Der Aufstand lohnte sich

lmt. Die von der Finanzministerin Karin Keller-Sutter vorgesehene Streichung der Präventionsgelder für die nationale Kampagne gegen häusliche und sexuelle Gewalt ist dank grossem Engagement gescheitert. Der vorwärts blickt auf die Geschehnisse zurück.

«Unerhört! Keller-Sutter streicht den Präventionskampagnen gegen Gewalt sämtliche Gelder. Für uns ist klar; das nehmen wir nicht hin», teilten die SP Frauen Ende November auf X, ehemals Twitter, mit. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) konterte mit einem eigenen Post: «Das sind Fake News. Dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellungsfragen stehen auch künftig drei Millionen Franken für derartige Kampagnen zur Verfügung.» Darauf antwortete Tamara Funiciello: «Diese drei Millionen sind für die Umsetzung der Instanbulkonvention vorgesehen und Mittel für Drittorganisationen und nicht für eine Kampagne des Bundes, wie das von den Motionärinnen verlangt wurde.»
Anlass für diese Auseinandersetzung waren die Sparpläne der Finanzministerin Karin Keller-Sutter: Die nationale Präventionskampagne gegen häusliche und sexuelle Gewalt sollte dem Sparhammer zum Opfer fallen. Die beschämenden Versuche des Finanzdepartements, dies als «Fake News» abzustempeln, scheiterten kläglich. Denn Funiciello hat recht: Aus dem Topf mit den drei Millionen Franken kann die neu geplante Kampagne nicht finanziert werden, weil es sich dabei um Subventionsgelder handelt. Ebenso scheiterte der Versuch, die Präventionsgelder zu streichen, doch der Reihe nach.

Massnahmen müssen her
Aus einer Studie von 2019 der gfs.bern lässt sich herauslesen, dass hochgerechnet auf die gesamte Schweiz gut 800 000 FINTAs schon ungewollten sexuellen Handlungen ausgesetzt waren. Zwölf Prozent der Befragten, oder hochgerechnet 430 000, wurden vergewaltigt. In einer Befragung zur Gewalt in Paarbeziehungen vom November 2021 gaben 42 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer an, diese erlebt zu haben. Zudem kommt, dass alle zwei Wochen ein Feminizid in der Schweiz verübt wird.
Gestützt auf diese Faktenlage reichte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates im Januar 2022 eine Motion ein. Sie fordert den Bundesrat dazu auf, regelmässig schweizweite Präventionskampagnen gegen häusliche, sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt durchzuführen. Die Kampagnen sollen unterschiedliche Formen von Gewalt abdecken und sich zielgruppengerecht an Betroffene wie auch an (potenzielle) Tatpersonen richten. Dazu sollten die Kantone und Gemeinden, sowie Fachorganisationen und -stellen einbezogen werden. Das Ziel müsse sein: Gemeinsam zur Verhütung von Gewalt beizutragen und Betroffenen den Zugang zu Unterstützung und Schutz zu erleichtern.
Die Motionär:innen argumentieren damit, dass der Bund bei gewissen Gesundheitsthemen, zum Beispiel bei HIV/Aids, seit Jahrzehnten auf Prävention setze. Und erwiesenermassen seien solche regelmässigen, zielgruppenorientierten Kampagnen ein griffiges Mittel. Jedoch würde dieses Potenzial beim Thema häuslicher und sexueller Gewalt bisher nicht ausgeschöpft.

An falschen Orten sparen
Doch für die Durchführung einer Präventionskampagne, die der Bund selbst ausrichtet, wird aus rechtlichen Gründen ein Extrabudget benötigt. Dies beteuerte bereits Berset in der Parlamentsdebatte. Es würden «1,5 bis 2 Millionen Franken zusätzlich» gebraucht. Dieser Betrag muss im Bundesbudget festgehalten werden. Das war dem Bundesrat wohl ein Dorn im Auge. Denn in den kommenden Jahren drohen dem Bund Milliardendefizite. Der Hauptgrund: die Armee. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine fällte das Parlament einen verheerenden Entscheid: Die Armeeausgaben sollen rasch und stark erhöht werden und ein Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Konkret sind das 9,4 Milliarden Franken. Daher lautet die Devise des EFD und dessen Vorsteherin «sparen». In verschiedenen Departementen müssten «Projekte, Kampagnen oder Aufgabenintensivierungen verschoben» oder «redimensioniert» werden, informierte das EFD entsprechend. Darunter fiel eben auch die geplante Präventionskampagne gegen häusliche und sexuelle Gewalt.
Dass der Schutz unzähliger FINTAs in der Schweiz hinter die Aufstockung der Armee gestellt wird, ist besorgniserregend. Denn, nur nochmals zum Mitschreiben, die Gefährdung von hunderttausenden Frauen und genderqueeren Personen in diesem Land ist Fakt. Eine potenzielle Kriegsverwicklung der Schweiz in naher Zukunft ist mit viel Fantasie möglich, aber nicht wirklich absehbar. Die Prioritätensetzung der offiziellen Schweiz ist eine Schande.

Kampagne gerettet
Kein Wunder also, dass die Streichung der Präventionsgelder aus dem Finanzplan 2025 – 2027 zurecht für Furore sorgte, nicht nur bei den Linken. 170 Organisationen unterzeichneten einen offenen Brief an den Bundesrat, allen voran an Karin Keller-Sutter. Dazu kam eine entsprechende Petition der SP Schweiz, welche am Ende 14 767 Unterschriften zählte. Der Druck zeigte Wirkung: Nach dem Ständerat knickte am 11.Dezember auch der Nationalrat ein und sprach der Präventionskampagne 1,5 Millionen Franken jährlich zu. Das Budget wurde auch dank des Einsatzes von Marianne Maret und Tamara Funiciello im Parlament gerettet.
1,5 Millionen sind ein guter Anfang. Für wirksame, flächendeckende und inklusive Kampagnen braucht es aber mehr Geld. Als Vergleichsgrundlage kann die Love Life Kampagne des BAG zur HIV-Prävention herangezogen werden. Sie kostet aktuell rund zwei Millionen Franken pro Jahr. Aber sie ist mit einem viel höheren Budget gestartet. Diese finanziellen Ressourcen braucht es auch für die Präventionskampagnen gegen Gewalt!

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