Le Pantographe – c’est la vie

pantoAls gemeinnützige Organisation anerkannt, könnte der Pantographe in Moutier nach einem Räumungsbescheid bald von der Bildfläche verschwinden. In seinem zehnjährigen Bestehen hat das Kollektiv einen einzigartigen Raum für den künstlerischen und sozialen Austausch geschaffen.

Moutier ist ein Schattenloch im Berner Jura. Im Grand Val gelegen und zwischen zwei Schluchten eingezwängt, hat das Städtchen wenig zu bieten. PaläontologInnen interessieren sich für die Dinosaurierpfotenabdrücke, die, in grosser Anzahl über eine Felswand am Arête du Raimeux gesät, von blossem Auge kaum zu erkennen sind. Auch nur mit viel gutem Willen als Attraktion zu bezeichnen ist das «Musée du tour automatique», ein Museum für die in Moutier mitentwickelten Langdrehautomaten. Nicht zuletzt diese Geräte verhalfen im Zusammenhang mit der Uhrenindustrie Moutier zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Seit den 70er Jahren ist ein empfindlicher Rückgang der Feinmechanik und des Werkzeugmaschinenbaus zu verspüren. Noch zeugen herrschaftliche Häuser in Moutiers Zentrum von der einstmaligen Blüte. Den ausgeblichenen Fassaden haftet heute etwas Abgelebtes an, das den allgemeinen Eindruck der Trostlosigkeit verstärkt.

Freier Experimentierraum

Folgt man den Spuren der Vergangenheit, trifft man am Ausgang des Städtchens auf das Gebäude der Usine Junker. Offensichtlich ist auch in dieser alten Fabrik die industrielle Aktivität seit Langem eingestellt, doch lässt ein Hängeplakat an einem der zwei wuchtigen Eingangstürme mit der Aufschrift «Pantographe» weithin erkennen, dass sich hier neues Leben eingenistet hat.

Die Türe bleibt stets offen und wer eintritt, trifft auf eine erst einmal verwirrende Fülle von Einrichtungen. Eine Bar im Eingangsbereich, unweit die Werkstatt, eine Biblio- und Mediathek, im Untergeschoss Proberäume, eine Ludothek, Konzerträume, an Wandmalereien vorbei geht’s in den ersten Stock zur kollektiven Küche, daneben eine Brockenstube, im Obergeschoss schliesslich Schlafsäle; alles zum öffentlichen Gebrauch unter freier Wahl des Preises. Das selbstverwaltete Kollektiv des Pantographe hat in den bald zehn Jahren seines Bestehens auf den 1500 Quadratmetern der ausgedienten Fabrik Beachtliches auf die Beine gestellt, vieles renoviert und für den Unterhalt gesorgt.

Einen Schwerpunkt der Aktivitäten im Pantographe bilden die künstlerischen Residenzen. Wer ein Projekt im Bereich der Musik, des Theaters, des Zirkus oder der Malerei verwirklichen und sich intensiv damit beschäftigen will, hat im Pantographe bei einer Mindestdauer von einer Woche dazu die Möglichkeit. Ondine Yaffi, eine der drei ständigen KoordinatorInnen des Pantographe, präzisiert: «Wir stellen ein Mittel für künstlerisches Schaffen zur Verfügung. Daran herrscht ein enormer Mangel. Es gibt sonst kaum Orte, wo du Residenzen machen kannst, die allgemein zugänglich sind, ohne dass du vorher an Wettbewerben teilnimmst, Dossiers ausfüllst oder Subventionen gesprochen bekommst.» Mit seiner hervorragenden Infrastruktur stellt der Pantographe nicht nur für die Region, sondern schweizweit einen freien Schaffens- und Experimentierraum dar, der einzigartig ist. Wie der Schreiber dieses Artikels aus eigener Erfahrung weiss, können in der ungezwungenen und inspirierenden Atmosphäre des Panto Projekte realisiert werden, die für einmal nicht den Forderungen des kulturellen Kommerzes genügen müssen. «Die Wertschätzung des Savoir-faire (der Fertigkeiten) jeder und jedes Einzelnen entspricht unserer Auffassung von Selbstverwaltung», so Yaffni weiter. «Wir möchten zeigen, dass man sehr viel mehr auch mit wenig Geld machen kann, nämlich mit dem Savoir-faire und der Verschiedenartigkeit der Menschen. Alle bringen ihre Fähigkeiten ein und wer etwas macht, entscheidet hier auch.»

