trotz vieler klarer und deutlicher Volksentscheide, versuchen die Bürgerlichen am Sonntagsarbeitsverbot zu rütteln. Und auch dieses Mal müssen argumentatorische Verrenkungen dafür herhalten, um den Angriff auf Arbeits- und Lebensbedingungen zu untermauern.

Sie sind bezüglich Arbeitsleben die wohl häufigsten und vom Kapital mit grösster Dringlichkeit geführten Angriffe, die Lohnabhängige in den letzten Jahren erleben mussten: diejenigen auf die Arbeitszeit. Immer grössere Teile unseres Lebens sollen den Profitinteressen irgendwelcher furchtbaren Menschen mit viel zu viel Geld und viel zu viel Macht geopfert werden. Wenig überraschend also, dass bei der Deutlichkeit der bürgerlichen Mehrheit im National- und Ständerat auch in dieser Legislaturperiode einige zynische Angriffe beobachtet werden können.

Abstruse Begründung
So hat man wohl letzten Dezember im Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft, ziemlich lang überlegen müssen, welche hanebüchene Form der nächste Angriff auf die Arbeitszeiten haben soll. Dabei herausgekommen ist die Idee, die Sonntagsarbeitszeit in Quartieren in urbanen Zentren mit viel internationalem Tourismus für Geschäfte einzuführen. Einzige Bedingungen für die Aufweichung des Sonntagsarbeitsverbots: eine Einwohner:innenzahl von mehr als 60000 und mehr als 50 Prozent ausländische Hotelgäste. Aktuell würde diese verstärkte Sonntagsarbeit in Zürich, Genf, Lugano, Basel, Lausanne, Luzern und Bern ermöglichen. Besonders kaputt an der Logik: Aus welchem Grund sollte Sonntagsarbeit besser, weniger belastend, mit einem intakten Familienleben und Erholung vereinbar sein, wenn man sie für die Bedienung von ausländischen Hotelgästen leisten muss? Wenn man dann die Begründung für die Pläne des Seco sieht, wird es endgültig abstrus: Man wolle so die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Städten, die dies bereits so handhaben, ausweiten. Die Aussage, dass auch nur ein Tourist seine Reise nach Zürich doch nach Wien umbucht, weil er herausfindet, dass man dort auch sonntagabends noch einen Sechser-Pack Bier und einen Plastik-Prater auf der Touri-Meile kaufen kann, ist bestenfalls naiv und im schlimmsten Fall (mit dem wir es hier wohl zu tun haben) verlogen.

Bürgerliche Feigenblättchen
Als müssten die Detailhändler:innen dann weniger hinter der Kasse stehen und schuften, wurde darauf hingewiesen, dass die Sortimente am Sonntag beschränkt seien. Damit wolle man – so heisst es aus der Partei Die Mitte – dem nationalen Einkaufstourismus vorbeugen. Nur geht diese Beschränkung des Sortiments den Bürgerlichen zu weit. So beklagte die SVP, dass die Tourist:innen dann gar kein vollständiges «Shoppingerlebnis» geniessen könnten. Der Freisinn stört sich derweil wie von ihm gewohnt an den Zuschlägen, die den Angestellten für ihre am Sonntag geleistete Arbeit zustehen. Auch kippen wollen SVP und FDP die Bestimmungen bezüglich der Mindestgrösse der betroffenen Städte. Dabei dürften aber nicht besonders viele Städte hinzukommen, da für manche Bergregionen bereits ähnliche Ausnahmeregeln gelten.
Bekämpft wird die Vorlage vor allem von links – die SP, die Gewerkschaften und die Grünen lehnen sie ab. Kritik kommt aber auch vom Schweizerischen Katholischen Frauenbund, der im Tages-Anzeiger wie folgt zitiert worden ist: «Der arbeitsfreie Sonntag hat einen hohen Stellenwert für Arbeitnehmende und Gesellschaft». Die Kritik aus kirchlichen Kreisen ist routiniert. Schon bei vergangenen Vorlagen, ob kommunal, kantonal oder national, war es zu einem Schulterschluss zwischen kirchlichen Organisationen, linken Parteien und Gewerkschaften gekommen, gegen den die Laisser-Faire-Bürgerlichen immer wieder nicht ankommen konnten. Erst am 3.März hatten die Walliser:innen Nein zu einer Verlängerung der Ladenöffnungszeiten um eine halbe Stunde gesagt.
Aber einige Male griff die Salamitaktik. 2012 hatte sich in der Schweiz als Ausdruck des erwähnten Schulterschlusses von Linken und kirchlichen Kreisen die sogenannte Sonntagsallianz gebildet. 2013 brachte diese Allianz innert kürzester Zeit ein Referendum gegen die Liberalisierung der Öffnungszeiten bei Tankstellenshops zustande – mehr als 86000 Unterschriften wurden in drei Monaten gesammelt. Die Abstimmung ging aber dennoch verloren.

Alle Jahre wieder
Seit diesem Erfolg der Deregulierer:innen wurde immer wieder (auch vom Seco) versucht, die Arbeitsschutzregelungen mit einer Salamitaktik auszuhöhlen. Es gilt, dem aktuellen Versuch, die Rechte von Arbeiter:innen zu verhindern, mit derselben Entschlossenheit entgegenzutreten wie schon in der Vergangenheit. Den Schutz einer Berufsgruppe, die sowieso schon viel zu oft unter lausigen Löhnen, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten zu leiden hat, müssen wir dabei solidarisch ins Zentrum unserer Bemühungen stellen. Und wir müssen dabei klarmachen, dass die Kolleginnen und Kollegen im Verkauf während der Covid-Pandemie gezeigt haben, dass sie unersetzbar und absolut nötig für das Funktionieren der Gesellschaft sind – ganz im Gegensatz zu den Bänkern und HSG-Absolvent:innen, die sich dieses Unding von einem Gesetz ausgekaspert haben. Während viele im Home-Office sassen, leisteten Verkäufer:innen und Pfleger:innen einen riesigen Anteil daran, die notwendigen Infrastrukturen am Laufen zu halten.
Verheizen, wenn es profitabel ist. Dies war die Losung der Bürgerlichen während der Pandemie und ist sie heute noch. Um dann im nächsten Atemzug über den Fachkräftemangel zu flennen – fast so, als habe man ihn mit der aktuell geltenden Politik nicht erst verursacht. Fakt ist: Sollte die von allen Seiten zerpflückte Seco-Vorlage zur Auflockerung der Sonntagsverkäufe im Parlament durchkommen, gilt es ein weiteres Mal das Referendum zu ergreifen und für den Schutz des Sonntagsarbeitsverbots zu kämpfen.

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