Kein Schweizer Problem?

Marc Guéniat / Gaëlle Scuiller. Die Korruptionsaffäre Lava Jato in Brasilien wirft ihren Schatten auch auf den Schweizer Finanzplatz: Schweizer Rohstoffhandelsfirmen zahlten Millionen von Provisionen an zweifelhafte VermittlerInnen, wie Public Eye und Global Witness ans Tageslicht brachten.

Die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard gab sich im September 2017 sehr bestimmt. Der gigantische Korruptionsskandal in Brasilien, den die Justizbehörden seit 2014 unter dem Codenamen «Lava Jato» (auf Deutsch etwa «Operation Wasch-anlage») aufrollten, stelle das Schweizer Anti-Geldwäschesystem keineswegs infrage. «Unsere Kontrollmechanismen gehören zu den strengsten der Welt», erklärte sie und bilanzierte kategorisch: «Das ist ein brasilianisches Problem, kein schweizerisches.»
Klar: Die halbstaatliche Mineralölgesellschaft Petrobras, die im Zentrum der Lava-Jato-Affäre steht, ist ein brasilianisches Unternehmen. Doch Frau Leuthard hat doch ein paar entscheidende Details übersehen. Etwa jenes, dass die schweizerische Bundesanwaltschaft mehr als 100 Strafverfahren eingeleitet und Vermögen im Wert von 1,1 Milliarden Dollar gesperrt hat. 20 Prozent davon sind bereits an Brasilien zurückgegeben worden. Der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Newsletter Gotham City zählt mehr als 1000 Konten bei 43 betroffenen Banken.

Ein «gigantischer krimineller Plan»
Bei dem Geld handelt es sich hauptsächlich um Provisionen, die von überteuerten Aufträgen zwischen Petrobras und privaten Unternehmen abgezweigt wurden. Dubiose VermittlerInnen und professionelle GeldwäscherInnen – für sie gibt es in Brasilien sogar eine Berufsbezeichnung: «Doleiros» – überwiesen die Gelder. Sie landeten auf den Offshore-Konten von korrupten Petrobras-ManagerInnen sowie von PolitikerInnen, die damit ihren Wahlkampf und ihren ausschweifenden Lebensstil finanzierten. Um dieses System aufrechtzuerhalten, platzierten diese die «richtigen» Personen in Schlüsselpositionen des halbstaatlichen Ölgiganten. Nach diesen «Spielregeln» habe dieser «gigantische kriminelle Plan» funktioniert, sagte der Bundesrichter Sérgio Moro, die Galionsfigur bei der Aufklärung von Lava Jato.
Dass der Schweizer Finanzplatz bei der systemischen Korruption eine Schlüsselrolle spielte, ist unbestritten. Doch die Verantwortung der Schweiz geht weiter, wie eine gemeinsame Recherche von Public Eye und Global Witness zeigt. Denn die brasilianische Justiz interessiert sich auch für die drei weltweit grössten Erdöl-Handelsgesellschaften, die alle in der Schweiz ansässig sind: Glencore, Vitol und Trafigura. Die drei Giganten des Rohstoffhandels, die im Jahr 2017 zusammen 438 Milliarden Dollar umsetzten, schlossen mit dem brasilianischen Riesenkonzern lukrative Öldeals ab. Es zeigt sich: Es wurden Millionen von Dollars an Provisionen bezahlt – und dies manchmal an VermittlerInnen mit höchst zweifelhaftem Profil.

Polizei untersucht Verträge
Am 29. August 2016 eröffnet die Bundespolizistin Erika Mialik Marena aus Curitiba – dank der Netflix-Serie «O Mecanismo» mittlerweile weltbekannt – gegen mehrere Personen eine Untersuchung, deren Gegenstand von Glencore und Trafigura getätigte Zahlungen war. Letztere werden verdächtigt, dass sie beim Abschluss lukrativer Ölverträge «in ihrer Eigenschaft als Betreiber oder Beamte von Petrobras (….) als Vermittler fungierten und ungerechtfertigte Vorteile von den oben genannten multinationalen Unternehmen erhalten haben», und zwar mindestens «zwischen 2004 und 2012».
Laut Staatsanwalt Deltan Dallagnol laufen all diese Untersuchungen bis heute. «Man kann sie mit der Reifung der Früchte eines Baumes vergleichen. Jede Frucht muss reif gepflückt werden», sagt er auf Anfrage. Wie der brasilianische Fernsehsender Globo im Juli berichtete, hat die Bundespolizei Petrobras angehalten, genauere Informationen über die zwischen 2004 und 2018 abgeschlossenen Verträge mit Trafigura, Glencore, Vitol und Cockett Marine Oil Ltd – einem Unternehmen, an dem Vitol zu 50 Prozent beteiligt ist – zu liefern.
Laut der Akten ging es bei den Deals um viel. Der Wert der 1048 Verträge, die allein Trafigura zwischen 2003 und 2015 mit Petrobras abgeschlossenen hat, beläuft sich auf insgesamt 8,8 Milliarden US-Dollar. Die Aufträge an Vitol in den Jahren 2004 bis 2015 summieren sich auf 12,16 Milliarden US-Dollar. Der Wert der Aufträge an Glencore ist unbekannt. Das Unternehmen lässt verlauten, es habe keine «wesentlichen Geschäftsbeziehungen mit Petrobras» unterhalten. Präziser wird Glencore nicht.