Partizipative Ideen standen am Anfang des Pantographe, wie der Mitbegründer Gilles Strambini ausführt: «Vor allem wollten wir einen Raum für Begegnungen schaffen, wo man miteinander teilt und sich austauscht, einen Ort, wo Personen aus allen Sparten, allen Altersstufen und allen Milieus sich treffen können.» Mittlerweile finden pro Jahr um die vierzig Residenzen mit öffentlichen Aufführungen statt. Über die ganze Zeitspanne des Bestehens hinweg haben 1200 KünstlerInnen aus dem In- und Ausland die Räumlichkeiten für ihre Kreationen genutzt.

Unbegründeter Rauswurf

Nun droht dem Pantographe das Aus. Während das Kollektiv immer noch Geld für den Kauf der Usine Junker sammelte, vernahm es Anfang Oktober unvermittelt den mündlichen Bescheid von der Direktion des Unternehmens Tornos SA, dem das alte Fabrikgebäude gehört, das Gebäude müsse bis Ende Februar geräumt werden. Die Verblüffung war gross, hatte doch die ehemalige Direktion den Verkauf des Gebäudes ans Kollektiv des Panthographe 2013 mündlich zugesagt. Die neue Direktion von Tornos in Moutier will davon nichts mehr wissen und meint, den Entzug der Usine Junker gegenüber ihren jahrelangen BetreiberInnen auch nicht weiter begründen zu müssen. Auf eine neue Verwendung hat sich das Unternehmen nicht festgelegt: «Wir haben danach gefragt», versichert Ondine Yaffi. «Wir haben lediglich zur Antwort gekriegt: Ihr werdet schon sehen.»

Über die Beweggründe der neuen Direktion von Tornos, die eine Produktionshalle gleich neben der Usine Junker betreibt, ein kulturelles Zentrum mit internationalem Wirkungsradius zum Verschwinden zu bringen, kann nur gerätselt werden. Yaffi vermutet: «Wenn dann Kunden aus den USA oder China vorbeikommen und daneben ist eine Gruppe von Leuten mit Hühnern, die frei im Garten herumlaufen, für Leute von ihrer Sichtweise ist das nicht tragbar.»

Was wird aus dieser Villa Kunterbunt in Zukunft werden? Eine Wiederaufnahme der Produktion im 150 Jahre alten Fabrikgebäude ist ausgeschlossen. Es steht unter der höchsten Stufe des Heimatschutzes, wie Strambini erläutert: «Es kann aussen und zu grossen Teilen auch innen nicht umgebaut werden. Nur schon für einen anderen Gebrauch, als wir davon machen – wir sind da ja ziemlich anpassungsfähig – , müsste man mindestens 3 Millionen hineinstecken.»

Gemunkelt wird von einem Foyer für die Werktätigen bei Tornos, von Konferenzräumen für die Direktion oder sogar von einem Hotel. Aber eben, nichts ist definitiv. Im schriftlichen Räumungsbescheid fällt lediglich das liberale Zauberwort der «Restrukturierung». Nun ist nicht einzusehen, warum es günstiger sein sollte, die Usine Junker neu auszustaffieren als die jetzigen NutzerInnen darin schalten und walten zu lassen, die sich nebenbei auch um die Pflege des Gebäudes kümmern. Ein Grund für die Nervosität bei Tornos und die überstürzte Übernahme wird die vermutete Belastung des Geländes mit Schadstoffen sein, auf dem die Usine Junker steht. Als damaliger Betreiber und Verursacher muss Tornos gesetzlich für die Entgiftung des Geländes aufkommen. Aber auch in dieser Frage hält sich das Unternehmen bedeckt und hat dem Kollektiv des Pantographe keine diesbezüglichen Unterlagen ausgehändigt, die für Kredite zum Erwerb nötig gewesen wären.

Kultur – eine Privatangelegenheit?

