Faschist*innen die Anonymität verweigern!

Da war er plötzlich nicht mehr unerkannt, der Faschist, der mir da im Zug gegenüber sass. So ganz ohne Glatze, mit dem Unterleibchen und den kurzen Hosen wäre er mir in der S-Bahn auch gar nicht aufgefallen.

Zumindest nicht, wenn er nicht noch einen Aufnäher mit dem Logo der Nazi-Marke «Thor Steinar» getragen hätte. Mein Blick auf das Logo muss ihm aufgefallen sein, denn plötzlich schien ihm die Situation irgendwie unangenehm: Hatte er doch keine Ahnung, wieso der Typ gegenüber mit wissendem Blick auf seinen Aufnäher starrte, der sonst so unscheinbar war, dass er als Szene-Code durchgehen konnte. Plötzlich bestand da nämlich ein Ungleichgewicht: An mir konnte er nicht ablesen, wer ihm da gegenüber sass – während ich gewarnt war, wer im Wagon mitfuhr. Das eine «Accessoire», das er an sich trug, um von anderen Faschist*innen erkannt zu werden, hatte ihn für mich kenntlich gemacht, als würde er ein Hakenkreuz auf der Stirn tragen. Es war dieser Moment, diese Zugfahrt, bei der ich verstand, wieso viele Faschist*innen derart die Anonymität suchen und wieso wir Antifaschist*innen sie ihnen niemals gewähren dürfen.

Die faschistische Szene ist voll von Codes, verworrenen Zahlenkombinationen und esoterisch vergällten Runen. Solange die Codes und Zeichen nicht erkannt werden, kann nur in abstrakter Form gegen Faschist*innen und ihre Ideologie vorgegangen werden. Das anerkennt selbst der Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) eigene Thinktank, die Konrad Adenauer-Stiftung. Auf ihrer Homepage führt sie an: «Rechtsextreme Personen und die Ideologie, die sie verbreiten, müssen zuerst erkannt werden. Erst dann können Massnahmen zur Auseinandersetzung ergriffen werden, um möglichen rechtsextremen Umtrieben Einhalt zu gebieten.» Doch, wenn es um das Outing von Faschist*innen geht, sind die Bürgerlichen auf einmal wieder hehre Hüter*innen höchster Moral. Es sei falsch und es sei nicht einmal ein geeignetes Mittel, um Rechte zu bekämpfen, die sich laut einem Artikel von Dr. Tom Mannewitz auf der Homepage des Bundesamts für politische Bildung dann schlicht in ihre Peer-Gruppe zurückziehen würden.

Man könnte nun Herr Mannewitz fragen, ob es denn nicht super sei, wenn sich eine Neonazigruppe vor allem mit sich selber auseinandersetzt, nachdem ihre Mitglieder an die Öffentlichkeit gezerrt wurden. Oder, ob es nicht eine gute Sache wäre, wenn Faschogruppen keine Aussenwirkung mehr erreichen? Aber dabei ginge vergessen, dass der bürgerliche Staat, der sich als «wehrhafte Demokratie» versteht, zumindest beansprucht zu wissen, welche Faschist*innen, in welcher Form aktiv sind. Dieser Staat betreibt (oder tut zumindest so) also diese Informationsarbeit selbst, die er verteufelt, wenn sie von Links kommt. Doch – und hier kommt der entscheidende Umstand, warum wir weiterhin über Faschist*innen Recherchen anstellen und die Resultate bekannt machen müssen – der bürgerliche Staat führt diesen Kampf nicht ernsthaft.

Für die Bourgeoisie sind Nazis Leute, die gerne den bürgerlich-verfassten parlamentarischen Staat abschaffen wollen, dazu aber nicht in der Lage sind. Und weil die Nazis dem Kapital so auch nicht gefährlich werden, vielleicht sogar bei einer Verschärfung der Widersprüche als Rammbock gegen die Arbeiter*innenbewegung taugt, tut man sie als harmlos ab. Egal wie viele Linke, Migrant*innen oder sonst wie Unterdrückte sie mit brutalster Gewalt an Leib und Leben bedrohen. Beim Kampf gegen den Faschismus können wir uns auf diesen Staat also nicht verlassen. Wie tödlich die Anonymität gewaltbereiter Faschist*innen sein kann, konnten wir in der jüngeren Vergangenheit bei den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sehen. Ab 1998 waren die drei bekannten Mitglieder der rechten Terrororganisation untergetaucht. Die Anonymität war so für sie zum Mantel geworden, mit dem sie sich vor den Haftbefehlen schützen, die nach Bombenfunden bei ihnen ausgestellt worden waren. Zwischen 1998 und 2011 beging die Gruppe neun Morde und zumindest 43 Mordversuche.

Warum also sollte man gerade Menschen, die diese Anonymität nutzen, um andere zu Opfern ihrer Ideologie zu machen, diesen Schutz der Namenlosigkeit, der Gesichtslosigkeit gewähren? Welcher gute Grund gebietet uns, so einen Namen, so ein Gesicht geheim zu halten? Der Faschismus wird in den kommenden Jahren wegen der Mehrfachkrise des Systems vermutlich Zulauf haben, der bürgerliche Staat wird ihn auch weiterhin nicht ernsthaft bekämpfen. Das heisst, dass die Linke diesen Kampf führen muss. Und das heisst, dass wir so viel über die Faschist*innen herausfinden müssen, wie nur möglich – und auch veröffentlichen müssen.

Edgar Grylewicz

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