«Greek Connection»
Allerdings hat die brasilianische Justiz Provisionszahlungen entdeckt, die von einer Tochtergesellschaft von Glencore namens «Ocean Connect Marine» bezahlt wurden: Mindestens 2,1 Millionen Dollar zwischen November 2010 und Februar 2014. In mehreren kleinen Überweisungen wurde dieser Betrag auf ein UBS-Konto in Luxemburg eingezahlt, das im Namen eines in den Marshall Islands registrierten Unternehmens eröffnet wurde: der Seaview Shipbroking Ltd. Für wen waren die Kommissionen bestimmt, die von Glencores Tochterfirma bezahlt wurden? Die brasilianische Bundesanwaltschaft erklärte im Mai 2017, die Wahrscheinlichkeit sei «hoch, dass diese Mittel zumindest teilweise zur Bestechung verwendet wurden». Der Schweizer Konzern stellt sich auf den Standpunkt, dass die Gerichtsdokumente «keinen Beweis dafür lieferten», dass eine Glencore-Tochtergesellschaft «wissentlich direkt oder indirekt Bestechungsgelder gezahlt» habe.
Auf ein Konto bei der Genfer Bank Lombard Odier hat Mariano Marcondes Ferraz Geld überwiesen: insgesamt 868 450 Dollar zwischen 2011 und 2014. Ferraz gilt als der «Mr. Brasilien» sowie «Mr. Angola» von Trafigura. Im März 2018 ist er aufgrund dieser Zahlungen wegen Korruption verurteilt worden. Jedoch betrifft die Straftat nicht seine Aktivitäten für den Schweizer Konzern, sondern jene für eine kleine italienische Firma, Decal do Brasil, die er ebenfalls in Brasilien vertrat. Dank Ferraz Zahlungen konnte Decal den Mietvertrag für ein Öllager in Porto de Suape im Nordosten des Landes erneuern.
Trafigura distanziert sich von dem Fall und sagt, dass man mit den Verträgen zwischen Decal do Brasil und Petrobras nichts zu tun gehabt habe. Zudem entband der Konzern Ferraz im Oktober 2016 von seiner Leitungsfunktion. Eine gut informierte Quelle behauptet jedoch, dass er immer noch Lohn vom Unternehmen erhalte. Unsere Fragen dazu wollte der Genfer Konzern nicht beantworten.

Lücken in der Schweiz
Insgesamt wird die Höhe der Verluste, die durch Veruntreuung innerhalb von Petrobras zwischen Anfang der 2000er Jahre und 2014 verursacht wurden, auf etwa zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen sind verheerend. Sowohl die linken wie auch die rechten Parteien sind durch die Lava-Jato-Affäre diskreditiert, die das Ausmass der systematischen Korruption innerhalb der brasilianischen Institutionen ans Licht gebracht hat. Ausgenommen davon sind lediglich die Strafverfolgungsbehörden in Curitiba. Die Wahl des rechtsextremen Jair Bolsonaro vom 28. Oktober 2018 zum brasilianischen Präsidenten ist eine der politischen Folgen dieses riesigen Korruptionsskandals, der im März 2014 ans Licht kam. Der Schweizer Wirtschaftsstandort hat seinen Teil dazu beigetragen. Auch wenn es Doris Leuthard wohl nicht gerne hört: Lava Jato ist ein weiteres Beispiel für die zentrale Rolle, die die Schweiz in der transnationalen Korruption spielt – aufgrund ihres Finanzplatzes, aber auch aufgrund ihrer multinationalen Konzerne.

Auszug aus dem fundiert recherchierten, empfehlenswerten Artikel «Die dubiosen Methoden der Schweizer Handelsfirmen in Brasilien». Zu lesen auf: www.publiceye.ch

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