Die eierlegende Wollmilchsau?

Gefängnis, Gefangenschaft, Haft, Freiheitsentzug, FreiheitFoto: Clemens FabryAm 9. Juni stimmen wir über die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes ab. Dabei geht es um verschiedene Massnahmen und Ziele. Immer mehr im Vordergrund steht allerdings ein Ziel, das in der geplanten Form verfehlt wird: die Beschleunigung der Asylverfahren. 

Aus der vorwärts-Printausgabe vom 26. April 2013. Unterstütze uns mit einem Abo!

Seit ihrem Amtsantritt arbeitet Bundesrätin Sommaruga an einer Neustrukturierung des Asylbereichs. Das Hauptziel ist die Beschleunigung der Asylverfahren. Wir kennen diese Umstrukturierungspläne unter dem Namen «Modell Holland» oder «Projekt Sommaruga». Etwas technischer ausgedrückt ist es die zwölfte Revision des Asylgesetzes. Richtig gelesen: die Zwölfte! Während wir am 9. Juni über die zehnte Revision abstimmen, reden wir gleichzeitig über die Inhalte der Zwölften. Inhaltlich verzahnt sind die beiden Revisionen über die Testphase, die heute schon die Grundlage liefert, um die wesentlichen Merkmale der Umstrukturierung zu erproben. Die Beschleunigung der Asylverfahren ist dabei die eierlegende Wollmilchsau: sie verspricht die Lösung aller Probleme, macht alles für alle besser und ist deshalb so unabdingbar und unantastbar. Sie findet ohne genaue Faktenanalyse Zustimmung bis in alle politischen Kreise hinein, legitimiert bei vielen die Verankerung der Testphase innerhalb der aktuellen Abstimmungsvorlage und macht deren restliche -Verschärfungen zu einem annehmbaren Kollateralschaden.

Beschleunigung: zu welchem Preis???

Basis des Beschleunigungswahns ist indes eine Falschinformation: Asylverfahren dauern im Schnitt 1400 Tage. Diese Zahl ist falsch. Sie stammt zwar aus dem Beschleunigungsbericht (März 2011) des Bundesrats, errechnet sich aber aus der durchschnittlichen Verfahrensdauer jener Verfahren, in denen von abgewiesenen Asylsuchenden sämtliche Rechtsmittel ergriffen werden. Allerdings werden bei den wenigsten Asylgesuchen alle Rechtsmittel genutzt. Im Gegenteil: Bei Dublinfällen wird in über 97 Prozent der Fälle überhaupt kein Rechtsmittel ergriffen, und die Dublinfälle machen über 40 Prozent der Asylgesuche aus.

Schon 2010 dauerte ein durchschnittliches Asylverfahren nicht 1400, sondern durchschnittlich 413 Tage. Seither haben sowohl das Bundesamt für Migration (BFM) wie auch das Bundesverwaltungsgericht (BVG) die Behandlungsfristen weiter gekürzt. Das BFM hat das erstinstanzliche Verfahren von 231,5 Tagen (Schnitt 2008 bis 2010) auf 170 Tage (Schnitt Juli 2012) gekürzt. Das BVG wiederum erledigt fast 50 Prozent der Fälle innert 30 Tagen und weitere 10 Prozent innert höchstens drei Monaten. Man muss sich nun also die Frage stellen, welche Asylverfahren beschleunigt werden müssten, und welche im Projekt Sommaruga beschleunigt werden sollen. Die Analyse hierzu ist einfach: Im Projekt Sommaruga werden vorwiegend Dublinfälle und die Asylgesuche mit potentiell negativem Asylentscheid beschleunigt. Die Zahlen zeigen hingegen, dass dies nicht unbedingt die dringendste Handlungsoption darstellt. Vielmehr ist es so, dass Gesuche, die zu einer Schutzgewährung führen, überdurchschnittlich lange dauern. Diese Gesuche gelten im Projekt Sommaruga allerdings als nicht prioritär, sie werden erst im erweiterten Verfahren behandelt. Weshalb? Einfach gesagt, weil diese Gesuche bei Behandlung automatisch einen positiven Entscheid bewirken würden (so zum Beispiel die Asylgesuche aus Syrien, deren Behandlung bis vor kurzem schlicht sistiert war.) Um einen Pulleffekt zu verhindern oder anders gesagt, weil man keine positiven Asylentscheide will, ist vor allem eine Beschleunigung der «aussichtslosen» Asylverfahren geplant. Eine Beschleunigung der potentiell positiven Asylgesuche wäre indes auch heute schon ohne das ganze Projekt Sommaruga und ohne die Testphase möglich. Alles was man dazu machen müsste, wäre die Asylgesuche zu behandeln.

Nein am 9.Juni??!

Was bringt die Beschleunigung der Verfahren also tatsächlich? Opium fürs Volk in Form von Segregation, Ausschaffungen und Repression. Die Beschleunigung, wie sie heute angedacht ist, bringt den allermeisten Betroffenen nichts. Sie wird vielmehr bewirken, dass im Endeffekt mehr Leute in die Nothilfe und somit früher oder später in die Illegalität gedrängt werden. Die Beschleunigung ist somit der vielleicht wichtigste Punkt für ein vorläufiges NEIN am 9. Juni.

Weitere Infos: www.asyl.ch/beschleunigung

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