Bundesgericht setzt «DNA-Fishing» klare Grenzen

Massen-Gentest im Fall des toten Babys von SchwarzenbergDas Bundesgericht hat mit seinem Urteil, welches am 23. Dezember 2014 veröffentlicht wurde, klare Spielregeln im Umgang mit DNA-Profilen festgelegt. Das Urteil hält fest, dass das Verhalten der Berner Strafverfolgungsbehörden auf verschiedenen Ebenen bundesrechtswidrig ist. Mit dem Urteil wurde einer Aktivistin Recht gegeben, die sich gegen Zwangsmassnahmen und eine DNA-Fichierung auf juristischem Weg zur Wehr setzte. Sie war anlässlich eines Asylsymposiums, welches am 31. Januar 2013 an der Universität Bern stattfand, wegen «Sachbeschädigung» verhaftet worden. Dies weil sie zusammen mit drei weiteren AktivistInnen aus Protest gegen die unmenschliche Asylpolitik Kuhmist auf den Tischen verteilt hatte. Obwohl die Universität auf eine Strafanzeige verzichtete und der Kantonspolizei telefonisch mitteilte, dass kein Sachschaden entstanden war, gab die Staatsanwaltschaft mündlich grünes Licht für eine erkennungsdienstliche Erfassung. Die Kantonspolizei Bern veranlasste zudem eigenmächtig eine DNA-Entnahme per Mundhöhlenabstrich von den vier Festgenommenen, die Analyse des Materials sowie das Anlegen von DNA-Profilen. Zwar hat das Berner Obergericht am 23. Juni 2014 die Beschwerde abgewiesen. Das Bundesgericht als höchste Instanz hat nun aber der Beschwerdeführerin Recht gegeben.

Die Überwachungsgesellschaft

Dieser Urteilsspruch ist bedeutsam, weil es die Behörden auffordert, beim Sammeln von DNA-Proben wichtige Grundsätze einzuhalten. Insbesondere bemängelt das Bundesgericht in ihrem Leitentscheid, der dem vorwärts vorliegt, die systematische DNA-Entnahme und Erstellung eines sogenannten DNA-Profils, selbst bei kleinsten Vergehen. Damit erteilt das Bundesgericht der Datenspeicherung auf Vorrate eine klare Absage. Dazu halten die Demokratischen JuristInnen Bern (DJB) fest: «Erfreulich und für die Zukunft schweizweit wegweisend ist auch die Feststellung des Bundesgerichts, wonach die Weisung der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, gemäss welcher in sämtlichen Fällen, in welchen eine DNA-Probe entnommen worden ist, automatisch auch ein DNA-Profil zu erstellen ist, bundesrechtswidrig ist und der notwendigen Einzelfallabwägung nicht gerecht wird. Das Urteil ist aus rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Sicht zu begrüssen: Einer ausufernden polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Datenerfassung wird damit klar Einhalt geboten.» Der höchstinstanzliche Urteilspruch kritisiert die Berner Strafverfolgungsbehörden in mehrfacher Hinsicht. Gemäss dem Bundesgericht waren die Ereignisse, die zur Festnahme der Beschwerdeführerin führten, hinsichtlich Ablauf und Beteiligung bekannt. Weder die erkennungsdienstliche Erfassung (Fingerabdruck, Foto, körperliche Merkmale) noch die Entnahme der DNA-Probe und die Profilerstellung waren deshalb notwendig. Die Zwangsmassnahmen liessen sich auch nicht mit anderen, möglicherweise von der Beschwerdeführerin begangenen oder noch zu begehenden Straftaten begründen. Darüber hinaus hielt das Bundesgericht klar fest, dass die Polizei die Erstellung eines DNA-Profils nicht selbst anordnen darf.

DNA-Fishing for the future

Die Weisung bei der Entnahme von DNA, generell die Analyse zwecks Erstellung eines DNA-Profils vorzunehmen, ist gemäss Bundesgerichtsentscheid zudem «in mehrfacher Hinsicht bundesrechtswidrig». Laut Bundesgericht rechtfertigt das geltende Recht selbst bei einem hinreichenden Tatverdacht nicht in jedem Fall die Entnahme von DNA-Proben, geschweige denn generell deren -Analyse und Archivierung in einer genetischen -Datenbank. Erforderlich sei eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls.

Schon seit Jahren kritisieren RechtsexpertInnen deshalb die oft sehr eigenwillige Interpretation von bestehendem Recht durch die Ermittlungsbehörden und werfen den Behörden im Umgang mit DNA-Profilen fehlendes Augenmass vor. So auch der Strafrechtsprofessor Jörg Paul Müller, der schon 2012 die gängige Praxis, DNA-Analysen vorzunehmen, «nur um zu schauen, welche Treffer die DNA-Datenbank des Bundes liefert», als unverhältnismässig. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit oft DNA-Proben aus erpresserischen Gründen entnommen wurden, etwa wenn Betroffene nicht mit der Polizei kooperierten und vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen. Die Menschenrechtsgruppe «augenauf Bern» bezeichnet diese Praxis als «DNA-Fishing for the future». Sie wirft den Behörden vor, damit «allfällige auch in Zukunft politisch aktive junge Erwachsene präventiv im Voraus zu fichieren – mit dem Ziel, diese einzuschüchtern», wie es Fälle aus der jüngsten Zeit mehrfach belegen. Inwieweit dieser Leitspruch des Bundesgerichtes an der ausufernden Praxis der systematischen Entnahme von DNA durch die Ermittlungsbehörden ändert, wird die Zukunft zeigen.

Aus der Printausgabe vom 16. Januar 2015. Unterstütze uns mit deinem Abo

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