Ein Erfolg der Solidarität

«Zur Seite umgestossene Mauern sind Brücken.» (Angela Davis). Eine Aktivistin bei der Übergabe der Unterschriften des erfolgreichen Referendums. Bild: zVg

lmt. Das Parlament hatte 61 Millionen Franken an die europäische Grenzschutzagentur Frontex zugesprochen. Darauf wurde erfolgreich ein Referendum ergriffen, welches den Ausbau von Frontex stoppen will.

«Wir wollen das Referendum nicht isoliert betrachten, sondern verstehen es als Teil von unterschiedlichem und vielfältigem Widerstand gegen die gewaltvolle EU-Migrationspolitik. Damit ist auch klar, dass das Referendum allein Frontex nicht abschaffen und Grenzgewalt nicht aufheben kann. Aber: Als Teil dieses vielseiteigenen Widerstands wollen und können wir die gemeinsamen Forderungen – Nein zu Frontex, Ja zur Bewegungsfreiheit – stärken», erklärte ein Mitglied des No-Frontex-Referendums dem vorwärts auf Anfrage. Und es gibt noch einen weiteren positiven Aspekt: «Dank dem Referendum wird nun über mehrere Monate intensiver darüber gesprochen, was an den EU-Aussengrenzen passiert, was die Schweiz damit zu tun hat und schlussendlich auch über die Frage abgestimmt, wie sich die stimmberechtigten Menschen in der Schweiz dazu verhalten wollen.»

Die sogenannte neutrale Schweiz
61 Millionen Franken soll neu der Beitrag der Schweiz an die europäische Grenzschutzagentur Frontex sein. Dieser Summe – mehr als das Vierfache des bisherigen Beitrags – stimmte das Parlament im September letzten Jahres zu. Die beiden Kammern argumentierten: «Die EU rüstet seit 2016 die Grenz- und Küstenwache Frontex mit mehr Personal und technischer Ausrüstung auf, damit die Agentur ihre Aufgaben im Grenz- und Rückkehrbereich besser wahrnehmen kann.». Und: «An diesem Ausbau muss sich auch die Schweiz beteiligen, weil es sich um eine Schengen-Weiterentwicklung handelt.» Als hätten die 14 Millionen von vorher nicht gereicht. Ein erhöhter Beitrag an eine Grenzschutzagentur, die mit Gewalt Menschenrechte verletzt, ist eine Katastrophe. Daher hatte das Migrant Solidarity Network das Referendum lanciert, welches dann von verschiedenen anderen Organisationen und Parteien mitgetragen wurde. In einem bemerkenswerten Schlussspurt konnte das «No-Frontex Kollektiv» fristgerecht über 62000 Unterschriften einreichen, so auf ihrer Webseite zu lesen. Und dieser Zeitung erklärt das Kollektiv: «Es ist ein grossartiger Erfolg und ein riesiges Zeichen der Solidarität!».

Hohe ethische Standards?
Auf der Webseite frontex.europa.eu ist zu lesen: «Frontex verfügt über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen, um ihren Auftrag effizient und mit hohen ethischen Standards zu erfüllen, und die Agentur strebt beständig nach Exzellenz, um ihre Leistung zu verbessern.» Hohe ethische Standards? Das sei mal infrage gestellt. Aber es geht noch weiter: «Frontex erkennt die Bedeutung der Menschen, Institutionen und ihrer Funktionen und zollt diesen Respekt, indem sie sie als wertvoll und wichtig erachtet.» Und um die Spitze der Verlogenheit noch zu erreichen: «Als öffentlicher Vertreter Europas dient Frontex den Interessen der Bürger, da die Menschen im Mittelpunkt der Tätigkeit der Agentur stehen und sie an die europäischen Werte glaubt.»
Bei so viel Falschheit wird einem förmlich schlecht. Fakt ist, dass die Realität anders aussieht. Zahlreiche Berichte belegen: Frontex beteiligt sich direkt und indirekt an schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Agentur scheint, anders als behauptet, überhaupt keinen Respekt für das Leben und die Rechte der Menschen auf der Flucht zu haben. Es sei denn, mit Schusswaffen, Schlagstöcken, Kampfhunden, Schallkanonen und Wasserwerfern Migrant*innen anzugreifen, werde als «hohe ethische Standards» und «europäische Werte» angesehen.

Grauenhafte Migrationspolitik
Zu den Hauptaufgaben von Frontex zählen die Rückführung und Ausschaffung «irregulärer» Migra-nt*innen, Aufrüstung lokaler Grenzschutzbehörden und das Verfassen von sogenannten «Risikoanalysen» samt Handlungsempfehlungen. Im Zuge der konstant erhöhten Auslagerung des EU-Migrationsregimes finden Einsätze auch in immer mehr Drittstaaten statt. Dabei arbeitet Frontex mit über 20 Ländern ausserhalb der EU zusammen.
Ein gängiges Beispiel ist die Kooperation mit der libyschen Küstenwache, welche migrantische Boote abfängt und gewaltsam zurück nach Libyen schleppt. «Die Aktivitäten von Frontex fördern das rassistische Narrativ von Migration als Bedrohung. Die Abschottungspolitik der EU kostete seit 1993 über 44000 Tote, die Dunkelziffer eingerechnet sind es viele mehr», ist auf der Webseite vom Referendum-Kollektiv No-Frontex zu lesen. Die Schweiz profitiert stark von der gewaltvollen europäischen Migrationsabwehr. Denn sie ist als Heimathafen für Rohstofffirmen, internationaler Bankenplatz und Waffenfabrik eine wichtige Profiteurin im kapitalistischen Weltsystem. Und sie ist damit Mitverursacherin vieler Fluchtursachen.

Das Todesurteil verhindern
«Frontex ist eine zentrale Akteurin in Europas Abschottungspolitik, jedoch nicht das alleinige Problem. Widerstand muss daher vielseitig sein, auf verschiedenen Ebenen passieren und sich gegen unterschiedliche Akteur*innen richten. Es wird jetzt schon viel unternommen», hält das Kollektiv gegenüber dem vorwärts fest. Und: Doch die Verantwortung liegt im Herzen Europas, in Brüssel sowie in Bern. Es gilt, an diesen Orten Druck auszuüben. Das Referendum liefert uns ein konkretes Druckmittel: die Finanzierung. Denn die Rechnung ist einfach: ohne Geld keine Frontex».
Am 15.Mai wird das Schweizer Stimmvolk die Wahl haben. Ja zu Frontex oder Ja zur Bewegungsfreiheit? An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass ein Ja zu einer höheren Finanzierung von Frontex zugleich ein indirektes Todesurteil für viele flüchtende Menschen an der EU-Grenze darstellt.

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