Einigung unter Unzufriedenen?

flo. Beim Landesmantelvertrag, dem Gesamtarbeitsvertrag der Bauleute, wurde in letzter Sekunde eine Einigung erzielt. Während der Sturm der Patrons auf die Arbeitszeiten gescheitert ist, sorgt die bescheidene Reallohnerhöhung für einen Kaufkraftverlust bei den meisten Bauarbeiter*innen.

War das jetzt ein Sieg? Oder doch eine schallende Niederlage? So recht ist man sich nicht sicher: Zu ambivalent, zu widersprüchlich scheint die Einigung, die nach neun Monaten, sieben Verhandlungsrunden, fünf Streiktagen mit 15000 Bauleuten im Ausstand und unzähligen gesperrten Baustellen auf dem Tisch liegt. Der Vertrag, der bis Ende 2025 gelten soll, sieht keine weitreichenden Flexibilisierungen der Arbeitszeit vor, wie sie der Baumeisterverband seit Jahren voranzutreiben versucht. Für unzählige Bauleute dürfte dies eine enorme Erleichterung sein, denn das heisst: keine 58-Stunden-Woche, keine 12-Stunden-Arbeitstage.
«Der Arbeitskampf war in Sachen Abwehrkämpfe ein Erfolg. Bei den Arbeitszeiten haben wir ein Patt. Dass die Baumeister ihre Interessen nicht durchdrücken konnten, können wir als Erfolg werten», bestätigt auch Maurer und PdA-Mitglied Marius Käch im Gespräch mit dem vorwärts, der Mitglied der Verhandlungsdelegation der Gewerkschaft Unia war. Tatsächlich dürfte es auch der Bourgeoisie schwerfallen, die Verhandlungseinigung als reinen Erfolg für die Kapitalseite zu verkaufen.

Positives und weniger positives
Es gibt punktuell kleinere Verbesserungen. Die Kilometerentschädigung für Privatfahrzeuge steigt von 60 auf 70 Rappen und der Vaterschaftsurlaub wird neu mit vollem Lohn anstatt den gesetzlich verankerten 80 Prozent gewährt. Weiter werden die Mindestlöhne um 100 Franken erhöht., was insbesondere für die Lehrabgänger*innen und Neueinsteiger*innen in der Baubranche positiv ist.
Doch beim Punkt Kaufkraft, sprich Reallohnerhöhung, sieht es weniger positiv aus. «Der Teuerungsausgleich über alle fünf Lohnklassen wäre 240 Franken bei verteilungsneutraler Erhöhung, inklusive der Produktivitätssteuerung sogar 260 Franken», erklärt Käch. Die ausgehandelte Reallohnerhöhung beträgt nun aber 150 Franken. Unter dem Strich heisst es Folgendes: Für die Bauleute aus der tiefsten Lohnkategorie C, also Bauarbeiter*innen ohne Fachkenntnisse, sowie für Baumaschinist*innen (die neu in der Lohnklasse A sind) gibt es im nächsten Jahr effektiv mehr Lohn. Doch für die meisten Bauleute in allen anderen Lohnklassen handelt es sich bedingt durch die Teuerung um eine Nullrunde oder sie müssen gar mit weniger Geld auskommen. Die Rechnung ist einfach: Ausgehend von einer Inflation von drei Prozent und einem Monatslohn von 6000 Franken wäre es mit einer Reallohnerhöhung von 180 Franken eine Nullrunde. Bei einer Erhöhung von 150 Franken sind es Ende Monat 30 Franken weniger im Portemonnaie. Käch dazu: «Allen Kolleg*innen, mit denen ich sprach, ist klar: Das ist ein Schlag ins Gesicht.»