Für Moutiers kleinstädtische Verhältnisse ist die Tornos SA ein Riese. Das Unternehmen beschäftigt über 300 Angestellte in der Region und ist international tätig. Es stellt seit fast undenklichen Zeiten jene Langdrehautomaten her, die es in direkter Nachbarschaft zum Pantographe zu einem Museum geschafft haben. Seit Jahren steckt Tornos in finanziellen Schwierigkeiten. Um seinen Ruf steht es nach Entlassungen und einer Phase mit unbezahlter Überzeit schlecht. Zur Sicherung verbleibender Arbeitsplätze haben die Stadtverwaltung und der Bürgermeister Maxime Zuber Tornos stets gestützt, auch mit öffentlichen Geldern.

Angesichts der drohenden Schliessung des nicht subventionierten Pantographe hält sich der Bürgermeister hingegen vornehm zurück und hat die Angelegenheit zu einer privaten zwischen Tornos und der Pantos erklärt. Yaffi und Strambini haben ihn kaum je gesehen bei Veranstaltungen. Von der Bedeutung und Funktionsweise des Pantographe habe er nichts verstanden: «Er bringt es fertig, in den Medien zu sagen, dass es genug Kultur in der Region gebe und dass das Verschwinden des Panto nicht schwerwiegend wäre. Er spricht dabei von Aufführungsorten, die Spektakel vertreiben. Wir kaufen aber keine Aufführungen, bei uns werden sie geschaffen.»

Mit ihrem Abseitsstehen entziehen sich aus der Sicht Strambinis die politischen Entscheidungsträger in Moutier der Verantwortung: «Die kulturelle Vielfalt ist demokratisch in Frage gestellt. Es wird entschieden, dass etwas, das nicht in die Norm passt und das manchen als marginal erscheint, kein Existenzrecht hat und eliminiert werden kann. Einzelne Personen können mit ihrer wirtschaftsliberalen Logik Lebens- und Denkweisen zum Verschwinden bringen, die zu weit von ihrer entfernt sind.»

Seit Längerem ist vorgesehen, dass die interjurassische Organisation zur Koordination künstlerischer Tätigkeiten «fOrum culture» mit dem Projekt ARS, das soeben vom bernischen Grossen Rat anerkannt worden ist und Gelder gesprochen bekommen hat, ihr Büro im Pantographe bezieht. Mit seiner Schliessung müsste die Basisorganisation ARS auf einen Ort ausweichen, der nicht im Brennpunkt kreativer Prozesse stünde.

Im Pantographe laufen die Fäden eines weit verzweigten Netzes zusammen, in dem künstlerische Formen, auch Formen des Zusammenlebens und Zusammenwirkens erprobt werden. Strambini betont den grösseren Kontext: «Es gibt da einen Widerspruch. Zwischen Tornos und der Welt der Kultur. Es ist ein sozialer Konflikt. Zwischen einem neuen Denken, einer neuen Generation, die wir vielleicht repräsentieren, und der alten Welt des Fortschritts und des Wachstums, die gegen die Wand fährt. Wir verteidigen unsere Ideale weit über die Mauern des Panto hinaus.»

Wird der Dinosaurier Tornos tatsächlich über die Pantos hinwegtrampeln und sich als Alleinherrscher im Tal behaupten? Es ist eng in Moutier. Nicht auszudenken wie eng es würde, wenn die Tür zum Pantographe geschlossen würde, die Zugang zu den neuen Welten verschafft, die darin entworfen werden.

Doch noch ist es nicht so weit. Am 9. Januar findet in Moutier eine Demonstration mit Fest gegen die Schliessung statt. Eine Petition läuft. Auch für 2016 sind künstlerische Residenzen geplant. Nochmals Strambini: «Bis Juni haben wir den Kalender gut gefüllt. Das war immer unsere Funktionsweise. Heikle Situationen haben wir schon mehrfach erlebt. Wenn wir jedes Mal die Aktivitäten unterbrochen hätten, wäre die Geschichte des Panto schon lange zu Ende.»

News und für mehr Infos siehe: http://pantographe.info

 

Aus dem vorwärts vom 18. Dezember 2015. Unterstütze uns mit einem Abo!

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