Regionale Unterschiede
Obwohl der Vorschlag aus den Verhandlungen kam und einige Fragezeichen aufwirft, fand er Mitte Dezember an der Berufskonferenz der Gewerkschaft Unia eine Mehrheit unter den 150 delegierten Bauarbeiter*innen. Es wurde aber auch Kritik laut. Vor allem aus der Waadt, wo die Bauleute mit enormen Mobilisierungen ihre Wut auf die Strasse getragen hatten. Marius Käch verweist auf regionale Unterschiede in Gewerkschaft und Arbeiter*innenschaft: «Wir müssen uns auch den Realitäten vor Ort stellen.» In der Waadt sei vorbildlich mobilisiert worden. Auch die Nähe zur französischen Streikkultur könnte sich positiv ausgewirkt haben. «In der Waadt war die Hälfte der Bauleute auf den Strassen. Im Tessin war die Mobilisierung auch sehr gut, in der Deutschschweiz haben wir hingegen noch viel Luft nach oben.»
So machte auch die Angst die Runde, dass unüberlegte Offensivaktionen die Aufbauerfolge der letzten Jahre an der Basis wieder zunichtemachen könnten. Dass man sich nicht auf ein solch riskantes Vabanquespiel einlassen will, heisst aber nicht, dass die Kolleg*innen resigniert die Hände in den Schoss legen. An der Berufskonferenz fassten die Arbeiter*innen per Resolution den Entschluss, dass die bisher gebildeten lokalen Gremien der Bauleute Sitzungen einberufen müssen, um ein weiteres solches Resultat in Zukunft zu verhindern. «Die Losung ist klar: Man will aus dem aktuellen Patt ausbrechen und offensiv werden», erklärt Käch.

Basisgewerkschaft aufbauen!
Das heisst viel Aufbauarbeit an der Basis, unter Umständen aber auch eine neue Strategie festlegen. Und das bedeutet laut Käch auch, die richtigen Forderungen zu stellen. Er hält fest: «Wegen ein paar Franken und 15 Minuten Pause in den Streik treten, also im schlimmsten Fall Retourkutschen im Betrieb riskieren? Das wollen die wenigsten. Für Forderungen wie die damals die Frührente kämpfen? Das ist schon eine ganz andere Sache.» Die richtigen Forderungen sind aber nicht alles. Käch: «Es gibt kein Patentrezept. Wie wir da vorgehen wollen, um mit mehr Druck auch offensive Forderungen durchzusetzen, muss sich in der nächsten Zeit in den Gewerkschaften und linken Strukturen zeigen.»
Gerade beim Aufbau solcher Strukturen habe es in den letzten Jahren laut Käch starke Entwicklungen gegeben. Es hätten Kolleg*innen an Sitzungen teilgenommen und sich zu Wort gemeldet, die vorher nicht in die Gewerkschaftsstrukturen eingebunden waren. Solche Dynamiken habe es vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Käch nennt konkrete Beispiele: «Zur Frage, ob der Vorschlag von der Verhandlungsdelegation angenommen werden soll oder nicht, haben an der Konferenz nur Bauarbeiter*innen gesprochen. Und auch in meiner Lokalgruppe in Zürich fand die Diskussion zwischen den Büezern statt – seitens Gewerkschaft versuchte uns niemand reinzureden.»

Schlagkräftig kämpfen
Die Abwehrerfolge bei den Arbeitszeiten kann man kaum zu hoch einschätzen. Eine noch weiter greifende Flexibilisierung zwischen Lebens- und Arbeitszeiten der Bauleute hätte sich verheerend auf die Arbeitsbedingungen, die Arbeitssicherheit und auch die Gesundheit der Arbeiter*innen ausgewirkt. Dem gegenüber steht aber der Umstand, dass es kein ehernes Gesetz ist, dass sich die Arbeitszeiten nur nach dem Gusto des Kapitals entwickeln darf: Die Bauleute haben immer noch einen extrem strengen und oft gefährlichen Beruf. Es wäre an der Zeit, dass sie nicht mehr, sondern weniger arbeiten. Und dass sie mehrheitlich in den kommenden Jahren mit weniger Geld im Portemonnaie auskommen müssen, ist nichts Geringeres als ein Skandal.
An ihrer Berufskonferenz haben sich die Bauleute entschlossen, diese bittere Pille zu schlucken. Nicht jedoch widerspruchslos. Ihnen ist bewusst, dass sie für einen besseren Abschluss kämpfen müssen. Und mit der Resolution aus der Waadt zeigten sie auch, dass sie aus den Kämpfen dieses Jahr die richtigen Lehren gezogen haben: Es gilt eine Gewerkschaftsbewegung aufzubauen, die landesweit mobilisieren und Druck aufbauen kann, die eine starke proletarische Basis besitzt. Eine Gewerkschaft, die schlagkräftig kämpft und so auch in die Offensive gehen kann.

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